The Sound of Snow, falling von MajinMina (An einem Wintertag wie diesem...) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Inspiriert von Taku Iwasaki – Sound of Snow Falling. Original Soundtrack OVA Rurouni Kenshin: Tsuioku-Hen, Und Madonna - Frozen. Worterklärungen aus dem japanischen und Links zu den Liedern finden sich am Ende der Erzählung. *** Schnee, der zu Boden fällt. *** “You’re frozen, when your heart’s not open.” [Madonna – Frozen] *** An einem Wintertag wie diesem... “Kenshin! Was trödelst du? Komm beeil dich, es ist kalt draußen!“ Um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, wedelt Kaoru ungeduldig mit den Armen. Sie ist schon ganz am Ende der Strasse und auch wenn ich ihr Gesicht von hier aus nicht mehr genau erkennen kann, weiß ich, dass ihre Wangen von der frischen Winterluft leicht gerötet sind. „Hai, Kaoru-dono!“ Ich beschleunige meine Schritte. „Ich komme!“ Kaoru registriert meine Antwort mit einem kurzen Nicken, dreht mir dann den Rücken zu und läuft weiter. Ich stapfe hinterher. Jetzt schon dichter vor mir schlingt Kaoru fröstelnd ihre Arme um sich. Sie hat gleich das Dojo erreicht. Erneut dreht sie sich um. „Komm schon, Kenshin. Mir ist kalt.“ Mit diesen Worten öffnet sie das Tor und verschwindet im Inneren. Ohne, dass sie noch viel sagen muss, weiß ich, dass die Worte „Mir ist kalt“ eine andere Formulierung für „Heiz mir das Bad an“ sind. Keuchend und schwitzend durchquere auch ich das hölzerne Eingangstor. Mir ist überhaupt nicht kalt. Schließlich habe ich gerade die Einkäufe ihres „kleinen“ Einkaufsbummels mehrere Kilometer heimgetragen... Wenige Minuten später sind die Einkäufe verstaut, das Bad angeheizt und Kaoru genüsslich seufzend im warmen Wasser versunken. Wenn Kaoru entspannt ist, kann auch ich mich entspannen. Mit einem Seufzer meinerseits gehe ich in die Küche, brühe mir einen Tee auf und setze mich dann mit dem dampfenden Becher auf die Engawa unseres Hauses, gerade, als die ersten Schneeflocken vom sich im Abendrot färbenden Himmel zu fallen beginnen. Müßig versuche ich, eine einzelne Schneeflocke auf ihrem Weg vom Himmel herab bis zum Boden zu beobachten, doch es werden schnell immer mehr und ich verliere „meine“ Schneeflocke aus den Augen. Mehrmals versuche ich dieses Spiel und scheitere. Ehe ich meinen Tee auch nur zur Hälfte ausgetrunken habe, ist der Boden bereits von einer dünnen, weißen Schicht bedeckt. Die weiße Schneedecke wird dicker und dicker. Ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden. Ich höre und spüre kaum noch Kaorus fröhliches Pfeifen aus dem Bad und die kalten Flocken, die mir ab und an ein Windstoß ins Gesicht weht. Alle meine Sinne sind von dem klaren und unberührten Weiß eingenommen, das den kompletten Innenhof ausfüllt. Ich will aufstehen und ins Haus gehen, doch ich kann mich nicht von der Stelle rühren. Der Schnee fesselt meinen Blick - und weckt starke Erinnerungen, die ich nicht länger verdrängen kann. An einem Wintertag wie diesem... Kälte machte mir nichts mehr aus. Die fünf Jahre Training bei Meister Hiko hatten mich abgehärtet. Auch heute, wie fast jeden Tag, seit ich sein Schüler wurde, hatten wir trainiert. Und wie am Nachmittag jedes Trainings-Tages fühlten sich meine Arme und Beine plötzlich doppelt so schwer an. Doch heute ignorierte ich diesen Zustand. Mir war heiß vor Wut, weil mein Meister mir nicht zuhören wollte. Meine rote Gesichtsfarbe hatte rein gar nichts mit dem Training zu tun. „Aber Shishou! Ihr wollt mich nicht verstehen!“ Ich spürte erneut eine Welle von flammender Wut in mir aufsteigen. „Wozu soll den der Hiten-Mitsurugi-Stil gut sein, wenn nicht, um die Menschen zu beschützen?“ Als Antwort schmetterte mir mein Meister nur ein saftiges „Baka Deshi!“ ins Gesicht. „Nur ein Schwert, was frei ist von äußeren Bindungen, kann die Menschen beschützen. Das ist das erste Prinzip des Hiten Mitsurugi Ryu!“ Seine tiefe Stimme dröhnte in meinen Ohren. Wütend stampfte ich in den Schnee zu meinen Füßen. „Wie können wir dann aber zulassen, dass die Menschen um uns herum leiden? Wir müssen etwas dagegen unternehmen.“ Mit einem mulmigen Gefühl sah ich, dass die linke Augenbraue meines Meisters wieder das Zucken angefangen hatte. Ein Zeichen, dass auch er langsam die Geduld verlor. Die letzten Auseinandersetzungen dieser Art hatten für mich immer schmerzhaft geendet. Doch egal was passierte, dieses Mal hatte ich nicht vor, mich einschüchtern zu lassen. „Ich kann doch nicht länger mit euch in den Bergen sitzen und über Philosophie diskutieren, wenn ich weiß, das wenige Kilometer entfernt die Menschen leiden. Wir müssen gehen und ihnen helfen!