Wühlkiste von Ur (Slash Oneshots) ================================================================================ Kapitel 3: Message in a box --------------------------- »…hätte gern die Pizza Milano mit extra vielen Peperoni«, erkläre ich dem Mann am anderen Ende der Leitung. Wie fast jeden Tag bestelle ich Pizza. Pizza ist mein Hauptnahrungsmittel. Ich kann überhaupt nicht kochen und wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, dann habe ich meist auch keine Lust mehr, selbst irgendetwas in den Ofen zu schieben. Daher bin ich Stammkunde bei dem örtlichen Pizzalieferanten ‚Little Pizzaland’. Ganz davon abgesehen, dass der Name total bescheuert ist, schmecken die Pizzen von dort am besten und ich muss es wissen, denn ich habe mittlerweile alle Bringdienste von oben bis unten durchprobiert. Man könnte meinen, ein 29-jähriger, lediger, allein wohnender Mann sei in der Lage dazu, für sich selbst zu sorgen. Immer, wenn meine Freunde mir vor Augen halten, dass ich wirklich lernen sollte, wie man kocht, kann ich nur seufzend den Kopf schütteln. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht schon einmal versucht hätte. Aber spätestens wenn ich mich an die Pfannkuchen erinnere, die ich vor vier Monaten fabriziert habe, schiebe ich den Gedanken auf einen weiteren Versuch sehr schnell beiseite. Ich arbeite als Service-Techniker in einer ziemlich großen Werkstatt. Ich verdiene mir damit eine goldene Nase, denn ich bin nicht nur Servicetechniker in diesem Schuppen, sondern auch noch der beste Geselle, den sie haben. Und ich werde nächstes Jahr meine Meisterschulung machen. Aber mein Job ist eher langweilig und ich sollte in meiner Freizeit nicht allzu viel darüber nachdenken. Also kommen wir zurück zu meinem Lieblingsessen: Pizza. Das Einzige, was ich auf Pizzen nicht leiden kann, sind Meeresfrüchte. Gegen Thunfisch habe ich nichts, aber sobald es um Muscheln oder sonstiges Gekröse aus dem Wasser geht, muss ich passen. Oder besser gesagt kotzen. Ich bin nämlich allergisch darauf. Während ich dem Heini am Telefon meine Telefonnummer und meine Adresse gebe, wandern meine Gedanken zu einem anderen Grund, wieso ich immer wieder gerne Pizza bei dem bereits genannten Bringdienst bestelle. Ich bin nämlich nicht nur Service-Techniker und Pizza-Fetischist, sondern auch noch schwul. Und der Traum meiner schlaflosen Nächte bringt mir fast jedes Mal die Pizza, außer am Wochenende. Sein Name ist Markus und er ist vermutlich um ein Vielfaches jünger als ich. Ich schätze ihn auf Anfang zwanzig, er könnte aber genauso gut erst 18 sein. Die Hauptsache ist, dass er nicht minderjährig ist, denn dann könnte ich ihn mir abschminken. Ich werde immerhin bald 30 und somit stehe ich mit einem Bein praktisch im Grab. Alle meine Kumpels sind bereits 30 und sie meinen, so schlimm sei es gar nicht. Aber es ist nun einmal so, dass ich fast 30 bin und immer noch Niemanden gefunden habe, den ich gerne ‚behalten’ würde. Die Kerle kommen und gehen und die meisten gehen mir nach zwei Mal ausgehen so sehr auf den Keks, dass ich sie nie wieder sehen will. Jetzt mag sich manch einer fragen, wieso ich es dann auf den Pizzalieferanten abgesehen habe, den ich erstens nicht kenne und der zweitens ohnehin nichts von mir will. Diese Frage kann ich auch nicht beantworten. Es ist die Art, wie er grinst, wenn ich ihm Trinkgeld gebe und die Art, wie er sich die Haare aus dem Gesicht pustet, ehe er die Pizza aus seinem Styropor- Karton holt. