The Way Into Your Heart von Zyra (Wie gewinnt man Seto Kaibas Liebe?) ================================================================================ Kapitel 1: For you, I brave all dangers! ---------------------------------------- Hi Leute! Wie schon in der Kurzbeschreibung geschrieben, ist das hier die Fortsetzung von meinem One Shot 'You saved me from the dark...'. Ich hoffe, es gefällt euch und ihr schreib mir eure Meinung! lg, Phoenix For you, I brave all dangers! (Teil 1/4) In Gedankenversunken machte Amaya sich wieder auf den Weg nach unten. Wie selbstverständlich benutzte sie auch zurück die Treppen. Eigentlich machte das keinen Sinn mehr. Sie wollte schließlich nicht mehr unentdeckt bleiben. Sie seufzte resigniert. Ich bin echt durcheinander, dachte sie. Das Treffen hatte sie in ein großes Gefühlschaos gestürzt. Am Liebsten wäre sie jetzt zurückgegangen, um sich dicht an ihren Teddy zu schmiegen oder ihn nochmals zu küssen. Natürlich wusste sie, dass sie das unmöglich tun konnte. Auch wenn Seto nichts bemerken würde, wäre es ihm gegenüber einfach nicht richtig. Amaya seufzte. Es würde definitiv nicht leicht werden, aber irgendwie würde sie es schon schaffen ihm sein Herz zu stibitzen. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, als sie daran dachte, dass sie ihm dann stundenlang beim Schlafen zusehen konnte und nicht wie jetzt gehen musste. Seto sah so süß aus, wenn er schlief. Seine Gesichtszüge wurden um einiges weicher und er strahlte auch lange nicht mehr so viel Kälte aus. Außerdem schnurrte und knurrte er im Schlaf manchmal - kam ganz darauf an, wie man ihn berührte. Auf jeden Fall war er einfach nur zum Knuddeln. Mit diesem Gedanken betrat Amaya das 35-zigste Stockwerk. Gerade wollte sie auf den Knopf drücken, um den Fahrstuhl zu sich hochzuholen, als sie stutzte und inne hielt. War die elektronische Anzeigetafel nicht gerade umgesprungen? Sie blinzelte einmal. War sie etwa schon so müde? Nein, der Fahrstuhl kam tatsächlich nach oben. Hier ist noch jemand, schlussfolgerte sie. Vermutlich war das nur ein Mitarbeiter. Aber Moment, wer sollte um diese Uhrzeit noch etwas in der Kaiba Corp. wollen? Toll. Das hieß dann ja wohl, dass es Einbrecher waren. Ihre Vermutung bestätigte sich, als der Fahrstuhl ungefähr auf ihrer Höhe war: „Also Leute“, hörte sie jemanden sagen, „wir machen es wie abgesprochen. Wir schleichen uns leise an, überraschen ihn und nehmen ihn gefangen. Notfalls mit Gewalt.“ „Ja Mann“, erwiderte ein anderer genervt, „mach uns hier nicht alle verrückt. Wird schon nicht schiefgehen!“ Amaya atmete auf. Die hörten sich nicht nach Profis an und konnte es mit Seto bestimmt nicht aufnehmen. Doch dann durchfuhr es sie wie ein Blitz. „Das Schlafmittel!“, murmelte sie entsetzt vor sich hin. „Verdammte Scheiße!“ Hastig, allerdings darauf bedacht nicht zu laut zu sein, rannte sie die Treppen wieder hinauf. Dabei wollte sie nach ihrem Dolch greifen, den sie normalerweise immer am Gürtel trug. Allerdings sorgte das nur für den nächsten Schockmoment. Sie hatte ihn nicht mitgenommen. Das ist doch jetzt nicht wahr, jammerte sie in Gedanken, während sie immer drei Stufen auf einmal nahm. Sie legte die Strecke nach oben schneller zurück, als es die meisten Menschen konnten. Doch wusste sie, dass sie es niemals vor den Entführern schaffen würde Das war ein verdammt großer Nachteil für sie. Ihre Gegenspieler hatten Seto bis dahin sicher schon längst gefangen genommen und somit ein Druckmittel. Und diese Tatsache war mehr als nur schlecht! Als Amaya endlich die Chefetage erreicht hatte, hörte sie von weitem, dass sie Recht gehabt hatte. Sie hatten Seto ihrer Gewalt! Der Überraschungsmoment ist immer noch auf meiner Seite, versuchte sie sich zu beruhigen. Und wenn die Situation im Moment aussichtslos war, konnte sie sich immer noch gefangen nehmen lassen und auf einen günstigen Zeitpunkt warten. Die Situation stellte sich als aussichtslos heraus: Fünf Entführer. Alle mit Pistolen bewaffnet. Setos Körper schlaff auf den Armen des Einen. Sein Mantel und seine Schuhe in den Händen eines Anderen. Drei mit Waffen in der Hand als Absicherung. Da konnte sie im Moment nichts tun ohne Seto zu gefährden. Was nun?, fragte sich Amaya. Auf jeden Fall musste sie Ruhe bewahren. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war Panik. ‚Als Erstes musst du deine Gegner immer analysieren: Wie verhalten sie sich, was haben sie für Waffen, machen sie Fehler usw.?‘, fielen ihr Setos Worte wieder ein. Das hatte Seto früher einmal zu ihr gesagt, als eine wichtige Prüfung anstand. Okay, dachte sie, Seto braucht dich, also konzentrier dich! Alle Fünf wirkten mehr oder weniger nervös und angespannt. Das bedeutete schon mal, dass sie keine Profis waren, die tagein tagaus mit Entführungen, Erpressungen oder ähnlichem zu tun hatte. Allerdings waren sie Profi genug um Setos Sachen mitzunehmen. So würden sie zumindest hier keine Spuren hinterlassen. Keine absoluten Profis, dachte sie, das ist gut für mich. Aber wie waren sie dann reingekommen? Sie hatte gelernt, wie man unbemerkt in ein Gebäude eindrang, diese Leute da nicht. Also wie waren unbemerkt – schließlich war die Alarmanlage nicht losgegangen – rein gelangt? Eigentlich gab es da nur eine Möglichkeit: Jemand musste ihnen die Codes für die Türen gegeben haben. Und das war wiederrum schlecht, weil das bedeutete, dass sie einen Verbündeten hatten, der bei der KC arbeitete. Nächster Punkt: Die Bewaffnung. Alle hatten mindestens eine Pistole und einige trugen am Bein noch eine Zweite mit sich. Für ein normales Auge war das nicht zu bemerken, aber sie sah, dass der Stoff der Hosen sich etwas mehr spannte. Im Grunde genommen waren sie nicht schwer bewaffnet, aber sie hatten Seto. Und das Risiko war ihr zu groß! Es sind keine Profis, wiederholte Amaya in Gedanken noch einmal. Dann schlüpfte sie in einem unbemerkten Moment in die Küche, da diese am nahsten am Treppenaufgang lag. Sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Ihre Chancen standen am Besten, je weniger die Typen von ihr wusste. Oder je falscher das Bild von ihr bei ihnen war. Deswegen würde sie jetzt das kleine, verängstige Mädchen spielen. Sie öffnete die Küchentür wieder ein Spaltbreit, beobachtete die Typen kurz, und stieß die Tür dann mit dem Fuß zu. „Da war was!“, sagte einer. Gut, dachte Amaya, bemerkt haben sie mich schon mal. Sie hörte, dass jemand auf die Küchentür zu kam und machte einige Stritte zurück bis sie mit dem Rücken die Wand berührte. So als hätte sie fürchterliche Angst drückte sie sich gegen sie. Kurz darauf machte jemand die Tür auf und Amaya hielt den Atem an. Sie stand im Schatten der Tür, deshalb bemerkte der Entführer sie erst, als er einige Schritte in den Raum rein gemacht hatte und sie umdrehte. Fehler, schoss ihr durch den Kopf, ich hätte ihm so eine überbraten können. „Na wen haben wir denn da?“, fragte der Kerl sie. Amayas Augen weiteten sich vor Entsetzen – jedenfalls wirkte es so – und sie drückte sich noch fester an die Wand. „Shiro, wer ist da?“, fragte einer der anderen. Der Entführer wandte sich kurz ab, als er seinem Komplizen antwortete. „Nur ein Mädchen!“ Noch ein Fehler, dachte Amaya, man darf niemals jemanden aus den Augen lassen, egal, wie schwach er einem erscheint. „Bring sie her!“ Nach diesem Befehl fasste Shiro sie grob an den Haaren und zog sie nach draußen auf den Flur. „Aua, Sie tun mir weh!“, jammerte Amaya weinerlich. Im nächsten Moment fand sie sich auf dem Boden wieder. „Wer bist du?“, wurde sie gefragt und jemand richtete eine Pistole auf sie. „Ich… ich heiße Maya“, stammelte sie und die ersten Tränen liefen über ihre Wangen. „Bitte… tun Sie mir nichts… bitte!“ „Dein Nachname!“, verlangte der Typ. Scheiße, dachte Amaya, was sag ich jetzt? „Jackson“, wimmerte sie. Das war der Name, der ihr als erstes, einfiel. Warum wusste sie auch nicht so genau. Vermutlich hing es damit zusammen, dass die Nase von einem der Entführer sie irgendwie an Michael Jackson erinnerte. „Und was hast du hier um diese Uhrzeit zu suchen?