BlechHerz von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Als die beiden Mädchen mit den blond gefärbten Haaren aus der U-Bahn stiegen, blieb Hana allein auf der langen Sitzfläche zurück. Weiter hinten im Abteil saßen noch eine Menge fremder Leute, doch deren Worte konnte Hana über den Lärm der Wagen hinweg nicht verstehen. Um sie herum war jetzt alles leer. Bis auf die dunkelhäutige Frau ihr gegenüber natürlich, doch diese starrte nur vor sich hin und redete mit niemandem. Hana wusste nicht einmal, ob sie überhaupt deutsch sprach. Unzufrieden stierte das Mädchen auf die schwarzen Tunnelwände, die hinter den breiten Fenstern in Windeseile vorbeizogen. Bis eben hatte das oberflächliche Gespräch der beiden Mädchen wenigstens für ein Bisschen Ablenkung gesorgt. Sie hatten über eine Klassenkameradin abgelästert, die wegen ihrem neuen Freund plötzlich einen auf Punk machte. Beide fanden das total lächerlich. Hana widerum fand es lächerlich, dass beide Mädchen die selbe Frisur hatten und ihre Fingernägel in dem gleichen Muster lackiert waren. Doch an der letzten Haltestelle waren die beiden ausgestiegen. Und Hana war wieder völlig allein mit ihren Gedanken. Allein mit Joshuas Worten in ihrem Kopf. Verdammter Mist. Sie zog die Knie an die Brust und legte die Füße auf das Sitzpolster, obwohl sie wusste, dass das in der Bahn nicht gern gesehen wurde. Egal. Die ausländische Frau würde bestimmt nichts sagen. Hana verzog den Mund. Es war kaum nachmittag, und sie fuhr schon wieder zurück in die Vorstadt. Sie ärgerte sich darüber, wie lahm sich die Zeit voranschleppte. Doch weiterhin auf dem Alexanderplatz rumzugammeln wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Sie hatte schließlich kaum irgendjemanden gefunden, der irgendwem irgendetwas erzählte. Außerdem war ihre Konzentration sowieso schon auf Null. Hanas eigene Geschichte ließ kaum noch Platz für anderes in ihrem Kopf. Als sie bemerkte, dass sie schon wieder missgelaunt an ihren Schuhen herumzupfte, verschränkte sie zwanghaft die Arme auf den angezogenen Knien. Schließlich mussten die verdammten Treter noch eine Weile halten. Hana war unzufrieden über ihre Unzufriedenheit, und das ärgerte sie. Genau wie heute war die Zeit auch gestern nur sehr zäh vergangen. Der lange Nachmittag hatte eine noch längere Nacht mit sich gebracht. Hana saß die ganze Zeit untätig zuhause rum. Sie starrte abwechselnd den leeren Brief und die Kette an, bis sie beschloss, beides in den Müll zu hauen, obwohl sie wusste, dass sie es sowieso nicht tun würde. Sie war unruhig und wollte irgendetwas machen. Doch sie konnte sich zu nichts aufraffen. Deshalb tat sie gar nichts, und das war definitiv das Falsche. Hin und wieder schob sie das Blechherz aus Langeweile in den Umschlag, nur um es dann wieder herauszuziehen und anzustarren. Sie ertappte sich sogar manchmal dabei, wie sie zaghafte Blicke über die Schulter warf, als würde dann plötzlich Joshuas Freundin hinter ihr auftauchen. Aber da stand nie jemand und Hana regte sich nur über ihre eigene Dummheit auf. Sie regte sich in letzter Zeit ständig auf, und das nervte sie tierisch. Normalerweise war sie nie so frustriert. Das war allein die Schuld dieses Psychopathen. Helles Licht drang durch die Scheiben als die U-Bahn in die nächste Haltestelle einfuhr. Die unterirdische Station war komplett grün gefliest, und erinnerte Hana jedes Mal an die öffentlichen Toiletten in diesem riesigen Einkaufscenter im Zentrum Berlins. Sie