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, bekomme ich so was Ähnliches wie weiche Knie und ich bekomme eindeutig einen sehr trockenen Mund. Ganz zu schweigen von den Hüpfern, die mein Herz dann immer macht. Man könnte meinen, ich sei zu alt für so was. Das dachte ich eigentlich auch, aber offenbar ist man nie zu alt für so etwas. Während ich in meiner Lederjacke nach meinem Portemonnaie krame, kommt mir der Gedanke, dass ich ihn einfach mal nach einem Treffen fragen könnte. Allerdings ist das vollkommen absurd, denn immerhin ist er nicht schwul. Zumindest nicht offensichtlich. Eigentlich habe ich ein Auge für so etwas, aber bei Markus kann ich es nicht sagen. Er trägt ausgewaschene Jeans und meist ein schwarzes T-Shirt mit dem roten Aufdruck ‚Little-Pizzaland’ darauf. Das passt ganz hervorragend zu seinen ebenfalls schwarzen Haaren, die ihm immer widerspenstig ins Gesicht hängen. Ich mag seine mehrfach gepiercten Ohren, sein breites Grinsen, das ungewöhnliche weiße Zähne entblößt und seine immerzu amüsiert funkelnden, braunen Augen. Eigentlich mag ich alles an ihm, zumindest was das angeht, was ich bisher von ihm kenne. Und das beschränkt sich hauptsächlich auf Äußerlichkeiten. Einmal hat er allerdings der alten Frau Brinkmann aus dem zweiten Stock die Treppe hinunter geholfen. Ich war so fasziniert, dass ich ihn die ganze Zeit anstarren musste. Als er das gemerkt hat, hat er mir die Zunge rausgestreckt und dabei sein Zungenpiercing offenbart. Ich bin zu alt für solche Jugendlichen Dinge. Und immer, wenn ich so was denke, komme ich mir noch älter vor. Es klingelt an der Tür und ich werfe einen raschen Blick in den Spiegel neben der Garderobe. Mein braunes Haar sieht ein wenig so aus, als wäre ich gerade erst aufgestanden. Und ich hätte mich eigentlich heute Morgen rasieren sollen, da mein Dreitagebart sich mittlerweile in einen Fünftagebart verwandelt. Kommt es mir nur so vor, oder sehe ich ausgesprochen müde aus? Meine grün-grauen Augen blicken ziemlich schläfrig drein. Ich öffne die Tür und drücke auf den Summer. Da ich direkt im Erdgeschoss wohne, sehe ich ihn immer schon, wenn er unten die Tür öffnet. Und als er sie öffnet, muss ich unwillkürlich schmunzeln. Er sieht mal wieder reichlich zerzaust aus, wie er da mit der schwarzen Box in den Händen und mit großen Schritten die Treppe hinauf kommt. Er grinst mich breit an. »Guten Tag«, sagt er und öffnet seine Box. Ich betrachte ihn möglichst unauffällig. »Haben Sie eigentlich einen defekten Backofen oder können Sie einfach nicht kochen?“, fragt er beiläufig und ich frage mich meinerseits, ob er sich so etwas auch bei anderen Kunden traut. Oder nur bei mir? Ich muss glucksen. »Ich kann nicht kochen und selbst wenn ich es könnte, wäre ich zu faul dafür«, gebe ich also wahrheitsgemäß zurück und er lacht leise, was mir einen kleinen Schauer über den Rücken jagt. »Ich finde kochen cool. Pizza kann ich wegen dem Job nicht mehr sehen«, informiert er mich, drückt mir den Pizzakarton in die Hand und schaut auf der Bestellung nach. »6,70 macht das«, sagt er und ich nicke. Ich kann beinahe alle Preise auswendig. Also drücke ich ihm einen Zehner in die Hand. »Mach 8 draus«, sage ich leichthin und betrachte seine schlanken Finger, die die Box festhalten. Seine Mundwinkel zucken, als er sein großes, schwarzes Portemonnaie hervorkramt und mir dann ein Zwei-Euro-Stück in die Hand drückt. Dabei berühren sich unsere Finger. Muss an der warmen Pizza liegen, dass mir so heiß ist. »Vielen Dank, Herr Kiesler«, sagt er übertrieben höflich, zwinkert mir zu und dreht sich dann um, um zu gehen. »Oh und…guten Appetit«, fügt er hinzu und ist dann auch schon wieder aus dem Haus verschwunden. Ich starre die Tür an. Das mache ich jedes Mal, wenn er daraus verschwunden ist. Da war er, Markus. Und er war wie jedes Mal. Spritzig, schelmisch, irgendwie unglaublich charmant und viel zu gut