90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 12: XII. Wenn das Feuer zu brennen beginnt -------------------------------------------------- Sie haben das Spiel gegen Wolfsburg nicht mehr drehen können, aber sie haben nur 2:3 verloren. Das ist ein Fortschritt. Ein verdammt großer Fortschritt. Aber das wichtigste ist, dass sich an ihrer Einstellung etwas geändert hat. Wenn man so will, hat das alte Feuer erneut begonnen zu brennen. Das Feuer, sich von niemandem unterkriegen lassen zu wollen. Das Feuer, die Flagge des FC hochzuhalten und den ganzen anderen Profis – denn man fühlt sich immer noch „fremd“ hier in der Ersten Bundesliga – eine lange Nase zu drehen. Wir sind wer! Das ist das Gefühl, das in dem Team brennt und das sie alle dazu bringt, das Training noch mehr zu intensivieren und sich als eine Einheit zu fühlen. Als nächstes spielen sie gegen Leverkusen. Zu Hause. Und Leverkusen ist diese Saison nicht irgendwo unter ferner liefen gelandet, nein, das sind die ernannten Bayern-Jäger, die es dem FCB diese Saison nicht gönnen wollen, erneut den Meistertitel mit nach Hause zu nehmen. Aber um das zu schaffen, müssen sie erst am FC Dortmund vorbei. Die Presse schreibt den Leverkusenern schon vorher drei Punkte zu und auch die Profis der Werkself zeigen sich äußerst siegesgewiss, während man aus dem Dortmunder Lager eigentlich gar nichts hört. Wozu sich mit der Presse befassen? Wichtig ist doch eh nur auf dem Platz. Schon nach fünf Minuten wissen die Leverkusener, dass sie sich verschätzt haben. Die Mannschaft, gegen die sie da gerade spielen, hat nichts mehr mit dem Schlachtvieh der Hinrunde gemein. Da stehen elf hellrot-weiße Dortmunder Spieler vor ihnen, die nichts anderes tun als kämpfen – und sich für einander reinhängen und aufopfern. Jeder Ballkontakt ist gewollt und jedes Mal wird der Ball so verbissen verteidigt, als ob es um das eigene Leben ginge. Raphael sitzt wieder auf der Bank, aber dieses Mal braucht er sich nicht so aufzuregen. Nein, das Team spielt klasse. Wirklich großartig. Sie sind mit Herz dabei und denken richtig. Nur dummerweise fehlen die wichtigen Impulse aus dem Mittelfeld. Alejandro und Gabriel geben sich zwar wirklich Mühe, aber die beiden sind nicht richtig aufeinander abgestimmt. Sie verstehen das Spiel des anderen noch nicht richtig und entsprechend geht ständig etwas schief. Raphael beißt sich auf die Unterlippe und hibbelt auf seinem Platz herum. Verdammt! Er sieht, was da passiert, er sieht die Fehler, die Schwächen, alles! Warum kann er nicht da draußen sein und... Nach dreißig Minuten reicht es Knie. „Raffe, lauf dich warm!“ Diesmal ist es Christian, der für ihn runtergehen muss. Der hochgewachsene Mittelfeldspieler schleicht ihm mit hochrotem Kopf entgegen. „Viel Erfolg“, murmelte er und will schon an ihm vorbei gehen, doch Raphael drückt ihn an sich. „Es ist nicht persönlich“, sagt er leise. „Wirklich nicht.“ Dann trabt er aufs Feld. Auf einmal steht Leverkusen mit dem Rücken zur Wand. Nur, weil sie mit Adler einen wirklich ausgezeichneten Torwart haben, sind sie noch nicht im Rückstand, doch das ist nur noch eine Frage der Zeit. Ihr Tor steht unter Dauerbeschuss und die Dortmunder erarbeiten sich eine Chance nach der anderen. Schließlich wird Alejandro in Strafraumnähe von Bernd Schneider gefoult, weil alles andere gerade keine Wirkung zeigt. Perfekte Freistoßsituation. „Raffe!