“ „Ich hab… hab Seto vor zwei… zwei Jahren in Amerika kennengelernt…“ „Das interessiert mich nicht!“, fuhr er sie an und verpasste ihr eine kräftige Ohrfeige. „Was hast du hier zu suchen?“ „Seto… er hat mich eingeladen... wir haben miteinander geschlafen…“ Amaya sah, wie einer der Kerle die Augen verdrehte. Er schien sich zu fragen: Was ist an diesem Typen so toll? „Was machen wir jetzt mit ihr?“ „Mitnehmen! Wir können sie nicht hier lassen! Wir überlegen uns später, was wir mit ihr machen!“ Strike, dachte Amaya, das hab ich schon mal geschafft! „Na los, beweg dich!“, mit diesen Worten wurde sie auf die Beine gezogen. Wenig später wurde sie zusammen mit Seto in den Laderaum eines Transporters geworfen. Knallend wurden nach ihr die Türen geschlossen und alles um sie herum wurde schwarz. Scheiße, dachte sie, ich seh rein gar nichts! Vorsichtig tastend suchte sie nach dem immer noch schlafenden Seto. Ach verdammt, fluchte Amaya in Gedanken und tastete sich weiter vorwärts, er muss hier doch irgendwo sein. Nach einigen Minuten stieß sie dann endlich auf etwas Warmes und Weiches. Da ist er, triumphierte sie und atmete auf. Mit einer Hand fuhr sie über seinen Körper um festzustellen, in was für einer Position er lag. Ihre Finger strichen an seiner Seite entlang und blieben an seiner Taille liegen. Mit der anderen Hand versuchte Amaya eine der Außenwände zu erfühlen. Das dauerte auch nicht lange, weil Seto direkt an einer lag. Also kletterte sie über ihn hinüber und lehnte sich an das kalte Metall. Danach zog sie ihn zu sich. Er hatte heute Abend ziemlich kaputt ausgesehen, da sollte er es jetzt so gemütlich wie möglich haben. Amaya bettete ihre Kopf auf seinem und schlang die Arme um ihn. So saß sie einige Zeit da und hing ihren Gedanken nach. Wenn sie alles im Nachhinein betrachtete, war das mit dem Schlafmittel eine scheiß Idee gewesen. Aber sie hatte ja auch nicht ahnen können, dass ausgerechnet in dieser Nacht jemand Seto entführen wollte. Amaya war mit der Situation absolut unzufrieden. Hier ganz dicht bei Seto zu sitzen und ihn an sich zu drücken war schön, keine Frage, allerdings gefiel es ihr nicht, wie es dazugekommen war. Resigniert verbarg sie ihr Gesicht in Setos braunem Haarschopf. Genüsslich sog sie seinen Duft in sich auf. Er roch einfach fantastisch. Unbeschreiblich fantastisch. Sie seufzte. Toll. Jetzt saß sie zwar eng bei ihrem geliebte Seto, der immer noch friedlich vor sich hin schlummerte, aber dafür in einem finsteren Transporter und hatte keine Ahnung, wo sie hingebracht wurde. Noch dazu hatte sie rein gar nichts zu tun. Die Informationen, die sie über die Entführer gesammelt hatte, waren schon von ihr längst ausgewertet. Amaya wusste, was sie zu tun hatte. Solange bis Seto wieder wach war, musste sie diese Idioten irgendwie hinhalten. Denn erst dann machte eine Flucht Sinn. Klar, sie konnte Seto tragen – wenn es sein musste auch ein längeres Stück – dabei ging nur leider ihre Schnelligkeit verloren. Und das konnte sie in ihrer Situation überhaupt nicht gebrauchen. Um nicht zu sagen, es wäre fatal! Also war das Einzige, was sie jetzt machen konnte, warten. Natürlich könnte sie… nein, das wäre Seto gegenüber nicht fair… aber andererseits war das so verlockend… Amaya haderte noch eine Zeit mit sich, entschied sich dann doch dafür die Situation auszunutzen. Die Verlockung war einfach zu groß… Ihre Finger strichen über Setos muskulöse Brust, seinen flachen Bauch, die gerade Wirbelsäule, die kräftigen Arme, die festen, schlanken Beine und den mehr als nur knackige Hintern. Dieser junge Mann war durch und durch zum Anbeißen! Amaya hatte ihre Seto-Erkundungstour schon lange eingestellt, als sich die Türen des Transporters wieder öffneten. Einer der Typen nahm wieder Seto und Amaya wurde - nicht gerade freundlich - aufgeforderte auszusteigen. Sie versuchte gleichzeitig ängstlich zu wirken, sich unbemerkt umzuschauen und sich so viel wie möglich einzuprägen. Dabei lauschte sie auch den Gesprächen der Männer. Das war nicht gerade einfach, aber machbar. Jede kleine Information, die sie bekam, konnte wichtig sein. Man wusste ja nie! Sie wurden zu einem alten Gebäude geführt. Als sie eingetreten waren, kam eine Frau auf sie zugestürmt. Sie war ganz in Pink gekleidet. Und wenn sie ganz dachte, dann meinte sie auch ganz. Pinke High Heels. Pinker Minirock (Wenn man den Fetzen noch so bezeichnen konnte). Pinke Bluse. Pinker Blazer. Pinke Haare. Pinke Augen. Pink lackierte Finger- und Fußnägel. Pinker Schmuck. Bäh, war das Einzige, was Amaya bei dem Anblick dachte. „Wo hab ihr denn die ganze Zeit gesteckt?“, meckerte sie, begann aber zu strahlen, als sie Seto sah. „Ah, er sieht so gut!“, sagte sie und quickte vergnügt, während sie ihn leicht über die Wange strich. „Wir werden sicher viel Spaß miteinander haben!“ Amayas Blick verfinsterte sich. Dieses pinke Ungetüm wollte also was von Seto. Nur über meine Leiche!, dachte sie und warf ihr einen Killerblick zu. Pinki schien sie erst jetzt zu bemerken. „Wer ist denn der Giftzwerg?“, fragte sie mit schriller Stimme. „Sie war bei Kaiba!“, antwortete einer der Entführer mit einem gewissen Unterton. Pinki musterte sie kurz und zeterte dann los: „Was hat die, was ich nicht habe?“ Amaya verdrehte die Augen. Und begann dann mit ihrer Aufzählung: Besserer Stil, angenehmerer Charakter, keine pinken Klamotten... Sie hätte noch stundenlang so weitermachen können, wurde aber unterbrochen. „Sakura, reg dich nicht so auf!“, wurde Pinki angefahren. „Fahr lieber los und sieh zu, dass du die Überwachungsvideos austauschst.“ „Jaja, ich werd ‘s schon noch vor Sonnenaufgang schaffen“, sagte sie genervt und schritt voller Arroganz an ihnen vorbei. Amaya starrte ihr noch wütend hinterher. Dieses pinke Monster war ja einfach nur widerlich! Noch während sie das dachte, wurde sie von diesem Shiro am Arm gepackt und mit den Worten „Wenn’s um ihren Schatz geht, wird sie mutig!“ weiter ins Gebäude hineingezogen. Hinter ihr brach alles in schallendes Gelächter aus. Pah, dachte Amaya, ihr werdet euch noch wundern: Wenn es um Seto geht, kenn ich rein gar nichts! Auf dem Weg – anscheinend in den Keller - sah sie sich unauffällig um. Das Gebäude war heruntergekommen. Die Tapeten waren gelblich angelaufen und an vielen Stellen schon gerissen. In der Decke und im Boden waren kleinere Löcher und es sah so aus, als würde da in der nächsten Zeit noch einige dazukommen. Mehrere Türen hingen schief in den Angeln und anderen waren schon gar nicht mehr da. Es zog fürchterlich, was daraufhin deutete, dass auch einige Fenster kaputt waren. Alles wirkte wenig vertrauenserweckend. Eher so, als würde es im nächsten Moment zusammenbrechen. Amaya seufzte innerlich. Na klasse. Wenig später wurde Amaya in einen kleinen Raum gestoßen, dessen vordere Wand aus Gittern bestand. Seto landete neben ihr auf dem Boden. Bei Aufprall stöhnte er im Schlaf. Amaya zog ihn, wie im Transporter, zu sich und vergrub ihr Gesicht wieder in seinen Haaren. Erst als sie hörte, dass die beiden Verbrecher gegangen waren, hob sie den Kopf wieder um sich umzusehen. Die Zelle war klein. Kein Fenster. Es roch moderig. Die Gitterwand sah ziemlich stabil aus. Das Schloss war aber einfach. Keine Kameras. Gut. Wenn Seto wach und bei Kräften war, würden sie hier definitiv rauskommen. Das sollte eigentlich kein großes Problem werden. Allerdings musste Seto erst mal aufwachen, was noch etwas dauern konnte bei der Dosis, die sie ihm in den Kaffee getan hatte. Also musste sie wieder warten. Nachdenklich ließ Amaya ihren Blick nochmals umherwandern. An irgendetwas erinnerte sie ihre Umgebung. War sie hier schon mal gewesen? Sie durchforstete ihre Erinnerungen, kam dann aber zu dem Entschluss hier noch niemals gewesen zu sein. Vielleicht sollte ich etwas schlafen, dachte Amaya, ich werde sicherlich noch einiges an Kraft brauchen. Sie bettete ihren Kopf wieder auf Setos und schloss erschöpft die Augen. Es dauerte nicht lange und sie war eingeschlafen. „Verdammtes Miststück!