90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 19: XIX. Wenn Katastrophen heraufziehen ----------------------------------------------- Als er am nächsten Morgen wach wird, hat er seine Nase in einem schwarzen Haarschopf vergraben und liegt eng geschmiegt an einen schlanken, eindeutig männlichen Körper. Seine Brust ruht an dem Rücken des anderen und seine Arme sind eng um ihn geschlungen. Er fühlt sich wohl. Einfach nur verdammt wohl. Dann klingelt es erneut und erinnert ihn daran, warum er eigentlich wach geworden ist. Verdammt, wer kommt an einem Freitagmorgen auf die Idee, so elend früh zu klingeln? Wahrscheinlich der Postbote. Dunkel erinnert er sich da an eine Bestellung bei Amazon, die gerade angekommen sein könnte. Also steht er ganz vorsichtig auf und bemüht sich, Paolo nicht zu wecken. Er fühlt sich gut. Schon komisch, nach gestern hätte er vielleicht einen Kater haben sollen, aber der hält sich in Grenzen. Sie haben ja auch kein billiges Zeug getrunken, sondern nur erstklassiges. Außerdem... Scheiße, die Nacht war geil. Und trotz zuviel Alkohol im Blut erinnert er sich noch an alle Details. Er lächelt, während er sich den Morgenmantel überstreift und zur Tür stolpert. Sein Zeh kollidiert unangenehm mit Paolos Reisetasche. Fluchend hopst er auf einem Bein weiter und betätigte den Summer, als es gerade erneut klingelt. Wow, normalerweise sind Postboten doch gar nicht so hartnäckig. Der Gedanke rauschte kurz durch seinen Kopf, dann besinnt sich dieser darauf, dass er doch wenigstens ein bisschen weh tun soll und beginnt langsam zu pochen. Er öffnet die Tür und reibt sich noch immer den Zeh. Schritte kommen die Treppe hoch und die klingen nun wirklich nicht nach einem Postboten. Eher nach Absätzen. „Raphael!“ Da fliegt ihm auch schon Chantal entgegen und drückt ihm einen dicken Kuss auf. Auf einmal wird dem Fußballer überdeutlich bewusst, dass er garantiert nicht besonders gut riecht. Verschwitzt sowieso, aber er hat auch das Gefühl, stark nach Sex zu riechen – und nach Paolos Aftershave... „Du, ich muss dir was zeigen!“ Chantal ist hibbelig und aufgeregt und bekommt deswegen offenbar nicht allzu viel mit. Gut für ihn. Aber reinlassen kann er sie ja jetzt kaum. Paolo liegt schließlich in seinem Bett und ahnt nichts. Er weiß ja noch nicht einmal von dieser Sache mit Chantal. Bisher hat er am Telefon nie darüber gesprochen, es einfach nicht fertig gebracht, weil er ganz genau weiß, was der kleine Feuerfisch über diese Sache denken wird. „Du, das ist gerade...“, setzt er an, aber eine Stimme aus dem Hintergrund sorgt dafür, dass er gar nichts weiter sagen muss. „Raffe?“ Paolos Stimme klingt noch etwas verschlafen. Chantals Augen werden riesengroß und irgendwie hat Raphael das Gefühl, dass der Italiener vermutlich gerade nicht allzu viel an hat. „Du... du...?“ Chantal starrt entsetzt an ihm vorbei und sieht ihn dann an. Der Ausdruck in ihren Augen ist so schockiert, so panisch, so verletzt. „Chantal, es...“ „Es ist nicht, wie es aussieht? Da steht nur zufällig ein nackter Mann in deinem Flur und du hast nichts weiter an als einen Morgenmantel? Erzähl mir doch nichts!“ Damit wirbelt sie herum und will davon stürmen, aber dann hält sie noch einmal inne. „Hier. Das wollte ich dir zeigen.“ Damit knallt sie ihm einen kleinen weißen Gegenstand vor die Füße und stürmt die Treppe herunter. „Chantal!