Alles wird sich ändern von DoctorMcCoy (2. Platz bei Fanfiktion/Originalstory Wettbewerb) ================================================================================ Kapitel 4: Der beste Moment in meinen Leben ------------------------------------------- Der beste Moment in meinen Leben Die nächsten Wochen fasste ich kein Krümelchen Schnee mehr an. Ich hatte viel zu viel Angst, dass Chris mich dabei sehen könnte und dann einfach Schluss machen würde. Ich habe mich auch nicht getraut zu fragen, warum er diese Tatsache so schrecklich fand. Eigentlich zählte auch nur, dass er es nicht mochte und dass ich ihm versprochen hatte, nicht mehr mit Schnee zu spielen. Um mich quälend an mein Versprechen zu erinnern, hörte es auch nicht auf, zu schneien. Diese weiße Ungetüm wollte der Erde einfach nicht fern bleiben. Meistens schloss ich mich in meinem Zimmer ein und lernte für die Schule oder ich unternahm etwas mit Chris, um mich daran zu erinnern, weshalb ich das ganze tat. Und es tat mir mehr weh, als ich es vermutet hätte. Ich vermisste den Schnee, doch keiner konnte mich umstimmen. Um Chris zu behalten, würde ich jedes Opfer auf mich nehmen. Hieß es nicht: Liebe erfordert Opfer? Der Schnee war mein persönliches Opfer, was ich eingehen musste. Ich dachte, ich würde es schaffen, den Schnee zu vergessen und ich war auch wirklich davon überzeugt, es zu schaffen. Es wäre auch nie im Leben so schwer gewesen, wären da nicht meine Freundinnen und meine Schwester gewesen. Sie meinten, nur weil sie mich lieb hätten, müssten sie mich bei jeder Krise meines Lebens unterstützen. Dabei war es überhaupt keine Krise, es war eine Entscheidung gewesen. Eine Entscheidung, die ich auch nicht rückgängig machen würde. Meine Schwester hatte es sofort gemerkt, als ich nach dem Vorfall nach Hause kam. Ihr schien direkt aufzufallen, dass irgendetwas nicht stimmte, dabei war doch eigentlich alles in Ordnung. Ich kam nach Hause und wimmelte meine Mutter damit ab, dass ich keinen Hunger hätte, da ich bereits schon was gegessen hatte. Das stimmte ja sogar. Jenny, Lily und ich hatten uns ein paar Reibekuchen vom Weihnachtsmarkt besorgt, da wir alle noch einen langen Tag vor uns hatten und einige von uns später nach Hause kommen würden als andere. Mit schnellen Schritten verschwand ich dann auch in mein Zimmer. Mit einem lauten Seufzer ließ ich mich auf mein Bett fallen, den einzigen Schnee, den ich noch berühren durfte. Ich schaltete den CD-Player an und Linkin Park dröhnte mir entgegen. Das beruhigte mich doch immer wieder. Meine Augen fielen langsam zu und ich horschte gebannt der Musik. „Numb“ war wirklich ein tolles Lied. Jetzt kam die beste Stelle ... und meine Schwester stürmte herein. „Hi, Cat.“ Geradewegs steuerte sie auf den CD-Player zu und stellte auch schon, ohne irgendeine Vorwarnung die Musik aus. „Stell doch mal diesen Krach aus.“ Dieser Satz hatte wirklich keinen Sinn, da sie ja bereits diesen „Krach“ ausgestellt hatte. Aber die meisten Sätze von Lucy ergaben keinen Sinn. „Jetzt zeig es mir.“ Sie ließ sich neben mir auf das Bett plumpsen. „Was denn?“ Ich tat gespielt unwissend, dabei wusste ich ganz genau, worauf sie hinaus wollte. „Na, das Bild. Du weißt schon. Wie jedes Jahr.