“, rief der Aufseher, als er sie in die kleine, niedrige Zelle warf. Sie landete alles andere als sanft auf dem schmutzigen Boden, grinste ihr Gegenüber aber schon im nächsten Moment an. Schließlich war sie jetzt genau da angekommen, wo sie hinwollte. „Was machst du denn hier?“, brummte Seto nicht gerade begeistert. „Ich hab Leon verprügelt!“, antwortete sie stolz. „War der einfachste Weg zu dir!“ Ja, sie war stolz auf sich. Dieses besserwisserische, schleimige, arrogante, drittklassige Arschloch hatte es so richtig verdient gehabt. Setos Mundwinkel zuckte leicht nach oben. Er musste sich wohl schwer ein Grinsen verkneifen. Sie wusste, dass ihn die Sache mehr interessierte und freute, als er es zeigte. Niemand mochte Leon weniger, als Seto und niemand legte sich sooft mit ihm an, wie Seto. Und wenn man das wusste, so wie sie, dann sah man ihm seine Genugtuung auch an, egal, wie gut er versuchte es zu verbergen. „Hier“, sagte Amaya und hielt ihm einen Apfel unter die Nase, „hab ich rein geschmuggelt!“ „Danke!“, murmelte er leise und biss vorsichtig hinein. Woran sie erkennen konnte, wie hungrig er war. Normalerweise hätte er jetzt eine Diskussion mit ihr angefangen, von wegen: ‚Ich komme alleine klar und brauch deine Hilfe nicht!“. Heute tat er das nicht. Aber wen wundert’s? Nach vier Tagen ohne Nahrung, war man froh, wenn man etwas bekam. Deswegen machte sie sich jetzt Sorgen. Zumal es ihm schon nicht gut gegangen war, als sie ihn hier einsperrten. „Wie geht’s dir?“, fragte sie besorgt und musterte ihn. Er sah ziemlich lädiert aus. Viele blaue Flecken, etliche Prellungen, aufgeplatzte Lippe, Blutspuren unter der Nase. Seto zuckte mit den Schultern und verzog dann schmerzerfüllt das Gesicht. „So wie es einem eben geht, wenn man sich mit 20 betrunkenen, verschlafenen, mittelschlechten Arschlöchern geprügelt hat.“, gab er zurück und versuchte so kräftig wie möglich zu klingen. Amaya seufzte , krabbelte zu ihm rüber und zog ihn in ihre Arme. Das war mal wieder so typisch Seto gewesen. Er beugte sich niemanden und er nutzte wirklich jede Situation um den Mafiosos das zu beweisen. Dafür bewunderte sie ihn. Sie selbst war da lange nicht so mutig, obwohl ihr dieses Camp fast schon genauso gegen den Strich ging wie Seto. (Setos Missfallen zu übertreffen, war einfach unmöglich!) Es war nicht immer leicht mit ihm klarzukommen, was nicht nur daran lag, dass er ein ziemlich komplizierter, verschlossener Mensch war, sondern besonders auch an seiner rebellischen Art. Ständig musste sie sich Sorgen um ihn machen, weil er wieder gegen eine der – zugegebenermaßen schwachsinnigen, autoritäre – Regeln des Camps verstoßen hatte. Besonders schlimm war es morgens, wenn sie aufwachte und er lag nicht neben ihr auf seinem Schlafplatz. Im ersten Moment wusste sie gar nicht, was los war, um sich im nächsten, wieder an alles zu erinnern und sich zu fragen, was in der Zeit, in der sie geschlafen hatte mit ihm passiert war. Ob er überhaupt noch lebte oder ob sie ihn vielleicht verletzt hatten. Diese Angst war schrecklich. Deshalb versuchte Amaya auch immer wieder ihm zuzureden oder ihn zurückzuhalten. „Manchmal bist du auch ein Dummkopf!“, sagte sie und überhörte sein missbilligendes Knurren. „Ich lass mir nichts von diesen Idioten vorschreiben. Ihre Regeln sind einfach nicht tragbar. Die werden schon noch sehen, was sie davon haben mich hier festzuhalten!“, redete er sich in Rage. „Du hast ja Recht!“, erwiderte Amaya und begann damit ihn beruhigend im Nacken zu kraulen. „Aber meinst du nicht, dass es etwas masochistisch ist, mitten in der Nacht nach einem großen Saufgelage Trompete zu spielen?“ Sie musste sich stark zurückhalten um nicht zu lachen. Die Idee war so absurd und dumm, dass es schon wieder lustig war. Manchmal fragte sie sich, wie er überhaupt auf diese verrückten Sachen kam. „Das ist genau das, was sie verdient haben. Außerdem ist so gesehen nicht jeder Widerstand masochistisch?“ „Mag ja sein. Trotzdem bin ich der Meinung, dass du es übertrieben hast. Sie mögen es ja verdient haben, aber du musst auch an dich denken!“ Es war ein weiterer Versuch ihrerseits ihn dazu zubewegen, seine Aktionen wenigstens etwas zu verringern, allerdings konnte sie sich seine Antwort schon vorstellen. Seto würde ihre Proteste auch weiterhin nicht beachten. Das zeigte ihr auch seine ‚Antwort‘: „Pah!“, stieß er aus. „Und hör endlich auf mir in den Haaren rumzugrabbeln.“ Wieder musste sich Amaya ein Lachen verkneifen. Es war aber auch zu komisch, wie er sich gegen jede gutgemeinte Tat werte. Also nicht, dass er sich darüber ärgerte, sondern wie er sich darüber ärgerte. Jedes Mal, wenn er sich sträubte, fragte sie sich, warum das so war. Wie er zu dem Menschen geworden war, der er jetzt war: Jemand der kaum Gefühle zeigte und nichts annehmen wollte. Amaya wusste, dass er solche Momente wie diesen brauchte und deshalb hörte sie nicht auf seine Proteste. „Nö!“, antworte sie frech und fuhr ungerührt mit dem Kraulen fort. „Außerdem wissen wir beide, dass es dir gut gefällt!“ Daraufhin knurrte Seto nochmals, sagte aber nichts mehr. Amaya schreckte aus dem Schlaf aus. Im ersten Moment dachte sie, sie säße immer noch in der Mafiagefängniszelle, nach einer kurzen Orientierung, fiel ihr aber die Entführung wieder ein. Erst seufzte sie erleichtert auf, begann dann aber zu zittern. Diese Erlebnisse waren so schrecklich gewesen. Und dies hier war ein verdammtes Déjà-vu. Die gleiche Enge, ungefähr dieselbe Atmosphäre und auch damals hatte sie Seto so in den Armen gehalten. Und unwillkürlich spürte sie auch die Angst. Auch wenn sie es sich nicht anmerken hatte lassen: Sie hatte damals so eine verdammte Angst gehabt, wie selten zuvor! Seto hatte so schlimm ausgesehen, als sie ihn nach der Prügelei runter in den Kerker geschleift hatten. Daran hatte auch das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht nichts geändert. Nur der Gedanke daran ließ Amaya stärker zittern. Automatisch zog sie Seto noch näher zu sich. Und ohne nachzudenken begann sie – genau wie damals – ihm im Nacken zu kraulen. Als Seto daraufhin wohlig zu schnurren begann, beruhigte sie sich langsam wieder. Amaya war so sehr damit beschäftigt, ruhig zu bleiben und die unschönen Erinnerungen aus ihren Kopf zu verbannen, dass sie gar nicht bemerkte, dass Seto aufgewacht war. Seto nahm den Geruch wahr, der ihn schon beim Einschlafen umgeben hatte. Amaya, schoss es ihm durch den Kopf. Er lag wohl immer noch in ihren Armen und sie kraule ihn – wie sie es früher oft getan hatte – im Nacken. Eine Unart wie er fand. Zugegebenermaßen er mochte das Gefühl, auch wenn er das ihr gegenüber niemals zugegen würde. Es war mehr der Gedanke, dass sie wusste, dass es ihm gefiel, der ihn störte. „Was machst du immer noch hier?“, fragte er kalt, konnte zu seinem Missfallen aber nicht verhindern, dass er etwas verschlafen klang. Er spürte wie Amaya zusammenzuckte. „Du bist wach?!“, murmelte sie wohl eher zu sich selbst. Seto blinzelte mehrmals, schloss seine Augen dann doch wieder. Seine Augenlider waren so schwer. Er wartete einen Moment, bis er es erneut versuchte. Diesmal gelang es ihm. Das was er erblickte, war nicht ganz das, was er erwartet hatte. Er sah eine schmutzige, kahle Wand. Definitiv war er nicht mehr in seinem Büro. Was war jetzt wieder passiert? Immer wenn er mit diesem Mädchen zusammen war, passierten irgendwelche unvorhergesehenen Dinge und das nervte. Er hatte besseres zutun. „Kannst du mir mal erklären, wo wir hier sind?