aussehend für meinen Geschmack. Ich schließe die Tür hinter mir, nachdem ich mich wieder gefangen habe und gehe mit meiner Pizza ins Wohnzimmer. Der Fernseher läuft schon, ich lasse mich auf dem Boden vor meinem Couchtisch nieder und klappe den Deckel auf. Ein wenig verwirrt starre ich die Innenseite des Deckels an. Da klebt eindeutig ein hellblauer Post-it Zettel. Ich greife danach, falte ihn auseinander und erstarre. Mein Herz macht gleich mehrere Rückwärtssaltos und ich atme einige Male tief ein und aus. Da steht eindeutig eine Handynummer. Und darüber sein Name. Mit einem ummissverständlichen Doppelpunkt. Das ist derart merkwürdig, dass ich ewig lange auf diesen kleinen, hellblauen Zettel starren muss. Dann erst lasse ich ihn sinken. Da steht meine Pizza und eigentlich habe ich gerade überhaupt keinen Hunger mehr. Er gibt mir seine Nummer? Wie das? Ich bin unrasiert, ein langweiliger KFZ- Mechatroniker und bald werde ich sterben, weil ich fast 30 bin. Aber er findet mich interessant genug, um mir seine Nummer zu geben? Und er ist nicht stock- hetero. Sonst hätte er mir seine Nummer nicht gegeben. Oder ist das alles nur ein Jux? War diese Pizza vielleicht für eine hübsche, junge Blondine gedacht? Das ist mir alles unheimlich. Ich lege den Zettel beiseite und fange an, meine Pizza zu essen. Sie ist wie immer schon geviertelt. Ich seufze leise. Aufs Fernsehen kann ich mich nun wirklich nicht mehr konzentrieren, da meine Gedanken um Markus schwirren wie Motten um eine Straßenlaterne. Unglaublich. Eine Handynummer und ich führe mich auf, als wäre ich 16. Nicht zu fassen. Also was soll ich jetzt tun? Ihn gleich anrufen? Nein, das ist zu aufdringlich. Und es klingt, als hätte ich es verdammt nötig. Naja, irgendwie habe ich das ja auch, immerhin schmachte ich ihn schon mehrere Monate lang an. Oder ich schreibe ihm eine SMS. Er hat sicher ohnehin noch keinen Feierabend. Aber vielleicht sollte ich damit lieber noch ein wenig warten? Ich nehme noch ein Stück Pizza, während ich mir über diese bescheuerten Kleinigkeiten den Kopf zerbreche. Und was mache ich, wenn es tatsächlich der falsche Karton war? Dann kann ich ihm danach nie wieder in die Augen sehen. Eine vertrackte Situation. Aber ich will ihn unbedingt kennen lernen. Egal wie jung er ist. Naja… wenn er 16 Jahre alt ist, sollte ich das noch mal überdenken. Aber eigentlich sieht er mehr aus wie 19. Oder irre ich mich? Ja, ich mache mich gerade vollkommen verrückt. Ein Viertel meiner Pizza bleibt übrig, weil mir vom ganzen Nachdenken ganz schlecht geworden ist. Ich brauche erstmal einen Schnaps. Zur Verdauung und zur Beruhigung. Ich trinke vorsichtshalber zwei Schnäpse, nur um sicher zu gehen. Dann krame ich nach meinem Handy. Das Ding ist so alt, das vielleicht ein Museum daran interessiert sein könnte, aber ich werd es wohl behalten, solange es funktioniert. Und für eine SMS an Markus reicht es allemal. Ich speichere also die Nummer in meinem Telefonbuch. Sollte ich vielleicht doch anrufen? Ich bin immerhin ein erwachsener Mann… Aber wenn er noch arbeitet… nein, ich sollte besser eine SMS schreiben. Aber was soll ich schreiben? Es dauert tatsächlich eine Viertelstunde, bis ich etwas getippt habe, was nicht allzu bescheuert klingt. Natürlich kann ich mich irren und Markus kugelt sich vor Lachen, wenn er die SMS bekommt. »Hey Markus. Ich hoffe, die Nummer war im richtigen Pizzakarton. Musst du noch lange arbeiten? Daniel« Ich versuche diese Zeilen aus dem Blickwinkel eines erwartungsvollen Zwanzigjährigen zu betrachten. Der Versuch scheitert kläglich. Schließlich wage ich den Sprung ins kalte Wasser und schicke die relativ nichts sagende SMS ab. Ich muss verrückt