90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 37: XXXVII. Wenn alles so zerbrechlich ist -------------------------------------------------- Die Party ist so ausgelassen, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie haben einen Berliner Szeneclub erobert und lassen es so richtig krachen. Das Gewimmel ist groß und der Jubel auch. Gut, erobert trifft es nicht ganz. Schaffhausen hat den Club reservieren lassen, denn eine Feier haben sie sich so oder so verdient. Denn mit dem DFB-Pokalfinale hat doch niemand gerechnet. Fast niemand. Nur die Mannschaft, denn die hat an sich geglaubt. Raphael schafft es nicht einmal, mehr als zwei Sekunden Blickkontakt mit Julian zu halten. Immer kommt irgendwer oder irgendetwas dazwischen. Jetzt ist es Paolo, der sich natürlich dieses Spektakel nicht hat entgehen lassen und ganz selbstverständlich mit nach Berlin gefahren ist. Irgendwie gehört er ja doch noch dazu. Und gerade dieser Paolo ist es, der Raphael am Arm packt und mit auf die Tanzfläche zerrt. Mitten in das Dortmunder Chaos hinein. Raphael muss lachen. Es geht gar nicht anders. Und dann ergreift Paolo seine Hände. „Weißte noch beim Aufstieg?“, fragt der Italiener mit funkelnden Augen und Raphael kann gar nicht anders als nicken. Klar weiß er das noch. Ihr heftiger Tanz in der Kabine, der alle mitgerissen und unterhalten hat. Und der ihm ein solch heftiges Herzklopfen beschert hat, das nur Julian hinterher übertreffen konnte. „Na, dann los!“ Und damit spürt er Paolos Hand auf seinem Rücken und auffordernd wird er vorwärts gedrückt. Na, warum auch nicht? Und lachend gibt er sich dem Tanz hin, auch wenn der nach kurzer Zeit in verrücktes Rumgehopse ausartet. Die Hitze in dem Raum, die ständige Bewegung, der Krach – all das benebelt ihn und lässt seine Sinne durcheinander gehen. Es dreht sich alles, aber dennoch ist das ein gutes Gefühl. Ein angenehmer Schwindel, keiner, bei dem einem schlecht wird. Er lacht. Irgendwie die ganze Zeit über, auch wenn seine Wangen langsam weh tun. Er presst sich an Paolo, genießt dessen Nähe und Hitze, lässt sich treiben, lässt sich fallen. Auch, damit dieses Gefühl in seinem Bauch verschwindet. Damit er für einen Augenblick diese schreckliche Hoffnung vergisst. Weil er weiß, dass auch die Tatsache, dass er diese drei Worte endlich ausgesprochen hat, vielleicht nichts ändern wird. Weil auch sie die Vergangenheit und all die Dinge, die zwischen Julian und ihm vorgefallen sind, nicht ausradieren und wegwischen können. Weil sie unbedeutend sein können, wenn Julian längst jemand anderes hat. Weil sie einfach nur flüchtig sein können. So leicht und schnell vergangen wie ein Windhauch. Aber jetzt sind die Gedanken doch da und irgendwie verliert er die Leichtigkeit. Sachte macht er sich aus Paolos Griff frei und kämpft sich durch zur Bar. Einen Doppelten später fühlt er sich kein bisschen besser. Im Gegenteil. Sein Kopf dreht sich noch mehr und das fühlt sich jetzt nicht mehr gut an. „Alles klar?“ Paolo sieht ihn besorgt an. „Mhm... Klar. Wir haben den Pokal gewonnen, natürlich ist alles klar!“ Raphael zwingt sich zum Lächeln, doch das Lachen erreicht seine Augen nicht. „Lüg mich nicht an.“ Der Italiener runzelt ärgerlich die Stirn. „Was ist los?“ „Ich... hab nur drüber nachgedacht, dass manchmal solche Worte wie... ichliebedich keine Bedeutung mehr haben, weil man sie zu spät sagt.“ Raphael hält sich an dem Bier fest, das ihm der Barkeeper unaufgefordert hingestellt hat. „Wie kommst du denn auf einmal darauf?“ Jetzt ist Paolo verwirrt. „Weil ich’s Julian beim Spiel gesagt hab. Nach seinem Tor.“ „Wow.“ Paolo bringt sonst kein Wort mehr raus. Er ist einfach sprachlos. Absolut sprachlos. „Du hast es ihm echt gesagt? Jetzt, ohne Scheiß? Das ist...“ „Ja, ja, schon klar.“ Raphael verdreht die Augen. „Ist nur die Frage, ob das irgendetwas ändert.“ Paolo seufzt leise und drückt den Dortmunder dann an sich. „Komm, wir feiern. Den Sieg, dass ihr international spielt und dass du diese Worte endlich mal gesagt hast. Denn ganz egal, was er sagt – du bist über deinen Schatten gesprungen und das ist eine Feier wert. Also beweg dich.“ Raphael kann nur noch einen tiefen Schluck von seinem Bier nehmen, dann wird er von Paolo auch schon wieder auf die Tanzfläche gezogen. Und diesmal folgt er ihm entspannter, viel relaxter. Warum nicht? Warum nicht feiern? Denn irgendwie hat Paolo doch Recht. Doch irgendwann geht auch diese Feier vorbei und ein müder Haufen Dortmunder Spieler schleppt sich in den Mannschaftsbus, um ins Hotel zu fahren. Schaffhausen und Knie haben entschieden, dass das Beste ist. Klar, sie hätten in Dortmund feiern können, aber es sind doch eh sämtliche Spieler mitgefahren, weil es keiner von ihnen ertragen hätte, dieses Spiel zu Hause am Fernseher sehen zu müssen. Selbst die Verletzten wie Kopp und all die anderen, die nicht im Kader standen, sind hier. Und entsprechend voll ist der Mannschaftsbus, der sie jetzt ins Hotel karrt. Raphael hat gar nicht richtig mitbekommen, dass er praktisch neben Julian sitzt. Nur der Gang ist zwischen ihnen. Doch jetzt sieht er ihn. Er schenkt dem Mittelfeldspieler einen langen Seitenblick. Die blonden Strähnen hängen ihm wirr ins Gesicht und er sieht müde aus. Müde, aber auch ein wenig aufgekratzt. Dann dreht er den Kopf zur Seite und blickt ihn an. Blickt ihn einfach nur aus diesen unglaublich grünen Augen mit den goldenen Punkten an und raubt ihm damit den Atem. Er kann nicht anders, ist vollkommen von diesem Blick gefangen und bekommt nichts anderes mehr mit. Dann spürt er sachte eine Berührung an seinen Fingerspitzen. An der Hand, die er einfach so über die Armlehne hat baumeln lassen, Richtung Gang. Und sein Herzschlag setzt für einen Augenblick aus. Nur, um einen Sekundenbruchteil später loszugaloppieren wie ein durchgehendes Pferd. Zögernd schließt er seine Hand um Julians, verflechtet ihre Finger miteinander. Julian sieht ihn noch immer ruhig an, dann schließt er einfach die Augen. Er sagt nichts. Gar nichts. Aber das muss er auch nicht. Diese zaghafte Geste, dieses stille Händchenhalten, hier, mitten im Bus, quer über den Gang, das ist schon viel mehr, als sich Raphael überhaupt erhofft hatte. Er verspürt sogar ein kleines bisschen Glück. Ja, es ist tatsächlich ein Glücksgefühl da. Fein und ganz zerbrechlich. Aber es ist da. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)