“, fragte er sie im schneidenden Tonfall. Ruckartig hatte er sich aufgesetzt und schaute sich jetzt skeptisch um. Sah ganz noch einer alten, moderigen Gefängniszelle aus. Dann blickte er wieder Amaya an. Das Mädel hatte ihm einiges zu erklären. Dazu gehörte auch das Verschwinden seiner Schuhe und seines Mantels. Und wenn es nicht halbwegs gute Erklärungen waren, würde sie etwas erleben. Amaya seufzte und beobachtete Seto. Der war inzwischen aufgestanden und nahm das Eisengitter unter der Lupe. Es wunderte sie schon, dass er das Ganze so gelassen sah. Aber vermutlich wartete er mit einer Beurteilung noch bis er über alles bescheid wusste. Auch überraschte es sie, dass er noch nichts zu den fehlenden Schuhen und dem Mantel gesagt hatte. Besonders wenn es um seine Mäntel ging – so hatte sie gehört – sollte er ziemlich eitel sein. Na ja, das dicke Ende kam sicherlich noch. Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie erst gar nicht merkte, dass Seto sich vor ihr aufgebaut hatte. Erst als er sie im eisigen Tonfall ansprach, schreckt sie auf. „Ich warte!“ Amaya seufzte abermals. „Setz dich hin. Und rede nicht dazwischen. Dann sind wir schneller fertig!“ Seto musterte sie noch einmal und bedachte sie mit einem Gefrierblick, ließ sich schließlich aber bei ihr auf dem Boden nieder. Er ist also noch ziemlich müde, schloss sie aus seinem Verhalten, sonst hätte sein Stolz ihm verboten, das zu tun, was ich gesagt hab. Jedenfalls sollten sie so schnell wie möglich einen Plan schmieden. Wer wusste schon, wann die Typen hier das nächste Mal auftauchen würde. Amaya begann ihm alles zu erklären: Über die Entführung und die Täter, wie es dazu gekommen war, warum sie bei ihm war, wie sie das angestellt hatte und so weiter. Gerade sagte sie ihm, dass es kurz nach drei war, als sie losgefahren waren, und viertel vor fünf, als sie angekommen waren, als Seto sich doch nicht an die Abmachung hielt. „Woher weißt du das?“, fragte Seto nun doch dazwischen, obwohl er sie eigentlich erst zu Ende erzählen lassen sollte. „Lass mich doch erst mal ausreden!“, fauchte sie. Verdammt, das ganze zerrte wirklich an ihren Nerven. „Bleib ruhig!“, erwiderte Seto kalt und bestimmt. Er knöpfte den linken Ärmel seines Hemdes auf. Darunter kam eine Uhr zum Vorschein. „Jetzt ist es zwanzig vor sieben. Haben wir noch Zeit, oder nicht?“ Amaya knirschte mit den Zähnen. „Eher nicht.“ Seto verzog leicht das Gesicht. „Dann stell ich jetzt gezielt Fragen. Wenn dir danach noch etwas wichtig erscheinen sollte, sag ’s dann.“, erklärte er knapp. Er wollte gerade zu seiner ersten Frage ansetzen, als Amaya ihm dazwischen fuhr. Er sah sie missbilligend an. „Als erstes sollten wir etwas Grundlegenes klären, für den Fall, dass sie unsere Besprechung stören. Sie sind hinter dir her, aber solange du schläfst, werden sie dich in Ruhe lassen, weil du ihnen nichts nützt. Also würde ich vorschlagen, dass du dich in die Position begibst, in der du aufgewacht bist und dich schlafend stellst, wenn jemand kommt.“ „Das hättest du wohl gern!“, erwiderte er störrisch. Oh, das war mal wieder so typisch! Sie seufzte und versuchte ihre Wut zu unterdrücken. „Seto, benutzt deinen gesunden Menschenverstand und komm her!“, zischte sie. Daraufhin folgte ein längeres Blickduell, in dem keiner nachgeben wollte. Am Ende siegte dann aber doch Setos Verstand gegen seinen Stolz und er lehnte sie seufzend an sie. „Bild dir bloß nichts drauf ein.“, kommentierte er eisig. Amaya lag ein bissiger Kommentar auf den Lippen, aber sie behielt ihn für sich. Es war besser Seto jetzt nicht zu reizen. „Hast du es einigermaßen bequem?“, fragte sie anstelle. Erst gab er nur ein Brummen von sich, antwortete dann aber doch noch: „Hab schon schlimmeres erlebt!“ „Ich weiß“, antwortete sie leise und legte ihre Arme wieder um ihn. Daraufhin murrte Seto nochmals, sagte aber nichts mehr dazu. In dieser Hinsicht hatte er sich kein Stück verändert. „Also weiter im Text“, sagte er und damit waren sie wieder bei ihrem ursprünglichen Thema angekommen. „Woher weißt du die Uhrzeiten?“ „Von der Uhr in der Eingangshalle und der vom Pinken Monster.“, antwortete Amaya. „Könntest du dich bitte etwas präziser ausdrücken“, sagte er genervt, „Du warst der Meinung, dass wir nicht viel Zeit haben. Also tu mir den Gefallen und lass die Spielchen, damit ich nicht andauernd nachfragen muss.“ Amaya seufzte. Warum hatte er eigentlich sooft Recht? Aber jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt um darüber nachzudenken. „Also, die Entführer haben eine Komplizin, die wohl bei dir arbeitet.“ „Wie bitte?“, fuhr er ihr dazwischen. „Seto, hast du geradeeben nicht noch gesagt, dass wir uns beeilen sollen?“, fragte sie neckend. „Vielleicht solltest du dich auch daran halten.“ Er erwiderte nichts und Amaya fuhr fort. „Sie heißt Sakura. Pinke Klamotten, pinker Schmuck, pinke Haare und pinke Augen. Sag dir das etwas?“ „Ja, das ist Sakura Kuroi“, sagte Seto und klang ziemlich ärgerlich. „Sie ist die persönliche Assistentin meines Sicherheitschefs.“ Das war natürlich ganz schlecht. Damit hatte diese blöde Schnepfe Zugriff auf so gut wie alles, was mit dem Thema Sicherheit zutun hatte. Da konnte Seto nur hoffen, dass sie nicht noch andere Schweinereien getan hatte. „Ich hätte sie doch schon früher feuern sollen!“, murmelte Seto und strich sich mit einer lockeren Handbewegung einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die aber wenig später wider an ihren vorigen Platz gerutscht waren. Eine vertraute Geste, dachte Amaya und musste schmunzeln. „Warum hast du es nicht gemacht?“, fragte sie dann ernst. „Ich hatte erst vor kurzem die Passwörter geändert“, sagte er nach einem Moment. Er schien sich wohl nicht ganz so sicher, ob er ihr davon erzählen sollte. „Das letzte Mal als ich kurz nach einer Passwortänderung jemanden aus dem Bereich gefeuert hab, wurde drei mal Großalarm ausgelöst, weil einige nicht mitbekommen hatte, dass sich die Codes erneut geändert hatten. Auf den Ärger hatte ich nicht noch einmal Lust, also hab ich mich entschlossen zu warten. Ich dachte nicht, dass sie eine akute Gefahr ist.“, endete er säuerlich. Amaya dachte nicht lange über das Gesagte nach. Ihr Onkel hatte auch eine Weltfirma und sie wusste, was für ein Hickhack ein falscher Großalarm sein konnte. Sie hätte es an seiner Stelle vermutlich auch nicht anders gemacht. „Sie steht auf dich!“, sagte sie trocken. „Du untertreibst!“, erwiderte Seto. Der genervte Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Wenn ich ihre Worte richtig deute, dann will sie deine Gefangenschaft ausnutzen. Wie, kannst du dir ja sicher denken.“ Bei dem Gedanken verkrampfte sie sich. Ihr Seto mit diesem pinken Monster... Bäh. Bäh. Bäh und nochmals BÄH! Automatisch zog sie Seto fester an sich. Als sie es bemerkte, wartete sie nur darauf von Seto angefahren zu werden. Aber dessen Ausbruch kam komischerweise nicht. Entweder er ignorierte sie aus irgendeinem Grund oder er war so in Gedanken versunken, dass er es gar nicht bemerkte. Amaya seufzte. Es war so schön, ihn so nah bei sich zu spüren. Es tat so furchtbar gut! Und umso schlimmer war der Gedanke, dass er nach dieser Geschichte wieder auf Abstand gehen würde. Das Leben war einfach ungerecht! „Worüber denkst du nach?“, fragte sie irgendwann nach einer Zeit des Schweigens. „Über den Grund dafür, dass sie uns hier festhalten. Mich zu entführen macht nur Sinn, wenn man an Daten will. Aber mir fällt nichts ein, woran sie Interesse haben könnten, was Kuroi nicht beschaffen kann.“, sagte er Gedankenversunken. Da konnte sie nicht mitreden. Sie hatte absolut keine Ahnung davon, welche Bereiche nur für Seto zugänglich waren. Außerdem war der Grund für ihre Entführung im Moment nicht wichtig. Sie sollte eher sehen, dass sie hierwegkamen. „Ich glaub nicht, dass das so wichtig ist. Abgesehen davon kann es uns egal sein, wenn wir es schaffen zu fliehen. Dann spielt es keine Rolle mehr, weil eh nur du zu diesen Dingen Zugang hast.“ Es dauerte einen Moment bis Seto antwortete. „Das stimmt!“, sagte er in seinem üblichen kalten Ton. „Nur haben wir überhaupt keine Ahnung, wo HIER ist.“ Amaya seufzte. Er hatte mal wieder Recht. Sie wussten so gut wie gar nichts. „Ich kenn mir hier in Japan nicht aus. Aber ich hab mir ein paar Dinge gemerkt. Vielleicht schaffen wir es zusammen zumindest ungefähr unseren Standort zu bestimmen.