90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 34: XXXIV. Wenn man ins Licht läuft ------------------------------------------- Jetzt steht das Liga-Spiel gegen den 1. FC Köln an. Raphael kann es noch immer nicht so recht glauben, dass er jetzt in der Startformation steht und genauso wie die anderen Dortmunder in einem knallroten Trikot in ihr Stadion einläuft. Nie im Leben hätte er geglaubt, dass das nach seinem Outing möglich sein würde. Niemals. Und besonders nicht, dass das ganze Team den Schulterschluss schafft und sie komplett zusammenstehen. Sie alle. Exakt diesen Zusammenhalt wollen sie heute nach außen demonstrieren. Es geht um wichtige Punkte im Klassenerhalt. Klar, das sowieso. Aber es geht auch um mehr. Es geht um das Team. Es geht um den FC. Und darum, Vertrauen zu bestärken und zu bekräftigen. Es ist keine Ablehnung von Seiten seiner Mitspieler zu spüren. Er wird nicht nur in das Spiel eingebunden, nein, Alejandro hat jetzt ganz offiziell seinen Platz in der Mitte aufgegeben und ist auf die Außen gegangen, damit Raphael Raum hat, das Spiel aufzubauen. Und das ist es, was dafür sorgt, dass er die ersten Minuten wirklich mit Gänsehaut spielt und sich ganz zittrig fühlt. Sein erster Pass ist daher etwas unsicher, aber dennoch kommt er problemlos bei Gabriel an, der sofort nach vorne stürmt. Der Brasilianer ist heiß auf das Spiel. So heiß wie sie alle. Sie wollen schließlich in der Ersten Bundesliga bleiben. Gabriel tanzt die Kölner richtig aus, Raphael brüllt Anweisungen, sieht, wie Julian mit nach vorne sprintet, wie der Killer mitkommt, wie auch Puck die Mittellinie überschreitet, was dieser eigentlich nur äußerst selten tut. Noch einmal der Rückpass zu dem Spielmacher, Raphael legt den Ball Puck auf und der setzt eine wunderschöne Flanke auf Augustin. Der trifft zwar nicht, aber der Ball ist nach dem Rettungsschlag von Mohamad noch heiß. Alejandro kriegt die Kugel und schickt sie zu Raphael hinüber. Diesmal macht der Mittelfeldspieler die Flanke selbst. Wie gemalt und perfekt inszeniert senkt sich das Leder auf den Kopf von Adrian. Und der legt den Ball wunderschön ins Netz. Raphael strahlt. Solch einen Auftakt wollten sie doch! Im nächsten Augenblick wird ihm die Luft aus den Lungen gepresst, weil Augustin und Adrian ihn gleichzeitig unglaublich heftig drücken. Verdammt, diese Kerle meinen das echt ernst! Keine Berührungsängste, nichts. Er kann nicht anders, wuschelt den beiden durch die Haare und liebkost die anderen Gratulanten, die ihn als den Urheber des Tors und dieses Auftaktes ausmachen. Er kann es noch gar nicht wirklich glauben. Schwul sein und Fußball spielen – das geht eben doch. Wenn man in solch einer genialen Mannschaft spielt. Danach platzt der Knoten bei den Dortmundern endgültig. Sie spielen so, als wenn es keinen Halten gibt. Es steht unglaublich schnell 2:0 und 3:0. Auch nach der Halbzeitpause ändert sich an ihrem Spiel nichts. Die Kölner leisten praktisch keine Gegenwehr mehr und somit geht der Dortmunder Torreigen weiter. Da am Ende praktisch jedes Tor den Unterschied zwischen Abstieg und Verbleib in der Liga ausmachen kann, nehmen sie diese Chancen gerne wahr. Raphael hält die Fäden weiter zusammen und genießt es, das Spiel so perfekt aufziehen zu können, wie es sonst bei den Gegenspielern nie möglich ist. Er schickt Julian, Gabriel, Adrian und den eingewechselten Max ständig nach vorne. Und sie machen die Tore. Am Ende steht es 7:0 für die Dortmunder. Der höchste Erfolg in der Vereinsgeschichte und der höchste Erfolg in der Ersten Bundesliga. Einfach Wahnsinn! Entsprechend feiern sie. Kräftig und ausgiebig, diesmal jedoch etwas zurückhaltender mit dem Alkohol, weil Knie nach dem Einzug ins Halbfinale wenig angetan von seinen müden und verkaterten Spielern gewesen war. Irgendwann verzieht sich Raphael aus dem Lokal und tritt auf den Balkon, um dort etwas frische Luft zu schnappen. „Hey...