“ „Baka,“ fuhr mir Hiko über den Mund und seine sonst so tiefe Stimme war eine beunruhigende Nuance höher als sonst. „Wenn du gehen willst, dann geh. Aber vorher musst du mich besiegen!“ Noch während er sich umdrehte, spürte ich, wie meine Hände fast von alleine meine Schwertscheide packten und nach vorne sausen ließen. Hiko hatte meine Worte nicht ernst genommen. Das würde er büßen. Ich traf meinen Shishou mit ungebremster Wucht am Kopf. Er hatte nicht mit dem Schlag gerechnet und fuhr herum. „Du hast mit voller Kraft zugeschlagen!“ stellte er entrüstet fest und hielt sich den Schädel. „Weil ihr mich nicht verstehen wollt!“ schrie ich nun. „Nein, du verstehst nicht!“ schrie Hiko zurück. Das erste Mal seit langem, dass ich ihn so schreien hörte. Das hieß, er war jetzt wirklich wütend. Und nahm mich nun hoffentlich auch ernst. Hiko funkelte mich an und begann mit schwerer Stimme, „Hiten Mitsurugi ist die mächtigste aller Schwerttechniken...“, doch ich fiel ihm gleich ins Wort. „Deswegen sollten wir sie jetzt benutzen!“ Konnte er mich denn nicht verstehen? Wozu etwas so Mächtiges erlernen, wenn man es in Zeiten der Not nicht einsetzen konnte?! „Baka Deshi!“ Hikos Tonfall bei dem schon gewohnten Schimpfwort ließ mich zurückzucken. Er klang nicht nur wütend. Er klang auch verzweifelt... fast besorgt. „Du willst dich mit deinem Schwert an dem Aufruhr beteiligen?“ herrschte er mich an. Sein Umhang flatterte hinter ihm, während er aufgeregt einige Schritte auf und ab ging. „Dann musst du dich früher oder später irgendeiner Partei anschließen. Und egal, für welche Seite du dich entscheidest – sie werden dich und deine Fähigkeiten benutzen! Dafür hab ich dir den Hiten-Mitsurugi-Stil nicht beigebracht!“ „Aber Shishou, ich...“ Das Funkeln seiner Augen war wie kleine Messerstiche und er schnitt mir mit ihnen das Wort ab. „Ich habe dir schon einmal gesagt: Hiten Mitsurugi ist die mächtigste aller Schwerttechniken. Wenn du sie in diesem Konflikt einsetzen willst, um Menschen zu beschützen, dann musst du töten. Ein anderer Weg bleibt dir nicht offen!“ Töten? Für einen kurzen Moment blinzelte ich Hiko verwirrt an. Natürlich war unsere Schwerttechnik tödlich. Und natürlich tötete man im Krieg. Aber man tat es schließlich für eine größere Sache. Wie als Bestätigung meiner Gedanken trat ich forsch einen Schritt nach vorne. Ich wusste, was töten war. Schließlich hatte ich es oft genug gesehen, wenn auch noch nie selber getan... „Das mag so sein, aber...“ begann ich erneut, aber Hikos Blick ließ die Worte in meinem Hals stecken bleiben. „Das Schwert ist eine tödliche Waffe. Die Schwertkunst ist die Kunst des Tötens.“ Hikos Stimme hallte durch die Stille des schneebedeckten Waldes und traf mich wie ein eisiger Windhauch ins Gesicht. „Allen beschönigenden Worten zum Trotz ist dies ihre wahre Bestimmung! Einige Töten um andere zu Beschützen!“ Ich sah meinen Meister tief Luft holen, als ob ihm die nächsten Worte nur schwer über die Lippen gehen würden. „Ich habe hunderte Menschen getötet, um andere zu beschützen. Auch die Banditen, die dich angegriffen haben. Ich habe sie getötet – aber trotz ihrer Taten waren es immer noch Menschen. Sie lebten nur auf die einzige Art und Weise, die sie kannten.“ Mir wurde plötzlich kalt, als ich den tiefen Ernst in den Augen meines Shishou erkannte. Es war fast so etwas wie Schmerz darin und das tat mir weh. Ich wollte meinen Meister nicht verletzen. Ich wollte immer ein Schüler sein, auf den er stolz sein konnte. Ich wollte stark sein. Aber gerade deswegen... „Wenn du diese Berge verlässt,“ sprach Hiko weiter und riss mich aus meinen Gedanken, „dann wirst du das Leben eines Mörders führen, unter der Anleitung derer, die ihre eigenen Gesetzte der Gerechtigkeit haben. Wenn du dich mit ihnen einlässt, wird dich die Mitsurugi-Technik zu einem Massenmörder machen!“ Die Stille, die nach seinen gewichtigen und so vorausahnenden Worten entstand, war schwer und drückend. Sie verlangte nach einer Entscheidung. Und ich traf sie. „Ihr mögt recht haben, Shishou,“ antwortete ich schließlich, meine Stimme war plötzlich ruhiger aber immer noch verzweifelt. Ich wollte nicht sehnlicher, als das mein Meister mich und meine Beweggründe verstand. Mich unterstützte. Mich gehen ließ – wenn es sein musste, allein. „Aber ich kann einfach nicht zusehen, wie die Menschen weiter leiden. Ich will sie mit meinen eigenen Händen beschützen. Viele Menschen, zahllose Leben will ich verteidigen.“ Meine Hand krampfte sich noch fester um mein Schwert. „Ich will der Retter der Menschen sein, die in Not sind!