Promise von Ange_de_la_Mort (Xigbar/Demyx) ================================================================================ The Final Clash --------------- Chapter 12/12 – The Final Clash Einige Zeit später – es war viel Zeit später, wenn man es genau nahm. Demyx wollte schließlich seine Belohnung für die mehr oder weniger abgeschlossene Mission einheimsen. Dass er geflohen war, erzählte er Xigbar übrigens erst nach dem Sex – saßen sie alle im großen Konferenzraum und warteten. Warteten auf Xemnas' neuste Anweisungen. Sie sprachen nicht noch einmal über die geheime Sitzung, die sie vor wenigen Stunden gehabt hatten, ließen Demyx und Luxord somit im Unklaren. Die beiden mussten nicht alles wissen. Vor allem nicht, wenn es um persönliche Dinge ging. Das bisschen an eingeschworener Gemeinschaft, das sie noch besaßen, würden sie nicht aufgeben. "Also", meinte Luxord und mischte seine Karten, "wenn ich das richtig verstanden habe, sollen Demyx und ich in zwei Welten gleichzeitig unser Glück versuchen?" Er wartete keine Antwort ab, sondern zog eine der Karten aus seinem Deck und lächelte sie an, steckte sie zurück und mischte wieder. "Das könnte amüsant werden." "Hey! Zieh für mich auch 'ne gute Karte!", meinte Demyx grinsend und beugte sich auf seinem Sitz vor, versuchte quer durch den Raum hindurch Luxords Blatt zu erkennen. "Und sag mir, dass alles für uns gut laufen wird, ja?" Xigbar verdrehte das linke Auge. Glaubte der Kurze etwa immer noch diesen Unsinn mit den Tarotkarten? Gut ... zugegeben ... für Demyx war ja damals auch alles gut verlaufen. Er selbst jedoch ... "Alles gut laufen?", fragte er nur schnippisch, als er die Erinnerung in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses verdrängte. "Sag bloß, du willst dieses Mal auch kämpfen und nicht wieder nur abhauen?" Ja. Ja, Xigbar war leicht ungehalten wegen der Sache aus der Unterwelt. Wer wäre das nicht? Wenn man bedachte, dass Demyx sich – als er zurückgekommen war – aufgeführt hatte wie der große Held, der den Drachen bezwang, um seine holde Maid durchzuvögeln, wo er doch in Wahrheit schreiend vor dem Drachen weggelaufen war und die holde Maid getäuscht hatte. Das nahm Xigbar ihm doch ein wenig sehr übel. Er blinzelte, legte die Stirn in Falten. Er sollte aufhören, von sich selbst als holde Maid zu denken. Das ... erschuf vor seinem geistigen Auge nur ein ekliges Bild. Als Demyx jedoch den Kopf hängen ließ und auf dem Stuhl in sich zusammensackte, tat es ihm schon wieder Leid. Er würde sich nach dem Meeting dafür entschuldigen. "Wie auch immer", sagte Xemnas gedehnt und beugte sich nach vorn. "Da Nummer Neun seinen bisherigen Auftrag noch nicht ausgeführt hat, wird er das nachholen, während Nummer Zehn sich nach Port Royal aufmacht, um die Welt endgültig zu vernichten." Demyx zuckte zusammen. Xigbar ebenfalls. Beide starrten sie zu Xemnas herüber, der ihren Blick entweder nicht bemerkte oder ignorierte. Schließlich sahen sich der Schütze und Demyx nur gegenseitig an. Wahrscheinlich hatten sie die gleichen Gedanken. Port Royal. Dort hatte alles begonnen. Für sie beide zumindest. Sollte es wirklich so sein, dass diese Welt für immer in die Dunkelheit stürzen musste? Xigbar ... sah Demyx' verzweifelten Blick. Xigbar wusste, wovor der Junge sich fürchtete. Was, wenn er sein Herz zurück erhielt? Was, wenn er wieder ein Mensch wurde? Dann hätte er kein Zuhause mehr, keinen Ort, an den er zurückkehren könnte. Und sie beide erinnerten sich an ihr gemeinsames Versprechen, eines Tages die Meere dieser Welt zu erkunden. Daraus würde wohl nichts mehr werden, denn Luxord nickte zufrieden grinsend und ließ verlauten, dass er in Port Royal sehr viel Spaß haben würde. Das bezweifelte Xigbar nicht. Er kannte den Spieler gut genug, um zu wissen, dass Luxord sich mit den billigen Huren und den anderen Spielern, den Piraten und Vollidioten, die sich von ihm zu einer Partie überreden ließen, sehr gut amüsieren würde. Aber er wusste auch, dass Port Royal über kurz oder lang dem Untergang geweiht war. Er bedauerte es. Um Demyx' Willen. Denn der sah aus wie am Boden zerstört, hatte den Blick gesenkt, war in sich zusammengeschrumpft. Armer Junge ... "Und schließlich ...", sprach Xemnas weiter, "wird Nummer Neun ins Land der Drachen reisen, und die Herzlosen auch dort freisetzen." "Was?", kam es von Xigbar und Demyx gleichzeitig, von dem einen verwirrt und überrascht, von dem anderen entsetzt. Der Schütze sah, wie Saix grinste. So ... so war das also. Das ganze großartige Ablenkungsmanöver, um Radiant Garden zum Fall zu bringen, sollte noch mehr darstellen ... eine Strafmission für sie beide. Natürlich wurde Xigbar nicht nach Port Royal geschickt, da er schon einmal 'bewiesen' hatte, dass er nicht in der Lage gewesen war, die Welt auszulöschen. Diese Strafe führte an seiner Stelle Luxord aus. Höchstwahrscheinlich unwissentlich. "Aber ich will nicht ins Land der Drachen!", lamentierte Demyx mit zittriger Stimme, wobei er immer wieder unauffällige Seitenblick zu Xigbar warf. "Ich war heute schon auf Mission! Und wenn ich da jetzt noch einmal hin muss, mag ich hinterher nicht noch einmal losgehen!" Saix schürzte die Lippen, bleckte die Zähne. Er war offensichtlich kurz davor, auf den Musiker loszugehen. Doch Xigbar kam ihm zuvor. "Ich gehe." "Was?", ertönte es wieder aus zwei Kehlen, dieses Mal von Saix und Demyx. Xigbar nickte kühl. "Er will