90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 21: XXI. Wenn es zu spät ist, sich zu entschuldigen ----------------------------------------------------------- Gegen Stuttgart am Wochenende ist er aus dem Kader geflogen. Knie hat sich seine schwachen Leistungen im Training angeschaut und nur gesagt, dass er sich wieder fangen müsse. Und so sitzt er jetzt auf der Tribüne und starrt auf den Rasen hinunter. Er will auch dort sein. Dort! Bei den anderen und spielen. Er sehnt sich so sehr danach, dass es ihn innerlich fast zerreißt. Dass er kaum noch stillsitzen kann und die ganze Zeit unglaublich auf seinem Platz herumhibbelt. Da hilft auch Paolos Arm nicht, der in seinem Rücken ruht und ihm Ruhe zu geben versucht. Scheiße, er vermisst den Fußball doch jetzt schon. Wie soll er sich denn dann ein Leben ohne Fußball jemals vorstellen können? Wie denn? Fußball, das ist doch gleichbedeutend mit seinem Leben! Aber falls seine größte Angst wirklich wahr wird und Chantal zur Presse geht, dann kann er das vergessen. Dann wird er wohl nie wieder auf einem Platz stehen können. Denn diesen Druck auszuhalten, das wird er nicht schaffen. Das letzte Jahr mit der ganzen negativen Presse, das war doch schon mehr Hölle für ihn, als er jemals offen zugeben würde. Er ist kein Supermann, kein Held. Nur ein junger Mittelfeldspieler, der für seinen Verein alles gibt. Mit Herz und Seele. Und so entfährt ihm auch ein dumpfes Aufstöhnen, als Gomez den Ball für die Stuttgarter zum 1:0 versenkt. Es scheint, als wenn da unten gerade nicht so wirklich alles rund läuft. Tut es auch nicht. Er kann selbst von hier aus sehen, dass Julian einen schlechten Tag hat. Er spielt sichtlich mit Wut im Bauch, aber das hilft auch nicht viel. Er holt sich so zwar seine fünfte gelbe Karte ab und wird damit das nächste Spiel fehlen, aber er kriegt keine vernünftigen Schüsse hin. Seine Pässe sind schlecht platziert und seine Flanken zu ungenau. Knie wird ihn nicht nur wegen seiner Verletzung zur Pause rausnehmen. Unwillkürlich fragt sich Raphael, ob das an ihm liegt. An ihrem Gespräch nach dem Training. An dem, was er Julian an den Kopf geknallt hat. Aber um das herauszufinden, müsste er mit ihm reden, und das kann er nicht. Außerdem ist es eh Blödsinn. Klar, ein Teil von ihm hofft und hegt diese Hoffnung weiter, doch der Rest gibt sich keinen Illusionen mehr hin. Er hat es ja noch nicht einmal fertiggebracht, mit Paolo zu sprechen. Diesen zu fragen, was eigentlich Sache ist und was das zwischen ihnen ist oder von seiner Warte aus sein soll. Er hat Angst vor der Antwort. Und er hat eine unglaubliche Angst, seinen besten Freund zu verlieren. Genau dann, wenn er ihm am meisten von allen Menschen auf dieser Welt braucht. Aber ein Gespräch, das er fertig bringen kann, das ist das mit Chantal. Das muss sein. Da hat er doch gar keine Wahl. „Argh!“, entweicht es ihm, als Gomez eine wirklich tolle Flanke von Hitzlsperger verwandelt. 2:0 für Stuttgart. Scheint, als wenn sich die Krise von dem letzten Liga-Spiel gegen Dortmund noch weiterzieht. Oder als wenn er den Jungs da unten auf dem Platz wirklich fehlt. Irgendwie hofft er es ja. Jetzt steht er hier vor dieser Tür und zögert noch immer, auf die Klingel zu drücken. Wahrscheinlich wird ihm Chantal einfach die Tür vor der Nase zuschlagen. Er würde es nur zu gut verstehen, wenn sie es täte. Er hat sie in den letzten Tagen schließlich nicht angerufen und taucht jetzt auf einmal hier auf. Ohne Ankündigung oder irgendetwas. Und sie wird ihm ansehen, dass er sich nicht wohl fühlt. Dass er nervös ist und irgendwie auch Angst hat. Angst vor ihr, weil sie ihn in der Hand haben kann... Mühsam gibt er sich einen Ruck und drückt den Finger auf die Klingel. Er kann ja nicht ewig weglaufen. „Oh.