“ Ich wollte die Welt verändern, in dem ich mich mit meinem Schwert an einem blutigen Bürgerkrieg beteiligte. Wie naiv ich war. *** „You only see, what your eyes want to see. How can life be, what you want it to be? You’re frozen When your heart’s not open.” *** Ich ziehe meinen Gi enger um mich, denn es fröstelt mich langsam hier auf der zugigen Engawa. Als ich plötzlich eine Hand auf der Schulter spüre, zucke ich erschrocken zusammen. „Kaoru-dono...“ höre ich mich stottern, schnell ein „Oro“ hinzufügen, damit sie sich nicht beunruhigt. Sie lächelt. Ihre Haarspitzen sind noch feucht und ihre Wangen vom warmen Bad gerötet. Von ihr geht ein Duft aus wie von einem neuen Morgen. Und Kirschblüten. Sie ist so wunderschön. „Kenshin?“ fragt sie, die Hand immer noch auf meiner Schulter. Etwas in mir wünscht sich, dass diese Berührung niemals endet. „Alles in Ordnung? Du bist ja ganz in Gedanken versunken.“ Mit großen, blauen Augen blinzle ich sie an. Sie erwartet eine Antwort. Doch welche kann ich ihr geben, ohne sie zu beunruhigen? Oder ihr Angst zu machen? Soll ich ihr sagen, dass mich der reine, weiße Schnee daran erinnert, wie ich einst gewesen bin, bevor ich meine Hände das erste Mal mit dem Blut eines anderen Menschen für immer verunreinigt habe? Ich spüre, wie der Druck ihrer Hand auf meiner Schulter nachlässt. Instinktiv will ich ihr schlankes Handgelenk umfassen und die Hand zwingen, dort zu bleiben, Kaoru zwingen, neben mir zu bleiben. Doch ich bewege mich nicht und unsere Berührung löst sich auf. Kaoru lächelt nicht mehr. Sie blickt ernst. Ihre grünbraunen Augen sind so tief, so unergründlich und ich habe fast das Gefühl, dass sie durch mich hindurch in meine Seele schauen kann. Sie spürt, dass ich allein sein will. Und sie ist nicht verletzt, dass ich meine Gedanken nicht mit ihr teilen kann. Sie ahnt, dass ich dafür noch nicht bereit bin. Noch nicht... „Nimm ein Bad, Kenshin,“ lächelt sie jetzt wieder und läuft an mir vorbei zu der Tür des Schlafzimmers. „Wärm dich auf, sonst erkältest du dich noch.“ Die Sonne ist schon fast untergegangen und färbt den Schnee blutrot. Wie gerne wäre ich ihr gefolgt, doch meine Augen bleiben auf der Schneedecke kleben, die sich nun so unheilvoll verfärbt hat. Ich kann nicht wegsehen. Wie könnte ich Karou jemals erzählen, woran mich dieses Bild erinnert, weißer Schnee, rotgefärbt? An einem Wintertag wie diesem... Ich stand in einer dunklen Strasse, ihr Name vergessen und ohne Bedeutung. Ich stand einfach da und spürte nichts. Nichts, außer das Brennen an meiner linken Wange. Die Narbe war noch immer nicht verheilt. Seit mich das Schwert dieses Mannes dort gezeichnet hatte, schien es mir, als ob alles andere in meinem Körper langsam abgestorben war. Meine Gefühle, mein Schmerzempfinden, überhaupt jegliche Empfindung – alles war taub, wie unter einer dicken Schneedecke begraben. Nur dieses Brennen im Gesicht. Sie blutete schon wieder. Langsam strich ich mit meinem Handrücken darüber. Blut blieb zurück. Blut war auch auf meinem Schwert. Erst jetzt sah ich die Männer, die ich gerade getötet hatte, wirklich. Sie lagen da, vor mir, ihr Blut auf den Steinen der dunklen Gasse verteilt und ich wusste: Sie würden nie wieder aufstehen. Nie wieder lachen. Nie wieder ihre Kinder auf den Arm nehmen oder ihre Frau küssen. Irgendwo in meinem Hinterköpf hörte ich die Stimme meines Meisters. Wie genau er mit mahnendem Ton das prophezeit hatte, was eingetreten war. Oh ja, er hatte so recht gehabt. Vor über einem halben Jahr hatte ich mein Schwert den Patrioten zur Verfügung gestellt. Hatte mich zur seelenlosen Waffe gemacht. Ich war ein kleiner Junge gewesen, den niemand gekannt hatte. Jetzt war ich immer noch ein Junge, aber jeder kannte mich. Besser gesagt, jeder kannte mein Schwert und meinen Spitznamen: Hitokiri Battousai. Ein Name, der inzwischen die Männer in Angst und Schrecken versetzte. Der Name eines gnadenlosen Mörders, dem keines seiner Opfer je entkommen war. Ich jedoch fühlte nichts, wenn dieser Name gerufen wurde, voller Zorn, Angst, Trotz, Hass, Respekt, Flehen. Ich fühlte mich nur leer. Der verhasste Name eines Mörders war das einzige, hinter dem ich mich noch verstecken konnte, ohne zu zerbrechen. Um mich herum fiel leise Schnee. Ich beobachtete, wie sich die reinen Flocken mit dem Blut am Boden vermischten. „Ich möchte die Menschen beschützen... auch wenn ich dafür töten muss.“ Langsam wandte ich mich ab und ging, kaum Fußabdrücke im frischen Schnee hinterlassend, zurück zu meinem Zimmer, mein einziger Zufluchtsort. Ich wollte keine Schneeflocken mehr sehen, die sich rot färbten. Mir war kalt. Und ich lächelte fast. Es war eine Empfindung. Ich war noch nicht taub, noch nicht tot. Ich spürte noch etwas, wenn auch nur unendliche Kälte. Besser, als das Nichts, die Leere, die hinter dieser Kälte lauerte. Ich fror und genoss es, zu spüren, dass ich nicht aus Stahl bestand, wie meine Klinge. Ich hatte mich zu einer Waffe gemacht, aber noch war ich ein Mensch. Als ich die Blicke der Männer sah und spürte, während ich durch die Herberge zu meinem Zimmer lief, wurde mein Gesicht wieder zu Stein. „Du bist kein Mensch,“ sagten mir ihre angstvoll aufgerissenen oder misstrauisch verengten Augen, „du bist ein Mörder, ein Dämon.