90 Minuten von abranka ================================================================================ Kapitel 3: III. Wenn Bremen eben nicht Dortmund ist --------------------------------------------------- Trainingslager. Raphael fühlt sich allein bei dem Gedanken daran immer noch unwohl. Aber da muss er durch – er wollte den FC, jetzt ist er beim FC. Und er wusste ja, dass es nicht leicht werden würde. Natürlich nicht. In diesem Verein sind Wechsel eben noch nicht das alltägliche Brot, auch wenn es langsam anders wird. Noch ist man vor allem eine große Familie, ein Freundeskreis, ein Team. Ansonsten wäre Knieschewski nach der letzten Saison auch nicht mehr der Trainer. Man ist einfach noch nicht richtig im knallharten Profigeschäft angekommen und vielleicht wird man es auch nie. Das mag der Grund sein, warum Raphael hierhin zurückwollte. Weil er selbst genauso ist. Nicht im Profigeschäft angekommen. Während der Busfahrt in die nicht allzu ferne Normandie – andere Clubs fliegen auf irgendwelche Inseln, beim FC geht’s per Bus ins Nachbarland – dröhnt er sich mit Musik zu und vermeidet Gespräche. Er weiß, dass sie alle neugierig sind, dass sie ihn ausfragen wollen, aber er will jetzt nicht antworten. Und er will auch nicht nach vorne sehen, wo Julian neben Augustin sitzt und sich angeregt mit diesem unterhält. Immer wieder lacht er auf. Das kann Raphael selbst durch die wummernden Bässe hören, aber vielleicht bildet er sich das auch einfach ein. Er weiß es nicht. Er weiß nur, dass er froh ist, als sie endlich an ihrem Hotel ankommen und aussteigen. Eigentlich ist es Glück, dass er mit dem Killer auf einem Zimmer landet. Es hätte weitaus schlimmer kommen können. Bei den Auswärtsspielen hat Knie ihn und Julian immer zusammengesteckt, weil sie sich so gut verstanden haben, aber nach seiner Rückkehr ist das anders. Das ist Knie natürlich aufgefallen, also hat er sich wohl bewusst für den Killer entschieden, denn so hart dieser auch tut, eigentlich ist er ein lieber Kerl, der mit so ziemlich jedem klarkommt. „Links oder rechts?“, erkundigt sich der Verteidiger und wippt auf den Zehen. „Mir gleich. Such’s dir aus“, erwidert Raphael und schaut zu, wie sich der Killer mit breitem Grinsen die rechte Hälfte des Doppelbettes schnappt. Klassisches Hotelzimmer eben. Keins, das für ein Fußballteam eingerichtet wäre. „Sag mal...“ Sie haben rund fünfzehn Minuten geschwiegen, während sie ihr Zeug irgendwie in dem viel zu kleinen Hotelschrank und der Kommode untergebracht haben. „Erzähls du mir, wat genau passiert is, dassu wieder hergekommen bis?“ Der Killer fährt sich unruhig durch die etwas zu kurzen Haaren, die wie Igelstacheln von seinem Kopf abstehen und ihm den – jedoch wenig genutzten – Spitznamen Kaktus eingebracht haben. „Vielleicht.“ Raphael zuckt mit den Schultern. „Hängt davon ab, wie sehr du mich heute Abend abfüllst.“ Der Killer muss lachen. „Heißt wohl, dassu nich runtergehen willst?“ „Nach Treschkes Auftritt bei meiner Ankunft? Wohl kaum. Sowas muss ich mir nicht gleich am ersten Abend geben.“ Raphael lässt sich auf seine Betthälfte fallen und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich dacht immer, ihr seid Freunde...“ „Offensichtlich nicht mehr.“ Nach dem Abendessen verschwinden Raphael und Dariusz relativ bald auf ihr gemeinsames Zimmer. Raphael sieht es nicht so recht ein, sich und den anderen diese angespannte Atmosphäre länger anzutun als notwendig. Er hat eigentlich damit gerechnet, noch einige, treffende Bemerkungen von Julian zu hören zu bekommen, doch das ist erstaunlicherweise nicht so. Nein, dafür ist Julian auch eigentlich nicht der Typ, scheltet er sich selbst. Er ist direkt und sagt, was er denkt. Sagt es immer. Er ist niemand, der hinterrücks ankommt, noch nicht einmal auf dem Platz. Und das ist auch gut so. „Also... Auf deine Rückkehr!