BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Auf dem Bürgersteig einer dicht befahrenen Brücke blieb Hana schließlich stehen. Schwer atmend legte sie den Kopf in den Nacken und starrte einen Moment in das trübe Weiß des Himmels. Dann schloss sie die Augen. Lauschte ihrem hämmernden Herzschlag. Den Autos, die zahlreich an ihr vorüber schnellen. Dem Rauschen des Flusses, irgendwo weit unter ihr. Es roch nach Abgasen und nach kaltem Wasser. Sie versuchte zu schlucken, aber ihre Spucke fühlte sich zäh und klebrig an. Feuchter Wind strich ihr durchs Haar, über die Wangen, über die Lippen. Dann hörte sie Joshuas hetzende Schritte. Sein heißeres Murmeln. Hana rührte sich nicht. Fuhr nur mit dem linken Daumen über die metallene Oberfläche des Anhängers, als suche sie nach eingeprägter Blindenschrift. Aber das Blechherz war glatt und stumm. Und Blindenschrift konnte Hana eh nicht lesen. Genau wie normale Buchstaben. Sie verzog den Mund und schlug die Augen auf. Auf den letzten Schritten verebbte Joshuas Murmeln, bis er schließlich schwer atmend hinter ihr zum Stehen kam. Sie wusste nicht genau, wie lange sie vor ihm weggerannt war. Zumindest lange genug, um sich in Berlin zu verirren. „Was willst du hier?“, keuchte er. Für einen kurzen Moment wollte sich Hana zu ihm umdrehen, doch dann blieb sie einfach stehen und zuckte mit den Schultern. Es war die Wahrheit. Sie wusste nicht was sie hier wollte. Im Grunde wusste sie ja nicht einmal genau, warum sie losgerannt war. Sie hatte die ganze Zeit über kein konkretes Ziel gehabt. War doch völlig egal, wo sie stehen blieb. „Ich hab nicht Mal ’ne Ahnung wo wir sind.“ Mit stumpfem Blick suchte sie die Umgebung nach irgendwelchen Hinweisen ab. Da war ein Schild mit einem Wellensymbol, aber Hana konnte den Namen des Flusses natürlich nicht lesen. Ansonsten nur Autos, Asphalt. Nicht weit vom Ufer die ersten grauen Häuserfassaden. „Jedenfalls nicht im Zentrum. Zu viele Autos und zu wenig Musik.“, stellte Joshua fest. Erst jetzt drehte sich Hana zu ihm um. Er war noch blasser als sonst, stütze sich mit dem linken Arm ausgelaugt auf dem Brückengeländer ab. „Was denn für Musik?“ Sie spannte kaum merklich den Kiefer an. Er hatte es schon wieder geschafft sie zu verwirren. „In der Innenstadt hört man ständig irgendwelche Musik.“, sagte Joshua. „Aus den Kaufhäusern. Oder von den Musikern, die manchmal am Straßenrand hocken.“ Ach so. Vermutlich hatte er sogar Recht. „Ich kann die Straßenmusiker nicht ausstehen. Die sehen immer total elendig und missmutig aus, spielen aber sonst wie fröhliche Lieder. Das ist doch heuchlerisch.“ Joshua legte den Kopf ein wenig schief. „Kaufhausmusik ist auch meistens fröhlich.“ „Die verlangt aber kein Geld.“ Hana rümpfte die Nase. „Die Musiker spielen auch, wenn man ihnen kein Geld gibt. Ich hab ihnen noch nie Geld gegeben. Nur einmal hab ich bei so einer alten obdachlosen Frau am Bahnhof Blumen gekauft:“ „Warum dass denn?“ Hana zog die Brauen zusammen. Sie konnte sich kaum vorstellen wie Joshua Blumen kaufte. Er zuckte nur mit den Schultern, jedes seiner Worte schlug feine weiße Wölkchen in der Luft. „Sie hat gefroren und mich trotzdem angelächelt.“ „Aha.“ Irgendwo weiter hinten schaltete eine Ampel um und der Verkehr auf der Brücke setzte kurz darauf für ein paar Sekunden aus. Einen Moment lang Stille. Ein paar Vögel stoben aus dem kargen Buschwerk am Ufer auf. Hana starrte auf ihre gelben Turnschuhe. Joshua schwieg jetzt auch. Sie spürte jeden Zentimeter Entfernung. „Warum reden wir eigentlich ständig über solchen belanglosen Scheiß?