doch nicht. Und es dauert viel zu lange, ihn in zwei Welten zu schicken. Ich erledige das. Ich werde nicht lange brauchen." Er lächelte überheblich, breitete einladend die Arme aus. "Und hinterher schließe ich mit euch in Radiant Garden auf, einverstanden?" Schweigen. Stille herrschte im Raum. Keiner sprach ein Wort. Und Demyx sah unsicher zu ihm herüber. Und schließlich … Schließlich stimmte Xemnas zu. ~*~ Nach dem Meeting, als sie alle sich für ihre jeweiligen Missionen bereit machten, wartete Demyx auf Xigbar, fing ihn in dessen Zimmer ab. In seinen Augen spiegelte sich die Angst, die sie doch angeblich nicht verspüren konnten. Seine Hände zitterten, weswegen er sie zu Fäusten ballte. Er schwieg, denn täte er es nicht, so würde er – so vermutete Xigbar zumindest – den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung verlieren und zu weinen beginnen. Xigbar verstand ihn nur zu gut. Ihm ging es ähnlich. So schwieg auch er nur, setzte sich zusammen mit Demyx auf sein Bett, zog ihn auf seinen Schoß. Er hielt den Jungen fest an sich gedrückt, streichelte ihm über den Rücken, ließ zu, dass Demyx' Finger sich in seine Schultern, seine Haare, seinen Nacken krallten. Und als sein Freund schließlich doch nicht mehr an sich halten konnte, als leises Schluchzen aus seiner Kehle drang und als er das Gesicht in Xigbars Halsbeuge vergrub, als die ersten Tränen dessen Haut benetzten … da war Xigbar für ihn da und teilte mit ihm den Schmerz, der sie beide aus ganz unterschiedlichen und doch so ähnlichen Gründen ereilen würde. „Sie nehmen mir alles weg“, brachte Demyx irgendwann unter ersticktem Schluchzen hervor. „Sie nehmen mir mein Zuhause weg.“ Nicht nur dir, dachte Xigbar, doch er sagte weiterhin kein Wort, denn es war nicht der Moment für ihn, Schwäche zu zeigen. Nicht, wenn Demyx ihn brauchte … „Was sollen wir jetzt tun? Wo können wir denn noch hin? Was ...“ Er stockte einen Moment und hob schließlich den Kopf, blickte Xigbar aus diesen unendlich grünen, unendlich ehrlichen Augen an, die ihn schon bei ihrer ersten Begegnung so fasziniert hatten. Ehrlichkeit war etwas gewesen, das er schon viele Jahre zuvor abgelegt hatte; von dem er nicht einmal mehr gewusst hatte, dass er sie noch besaß. Doch jetzt antwortete er mit einem leisen „Ich weiß es nicht“ und war damit so ehrlich wie noch nie zuvor in seinem Leben. „Was bleibt jetzt noch für uns?“, hauchte Demyx so leise, dass Xigbar ihn kaum verstand. „Ich weiß es nicht“, sagte er nur wieder. Und dann, nach ein paar Sekunden, setzte er hinzu: „Aber wir werden schon etwas finden. Und wenn wir uns eine Welt erschaffen müssen.“ „Eine Welt für dich und mich?“ Demyx klang zweifelnd, skeptisch, sah Xigbar fragend an. So nickte der nur schnell. „Und das glaubst du wirklich?“ „Ich glaube es nicht nur. Ich verspreche es dir.“ Und so sehr es ihn selbst verwunderte, so sehr glaubte er tatsächlich an eine gemeinsame Zukunft mit ihnen beiden in irgendeiner Welt, die sie zu ihrer eigenen machen konnten. Und zum ersten Mal in seinem Leben betete er stumm darum, dass ein Wunsch in Erfüllung gehen mochte. Ein Wunsch, der von ganzem Herzen kam. ~*~ Noch bevor er das Portal komplett durchschritten hatte, stach ihm die kalte, klare Luft in die Nase und er lächelte schwach, als er die verschneiten Hänge und Gipfel betrachtete. Seit seinem letzten Besuch hatte sich wirklich nichts verändert. Diese Welt war so simpel, so friedlich und idyllisch. Es tat ihm weh, ihr Ende herbeizuführen. Wen Radiant Garden seine Heimat war, so war das Land der Drachen sein Zuhause; der Ort, an den er sich zurückziehen konnte, der ihm schon immer am liebsten gewesen war. Hier hatte er immer vergessen, wer er war, was er war. Hatte nur immer die Stunden in Freude und Glücksseligkeit verbracht. Nun … das würde sich bald ändern. Langsam schritt er die verschneiten Trampelpfade hinab, wobei der Schnee unter seinen Stiefeln knirschte, und dachte nach. Was wäre wohl … imposant genug, um den kleinen Schlüsseljungen so sehr zu beeindrucken, dass er alles stehen und liegen ließ? Was würde ihn lange genug aufhalten, damit er ihnen in Radiant Garden nicht in die Quere kam, damit sie die Welt in aller Ruhe endgültig vernichten und einen Schlussstrich unter ihre alte Existenz setzen konnten? Er sah sich um, ließ den Blick über die Hügel und Felder, die kleinen Städte und schließlich über die Hauptstadt selbst schweifen, die sich in weiter Ferne am Horizont abzeichnete. Dort würde sich seine kleine Showeinlage abspielen, das war klar. Es wäre unsinnig, ein kleines Dörfchen zu bedrohen. Damit würde das Schlüsselkind viel zu schnell fertig werden. Und da … da hörte er etwas. Das Brüllen des Wesens, das in dieser Welt heiliger war als der Kaiser von China selbst. Und er lachte gehässig, denn die Idee, die sich in seinem Kopf formte, gefiel ihm sehr ... ~*~ Man konnte sich wohl vorstellen, dass Demyx alles andere amüsiert war, noch einmal in die Unterwelt zurückzukehren. Er hatte nämlich inzwischen eine 'leichte' Paranoia entwickelt und befürchtete, hinter jeder Biegung der vernebelten Gänge auf ein gewisses dreiköpfiges Monsterschoßhündchen zu treffen. Also schlich er langsam und zögerlich voran, schielte um jede Ecke und seufzte immer wieder erleichtert auf, weil er in kein triefendes Maul – beziehungsweise derer drei – starren müssen durfte. Natürlich hatte er jetzt auch den Olympusstein. Das sollte ihn eigentlich etwas beruhigen. Dummerweise tat es das nicht. Verdammt. Und wenn er so die Wege betrachtete, die sich zu seinen Füßen erstreckten, dann würde er auch sagen, er hatte sich verlaufen. Verdammt. Er seufzte leise und kratzte sich am Hinterkopf. Okay. Noch einmal nachdenken. An welcher Gabelung war er falsch abgebogen? Ein leises Räuspern riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich um, blinzelte verwirrt, als vor ihm eine Ente, ein Hund und ein Junge standen. Moment … eine Ente, ein Hund und ein Junge? Dieses Gespann hatte er doch erst vor Kurzem noch gesehen … in Hollow Bastion … „Roxas!