“ Den morgendlichen Weckruf vergaß sie jedes Mal, aber an sowas musste sie sich dann doch erinnern. Was sollte ich ihr denn jetzt erzählen? Dass ich meine Kamera vergessen hatte? Oder sollte ich lieber die Wahrheit sagen? Aber das mit der Kamera war riskant. Vielleicht würde sie dann von mir verlangen, dass ich morgen ein Bild schießen würde. Vielleicht sollte ich es mit der Wahrheit versuchen, oder zumindest etwas, das der Wahrheit nahe kam. „Ich habe den Schneemann nicht fertig gebaut“, sagte ich dann schließlich. „Oh, warum nicht?“ Sie klang wirklich sichtlich interessiert. So kannte ich sie sonst nicht. „Naja ...“ Ich suchte nach den richtigen Worten. „Chris kam vorbei und ich wollte mit ihm nach Hause gehen. Außerdem habe ich mir gedacht, dass ich doch langsam wirklich zu alt werde für diesen Kinderkram.“ Lilly sah mich entgeistert an. „Aber du liebst Schnee doch. Du vergötterst ihn, oder worauf sitze ich hier?“ Sie zeigte auf meine Bettdecke. Ich folgte ihr mit meinem Blick. Das Weiß der Bettdecke strahlte mir entgegen. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich überzeugend klang. „Schnee finde ich ja immer noch schön, das hat sich nicht geändert. Aber diesen Kinderkram, wie Schneemänner oder Schneeballschlachten brauche ich wirklich nicht mehr. Immerhin bin ich ja schon sechszehn. Das sollte man lieber den kleinen Kindern überlassen. Sonst ist nachher kein Schnee mehr für sie übrig.“ Ich lächelte ihr zu. „Na, wenn du meinst. Ist ja deine Sache“, meinte sie und stand auf. Sie schaute mich noch einmal an und ich wusste ganz genau, dass sie mein heuschleriches Lächeln durchschaut hatte. Aber sie sagte nichts mehr weiter und ließ mich alleine im Zimmer zurück. Ich schaltete die Musik wieder ein und schloss erneut meine Augen. Die nächsten Tage, beziehungsweise Wochen, ließ Lucy kaum locker. Erst fing es ziemlich harmlos an. Sie kam täglich in mein Zimmer und fragte, ob wir was zusammen machen wollten. Zum Beispiel mit Nancy rausgehen. Dabei ließ sie es strikt aus, den wahren Grund ihres Erscheinens zu erwähnen. Mir kam es so vor, als ob sie nur kam, um zu sehen, wie es mir ging. Eigentlich war das ja wirklich lieb von ihr, aber ich brauchte ihre Hilfe nicht. Ich kam alleine damit fertig. Irgendwann habe ich es ihr dann auch gesagt. Ich müsste jetzt mehr für die Schule tun, weil das Halbjahr bald zu Ende sein würde. Daraufhin kam sie seltener. Doch jedes Mal, wenn ich sie sah, bemerkte ich ihre besorgten Augen. Eigentlich sollte ich glücklich sein, so eine tolle Schwester zu haben. Sie machte sich wirklich Sorgen, das sah man ihr an. Und ich ließ sie einfach so im Schnee stehen. Ich sagte ihr nichts von dem Streit mit Chris. Sonst sagte ich ihr alles und ich weiß selber nicht, warum ich ihr davon kein Sterbenswörtchen erzählte, aber vielleicht habe ich mich damals nur geschämt. Geschämt, dass es mir so schwer fiel, den Schnee zu vergessen. Vor einer Woche dann kam es zur Eskalation und seitdem besuchte sie mich nicht mehr. Es fing ganz normal an. Sie kam in mein Zimmer und setzte sich auf mein Bett. Der Katzenbezug unter ihr knitterte leicht. „Und, was machst du Schönes?“, sagte sie beiläufig. „Nur Mathe. Nichts Schwieriges“, gab ich monoton zurück. Ich hatte wirklich keine Lust auf noch ein Gespräch dieser Sorte. „Für dich hat ‚schwer‘ wohl einen anderen Begriffsstatus als für mich. Wenn es dir so viel Spaß macht, kannst du meine Mathehausaufgaben gleich noch nebenbei machen. Ich habe davon nämlich überhaupt keine Ahnung. Wer soll auch bei den ganzen Brüchen und Kurven noch durchschauen? Mathe ist wirklich das sinnloseste Fach auf der ganzen Welt.“ „Was willst du hier?