Alles wird sich ändern von DoctorMcCoy (2. Platz bei Fanfiktion/Originalstory Wettbewerb) ================================================================================ Kapitel 2: Der Neue ------------------- Der Neue Der Schnee knisterte unter meinen Schuhen. Ich streckte meine Arme seitlich aus wie bei einem Hochseilakt und genoss jeden einzelnen Schritt. Ich setzte meine Ferse auf und rollte ganz vorsichtig meinen Fuß ab. Für jeden Millimeter, den ich mich bewegte, gab es dieses wunderbare Knistern als Belohnung. Ich strahlte über das ganze Gesicht. „Jetzt komm endlich, Cat. Wenn du so weitermachst, kommen wir noch zu spät zur Schule. Ich kann mir aber Nachsitzen nicht leisten. Also beeil‘ dich.“ Selbst dieser kleine Vorwurf klang himmlisch, wenn er es aussprach. Und er hatte ja auch Recht. Wir würden zu spät zur Schule kommen. Ich hatte mich halt hinreißen lassen. „Tut mir leid, Chris. Du hast ja Recht“, entschuldigte ich mich. „Ich liebe dieses Knirschen und wollte es genießen. Aber jetzt sind wir spät dran. Lass uns einfach laufen, dann müssten wir es noch schaffen. Und wenn wir immer noch zu spät kommen, werde ich die volle Verantwortung auf mich ziehen. Ich werde dem Lehrer sagen, dass ich verrücktes Mädchen mit meinem Schnee-Wahnsinn ganz alleine daran Schuld bin, dass wir zu spät sind. Und dass du, als edler Ritter, mich natürlich nicht alleine lassen konntest. Immerhin hätte ich ja ausrutschen und mir den Fuß verletzten können.“ Ich lächelte ihn an, was er erwiderte, nahm seine Hand und lief los. Leider war ich nur kurz die erste, denn er überholte mich schon in der nächsten Sekunde. Tja, das hat man davon, wenn man mit einem Basketball-Champion zusammen ist. „Ein kleines Wettrennen gefällig?“, meinte er, als er auch schon meine Hand losließ. Wenn Chris die Gelegenheit dazu bekam, ein kleines Wettrennen zu veranstalten, ließ er sich dies nicht nehmen. Dann war er immer Feuer und Flamme. Er liebte es, sich mit anderen zu messen. Und zu meinem Leidwesen liebte er es auch, sich mit mir zu messen. Meist zog ich dabei immer den Kürzeren, da ich in Sport eine ziemliche Niete war. Aber es machte ihm Spaß, und wenn es ihm Spaß machte, stimmte es mich auch glücklich. Auch wenn ich nicht besonders schnell war, gab ich mir die größte Mühe. Chris war ja auch so gütig und machte extra ein bisschen langsamer. Er wusste, dass ich nicht die geringste Chance hatte, aber er wollte mich auch nicht haushoch verlieren lassen. Da sah man mal, wie zuvorkommend er war. Er wartete am Eingang der Schule auf mich. Sein bezauberndes Lächeln empfing mich. Was sehr unfair war, war die Tatsache, dass er überhaupt nicht außer Atem war und ich kein einziges Wort mehr herausbrachte. „Wir sind wirklich noch rechtzeitig angekommen. Sehr gut“, stellte er zufrieden fest. Mehr als ein Nicken brachte ich jedoch nicht zustande. Er hielt mir die Tür auf, wir gingen hinein und die Treppe hinauf. Oben angekommen, blieben wir stehen. Er gab mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn. „Viel Spaß beim Unterricht“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich seufzte. Leider hatten wir beide in der ersten Stunde getrennt Unterricht. Er hatte Physik und ich hatte Mathe. Was für eine ungerechte Welt. Doch durch so was musste man halt durch. Ich winkte ihm noch einmal und wandte mich dann nach rechts. Zum Glück jedoch fand ich Mathe sehr interessant, wodurch der Unterricht auch schneller vorüberging. „Bis später“, sagte ich noch und verschwand in den leeren Gang. Zwar war ich noch nicht zu spät zum Unterricht, jedoch war es bereits die Zeit, dass alle Schüler schon in den Klassen saßen. Und meine Klasse machte da keine Ausnahme. Mit Erleichtern stellte ich fest, dass unser Lehrer wirklich noch nicht da war, und setzte mich auf meinen Platz. Sofort beugte sich meine Freundin Jenny zu mir rüber. Sie hatte mal