“, rief er erfreut, als er sich erinnerte und machte einen Schritt auf den Jungen zu. Als der jedoch nicht auf seinen Namen reagierte, sondern ihn nur verwirrt und skeptisch betrachtete, seufzte Demyx wieder einmal. So viel also zu ihrer glücklichen Reunion. Aber … einen Moment! Er hatte doch noch den Zettel von Saix. Vielleicht stand da etwas Nützliches darauf. Schließlich hieß es doch, das wären seine Anweisungen, falls er auf Roxas treffen sollte … Unter dem misstrauischen Blick des ungleichen Trios kramte er in seiner Mantelasche, holte schließlich das Schriftstück hervor und entfaltete es. „Sollte das Subjekt keine Reaktionen zeigen“, murmelte er leise zu sich selbst, als er die fein geschwungene Linien der peniblen und übersorgfältigen Handschrift, die wirklich eindeutig genauso war wie Saix selbst, mit den Augen nachzeichnete, „verwende Gewalt, um sein wahres Wesen frei zu setzen.“ Na toll. Demyx schüttelte nur den Kopf und streckte Saix' Zettel wieder ein. „Und ich hab' noch gesagt, dass ich für solche Aufgaben nicht geeignet bin.“ Aber gut, Befehle waren Befehle. Auch, wenn er Roxas nur ungerne wehtat. Seine Finger schlossen sich um den runden Stein der Götter und er konzentrierte sich darauf, seine Sitar zu beschwören. Und wurde jäh unterbrochen, als Roxas ihn anschrie, anklagend mit dem Finger auf ihn zeigte und ihn beschuldigte, ein Dieb zu sein. „Hey! Das ist jetzt aber unhöflich!“, erwiderte er und murrte leise, vergaß für einen Moment, was er tun wollte. Oh. Ach ja. Sitar. Eine Sekunde später erschien sie in seiner Hand und er machte sich zum Kampf bereit. ~*~ Natürlich. Das war typisch. Egal, wie knapp der eigene Zeitplan war, und egal, wie gut man geplant hatte, irgendetwas ging immer schief. Irgendetwas war in diesem Falle der Spion, der sich schon vor Wochen in die Organisation eingeschlichen hatte, um ihre Pläne auszuhorchen. Sie hatten ihn so oft verfolgt, so oft versucht, ihn zu schnappen, doch er war ihnen immer durch die Lappen gegangen. Und ausgerechnet jetzt hielt der Pisser es für nötig, direkt vor Xigbar aufzutauchen, sein Schwert zu ziehen und ihn zum Zweikampf herauszufordern. Xigbar verdrehte nur genervt das gesunde Auge. "Oh komm schon, was soll das?“, fragte er und breitete die Arme aus, gestikulierte leicht. "Du stehst mir im Weg. Toll. Und was bringt uns das? Gar nichts." "Im Gegenteil!, fauchte der Spion unter den Tiefen seiner Kapuze, brachte Xigbar für einen Augenblick zum Zögern, denn er kannte die Stimme – aber das konnte nicht sein, denn Xehanorts Herzlosen gab es nicht mehr, den hatte der Schlüsseljunge erledigt – und hob das Schwert, nahm eine Kampfposition ein. "Ich weiß, was du vorhast!" "Schön für dich. Dann weißt du sicher auch, dass ich nicht die Zeit habe, mit dir zu spielen." "Ich lasse nicht zu, dass du den Leuten in dieser Welt Schaden zufügst!" Hatte der Typ ihm überhaupt zugehört? Er hatte nicht die Zeit für diesen Scheiß! Er musste sich beeilen, damit er rechtzeitig nach Radiant Garden kam, seinen Job erledigte und später zusammen mit Demyx seinen Frust darüber, das Land der Drachen in die Dunkelheit gestürzt zu haben, in Alkohol zu ertränken. "Du kommst an mir nicht vorbei!", knurrte der Spion weiter und ... stürzte sich auf Xigbar. Was ihm relativ wenig brachte, denn dort, wo der Schütze noch vor einer Sekunde gestanden hatte, an der Stelle, an der das Schwert jetzt niedersauste, zerteilte es nicht weiter als kalte Luft. Xigbar selbst hatte sich teleportiert, stand nun hinter dem anderen und gab einen Stoßseufzer von sich. "Erstens sagen sie das alle", meinte er nur, "zweitens bin ich - wie du siehst - noch überall vorbeigekommen, und drittens ..." Für drittens blieb dummerweise keine Zeit mehr, denn Xigbar musste sich ducken, als der andere wieder zum Schlag ausholte und das Schwert so nahe am Kopf des Schützen vorbei glitt, dass der das zischende Geräusch des Schwertes laut und deutlich und bedrohlich vernehmen konnte. Na gut. Dann ging es eben nicht anders. Wer nicht hören wollte, musste fühlen. ~*~ Demyx' Finger glitten über das Laken, über das Kissen, das Lager, das er und Xigbar noch vor einigen Stunden miteinander geteilt hatten. Und er seufzte. Irgendwie hatte er bei der ganzen Sache ein schlechtes Gefühl. Und obwohl Xigbar ihm gesagt hatte, dass alles in Ordnung sei, hatte er ein schlechtes Gewissen. Er hatte sich vor der Mission im Land der Drachen gedrückt, hatte die Arbeit auf Xigbar abgewälzt – mal wieder. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass der Schütze sich dazu bereit erklärte, die Welt selbst zu vernichten. Er hatte gedacht, er müsste nur lange genug protestieren, damit Xemnas wenigstens diese Welt in Ruhe ließ. Es war nicht fair, dass sie beide die Orte verlieren sollten, an die sie sich zurückziehen konnten, wenn sie sich nicht gut fühlten. Es war nicht fair, dass sie bestraft wurden. Sie hatten ihre Arbeit doch immer erledigt! Fast immer. Meistens. Oft. Und es war nicht fair, dass das alles nur geschah, weil keiner in der Lage gewesen war, Roxas zu erledigen, bevor er sich mit seiner anderen Hälfte wieder verband. Heute hatte er wirklich begonnen, Roxas zu hassen. Und dazu hatte er auch allen Grund, wenn er sein blaues Auge und seine schmerzenden Glieder bedachte. Roxas hatte ihn … zusammengeschlagen. Ihm den Stein der Götter abgenommen, ihn in die Flucht geschlagen und seine Laune auf den Tiefpunkt sinken lassen. Er seufzte und ließ sich nach hinten auf die Matratze fallen, atmete zufrieden den Geruch ein, der noch immer in den Laken steckte. Xigbars Geruch. Sein eigener ebenfalls. Und der von Sex. Eine sehr gute Mischung, wenn man ihn fragte. Dummerweise tat das gerade niemand. Ein paar Minuten verweilte Demyx so, dann erhob er sich langsam und öffnete das Fenster, machte schließlich das Bett. Vielleicht - so überlegte er - sollte er irgendetwas tun, um Xigbar eine Freude zu machen. Ein Dankeschön dafür, dass er seine Mission übernahm. Aber was? Leider blieben seine Überlegungen nicht lange ungestört - aber eigentlich war das nicht schlimm, das einzige, von dem er wirklich wusste, dass Xigbar sich darüber freuen würde, war Sex. Verdammt. All die Zeit hatten sie bereits zusammen verbracht, und dennoch kannte er seinen Schützen kaum. Das mussten sie unbedingt ändern, wenn Xigbar zurück kam. Sie mussten ... reden. Über alles. Es würde Zeit werden, dass nicht nur Demyx seine Lebensgeschichte mit dem anderen teilte. Es klopfte an der Tür und Saix trat, ohne auf Antwort zu warten, ein. Und kurz darauf rümpfte er die Nase, wobei er das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzog. Obgleich Demyx eigentlich wütend darüber sein sollte, dass Saix seine Privatsphäre nicht respektierte und seine Abscheu so offen zeigte – Herrgott, nur weil Saix keinen Sex hatte, musste er nicht allen anderen den Spaß daran verderben –, spürte er, wie ich eine leichte Röte auf seine Wangen legte und er unsicher die Arme vor der Brust verschränkte und das Kinn in die Höhe reckte. Eine der vielen Posen, die er sich von Xigbar abgeschaut hatte. Doch was bei dem Schützen arrogant und überheblich wirkte, das – so wusste Demyx selbst, denn er hatte oft genug vor dem Spiegel geübt, um zu wissen, dass seine Technik noch nicht ausgereift war – ließ ihn selbst nur wie ein trotziges Kleinkind aussehen. "Was platzt du hier einfach so herein?", wollte er wissen, und gab sich alle Mühe, böse drein zu blicken. "Du hast eine Mission", sagte Saix nur kühl und musterte Demyx' Haltung, verzog die Lippen zu einem Grinsen, entblößte dabei seine spitzen Eckzähne. "Wir haben beschlossen, dass wir auf Nummer Zweis Rückkehr nicht warten können." "Inwiefern?" Wieso klang das nicht gut? Wieso klang das gar nicht gut? "Du hast die große Ehre, uns bei unserem Sturm auf Radiant Garden zu begleiten und eine Schlüsselrolle darin zu spielen." Oh. Deshalb klang das nicht gut. Weil es ein großer Haufen Scheiße war, in den er mit der Nase voran gestoßen wurde. Verdammt. ~*~ Es stellte sich als nicht allzu schwer heraus, den Spion hinter sich zu lassen. Ein gezielter Schuss in die rechte Hand, um ihn handlungsunfähig zu machen und ihn abzulenken. Dann ein Schlag mit dem Lauf seiner Waffe gegen den Hinterkopf des anderen. Und schon hörte der Spion die Engel singen. Zu gerne hätte Xigbar sich weiterhin mit ihm beschäftigt und ihn ausgefragt – wenn er ehrlich war, machte es ihm nichts aus, Blut an seinen Händen kleben zu haben. Das wäre für ihn nichts Neues –, doch ihm fehlte die Zeit dazu. Radiant Garden wartete auf ihn. So beschloss er, dass sich andere mit dem Typen beschäftigen konnten, und lief weiter. Zu jenen höchsten Höhen, in denen die Luft so dünn wurde, dass einem das Atmen Schmerzen bereitete. Zu dem Ort, an dem sie residierten, ruhten, über diese Welt wachten. Sie, die Drachen. Majestätische Wesen, erhaben und so alt und weise wie die Zeit an sich. Größte Vorsicht war im Hinblick auf den Umgang mit ihnen geboten; eine falsche Bewegung, eine unkluge Tat und man würde ihren Zorn auf sich ziehen. Xigbar betrachtete sie einem Moment lang, sah zu, wie sie flammende Malereien an den Horizont zeichneten, während sein Blick sich verfinsterte, als er daran dachte, dass er eines seiner Versprechen brechen musste. Denn sobald dieser Tag sich dem Ende neigte, würde es keine Drachen mehr geben, die er Demyx zeigen könnte. ~*~ Radiant Garden. Hollow Bastion. Die Überreste der Stadt des Lichts. Demyx fand, dass von diesem Licht wirklich nicht mehr viel übrig geblieben war. Xigbar hatte ihm nie erzählt, wie genau diese Welt zugrunde gegangen war, und Demyx hatte nie nachgefragt. Er wollte nie wissen, was genau die ersten Sechs getan hatten. Ihre Sünden waren nichts, das ihn etwas anginge. Er hoffte jedoch, dass er selbst nicht für ihre Fehltritte zu büßen hatte und dass sich dieser Auftrag nicht als allzu kompliziert herausstellte. Leider wurden seine Hoffnungen wie so häufig enttäuscht, als er einmal mehr ein Räuspern hinter sich vernahm. Verdammt! Demyx schluckte und drehte sich langsam zu Roxas – beziehungsweise Sora. Beziehungsweise Roxas. Ach, egal, anderer Name, gleicher mieser Charakter – und seinen zwei Haustieren um, zwang ein Lächeln auf seine Lippe. „Du schon wieder“, sagte Roxas und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du willst also Hollow Bastion zerstören. Ist das ein Witz?