90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 10: X. Wenn man etwas alleine nicht schafft --------------------------------------------------- Sobald Raphael auf seinem Zimmer ist, verschwindet Julian und taucht nur Minuten später mit Chris auf, der sich ungefähr hundert Mal entschuldigt – bis Raphael ihm schließlich sagt, dass er ernsthaft sauer wird, wenn sich dieser das noch ein einziges Mal tut. Daraufhin bricht Julian in Gelächter aus und sie flachsen herum, bis es Zeit für das Mittagessen wird. Jetzt ist der Schmerz in seiner Wade einem dumpfen Pochen gewichen, das sich gut ertragen lässt. Nur humpeln tut Raphael noch, weil die normale Belastung des Beins sofort zu richtigen Schmerzattacken führt – und die will er natürlich vermeiden. Außerdem hat Wichart ihm gesagt, dass er sich später eine Krücke abholen soll. Sicherheitshalber. Er ist wirklich nicht sauer auf Chris, hat dessen Entschuldigung nicht nur so akzeptiert – aber er ist frustriert. Er will Fußball spielen, bei diesem Team dabei sein und sich seinen Platz erarbeiten, sich den Respekt und das Vertrauen der Mannschaft wieder verdienen. Aber wie soll er das machen, wenn er jetzt nicht mit ihr trainieren kann? Das macht ihn noch wahnsinnig und sorgt dafür, dass sein Frust nur noch ansteigt. Scheiße. Verdammte Scheiße. Missmutig und mit hochgezogenen Schultern humpelt er durch die Hotellobby. Hier gibt es wenigstens eine kleine Bar, die leckere alkoholfreie Cocktails anbietet – für Alkohol ist es eindeutig zu früh am Tag, auch wenn er nicht übel Lust hätte, sich volllaufen zu lassen. Knie würde ihm dafür nur garantiert was erzählen. „Raffe, kommste mit in den Kraftraum?“ Der Killer schlägt ihm kumpelhaft auf die Schulter. „Wir brauchen nen unparteiischen Schiri. Mürre, Reine und ich ham gewettet, wer die meisten Gewichte stemmen kann.“ Dafür würde sich garantiert auch jemand anderes finden lassen, dessen ist sich Raphael sicher, aber er nickt dennoch. Warum nicht? Dann sitzt er wenigstens nicht nur blöd in der Gegend herum und hängt trüben Gedanken nach, sondern er kann doch ein bisschen was tun. „Super!“ Dariusz drückt ihn an sich. „Wirsses nich bereuen!“ „Ach?“ Raphael muss lachen. Die Wette gewinnt Reine haushoch. Er stemmt die Kilos aber auch nur so, dass Mürre und dem Killer die Augen fast rausfallen. „Gib’s zu, du trainierst zu Hause wie ein Irrer!“ Theodor Mürmann, einer der ältesten Spieler im Team, kann es gar nicht richtig fassen. Raphael muss lachen. „Vor zwei Jahren war Reine schon so hart“, sagt er augenzwinkernd. „Haste wohl nicht mitgekriegt, was?“ Dirk Reinolfs ist aber auch ein echter Bär von Mann, 1,95 groß, entsprechend schwer und ein reines Muskelpaket. Um das zu erkennen, muss man noch nicht einmal genau hinschauen. Daher weiß Raphael auch nicht so genau, wie der zwar recht kräftige Killer und der äußerst hagere Mürre auf diese bescheuerte Wette gekommen sind. „Worum habt ihr eigentlich gewettet?“ Die Frage hat er noch gar nicht gestellt, aber jetzt drängt sie sich natürlich auf. Den Grund für die Wette, den will er lieber nicht wissen. „Äh...“ Die beiden Verlierer werden sichtlich verlegen und drucksen herum. „Reine?“ Der grinst wiederum äußerst breit. „Die beiden kommen morgen in Unterhosen auf den Platz!“ Der Torwart lacht lauthals los. Raphael muss nahezu sofort einstimmen. Auf die Reaktion von Knie und den anderen freut er sich jetzt schon. Eigentlich könnte er ja jetzt aus dem Kraftraum verschwinden, aber er bleibt. Witzelt mit Stefan, Acun und Thijs herum, während diese auf den Ergometern strampeln, motiviert Puck und den Greif, als diese am liebsten eine der Trainingsmaschinen auseinander nehmen würden, holt Wasser und Handtücher, wenn sie gebracht werden, ist einfach da. Als Teamkollege, als Freund und unterstützt alle, wo er nur kann. Für Julian bleibt er sogar länger bei der Gewichtbank stehen und passt auf, für den Fall, dass etwas passiert. Und er kann es sogar mit einem freundlichen Lächeln tun, das nicht aufgesetzt ist – und ohne dieses schmerzhafte Ziehen im Bauch. Stattdessen ist da vielmehr ein ganz leises Kribbeln... „Danke!