90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 24: XXIV. Wenn der Frust so nahe ist -------------------------------------------- Irgendwie hat er sein sportliches Gleichgewicht wiedergefunden. Das nächste DFB-Pokalspiel steht vor der Tür und die letzten zwei Bundesligaspiele gegen Cottbus und Wolfsburg sind ordentlich gewesen. Und so langsam geht es auch darum, wieder einen Stammplatz in der Mannschaft zu haben. Bisher spielt er nur von Beginn an, wenn einer der Stammspieler im Mittelfeld verletzt oder gesperrt ist, besonders Christian. Klar, es fällt ihm schwer, gegen Chris um den Platz zu kämpfen, aber er will spielen. Dafür ist er doch hier. Und er will eben kein Joker sein. Er ist kein geborener Joker, der ein Spiel rumreißt, wenn er eingewechselt wird, sondern er ist jemand, der ein Spiel von Beginn an aufbauen will und muss. Entsprechend gibt er im Training alles. Er hängt sich rein und kämpft wie er nur kann. Paolo wohnt noch immer bei ihm. Auch, wenn er jetzt schon seit fast einem Monat nicht mehr in Italien war. Knie hat kein Problem damit, dass der Italiener bei ihnen mittrainiert, und Schaffhausen hat auch schon angedeutet, dass er nichts dagegen hätte, wenn der bei den Fans äußerst beliebte Feuerfisch in sein altes Team zurückkehrt. Noch ziert sich dieser jedoch und Raphael weiß, dass dieser auf das Angebot aus Köln hofft. Paolo mag den FC zwar und weiß, was er diesem zu verdanken hat, aber das hier reicht ihm nicht. Vielleicht irgendwann, um die Karriere ausklingen zu lassen, aber jetzt sucht er die Herausforderung. Und das kann Raphael auch verstehen. Ihm selbst ging es ja nicht anders, aber er weiß jetzt, was ihm wichtiger ist. Viel, viel wichtiger. Die anderen haben Paolo mit Begeisterung in ihrer Runde willkommen geheißen. Alejandro, Augustin und er haben sich als nahezu unzertrennlich erwiesen und Raphael kann nicht anders, als den dreien mit Spaß zuzusehen. Ja, schön wäre es, wenn Paolo hier spielen würde... „Träumst du?“ Julian steht auf einmal neben ihm und seine Augen folgen Raphaels Blick. „Wieso?“ Er wendet den Kopf und sieht den blonden Mittelfeldspieler an. Seine Haare sind noch länger geworden und haben sich teilweise aus dem Stirnband gelöst, das er immer zum Training trägt. Am liebsten würde er ihm einfach durch die Haare fahren, doch stattdessen spielt er nur mit dem Saum seines Shirts. „Weil du die ganze Zeit hinüber siehst. Du magst ihn, was?“ Raphaels Augenbraue wandert nach oben. „Er ist einer meiner engsten Freunde. Natürlich mag ich ihn. Es wäre seltsam, wenn das nicht so wäre, oder?“ „Vermutlich.“ Julian hebt die Schultern. Eine Weile schweigt er und gemeinsam sehen sie dem Trio zu, wie es sich die Bälle zuspielt und das Ganze in wildes Herumgealber ausartet, bei dem selbst Alejandro mit vollem Einsatz dabei ist. Raphael muss leise lachen, als er das sieht. Er hört erst auf, als ihm Julians Blick bewusst wird. „Was ist mit deiner... Freundin?“ Raphael hebt die Schultern. „Hat die Tage einen Arzttermin und da bin ich dabei. Mal sehen, was das gibt.“ Sein Blick wandert ins Leere, hat Julian doch den wunden Punkt getroffen, der ihm noch immer kräftig zu schaffen macht. „Mhm...“ Langsam wendet Raphael den Kopf und ringt sich ein schwaches Lächeln ab. „Weißt du, manchmal müssen offenbar Dinge passieren, die einen so richtig aus der Bahn werfen, ehe man kapiert, was man eigentlich alles wirklich falsch gemacht hat.“ „Hey, ihr sollt nicht quatschten, sondern trainieren!