“ „Äh ...“ Demyx zögerte, zuckte mit den Schultern. „Hört mal“, begann er langsam, „ich bin nicht hier, um mich mit euch anzulegen.“ „Stimmt.“ Roxas nickte. „Dass du dazu nicht in der Lage bist, hast du ja bewiesen.“ Okay, das tat weh. Aber es war nicht schlecht. Wenn Roxas ihn für unfähig hielt, würde er ihn vielleicht in Ruhe lassen. Doch Roxas musterte ihn abfällig. „Wie ist so einer wie du überhaupt in die Organisation aufgenommen worden? Dein Herz kann doch gar nicht stark genug gewesen sein – so wie du kämpft.“ „Hey, das ist jetzt unnötig gemein!“ „Oh, komm schon. Du hat nicht das Herz, um beleidigt zu sein!“ „Das ist nicht wahr!“, fauchte Demyx. „Wir haben auch Herzen!“ Dessen war er sich nach all den Jahren noch immer gewiss, denn seines schlug ihm gerade bis zum Hals, sorgte dafür, dass dutzende verschiedener Emotionen auf ihn herein brachen und sein Denken vernebelten. Wenn er Roxas jetzt tötete … dann gab es keinen Grund, seine Heimat zu vernichten. Dann musste er sich nicht mehr darum sorgen, ob er und Xigbar gesund von einer Mission zurückkehrten oder nicht. Dann würden sie ihr Ziel auf alle Fälle erreichen. Dann könnten sie endlich glücklich sein. „Du? Ein Herz? Du bist ein Nobody – ihr habt keine Herzen. Ihr könnt nicht fühlen. Ihr solltet nicht einmal existieren!“, sprach Roxas überheblich, bewies endgültig, dass er seine eigene kurzzeitige Nichtexistenz sowie seine ehemaligen Kollegen vergessen hatte, dass er nicht mehr der Roxas war, den Demyx gekannt hatte. Jetzt war er nur noch ein Hindernis, das es auszulöschen galt. „Sei still, Verräter!“, rief Demyx ihm zu, während er seine Sitar beschwor, während seine Augen vor Entschlossenheit blitzten wie das Meer kurz vor einem verheerenden Sturm. Er würde es beenden. Ein für allem Mal. Seine Bewegungen kamen einem Tanz gleich; perfekt choreographiert, perfekt einstudiert. Sein ganzes Wesen legte er in diesen Kampf, als er auswich, sich vor den Angriffen duckte, sich hinter einer schützenden Wand aus Wasser verbarg. Wasser, das seinen Rufen folgte, das er aus dem Boden zog oder aus dem Nichts erschuf. Demyx atmete schwer, sackte immer wieder leicht in sich zusammen. Er biss die Zähne aufeinander, sammelte seine Kräfte wieder, leckte sich über die trockenen Lippen. So funktionierte es nicht. Er konnte sich nicht nur verteidigen. Er musste zurückschlagen. Der Griff um seine Sitar festigte sich, als er nach vorne preschte, als er das Surren des Luftzugs spürte, den das Schlüsselschwert verursachte, während es um Haaresbreite an seinem linken Ohr vorbei zischte, als er mit der Sitar ausholte und sie dem Schlüsselträger – nicht mehr Roxas, jetzt endgültig nicht mehr Roxas – gegen den Schädel schlug. Der Junge schrie auf und fiel zur Seite, hielt sich den Kopf. Blut lief aus seinem Ohr und seinen Hals hinab, er krümmte sich auf dem Boden , hatte offensichtliche Orientierungsprobleme. Demyx lächelte schwach und schritt auf ihn zu, rief bereits das Wasser in den Zellen des Jungen zu sich, lauschte seinen gequälten Schreien mit unverhohlenem Genuss. „Auf Wiedersehen, Roxas“, raunte er leise und wollte gerade zum finalen Schlag ansetzen – – da durchzuckte Strom seinen Körper, brachte ihn zum Schrein, dazu, auf die Knie zu sacken. Jede seiner Zellen fühlte sich an wie flüssiges Feuer, quälte ihn bei jedem Atemzug. Er zitterte unkontrolliert, knirschte hörbar mit den Zähnen. Er hatte die Ente vergessen. Verdammt! Langsam und unter Schmerzen rappelte er sich auf. Seine Glieder erschienen ihm wie Blei. Und er war nicht in der Lage, schnell genug auszuweichen, als die stumpfe Klinge des Schlüsselschwertes mit voller Wucht auf seinen Rücken traf – und als Demyx hören, spüren, fühlen konnte, wie seine Rippen brachen. Oh Gott. Gott, es schmerzte. Der Schlag schickte ihn mit dem Gesicht voran zu Boden und er biss die Zähne zusammen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er krallte sich in den Steinboden, zwang sich, wieder auf die Beine zu kommen, schwankte. Er brauchte einen Moment, um Luft zu holen, wieder zu Atem zu kommen – und jeder Atemzug schmerzte wie die Hölle –, doch … dieser Moment sollte sein letzter sein. Heiliges Licht, pures Licht, stärkere Magie als er jemals gesehen hatte, fraß sich durch seinen Körper, löste die Dunkelheit in ihm auf. Löste ihn auf. Und er schrie, flehte um sein Leben, seine Existenz … flehte um sein Glück. Und noch während er sich in demselben Nichts auflöste, aus dem er selbst bestand, bat er Xigbar um Verzeihung. Er konnte ihr Versprechen nicht einhalten. Und er betete für eine zweite Chance, eine letzte Möglichkeit, Xigbar noch einmal zu sehen. Alles, was von ihm verblieb, war eine Träne. Eine Träne, die aus einem Wunsch entstanden war. ~*~ Gelbe, von der Dunkelheit getünchte und getrübte Augen blickten leer umher. Von der Weisheit, der Intelligenz und Ruhe war nichts mehr geblieben. Auf seine eigene Art und Weise tat es Xigbar Leid, eines der stolzen Wesen seines Herzens zu berauben. Doch es war nötig gewesen. Außerdem war dieser Drache nur der erste von vielen, die noch folgen würden, wenn diese Welt zersplitterte. Sein Weg führte ihn durch Peking; vorbei an den Plätzen, die er so gerne