wieder diesen Ich-weiß-was-du-getrieben-hast-Blick drauf. „Es ist wirklich nicht so, wie du denkst“, versuchte ich mich zu verteidigen und hob abwehrend meine Hände. „Wir sind nur zu spät, weil-“ „Jaja, ist schon okay. Ich glaub dir ja“, unterbrach sie mich. Ihr Blick verriet mir aber, dass sie mir ganz und gar nicht glaubte und dass sie sich ihren Teil dachte, zumindest nach dem Lächeln zu schließen, was sich gerade auf ihrem Gesicht ausbreitete. Von einer Sekunde auf die andere schaltete Jenny um. Das war einer ihrer Spezialitäten. Gerade sprach sie noch von Hasen und im nächsten Moment konnte sie von Bananen erzählen. In diesem Fall dachte sie gerade über Chris und mich nach und setzte dann einen hoch interessierten, reporterähnlichen Blick auf. Hatte ich schon erwähnt, dass sie Leiterin der Schülerzeitung war? Dementsprechend konnte sie ihre Neugier für neue Storys nie ablegen. Manchmal war das auch ein wenig lästig. Aber solange das sich nicht auf mich ausbreitete, war es in Ordnung. Nun kam sie mir verschwörerisch nahe, so nahe, dass nur noch ich sie hören konnte. „Hast du es schon gehört?“, fragte sie mich leise. Ja, klar hatte ich es schon gehört und gesehen und gespürt. Der Schnee war nun mal nicht zu übersehen. Ich schüttelte jedoch den Kopf, denn das war es bestimmt nicht, was Jenny mir mitteilen wollte. „Joe hat mit Natalie Schluss gemacht. Gestern Nachmittag im Park. Jeder, der vorbeikam, konnte es mitkriegen, denn Natalie hat eine ziemliche Show abgezogen. Sie hat ihm zugeschrien, dass er das nicht machen könnte. Dass sie es wäre, die sich solche Mühe gegeben hätte, dass die Beziehung bestehen bleibt und so weiter und so fort. Ich finde, sie hat es verdient. Diese Tussi schaut doch jedem Typen hinterher und Joe hat sich das schon viel zu lange gefallen lassen. Das Einzige, was schade daran ist, ist, dass ich gestern nicht im Park war. Das wäre eine großartige Story geworden.“ Ich schaute sie etwas schräg an, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie keine Story daraus machte. „Es wäre eine großartige Story geworden, wenn ich vor Ort gewesen wäre“, ergänzte sie, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. „So kann ich die Fakten nur aus zweiter Hand erfahren und das ist nichts im Vergleich dazu, wenn ich live vor Ort gewesen wäre. So wird die Story wahrscheinlich nur toll.“ Um das zu verstehen, sollte ich euch vielleicht noch erzählen, dass Jennys Storys alle mindestens toll sind. Das ist bei ihr sozusagen das Schlechteste. Ich weiß, dass klang wirklich ein bisschen arrogant, aber sonst war sie wirklich ziemlich nett. Ich meine, jeder hat doch seine kleinen Macken. Jennys Macke war halt, dass sie dachte, sie wäre die Beste. Aber zu ihrer Verteidigung, sie war wirklich gut. In der Schülerzeitung waren ihre Artikel immer die Besten, auch wenn der Inhalt manchmal ein wenig gemein war. „Der Artikel wird bestimmt super und Natalie wird sich auf jeden Fall eine Woche lang nicht in der Öffentlichkeit blicken lassen.“ Ich zwinkerte ihr zu. Ein kleines Ritual von uns, fragt lieber nicht, wie das zustande gekommen ist. Bevor ich sie jedoch noch weiter aufheitern konnte, kam unser Lehrer herein. Ein kleiner, pummeliger Kerl mit Halbglatze und einer Brille auf der Nase. Aber von Mathematik verstand er wirklich etwas. Kurz hinter ihm lief ein Junge, den ich zum ersten Mal sah. Er musste wohl neu sein. So war es auch. Kaum war Mr. Henderson hinter seinem Pult angekommen, sagte er auch schon: „Dies ist ab heute ein neuer Mitschüler von euch. Ich erwarte, dass ihr ihn gebührend empfangt. Möchtest du noch etwas von dir erzählen?