90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 22: XXII. Wenn man sich an die Grenze treibt ---------------------------------------------------- Krafttraining steht heute auf dem Programm. Die ganze Mannschaft turnt in dem Raum herum, stemmt Gewichte, trainiert die Beinmuskeln, sitzt auf den Ergometern, rennt auf dem Laufband oder quält sich auf dem Stepper. Raphael sitzt gerade auf einem der Geräte und drückt Gewichte nach vorne. Wieder und wieder. Seine Arme brennen schon längst wie verrückt, aber er macht wie ferngesteuert weiter. Konzentriert sich allein darauf. Damit er nicht zu Julian hinüber sieht, der auf einem dieser Rückentrainer liegt und den Oberkörper im steten Rhythmus hebt und senkt. Damit er nicht den feinen Schweiß sieht, der das blonde Haar verklebt und dafür sorgt, dass sich das ohnehin schon enge T-Shirt noch enger um den nahezu perfekten Körper schmiegt. Damit er nicht noch vollkommen durchdreht. Seine Schultern schmerzen, als er schließlich aufsteht und eine Etappe weitergeht. Jetzt ist der Stepper dran. Auch hier geht er bis an die Grenze. Bis er spürt, dass seine Oberschenkel brennen und seine Po-Muskeln ihm mitteilen, dass sie von dieser Art der Malträtierung ganz und gar nicht entzückt sind. Als nächstes Rudern. Alejandro verlässt das Gerät gerade, das passt perfekt. Raphael lässt sich auf den harten Sitz fallen und legt los. Die Augen starr geradeaus gerichtet, bis Julian auf dem Laufband direkt gegenüber zu trainieren beginnt. Mit vorsichtigen, aber gleichmäßigen, ausgreifenden Schritten. Schritten, die Raphael so vertraut sind und von denen er genau weiß, wie lang und wie schnell sie sind. Er sieht die Muskeln in seinen Beinen unter der kurzen Hose arbeiten, sieht, wie das T-Shirt etwas nach oben rutscht und einen Blick auf den flachen, durchtrainierten Bauch freigibt... Ruckartig richtet er seinen Blick auf den Boden. Er kann nicht. Er kann ihn nicht ansehen. Es schmerzt ihn zu sehr. Es erinnert ihn zu sehr an all das, was er falsch gemacht hat. Und daran, dass er da einen Trümmerhaufen in seiner Brust hat, wo sein Herz sein sollte. Und daran, dass diese beschissene Sehnsucht noch heißer brennt, als es seine gequälten Muskeln überhaupt können. „Trink was.“ Die Stimme des Killers ist sanft und die Hand, die er auf Raphaels Schulter legt, angenehm kühl. Erst jetzt merkt er, wie klatschnass sein Shirt eigentlich ist. Er hält in der Bewegung inne und nimmt die Flasche dankbar an. „Mann, du bist grad echt ne wandelnde Krise.“ Dariusz schüttelt den Kopf. „Du weißt, dass du zu mir kommen kannst, oder?“ Raphael nickt. Natürlich kann er das. Aber er will auch niemanden als Kummerkastentante missbrauchen. Er ist ja kein Weichei... „Und dass es nicht heißt, dass du auf einmal zur Schwuchtel mutierst.“ Ruckartig fliegt Raphaels Kopf herum und er sieht den Killer das erste Mal richtig an. Dieser lacht. „Fein, ich hab’s vermisst, in deine blauen Augen zu schauen.“ „Idiot!“ Raphael spritzt ihm Wasser aus der Flasche entgegen, ehe er einige tiefe Schlucke nimmt. Seine Kehle brennt und sein Körper sehnt sich nach Wasser. Seine Augen sind genüsslich geschlossen, während er mit tiefen Zügen trinkt. „Scheiße, lass das, ansonsten bespring ich dich noch!“ Dariusz schüttelt den Kopf. Wie kann ein Mensch eigentlich so... sinnlich aussehen, nur, wenn er Wasser trinkt? Ist doch nicht normal. Raphael muss lachen, verschluckt sich und hustet würgend. Liebevoll klopft ihm der Killer auf den Rücken. „Strafe muss sein. Wenn du so ausschaust...“ „Spinner.“ Der Mittelfeldspieler schüttelt den Kopf. „Komm, lass es gut sein für heute. Du machst dich ansonsten kaputt. Und du musst am Wochenende spielen. Wo Julian doch gesperrt ist...“ „Mhm...“ Raphael streckt seine schmerzenden Muskeln langsam und muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzustöhnen. Wenn dieses Training mal nicht ein Fehler gewesen ist... Eigentlich sollte er ja jetzt nach Hause fahren. Paolo ist da und wartet auf ihn. Sicher wartet er, auch wenn er das Gegenteil behaupten wird. Aber er hat keinen Nerv, dort jetzt hinzufahren und sich dem nächsten Problem zu stellen. Er kann nicht. Dafür fehlt ihm einfach die Kraft. Und er will nicht schwach werden und wieder einen Fehler machen. Halt suchen und sich fallen lassen – und am Ende feststellen, dass er einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben verliert. „Komm, lass uns irgendwo was trinken, Eis essen oder sonst was. Und du erzählst mir, was eigentlich los ist“, entscheidet der Killer. „Dann fahren wir zu dir“, murmelte Raphael nur. „Das will ich echt nirgends erzählen, wo uns jemand hören kann.“ „Immer doch.“ Dariusz grinst. „Da kann ich ja dann über dich herfallen.“ Raphael zieht nur stumm eine Augenbraue hoch. Das Lachen wird dem Killer wahrscheinlich noch vergehen. Und so ist es auch. Nachdem Raphael geendet hat, starrt Dariusz ihn nur aus seinen dunklen Augen an und man sieht nur zu deutlich, dass er wirklich nicht weiß, was er sagen. „Scheiße, kein Wunder, dass du die Tage so daneben warst“, sagt er schließlich. „Warum haste denn nichts gesagt?“ „Biste meine Kummerkastentante, oder was?“ Trotzig verschränkt Raphael die Arme vor der Brust. „Klar. Das sind Freunde auch, wenn’s drauf ankommt.“ Dariusz schiebt den Unterkiefer vor. Er sieht aus wie ein Kind, dem man sein liebstes Spielzeug weggenommen hat. Raphael kann nicht anders. Er beugt sich vor und dem drückt dem Verteidiger einen Kuss auf die Stirn. „Blödmann. Als wenn das alles wieder gutmachen würde... Warum hast du nicht eher mit mir geredet?“ „Ich konnte nicht, okay? Das ist alles so schnell passiert und auf einmal... weiß ich gar nichts mehr. Verdammt, ich hab noch nicht mal mit Paolo darüber reden können, warum er überhaupt suspendiert ist!“ „Dann solltest du das als nächstes tun. Ganz egal, wie schwer das ist. Wenn der dich wirklich mag, dann steht ihr das auch durch. Hey, das ist wie der Kuss von uns. So was muss eine Freundschaft nicht killen.“ „Sorry, aber ein Kuss und Sex sind doch ein Unterschied.“ „Nö. Beides sind Dinge, die eine gewisse Grenze überschreiten. Sex geht nur weiter über diese Linie als ein Kuss“, antwortet der Killer altklug und seltsamerweise muss Raphael ihm recht geben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)