war einmal dort gewesen, obwohl sie Shoppingzentren nicht besonders mochte. Die Türen glitten auf und ein paar Menschen strömten herein. Normalerweise forschte Hana eigentlich immer in unbekannten Gesichtern, doch diesmal starrte sie nur lustlos aus dem Fenster hinter ihr. Ein Plakat hing dort, auf dem ein Mann mit sehr vollen Lippen abgebildet war; seine rechte Gesichtshälfte war von einer hellen, geschuppten Maske bedeckt. Den Text verstand Hana natürlich nicht, doch sie vermutete, dass das Plakat für Theater oder dergleichen warb. Das Bild war zwar ausdrucksstark, doch Hana fand es im Vergleich zu lebenden Gesichtern total langweilig. Ein älterer Mann mit Anzug setzte sich wortlos neben sie. Irgendwie hatte Hana das Gefühl, seine Krawatte wäre nicht richtig gebunden, doch sie war sich nicht sicher. Sie konnte schließlich keine Krawatten binden. Der Mann warf einen diskreten Blick auf seine Uhr und schaute dann aus dem Fenster. Eine klare Geste, um allen anderen zu zeigen, dass er keine Lust auf Kontakt hatte. Das wusste Hana. Die U-Bahn setzte sich ruckartig in Bewegung und Hana seufzte. Dann presste sie angenervt die Lippen aufeinander. Eigentlich seufzte sie nie - das war nicht ihre Art. Was war nur los mit ihr? Hatte Joshua sie wirklich so verändert? Nein. Das war Schwachsinn. Joshua war nur ein dahergelaufener psychopathischer Junge. Und Hana hatte eigentlich nicht einmal etwas mit ihm zu tun. Das war eine Tatsache. Doch Hana wusste, dass sie das ganze nicht einfach so vergessen konnte, so sehr sie es auch wollte. Aber wollte sie ihn denn überhaupt vergessen? Sie fühlte sich unwohl und irgendwie nackt, wenn sie sich diese Frage stellte, also schob sie den Gedanken schnell beiseite. Es war so oder so egal, ob sie es wollte oder nicht. Was Joshua anging, hatte sich schließlich die ganze Welt gegen sie verschworen. Heute früh hatte sie sich fest vorgenommen, zum Alexanderplatz zu fahren, ohne sich mit dem Jungen, seinem dämlichen Brief oder dem Blechherz zu beschäftigen. Sie wollte wieder in ihr altes Leben zurückfinden, einfach fremden Worten lauschen, wie sie es sonst auch immer getan hatte. Sie wollte keinen einzigen Gedanken an den Jungen verschwenden. Doch kaum hatte Hana die Straße hinter ihrem Garten überquert, sprang nicht weit von ihr eine Katze von einem Mauersims, die genauso aussah wie Joshuas Schnurri. Als es dann noch mit regnen anfing, fühlte sie sich komplett in den gestrigen Tag zurückversetzt und die schlechte Laune ließ sie nicht mehr los - genau wie die Erinnerungen an den zweifelhaften Aufenthalt in Joshuas Wohnung. An seine Worte. Auf dem Alexanderplatz waren die Menschen wegen des Regens immer in Eile gewesen, es fand sich kaum noch Platz für Geschichten. Alle waren stumm, gestresst, und beschwerten sich höchstens mal über das Wetter. Hana schnappte kaum mehr als unzufriedenes Murmeln auf. Dämlicher Tag. Das Rauschen der U-Bahn verstummte erneut und Hana sah auf. Hier musste sie raus. Ohne noch einen Blick auf den Mann neben ihr zu werfen, verließ Hana das Abteil zusammen mit der schwarzen Frau. Die Luft in der Station war feucht und roch ein wenig nach übel. Eilig schob sich Hana an der Fremden vorbei und stieg im schummrigen Licht der Haltestelle die schmale Treppe hinauf. Hinter ihr hörte sie, wie sich die U-Bahn langsam wieder in Gang setzte. Es dauerte nicht lange, da hieß sie der prasselnde Regen Berlins erneut willkommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)