BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Zwei Sekunden vergingen, dann drei. Joshua beugte sich schweigend über das reglose Tier. „Ey, das Vieh bewegt sich nich’ mehr. Ist es tot?“ Der Dünne lachte unsicher. „Halt’s Maul. Das Vieh kann gar nicht tot sein.“ Die Stimme des Fetten geriet ins Wackeln. „Hab nur ganz sacht zugetreten.“ Hana hörte die Worte wie durch Watte. Selbst das Prasseln des Regens nahm sie kaum noch wahr. Allein das Beben ihres Herzschlags hämmerte dumpf und laut in ihren Ohren. Vor ihrem inneren Auge wiederholte sich noch einmal die komplette Szene: der Tritt, das aufspritzende Pfützenwasser, dann die Stille nach dem Aufprall. Es war alles viel zu schnell gegangen. Ein paar Sekunden sah sie noch wie versteinert das leblose Tier an, dann löste sich Hana endlich aus ihrer Starre und eilte mit taumelnden Schritten auf Joshua zu. Eine resignierende Stimme in ihrem Kopf meldete plötzlich mit erschreckender Gewissheit, dass es zu spät war. Ununterbrochen, immer der gleiche Satz. Schnurri ist tot. Hana versuchte verzweifelt, nicht darauf zu hören. Es war schließlich völlig unlogisch! Die Katze konnte nicht tot sein! Verdammt, es war nur ein einziger Tritt, davon starb keine Katze! Doch die düsteren Worte in ihrem Kopf wurden nur lauter, endgültiger. Kraftlos ließ sie sich neben Joshua auf die Knie fallen, spürte das kalte Wasser an ihren Beinen. Irgendwo weiter hinten raunten sich die drei fremden Jungen nervöse Worte zu, doch Hana hörte längst nicht mehr hin. Einen Moment lang sah sie Schnurri an, die noch immer unverändert auf dem nassen Asphalt lag; ihr Fell zerzaust und dreckig, die Glieder kraftlos und still. Dann blickte sie in Joshuas Gesicht zu ihrer Rechten. Regen tropfte aus seinem schwarzen Haar und perlte von seiner Nasenspitze. Er machte keine Anstalten, dass Tier anzurühren oder zu bewegen; er sah es nur schweigend an. Nicht entsetzt, nicht wütend oder verzweifelt. Nur abfindend. Kein Protest in seinem Blick. Keine Träne, keine bebenden Lippen. Nur stilles Abschiednehmen. Einen Moment lang suchte Hana unbeholfen nach Worten, doch presste schließlich die zitternden Lippen aufeinander. Sie brauchte ihm keine Hoffnungen mehr zu machen. Joshua wusste es. Hana wusste es auch. Schnurri ist tot. Ein letztes Mal flüsterte die graue Stimme in ihren Gedanken, ganz ohne Nachdruck, ohne Drängen. „Das … Es tut mir Leid.“ Die erstickten Worte stolperten kaum lauter als der Regen über ihre Lippen, und einen kalten Moment lang war sich Hana nicht einmal sicher, ob Joshua sie gehört hatte. Doch dann nickte er. Sein Gesicht war ganz ruhig. Hana nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie ein paar Leute auf der anderen Straßenseite stehen blieben und zu den beiden und der toten Katze herüberstarrten. Die drei Jungs von vorhin waren verschwunden, vermutlich hatten sie das Weite gesucht, bevor sie noch Ärger wegen der Sache bekamen. Hana überkam einen Moment lang der tiefe Wunsch, sie zu hassen. Diese feigen Arschlöcher büßen zu lassen. Doch die eigene Kraftlosigkeit spülte die Wut in ihr trüb und matt. Stattdessen starrte sie nur aufgelöst das Tier an. Den zu kleinen Kopf, die geschwungene Linie der geschlossenen Bernsteinaugen. Schnurri war nie wirklich gesund gewesen, hatte Joshua