“ Der Killer hebt die Bierflasche und stößt sie klingend mit ihrem Gegenstück in Raphaels Hand zusammen. „Na, ob das einen Trinkspruch wert ist...“ „Klar! Ich bin froh, dass de wieder hier bis.“ Dariusz grinst breit und leert die Flasche direkt bis zur Hälfte. „Und nu erzähl. Oder muss ich dich echt abfüllen?“ „Nee...“ Raphael schüttelt lachend den Kopf. Eigentlich ist ihm noch immer nicht nach reden, aber vielleicht tut’s ihm ja doch gut. Schaden kann es wohl kaum noch. „Weißte... Bremen is halt nich Dortmund“, beginnt er und nimmt einen tiefen Schluck. Alkohol ist vielleicht doch ganz gut, um die Kehle kooperativ zu bekommen, denn das alles sitzt wie ein dicker Kloß darin, der sich nicht so wirklich bewegen will. „...und als ich euer Spiel gesehen hab, da konnt ich nich anders. Ich hab jedes verdammte Spiel gesehen, das ich sehen konnte. Jedes. Bin wie ein Idiot durch die beschissene Republik gefahren, um dabei zu sein. Auffer Tribüne, weils auf dem Feld ja nich ging...“ Raphael dreht das Wodkapinchen in seiner Hand. Es ist sein fünftes und so langsam kommt er wirklich in Fahrt. „Du bis verrückt...“ Der Killer schüttelt den Kopf, aber Anerkennung liegt in seine Augen. „Vielleicht... Verdammt, ich wollt nich gegen euch spielen! Meinste, das war Zufall, dass ich nie aufm Platz stand?“ Jetzt werden seine Augen groß. „Wat?“ „Ja. Dat eine Mal war ich verletzt, dat andere mal zufällig krank, ja, und diese Saison, da hab ich einfach scheiße gespielt, um nich gegen euch ran zu müssen...“ Raphael lacht heiser auf. „Scheiße, wat?“ „Nee... Bekloppt is dat. Aber… warum?” Der Killer blickt nichts. „Dortmund is mein zu Hause... Immer noch. Und...“ Raphael stockt. „Hätts nich ertragen gegen Julian zu spielen...“ „Wieso?“ Jetzt ist die Verwirrung komplett. „Wieso’n das?“ Raphaels Blick ruht lange auf Dariusz, schätzt ihn ab, denn er ist nicht betrunken genug, um jeden Verstand und jede Vorsicht zu verlieren. Aber Dariusz, dem Killer, dem kann er vertrauen. Da ist er sich sicher. „Warnmalzusammen.“ „Wat?“ Der Killer hat kein Wort verstanden. Ein tiefer Seufzer, dann wiederholt Raphael noch einmal deutlicher: „Wir. Waren. Mal. Zusammen. Vorletzte Saison.“ „Scheiße.“ Vollkommen überrascht lässt der Killer sein Glas fallen. Zum Glück ist es leer. „Nee, ne? Ihr... Du... Ihr...“ Er bringt keinen vollständigen Satz mehr über die Lippen und Raphael muss sich dazu zwingen, seine Augen nicht zu verdrehen. „Ja, ich bin schwul. Ja, er steht ja offenbar auch auf Männer. Ja, wir waren wirklich ein Paar. Und ja, das hat keiner mitbekommen.“ „Wow... Das ist... hart... Echt jetz. Voll hart. Krass, Alter.“ Dariusz schüttelt den Kopf und mangels eines Glases nimmt er gleich die Wodkaflasche und trinkt mit großen Zügen daraus. „Ihr... Echt jetz? Ohne Scheiß?“ „Echt.“ Raphael verkneift sich mühsam ein Seufzen. Warum hat er es eigentlich gesagt? „Und die ganzen Frauen? Du... has doch immer...“ Die Kinnlade des Killers ist noch immer unten. „Show.“ Raphael seufzt tief. „Um nich aufzufliegen.“ „Wat ne Scheiße.” Das kommt jetzt hörbar aus dem Herzen, dann legt Dariusz ihm die Hand auf die Schulter und drückt leicht zu. War vielleicht doch kein Fehler, ihm alles zu sagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)