“ Und während ich die Schiebetür schloss, mich mit meinem Schwert erschöpft zu Boden fallen ließ und dasaß mit dem verzweifelten Versuch, den Schrecken der Nacht und meine eigene Schuld auszusperren, spürte ich deutlich, wie recht sie schon hatten Mit jedem Leben, dass ich auslöschte, verlor ich mehr von meiner Menschlichkeit. Und kalte Schneeflocken alleine reichten nicht aus, um mich von diesem Pfad abzulenken. Ich würde ihn gehen, bis zum Ende, denn es war mir egal, was mit mir passierte. Menschlichkeit, ein Leben? Verzichtbar, zugunsten einer neuen Zeit, in der die Menschen frei und glücklich leben konnten. Ich bekam plötzlich große Angst. Was, wenn auch das mir irgendwann egal werden würde? *** „You’re so consumed with how much you get, you waste your time with hate and regret, you’re broken when your heart’s not open." *** Es wäre mir egal geworden, dass weiß ich jetzt. Der Schnee vor mir hat sich von blutrot in schwarz gefärbt. Es ist dunkel, die Sterne zu schwach, um durch die dicke Wolkendecke zu schimmern und der Mond noch nicht aufgegangen. Wenn sie nicht gekommen wäre, dann wäre mir alles egal geworden. Ich hätte meinen Verstand an das blutrünstige Phantom Hitokiri Battousai verloren. Doch sie hat mich gerettet. Hinter mir im Zimmer höre ich Kaoru. Sie schnarcht nicht, sie atmet ruhig und friedlich und ich kann es sogar durch die geschlossene Schiebetür hören. Oder ist es die Erinnerung, die ich höre? Die ich auf meiner Haut spüre, ihren Atem? Meine Erinnerungen an eine andere Frau, meine erste Liebe, die ich nicht vergessen kann? Fast ein bisschen Schuldbewusst will ich mich von diesen Erinnerungen abwenden. Ich kann doch jetzt nicht an Tomoe denken, und gleichzeitig an Kaoru. Doch der Schnee hält mich immer noch in seinem Bann. Ich kann nun nicht mehr aufhören. Schneeflocken fallen und heben sich hell vom dunklen Nachthimmel ab. Ich glaube, ich werde nie Schnee so fallen sehen können, ohne nicht an damals zurück erinnert zu werden. An Tomoe, unsere Gefühle und ihren Tod. Damals war es wie heute gewesen, an einem Wintertag wie diesem... Die Medizin hatte sich gut verkauft. Obwohl die Bauern nicht viel bezahlen konnten. Doch da wir nicht von dem Verkauf leben mussten, konnten wir die Preise so günstig machen, dass auch die ärmste Familie sich Medizin leisten konnte. Es war jetzt Winter und viele Menschen, gerade Kinder, hatten Schnupfen oder Schlimmeres. Der Heimweg war hart. Dichter Schneefall hatte die Strasse streckenweise fast einen halben Meter hoch eingeweht. Ich stapfte voraus und ebnete Tomoe, die mir folgte, einen Weg. Schon fast ein halbes Jahr lebten wir jetzt zusammen in Otsu. Und ich konnte es immer noch nicht begreifen. Das Leben hier war so friedlich und trotzdem niemals langweilig. Es war erschreckend, wie deutlich ich jetzt erkannte, was für ein Leben ich in Kyoto geführt hatte. Ich wollte nie mehr in dieses Chaos zurück und doch wusste ich tief in mir, dass dieser Wunsch unmöglich war. „Tomoe?“ Ich drehte mich um und sah, dass sie gefallen war. Ihre Wangen waren gerötet und dicht fallender Schnee umwirbelte ihr Haar. Ihr Atem kam stoßweiße und formte silberne Wölkchen in der Abendluft und sie sah sehr erschöpft aus. Als ich sie so ansah, in dem Moment, so hilflos und zerbrechlich, da wusste ich, was Glück war: Friedlich zu leben und zu arbeiten und einen Menschen zu beschützen, den man liebt. Ich wusste nicht, ob es Liebe war, was ich empfand. Aber es war das stärkste Gefühl, zu dem ich fähig war. Es war wunderschön. In den Anfangswochen nach der Flucht aus Kyoto hatte ich mich so taub gefühlt, dass ich dachte, ich wäre nie wieder dazu fähig, Gefühle zu empfinden. Doch Tomoe mit ihrer stillen, geheimnisvollen Art hatte langsam mein Herz unter der dicken Schnee- und Eisschicht ausgegraben. Ich war überraschter als sie, dass es noch da war. Ich konnte... ich durfte sie niemals mehr verlieren. „Tomoe,“ streckte ich ihr die Hand zum Aufstehen aus. „Ich... ich werde dich beschützen.