“ Er wandte sich dem Jungen zu. Dieser sah nicht besonders begeistert aus, aber ihm war wohl klar, dass er da nicht drumherum kam. „Natürlich“, meinte er mit einem strahlenden Lächeln zu Mr. Henderson gerichtet. „Mein Name ist Jack Newsome. Ich bin hierher gezogen, weil mein Vater versetzt wurde. Eigentlich mag ich Schule nicht…“ Ein paar Schüler fingen an zu lachen. Jack schien das eingeplant zu haben, denn er hielt kurz inne. Als es langsam leiser wurde, fuhr er fort: „… aber da ich nun mal die Pflicht habe, zur Schule zu gehen, bin ich jetzt hier und werde mich mit euch durch den Mathematikunterricht quälen.“ Mit einem kurzen Nicken zum Lehrer, beendete er seinen Vortrag. Na toll, nun hatten wir einen neuen Klassenclown. Besser hätte der Tag auch nicht anfangen können. Mr. Henderson sah ein bisschen entsetzt aus, so schien es mir jedenfalls. „Äh, ja, danke, Mister Newsome. Sie können sich dann setzten“, sagte er mit ziemlicher Überwindung. Er sah sich im Klassenzimmer um. „Neben Miss Hagan ist noch ein Platz frei“ Das war übrigens ich. Ich glaube, dass ich meinen Nachnamen noch gar nicht erwähnt hatte. Na ja, egal, jetzt wisst ihr es ja. Jack schaute sich um, da Mr. Henderson in seiner Verpeiltheit vergessen hatte, ihm zu zeigen, wer „Miss Hagan“ ist. Es gab nur zwei freie Plätze im ganzen Raum, einmal neben mir und Ronny, unserem Gorilla in der Klasse. Jack entschied sich dafür, dass Ronny keinesfalls mit „Miss Hagan“ gemeint sein konnte, und steuerte auf den Platz neben mir zu. Jenny beugte sich mal wieder zu mir rüber. „Was meinst du? Der Typ sieht doch gar nicht schlecht aus, oder? Und witzig scheint er ja auch zu sein.“ Na ja, so gut sah der Typ nicht aus. Eher durchschnittlich, das Übliche eben. Und witzig? Ich hielt ihn eher für die Sorte Mensch, die immer mit einem coolen Spruch auf den Lippen rumliefen, aber wo eigentlich nichts dahinter war. Zumindest war dies mein erster Eindruck von Jack. Aber natürlich würde ich das so nie meiner Freundin sagen, und ganz bestimmt nicht, wenn sie an ihm interessiert war. Ich rückte noch ein Stück näher, denn Jack wäre bestimmt bald auf seinem neuen Platz angekommen und er sollte dieses Gespräch nicht direkt mitbekommen. „Du hast Recht“, flüsterte ich Jenny zu. „Er sieht wirklich gar nicht schlecht aus. Vielleicht ist er noch Single.“ Mit diesem Satz hatte ich es geschafft, dass sich für den Rest der Stunde ein Dauergrinsen bei Jenny eingesetzt hatte. Sie war wohl jetzt im siebten Himmel, nur bei dem Gedanken, dass sie vielleicht Chancen bei Jack haben könnte. Ich würde ihr auf gar keinen Fall in den Weg kommen. Aber ich konnte mir gut vorstellen, dass sich Natalie für den zukünftigen Bericht noch rächen würde, und wenn sie herausfand, dass Jenny der neue Typ gefiel, war es klar, in welche Richtung die Rache gehen würde. Jedoch hatte ich nicht länger Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn gerade glitt Jack elegant neben mir auf seinen Stuhl. „Hi, ich bin Jack.“ Ja, das hatte ich schon mitgekriegt. Hielt er mich etwa für beschränkt? Ich konnte ja wohl zuhören, wenn er was sagte. Natürlich hatte ich ihm das nicht ins Gesicht gesagt. Wäre ja ein toller Start mit dem neuen Schüler geworden. Stattdessen setzte ich ein gezwungenes Lächeln auf und stellte mich meinerseits vor: „Hi, mein Name ist Cat.“ „Oh, ein Kätzchen. Da muss ich aber aufpassen, dass du mich nicht kratzt.“ Wie schon gesagt, ein Sprücheklopfer. Und ich glaube, dass dieser Typ sich für supercool hielt. Na ja, wirklich glauben nicht, ich war mir sogar relativ sicher. Sein schelmisches Grinsen, was auch noch auf den Satz folgte, ließ mich keine weitere Sekunde mehr zweifeln. Die meisten Mädchen sprangen ja auf so etwas an, wie man an Jenny sehr gut sehen konnte. Aber Mädchen wie ich, die einen tollen Freund hatten, ließ das Ganze so ziemlich kalt. Außerdem konnte ich solche oberflächlichen Typen überhaupt nicht ausstehen. Die dachten doch immer nur an das Eine. Jetzt hieß es nur noch, den Rest der Stunde neben diesem Blödmann aushalten. Zum Glück, wie mir schien, erkannte Mr. Henderson meine Notlage oder ich hatte einfach nur