“ Alejandros Lächeln und dieses simple Wort sagen eigentlich alles. Raphael fühlt sich auf einmal gut und nicht mehr so unglaublich deprimiert. Eine Mannschaft ist doch mehr als elf Leute, die auf dem Platz Fußball spielen. Deutlich mehr. Auch solche Kleinigkeiten gehören dazu und sorgen dafür, dass jeder seinen Platz besitzt und sie ein echtes Team sind. Denn wenn man etwas alleine nicht schafft, dann sollte jemand anderes da sein und helfen. Natürlich ist am nächsten Morgen das Gelächter groß, als der Killer und Mürre nur in Boxershorts, Socken und Fußballschuhen auf den Platz traben. Natürlich als letzte, damit auch ja alles was zu lachen haben. Sogar Knie muss nach einem ersten fassungslosen Moment losprusten. „Wie ihr wollt, Jungs, dann trainiert ihr eben in Unterhosen“, sagt er schließlich trocken und ist nicht so gnädig, die beiden Verteidiger zum Umziehen wieder reinzuschicken. Die beiden sehen recht bedröppelt aus, doch dann straffen sie ihre Schultern. Ein echter Dortmunder kennt eben weder Schmerz noch Schande. „Die beiden Deppen werden sich noch erkälten“, murmelt Knie, während die Mannschaft sich warmläuft. Raphael steht neben ihm und stützt sich auf eine Krücke, um sein verletztes Bein etwas zu entlasten. „Nun, wir könnten so nett sein, ihnen wenigstens T-Shirts und Jacken zu holen“, erwidert er grinsend. „Wäre doch dumm, wenn sie noch ausfallen, oder?“ „Wie wahr.“ Knie seufzt und nickt Rudolf zu, der sich auch schon auf den Weg ins Hotel hinüber macht. Das Training über läuft Raphael immer wieder über den Platz, bleibt hier und dort stehen und schaut seinen Mitspielern zu. Er studiert ihre Laufwege, ihre Arten der Ballabgabe und -annahme. Er schätzt sie ab, nimmt sich Zeit, sie zu beobachten und mehr über sie zu lernen. Letztlich lässt er sich neben einem der kleinen Testspiele ins Gras fallen. Acun, Augustin, Julian und der Killer spielen gegen die beiden neuen Stürmer Max Klaus und Daniel Day sowie Alex und René. Seine Augen fixieren den Ball, verfolgen die Bewegungen der Spieler, beobachten ihre Beine, ihre Füße. „Kopf runter!“ Reflexartig duckt er sich und ein Ball saust scharf an ihm vorbei. „Sorry.“ Alejandro trabt heran. „Ist mir irgendwie versprungen. “ „Wenn du die Warnung immer mitlieferst, kein Problem.“ Raphael grinst. „Ich kann nur grad nicht so gut durch die Gegend hüpfen.“ „Mhm.“ Der Kapitän bleibt neben ihm stehen und blickt ihn unschlüssig an. „Was machste?“ „Zusehen, Laufwege studieren, Bewegungen beobachten.“ Die neue und alte Nummer zwölf hebt die Schultern. „Jetzt hab ich ja die Zeit dazu. Sonst geht das im Training immer etwas unter.“ „Mhm.“ Alejandro zieht die Stirn kraus und sieht zu den acht Teamkollegen hinüber, bei denen Max und Daniel gerade einen Doppelpass versuchen, der kläglich scheitert. „Siehst du, Max hat noch nicht kapiert, dass Daniel recht spät startet und er das bei der Ballabgabe berücksichtigen muss. Ansonsten landen seine Bälle immer im Nichts“, formuliert Raphael seine Gedanken und erntet dafür einen erneuten Blick des Kapitäns. „Mhm.“ „Sagst du auch noch was anderes?“ Raphael ist es nun, der die Stirn runzelt und den Kopf ein wenig in den Nacken legt, um zu dem Spanier emporzusehen. „Nö.“ Alejandro muss lachen. „Ich dacht nur grad, dass es vielleicht doch nicht so schlecht ist, dich wieder bei uns zu haben. Ich glaub, wir können dich wirklich gebrauchen.“ Damit wendet er sich ab und läuft zu seiner eigenen Trainingsgruppe wieder zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)