“ Ihre Augen weiteten sich, Gefühle in ihrem sonst so ausdruckslosen Gesicht (genau wie ich). Sie nahm meine Hand und ich wusste, ich will sie nie wieder loslassen. Ich würde sie für immer beschützen. Wie sehr hatte ich mich getäuscht. *** Alles um mich herum ist schwarz. Der Himmel, der Schnee, Ich. Immer ist es so, wenn ich meinen Erinnerungen auf diesem Weg folge. Alles, was dann noch bleibt, ist ein Geräusch. Ein Geräusch, das so leise ist, das man es kaum hören kann. Und doch ist es Musik, ein Lied, mit einer Melodie so traurig, dass mir fast das Herz zerspringt. Es ist das Geräusch von fallendem Schnee. Wie er leise nieder rieselt. Sanft am Boden aufsetzt und sich mit der Schneedecke verbindet. Oder auf der Wimper meines Auges hängen bleibt. Sich in einem Haar verfängt. Auf bloßer Haut in Wasser schmilzt. Es ist eine Melodie von Vergänglichkeit. Als ich sie das erste Mal gehört habe, war es an einem Wintertag wie diesem... Ich lauschte dem Klang. Die dröhnende Stille, die mich umgab, war sonst nicht zu ertragen. Schließlich spürte ich wieder etwas. Ich sah mich atmen, ich sah ihren Kopf auf meinen Beinen liegen und ich sah das Blut. So viel Blut. Ihr Blut, mein Blut, das Blut des Mannes, der sie für ihren Verrat benutzt hatte – stellvertretend für das Blut all der unschuldigen Menschen, die durch mein idealistisches Schwert gestorben waren. Jetzt hatte ich es begriffen, das, was mein Meister mir damals versucht hatte, beizubringen: Den Wert eines Lebens. Ich sah sie daliegen, ihr Körper wurde langsam kalt. Endlich kam der Schmerz zurück und ich fühlte jede Wunde an meinem geschundenen Leib. Dennoch kam ich irgendwie auf die Beine und irgendwie schaffte ich es, sie zurück zu unserem Haus zu tragen. Ich drehte mich nicht um. Ich wollte nicht sehen, wie sich der reine Schnee rot färbte. Ich lauschte nur dem Klang. Es war ihre Melodie. Sie war wie eine Schneeflocke. Eine kühle Schönheit, sanftmütig und doch stark, denn der stärkste Ast kann unter der Last einer einzelnen Flocke mehr zusammenbrechen. Sie hatte mich berührt, wir hatten uns geliebt und doch: Etwas in ihr war immer kalt gewesen, wie der Winter selbst. Ich wusste jetzt, warum. Ich hatte ihr das genommen, was ihr im Leben am wichtigsten gewesen war. Deswegen konnte ich auch nicht begreifen, warum sie ihr Leben für mich geopfert hatte. Ich hatte doch für sie sterben wollen – nicht umgekehrt. Jetzt war ich alleine, mit meinem Leben und meiner Schuld. Tomoe war für mich gestorben und ich musste weiterleben. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als neben ihr in den Schnee zu fallen und zu verbluten. Doch ich spürte jetzt auch die Verpflichtung, die sie mir durch ihren Tod auferlegt hatte. Nach dieser Zeit des Chaos, nach diesem blutigen Krieg gab es noch ein anderes Leben für mich. Ein Leben ohne das Schwert eines Mörders. Doch bis dahin... Ich lauschte ihrem Klang. Der Melodie von Vergänglichkeit und fallendem Schnee. *** “Now there's no point in placing the blame And you should know I'd suffer the same If I lose you, my heart will be broken.” *** Die Jahre, die auf Tomoes Tod gefolgt waren, sind zu dunkel, um sich daran zu erinnern und doch sind sie wie scharfgestochene Bilder in mein Gedächtnis gebrannt, auch nach zehn Jahren kein bisschen verblasst. Ich bin nach Kyoto zurückgekehrt, nicht mehr als Hitokiri sondern als mobiler Soldat, Angreifer, Leibwächter, was auch immer. Doch in meinen eigenen Augen, den meiner Mitstreiter und Gegner war ich für immer als Mörder gezeichnet. Mein Name blieb Hitokiri Battousai und ich tat nichts, um das zu ändern. Der Name war das Einzige, was mich zusammenhielt und mich weitermachen lies. Es dämmert bereits. Wie lang sitze ich hier schon? Mein Körper fühlt sich steif und kalt an. Schon lange habe ich mich nicht mehr so kalt gefühlt. Damals war es gewesen, an einem Wintertag wie diesem, an dem ich verzweifelt versucht hatte, die Kälte des Hitokiris endgültig von meinem Herzen abzuschütteln. Ich wusste, es war vorbei, als ich auf dem Schlachtfeld stand, Kälte in mir, kalte, tote Körper um mich herum. Die Luft beißend vom Rauch der Kanonen, vom Gestand des Todes unerträglich dick. Die Schreie der Sterbenden und das Klirren der Waffen war kaum mehr als ein leises Summen, die Hintergrundmelodie in dem schweren, dröhnenden Lied der Totenstille. Ich sah auf das Schwert in meiner Hand, an dem das Blut der Männer klebte, die ich in der - mir schon eine unerträgliche Ewigkeit andauernden - Schlacht getötet hatte. Ich war erschöpft. Es war Zeit geworden, Hitokiri Battousai hinter mir zu lassen. Doch schrille Schreie ließen mich aufschrecken. Anscheinend hatten sich einige der Bakufu-Truppen zu einem letzten, verzweifelten Angriff formiert. Es war noch nicht vorbei. „Wie sinnlos,“ dachte ich müde, während ich zusammen mit anderen Ishin Shishi-Kämpfern ihren Angriff abwartete. Niemand kam in meine Nähe. Ich wurde von Freund und Feind gleichermaßen gefürchtet. „Sie kämpfen bis zu ihrem Tod für irgendeine Vorstellung von Ehre. Dabei gibt es Ehre im Krieg nicht, auf keiner Seite. Sie sterben, obwohl die Schlacht schon längst entschieden ist.