90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 35: XXXV. Wenn Fußballwunder möglich scheinen ----------------------------------------------------- So langsam wird es in der Liga eng. Nur noch vier Spiele sind es da. Und das DFB-Pokalfinale. In der Bundesliga müssen die Dortmunder alles geben, um noch weiter im Rennen um den Verbleib in der Liga mitzumischen. Und das wollen sie auch. Das wollen sie so verdammt! Gegen die Frankfurter Eintracht holen sie wichtige drei Punkte, aber gegen die Münchener Löwen gelingt ihnen nur ein mageres 1:1. Nur ein Punkt. Diese Woche Dienstag geht es im DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen. Die Bremer Amateure haben sie ja schon geschlagen, aber jetzt warten die Profis auf sie. Und nicht nur die Profis, sondern auch Raphaels altes Team. Und das ist jedes Mal ein seltsames Gefühl, auch wenn es ihn nicht so mitnimmt wie der Gedanke gegen den FC zu spielen. Im Rückspiel ging es ja. Er ist eingewechselt worden, hat gut gespielt und ist nett begrüßt worden. Die Jungs dort sind ja auch klasse. Aber sie sind eben keine Dortmunder. Das Berliner Olympiastadion fühlt sich an diesem Abend vollkommen anders an als bei den Spielen gegen die Hertha. Etwas Magisches, etwas Umwerfendes, Überwältigendes liegt in der Luft, das einem beinahe den Atem raubt. Die Kulisse ist großartig – die Fans hauen sie nahezu mit ihren jubelnden Rufen um. Und Raphael ist froh, dass er auf dem Gang freundlich von seinen ehemaligen Kameraden begrüßt wird. „Schön zu sehen, dass es dir gut geht“, sagt Per grinsend. Der lange Abwehrrecke ist einer der wenigen gewesen, die Raphael in der Zeit in Bremen an sich herangelassen hat – und die kapiert haben, dass es ihm nicht gut geht. „Bin halt zu Hause.“ Er lächelt und drückt den Bremer kurz an sich. Gleich, auf dem Platz werden sie Gegner sein. Ja, aber abseits des Platzes könnte sich da doch eine Freundschaft anbahnen. Mal abwarten. Jetzt zählt nur noch dieses Spiel. Das Finale des DFB-Pokals. Die Bremer machen bereits in den ersten Minuten deutlich, dass auch sie zurecht in diesem Finale angekommen sind. Immerhin haben sie im Halbfinale den amtierenden Meister Bayern München geschlagen – den Verein, der auch dieses Jahr wieder das Maß aller Dinge ist, auch wenn die Meisterschaft noch relativ offen ist. Je nachdem, wie die nächsten zwei Spieltage ausgehen, kann Leverkusen immer noch Meister werden. Die Bayern stehen aber dafür im Finale der Champions League. Der erste Sturmlauf der Bremer kann erst im Dortmunder Strafraum gestoppt werden. Gut, aber das heißt, dass sie alle wach sind. Dass sie alle so aufmerksam sind, wie noch nie zuvor. Verdammt, sie stehen im Finale! Und sie können das Ding hier gewinnen! Sie können das totale Fußballwunder schaffen. Alles ist möglich! Und dieser Gedanke sorgt dafür, dass die Dortmunder mit Elan und Ehrgeiz in diese Partie gehen. Doch darüber lassen sie nicht die Spielfreude in Vergessenheit geraten, ist es doch diese, die sie in dieser Rückrunde immer wieder auf die Beine gebracht und im Spiel gehalten hat. Endlich ist es so weit. Die erste richtig gute Chance für die Dortmunder nach einem tollen Solo von Gabriel im Mittelfeld und einer nahezu perfekten Flanke von Julian. Leider semmelt Augustin den Ball jedoch nur an die Latte, doch damit sind auch die Bremer wach und der offene Schlagabtausch beginnt. Es ist wie bei dem Spiel gegen Leverkusen. Extrem hohes Tempo und ein Spiel auf beide Tore. So ein Spiel, wie es sich jeder Fußballfan wünscht. Ein gutes Spiel. Eines von den richtig, richtig guten. Aber auch eins von diesen Spielen, die für die Spieler unheimlich an die Substanz gehen und ihnen alles abfordern. Raphael weiß das und doch wünscht er sich gerade einfach nichts weiter als dieses verdammte Tor. Dieses eine Tor, das ihnen Oberwasser geben und dafür sorgen kann, dass sie nicht mehr wie blöde nach vorne stürmen müssen, sondern die Sache etwas gelassener angehen können. Denn die Saison war hart und anstrengend und sie werden dieses hohe Tempo auf Dauer nicht gehen können. Bremen wahrscheinlich auch nicht, aber vielleicht hat Werder genügend Reserven, um den Druck genau das Quäntchen länger aufrecht zu erhalten, sodass der FC auf einmal hinten liegt. Und das will Raphael nicht. Der Ball landet bei ihm und er geht nach vorne. Von ihrer Strafraumgrenze an. Er weiß eigentlich gar nicht so genau, was er sich dabei denkt. Eigentlich gar nichts, wenn er ehrlich zu sich selbst ist. Er hat einfach den Ball und geht nach vorne. Weil er eine Vorstellung davon hat, wie dieser Spielzug jetzt aussehen soll. Er läuft einfach. Den Ball am Fuß und lässt seine Bremer Gegenspieler stehen. Er spielt auf einmal wie losgelöst. Als wenn er noch nie etwas anderes getan hätte. Der Flow hat ihn einfach. Das, was Motorradfahrer so begeistert, dieses Gefühl, eins mit der Maschine zu sein. Er ist eins mit dem Ball. Er liefert gerade das Spiel ab, für das ihn Werder ursprünglich gekauft hat. Er zeigt auf einmal das, was er wirklich kann. Sein Solo findet nicht den Abschluss in dem Torschuss, den alle irgendwie erwartet haben. Nein, er legt den Ball quer, überrascht damit sämtliche seiner Gegenspiel und Gabriel, der tapfer mitgelaufen ist, jagt die Kugel unhaltbar ins Netz. 1:0! Doch die Bremer geben nicht auf. Sie haben tolle Spieler und die zeigen heute auch ihre ganze Klasse. Es ist so, als wenn sie alle einen dieser wenigen Tage erwischt haben, wo man alles Können abrufen kann. Die Partie läuft auf höchstem Niveau und Bundestrainer Jogi Löw sowie die ganze Fußballprominenz können sich über eine großartige Darbietung freuen. Zwar steht es zur Halbzeitpause immer noch unverändert, aber Werder brennt auf ein Tor. Das ist nicht zu übersehen. Deswegen fühlen sich die Dortmunder auch nicht in Sicherheit, als sie wieder auf den Platz kommen. Sie wissen ganz genau, dass die Sache hier noch nicht durch ist. Längst noch nicht. Und so ist es auch. Es sind gerade einmal fünf Minuten in Halbzeit zwei gespielt, da kickt Diego den Ball ins Tor. Mit Respekt für den Gegner muss man einfach sagen, dass das ein Traumtor ist. Ein absolut genial verlängerter Freistoß von Frings. Und damit ist die Partie wieder offen. Der Schlagabtausch geht weiter. Mit offenem Visier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)