“ Raphael will ihr nachrennen, doch schon hört er draußen die Tür ins Schloss schlagen. Das war’s dann. Er seufzt und bückt sich, um das weiße Etwas aufzuheben. „Scheiße.“ Er landet auf seinem Hintern und starrt das Ding in seinen Händen an. „Wasn?“ Paolo kommt langsam näher. Stumm reicht ihm Raphael den Schwangerschaftstest, denn das ist es, was Chantal ihm zeigen wollte. Er ist positiv. „Trink.“ Paolo drückt ihm ein volles Glas Whisky in die Hand, das Raphael auch in einem Zug leert. Ganz egal, wie sehr sein Magen dagegen rebelliert. Hauptsache, er kann langsam wieder denken. Er hat sich ja vollkommen benommen von dem Italiener in die Wohnung und ins Wohnzimmer ziehen lassen und jetzt sitzt ihm Paolo – noch immer reichlich unbekleidet, um nicht zu sagen splitterfasernackt gegenüber – und fordert ihn auf: „Erzähl mir, was hier eigentlich los ist. Ich hab das Gefühl, keinen Schimmer von nichts zu haben.“ Raphael seufzt tief und legt den Kopf in den Nacken. Wo denn anfangen? Was denn sagen? „Hey, Erde an Raffe!“ „Zieh du dir erst mal was an. Du irritierst mich“, weicht der Dortmunder aus und erntet damit schallendes Gelächter von dem Italiener. Dieser greift nach einem Kissen und platziert es demonstrativ auf seinem Schoß. „Das muss reichen, denn ansonsten weichst du mir noch aus!“ Recht hat er, das muss Raphael innerlich eingestehen. Am liebsten würde er auch ausweichen. Aber so bleibt ihm ja gar keine andere Wahl, als die Dinge in Worte zu fassen und anzufangen zu erzählen. Von der Sache mit Julian, seinen Hoffnungen, seinen Enttäuschungen, von dem komischen Kribbeln, das da zwischen ihnen ist, von den eiskalten Duschen, von Chantal und ihrem Kennenlernen, von dem Stress mit Julian, von Chantal, die er eigentlich mag. „Boah, weißt du eigentlich, wie sehr das alles nach Seifenoper klingt?“ Paolo stützt die Ellenbogen auf das Kissen und das Kinn in die Hände. Sonnengebräunt hebt sich seine bloße Haut von dem beigen Stoff ab. Schön sieht er aus, stellt Raphael beiläufig fest. Schön, aber nicht so schön, dass er Schmetterlinge im Bauch hat. „Danke. Is ja nur mein Leben.“ „Na, sorry, aber den Mist hier haste dir selbst eingebrockt.“ Paolo schüttelt den Kopf. „Aber da kannst du nur eins machen: Dir sie schnappen und mit ihr reden. Über dich und das, was in dir vorgeht – und du musst dich entschuldigen. Und dann schleppst du sie zu nem Arzt damit du weißt, ob dieses Testding da auch die Wahrheit sagt.“ „Wie kannst du das so kühl sagen?“ Raphael schüttelt den Kopf. Ihm sitzt dieser Schock wirklich in den Knochen. Vater werden – ausgerechnet er? Das kann doch gar nichts werden. Dieser Berg, der sich da vor ihm auftut, der ist so gewaltig, dass er ihn gar nicht überschauen kann und nichts anderes dabei verspürt als nackte Panik. „Weil mich das grad nicht so direkt trifft.“ Paolo seufzt leise und steht auf. Er hockt sich neben Raphael und zieht den Freund an sich. „Da kann man immer leicht reden. Hey, aber ich bin da für dich, okay?“ „Danke...“, murmelt Raphael leise und vergräbt den Kopf an der Schulter des Stürmers. Er schmiegt die Wange gegen die weiche Haut und schließt die Augen. So kann er sich glatt einen Augenblick lang geborgen fühlen. Und der Geruch, der ihm in die Nase steigt, dieser Geruch einfach nach Paolo, der erinnert ihn mehr als deutlich daran, dass da noch etwas anderes ist, das ungeklärt im Raum steht. Scheiße aber auch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)