“, sagte sie hoffnungsvoll. „Das sollten wir versuchen“, sagte er ernst. „Was hast du gesehen, als wir hier angekommen sind?“ „Wir scheinen uns auf einem alten Fabrikgelände zu befinden. Alles deutet darauf hin. Die Gebäude sind schon ziemlich heruntergekommen. Eins der Nebengebäude ist schon halbzusammen gebrochen. Die Höfe sind gepflastert und überall kommt schon lange das Gras durch. Ich schätze, die Fabrik ist seit ungefähr 20 Jahren stillgelegt.“ „Gibt es Anhaltspunkte, was für eine Fabrik es war?“ „Nein. Ich glaub, wir befinden uns am Rande des Geländes in einem Lagerhaus.“ „Hmm“, gab er nachdenklich von sich. „Ist dir ansonsten noch etwas aufgefallen?“ Amaya überlegte. Irgendetwas war da noch gewesen. „Ich hab das Meer in der Ferne rauschen gehört“, sagte sie nach einem Moment langsam. „Hast du vielleicht einen Wetterhahn gesehen?“, fragte Seto ruhig. Einen Wetterhahn? Wie kam er denn jetzt darauf? Allerdings war das Analysieren schon immer eine von Setos Stärken gewesen. Sie dachte angestrengt nach. „Ja, da ist einer gewesen. Der Wind kam von Osten.“ Nachdem sie das ausgesprochen hatte, schwieg Seto eine ganze Weile. „Das reicht nicht!“, sagte er irgendwann ärgerlich. „Es gibt zu viele Fabrikgelände auf die deine Beschreibung passt!“ „Wir sind knappe zwei Stunden gefahren. Die Durchschnittsgeschwindigkeit schätze ich auf 80-90 km/h. Also sind wir etwa 200 Kilometer von Domino entfernt. Vom Hauptparkplatz der KC sind wir in südliche Richtung gefahren. Erst hab ich vereinzelt noch Motorengeräusche von anderen Fahrzeugen gehört, später nicht mehr.“ „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fragte er säuerlich. „Du wolltest gezielte Fragen stellen!“, meckerte sie zurück. Seto antwortete darauf nicht. Als sie in sein Gesicht blickte, sah sie, dass er die Augen geschlossen hatte. Amaya lächelte leicht. Das hatte er früher auch schon getan, wenn er angestrengt nachgedacht hatte. Wieder herrschte eine ganze Weile Stille. Doch dann flüsterte Seto drängend: „Für den Notfall, was hast du ihnen über dich erzählt?“ Erst begriff Amaya nicht. Wie kam er jetzt darauf? Doch dann hörte sie die Stimmen. Mist, fluchte sie in Gedanken. „Ich heiße Maya Jackson, wir haben uns vor zwei Jahren in den USA kennengelernt, gestern Abend hast du mich eingeladen, wir hatten Sex“, ratterte sie leise herunter. „Stell dich bloß schlafend und überlass das mir!“, fügte sie dann noch mahnend hinzu. Dann setzte sie wieder den ängstlichen Blick auf und schaute in die Richtung aus der die Stimmen kamen. Wenig später standen zwei der Entführer vor ihr. „Der schläft ja immer noch!“, rief der Typ mit der Michael Jackson Nase aus. „Das gibt’s doch nicht!“ „Anscheinend schon!“, murmelte Shiro, auch er schien sauer. „Schließ auf! Ich werde den Kerl jetzt aufwecken. Ich hab keinen Bock noch länger zu warten!“ Bis jetzt hatte Amaya das Geschehen nur stumm beobachtet. Nun war es an der Zeit einzugreifen. Am besten war es, wenn die Typen so schnell wie möglich wieder verschwanden. „Das können Sie nicht!“, sagte sie leise. „Ach ja, wer soll mich denn daran hindern? Du vielleicht?“, fragte er verächtlich. „Seto… er nimmt schon seit längerer Zeit ein Schlafmittel. Er redet mit mir nicht darüber, aber ich glaub, er hat starke Schlafstörungen vom ganzen Stress.“ „Wie traurig, dass er nicht mit dir spricht. Tut mir aber Leid!“, sagte er spöttisch, während Shiro gelassener blieb: „Wann wacht er wieder auf?“, grunzte er. „Ich… ich weiß nicht genau. Vermutlich so… zwischen halb neun und zehn.“ „Na klasse“, brummte Shiro. „Was jetzt?“ „Wir werden wohl warten müssen.“, antwortete sein Komplize. „So ne Scheiße aber auch!“ Mit diesen Worten zogen sie wieder ab. Als sie außer Hörweite waren, atmete Amaya auf. Schrecklich dieses Gefühl. Obwohl es ja nicht mal sehr brenslich geworden war. „Du bist nicht mehr so aufgedreht wie früher!“, sagte Seto an ihrer Schulter. „Ich bin grad ziemlich aufgedreht!“, antwortete sie und musste ein schrilles Lachen unterdrücken. Das hier zerrte wirklich an ihren Nerven. „Trotzdem bist du ruhiger geworden. Vor zwei Jahren wäre das nicht so glatt gelaufen.“, beharrte Seto. Da hatte er vermutlich recht. Aber dennoch war sie nicht so ruhig, wie sie es gerne gewesen wäre. Amaya atmete ein paar Mal tief durch, dann hatte sie sich wieder etwas beruhigt. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie dann. „Wir verschwinden von hier! Ich hab inzwischen eine starke Vermutung wo wir sind.“ Amaya musste grinsen. Er war doch immer wieder für eine Überraschung gut. „Und das heißt?“ „Etwa 50 Kilometer nördlich von Tenkidawa in einem stillgelegten Industriegebiet.“, antwortete er, während er sich erhob. „Nördlich von Tenkidawa?“, fragte Amaya ungläubig. „Ja“, antwortete Seto schon fast genervt. „Das sagte ich gerade.“ „Das ist gut!“, grinste Amaya. Seto zog eine Augenbraue noch oben. „Warum?“ „Wir haben in der Nähe von Tenkidawa ein Ferienhaus!“ „Was sollen wir da?“, erwiderte Seto kalt. Er nahm gerade zum zweiten Mal das Schloss unter die Lupe. „Wir werden mit dem nächsten Telefon die Polizei rufen.“ Amayas Grinsen verging ihr. Das war schon wieder ein deutliches Zeichen, dass er nicht länger mit ihr zusammen sein wollte, als nötig. Dann erinnerte sie sich an etwas, was sie bei einem der Gespräche der Entführer aufgeschnappt hatte. „Das würde ich nicht tun! Ich hab gehört, dass sie irgendwie Kontakt zur Polizei haben.“ Seto hielt inne und warf ihr über die Schulter einen undefinierbaren Blick zu. „Wenn ich nicht befürchten müsste, dass sie mich hören, würde ich jetzt lachen.“, sagte er. Amaya blickte ihn skeptisch an. Lachen? Seto lachte selten. „Worüber?“, fragte sie. „Über die ganze Scheiße, in die wir uns immer reinmanövrieren.“ Amaya schüttelte den Kopf. Dies war wieder einer der Moment, in denen sie ihn nicht verstand. Allerdings hatte sie das starke Gefühl, dass selbst Seto das manchmal nicht tat. „Ich glaub, ich muss doch Krach machen. Ich hab nämlich nichts dabei, womit ich das Schloss knacken kann.“ „Lass mich mal!“, erwiderte Amaya, woraufhin Seto sie skeptisch anblickte. „Falls du es vergessen haben solltest. Schlösser waren schon immer meine Spezialität.“ Sie zog eine ihrer Haarspangen auf ihrem feuerroten Haarschopf und nahm sich das Schloss vor. Es dauerte keine Minuten, da standen die beiden im Gang vor der Zelle. „Bin ich gut oder bin ich gut?“, fragte Amaya und grinste Seto frech an. Dieser brummte nur etwas Unverständliches. Dann machten sie sich auf den Weg nach oben. Leise schlichen sie die Treppen hinauf. Dies war einer der Moment, wo sie den ganzen Kram, den sie bei der Mafia gelernt hatten, gebrauchen konnte. Die beiden waren geübt darin sich auf Samtpfoten fortzubewegen und deshalb gab die sonst knarrende Treppe kaum einen Laut von sich. Amayas Herz begann wieder schneller zu schlagen. Aufregung packte ihren Körper. Was ist los, fragte sie sich. So hatte sie das noch nie erlebt. Früher hatte sie öfter solche ‚Übungen‘ gemacht. Damals war es auch – eher gesagt noch viel mehr - um ihr Leben gegangen. Wer einen Fehler machte, musste dafür bezahlen. Und für einige war der Preis der Tod gewesen. Sie hatte damit, wenn sie erst mal dabei war, kaum Probleme gehabt. Klar, es war ein Nervenkitzel gewesen, aber sie hatte dabei nie solche… Angst wie jetzt empfunden. Also was war los? Oder eher gesagt, was war anders? Das Abfinden mit dem Tod, schoss es Amaya durch den Kopf. Damals hatte sie gedacht, dass sie früher oder später an dem Training sterben würde. Sie war nicht davon ausgegangen aus dem Camp lebend herauszukommen. Natürlich hatte sie immer alles gegeben – ihr Überlebenswille war verdammt groß gewesen – und sie hatte auch immer siegen wollen, aber wenn sie gestorben wäre, dann wäre es eben so gewesen. Das Risiko bestand zu den Zeiten eigentlich jeden Tag. Nun war das anders. Sie war frei und hatte ein Ziel, dass sie unbedingt erreichen wollte. Dieses Ziel war der Gewinn der Liebe des Menschen, der gerade keinen Meter hinter ihr lief. Plötzlich blieb Amaya stehen, drehte sich um und blickte direkt in Setos strahlend blaue Augen. „Was ist los?