“, sagte ich etwas gereizt und drehte mich zu meiner Schwester um. Mit mir über Mathe reden, wäre das Letzte, was Lucy tun würde. Und ich hatte wirklich keine Lust mehr auf ihre Besuche. „Ich mache mir Sorgen. Mit dir stimmt doch irgendetwas nicht. Du sitzt fast nur noch in deinem Zimmer, dabei ist es der schönste Winter seit Jahren. Es hört gar nicht mehr auf zu schneien.“ Sie zeigte nach draußen, doch ich vermied es, dort hinzusehen. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles läuft prima. Mir geht es wirklich gut.“ Meine Stimme war zum Glück etwas ruhiger geworden. Ich wollte nämlich keinen Streit. „Dir geht es gut?“, schrie sie mir fast entgegen. „Und warum bist du dann nicht draußen, wenn es schneit? Und tanzt im Schnee und freust dich, dass eine Flocke auf deiner Nase gelandet ist?“ Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter. „Weil ich Schnee nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Ich brauche nur ihn.“ Im Gegensatz zu meiner Schwester wurde ich immer leiser. Ich wollte einfach nicht, dass sie herausfand, warum ich mich so verhielt. „Und ob du den Schnee brauchst. Das sieht ein kleines Kind, dass du nicht glücklich bist. Ich würde dir ja helfen, doch du erzählt mir ja nichts mehr. Ich würde dir so gern helfen.“ In ihrem Auge bildete sich eine kleine Träne. „Ich vermisse meine Schwester, die von der Schule kommt und mir einen Schneeball ins Gesicht wirft. Die anfängt zu strahlen, wenn sie nur das Wörtchen Schnee in den Mund nimmt. Aber langsam glaube ich, dass sie gar nicht mehr existiert. Irgendwer hat sie einfach mitgenommen. Und du bist das, was übrig geblieben ist.“ Mit diesen Worten stand sie von meinem Bett auf und verschwand aus meinem Zimmer. Sie schaute nicht einmal zurück. Lucy tat mir wirklich leid. Sie hatte Recht. Die Schwester, die sie wollte, gab es nicht mehr. Sie war vor Wochen bei diesem Schneemann geblieben und sie traute sich nicht mehr zurück, denn sie hatte Angst vor Chris. Doch Lucy hatte auch Unrecht, denn ich war glücklich. Wie hätte ich denn nicht glücklich sein können? Ich hatte den besten Freund, den ich mir nur vorstellen konnte und ich liebte ihn, mehr als ich beschreiben konnte. Lucy musste wohl nur mit ihrer neuen Schwester zurecht kommen... In der Schule lief es nicht unbedingt anders ab. Ich hatte zwar bis jetzt noch keinen großen Streit mit Jenny und Lily, doch ich spürte immerzu ihre besorgten Blicke im Rücken. Jeden Morgen sahen sie mich mit dem gleichen Mitgefühl an, dabei wussten sie gar nicht, was genau geschehen war. Sie wussten nur, dass ich nicht mehr die war, die ich vorher war. Am Anfang beglückten sie mich jeden Morgen mit einer Schneeballschlacht. Inzwischen haben sie wohl verstanden, dass ich das wirklich nicht mehr wollte. Sie sagten es zwar nie, aber ich wusste, dass sie sich Sorgen machten. Sie fragten mich häufig, wie es mir geht, aber nicht zur Begrüßung wie gewöhnlich, sondern immer mal wieder zwischendurch. Und der Tonfall in ihrer Stimme ließ darauf schließen, dass sie nicht nur ein normales „Wie geht es dir?“ loswerden wollten, sondern eigentlich noch Fragen wie „Ist wirklich alles in Ordnung?“ oder „Kann ich dir nicht irgendwie helfen?