“ Chantals Begrüßung ist recht frostig. „Hi... Lässt du mich rein... Ich... Auch wenn du nicht mit mir reden willst, hör mir einfach zu, okay? Wenigstens das...“ Nur mühsam bekommt Raphael die bittenden Worte über die Lippen. Der Ausdruck in ihren grünen Augen, die Kälte, der Schmerz und die zusammengepressten Lippen, die ein Zittern zu verbergen suchen, machen es ihm nicht leicht. Es tut ihm so unendlich Leid. Das alles. Sie zögert, aber dann nickt sie knapp und lässt ihn eintreten. Schweigend geht er in das vertraute Wohnzimmer und lässt sich dort auf dem Sofa nieder. Nervös knetet er seine Hände, während sie sich ihm gegenüber hinsetzt. Er kann sehen, wie sie zittert, und möchte gerade nichts lieber, als sie in den Arm nehmen und ihr zu sagen, dass alles gut wird – aber das wird es nicht. Zwischen ihnen wahrscheinlich nie wieder. „Ich... Es ist... Ich weiß, dass du das wahrscheinlich gar nicht hören willst, aber es tut mir Leid. Unglaublich Leid. Ich mag dich, Chantal, ich hab dich wirklich sehr gern. Aber...“ „Du stehst auf Männer“, vollendete Chantal mit brüchiger Stimme. „Und kannst mich gar nicht lieben.“ Nur ganz schwach bringt er das Nicken zustande, das sein Schicksal besiegelt. „Aber... warum dann? Warum hast du mich dann überhaupt angesprochen? Und warum hast du mir nichts gesagt? Verdammt, weißt du eigentlich, wie beschissen das weh tut?“ „Ich... Weißt du, was die Presse und die Fans mit einem schwulen Fußballer machen würden?“ Raphael senkt den Kopf und bringt es nicht mehr fertig, ihr in die Augen zu sehen. Wenn er das jetzt tut, dann kriegt er kein einziges Wort mehr über die Lippen. Seine Kehle ist ja so schon vollkommen ausgedörrt. „Deswegen... habe ich irgendwann angefangen, mit Frauen auszugehen und One Night Stands zu haben. Ein Weiberheld kann doch nicht schwul sein, nicht wahr?“ Er lacht bitter auf und spürt einen dicken Kloß in seiner Kehle. „Ich... ich wollte nicht, dass das so läuft. Aber... ich hab dich gern und du bist ihm so ähnlich... Und...“ „Hör auf, Raphael.“ Chantals Stimme ist ganz leise. „Bitte... Du machst es nicht gerade besser.“ Tränen rinnen ihr über die Wangen. „Du... Warum bist du überhaupt hier? Um mir das zu sagen und mir noch mehr weh zu tun? Um mich noch weiter zu verletzen?“ „Nein!“ Entsetzt blickt er auf und hat das Gefühl, als wenn es ihm das Herz zerreißt. „Nein... Ich will dir nicht weh tun und ich wollte es nie. Und auch wenn es viel zu spät ist, sich zu entschuldigen, tut es mir Leid. Ich... Wenn du schwanger bist, dann will ich für dich und unser Kind da sein. Ich will dich nicht im Stich lassen. Nie!“ Die Worte sind hektisch ausgesprochen, fast panisch. Und in dem Augenblick, wo er sie sagt, da weiß er, dass sie wahr sind. Wenn sie schwanger ist – dann ist es sein Kind. Und sein Kind kann er nicht verlassen. Genauso wenig wie die einzige Frau neben seiner Mutter, die ihm wirklich etwas bedeutet. „Bitte... Geh jetzt.“ Chantal schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt unkontrolliert. „Geh...“ „Ich...“ „Geh!“ Langsam steht er auf und geht zu ihr hinüber. „Wenn... wenn du zu einem Arzt gehst, nimm mich mit, ja? Bitte.“ Behutsam haucht er einen Kuss auf ihr blondes Haar, obwohl sie das dazu bringt, nur noch heftiger zu weinen. Er ist schon fast an der Tür, als sie ihm nachruft: „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich verrate dich nicht. Ich liebe dich doch...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)