“, fragte er. Keine Gefühlsregung war in seiner Stimme zu erkennen. „Wir schaffen das, oder?“ Die Worte kamen über Amayas Lippen, bevor sie es verhindern konnte. Eigentlich wollte sie vor Seto keine Schwäche zeigen, weil sie wusste, wie sehr er Schwäche hasste. Aber nun war es raus. „Natürlich!“, antwortete Seto, nachdem er die Augen verdreht hatte. „Mit diesen Losern werden wir im Schlaf fertig!“ Wieder sprach sie ohne Nachzudenken. „Und was ist, wenn mir doch etwas passiert?“ Seto stöhnte genervt. „Dir wird nichts passieren! Falls es dich beruhigt und du deinen Hintern weiter vorwärts bewegst, wenn dir Wiedererwartens doch etwas zustoßen sollte, werde ich dich nicht zurücklassen.“ Amaya blickte ihm immer noch in die Augen. Dennoch konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob er nur wollte, dass sie weiterlief oder ob er das wirklich ernst meinte. „Versprochen?“ Wieder verdrehte er die Augen. „Versprochen!“, sagte er dann aber doch. „Danke!“, murmelte sie und setzte sich wieder in Bewegung. Jetzt ging es ihr etwas besser. Wenn Seto etwas versprach (in nüchternem Zustand), dann hielt er es auch. Sie hatten schon ein ganzes Stückchen zurückgelegt, als Amaya plötzlich Setos Hand auf ihrer Schulter spürte. Mit sanfter Gewalt zog er sie in einen anliegenden Raum. „Was soll das heißen: Er schläft noch eine Weile?“, keifte Pinki gerade, als Seto sie hinter die Tür zog, wo sie nicht gesehen werden konnten. „Er hat ein Schlafmittel genommen!“, antwortete Shiro ruhig. Seine Stimme und die Geräusche der Schritte war so nah, dass Amaya sich sicher war, dass sie direkt auf der anderen Seite der Wand entlang liefen. Automatisch hielt sie den Atem an und drückte sich noch ein Stückchen näher an Setos warmen Körper, der hinter ihr stand. „Das Mädchen sagt es.“ „Dieser Giftzwerg…“ Es dauerte eine Weile, bis das Hallen der Schritte verklungen war. Amaya atmete auf. Das war knapp gewesen. Sie konnten von Glück sagen, dass Seto so gute Ohren hatte. Sie hätte die beiden vermutlich zu spät gehört. Dafür hatte sie die besseren Augen. Setos Augen waren auch nicht schlecht, so nicht, er traf beim Schießen eigentlich immer, aber dennoch konnte sie voller Stolz sagen, dass sie, wenn es darum ging irgendetwas oder jemanden in der Ferne ausfindig zu machen, besser war, als Seto. Und das sollte schon etwas heißen. Irgendwo drin besser so sein, als Seto Kaiba. Amaya wurde aus den Gedanken gerissen, als ebendieser sie ansprach. „Irgendwie hat Kuroi nur zur Hälfte begriffe, was du bist“, stichelte er. Amaya schnaubte leise. Warum musste er eigentlich immer auf ihrer Größe herumhacken. Soo klein war sie nun auch wieder nicht. Aber vielleicht sollte sie einfach mal positiv denken: Ein Giftzwerg war sie für ihn zumindest nicht. „Sehr witzig!“, knurrte sie leise. Seto ignorierte ihr Missfallen einfach. „Wo müssen wir jetzt lang?“, fragte er stattdessen. „So schnell wie möglich raus. Die werden uns vermutlich erst im Gebäude suchen.“, erwiderte Amaya. „Ich würde vorschlagen, wir nehmen das Fenster!“, sagte Seto und zeigte auf ein Loch in der Mauer, wo früher mal ein Fenster gewesen war. Kaum hatte er das ausgesprochen zog er sie schon in die Richtung. „So viel zum Thema ‚Vorschlag‘“, murmelte Amaya, so dass es Seto nicht verstehen konnte. Richtig ärgern tat sie das nicht. Aber das lag vermutlich nur daran, dass sie es von Seto nicht anders kannte. „Was hast du gesagt?“, fragte Seto kalt. „Nichts was dich interessieren dürfte, Teddy!“ „Dann solltest du deine Energie für Nützlicheres sparen, Zwerg!“ Jetzt waren sie also wieder bei ihren (unbeliebten) Kosenamen angekommen. Es war ein leichtes gewesen durch das ‚Fenster‘ ins Freie zu gelangen. Nun schlichen sie eng an der Hausmauer entlang in Richtung Industriegebietsende. Die kühle Morgenluft strich ihnen um die Nasen. Für Amaya war das mehr als erfrischend. Es tat nach der modrigen, abgestandenen Luft des Lagerhauses wirklich gut. Seto schien das nicht anders zu gehen. Er hatte gleich nachdem er den Kopf nach draußen gestreckt hatte, erst mal tief eingeatmet. Gerade als sie an der Ecke des Gebäudes angekommen waren, wurden Stimmen hinter ihnen laut. Amaya warf sofort einen panischen Blick über ihre Schulter. Eigentlich wollte sie hier wegkommen ohne dass es eine Auseinandersetzung gab. „Bleib ruhig“, mahnte Seto. „Du hattest Recht, sie suchen erst im Gebäude. Wenn wir uns beeilen, dann sind wir weg, bevor sie nach draußen kommen.“ Amaya nickte und dann rannten sie los. Das Gras, das den ganzen Hof überwucherte, dämpfte ihre Schritte. Seto wäre es vermutlich schon fast lieber gewesen, wenn der Hof nur aus nackten Steinen bestanden hätte. Er trug immer noch nur seine Socken und das harte Gras pickte sicherlich ziemlich in seinen Fußsohlen. Aber wie sie es von ihm gewohnt war, kam kein Laut des Fluchens oder Klagens über seine Lippen. Er verzog noch nicht mal das Gesicht. Nur ein leises Rascheln war zu hören, als sie mit langen Schritten auf das nächste Lagerhaus zu sprinteten, das ihnen wieder Schutz vor unliebsamen Blicken geben würde. Dort angekommen konnte Amaya schon das Ende des Industriegebiets erkennen. Gute 20 Meter vor ihnen bildete ein Maschendrahtzaun die Grenze. Sein Alter sah man ihm deutlich an: an einigen Stellen hatte der Rost das Metall zerfressen und er wirkte ziemlich klapprig. Wie kommen wir da nur am Besten vorbei ohne großen Lärm zu veranstalten, fragte sich Amaya und blickte sich suchend um. Es dauerte nicht lange, bis sie etwas Passendes gefunden hatte: Ein Loch im Gitternetz. Mit einem Nicken in die Richtung machte sie Seto darauf aufmerksam. Doch der schüttelte nur den Kopf. „Da komm ich nicht durch“, sagte er monoton. „Es hat manchmal doch Vorteile klein zu sein!“, stichelte Amaya grinsend, obwohl ihr danach nicht zu mute war. Sie machte sie Sorgen, wie er jetzt auf die andere Seite kam. Aber zugeben wollte sie das nicht. Seto hatte so oder so sicher einen Plan und würde sich nur wieder über sie lustig machen. Der Gedanke schien sich zu bestätigen. Seto musterte den Zaun mit kritischem Blick. „Hast du die Kraft den Zaun einigermaßen ruhig zu halten, wenn ich mich in Sprung darauf abstütze?“, fragte er nach einem Moment der Stille und sah sie mit seinem undefinierbaren Blick an. Ihre Augen wanderten von seinem Gesicht zum Zaun und wieder zurück. „Das sollte hinzukriegen sein“, murmelte Amaya langsam und überlegte sich schon mal, wo sie am besten zugriff, damit der Zaun nicht klapperte. „Dann sieh zu, dass du auf die andere Seite kommst!“, forderte Seto sie unfreundlich auf. Sie achtete nicht auf seinen Tonfall. Mit einem stummen Nicken machte Amaya sich mit langen, schnellen Schritten auf, um das Loch noch einem aus der Nähe zu begutachten. Das hätte sie sich eigentlich auch sparen können, denn sie hatte alles richtig eingeschätzt: Das Loch war auf Brusthöhe und hatte ungefähr einen Durchmesser von 40cm. Aber besser ein kurze Verzögerung, als dass sie wohlmöglich doch nicht hindurch kam. Amaya verzog das Gesicht. Die Folgen davon wollte sie sich lieber gar nicht ausmalen. Nachdem sie einige Schritte zurück gegangen war, atmete sie noch einmal tief durch, rannte dann los und sprang mit einer perfekten Flugrolle hindurch. Das hab ich geschafft, dachte sie erleichtert, obwohl so etwas ihren leichteren Übungen gehörte. Sie ging am Zaun entlang bis sie auf Setos Höhe war. Dort stabilisierte sie den Zaun so, dass er möglichst keine unerwünschten Geräusche von sich gab. Danach nickte sie Seto zu, der immer noch dicht an der Wand des Lagerhauses stand und sie aufmerksam beobachtete. Er erwiderte das Nicken fast unmerklich und rannte mit schnellen, gezielten Schritte los, sprang ab, erreichte mühelos die Höhe des Zaunes, stützte sich mit den Händen ab, schwang die Beine hinüber und landete mit einer enormen Präzision genau neben ihr. Amaya, die unbewusst die Luft angehalten hatte, atmete nun aus und ließ langsam das Gitter los. Das wäre geschafft, dachte sie. „Gute Arbeit“, sagte Seto, so wie er es früher nach einer bestandenen Prüfung auch getan hatte. Nur klang es jetzt noch um einiges kälter. „Danke. Gleichfalls.