gesagt. Aber es war nicht fair, dass ein einziger Tritt ausreichte, um sie zu töten. Schnurri sah dürr aus, in all der Nässe. Dürr und Krank. Und Hilfsbedürftig. Es war ein trauriger Anblick. Hana hatte schon einmal so etwas Trauriges gesehen: eine junge Obdachlose, die im Winter in einer schmalen Unterführung gelegen hatte, zusammen mit ihrem Hund. Beide hatten geschlafen, und die Lippen der Frau waren so blau gewesen, als wäre sie bereits erfroren. Der Hund hatte im Schlaf gewinselt und seine feuchte Nase tiefer in ihrem roten Haar vergraben. „Trotzdem.“, murmelte Joshua neben ihr. Hana zuckte erschrocken zusammen. „Sie war immer ein gutes Tier.“ Er sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand. Einen verwirrten Moment lang wollte sie fragen, wie er das meinte, doch dann begriff sie, dass die Worte nicht an sie gerichtet waren. Ihr Magen zog sich zusammen. Joshua nickte in die Leere, flüsterte abermals irgendetwas. Dann sagte er eine Weile nichts mehr. Der Regen tropfte von seinem Kinn, das schwarze Haar klebte an seiner Stirn. „Nein. Ihr habt Recht.“, setzte er nach einer Weile kaum hörbar hinzu. Es tat Hana weh, ihn so zu sehen. Er tat ihr leid, sehr sogar. Sie wunderte sich ein wenig über sich selbst; schließlich hatte sie den Jungen den kompletten Vormittag lang verflucht. Aber den Tod seiner Katze hatte er nicht verdient. Er konnte so ungerührt aussehen wie er wollte, Hana war überzeugt, dass ihn dieser Verlust mitnahm. Wahrscheinlich mehr als er selbst wusste. Er brauchte jetzt Halt, Trost … Aber den bekam er ja auch. Von seinen unsichtbaren Freunden. Hana senkte den Kopf und starrte verbittert in das graue Pfützenwasser. Sie war in diesem Moment der einzige Mensch, der bei Joshua war. Die einzige Person, die ihm helfen wollte. Aber der Junge brauchte sie einfach nicht. Er hatte ja andere, die für ihn da waren. War es nicht eigentlich sie, die in diesem Moment eine Art unsichtbare Freundin für ihn war? Sie konnte ihm ja nicht einmal übel nehmen, dass er jetzt mit seinen eingebildeten Freunden sprach, anstatt mit ihr. Was hatte sie denn erwartet? Was hatte sie denn geglaubt, wer sie für ihn war? Sie verzog den Mund. Dumm, Hana. Der Gedanke klang heute vielmehr betrübt als wütend. Neben ihr erhob sich Joshua vom Boden. Seine Hose war von den Knien bis zu den Schuhen vollkommen durchnässt, doch er schien nicht zu frieren. Er sah traurig das tote Tier an, dann wandte er sich ab, der Straße entgegen. „Wo willst du hin?“, traute sich Hana zu fragen. Sonst hätte sie ihre brüchige Stimme vermutlich gestört, aber jetzt war das egal. „Nach Hause.“, antwortete Joshua knapp, sah sie dabei nicht einmal an. „Und … was ist mit Schn…?“ Der Satz zerbrach an dem Namen der Katze. Sie schluckte das Loch in ihrer Frage herunter, in der Hoffnung, dass der Junge sie trotzdem verstehen würde. Joshua antwortete nicht. Ein paar Autos rauschten vorbei, ansonsten blieb alles still. „Willst du sie nicht mitnehmen? … Um sie zu begraben?“, fügte sie unsicher hinzu. „Meine Freunde sagen, ich soll sie vergessen.“ Seine Worte klangen kahl und matt. „Sie sagen, ich brauche sie nicht … Ich hab genug Freunde.“ Hana blinzelte einmal. Sofort fühlte sich ihr Hals wie ausgetrocknet an. „Was?