“ Der Kapitän brüllt nach ihm und lässt gar keine Zweifel daran, dass er diesen Ball treten soll – und das tut Raphael mit größtem Vergnügen. Er schneidet den Ball an, sodass dieser scharf fliegt, so scharf, dass Adler keine Chance hat – aber dafür knallt das Leder gegen das Lattenkreuz. Mit Urgewalt kommt er zurück – und wird von Daniel, der heute ersatzweise für den angeschlagenen Max spielt, mit voller Wucht ins Netz befördert. Der Jubel der Dortmunder kennt keine Grenzen. Sie sind wieder da! So, als wenn sie niemals weg gewesen wären. Nachdem sie Leverkusen mit 3:0 geschlagen haben, wird in der Kabine ausgiebig gefeiert. Doch das reicht nicht. Die halbe Mannschaft trifft sich danach noch in einem kleinen Szeneclub in der Stadt. Dem Miami. Alle, die was auf sich halten, aber noch nicht total abgehoben sind, gehen dorthin. Raphael hält sich bewusst von Julian fern, auch wenn dieser mitgeht. In der Kabine hat ihn sein blonder Ex-Freund halbnackt umarmt und da musste er wirklich an sich halten, um ihn nicht einfach abzuknutschen. Er lässt diese unglaubliche Sehnsucht nach ihm immer wieder in Raphael auflodern, gibt ihm Anlass zur Hoffnung, aber niemals mehr. Schließlich ist Raphael aus lauter Verzweiflung zum Killer geflüchtet, hat ihm einen kurzen Kuss gegeben und der hat ihn lachend an sich gedrückt hat. Keiner in der Kabine hat einen dummen Spruch gebracht, was der Star des Tages mehr als faszinierend findet. Kam das nur wie normaler Jubel rüber oder hat Julian sie alle wirklich so gut dressiert? Immerhin hat er ja schon dafür gesorgt, dass Begriffe wie Schwuchtel und schwule Sau aus der FC-Kabine verbannt wurden. „Hey, träum nicht!“ Alex und Acun schieben ihn nachdrücklich über die Schwelle und die laute Musik des Clubs umfängt ihn. Ja. Feiern und Party machen. Nicht mehr grübeln. Das ist das Beste, was heute noch getan werden kann. Er hat sie schon seit einer Weile im Auge. Blond und zierlich ist sie und hat bemerkenswerte grüne Augen. Eigentlich hat er bisher alle seine One Night Stands danach ausgesucht, dass sie Julian so unähnlich sehen, wie es nur geht, doch diesmal nicht. Er will wenigstens jemanden haben, der ihm ähnlich sieht, auch wenn das vollkommen bescheuert ist. Wie das alles hier vollkommen bescheuert ist. Und widerlich und erbärmlich sowieso. Raphael schiebt den Unterkiefer leicht vor. „Deine nächste Eroberung ausgemacht?“ Christian lehnt sich neben ihm an die Theke. Scheint, als wenn er seine Auswechselung als notwendig begriffen hat oder aber einfach darauf verzichtet, eine Prügelei anzuzetteln, um die gute Stimmung nicht zu verderben. Raphael verflucht sich selbst für diese boshaften Gedanken, aber er kann gerade nicht anders. Julian zieht ihn runter. Allein der Gedanke an ihn, das Wissen darum, dass er direkt neben ihm steht und er ihn nicht berühren kann, ihn nicht so berühren darf, wie er es gerne würde. „Mhm...“ „Die ist doch viel zu jung. Vielleicht neunzehn.“ Julian zieht eine Augenbraue hoch und beobachtet das blonde Mädchen einen Augenblick lang. „Und? Willst du mir sagen, dass ich mit 23 zu alt für sie bin?“ Raphael stellt sein Glas mit lautem Knall auf der Theke ab. „Nein. Ich wollte nur subtil darauf hinweisen, dass du deinen Lebensstil vielleicht überdenken solltest.“ Grüne Augen bohren sich in blaue. In ihnen steht genau der gleiche Ausdruck wie schon vor zwei Jahren, als Julian ihn mit einem stillen Vorwurf für sein Verhalten bedacht hat. Still, bis er es nicht mehr ausgehalten hat und darüber sprach. Nicht, dass es etwas geändert hätte. „Ach, bist du jetzt meine Gouvernante? Oder meine Mutter?“ Raphael wendet sich mit einem Ruck ab und spürt überdeutlich Julians Blick in seinem Rücken, als er auf die junge Frau zugeht und sie geschmeidig antanzt. Soll der Kerl doch dahin verschwinden, wo der Pfeffer wuchs! Soll er verdammt noch mal endlich aufhören! Aufhören, ihn noch um den Verstand zu bringen und dafür zu sorgen, dass er gar nicht mehr klar denken kann! „Wie heißt du?“, fragt er lächelnd über den Lärm hinweg. „Chantal!“ Sie lacht ihn an. Sogar ihr Lächeln gleicht dem von Julian. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)