Nicht so, wie es scheint von abgemeldet (Seishirou/Subaru) ================================================================================ Kapitel zwei ------------ Kapitel zwei Im Flur war es dunkel. Die Raufasertapete an den Wänden wirkte fast dreckig, aber das lag nur an den unregelmäßigen Schatten. Als Subaru das Licht anschaltete, konnte er sehen, dass sie auch nicht ganz weiß war, sondern eher hellbeige. An der Garderobe neben der Tür hingen ein paar Jacken und Mäntel, und darunter standen zwei paar Schuhe. Subaru schob seine dazu. Es war alles so ordentlich, dass es den Eindruck machte, als könnte Seishirou tatsächlich jeden Moment um die Ecke kommen. Die Staubschicht auf der niedrigen Kommode neben der Tür hingegen machte deutlich, dass schon seit Tagen niemand mehr hier gewesen war. Zwei Türen gingen vom Flur ab. Eine davon stand offen und führte ins Bad, die andere wahrscheinlich in die Küche. Das Wohnzimmer befand sich am anderen Ende des Flurs. Subaru ignorierte die beiden anderen Türen und ging direkt darauf zu. Der Parkettboden im Wohnzimmer war warm, verglichen mit dem im Flur, denn die Sonne konnte direkt hineinscheinen und es war immerhin ein sonniger Tag gewesen, obwohl es langsam abkühlte. Im Gegensatz zum Flur vermittelte der Raum den Eindruck, warm und wirklich bewohnt zu sein. Subaru hingegen wurde eher eiskalt. An den Wänden standen die selben Regale wie vor neun Jahren. Das Sofa, wuchtig, schwarz und unverwechselbar, war ebenfalls nicht ausgetauscht worden. Kaum etwas war ausgetauscht worden. Subaru spürte, wie eine Gänsehaut über seine Arme kroch, seinen Nacken hinaufwanderte und auf seiner Kopfhaut prickelte. Hier hatte Seishirou gelebt. »Gut geschlafen?« Seishirous Hand erschien in seinem Blickfeld. Sie hielt eine dampfende Tasse; Subaru roch Kakao. Er richtete sich auf. Eine Decke rutschte von seinen Schultern. Für einen Moment hatte er das Gefühl, mit der Wange am Lederbezug des Sofas kleben zu bleiben, aber das war gleich darauf wieder vorbei.—am Bezug des Sofas? Oh je. »Bin ich... hier eingeschlafen?« Seishirou nickte. »Ja. Aber es war schon so spät, da wollte ich dich nicht einfach nach Hause jagen«, erklärte er scherzhaft. »Also habe ich dich zugedeckt.« »Oh. Danke.« Er schlürfte an seinem Kakao, immer noch bis zur Körpermitte in seine Decke eingewickelt. Subarus Hände waren so verschwitzt, dass sie ein wenig am Leder hafteten. Der heiße Kakao, den er damals getrunken hatte, brannte in seinem Mund. Seine Wange lag auf der Rückenlehne und jedes Mal, wenn er einatmete, roch und schmeckte er Leder. Er klammerte sich mit einer Hand an der Armlehne fest, während er gleichzeitig seine Finger so fest in seinen Oberschenkel grub, dass er selbst durch seine Jeans hindurch fühlen konnte, wie seine Fingernägel sich in seine Haut bohrten. Der eine Schmerz verdrängte den anderen. »Mensch, Subaru, nun stell dich doch nicht so an!« lachte Hokuto und schubste ihn ein bisschen zur Seite. Er landete mit einem Quieken auf Seishirou, dessen rechter Arm über die Lehne gelegt war. Mit diesem Effekt hatte sie wohl nicht gerechnet; das konnte man an ihrem Gesichtsausdruck deutlich erkennen. Aber dann hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. »Na ja, warum eigentlich nicht. Sei-chan freut sich, wenn du ein bisschen näher bei ihm sitzt, nicht, Sei-chan?