“, fragte sie missmutig. „Über was willst du denn reden?“ „Vielleicht über deine eingebildeten Freunde.“, antwortete sie, obwohl das nicht stimmte. Sie schluckte, sah ihn noch immer nicht an. In Wahrheit würde sie viel lieber weiter über belanglosen Scheiß reden. Hana presste verärgert die Lippen aufeinander. Aber nein. Sie musste dieses verdammte Thema ja schon wieder anschneiden, die Leichtigkeit zwischen ihnen tonnenschwer machen. „Sie sind ziemlich wütend auf mich.“, gab Joshua zu. Ein wenig überrascht sah sie jetzt zu ihm auf. Er erwiderte schweigend ihren Blick, ganz ernst. „Die haben überhaupt keinen Grund.“ Joshua zögerte. „Sie sind wütend, weil ich nicht auf sie höre.“ Hana schloss die linke Faust fester um das Blechherz. „Warum solltest du auch?“ „Weil man sich den Rat guter Freunde eigentlich zu Herzen nimmt.“ „Sie sind keine guten Freunde. Sie geben dir keine Ratschläge, sie geben dir Befehle.“ Joshua antwortete nicht, sah sie nur direkt an. „Es stimmt doch, oder?“ Ihre Stimme wurde mit jedem Wort etwas schneller, ein bisschen heißerer. „Was machen sie eigentlich wenn sie wütend sind? Schreien sie dich an? Reden sie dir ein schlechtes Gewissen ein?“ Ein Laster rauschte an den beiden vorbei und Hana blinzelte aufgekratzt dem aufspritzenden Pfützenwasser entgegen. Starrte den Jungen an, der noch immer schweigend vor ihr stand. Etwas in Joshuas Augen veränderte sich, ein trauriger Schimmer stahl sich in seinen Blick. „Sag schon!“ „Manchmal.“, gab er zu. Seine Stimme war über den Straßenlärm kaum verständlich. Einen Moment lang sagte er nichts, dann fuhr er ebenso leise fort. „Sie haben trotzdem Recht. Du willst mich von ihnen trennen.“ „Ich will dass du gesund wirst.“, berichtigte ihn Hana. Sie war selbst etwas erstaunt über die plötzliche Entschiedenheit in ihren Worten. „Und dazu musst du sie vergessen.“ Joshua schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Man kann sie nicht einfach loslassen. Man kann sie nicht einfach vergessen.“ „Natürlich kannst du!“ Schon war die Bestimmtheit in ihrer Stimme wieder verwirrter Wut gewichen, viel zu hohen, unsicheren Worten. „Diese Leute gibt es nicht einmal! Sie waren nie wirklich da. Du kannst sie loslassen wann immer du willst!“ Als Joshua abermals den Kopf schüttelte, ballte Hana einen Impuls folgend die rechte Faust um das Band des Blechherzens und streckte den Arm kurzerhand über das Brückengeländer. Der Anhänger taumelte wild in der Luft, weit unter ihm spülte der Fluss graues, rauschendes Wasser durch Berlin. Hanas Fingerknöchel waren kalt, bebten leicht, doch sie hielt die Kette fest umschlossen. Sie sah wie sich Joshuas grüne Augen erschrocken weiteten, wie er den Atem anhielt. Wie der letzte Rest Farbe aus seinem Gesicht wich. „Eine Erinnerung, oder?“ Sie deutete flüchtig mit dem Kinn auf den hin und her schwingenden Anhänger. Ihr Herzschlag ging heftig, ihre Lippen zitterten etwas. „Hast du selbst gesagt.“ „Lass das. Bitte.“, murmelte Joshua. Seine Stimme bekam einen fieberhaften Unterton. „Mit den Erinnerungen gehen auch deine Freunde verloren, nicht wahr? Ohne diese Gegenstände vergisst du sie.“ Ihr Blick zuckte kurz zu der Kette und sie musste einen Moment lang an Joshuas beste Freundin denken, von der er ihr erzählt hatte. Mit der er diese Erinnerung – das Blechherz – teilte. Der Junge schüttelte den Kopf. Er sah irgendwie fast schon verzweifelt aus. „Hör auf damit.“ „Nein Joshua. Ich werde sie fallen lassen.