sein. Im nächsten Moment bereue ich es schon wieder und fahre mir mit der Hand übers Gesicht. Wahrscheinlich muss ich mir jetzt einen neuen Pizzaservice suchen, weil ich Markus nie wieder ansehen kann. Ich bringe den Rest Pizza in die Küche, werfe ihn in den Abfalleimer und stopfe den Teller und das Besteck in die Spülmaschine. Dann werfe ich den Karton zum Altpapier und setze mich zurück aufs Sofa, um mein Handy anzustarren. Eigentlich muss ich mal aufs Klo. Ich starre mein Handy ganze zwei Minuten an, bis ich mich selbst so peinlich finde, dass ich es kaum ertragen kann. Also stapfe ich ins Bad und erleichtere meine Blase. Gerade als ich mir die Hände wasche, höre ich aus dem Wohnzimmer ein durchdringendes Piepen. Mein Herz erstarrt einen Moment lang, dann fängt es doppelt so schnell zu schlagen an wie normalerweise. Ich haste ins Wohnzimmer, stoße mir mein Knie am Couchtisch und schnappe mir mein Handy. Tatsächlich…von Markus. Ich wage es kaum, die Nachricht zu öffnen… »Ich hatte nach deiner Pizza Feierabend. Und natürlich war das der richtige Karton. Hast du Samstag schon was vor?« Gleich werde ich an einem Herzinfarkt sterben. Hat er wirklich gerade gefragt, ob ich Samstag Zeit habe? Oh Gott… ja, ich benehme mich wie ein unreifer Teenager. Na und? Ich bin allein und keiner weiß davon. Meine Finger sind ein wenig fahrig, als ich die Antwort tippe. »Nein, habe ich nicht. Hast du etwa vor, deinen Samstag mit einem Pizza-Fetischisten zu verbringen?« Erst als ich es schon abgeschickt hatte, fiel mir auf, wie dämlich das war. Aber jetzt war es ohnehin schon zu spät. Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe herum. Vielleicht bin ich einer Art verspäteten Pubertät? Ich sollte über solchen Dingen stehen, mich ganz lässig verhalten. Immerhin bin ich 29. Aber nein. Es geht einfach nicht. Egal, wie sehr ich mich bemühe, nicht auf das verdammte Handy zu starren, meine Augen kleben daran. Als es wieder piept fahre ich zusammen, als hätte eine Bombe direkt neben meinem Kopf eingeschlagen. Ich greife danach und öffne die neue Nachricht. »Sonst hätte ich sicher nicht gefragt, oder? Meinst du, du könntest es Samstagabend auch ohne Pizza aushalten und stattdessen mit mir chinesisch Essen gehen?« Er ist eindeutig jünger als ich. Also wieso benimmt er sich, als wäre er viermal so erfahren und mindestens zehnmall so reif wie ich? Ich möchte sterben. Dann lese ich die SMS noch mal und beschließe, dass ich das Sterben auf nach Samstag verschieben sollte, falls das Treffen ein absoluter Reinfall wird. Ich schlucke und kaue immer noch auf meiner Unterlippe herum. Bald hab ich sicher keine Unterlippe mehr, wenn das so weiter geht. »Ich würde gern mit dir essen gehen.« Mehr fällt mir nicht ein. Aber das ist die Wahrheit. Die ganze Wahrheit wäre natürlich, dass ich gerne noch ganz andere Dinge mit ihm tun würde, aber das kann ich schlecht schreiben. Ich behalte das für mich und vielleicht, wenn das Treffen gut läuft, dann kann ich das ja noch mal zur Sprache bringen. Also schicke ich die SMS so ab, wie sie ist. Die Antwort kommt diesmal sehr viel schneller. »Dann hol ich dich Samstag um sechs ab. Ich freu mich! Bis dann!« Mein Magen ist irgendetwas zwischen einen Bienenstock und einem Ameisenhaufen. Ich starre das Display meines uralten Handys an. Er freut sich. Ja… und wie ich mich erst freue. Ich lasse alle Nachrichten in meinem Eingang, damit ich sie später noch mal lesen kann, nur um sicher zu gehen, dass das wirklich passiert ist. Vielleicht hätte ich mein Abendessen doch noch nicht wegwerfen sollen. Jetzt habe ich nämlich plötzlich wieder Hunger. Auf meine Pizza. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)