Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 29: Zurück im Gericht ----------------------------- Noch einmal Entschuldigung für die Sprunghaftigkeit des letzten Kapitels - dieses ist da hoffentlich wieder sehr viel klarer. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und danke für die kreativen und kontruktiven Kommentare! _________________________________________________________________________________ „Hey, Kats.“, Shizuka lächelte ihm entgegen, als er zu seiner kleinen Schwester trat, die sich auf einer der Bänke gegenüber des Büros des Richters niedergelassen hatte, während Seto und Yami sich zu Herrn Sarowski begaben, der etwas abseits stand. „Hey, Kleine.“, er setzte sich neben sie, „Wie war dein Gespräch?“ „Aufklärend. Dein Beamter ist nett.“, sie strahlte mit ihrem Lächeln, „Er wird mir einen Platz in einem dieser Heime besorgen. Er sagt, es könnte sein, dass ich nicht sofort einen kriege, aber dann sucht er auch noch nach einem alternativen Heim, falls das mit Mutter zu arg wird.“ „Ich hatte immer gedacht, sie würde liebevoll mit dir umgehen...“, gestand Katsuya leise mit einem Seufzen, „Es tut mir Leid, dass ich nicht vorher nach dir gesucht habe.“ „Ist okay. Sie ist ja auch liebevoll. Aber... manchmal halte ich sie einfach nicht aus.“, sie seufzte, rückte etwas näher und lehnte sich vorsichtig zur Seite, um ihren Kopf auf seine Schulter zu legen, „Ich vermute, es ist weit einfacher, als mit unserem Erzeuger zu leben.“ „Weiß nicht...“, der Blonde legte einen Arm um sie, „Meistens war er einfach betrunken vor’m Fernseher oder hat geschlafen. Er ist nur aufgestanden, um sich etwas zu essen zu holen oder neuen Alkohol einzukaufen. Oder... um mich zu schlagen. Mehr hat er nicht gemacht.“ „Ich habe Angst...“, flüsterte Shizuka plötzlich mit zitternder Stimme, als hätte sie einen Kloß im Hals. „Wovor?“, vor ihrer Zukunft, vor ihrem Leben mit einem Kind, einem Leben als sechzehnjährige, wahrscheinlich allein erziehende Mutter, die in einem Heim vom Staat lebte und neben ihrem Kind noch ein eigenes Leben zu verantworten hatte, dass noch mindestens ein Jahr Schule vorsah? Zumindest würde das Katsuya Angst machen. Eher gesagt mindestens das. Er war mit neunzehn nicht fähig sein eigenes Leben wirklich zu verantworten, wie sollte eine Sechzehnjährige gleich zwei Leben tragen? „Mit so einer Mutter, wie ich sie hatte... meinst du, ich kann überhaupt eine gute Mutter sein? Ich habe mir geschworen, es nicht so wie sie zu machen, aber wie soll ich es machen? Ich habe außer ihr doch gar kein Beispiel einer Mutter. Ich habe Angst, dass ich genau so wie sie werde. Und das... das könnte ich nicht ertragen.“, er spürte etwas Nasses in sein T-Shirt ziehen und brauchte nicht zu ihr zu sehen, um zu wissen, dass sie still weinte. Er würde es tun. „Dann such dir ein Beispiel. Du kommst doch in ein Heim mit ganz vielen anderen Müttern und Erzieherinnen, wenn ich das richtig verstanden habe. Da hast du viele Vorbilder. Und falls es trotzdem nicht klappt, gibt es ganz viele Menschen, bei denen du um Hilfe bitten kannst. Du bist nicht dazu verdammt wie Mutter zu werden.“, hoffte er zumindest. So wie auch er hoffte nicht wie sie zu werden. Oder wie sein Vater. Er schluckte. Deshalb hatte Seto die Bilder in seinem Nachtschrank. Als tägliche Erinnerung, dass er nicht so wurde. Dass er unter allen Umständen niemals so werden durfte. Keine Drogen nehmen, keine Menschen missbrauchen, nicht sich selbst töten, nicht andere töten – seine eigenen kleinen zehn Gebote. Der Richter streckte den Kopf hinter der Bürotür hervor und sprach nach einem kurzen Lächeln: „Wunderbar, sie sind wieder da. Herr Kaiba, hier sind die Unterlagen.