“ Es rauschten unaufhörlich Autos über die asphaltierte Brücke. Fußgänger waren keine unterwegs. Irgendwo weiter hinten heulte eine Polizeisirene durch die Straßen. Joshua hielt den Mund. Starrte sie traurig an, aber nicht mehr flehend. Vielleicht war es die Festigkeit in Hanas Stimme, die ihn resignieren ließ. Vielleicht weil sie beide wussten, wann Hanas Worte echt waren, und wann nicht. „Deine Freunde sind eine Krankheit.“, erklärte Hana. Sie versuchte ruhig zu sprechen, obwohl ihr Herz schneller denn je schlug. „Eine Störung, verstehst du? Sie sind schlecht für dich. Für deinen Körper, oder deine Seele, oder für was weiß ich.“ Sie versuchte den schalen Geschmack auf ihrer Zunge herunter zu schlucken, aber irgendwie wurde der Klumpen in ihrem Hals dadurch nur noch größer. „Also wenn ich jetzt den Anhänger fallen lasse, dann nur … dann nur, damit du gesund wirst.“ Sie suchte unsicher nach seinem Blick. Spürte die Kette zwischen ihren Fingern, das Leichtgewicht des Anhängers. Das ferne Tosen des Flusses kam ihr plötzlich unheimlich laut vor. Joshua schwieg noch immer. „Und wenn dann einer deiner Freunde weg ist … “ Hana wusste genau, dass ausgerechnet Joshuas beste Freundin verschwinden würde, aber sie hatte nicht den Mut, diese Tatsache noch einmal auszusprechen. „ … Dann schaffst du es vielleicht auch, den Rest … der Krankheit zu besiegen.“ Sie wandte den Blick von dem Jungen ab. Spürte wie ihr ausgestreckter Arm langsam schwer wurde. Es war echt hart, Joshua anzusehen. Er war nicht wütend auf sie. Er war nicht entsetzt, nicht vorwurfsvoll. Joshua war einfach nur verletzt. Hana riss sich zusammen und blickte zu ihm auf, in seine traurigen Augen. „Ich kann dir helfen.“, sagte sie. „Wir können es zusammen schaffen. Damit du wieder alleine entscheiden kannst. Du brauchst nicht irgendwelche Stimmen, die dir sagen, was du tun sollst. Das bist nicht du, Joshua.“ Sie versuchte ein Lächeln, aber es misslang ihr kläglich. Also ließ sie es bleiben, suchte stattdessen weiter nach Worten. Ihr fielen keine mehr ein. „Okay?“, fragte sie dann nur noch, ganz leise. Einen Moment lang Stille. Zwei Momente. Dann nickte Joshua, ohne ein Wort. Irgendetwas war jetzt in seinen grünen Augen, was Hana nicht zu deuten wusste. Verunsichert fuhr sie mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. „Okay.“, wiederholte sie stumm, mehr für sich selbst als für Joshua. Dann ließ sie die Schlaufen des Bandes durch ihre Finger rutschen. „Warte.“ Hana griff noch einmal zu, wusste selbst nicht genau warum. Sie presste ihre eiskalten Fingerkuppen auf das letzte Ende der Kette. Der Anhänger taumelte im Wind, reflektierte für einen kurzen Moment das Weiß des Himmels. Als wollte die Helligkeit heute nie dem Abend weichen. Hana sah Joshua an, wartete mit klopfenden Herzen ab. „Kannst du mir vorher noch etwas verraten?“, fragte er leise. Hana zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Was sollte das jetzt? Sie wollte ihm irgendetwas antworten, nickte aber stattdessen ein einziges Mal. Joshua zögerte. „Deinen Namen.“ Hana verstand nicht. „Du hast mir nie deinen Namen verraten.“ Was? Einen Augenblick schüttelte sie irritiert den Kopf. Dann begriff sie. Ihre Augen weiteten sich, ihr Herz setzte einen Schlag aus. Die Schlaufe entglitt ihren Fingern. Aber den Wind auf ihrer Haut spürte sie noch immer. „Ich heiße Hana.“, kam es ihr über die blassen Lippen, fast lautlos, fast erstickt. Aber Joshua verstand es. „Hana“, wiederholte er, kostete ihren Namen ganz leise auf der Zunge, mit einer Stimme aus Papier. Irgendwo tief unten wurde das Blechherz für immer von grauem Wasser verschluckt. Das letzte was Hana sah, war sein Lächeln. Joshuas ehrliches, trauriges Lächeln. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)