“, brüllt Rudolf sie in dem Moment an und kickt demonstrativ einen Ball zu ihnen hinüber. So hat Raphael keine Chance, irgendeine Reaktion von Julian zu bekommen und vielleicht zu sehen, ob dieser verstanden hat, was er ihm zu sagen versuchte. Es ist das Spiel des Abschlusstrainings vor dem DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Bayer Leverkusen. Es geht dabei für das Team um viel. Um sehr viel. Knie will sicher sein, die beste Mannschaft auf dem Platz zu haben, die sie im Moment besitzen. Das ist klar. Alle liefern sie sich einen verbissenen Kampf, allerdings vergessen sie dabei auch nie, dass sie ein Team sind. Das haben sie noch nie. Chris spielt Raphael gegenüber in der Stammelf auf genau der Position, die die Nummer zwölf sonst einnehmen würde. Es ist klar, wenn er um einen Platz kämpft, dann gegen Chris. Gabriel wird er nicht das Wasser reichen können, denn sobald dieser die Sache mit Kondition und dosiertem Ehrgeiz raushat, dann wird der Brasilianer ein toller Motor im Mittelfeld sein. Das ist Raphael klar. Julian spielt anders als er, offensiver und mehr darauf ausgelegt, die Bälle nach vorne zu bringen, und nicht, die Fäden alle zusammenzuhalten, sowohl nach vorne als auch nach hinten zu organisieren. Alejandro könnte er angreifen, aber der Kapitän, der ist unantastbar. Das weiß er sehr genau. Also muss er sich mit Chris messen – und das heißt, dass er heute ein gutes Trainingsspiel gegen Gabriel hinlegen muss, der die linke Seite besetzt. Raphael als rechter Spieler steht ihm gegenüber. Das Brasilianer grinst ihm fröhlich zu und erinnert ihn damit daran, dass er trotz allem nie vergessen sollte, auch Spaß am Spiel zu haben. In den letzten Bundesligaspielen hat er sich für die Stammelf empfohlen, doch nichtsdestotrotz gibt Knie Chris immer noch den Vorzug. So ganz weiß er nicht warum, wird er doch in der Regel nach 60 Minuten für Chris eingewechselt – manchmal auch für Gabriel – und dennoch... Anpfiff und das Testspiel geht los. Sie kennen sich alle und entsprechend ist das Spiel eben nicht einfach. Klar, sie wissen, wie sich ihre Gegner bewegen und welche Tricks sie drauf haben, aber diese wissen wiederum genau alle Details über sie. Und das macht das Spiel wirklich schwierig. Und mit Gabriel hat Raphael einen Gegenspieler, der ihm das Leben schwer macht. Der Brasilianer spielt den Ball nicht, sondern tanzt mit ihm – und auch mit Raphael. Er will gar nicht wissen, wie oft er sich in den Zweikämpfen wie ein totaler Idiot vorkommt oder sich einfach auf dem Rasen wiederfindet, weil seine Beine diese schnellen Spielbewegungen gar nicht mitmachen können. Aber er gibt nicht auf. Das kann er gar nicht. Und immerhin gelingt es ihm, Gabriel einige Male vom Flanken abzuhalten und ihm den Ball abzujagen. Und darauf kann er schon stolz sein, treibt der junge Brasilianer doch regelmäßig die Gegenspieler des FC zur Verzweiflung. Vor allem, wo er jetzt langsam lernt, dass es auf das Team ankommt und er rechtzeitig abspielt und seine Kraft nicht in Einzelaktionen verballert. Der junge Kerl lernt und das schnell. Wirklich frustrierend wird es jedoch, als Knie ihn nach 45 Minuten vom Platz holt und stattdessen Kopp auf den Platz schickt. Kopp, der diese Saison wohl seine Karriere beenden wird, weil er dauerverletzt ist und sein Kreuzband wohl nie wieder richtig heilen wird. Müde lässt sich Raphael ins Gras fallen und sieht zu, wie Kopp gleich im ersten Zweikampf von Gabriel stehen gelassen wird. Es ist frustrierend. Daniel, der Amerikaner, spielt schließlich auch für Adrian. Kietz kann nicht, der ist mit seiner Knöchelverletzung immer noch zugange und steht auf seine Krücken gestützt neben Rudolf. An sich geht es dem Team bisher gut. Sie haben letztlich nur zwei Verletzte. Dass Kopp nicht spielen wird, steht letztlich außer Frage. Der Trainer kann aus dem Vollen schöpfen und das ist gut so. Auch wenn sich Raphael wünschen würde, zu der ersten Wahl zu gehören. Aber das kann sich ja noch ändern. Er wird jedenfalls nicht so einfach aufgeben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)