Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 19: Mutter ------------------ Ich bin verrückt... in vierzig Minuten beginnt meine Terminologieprüfung und ich habe nichts Besseres zu tun als Kapitel hochzuladen -.- Irgendetwas stimmt nicht mit mir *drop* Was mich aber mächtig aufgemuntert hat, ist, dass feuerregen ein neues Fanart hochgeladen hat *v* Vielen Dank! Das kommentiere ich aber nicht mehr vor der Prüfung ^.- Dafür lass ich mir Zeit... Zeit, noch so ein Punkt. Eine große Entschuldigung an alle, die mir ENS schreiben, derzeit kann ich leider nicht antworten, ist relativ stressig. Ich hoffe, ich komme da in nächster Zeit zu. Ansonsten viel Spaß mit dem neuen Kapitel ^.^ _________________________________________________________________________________ “Warum deine Mutter dich bei ihm gelassen hat...”, murmelte Seto, “Was kannst du dir vorstellen, warum?” Was er sich... Tränen schossen in seine Augen. Er wusste es doch nicht. Weil er ihr zu viel war? Aber warum er und nicht Shizuka? Weil sie ihn einfach weniger lieb hatte? Vielleicht war das auch irgendeine Entscheidung vom Gericht gewesen. Oder sie hatte wirklich gedacht, dass sie ihm damit etwas Gutes tat. Aber warum sollte sie? “Ich weiß es nicht...”, seine Stimme klang weinerlich. War er ihr zu anstrengend gewesen? War es, weil er kein Mädchen war? Oder weil er so anspruchsvoll war? Vielleicht weil er sich immer gerauft hatte. Ja, seine Schwester war ein süßes, kleines Bündel gewesen. Er war nur ein ungezogener Rotzlöffel. “Denkst du, es ist wegen dir?” “Natürlich!”, eine Träne rann Katsuyas Wange entlang, “Es muss doch an mir liegen.”, die braunen Brauen über den tiefen, blauen Augen zogen sich ein Stück zusammen, “Oder... nicht?” “Ich kenne deine Mutter nicht, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen.”, sagte Seto ruhig, fuhr mit einem Arm unter die Kniekehlen des Jüngeren und hob ihn in die Höhe, um ihn auf dem Sofa auf seinen Schoß zu setzen. “Dein Arm!”, tat der nicht schrecklich weh? “Vergiss meinen Arm.”, aber den sollte er doch nicht belasten... “Deine Mutter war doch lieb zu deiner kleinen Schwester, oder?” “Ja...”, der Blonde zog die Arme zu sich und lehnte sich seitlich an Setos Brust, wo er von dessen Armen gehalten wurde, die sich um ihn legten. “Aber dich hat sie größtenteils ignoriert, richtig?” “Ich weiß nicht...”, er biss sich kurz auf die Unterlippe, “Sie hat doch nur... also... sie hat mich nur nicht so oft in den Arm genommen und... na ja, Shizuka hat sie immer in ihre Kleidchen gesteckt, hat ihr die Haare geflochten und sie immer auf dem Schoß gehabt. Also... so was macht man mit Jungen ja nicht.” “Wenn sie in dir nur den Funken des Gefühls erweckt hat vernachlässigt zu werden, dann war es auch Vernachlässigung. Es kommt vor, dass man mal kein Zeit für sein Kind hat, ja, es kommt vor, dass man überarbeitet ist, dass man einen schlechten Tag hatte, dass man mal aggressiv ist oder sogar mal handgreiflich wird. Das kommt alles vor – bei allen Eltern. Aber es wird Misshandlung, wenn es chronisch wird, also wenn es praktisch immer oder zumindest sehr oft so ist. Wenn ein Vater jeden Abend nach der Arbeit ins Bett fällt ohne mal ein paar Worte mit seinen Kindern zu wechseln, dann ist das Vernachlässigung. Wenn eine Mutter ihre Kinder nicht umarmt oder ihnen einfach nur mal sagt, dass sie sie lieb hat, dann ist das Vernachlässigung. Ein Kind kann es aushalten, wenn es mal Opfer eines Wutanfalls wird, obwohl es nichts