“ Seto trat vor und nahm drei Seiten Papier entgegen, die er in der Geschwindigkeit scannte wie er Zeitungen las – drei Sekunden für eine Seite – bevor sich auch auf seinen Lippen ein Lächeln zeigte. „Was denn?“, murrte Katsuya, als die blauen Augen ihn trafen, „Bin ich auch schwanger?“ „Nein.“, der Lehrer trat auf ihn zu und hielt ihm die zweite Seite vor die Nase, „Sie haben heraus gefunden, dass du strohdumm bist.“ „Haha...“, sein Blick fiel auf das fett Gedruckte in der Mitte, „Und was genau soll mir diese Zahl jetzt sagen?“ Einhundertzweiundvierzig. Stand da. Woher sollte er wissen, was ihm das brachte? Gab es eine Gebrauchsanweisung? „Hach...“, Seto seufzte tief, „Deine Wissenslücken sind bisweilen echt unfassbar. Hundert ist Durchschnitt. Ab hundertdreißig beziehungsweise hundertvierzig – je nach Test – gehört man zu den zwei Prozent der Hochintelligenten auf diesem Planeten.“ „Äh...“, hieß das jetzt, dass er hochintelligent war? Er zog die Stirn in Falten. „Hundertzweiundvierzig liegt darüber, richtig?“ „Yami, gib‘ ihm eine Kopfnuss.“, befahl Seto, „Ich bringe es gerade nicht über’s Herz.“ „Dein Haustier, deine Erziehung.“, erwiderte dieser nur und lächelte – war da eine Spur von Stolz in seinem Blick? – bevor er sich seinen Kopf schüttelnd wieder Herrn Sarowski zuwandte. „Menno...“, grummelte der Blonde, verschränkte die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe vor, „Ihr seid alle gemein.“ Wenigstens seine Schwester hatte es wieder zum Lachen gebracht, also bitte. Was nichts daran änderte, dass Katsuya sich mit einem Schlucken wieder aufrichtete und tief durchatmete, als der Richter die Tür zu seinem Büro ganz öffnete und schweigend einen einladenden Arm darauf richtete. „Scheint wir müssen...“, er vernahm seine eigene Stimme in einer ihm fremden Tonart und schluckte noch einmal, „Komm.“, er reichte Shizuka eine Hand, um ihr aufzuhelfen. Der Richter nickte nur und ging schon einmal vor, die Tür hinter sich offen stehen lassend. Mit Shizuka am Arm machte er einen Schritt in die Richtung, zog den linken Fuß aber nur bis zum vorne stehenden rechten nach, den Blick starr auf die Tür gerichtet, während seine Hand nach Setos griff, der seitlich zu ihm stand. „Ruhig...“, flüsterte dieser sanft und drückte die dargereichte Hand, „Er will euch nur ohne den Druck durch die Anwesenheit eurer Eltern noch ein paar Dinge fragen. Das tut er für euch.“ Katsuya beruhigte seinen Atem und erwiderte so leise er konnte, dass nur der andere und Shizuka ihn hörten: „Seto?“ „Ja?“ „Danke.“, er sah zu dem Brünetten auf, seine Hand von dessen angenehm kühler sanft umschlossen, „Und...“, er senkte den Blick kurz, schluckte, sah wieder auf, „Das andere weißt du hoffentlich, auch wenn ich es nicht aussprechen darf.“ Seto atmete hörbar ein, sog die Lippen zwischen seine Zähne, wandte den Blick ab und nickte kaum merklich. Die Pose änderte sich auch nicht, als Katsuya ihm seine Hand entzog und zu dem Büro schritt. „Setzt euch doch, bitte.“, der Richter wies auf die beiden Stühle, die einem anderen gegenüber standen, auf den er zustrebte, „Ist es in Ordnung für euch, dass Julie unserem Gespräch beiwohnt?