besucht, den Läden, die er so gerne durchstöbert hatte. Heute fand sich nichts mehr von der fröhlichen Grundstimmung der Menschen, die diese Welt so auszeichnete. Heute flohen die Menschen vor den Herzlosen, die durch die Straßen schlichen, sich aber auch offen und aggressiv zeigten. Ihm selbst taten sie natürlich nichts. Ihm fehlte, wonach sie instinktiv gierten. Er besaß das, wonach sie und er sich am meisten sehnten, nicht. Ungehindert schritt er die vielen Treppen zum Palast hinauf, während hoch über dem Gebäude der riesige Herzlose kreiste. Xigbar müsste nicht mehr hier sein. Er hatte getan, was zu tun war. Er hatte den Herzlosen den Weg in diese Welt geebnet. Doch … er wollte, dass diese, dass seine Welt mit einem großen Knall ausgelöscht wurde. Und was wäre wohl imposanter als ein herzloser Kaiser höchstselbst? Er stand vor dem großen Flügeltor und atmete noch einmal tief durch. Und gerade, als er den nächsten Schritt tun wollte, hörte er, wie Sora hinter ihm auftauchte. Xigbar zuckte überrascht zusammen, fluchte innerlich. „Riku?“ Die Stimme des Kindes – denn für Xigbar war er nicht mehr als ein Kind – klang flehend, unsicher. Der Schütze grinste unter der Kapuze, drehte sich herum – und erstarrte. Blut. Getrocknetes Blut klebte an Soras Kleidung. Xigbars Atem stockte und er hatte plötzlich ein unendlich schlechtes Gefühl. Schnell zwang er ein überhebliches Grinsen auf seine Lippen und nahm die Kapuze ab. „Keine Ahnung, wen du da meinst“, sagte er – und das war sogar die Wahrheit – und nutzte den Moment der Überraschung, der Erschütterung und der Enttäuschung auf Soras Gesicht, um sich an ihm vorbei zu drängen und in einem mit einer Handbewegung erschaffenen Portal zu verschwinden. Er musste unbedingt zurück zum Schloss. Irgendetwas – so fürchtete er – war da ganz furchtbar schief gelaufen. ~*~ Xigbar war die Ruhe in Person. Er regte sich nicht auf. Er blieb vollkommen ruhig. So unendlich ruhig, wie man eben sein konnte, wenn man Xemnas am Kragen gepackt hatte und ihn wutentbrannt anschrie. „Wie konntest du das zulassen?“ Seine Finger ließen von Xemnas' Kragen ab und legten sich um die Kehle des Superiors, drückten langsam zu. „Wie konntest du? Wir hatten eine Abmachung! Warum konntest du dich nicht daran halten?“ Und warum zum Teufel blieb er so unendlich gelassen, warum lächelte er nur, obwohl Xigbar ihm gerade die Atmung abschnürte? Nur wie durch einen Nebel nahm er wahr, wie Luxord ihn an den Schultern packte, ihn bat, sich zu beruhigen. „Ich bin ruhig!“, schrie Xigbar nur weiter. Und es brauchte die vereinte Kraft von Luxord und Xaldin, um ihn von Xemnas zu lösen, ihn festzuhalten, ihn daran zu hindern, einen Mord zu begehen. Saix, der genauso unbeteiligt tat wie der Superior, schüttelte nur sanft lächelnd den Kopf. Und als er den Mund öffnete, sprach er mit Xigbar wie mit einem Kind, das zu jung war, um zu verstehen, warum seine Eltern sein Haustier weggegeben hatten. „Du solltest dankbar sein. Jetzt gibt es nichts mehr, das dich von unserem Ziel ablenkt.“ Xigbar musste ihn nicht einmal berühren, musste ihn nicht einmal ansehen, seine Präsenz nicht einmal wirklich anerkennen, um ihn mit einem gebündelten Schlag seiner Magie, seiner Kräfte nach hinten zu schleudern. Saix prallte gegen die Wand und Xigbar hörte Knochen bersten, vernahm den Schmerzensschrei. Doch es befriedigte ihn nicht. Nichts, was Xigbar Saix antun könnte, würde dem Berserker jemals das Ausmaß an Schmerzen erleben lassen, das Xigbar in diesem Moment selbst verspürte. „Lasst uns alleine.“ Es waren die ersten Worte, die Xemnas seit dem Beginn von Xigbars Wutanfall sprach, und es waren Worte, die Verwirrung auslösten. Doch schließlich reagierten Luxord und Xaldin auf diesen Befehl, und als sie Xigbar losließen, sackte der kraftlos auf die Knie. „Du auch“, befahl Xemnas mit einem Seitenblick zu Saix, der sich gerade aufgerappelt hatte, seinen linken Arm hielt, der in einem unnatürlichen Winkel von seinem Körper abstand. Geschah ihm ganz recht, fand zumindest Xigbar. Als auch Saix den Rum verlassen hatte – wenn auch widerwillig –, betrachtete Xemnas Xigbar einen Augenblick lang, ehe er vor ihm in die Knie ging. „Sieh mich an“, sprach er leise, tonlos, legte eine Hand auf Xigbars vernarbte Wange, um ihn dazu zu bringen, diese Bitte – diese Order – auch zu befolgen. „Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst.“ „Einen Scheißdreck weißt du!“ Xigbars Stimme war schwach und brüchig. Doch er weinte nicht. Er hatte das Weinen schon vor langer Zeit verlernt. „Ich weiß, dass du glaubst, ein Gefühl zu verspüren. Dass du glaubst, mich zu hassen.“ Xigbar wollte sagen, dass er das nicht nur glaubte. Er hasste Xemnas mit jeder Faser seines Körpers. „Doch nicht ich bin es, gegen den sich dieser Hass richten sollte“, raunte Xemnas ihm zu, verschwörerisch, sanft und zärtlich. „Es war er, Roxas, der Demyx getötet, ihn ermordet hat. Richte deinen Hass auf ihn, mein treuer Freund, denn er verdient es.