dazu kann, aber kein Kind hält es aus, wenn es außer der Übergabe an die Kindergärtnerin, dem Umziehen und dem Essen nichts von seinen Eltern sieht.” Ja... war irgendwie schon verständlich... keine Eltern waren perfekt, klar. Und Misshandlung war nicht immer nur das, was man Kindern antat sondern bisweilen auch das, was man nicht tat. Aber ob man seine Mutter wirklich vernachlässigend nennen konnte? “Katsuya?”, er hob unsicher den Blick, “Du sagtest, dass deine Mutter wusste, was dein Vater tat... ist das richtig?” “Ja?”, worauf wollte er jetzt hinaus? “Findest du nicht, dass es ganz klar Vernachlässigung ist, wenn man der Misshandlung seines eigenen Kindes widerspruchslos zusieht?”, Katsuya schluckte tief und hielt den Atem an, “Genau genommen ist das sogar noch weit mehr als Vernachlässigung... ich persönlich würde es als Co-Misshandlung bezeichnen.” Krack. Zwei Platten Metall brachen, schleuderten den Rost von sich, um heiße Lava aus dem entstehenden Spalt freizugeben, die sich dahinter aufgestaut hatte. Die Hitze ergoss sich in Katsuyas Adern, überschwemmte seine Glieder, seine Gedanken, seinen Geist, ließ heiße Tränen aus seinen Augen schießen, über denen er die Lider zusammenkniff. Ein Schluchzen entkam seiner Kehle, um die sich ein Strick gelegt hatte, um ihn am Schreien zu hindern. Mutter. Nur eine weitere Person, die ihn verraten, die ihn allein gelassen hatte. Die sich abgewandt hatte, wenn er sie brauchte. Die ihre Pflichten als Mensch vernachlässigt hatte. Die ihre Pflichten als Mutter vernachlässigt hatte. Die ihn vernachlässigt hatte. “Warum bin ich ihr so egal?”, er krallte seine Finger in Setos Hemd, “Warum hatte sie mich nicht lieb? Was habe ich denn falsch gemacht?” “Psst...”, der Größere wiegte ihn in seinen Armen, “Nicht immer du, Katsuya. Es ist nicht deine Schuld. Ich weiß nicht, was sie bewogen hat dir gegenüber so ignorant zu sein, aber es war ganz sicher nicht deine Schuld.” “Woher willst du das wissen?”, rief Katsuya, doch seine Stimme brach noch in der Mitte des Satzes zurück ins Weinerliche, nachdem er sich ein Stück von jenem weggedrückt hatte, “Ich meine, es muss doch meine Schuld sein, dass sie mich nicht leiden konnte und dass Vater mich... dass er damit angefangen hat...” “Stress, Frust, Angst, psychische Krankheit... es gibt eine Menge Gründe, warum Eltern ihre Kinder misshandeln.”, Seto seufzte und strich mit seiner Hand über Katsuyas Wange, “Meistens tun sie es nicht einmal, weil sie ihren Kindern etwas Böses wollen. Oft kennen sie es nicht anders oder sind nicht in der Lage sich anders zu verhalten. Und fast immer realisieren sie nicht, dass das, was sie tun, Missbrauch ist. Sie sehen es als legitime Erziehung an. Oder sie sind einfach nur hilflos... sie kriegen Kinder, weil sie Eltern brauchen. Weil sie selbst innerlich Kinder sind und sich nach Liebe und Anerkennung sehnen.” Katsuyas atmete tief durch, löste seine Finger und legte seine Arme um Setos Schultern, bevor er leise fragte: “Kinder wie du?” “Ja... genau genommen wie ich, wenn ich mein Alltagsverhalten zeige.”, eine kühle Nase strich über seine Schläfe, “Weil sie niemanden haben, dem sie so sehr vertrauen, dass das Kind in ihnen sich hervor wagt.”, ein Schlucken, “Deren Kind überhaupt noch in der Lage ist heraus zu kommen...” Noch eine Fähigkeit, die man mit weiterer Verbitterung im Leben wohl verlor... weil man gar nicht mehr vertraute. Aber Seto hatte ihn. Und er hatte Seto. Das war alles, das zählte. Alles, das