“ hinterherschieben wollten. Sie machten sich Sorgen, genau wie meine Schwester. Und es störte mich. Es war ganz und gar meine Angelegenheit. Sie hatten damit gar nichts zu schaffen. Hundertmal hatte ich es ihnen gesagt, doch keiner ließ locker. Sie wollten mir unbedingt helfen, dabei brauchte ich keine Hilfe. Mir ging es gut. Mir ging es wirklich gut. Mittlerweile hatte ich auch keine Probleme mehr mit dem Schnee wenn Schnee fiel, schaute ich hinaus, doch ich verspürte keine Sehnsucht, sofort hinauszustürmen. Chris hatte Recht gehabt. Es war kindisch gewesen. Immerhin bin ich schon 16 Jahre alt. Da muss ich wirklich nicht mehr mit Schnee spielen. Und es ging mir gut dabei. Die einzigen Personen, die mich normal behandelten, waren Chris und seine Freunde. Ich hing jetzt immer öfters mit ihnen rum. Sie waren wirklich korrekt und keiner von ihnen sah mich mit diesem Blick an, als ob ich gleich zerbrechen würde. Sie redeten zwar wirklich viel über Basketball – wovon ich nicht viel verstand – doch das war mir egal. Hauptsache sie behandelten mich normal. Und das taten sie. Die Cheerleader haben mich sogar gefragt, ob ich gerne bei ihnen Mitglied werden würde. Das war gestern. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mir das noch überlegen müsste. Aber mir gefiel der Gedanke, Chris nicht nur von der Tribüne aus anzufeuern, sonder direkt aus der ersten Reihe, von der Spitze der Pyramide. Gerade saß ich mit ihm auf der Bank im Park. Er hatte den Arm um mich gelegt, ich kuschelte mich an seine kicke Daunenjacke. Es war still hier, denn keiner außer uns war im Park. Vielleicht weil es eben erst wieder geschneit hatte. „Cynthia hat mich gefragt, ob ich Cheerleader werden will“, durchbrach ich die Stille. „Echt? Hat sie das?“ Chris klang nicht wirklich überrascht. Es klang eher so, als ob er überrascht tun würde. Und Chris war keine guter Schauspieler. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Ich durchschaute ihn immer. Mir konnte er nichts vormachen. Ich tat ihm trotzdem den Gefallen und ignorierte seine schlechten schauspielerischen Qualitäten. „Ja, hat sie“, betonte ich es viel zu übertrieben. „Und ich glaube, dass ich das Angebot annehmen werde. Es wird Zeit für eine paar Veränderungen.“ „Das finde ich gut. Ich freue mich schon, dich in dem sexy Cheerleader-Outfit zu begutachten“, grinste er mich an und gab mir einen Kuss. „Naja, ob ich wirklich so sexy aussehen werde, davon bin ich nicht überzeugt.“ Sowas stand mir einfach nicht. Kurze Röcke waren für mich eigentlich das Todesurteil. Wenn ich eine Hose drunter hatte, war es okay, aber nicht mit nackten Beinen. Dafür hatte ich einfach nicht die Figur. Ich war nicht der Typ für kurze Röcke. „Du siehst in Allem sexy aus“, versicherte er mir. Ich spürte, wie ich rot wurde und schaute zu Boden. „Hey, du musst nicht rot werden. Das stimmt.“ Er nahm mein Kinn in seine Hand und zwang mich, ihn anzusehen. „Du bist das hübscheste Mädchen, was ich kenne. Ich liebe dich, Kitty Cat.“ Auf mein Gesicht stahl sich ein Lächeln und er drückte mir den zauberhaftesten Kuss auf die Lippen, den ich je von ihm bekommen hatte. „Ich muss jetzt gehen“, flüsterte er mir ins Ohr, als er sich von mir gelöst hatte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er ewig so weitermachen können. „Kommst du mit?“ Ich schüttelte geistesabwesend den Kopf. Ich wollte noch etwas hierbleiben. Den Moment genießen und ihn in meinem Gedächtnis verankern – für immer. Er stand auf und wollte gehen. Ich hielt ihn fest, stand ebenfalls auf und blickte ihm tief in die Augen. „Ich liebe dich auch, Chris.“ Ich umarmte ihn. „Ich liebe dich so sehr.“ Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen, doch schließlich drückte er mich sanft weg und ging. Ich ließ mich zurück auf die Bank fallen und hielt ihn fest: den besten Moment in meinem Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)