“ Und Xigbar sah ihn lange an, starrte in die orangen Augen, ließ die Worte auf sich einprasseln. Und er glaubte. ~*~ Die nächsten Tage – oder Wochen, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren – verbrachte er ausschließlich damit, am Zeugnis ihrer Nichtexistenz vor dem Grab des Jungen zu knien, das rote, schwache Leuchten der Grabplatte zu betrachten, und bittere Rache zu schwören. Keiner der anderen störte ihn mehr. Anfangs hatte Luxord versucht, ihn abzulenken, ihn zu einem Spielchen oder einer Flasche Alkohol zu überreden. Doch er hatte schnell begriffen, dass es für Xigbar nichts mehr gab. Nicht, solange Demyx' Mörder noch lebte. Auch Xaldin hatte ihm seine Ruhe gelassen. Er war vor einiger Zeit selbst zu der Mission aufgebrochen, die er bereits hätte erledigen sollen, die sich durch die vergeblichen Versuche, Xigbar aus seiner Tristesse heraus zu locken, jedoch verzögert hatte. Selbst Saix hatte einmal nach ihm gesehen, als seine Wut auf den Schütze verraucht und sein gebrochener Arm durch ein, zwei Potions verheilt war. Xigbar … wusste nicht, ob sein Verhalten ihnen gegenüber richtig gewesen war. Er hatte sie mit Nichtbeachtung gestraft, sie ignoriert, keinen ihrer Ratschläge hören wollen. In dem kleinen Teil seines Gehirns, der nicht mit Wut und Hass und der Gier nach Rache ausgefüllt war, tat es ihm ein wenig Leid. Und er nahm sich vor, sich bei ihnen allen zu entschuldigen, sobald Xaldin zurückkehrte. Ein Knacken zerriss seine Überlegungen. Das Ächzen von Metall, das Splittern von Glas. Unter Xigbars entsetztem Blick zerbarst Xaldins letztes Lebenszeichen und das vitale Blau der Grabplatte färbte sich in ein unglückseliges Rot. Ein Scherbenhaufen war alles, was von dem stolzen Lanzenträger noch geblieben war. Und als Xigbar begriff, was das bedeutete – für ihn, für Xaldin, für ihre gemeinsamen Jahre, ihre Freundschaft –, da vernahm man im gesamten Schloss den Schrei seiner gequälten Seele. ~*~ „Er ist hier.“ „Ich weiß.“ „Was wirst du tun?“ „Was für eine Frage ist das denn bitte? Ich mach den kleinen Scheißer platt, das werde ich tun!“ Luxords Mundwinkel umspielte ein grimmiges Lächeln, als er die Härte im Blick seines Kollegen, seines Freundes sah. Sie wussten beide, dass Luxord nicht viel von Xigbars ungestümer Art hielt, obgleich er sie nachvollziehen konnte. Er hielt auch nicht viel davon, sich jetzt aufzuteilen und Sora die Gelegenheit zu geben, sie einzeln zu erwischen, sich zwischen den Kämpfen auszuruhen und seine Kräfte zu sammeln. Das hatte er Xigbar auch gesagt. Aber auf ihn hörte man nicht. Und als der Schütze mit hoch erhobenem Haupt an ihm vorbeiging, konnte er nichts weiter tun, als ihm gutes Gelingen zu wünschen und zu hoffen, dass die Dame des Glücks auf seiner Seite stand. Früher war es die Halle der Melodien gewesen, in der man Demyx' Sitarspiel am deutlichsten hatte vernehmen können. Die Akustik des Raumes war so aufgebaut, dass alle Klänge des gesamten Schlosses hier gebündelt wurden. Seit Demyx … nicht mehr bei ihnen war, gab es keine Klänge mehr, die es wert waren, dass man ihnen lauschte. Der Ort war leer. Eine leere Halle voller Erinnerungen an Melodien, die nur noch als Schatten in Xigbars Gedächtnis existierten. Er hielt es nur für passend, Soras Leben hier ein Ende zu setzen. Er atmete tief durch, ballte die Fäusten und schritt voran. Saix hatte dem Kind den Rest ihrer Pläne verraten und die Herzlosen auf ihn gehetzt. Wohl in der Hoffnung, ihn zu schwächen, damit sie später leichteres Spiel mit ihm hatten. Aber so funktionierte es nicht. Das war nicht richtig – Xigbar wollte, dass Sora seine ganze Kraft im Kampf gegen ihn freisetzte, denn nur so wäre seine Rache auch befriedigend genug. „Was denkst du, was du hier tust?“, fragte Saix, der sich von der Szenerie der vielen Herzlosen abgewendet hatte und sich gerade auf den Weg zurück zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt machen wollte. „Du weißt, dass du hier nichts verloren hast.“ Xigbar schwieg kurze Zeit, richtete den Blick zu Boden und schloss das verbleibende Auge einige Sekunden lang. Dann legte er den Kopf schief und betrachtete Saix zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Zeit ohne Spott und Arroganz, ohne Wut und Hass. Diese Gefühle hatte er komplett auf jemand anderen gerichtet. „Geh mir aus dem Weg“, sagte er leise. „Xigbar“, begann Saix ungehalten und schürzte unwirsch die Lippen, erwiderte den Blick des Schützen gereizt. „Du wirst dich gefälligst an unsere Absprachen halten!“ „Geh mir aus dem Weg“, wiederholte Xigbar nur ruhig. „Sonst töte ich dich zuerst.“ Das brachte Saix zum Schweigen. Seine Gesichtszüge verloren ein wenig an Schärfe und er bedachte Xigbar mit einem langen Blick. „Es ist dir wirklich wichtig, oder?“, fragte er. Überflüssigerweise. Die Antwort war so klar erkennbar, dass selbst Saix sie problemlos in Xigbars Gesicht lesen konnte. Langsam ging er auf den anderen zu und so sehr Xigbar sich schon versteifte, damit rechnete, wirklich mit Saix kämpfen zu müssen, so sehr überraschte es ihn, als Saix ihm nur eine Hand auf die Schulter legte und ihm zunickte. „Viel Glück“, war alles, was er sagte. Xigbar lächelte ihn an, nickte ebenfalls, bedankte sich. Und er wusste, dass es der erste und der wahrscheinlich letzte Augenblick war, in dem sie beide sich wirklich gegenseitig zu schätzen lernten. Und während Saix seinen Weg ging, beschritt Xigbar den seinen, nutzte seine Macht, um die Herzlosen in der Halle zu vernichten. Denn Sora gehörte nur ihm. „Na“, rief er in die Tiefe hinab, „biste auch ein braver Junge gewesen?“ Es war eine rhetorische Frage. Natürlich lautete die Antwort Nein. Natürlich war das kleine Stück Scheiße nicht brav gewesen, hatte sie nicht ihrer Wege ziehen lassen, hatte sich ja unbedingt in ihre Angelegenheiten einmischen müssen. Er lachte humorlos, beantwortete seine eigene Frage mit einem bitteren „Nein. Das warst du wirklich ganz und gar nicht.