“ Die so bezeichnete junge Frau saß hinter dem Schreibtisch, Block und Stift schon in der Hand, ein eher unsicheres Lächeln auf dem Gesicht. Katsuya warf Shizuka einen Blick zu, die nur mit den Schultern zuckte, bevor er fragte: „Wie kommt es, dass wir das entscheiden dürfen?“ „Das hier ist nicht die Verhandlung, das ist so etwas wie ein privates Gespräch.“, der Richter lächelte sie beide an, während sie sich setzten, „Natürlich ist es für die Verhandlung, aber mir ist es wichtig, dass ihr beide euch so wohl wie möglich fühlt. Schließlich möchte ich eure ehrliche Meinung hören.“, irgendwie hatten seine Augen etwas Warmes, obwohl sie recht dunkel waren, „Darum führe ich diese Gespräche normalerweise alleine. Doch für einen guten Juristen ist es äußerst wichtig solch eine Gesprächsführung zu beherrschen und deshalb habe ich Julie erlaubt dabei zu sein, wenn meine Gesprächspartner damit einverstanden sind. Sie ist eine Studentin aus England, die ein Auslandssemester hier in Japan macht.“ Ach so... diese Julie war gar keine Juristin. Nun ja, noch keine. Deshalb war sie wahrscheinlich auch die, die das Protokoll führen musste. Immer auf die armen Praktikanten halt. „Okay.“, Katsuya versuchte es sich auf dem Stuhl – mehr ein Sessel als ein Stuhl eigentlich – bequem zu machen, „Und... sie möchten jetzt etwas von uns wissen, wo wir nicht bei der Antwort unter Druck stehen, weil unsere Eltern anwesend sind?“ „Ganz genau.“, der Richter nickte, „Erstmal möchte ich euch beiden sagen, dass ich euch glaube. Das, was eure Eltern sagen, macht zwar auch Sinn, aber da passen mir zu viele Dinge nicht zusammen. Zum Beispiel habt ihr beide praktisch dieselbe Meinung von beiden, obwohl ihr den jeweils anderen Elternteil zehn Jahre nicht gesehen habt. Und auch die Reaktionen, die Herr Kaiba beschrieb und die ich heute sehen konnte, sagen mir, dass es wahr ist, was du sagst.“, der ältere Mann sah Katsuya tief in die Augen, „Mein Gefühl ist aber nicht genug, um ein Urteil zu fällen.“ Der Blonde nickte nur, die Lippen zusammen gepresst, die Lider über seine Augen zuckend. Allen Göttern sei Dank – man glaubte ihm. Der Mann glaubte ihm wirklich. Er hielt ihn nicht für einen Lügner. Er glaubte ihm... „Das heißt, die Verhandlung kann jetzt verschiedene Richtungen verfolgen. Wir können das alles fortsetzen, mehr Zeugen einladen und Beweise gegen deinen Vater sammeln. Ich kann auch jetzt ein Urteil fällen. Das hieße fünf Jahre Haft mit zwei Jahren auf Bewährung.“, er schwieg kurz, „Der Anwalt eures Vaters wird ihn aber aufklären, dass er dieses Urteil anfechten kann. Und das wird er mit Sicherheit tun. Dann wird der Fall noch einmal aufgerollt und ein anderer Richter einer höheren Gerichtsbarkeit wird den Prozess von heute noch einmal führen – mit mehr Zeugen, mehr Richtern möglicherweise, mehr Anwälten, einfach mehr von allem. Das sind die beiden Möglichkeiten deinen Vater verurteilen zu lassen.“ Fünf Jahre. Fünf Jahre mit zwei davon Bewährung? Das hieß drei Jahre im Gefängnis... drei Jahre? Drei Jahre für neunzehn Jahre? War das der Tausch? Katsuya schüttelte mit geweiteten Lidern den Kopf. „Ein Urteil mit mehr als fünf Jahren wird nicht getroffen werden, wenn das deine Frage ist.“, wenigstens zeigte das Gesicht des Richter mit den zusammen gekniffenen Lippen eine Spur von Mitgefühl, „Selbst mit versuchtem Mord, was man ihm sicher für die Sache mit dem Eisenrohr anrechnen kann, wird wahrscheinlich kein höheres Urteil gefällt.“ „Da... kann man nichts tun?