Glück. Denn er forderte mich auf, meine Hausaufgaben an der Tafel vorzurechnen. So konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich kam von diesem Jack weg und konnte gleichzeitig mit meinen richtigen Hausaufgaben glänzen und so einen Pluspunkt gewinnen. Danach bildeten wir Gruppen, um etwas Neues zu erarbeiten. Natürlich musste Jack mies in Mathe sein, sodass Mr. Henderson ihn mit der Besten aus der Klasse zusammensteckte, meiner Wenigkeit. Wieso mussten es denn auch ausgerechnet Zweiergruppen sein? Wenn es wenigstens Vierergruppen gewesen wären, dann hätte Jack mich bestimmt nicht so nerven können. Aber das Schicksal meinte es wohl nicht gut mit mir. Während ich mich auf den Beweis konzentrieren wollte, laberte mich Jack nur voll. Er fragte mich, wo ich wohnte, was ich für Hobbys hatte und noch anderes Zeug. Ich war sehr erstaunt, wie viele Fragen man in einer Minute stellen konnte. So schnell wie sich sein Mundwerk bewegte, konnte man fast meinen, dass er ein Wasserfall sei. Ich aber wollte mich endlichen mit den Beweisen für die Integrale beschäftigen. „Also sieh mal“, fing ich an. „Wenn du jetzt ein Integral von der Funktion f plus der Funktion g hast, kannst du auch sagen, das Integral von der Funktion f plus-“ Ich war gerade dabei den Beweis aufzuschreiben, als Jack meine Hand nahm. „Das ist doch langweilig. Lass uns lieber noch ein bisschen reden. Ich möchte noch mehr von dir erfahren.“ Er zwinkerte mir zu. Was hatte er denn schon von mir erfahren? Ich hatte doch auf keine einzige Frage geantwortet. Eigentlich kannte er nur meinen Namen. Hatte er vielleicht sogar Interesse an mir? Das wäre wirklich nicht gut. Ich meine, ich hatte doch schon einen Freund und diesen wollte ich auf keinen Fall ersetzen und bestimmt nicht durch diesen Jack. Aber vielleicht wollte er ja auch einfach nur höflich sein oder einen neuen Freund finden. Immerhin war er neu an der Schule und kannte keinen einzigen. Und ich war sein erster Sitzpartner. Da war es doch völlig normal, dass er sich ein wenig mit mir unterhielt, oder? Was denkt ihr darüber? Ja, ich weiß, ich war mir da auch nicht so hundertprozentig sicher. Ich war mir sogar sehr, sehr unsicher. Deshalb versuchte ich einfach höflich zu sein – obwohl wir eigentlich Mathe machen sollten, aber das wollte Jack ja nicht hören. „Was willst du denn wissen?“ Ich setzte mein nettestes Lächeln auf, und wie mir selbst auffiel, war dies nicht gestellt. Es war ein ehrliches Lächeln. Ich dachte in dem Moment, dass ich Jack vielleicht die ganze Zeit falsch eingeschätzt hatte und ihm noch eine zweite Chance geben sollte. Er war vielleicht gar nicht so übel. „Hast du einen Freund? Sonst würde ich nämlich gerne um diesen Platz werben.“ WAS? Die letzten netten Gedanken, die ich von diesem aufgeblasenen, selbstverliebten und egoistischen Sprücheklopfer hatte, zerbrachen wie Porzellan. In meinen Kopf herrschte totales Chaos. Ich war mir im Klaren, dass er für diesen Satz büßen musste. Man konnte doch ein Mädchen nicht eine solche Frage stellen. Das gehörte sich nicht. Dieser Typ war einfach nicht auszuhalten. Mit jeder Sekunde kochte mein Blut mehr. Ich war kurz davor durchzudrehen und so was tat ich sonst nie, wie ich hier bemerken will. Das passte einfach nicht zu mir und mir gefiel es nicht, dass ein Typ in mir solche Gefühle verursachte. Am liebsten hätte ich laut losgeschrien, aber dann hätte mich Mr. Henderson nur vor die Tür geschickt und das konnte ich nicht riskieren. In dem Moment, als ich Jack gerade eine passende Antwort geben wollte – natürlich leise –, stoppte Mr. Henderson die Stillarbeitsphase und mir kam eine hervorragende Idee. Meine Hand schoss in die Höhe. „Ja, Miss Hagan?“, nahm mich mein Lehrer dran. „Mein Partner Jack würde gerne den Beweis vorrechnen.