“ Wie Wogen an einer Brandung stürmten die Männer auf uns ein. Sie waren verzweifelt und kämpften mit allem, was sie hatten. Mit der linken Hand zog ich mein Wakizashi und schlug auf die Massen ein. In wenigen Minuten hatte ich bereits duzende Männer zu Fall gebracht. Mein Körper brannte vor Erschöpfung und auch die zahlreichen Schnitte, die ich im Laufe der Schlacht erhalten hatte, schrieen nach Verarztung. Meine Arme waren so schwer von Blut und unzähligen Leben. Jedes Gesicht sah ich vor mir, jeder Hieb schmerze, als ob ich mich selbst aufschneiden würde. Wann war es endlich vorbei? Ein weiterer Mann fiel unter meinem Schwertarm. Ein anderer wurde von meinem Wakizashi durchbohrt. Mit einer schwungvollen Drehung verloren die nächsten beiden Angreifer ihre Köpfe. Und es ging immer so weiter. Er erschien mir endlos, dieser Tanz des Todes. Endlich, erneutes Stimmengewirr. Diesmal die Schreie voller Triumph. Und gegen den heller werdenden Himmel sah ich, wie die Fahnen des Sieges gehisst wurden. Weiße Schneeflocken umwirbelten das Rot und Gold, im Hintergrund drohende, schwarze Rauchschwaden. Seufzend neigte ich meinen Kopf. Es war also endlich vorbei. Es dauerte lange, bis ich wieder aufsehen und es wirklich begreifen konnte. Nie wieder Krieg. Nie wieder Töten. Ich sah auf die Klingen in meiner Hand. Die Werkzeuge eines Mörders. Wütend stieß ich sie in den gefrorenen Boden. Ohne einen weiteren Blick ging ich davon. Meine Hand berührte meine linke Wange. Ihr Zeichen. Zeit, mein Versprechen zu erfüllen. *** “Love is a bird, she needs to fly Let all the hurt inside of you die You're frozen when your heart's not open” *** Der Schnee vor mir hat sich von einem tiefen Schwarz schon längst in ein helles Rosa gefärbt. Ich bin überrascht, dass die Schneedecke noch unberührt ist und schockiert, dass ich fast erwartet hätte, noch Überreste einer wilden Schlacht unter ihr zu entdecken. Die Vergangenheit lässt sich nur schwer abschütteln. Langsam stehe ich auf, und es tut weh. Elf Jahre waren seit der letzten Schlacht vergangen und ich bin älter. Und eine ganze Nacht im Winter draußen zu sitzen, ist sicherlich in keinem Alter besonders gesund – geschweige denn vernünftig. Ich spüre, wie meine Rückenwirbel dumpf knacken. Alles ist steif und meine Zehen wahrscheinlich gefroren. Ich fühle mich immer noch so kalt. Und nicht die geringste Freude schleicht sich in mein Herz, als ich die frische Morgensonne über die Dachspitzen klettern sehe. Sie ist warm und blendet mich fast, färbt den Schnee rosa aber ich bin immer noch kalt. So kalt wie damals. „Kenshin?“ Ohne mich umzudrehen weiß ich, dass Kaoru mit vermutlich ziemlich verschlafenem und zerknautschtem Gesicht aus dem Schlafzimmer gekommen ist. Ihr Duft weht mit der kühlen Morgenluft zu mir herüber. Ich zucke zusammen, als ich plötzlich ihre Hand auf meiner Schulter spüre. Langsam drehe ich mich um und schenke ihr ein so ehrliches Lächeln, wie ich vermag. Das Resultat muss kläglich gewesen sein, denn Kaorus Augen nehmen sofort einen Ausdruck von Besorgnis an. „Sag bloß, du hast die ganze Nacht hier draußen gesessen? Du hast ja mehr Ringe als Augen!“ Sie wirkt so entrüstet, dass ich fast lächeln muss. Ich senke den Kopf. Wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll, ist es immer besser, wenn ich mein Gesicht verstecke. „Nicht gut,“ erklingt ihre strenge Stimme. „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ Ich schlucke. Dieser Befehlston. Ich blinzle sie vorsichtig unter meinem roten Haarvorhang hindurch an. Was soll ich ihr sagen? Ich kann ihr unmöglich all das erzählen. Das, was fallender Schnee für mich bedeutet. Ich kann es nicht mit ihr teilen. Sie scheint zu spüren, dass etwas wie eine Mauer zwischen uns steht und es macht sie traurig. Es tut mir so leid. Vielleicht hab ich versagt. Vielleicht werden wir nie... Eine einsame Schneeflocke unterbricht meine Gedanken. Gebannt schaue ich zu, wie sie an mir vorbeiwirbelt und sich in Kaorus schwarzen Haar verfängt, dass ihr offen über die Schultern fließt. Wenig später kommt eine zweite Flocke geflogen und es werden schnell mehr. „Weißt du, woran mich fallender Schnee erinnert?“ spricht Kaoru plötzlich. Mein Herz wird schwer. Ich kenne nur meine eigenen Erinnerungen. Und Kaoru ist sicherlich verletzt, dass ich sie nicht mit ihr teilen will. Nach einer Minute des Schweigens antworte ich leise, „Nein.