« Der Mann sah auf Subaru herunter, der halb verdreht auf seinem Schoß hing und sich vor Schreck noch nicht hatte rühren können. Er hob eine Augenbraue. »Allerdings«, bemerkte er ernsthaft. Subaru wurde rot und richtete sich hastig wieder auf. Zeit, zu arbeiten. Zunächst blieb ihm nicht viel anderes übrig, als sich wahllos in der Wohnung umzusehen. Eigentlich war sie auch nicht anders als all die anderen Wohnungen, die er in seinem Leben betreten hatte, nur viel, viel ordentlicher. Die meisten Leute ließen hier und dort Dinge liegen, einzelne Kleidungsstücke, offene Bücher, Rechnungen, Briefe, Notizzettel... Aber in Seishirous Wohnung fand sich nichts dergleichen. Im Schlafzimmer war der Kleiderschrank genauso sortiert wie die Garderobe, das Bett gemacht und im Bad hatte Subaru nicht einmal eine Zahnbürste gefunden. Und über allem lag eine dünne Schicht Staub. Normalerweise hätte er nach Spuren schädlicher Magie gesucht, oder ganz einfach nach Gründen für das Verschwinden, die nichts mit Magie zu tun hatten. Aber Seishirou hatte gehen wollen und er war gegangen. Subaru saß auf dem Bett, dem selben, in dem er vor Jahren ein paar Mal übernachtet hatte. Früher hatte die Farbe der Bettwäsche gelegentlich gewechselt, aber im Moment war sie dunkelblau und wirklich abwechslungsreich hatten die Alternativen im Schrank auch nicht ausgesehen. Die Tapete war weiß, wirkte aber ein wenig gräulich. Nachdem Seishirou seine Tarnung als Tierarzt aufgegeben hatte, schien jegliche Farbe aus seinem Leben gesogen worden zu sein. »Aber ich liebe dich wirklich, Subaru-kun, auch wenn ich...« »...sehe, wie du leidest, fühle ich nichts. Für mich ist das, wie ein Steinchen wegzukicken.« Welche Rolle hatte Subaru für ihn gespielt? * Zurück im Wohnzimmer kam Subaru zum ersten Mal der Gedanke, dass es so wirkte, als habe Seishirou die Wohnung und seine Einrichtung jemandem anderen überlassen wollen. Ihm? Schließlich war er unbehelligt hineingelangt und Seishirou hatte ihm bisher schließlich mehr als genug überlassen, sowohl symbolisch als auch eindeutig und sehr real. Subaru seufzte, zog passenderweise eine Zigarette hervor und zündete sie an. Er bezweifelte, dass es Seishirou gestört hätte, schließlich war er maßgeblich daran Schuld, dass Subaru jemals auch nur mit dem Gedanken gespielt hatte, zu rauchen. Seishirou saß neben ihm am Tisch und spielte mit seinem Feuerzeug. Es war silbern und warf das Licht der Mittagssonne in Subarus Augen, obwohl er eigentlich gar nicht hinsah, sondern durch die Faxe blätterte, die er an diesem Tag bekommen hatte. Es waren außergewöhnlich viele für einen halben Tag—und das schloss noch nicht einmal die Nacht ein, da er morgens bereits nachgeschaut hatte—, aber nicht alle von ihnen waren neue Jobs, wofür er sehr dankbar war. Das Eine oder Andere war sogar eine Danksagung für einen besonders gut erfüllten Auftrag. Die meisten von ihnen zauberten ein Lächeln auf sein Gesicht, besonders, wenn sie etwas persönlicher waren, anstatt einer festgelegten Formel zu folgen.. Das Feuerzeug klickte und Subaru sah auf, genau im richtigen Moment, um zu sehen, wie Seishirou der Flamme dabei zusah, wie sie in der Briese flackerte. Der Balkon lag größtenteils im Schatten und so war es sehr