“, erwiderte Amaya lächelnd. Inzwischen schlug ihr Herz wieder deutlich ruhiger. Sie nahm Setos Hand und zog ihn in Richtung des Rauschens des Meeres. „Wo willst du hin?“, fragte Seto. Sein Missfallen war unmöglich zu überhören. „Zum Strand“, antwortete Amaya. „Von dort aus finde ich das Ferienhaus am besten. Außerdem werden sie uns vermutlich eher entlang der Straßen suchen.“ „Vermutlich hast du Recht“, sagte er noch einem Moment. Dabei klang er noch weniger begeistert. Traurig sah Amaya, dass ihm der Gedanke überhaupt nicht gefiel. Er wollte keine Zeit mit ihr verbringen. „Ist meine Anwesenheit so schlimm?“, fragte sie und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie das traf. „An dein Generve bin ich schon gewöhnt.“ Amaya legte die Stirn in Falten. War das jetzt positiv oder negativ? Es war nicht gerade nett formuliert, aber eigentlich war Seto eher der direkte Typ. Vermutlich hätte er auf ihre Frage einfach mit ‚ja‘ geantwortet, wenn sie wirklich sein Problem war. Am besten, sie fragte einfach nach: „Heißt das, wir können in Zukunft wieder mehr Zeit miteinander verbringen?“, fragte sie und konnte nicht verhindern, dass sie hoffnungsvoll klang. „Das hab ich nicht gesagt.“ Toll. Schon wieder so eine Antwort. Aber wenigstens schien sie im Moment nicht der Grund zu sein, warum ihm der Aufenthalt in ihrem Ferienhaus so wiederstrebte. „Was ist dann dein Problem?“ Seto sagte darauf nichts. Er schien darüber nachzudenken, ob er mit ihr darüber sprechen sollte. Zumindest deutete sie seinen Gesichtsausdruck so. „Mokuba macht sich sicher Sorgen“, sagte er irgendwann, als der Strand schon in Sicht kam. Klar, dachte Amaya, da hätte ich selbst draufkommen können. Schließlich wusste sie, wie wichtig sein Bruder für Seto war. „Wir finden sicher eine Möglichkeit ihm einen Nachricht zu schicken“, erwiderte Amaya nur. Seto hatte sich nicht so angehört, als wollte er darüber sprechen. Außerdem waren sie inzwischen am Strand angekommen und ihr stellte sich eine andere Frage: „Wie hinterlassen wir bloß am wenigsten Spuren?“ Seto verdrehte die Augen. „Das ist doch ganz einfach: Wir laufen bis zum Wasser in die entgegengesetzte Richtung, in die wir wollen und drehen dann um. Wenn wir im Wasser laufen, werden unsere Fußabdrücke einfach weggespült.“, erklärte er in herablassenden Ton. „Gute Idee“, erwiderte Amaya und ignorierte die Art und Weise, wie er es gesagt hatte. Sie ging einfach los. Erst als sie merkte, dass Seto ihr nicht folgte, blieb sie stehen und warf einen Blick über ihre Schulter. Ihr Schwarm zog gerade seine Socken aus, die er danach in den Hosentaschen verschwinden ließ, und krempelte die Hosenbeine hoch. Erst dann betrat er den Sandstrand. Sie hatten schon ein ganzen Stückchen zurückgelegt, als Amaya das Schweigen, was zwischen ihnen geherrscht hatte, brach: „Hast du kalte Füße?“, fragte sie besorgt. „Kann dir doch egal sein.“ „Das ist keine Antwort auf meine Frage!“ „Ich werd ‘s überleben!“ „Das auch nicht.“ „Wenn du mich dann endlich in Ruhe lässt: Ja, ich spür sie kaum noch!“ Amaya lachte. Genau diesen Zusatz hatte sie erwartet. Einige Dinge sagte Seto ihr nur dann, wenn sie ihn genügend nervte. Anderen Leute gelang das nicht. Oder eher gesagt, den meisten Leuten gelang das nicht. Und deswegen war Amaya auch in gewissenweise stolz darauf. Sie konnte wenigstens ein paar Gefühlsregungen bei ihm hervorzurufen. Sie grinst ihn an und meinte: „Mir wird schon etwas einfallen um dich wieder aufzuwärmen!“ „Ach ja?“ „Ja, ich könnte dich zum Beispiel mit einer Schale Brokkoli quer durch das ganze Haus jagen oder ich könnte das tun, was ich mir geschworen hab, irgendwann mal zu tun, wenn wir nicht mehr bei der Mafia sind.“ Sie sah, wie Seto bei ihrem ersten Vorschlag das Gesicht verzog. Er hasste Brokkoli! Der zweite Vorschlag schien ihn etwas neugierig gemacht zu haben. „Und was soll das sein?“, fragte er und versuchte dabei desinteressiert zu klingen. „Dich in eine Kissenschlacht verwickeln und gnadenlos fertig machen!“ Er verzog seine Lippen zu seinem spöttischem Grinsen. „Träum weiter!“, sagte er. „Außerdem hab ich eine viel bessere Idee!“ „Ach ja?“, sagte sie und blieb stehen. „Wir könnte das machen, was wir laut deinen Angaben bei den Entführern schon getan haben“, sagte er, drehte sich um und grinste sie verführerisch an. Amaya musste sich ganz schön zurückhalten, um sich nicht in seine Arme zu werfen und ihn zu küssen. Außerdem wusste sie nicht so genau, ob sie sich nun darüber freuen sollte, dass er diesen Vorschlag gemacht hatte. Sie wollte keine von vielen sein, das stand für sie fest. Aber es gefiel ihr ohne Frage, dass er zumindest ihren Körper begehrenswert fand. Trotzdem würde sie nicht darauf eingehen. Das es ihr später, wenn sie ihn mit einer anderen sah, noch schlechter ging als jetzt schon, war ihr eine gemeinsame Nacht mit ihm nicht wert. Was das anging machte sie keine halben Sachen. Entweder sie bekam Seto für sich allein oder gar nicht. „Ich fürchte, da gibt es ein kleines Problem!“, sagte sie. „Ich bin mir sicher, dass ich es beseitigen kann“, erwiderte er mit verführerischer Stimme und beugte sich zu ihr hinunter. Amaya legte einen Zeigefinger auf seine Lippe und hinderte ihn daran sie zu küssen. „Du hast Recht. Das kannst du!“, flüsterte sie und blickte ihm dabei ganz genau in die Augen. „Aber nicht auf so eine primitive Weise, wie du denkst!“ Sie sah noch eine leichte Verwirrung in seine Augen, aber dann wandte sie sich ab, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich weiter den Strand entlang. Es lag noch ein weiter Weg vor ihnen. Kapitel 2: You assign my life! ------------------------------ Hi! Nach unendlicher langer Zeit kommt das zweite Kapitel. Eigentlich war es anders geplant, aber letztendlich hab ich mich entschlossen, den Cut am jetztigen Kapitelende zu machen. Vielleicht ging es deshalb auch noch ein fünftes Kapitel. Mal sehen! Ich hoffe, es gefällt! LG Kyra --- You assign my life! (Teil 2/4) Zu allem Übel hatte es nach zwei Dritteln der Strecke auch noch angefangen zu regnen. Wobei schütten eher das richtige Wort gewesen war, wie Amaya fand. Dazu war noch der kräftige Seewind gekommen, der übers Land gepeitscht hatte und ihnen die Tropfen seitlich ins Gesicht getrieben hatte. Seto war in wenigen Minuten bis auch die Knochen durchnässt gewesen und auch Amaya war - trotz ihres Regenmantels - nicht ganz trocken geblieben. Dementsprechend froh waren sie beide gewesen, als sie endlich das „Ferienhaus“ der Pegasus‘ erreicht hatten. Das Feriendomizil war einmal ein Leuchtturm gewesen. Amayas Onkel Maximilian, der einen Fabil für alte Gebäude hatte, hatte ihn vor zwei Jahren gekauft und so renovieren und modernisieren lassen, dass man darin gut leben konnte, der Flair des Gemäuers aber erhalten geblieben war. Setos Weg hatte ihn ohne Umschweife ins Badezimmer geführt, wo er sich ein heißes Bad eingelassen hatte, Amaya hingegen – sie hatte für längere Zeit erst einmal genug von Wasser – war in ihr Zimmer geflitzt und hatte sich umgezogen. Danach hatte sie im Kleiderschrank ihres Onkels nach ein paar Sachen gesucht, die Seto auch tragen konnte. Nun stand Amaya etwas unschlüssig vor der geschlossenen Badezimmertür. Sollte sie ihm die Klamotten reinbringen oder sie ihm einfach vor die Tür legen und nur Bescheid geben. Das ist lächerlich, schalte sie sich selbst, immerhin hatte sie ihn früher schon oft genug nackt gesehen. Amaya klopfte kurz an und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten. „Ich hab hier ein paar Kleidungsstücke von Max. Sie müssten dir auch passen“, sprach sie ihren bis zum Kopf im Wasser liegenden Teddybären an. „Ich soll die Kleidung von Pegasus tragen?