“ Ihre Hand ruht immer noch auf meiner Schulter und sie lächelt mich jetzt an. Ihre Haare sind zersaust und ihr Yukata zerknittert, aber sie ist trotzdem schöner wie die gerade aufgehende Sonne. Ich würde so gerne alles mit ihr teilen. Aber wie kann ich diese Unschuld mit meiner blutigen Vergangenheit besudeln? „Es war ein langer Trainingstag und ich hatte wirklich alles gegeben. Yahiko war auch fertig. Gerade, als wir zusammengepackt hatten, bemerkten wir, dass du noch immer im Dojo warst. Wir haben nach dir geschaut und da hast du gesessen und geschlafen! Am helllichten Tag.“ Sie kichert. Ihre Hand rutscht ein bisschen mehr auf meine Schulter. „Du warst total verwirrt, hast erzählt, du hättest von der Vergangenheit geträumt. Natürlich wollte ich dich nicht bedrängen. Ich wusste ja, was du damals...“ Sie stockt und ich schließe die Augen. Es tut so weh, zu sehen, dass ihr meine Vergangenheit Angst macht. „Ich... ich meine,“ spricht Kaoru schließlich weiter, „ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts über deine Vergangenheit außer Gerüchte. Auf dem Heimweg hast du dann so distanziert gewirkt. Als ob du gar nicht wirklich da wärst. Ich bin bei dir geblieben, während du die fallenden Kirschblüten beobachtet hast.“ Sie seufzt. Ich weiß, welcher Teil der Geschichte als nächstes kommt. „Es verging damals kein Tag in Kyoto, an dem die Kirschblüten nicht von Blut rotgefärbt waren,“ zitiert sie mich. Ich bin etwas erstaunt, dass sie diese Worte so gut behalten hat. Ich würde sie so gern vergessen. „Und dann hast du auf dem Heimweg von den Shinsengumi erzählt. Wie ihr damals gekämpft habt. Du hast sogar bedauert, dass viele von den ehrbaren Kämpfern jetzt nicht mehr Leben sind oder sie ihre Ideale verraten haben. Und dann hast du gelächelt, während die Kirschblüten von den Bäumen gefallen sind. Du hast mich gefragt, ob das nicht ein komischer Gedanke ist.“ Sie schweigt. Wartet sie, dass ich dazu jetzt etwas sage? Mehr als ein langsames Nicken bringe ich nicht zustande. Mir ist immer noch sehr kalt. Nur meine Schulter, dort, wo Kaorus Hand mich berührt, ist warm. „Du warst überrascht, dass ich dir von meiner Vergangenheit erzählt habe,“ meine ich schließlich und meine Stimme klingt rau in meinem Hals. „Wenig später hat mich die Vergangenheit ja dann auch eingeholt. Die Kirschblüten waren nur ein dunkler Vorbote.“ Beschämt drehe ich mich weg. Damals hat sie zum ersten Mal in vollem Ausmaß mein dunkles Ichs gesehen. Hitokiri Battousai, der noch immer unkontrolliert in mir schlummerte und von Saito Hajime aufgeweckt worden war. Überrascht bemerke ich, dass Kaoru den Kopf schüttelt und mich fest ansieht. Zögernd erwidere ich den Blick, schaue über meine Schulter in ihre tiefen, braungrünen Augen. „Die Kirschblüten waren kein dunkler Vorbote,“ korrigiert sie mich. „Sie waren Schicksal.“ Ihr Atem bildet kleine Wölkchen in der Morgenluft. Sie tritt ein bisschen näher an mich heran, ich kann die Wärme ihres Körpers nun auch schon an meinem Rücken spüren. *** „ Mmm-mm-mm…If I could melt your heart“ „Ich habe damals gedacht, die Welt geht unter,“ redet sie hinter mir weiter. Ihre Stimme ist brüchig. Es fällt ihr schwer, über damals zu sprechen. „Du hast zu mir Sayonara gesagt und bist gegangen und ich dachte, ich würde dich nie mehr wieder sehen. Ich hatte so Angst, wieder alleine zu sein. Aber noch mehr Angst hatte ich, dich zu verlieren. Angst, dass du dich selbst verlierst.“ Auf meinen Schultern spüre ich nun auch das Gewicht ihrer anderen Hand. Ihr warmer Atem ist nun schon ganz nah an meinem Hals. „Doch jetzt verstehe ich, dass alles Schicksal war. Wenn das damals nicht passiert wäre, wenn Shishio nicht aufgetaucht wäre und Saito, wenn du nicht fortgegangen wärst nach Kyoto...“ Ihr Kopf legt sich von hinten auf meine Schulter. Der Duft ihrer Haare, wie Kirschblüten... „...dann hättest du niemals deine Hiten Mitsurugi Technik vervollständigt.“ Ihre Stimme ist nur noch ein Flüstern. „Und du wärst auch niemals zurückgekommen und hättest gesagt: Tadaima. Ich bin zuhause.“ ***„Mmm-mm-mm...we’d never be apart“ „Kaoru,“ murmle ich und ohne, dass ich etwas tun kann, streichen meine kalten Hände über ihre seidigen Haare. Ich spüre ihre feuchten Tränen auf meiner Schulter und endlich kann ich mich umdrehen. „Weine nicht,“ sage ich leise und streichle ihr über die Wange. Sie zuckt zurück, Verwirrung in ihrem Gesicht. Sofort will ich sie loslassen, einen Schritt zurücktreten. Ich war zu fordernd, zu aufdringlich. Doch Kaoru hat schon meine Hände gefasst und reibt sie nun zwischen den Ihren. „Die sind ja eiskalt!“ stellt sie entrüstet fest und rubbelt mir die Fingerspitzen. Erst jetzt merke ich, dass sie fast taub sind und schmerzhaft prickeln. Ich lächle entschuldigend. „Es tut mir leid, Kaoru,“ suche ich nach den Worte, die ich eigentlich nicht sagen will. „Für mich ist fallender Schnee der Ausdruck von... unliebsamen Erinnerungen. Ich weiß nicht, ob ich sie mit dir teilen kann...