“ Ich schenkte ihm, also Jack, ein triumphierendes Lächeln. Das einzige, was ich von Jack wusste, war, dass er schlecht in Mathe war. Und so konnte ich ihn schon mal vor der ganzen Klasse bloßstellen. Ich lobte mich selbst für meinen genialen Einfall. Jack stand inzwischen widerwillig auf und schritt zur Tafel. Er nahm das Stück Kreide von Mr. Henderson entgegen und fing an zu stottern: „Also, ähm, wenn man das Integral von, ähm, der Funktion f, ähm, plus der Funktion g hat, kann man auch sagen, ähm-“ Er brach ab und sah mich hilfesuchend an. Tja, er hätte mich wohl doch ausreden lassen sollen. Aber wenigstens hatte er das, was ich gesagt hatte, schon mal behalten. Leider reichte das nicht mal ansatzweise aus. Auf meinen Lippen breitete sich ein Lächeln aus. Sonst taten mir die Schüler immer Leid, die da vorne standen, und es einfach nicht wirklich kapiert hatten, aber Jack war ein richtiger Genuss. Besonders weil er nicht sofort aufzugeben schien. Er wandte sich wieder der Tafel zu und fuhr mit seinem Gestotter fort: „Wenn man jetzt das Integral von der Funktion f plus der Funktion g hat, kann man das auch ganz einfach umformen in die Summe vom Integral von der Funktion f und dem Integral von der Funktion g. Das geht ganz leicht, indem man das erste Integral auflöst.“ Mittlerweile klang Jack ziemlich sicher und er schrieb sogar etwas an die Tafel. Er war wirklich ein guter Schauspieler. Er konnte es gut überspielen, dass er überhaupt keine Ahnung davon hatte. „Um ein Integral auszurechnen, muss man die Stammfunktionen der jeweiligen Funktionen bilden. Da kommt dann die Stammfunktion F von b minus die Stammfunktion F von a plus die Stammfunktion G von b minus die Stammfunktion G von a heraus. Wenn man das ganze nun wieder in Integrale umschreibt, hat man zum einen das Integral von der Funktion f…“ Er kreiste den Term F(b)-F(a) ein. „… und zum anderen das Integral von der Funktion g.“ Er kreiste den Term G(b)-G(a) ein. „Somit ist der Beweis vollendet.“ Er schrieb noch ein „q.e.d.“ unter den Beweis und wandte sich wieder der Klasse zu. Mr. Henderson ging wieder nach vorne. „Wirklich gut, Mr. Newsome. Sie haben das gut dargelegt. Und vielen Dank an Sie, Miss Hagan, die ihm das erklärt hat. Sie bekommen beide einen Pluspunkt.“ Was für ein Mistkerl. Hinterhältig und gemein. Erst sagte er, dass er schlecht in Mathe war, um mit mir in einer Gruppe zu sein, und dann ließ er noch meinen schönen Plan in Luft aufgehen. Er setzte sich wieder neben mich. „Und, habe ich das gut gemacht? Ich hoffe, du bist zufrieden mit mir und gehst jetzt mit mir aus? Wie wäre es, wenn du mir die Schule zeigen würdest?“ Ich zog die Luft ein. Ich dachte ja schon, dreister konnte man gar nicht sein. Doch Jack legte immer noch einen drauf. Ich kannte ihn vielleicht mal eine halbe Stunde und schon konnte ich mir keinen schlimmeren Menschen vorstellen, obwohl ich sonst wirklich mit jedem zu Recht kam oder mich zumindest anstrengte, damit es einigermaßen klappte. Aber für Jack gab es, glaube ich, keine Rettung. Er war hinterhältig, selbstverliebt und aufgeblasen. Das genaue Gegenteil von Chris und ich wollte nur noch so schnell wie möglich von ihm wegkommen. Endlich kam die erlösende Klingel. Ich packte meine Sachen und sprang auf, rauschte an Jenny vorbei, die mich nur verdutzt ansah, und flüchtete auf die Damentoilette. Das war wohl die schlimmste Stunde Mathe, die ich je in meinen Leben gehabt hatte. Nach etwas erfrischendem Wasser in meinem Gesicht und dreimal Ein- und Ausatmen, kam ich langsam wieder zur Ruhe. Ich durfte mir nicht den schönsten Tag im Jahr vermiesen lassen, nur weil irgend so ein komischer Kerl dahergelaufen kam. Mit dem Vorsatz, den Rest des Tages nur noch an Chris und Schnee zu denken, verließ ich die Toilette wieder. „Und wie sieht es aus? Zeigst du mir die Schule?“, begrüßte mich Jack. Er lächelte mir zu. Mein Gott, Jack war einfach schrecklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)