zählte. “Seto?”, Katsuya fühlte unter seiner Stirn den stetigen Puls von Setos Halsschlagader, dem er seinen Atem anpasste. “Ja, Kleiner?” “Was denkst du denn, was Missbrauch ist?”, da hatte er doch sicher auch eine eigene Meinung, oder? Eine gut begründete. Eine voll von Fachwissen. Seto war schließlich eine noch unerschöpfte Quelle der Weisheit, die es zu plündern galt. “Missbrauch an einem Kind ist ein Verhalten der Umwelt des Kindes, der dazu führt, dass ein Kind als Erwachsener ein gestörtes Selbstbild entwickelt. Jeder Mensch, der sich selbst nicht schätzen kann, ist in meinen Augen ein missbrauchter Mensch. Egal, ob die Lehrer des Kindes sich ständig über ihn lustig gemacht haben, ob seine Mitschüler ihn mieden oder ob seine Eltern ihn schlugen. Irgendwer hat den Missbrauch initiiert und die Umwelt hat darauf nicht adäquat reagiert, was sie zu Mittätern macht. Also wurde das Kind von seiner Umwelt missbraucht.” “Von der ganzen Umwelt?”, fragte der Blonde nach. “Ja.”, Seto begann seinen Nacken zu kraulen, “Wenn, sagen wir, ein Physiklehrer ein Kind ständig vorführt und klein macht, dann ist das sicherlich ein missbräuchliches Verhalten. Aber wenn dem Kind niemand hilft, ist das in meinen Augen ebenso Missbrauch. Natürlich kann man nicht jedem helfen, jeden vor Leid beschützen und alles für andere tun, aber das sollte einen nicht abhalten Menschen beizustehen, ihnen ein Freund und Gefährte, ein Helfer und Berater auf dem Lebensweg zu sein. Aber davon gibt es eine Ausnahme: Kinder. Kinder sind einfach noch zu klein, um sich selbst zu helfen. Man kann von keinem Kind erwarten, dass es seine eigenen Eltern anzeigt. Da muss man helfen. Und darum mache ich die komplette Umwelt schuldig, wenn ein Kind missbraucht wird.” Die komplette Umwelt... ja, dann war auch seine Mutter schuldig. Natürlich war sie schuldig. Sie hatte ihn nicht vor dem Missbrauch geschützt. Sie hatte ihn sogar ausgeliefert, indem sie ihn allein ließ. Sein Vater wie auch seine Mutter – wie auch alle Lehrer, die ihn lieber verhöhnt und verspottet hatten als zu sehen, dass es ihm schlecht ging – trugen Schuld. Und morgen sollte zumindest einer dafür gestraft werden. Der, der die Hauptschuld trug. Und alle anderen ließen sie ungestraft... “Und wie erkenne ich Missbrauch? Ich kann nicht wissen, wie das Selbst eines Menschen in vielen Jahren sein wird.” “Doch, das kannst du. Du kannst fühlen.”, Setos Hand griff nach seiner und legte sie an dessen Brust, an der er schwach denselben Schlag wie am Hals spürte, “Du kannst es spüren, wenn ein Kind leidet. Und wenn du ein paar gesehen hast, wird es immer leichter. Irgendwann kannst du es auf den ersten Blick sehen. Du musst nur ein Wort hören und du kannst fühlen, wie es diesem Menschen geht.” “Gibt es... nicht irgendwelche Regeln? Festlegungen?”, Katsuya öffnete die Augen und fixierte die noch stehende, vom Hals größtenteils verdeckte Seite des Kragens des weißen Hemdes. “Empfindest du Geschlechtsverkehr eines erwachsenen Mannes mit einem minderjährigen Jungen als Missbrauch?” Uuh... prinzipiell immer ja. Aber Seto war erwachsen und er minderjährig – und ihre Beziehung war kein Missbrauch. “Das... kommt darauf an. Ich zum Beispiel möchte das ja... aber wenn man es nicht möchte, ist es Missbrauch.”, jetzt würde Seto sicher ein Beispiel bringen, wo es nicht klar war, ob der Junge es wollte oder nicht. “Und wenn ein zehnjähriger Junge das wünscht, weil es zum Aufnahmeritual in die Gemeinschaft der