“ Kaum mehr als ein undeutliches Hauchen. Joshua stand nur da, zwischen Regen und Fassadengrau, und stierte in die Leere. Dann sagte er, ganz leise, zögernd: „Dich soll ich auch vergessen.“ Es dauerte einen Moment, ehe Hana begriff. Dann wartete sie darauf, dass sie seine Worte wie ein Schlag ins Gesicht treffen würden. Aber der Schlag kam nicht. Es kam gar nichts. Seine Stimme hatte sie wie leergefegt. „Willst du das wirklich?“ Es kam ihr vor als sprach da jemand anders, mit heißeren, belegten Worten. Sie atmete tief ein, presste dann die regenschwere Luft aus ihren Lungen. Wieder schwieg Joshua. Aber Hana blieb jetzt ebenfalls stumm, drückte die kalten Lippen aufeinander und wartete ab. Als hätte jemand all ihre Emotionen verstummen lassen, die bei diesem Gespräch nur im Weg stehen würden. „Nein“, seufzte Joshua schließlich. „Dann werden wir beide jetzt gemeinsam Schnurri begraben.“ Ihre Stimme klang zwar noch immer nicht fest, doch ihre Worte waren es umso mehr. Und Hana war sich sicher, dass Joshua das ebenfalls wusste. Wieder zögerte der Junge ehe er sprach. „Wo denn? … Wir haben nicht einmal einen Ort.“ Hana ballte die Hände zu Fäusten. Schritt für Schritt kehrten ihre Gefühle zurück, aber es waren ganz andere, als vor ein paar Sekunden. All ihr Mitleid ihm gegenüber war erloschen. Was jetzt in ihr aufkeimte war nichts als Zorn. Auf Joshuas unsichtbaren Freunde. Aber mehr noch auf ihn. „Tu nicht so als sei es ein Problem irgendeinen passenden Ort zu finden.“ Joshua gab abermals keine Antwort. Hana biss die Zähne zusammen. Sie hätte ihn am liebsten angeschrieen. Was er sich überhaupt dachte, sich einen Scheiß um seine tote Katze zu scheren. Wie er nur auf seine beschissenen Hirngespinste hören konnte. „Mein Garten.“ Ihre Stimme blieb beherrscht. „Wir werden sie in meinem Garten begraben.“ Sie atmete tief durch und ihr Blick zuckte schuldbewusst zu Schnurri. Hana kam sich mies vor, jetzt über sie zu streiten, kurz nach ihrem Tod. Es fühlte sich so falsch an. Sie hätte der Katze einfach eine friedliche Bestattung gewünscht. Sie starrte wütend zu Joshua. Nur weil dieser Arsch sich so quer stellte! Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Regen nachgelassen hatte. Es nieselte nur noch, und hier und da lichtete sich schon das Himmelgrau. „Sie sagen, ich soll nicht auf dich hören.“ Joshua sprach leise, kaum lauter als der Straßenlärm, kaum lauter als das ewige Tropfen und Prasseln. „Sie sagen, du willst uns auseinander reißen. Du willst mich und meine Freunde trennen. Du bist neidisch auf sie und willst – “ „Halt’s Maul!“ Es platzte einfach aus ihr heraus. Erst jetzt drehte er sich zu ihr herum. Hana erwiderte seinen Blick, starrte ihn wutentbrannt in seine klaren, grünen Augen. Sie atmete durch die Zähne, die beide Fäuste hatte sie verbissen in die Pfütze unter sich gedrückt. „Es geht hier nicht um mich, verstehst du?“, sie sprach wieder leiser, aber sie schärfte jedes einzelne Wort wie ein Messer. „Es geht allein um Schnurri. Und du wirst sie jetzt verdammt noch mal angemessen begraben! Das bist du ihr schuldig. Danach brauchst du mich von mir aus nie wieder ansehen.“ Mit diesem Satz schnitt sie sich selbst in die Finger, und die Wunde brannte schmerzhafter als erwartet. „Ist mir scheißegal.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)