auffällig, dass das Feuer sich in seinen Brillengläsern spiegelte und tanzende Lichtflecken auf sein Gesicht warf. Er sah gelangweilt aus. Kein Wunder, dachte Subaru, Er hat sich ja auch nicht mit mir getroffen, um mir beim Lesen zuzusehen. Als er schließlich mit der Unterkante des Papierstapels auf den Tisch klopfte, damit keines der Blätter überstand und ihn beiseite legte, hielt Seishirou nicht nur das Feuerzeug sondern auch eine unentzündete Zigarette in der Hand. Subaru räusperte sich. »Möchtest du rauchen? Mir macht das nichts aus.« »Mir aber.« Seishirou legte beides beiseite. »Bist du fertig?« »Ja«, sagte Subaru und nickte mit einem Lächeln. »Endlich. Und es ist nichts dabei, dass ich heute noch machen muss—das heißt, ich habe Zeit.« »Dann haben wir ja den ganzen Tag für uns!« meinte Seishirou begeistert. »Oder hast du heute noch was anderes vor?« Subaru schüttelte den Kopf. »Nein.« »Wunderbar!« Kurz darauf klickte das Feuerzeug erneut. Seishirou schien Spaß daran zu haben, ständig mit irgendetwas herumzuspielen, das hatte Subaru schon gemerkt. Diesmal lag die Zigarette allerdings noch auf dem Tisch und er konnte irgendwie die Augen nicht von ihr lassen. »Darf ich mal?« fragte er und streckte die Hand aus. »Ich werde dich nicht rauchen lassen, falls du das meinst. Schlimm genug, dass ich nicht davon loskomme.« Subaru legte den Kopf schief, während er die Zigarette hin und herwendete. »Du bist süchtig?« »Welcher Mensch raucht denn, wenn er nicht unbedingt muss?« »Viele, dachte ich immer... aber ich habe es auch noch nie probiert. Warum hast du denn dann angefangen, wenn du es gar nicht magst?« fragte er und sah Seishirou an, der sich in seinem Stuhl so weit zurückgelehnt hatte, dass ihm die Sonne ins Gesicht schien und auf seinen Haaren glänzte. »Wenn dich die Frage nicht stört, heißt das.« Seishirou seufzte. »Das war eine dumme, spontane Idee und irgendwann konnte—oder wollte—ich dann nicht mehr aufhören. Na ja. Manchmal hat es Vorteile. Es entspannt. Dafür sterbe ich wohl früher.« Subaru verstand nicht ganz, was daran lustig sein sollte, aber Seishirou hielt es offensichtlich für einen Grund, herzhaft zu lachen. Bis Subaru das nächste Mal eine Zigarette in die Hand nehmen würde, vergingen Monate. Er wusste nicht wirklich, wie er sie halten sollte, oder ob er sie erst anzündete und dann zwischen die Lippen nehmen sollte, oder andersherum. Dafür, dass er immerhin siebzehn war, hatte er erstaunlich wenige Menschen rauchen gesehen—fürs Fernsehen hatte er nie Zeit gehabt, er hatte wenig auf seine Umgebung geachtet, während er arbeitete, und Seishirou hatte kein einziges Mal in seiner Gegenwart geraucht. Was er kannte war der Geruch von Rauch, der in Kleidung und Möbeln zurückblieb, aber das hatte ihn nicht auf seinen ersten Zug vorbereitet. Subaru glaubte, er müsste ersticken, hustete, ließ seine Zigarette fallen und spuckte schließlich auf den Asphalt, um den widerlichen Geschmack loszuwerden. Nicht, dass das half, aber da er Sekunden später ohnehin ein weiteres Mal an der Zigarette zog, machte das keinen Unterschied. Es war nicht so, als würde es ihn entspannen, auch nachdem er sich daran gewöhnt hatte, auch Wochen später nicht, aber das Rauchen gab ihm den Eindruck, Seishirou nahe zu sein. Und er hatte das Gefühl, dass