“, fragte Shizuka mit zitternder Stimme. Katsuya schluckte und wandte den Blick zu ihr. Sie fragte nicht einmal nach, was die Sache mit dem Eisenrohr gewesen war... er schloss kurz die Augen. Sie war auch von ihm verprügelt worden. Wenn er damals auch bei weitem sanfter war... ein Kind interessierten die physischen Schmerzen nicht so sehr. Die Ablehnung, die Hilflosigkeit, die Angst... das tat weit mehr weh. Die Gefühle, die die Schläge einem gaben, das war es, was einen zerriss. „So leid es mir tut...“, der Richter schüttelte den Kopf, „Eine lebenslängliche Strafe ist nur für die drin, die einem Kind mehrere oder mehrfach Knochen brechen, mit Waffen in den Körper eines Kindes eindringen oder... nun, es gibt da verschiedene Maßstäbe. Es gibt sicher einige Richter, die diese schon erfüllt sehen würden, aber ich kann nicht ohne weitere Beweise wie Arztberichte solch ein Urteil fällen. Du warst ja leider nie im Krankenhaus...“, er atmete tief durch und richtete den Blick auf Katsuyas Schuhe, „Ich kann mich nicht über unsere Gesetze hinweg setzen.“ „Ich...“, der Blonde schüttelte den Kopf und wischte eine verirrte Träne von der Wange, „Schon gut, ich verstehe.“, er schluckte, „Gibt es noch mehr als diese zwei Möglichkeiten, wie es weitergehen kann?“ „Ja.“, der Richter sah wieder auf, unterstrich die Aussage durch ein Nicken und lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne, „Du kannst entscheiden, dass es dir mit Verhandlungen reicht und du auch zufrieden bist, wenn dein Vater nicht bestraft wird. In dem Fall wird aus dieser Verhandlung die Anhörung, die normalerweise vorgesehen ist, wenn ein Kind oder Jugendlicher nicht mehr bei seiner Familie leben kann oder will. Dann setzen deine Eltern, du und ich uns zusammen und wir verhandeln, wie es weitergehen soll. Ich denke mal, dass Herr Sarowski und Herr Kaiba aber auch teilnehmen werden.“ Katsuya atmete tief durch. Als er Seto damals fragte, da wollte er nichts anderes als von seinem Vater wegzukommen. Er wollte im Endeffekt auch jetzt nichts anderes. Aber die Möglichkeit, die ihm gegeben worden war, die Möglichkeit Gerechtigkeit zu kriegen... er schluckte. War das Gerechtigkeit? War es gerecht, wenn man jemanden für das, was in der Vergangenheit lag, einsperrte? War nicht eher der Sinn, dass er niemand anderem so etwas antat und Zeit bekam seine Taten zu bedenken und... und schließlich... einen Weg zu finden sein Leben ohne Gesetzesverstöße zu leben? War das Gefängnis nicht eher eine Möglichkeit als eine Strafe? Er seufzte. Er selbst hatte es als Strafe empfunden. Es war herabwürdigend, willens- und selbstwertbrechend... es ließ einen wirklich wie Abschaum fühlen. Genau so, wie er Schule empfunden hatte. Ein Gefängnisaufenthalt würde seinen Vater auch kaum von seiner Alkoholsucht kurieren. Und was immer noch dahinter steckte, was sein Leben so kaputt machte und ihn erst zum Alkohol getrieben hatte. „Ich kann drauf verzichten.“, entschied der Blonde, sah auf und somit dem Richter direkt in die Augen, „Ich möchte eine Chance glücklich zu sein und auch wenn es mir Angst macht zu wissen, dass mein Vater noch frei herum rennt, so ist dennoch der wichtige Punkt, dass ich überhaupt die Möglichkeit kriege mich daran zu erfreuen, dass ich lebe.“ Der Mann ihm gegenüber schluckte, presste die Lippen zusammen und meinte einen Moment später: „Es... macht mir Angst, wie kalt und abgeklärt du das sagst, auch wenn die Worte erfreulich sind. Doch ich denke, ich kann es nachvollziehen...“ Kühle, kleine Hände drückten die seine, die Shizukas Stuhl nahe lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)