“ „Das musst du doch gar nicht,“ lächelt sie mich an. „Deine Erinnerungen sind ein Teil von dir. Du darfst sie nicht verschließen, du musst sie ab und zu herauslassen, so wie du das heute Nacht getan hast. Es ist nur...“ Sie wird plötzlich rot und sieht nach unten. Sie drückt meine Hände. „Es ist nur, dass ich gerne alles mit dem Mann teilen würde, den ich liebe.“ Ich starre auf meine ramponierten Hände. Beobachte gebannt, wie sie sie langsam zu ihrem Mund hebt und mir die Fingerspitzen küsst. Einen Finger nach dem anderen. Es kribbelt und ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre nur, wie die Wärme langsam von mir Besitz ergreift. Wie sie langsam von den Fingerspitzen ausgehend in meinen Körper zurückfließt und mich durchströmt. „Kaoru.“ Meine Hände fahren in ihr duftendes Haar, streichen über ihren zarten Rücken und ich drücke sie fest an mich. Die Kälte verschwindet langsam. Lange stehen wir so da, eng umarmt und ich wünschte, wir könnten immer so bleiben. Noch nie habe ich mich so vollkommen gefühlt. So rein wie der erste Schnee. „Weißt du, Kenshin,“ flüstert sie in meine Schulter, „auf jeden Winter folgt stets ein Frühling. Das darf man nie vergessen.“ Ihr Körper schmiegt sich an den meinen. Sie will mich nicht nur umarmen, das spüre ich. Sie will alles mit mir teilen. Ihre Gedanken, ihr Leben, ihren Körper. Mit meiner Hand streiche ich über die weiche Haut an ihrem Hals und hebe sachte ihr Kinn ein Stückchen an. Unsere Lippen berühren sich, als ob sie seit dem Tag unserer Geburt darauf gewartet hätten. Ich fühle mich leer und gleichzeitig so voll. Leer von vergangenen Sorgen, Ängsten, Schuldgefühlen – voll von Hoffnung, Plänen, Frieden. Die Kälte des fallenden Schnees hat in meinem Herzen jetzt keinen Platz mehr. Unsere Küsse werden wärmer, verlangender. Ohne, dass ich etwas dagegen tun kann, schiebe ich sie langsam zurück in Richtung Schlafzimmer, ja fast schon fordernd ziehen meine Küsse sie dorthin. Und sie folgt. ***„Mmm-mm-mm…Give yourself to me“ Während sie mich auf den Futon niederdrückt fasse ich ihre warmen Hände, die über meinen Oberkörper gleiten. Fragend hält sie inne. Ernst blicke ich sie an. „Ich weiß nicht, ob ich jemals alles mit dir teilen kann. Manche Erinnerungen...“ Sie drückt mir lächelnd ihren Finger auf die Lippen. „Sieht der fallende Schnee nicht manchmal aus wie fallende Kirschblüten?“ Dann küsst sie mich erneut und meine Widerstände brechen. Mit einer plötzlichen, unendlichen Sicherheit weiß ich, dass sie es ist, die meine Kälte in Wärme verwandeln kann. Meine dunklen Erinnerungen annimmt und durch neue, lichte Erinnerungen ersetzt. Durch sie kann ich zu dem Menschen werden, der ich immer sein wollte und niemals mehr wird die Kälte eines Attentäters Platz in meinem Herzen haben. In meinem neuen Leben kann ich alles mit ihr teilen. Wir teilen uns, schenken uns uns gegenseitig, öffnen unser Inneres und blicken in unsere Seelen. Wir lieben uns. “You are the key.“ *** An einem Wintertag wie diesem, war es das erste Mal, dass Kenshin Himura lächelte, als er die Melodie hörte von Schnee, der zu Boden fällt. *** Warum Schnee mitten im Sommer? Nun, die Idee dafür ist mir schon im Februar gekommen, und ich hab bis jetzt gebraucht, um die Geschichte zu vollenden. Die Stimmung passt jetzt natürlich nicht mehr so. Aber ihr könnt sie euch ja nochmal im Dezember durchlesen *g* Kommentare? Nur her damit! Wer die Melodie aus dem OVA auch hören möchte: http://www.youtube.com/watch?v=WW_BhOdEsG8 aber ich warne vor: es ist die Szene aus dem Film (Directors Cut, englische synchro), in der die Melodie gespielt wird. Es ist eine der schönsten Szenen, wer sich also nichts vorweg nehmen möchte, der sollte vorher die anderen Teile anschauen (auch dort zu finden). Man kann sich auch den ganzen Soundtrack von Taku Iwasaki bei the-oro.com gratis runterladen ^^ Zu Frozen von Madonna gibt es auch ein wunderschönes Musikvideo von Kenshin: http://www.youtube.com/watch?v=RHN7GCrYT_s Japanische Wörter: Engawa - traditionelle, hölzerne Veranda an japanischen Häusern, dem Innenhof geöffnet. Hiten Mitsurugi Ryu – Kenshins und Hikos Schwertkampftechnik. Baka Deshi – Dummer Schüler. Hikos Spitznahme für Kenshin. Shishou – Altertümliche, ehrvolle Anrede Kenshins für seinen Meister. Hitokiri – Attentäter, Killer Bakufu – die Militärregierung, die Japan zu dieser Zeit des Bürgerkriegs noch regierte, aber dann von den Patrioten (zu denen Kenshin gehörte) gestürzt wurde. Tadaima – Ich bin zuhause (Antwort auf Okaeri: Willkommen zu Hause) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)