das einzige, was ihm bei seiner Jagd helfen würde, Verständnis dafür sein würde, wie der Mann lebte und dachte. Es war ein jämmerlicher Versuch. Der Rest des Wohnzimmers brachte ihm wenig. Es war unfassbar, wie unpersönlich die Einrichtung war. Ordentlich, verlassen, überlassen, all das konnte er verstehen. Aber selbst sein eigenes Apartment vermittelte eher den Eindruck von... Zuhause. egal, wie sehr er es hasste. Das hier allerdings... Seishirou hatte hier gewohnt, aber nicht gelebt. Am Ende blieb nur noch ein niedriger Schrank über, den er sich noch nicht angesehen hatte. Subaru ging vor ihm in die Hocke, öffnete die Tür und zog eine kleine Kiste heraus. Sie war offen— »Achtung! Lächeln!« —und ganz obenauf lag ein Foto von ihm selbst, Hokuto und Seishirou. Sie alle, er eingeklemmt in zwei Umarmungen—von jeder Seite eine—, grinsten fröhlich in die Kamera. Subaru verstand nicht, warum Seishirou es noch hatte. Er selbst hatte sie alle weggeworfen, alle Bilder. Die wenigen, die nach all den Jahren noch übrig waren, waren nach ihrer letzten Begegnung, bevor Seishirou gegangen war, im Müll gelandet. Warum? Ich verstehe das alles nicht. Er sank aus der Hocke auf die Knie, eine Hand über dem Gesicht. Durch die winzigen Zwischenräume zwischen seinen verkrampften Fingern konnte er nicht viel sehen und das war eine Erleichterung. Er massierte seine Nasenwurzel zwischen Zeigefinger und Daumen, während er mit der anderen Hand die Box von sich wegschob. Er wollte sie nicht mehr sehen. Er hatte jetzt schon Kopfschmerzen. Subaru brauchte ein bisschen Zeit und eine weitere Zigarette, diesmal auf dem Balkon, bis seine Hände aufhörten, zu zittern und er sich dazu in der Lage fühlte, seine Erkundung der Wohnung fortzusetzen. Viel schlimmer konnte es nicht mehr kommen: Er hatte ohnehin nicht das Gefühl, jemals wieder in Ordnung zu kommen. In der Küche, in der er vorher noch nicht gewesen war, fand er nichts besonderes: mehr Geschirr als eine einzelne Person eigentlich brauchen würde, Tee, Gewürze. Der Kühlschrank war randvoll und sehr ordentlich. Manches war bereits verdorben, schließlich war schon seit einiger Zeit niemand außer ihm mehr hier gewesen, anderes hielt sich länger. Das Eisfach war auf jeden Fall sehr gut ausgestattet. »Du solltest besser auf dich Acht geben, Subaru-kun. Hokuto-chan hat schon Recht: Du isst zu wenig.« Subaru schlug die Tür mit aller Kraft zu, die er aufbringen konnte. Etwas klapperte, Flaschen klirrten. Seine Hände zitterten wieder und zwar diesmal noch heftiger—hätte er etwas festhalten wollen, er hätte es wahrscheinlich einfach fallen lassen. Er machte zwei, drei Schritte rückwärts und fiel mehr, als das er sich setzte, auf die Tischkante. Dort blieb er sitzen, während er den Kühlschrank anstarrte, als handle es sich um Seishirou persönlich. Dann ließ er ganz langsam das Gesicht in seine Handflächen sinken. Das ist alles zu viel. Ein wenig später ließ Subaru sich erschöpft auf einen der Stühle fallen. Er lehnte sich zurück und dachte an Lachen, an warme Stimmen und an Sonne auf seiner Haut. Die Erinnerungen drangen nur wie durch eine Glasscheibe zu ihm. Wie durch eine Glasscheibe, auf der jemand mit einer Scherbe herumkratzte. Es ging ihm durch Mark und Bein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)