Erwachsenen gehört jedem Mann des Dorfes beizuwohnen?”, uuh... shit... falsch geraten. Das war ethisch noch schwerer.... “Ähm... und er schläft dann echt mit jedem Mann des Dorfes?” “Ja.” “Das ist echt krank.”, urteilte Katsuya und atmete tief durch, “Ich denke, das ist schon Missbrauch... obwohl der Junge es will und wahrscheinlich keine seelischen Schäden davonträgt.” “Tut er nicht, das ist der Clou.”, Setos Finger kratzten sanft über seine Haut, “Der Junge sieht die Vergewaltigungen als Ehre an und ist stolz darauf, genauso wie seine ganze Umwelt. Deswegen ist es für mich kein Missbrauch, obwohl es praktisch eine Massenvergewaltigung ist.”, ein Kuss wurde auf seine Stirn gesetzt, “Dieses Ritual gibt es übrigens nicht mehr. Aber es gibt zum Beispiel noch Ureinwohnerstämme, wo Jungen vom zehnten bis zum fünfzehnten Lebensjahr praktisch Sexspielzeuge sind. Danach dürfen sie heiraten und selbst Jungen vergewaltigen. Und alle sind psychisch auf der Höhe.”, das war... also... das... “Das beweist auch, dass die Normen vollkommen von der Umwelt abhängen. Auch die Normen, was Missbrauch ist. Und somit auch, was als Missbrauch empfunden wird – und was die Psyche belastet und zu Krankheiten führt.” Das... unglaublich. Massenvergewaltigungen und es störte keinen? Und es schadete keinem? Was zur... “Was sich allerdings durch alle Kulturen zieht und Schäden hinterlässt, ist, wenn Kinder im Kindsalter – also bis zum zehnten beziehungsweise zwölften Lebensjahr – vergewaltigt werden, wenn sie Todesangst bekommen und wenn sie in den ersten Lebensjahren zu wenig Liebe spüren.”, die Umarmung lockerte sich ein wenig, sodass Katsuyas Kopf zu Setos Schulter rutschte, doch weiterhin durch seinen Arm aufrecht gehalten wurde, “Es reicht nicht Kleinkinder zu ernähren und zu kleiden. Ohne Umarmungen, ohne konstante Liebkosungen, freundliche Worte und liebevolle Blicke sterben auch schon Säuglinge einfach ab. Ihr Immunsystem schaltet sich komplett aus, sie verweigern jegliche Nahrung und siechen dahin...”, der Brünette seufzte, “Das hat man erst vor wenigen Jahren herausgefunden. Vorher fragte man sich, warum Waisenkinder und Kinder im Krankenhaus reihenweise umkamen.” Katsuya hob den Blick zu den schönen blauen Augen, die schimmernd auf ihn herab sahen. “Dein Bruder... hat überlebt...”, flüsterte er leise. “Aber zu welchem Preis? Zwei Jahre habe ich ihn versorgt. Danach drei Jahre im Waisenhaus. Die nächsten fünf allein mit Kindermädchen. Und schließlich vier Jahre praktisch einsam mit zwei größeren Brüdern, die eine Firma führten. Im Nachhinein ist mir vollkommen klar, warum er so... zerstört war.” Zerstört, weil ein fünfjähriges Kind nicht allein in der Lage war sich um ein Neugeborenes zu kümmern, während der Vater auf Geschäftsreisen war und die Kinderfrau besoffen im Wohnzimmer lag. Niemand hatte ihm etwas angetan – nur hatten alle nichts getan. Der einzige, der etwas getan hatte, war ein Knirps gewesen, der gerade seine Mutter verloren hatte und nun ihre Pflichten übernahm. Ein Knirps, der ein Kind blieb, während sein Körper mittlerweile fast neunundzwanzig Jahre alt geworden war. Ein ängstliches, überfordertes Kind, das zu viel vom Leben gesehen hatte. Ein Kind mit dem Namen Seto. Das war der Mensch, der ihm aus seiner Umwelt zur Hilfe geeilt war, weil auch er im Endeffekt nur ein hilfloses Kind gewesen war – es noch immer war. Sie waren zwei Kinder voller Angst vor dem Morgengrauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)