90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 15: XV. Wenn die Tage manchmal einfach schwarz sind ----------------------------------------------------------- Am liebsten würde Raphael heute gar nicht auf den Platz gehen. Vor allem nicht gegen die Dortmunder Borussen. Doch ausgerechnet heute hat Knie ihn in die Anfangsaufstellung aufgenommen. Anstelle von Christian, der einen Muskelfaserriss aus dem Training davongetragen hat und die nächsten zwei Wochen aussetzen muss. Am liebsten würde er einfach zur Bank marschieren und sich drauffallen lassen, zuschauen und fertig. Aber so einfach ist das eben nicht. Und er kann ja auch nicht sagen, dass er heute einfach so ein beschissenes Gefühl im Bauch hat, dass er am liebsten keinen Ball anrühren würde. Alle sehen sie in ihm so eine Art Retter, einen Helden, mit dem die Mannschaft besser ist als zuvor. Dabei ist das Blödsinn. Alles, was er getan hat, ist die anderen an das zu erinnern, was sie können. Etwas, das sie selbst früher oder später begriffen hätten. Dass er niemand Besonderes ist, das hat er in den letzten anderthalb Jahren äußerst deutlich gelernt. Und niemals wieder würde er sich selbst so wahrnehmen wollen. Wie mechanisch und mit steifen Bewegungen geht er hinter Julian auf den Rasen hinaus. Ausgerechnet hinter Julian. Er kann nur allzu deutlich sehen, wie sich die blonden Strähnen in seinem Nacken leicht ringeln, weil sie etwas zu lang sind. Wie sie die zarte Haut berühren und regelrecht danach schreien, dass er sie berührt und liebkost... Er blickt zu Boden und beißt die Zähne zusammen. Scheiße. Das Spiel ist von Anfang an völlig zerfahren. Nicht nur er hat heute einen schlechten Tag, irgendwie geht es allen so. Dabei scheint sogar die Sonne und es ist gar nicht so kalt, hier in dem Dortmunder Signal Iduna Park. Die Kulisse ist der Wahnsinn, die Fans pushen sich gegenseitig – und dennoch ist das Spiel einfach nur Mist. Vor allem vom FC. Sie lassen sich ausspielen, austanzen, stehen lassen. Wie Anfänger, wie Idioten. Das Spiel ist noch nicht einmal hitzig – die Borussen haben es nicht nötig und die Karos sind viel zu lethargisch, um auch mal zu stechen. Sie kriegen das Spiel aber auch einfach nicht auf die Reihe. Raphael läuft, arbeitet, versucht zu kämpfen, aber wenn er den Ball dann mal hat, ist er ihn unglaublich schnell wieder los. Und wenn er eine Flanke schlägt, landet sie irgendwo im Nichts. Es ist zum Haare raufen. Zum Kotzen. Anders kann man das gar nicht sagen. Wieder rutscht er am Ball vorbei und bringt dadurch Julian in höchste Bedrängnis. Der sieht sich nämlich auf einmal einem äußerst gewieften Dede gegenüber. Nur mit Müh und Not kann die Nummer elf ihm den Ball abnehmen und ins Aus schlagen, damit ihre Abwehr sich sortieren kann. „Scheiße. Kannst du nicht wenigstens auf dem Platz vernünftig denken und nicht nur Mist bauen?“, faucht Julian ihn aggressiv an. Und ehe Raphael irgendetwas darauf antworten kann, ist Julian auch schon an ihm vorbeigerauscht. Diese Satz sitzt. Aber so richtig. Macht er denn wirklich alles falsch? Seine Gedanken gleiten zu Chantal, zu der verfahrenen Situation mit Julian und er hat das Gefühl, dass es stimmt. Dass es einfach nur stimmt. „Verdammt, Raffe! Steh da nicht wie angewachsen!“ Mürre brüllt ihn an, als der Ball an ihm vorbeisaust und wegen seiner mangelnden Reaktion im Aus landet. Der gute Versuch, die Borussen wieder zurückzudrängen, geht damit absolut schief. Raphael versucht, sich zusammenzureißen. Er geht mit in die Defensive, versucht Buckley den Ball abzunehmen, scheitert aber kläglich. Wieder rutscht er über den Rasen ins Leere. Er sieht noch, wie Buckley schießt und der Killer sich dazwischen wirft. Doch anstatt, dass dieser den Ball ins Aus lenkt, wird das Leder unhaltbar und schlägt neben Reine ins Netz. Entsetzen auf Seiten der Karos, während die Schwarz-Gelben jubelnd davon stürmen. Der Killer bleibt sitzen und starrt fassungslos in ihr Tor. Eigentor. Das erste in seiner Karriere. Reine tätschelt ihm den Kopf, obwohl er vor Wut beinahe überkocht. Sonst geht gerade keiner zu ihrem Verteidiger. Das ist wirklich symbolisch für ihr schlechtes Spiel. Raphael rappelt sich langsam hoch und geht hinüber, fasst Dariusz am Arm und zieht ihn hoch. Abrupt drückt er ihn an sich und fährt ihm durch die stacheligen Haare. Er sagt nichts weiter, umarmt ihn nur und spürt, wie die Anspannung ein wenig aus dem Körper des anderen weicht. Aber die Stimmung bleibt. Da kann er nichts gegen machen, vielleicht auch, weil er selbst so empfindet. Dieses Eigentor tut so weh, als wenn es ihm selbst passiert wäre. Als wenn er es selbst geschossen hätte. Der Killer lächelt schwach, das kann Raphael an seiner Halsbeuge spüren, wo der Verteidiger sein Gesicht vergraben hat. Dann strafft dieser seine Schultern und tritt zurück. Das Nicken und der lange Blick aus den dunklen Augen sagen mehr, als es tausend Worte in dieser Situation gekonnt hätten. Sie haben Anstoß und selbst jetzt kommt der Ball von Alejandro total eirig daher. Im Endeffekt ist es absolut egal, was Raphael jetzt noch tut. Wenn keiner mitzieht, dann wird das nichts. Dann verhungert er am ausgestreckten Arm und ackert wie blöde für nichts – wie Julian, der sich wirklich reinhängt und kämpft. Raphaels Augen ruhen auf seinem blonden Ex-Freund, verfolgen seine Bewegungen, während er versucht dran zu bleiben, aber seine Beine wollen einfach nicht so, wie er es denn will. Heute geht einfach alles schief. Jetzt läuft ihm Wörns so richtig blöd für die Füße und er kann gar nicht anders, als ihn umzuhauen. Natürlich bekommt er dafür Gelb. Das war klar. Absehbar, total vorhersehbar und unnötig. Und Julians Blick sagt das natürlich mehr als deutlich, dass er diese Aktion total daneben findet, besonders, weil die ihnen einen gute Chance versaut hat, wenigstens endlich einmal einen einzigen ersten Angriff auf die Beine zu bekommen. Raphael senkt den Kopf. Er hat keinen Bock mehr. Er will einfach nicht mehr. Das ist wohl das erste Mal in seinem Leben, dass ihm Fußball überhaupt keinen Spaß macht. Dass er einfach nur hofft, dass dieses Spiel bald vorbei ist und sie nicht vollkommen abgeschossen werden. Gerade im Derby, da wäre das ja noch oberpeinlicher als ohnehin schon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)