“ und begab sich in Sichtweite, blickte hasserfüllt zu dem Schlüsseljungen hinab. Und für einen Moment, bevor er ihm sagte, dass er ihn in Stücke reißen, ihn endgültig erledigen würde, kam es ihm so vor, als hörte er die leisen Klänge einer Sitar. ~*~ Drei gegen einen war natürlich nichts, das man auch nur ansatzweise als gerecht bezeichnen konnte. Doch das machte Xigbar nichts. Solange er in sicherer Distanz blieb, würde ihm nichts passieren. Solange er den Schlägen auswich, nie lange am selben Standpunkt verweilte, solange er aus dem Hinterhalt angriff – was natürlich auch nicht sonderlich gerecht war, aber das war ein unnötiges Detail, um das Xigbar sich nicht weiter kümmerte –, so lange würde alles gut gehen. Und es sah auch lange Zeit so aus, als würde er endlich die Rache bekommen, nach der sich sein Innerstes so sehr verzehrte. Er genoss es, wie Sora schwer atmete, wie die Panik in seinen Augen glänzte, wie er sich umsah und abzuschätzen versuchte, von wo aus genau der Schütze seinen nächsten Angriff startete. Er lachte über die Wut des Jungen – ehrlich, was wusste er denn schon von Wut? –, als Xigbar ihn verhöhnte, ihn reizte, ihn dazu anstachelte, mehr zu geben, damit der Kampf nicht ganz so einfach wäre. Leider reichte es ihm irgendwann nicht, aus der Ferne zu kämpfen. Die Schüsse, die er abfeuerte, trafen zwar meist ins Schwarze – und oh, er genoss den Anblick von frischem Blut. Vor allem, wenn es Sora gehörte –, doch jegliche Wunden die er zufügte, wurden sofort geheilt und immer erschien es, als hätten Xigbars Angriffe nie stattgefunden. Er musste näher an ihn heran. Er tauchte vor dem Jungen auf, parierte den nächsten Hieb des Schlüsselschwertes mit dem Lauf seiner eigenen Waffe und trat nach Sora, traf seine Magengrube. Sora ließ das Schwert sinken, Schmerz zierte seine Miene, und Xigbar grinste überheblich, als er dem Jungen mir der Faust ins Gesicht schlug, ihn dazu brachte, zurück zu taumeln. Und schließlich ging er zu Boden, als der nächste Schlag ihn so hart traf, dass selbst Xigbars eigene Fingerknöchel schmerzten. Er würde ihn töten. Langsam. Qualvoll. Er würde ihm die Haut abziehen, ihm jeden Knochen einzelnen brechen, würde ihm das Herz herausreißen und es zwischen seinen Fingern zerquetschen. Diese und andere Verheißungen raunte er Sora zu, während er ihn betrachtete, während er immer wieder in seine Magengrube trat, während er eine seiner Waffen auf ihn richtete. Genau zwischen die Augen. Es würde ihn nicht umbringen. Noch nicht. Dafür würde Xigbar schon sorgen. Aber es würde der wundervolle Beginn einer langen Reihe von Qualen werden. Das versprach er ihnen beiden. Und als er schließlich abdrückte, liebte er den Geruch von nackter Angst, der den Schlüsseljungen umgab. Dummerweise hielt das allerdings nicht lange an, denn statt dem erhofften Nachhall eines Schusses hörte man nur ein leises Klicken. Xigbar verzog das Gesicht. Er hatte nicht nachgeladen. Verdammt. Nun gut, dann eben alles noch einmal von vorne … Zumindest nahm er sich das vor, als er hinter sich ein Geräusch vernahm und schnell zur Seite wich, ehe einer der vielen Zauber des Erpels ihn treffen konnte. Sein Blick verfinsterte sich und er bündelt seine Kraft, lud nach, um allem ein Ende zu bereiten – und musste erkennen, dass er einmal, ein einziges Mal in seinem Leben nicht schnell genug gewesen war, dass der Hass und die Wut seine Konzentration gestört hatten. Er hörte einen Schrei. Und es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass dieser Laut aus seiner eigenen Kehle gedrungen war. Sein Blick richtete sich nach unten zu seiner Brust. Richtete sich auf die gesamte Klinge des Schlüsselschwertes, die aus seinem Körper ragte. Ein Monument seiner Unachtsamkeit. Leises, ungläubiges Lachen kam ihm über die Lippen und er spuckte Blut, als ihm klar wurde, dass er auf genau diesen Trick schon einmal hereingefallen war. Damals, als er dem anderen Schlüsselträger und seinem Freund gegenübergestanden war. Was für ein Narr er doch gewesen war … zu glauben, dass er Gerechtigkeit einfordern konnte, während er selbst es war, der all die Jahre Unrecht begangen hatte … Die Klinge wurde aus seinem Körper gezogen, und obwohl Xigbar keinen Schmerz verspürte, schrie er noch einmal. Diesmal jedoch … aus reiner Verärgerung über sich selbst. Wieder klickte es, als seine Waffe zu Boden fiel, sich auflöste, in schwarzem Nebel verschwand. Xigbar folge ihr, sackte auf die Knie, hob schwach die rechte Hand und führte sie an die Stelle, an der das Loch in seiner Brust klaffte. Die Stelle, an der sich sein Herz befinden sollte. Er lachte leise, bitter und zynisch, als er daran dachte, dass Demyx sich wohl doch geirrt hatte. Niemande besaßen keine Herzen. Der Gedanke an Demyx schnürte ihm die Kehle zu. Und noch während er sich in demselben Nichts auflöste, aus dem er selbst bestand, bat er Demyx um Verzeihung. Er konnte ihr Versprechen nicht einhalten. Keines ihrer Versprechen. Doch er weinte auch jetzt nicht. Das Weinen hatte er bereits vor langer Zeit verlernt. Und alles, was von ihm verblieb, war der Wusch eines alten, törichten Mannes, der sich nach einer zweiten Chance sehnte, von der er wusste, dass er sie nicht verdiente. ____ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)