“ Alejandro folgt ihm und lehnt sich schließlich neben ihm an das Geländer. „Hey.“ Raphael lächelt den Kapitän an. „Gutes Spiel, was?“ „Gut?“ Der Spanier lacht. „Das war genial.“ „Und wie...“ Raphael grinst, aber wird dann ernst. „Aber deswegen bist du nicht rausgekommen, oder?“ „Nein... Deswegen nicht.“ Alejandro fährt sich durch die Haare und blickt hinunter auf den Biergarten, der heute an diesem lauen Abend gut besucht ist. Musik schallt von unten empor. „Ich wollte dir etwas erzählen... Weißt du, mich hat der Zwischenfall mit Reine nicht besonders überrascht und ich denke, ich sollte dir das erklären.“ „Da bin ich ja mal gespannt.“ Raphael dreht sich jetzt etwas mehr zur Seite, um den Dortmunder Kapitän besser ansehen zu können. „Weißt du... Als Julian zu uns gekommen ist, da war da was zwischen euch. Euer Zusammenspiel ist von Beginn an einfach fantastisch gewesen. So wie bei Poldi und Schweini bei der WM 2006. Ihr ward genauso. Ganz genauso. Nur mit dem Unterschied, dass zwischen euch die Funken nur so flogen.“ Ein leises Lachen kommt über Alejandros Lippen und er nimmt einen Zug aus seinem mitgebrachten Bierglas. „Echt, ihr hättet den Platz manchmal in Flammen setzen können. Umso erstaunlicher ist, dass das sonst wohl keiner bemerkt hat. Na ja... Aber mein Sohn... Er ist jetzt 15 und hat festgestellt, dass er schwul ist... Deswegen fiel es mir auf. Man sieht die Dinge einfach anders.“ Raphael staunt nicht schlecht. Damit hat er wirklich nicht gerechnet. Alejendro hat es wirklich bemerkt? Es mitbekommen? „Na ja... und irgendwann waren bei euch nicht nur Funken, sondern da hab ich sehen können, dass da weitaus mehr war.“ Der Kapitän lächelt leicht. „Ehrlich, ihr ward richtig süß.“ „Na danke.“ Raphael schüttelt den Kopf. Er staunt noch immer. „Dein Wechsel hat uns alle aus heiterem Himmel erwischt. So richtig, richtig übel. Eine eiskalte Dusche wäre angenehmer gewesen, das kannst du mir glauben. Wir waren alle schockiert, aber mit Julian, da war noch etwas anderes. Ich hätte gedacht, dass ihr das irgendwie hinbekommt, so viel Liebe wie immer in euren Blicken war, aber ich hab mich wohl getäuscht... Julian hatte eine beschissene Zeit. Eine richtig beschissene Zeit. Ich hab ihn so oft abends irgendwo eingesammelt und dafür gesorgt, dass er nicht noch auf einer Parkbank pennt. Ich glaub, seither rührt er Alkohol nur noch sehr dosiert an. Aber er hat das Ganze wohl nicht anders verkraften können. Auf dem Platz war er wie ausgewechselt und es hat Monate gedauert, bis er endlich wieder derselbe war. Und dann bist du zurückgekommen...“ Raphael schweigt. Er weiß nicht, was er zu diesen Eröffnungen sagen soll. Er hatte keine Ahnung. Die Dortmunder haben die letzte Saison alle nicht besonders gut gespielt, daher ist es ihm nicht aufgefallen. Aber vielleicht hat er es auch einfach nicht sehen wollen. „Ich hab im Moment keine Ahnung, wie es in ihm aussieht, aber so wie ich das sehe, ist es für euch beide nicht gerade leicht. Und du liebst ihn noch.“ Der letzte Satz ist eine solch simple Feststellung, die dazu führt, dass Raphael einfach gedankenlos nickt. Alejandros Lächeln wird noch wärmer. „Ich hoffe, dass ihr das wieder hinbekommt. Wirklich.“ Ein tiefer Seufzer entweicht Raphael. „Das ist deutlich einfacher gesagt als getan.“ „Weißt du... Wenn mich mein Gefühl nicht vollkommen trügt, dann stehen deine Chancen gar nicht so schlecht.“ Der Spanier tippt sich an die Nasenspitze und zwinkert Raphael zu. So, wie er es tut, wenn er bei einem Freistoß eine geniale Idee hat und auf Risiko setzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)