“, fragte er mit deutlichem Missfallen und ihr wurde mal wieder vor Augen geführt, wie wenig er von ihrem Onkel hielt. „Meinetwegen“, sagte Amaya und grinste bei der Vorstellung, „kannst du auch gar nichts anziehen. Du bist derjenigen, der friert.“ „Klar, dass dir diese Vorstellung gefällt“, antwortete er von sich überzeugt und warf ihr einen verführerischen Blick zu, während er hinzufügte: „Das Wasser ist noch warm. Du kannst mir gerne Gesellschaft leisten.“ Verlockendes Angebot, dachte Amaya bei sich. Allerdings nicht sehr konform mit ihren Prinzipien. Sie ging zur Toilette hinüber und legte dort die Klamotten ab. Während der ganzen Zeit spürte sie Setos abwartenden Blick in ihrem Rücken. „Ich hatte mehr von dir erwartet“, sprach sie und holte zwei Handtücher aus dem Schrank. Dabei bedachte sie ihn kurz, über die Schulter hinweg, mit einem enttäuschten Blick und sah wie er fragend eine Augenbraue hob. Als sie ihr Gesicht wieder abgewandt hatte, schmunzelte sie. Ob sich das jemals ändern würde? Das hatte er schon früher immer getan. Bevor sich Amaya zu ihm umdreht, legte sie wieder einen enttäuschten Gesichtsausdruck auf. „Etwas mehr Extravagantes!“, antwortete sie, indem sie jede Silbe betonte, auf seine stumme Frage. Nun hob er auch noch die zweite Augenbraue. Amaya legte die Handtücher auf einen Hocker nahe der Badewanne und beugte sich dann ein Stück zu ihm hinunter. „Schon vergessen?!“, fragte sie und streifte hauchzart seine Lippen mit den ihren. „Ich sagte, nicht auf so primitive Art und Weise.“ Sie grinste ihn frech an, obwohl sie ihn lieber geküsst hätte. Schon nach dieser flüchtigen Berührung klopfte ihr Herz wie verrückt und ihre Knie fühlten sich an wie Pudding. Sie hatte definitiv eine nicht gerade kleine Schwäche für ihn. Eine zu große, gestand Amaya sich ein. Wenn sie hier nicht schnell wegkam, würde sie ganz bestimmt gleich zu ihm in die Wanne hüpfen. Sich dessen bewusst werdend, wendete sie sich von ihm ab. Vielleicht etwas zu schnell, bemerkte sie hinterher, konnte es aber nicht mehr ändern. An der Badezimmertür blieb sie noch einmal stehen und sah in sein Gesicht, von dem man mal wieder nicht auf seine Gefühlslage schließen konnte. „Vergiss nicht, dich hinter den Ohren zu waschen“, meinte sie keck. Seto schnaubte und Amaya verließ lachend den Raum. Ein Stockwerk weiter unten in der Küche angekommen, lehnte sie sich seufzend an die Anrichte. In ihrem Bauch kribbelte es wie verrückt. Es war eine scheiß Idee gewesen, ihn zu küssen. Allerdings, dachte sie nach einem Moment, von nichts kommt nichts. Irgendetwas musste sie sich einfallen lassen, um ihn für sich zu gewinnen. Vielleicht war es genau das richtige, vorzugeben mit ihm zu spielen, und ihn dabei etwas Zappeln zu lassen. Es war eine Strategie und wenn man bedachte, wie sehr ihr Teddy Herausforderungen liebte, gar nicht mal die schlechteste. Aber konnte sie das durchziehen? Wie wollte sie das schaffen, wenn sie sich nach einer so kurzen Berührung kaum noch auf den Beinen halten konnte? Und davon mal abgesehen, ihre Chancen bei ihm waren – wenn man es mal ganz realistisch betrachtete – niederschmetternd gering. Sie war klein. – Wofür Seto sie nur allzu gerne verspottete, hieß er stand eher auf größere Frauen. Ihre Proportion – Brüste, Taille, Hüfte – waren ihrer Größe angemessen, also auch klein und wie sie Seto einschätzte mochte er es gerne üppiger. Die Farbe ihrer Haare war zwar recht außergewöhnlich, aber so knalliges Rot war vermutlich auch nicht sein Geschmack. Und ihre Augen waren noch recht kindlich - was Seto davon hielt, wusste sie ganz genau. Er hatte schon damals immer so erwachsen wie möglich wirken wollen. Also Setos Geschmack traf sie schon mal nicht. Andererseits wollte er Sex mit ihr … was vermutlich auch nur daran liegt, dass er gerade Bock darauf hat und niemand anderes da ist, dachte sie deprimiert. Seufzend rutschte Amaya an den Schränken hinab, bis sie auf dem Boden saß. Das Leben war ungerecht ... Aber diese Feststellung brachte sie auch nicht voran. Irgendeine Entscheidung musste sie nun treffen. Kampflos aufgeben ist noch nie mein Ding gewesen, überlegte sie. Das kam schon mal nicht in Frage. Egal, wie aussichtslos die Situation auch sein mochte. Eine Herausforderung zu sein war schon eine gute Idee, nur an der Umsetzung würde es scheitern. Sie hatte keine so gute Selbstbeherrschung, wie Seto, und würde es niemals schaffen, ihn auf Distanz zu halten. Muss ich das überhaupt, fragte Amaya sich stirnrunzelnd. Eigentlich musste sie ja nur verhindern, dass er sein Ziel erreichte oder das Interesse verlor. Allerdings war es langfristig – wenn sie ihr Ziel verfehlte – nicht sonderlich klug, wenn sie ihm jetzt körperlich nahe kam. Sie wusste schließlich, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Was sollte sie tun? „Wenn du kannst, genieße den Moment!“ Das hatte ihre beste Freundin Ling gesagt. „Wir wissen beide wie unwahrscheinlich es ist, dass er dich liebt.“, hatte sie noch hinzugefügt. Ling dachte zwar meist etwas pessimistisch, aber sie kannte Seto, ebenso wie Amaya selbst, von der Zeit bei der Mafia, und wusste so genug über ihn, um diese Aussage zu tätigen. Amaya stimmte ihr ja eigentlich zu, war allerdings zu optimistisch eingestellt, um es nicht zu versuchen. Und eigentlich hörte sich das doch ganz gut an: ihm eine Herausforderung bieten, die Momente mit ihm genießen, und zu hoffen, dass sich seine Meinung ihr gegenüber vielleicht noch zum Positiven änderte. Amaya seufzte noch einmal. Mehr als schief gehen, kann es ja nicht, dachte sie. Seto lehnte schon ein paar Minuten am Rahmen der Küchentür und beobachtete Amayas Mienenspiel. Sie wirkte besorgt und niedergeschlagen. Es war ein komischer Anblick, wie er fand. Irgendwie passte das nicht ins Bild. Oder trogen ihn seine Erinnerungen? Er hatte versucht die Geschehnisse der damaligen Zeit zu verdrängen, aber bis jetzt hatte er immer das Gefühl gehabt, dass es ihm nicht gelungen war. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, stellte er für sich – mit ziemlichem Widerstreben – fest. Er erinnerte sich noch sehr genau an das Jahr. Und auch an den Zwerg. Sie hatte immer einen sehr optimistischen Eindruck gemacht. Augenblicklich schossen ihm etliche Situationen durch den Kopf, in denen er sich maßlos über dieses positive Denken geärgert hatte. Manchmal ziemlich ängstlich, dennoch sehr optimistisch und risikovoll - so hatte er sie in Erinnerung und so hatte sie sich ihm auch in den letzten Stunden präsentiert. Also was bedrückte sie so? Was geht mich das an, fragte er sich gleich darauf. Sollte der Zwerg doch mit seinen Problemen allein fertig werden. Andererseits… wollte er sie herumkriegen und sie wollte dafür etwas Extravagantes. Und wenn es nicht außergewöhnlich war, dass er sich um sie Sorgen machte, was dann? Nein, das war zu übertrieben. Sie würde sofort merken, dass es nicht sein Ernst war. Missmutig legte Seto die Stirn in Falten. Er sollte sich schleunigst etwas einfallen lassen, wenn er sie noch heute in seinem Bett haben wollte - was außer Frage stand. Ihm war nicht möglich zu definieren, was ihn an dem zierlichen Körper reizte, aber irgendetwas war da, dass sein Verlangen weckte. Amaya war nicht sein Typ. Zu klein, zu schmal, zu sehr auffallende Haare und Augen. Dennoch war da etwas, was er besitzen wollte. Er musste sie zumindest einmal unter sich spüren. Allerdings würde ihm das nicht gelingen, wenn er hier nur herumstand. Seto wusste zwar noch nicht, was er für diese gemeinsame Nacht tun musste, aber er würde es herausfinden. „Was gibt es zu essen?“ Diese kalt ausgesprochene Frage schreckte Amaya aus ihren Gedanken auf. Unkontrolliert sprang sie auf und riss dabei mit einem Arm etliche Pfannen von ihren Hanken an der Wand. Laut scheppernd verteilten sie sich auf dem Boden. Fluchend rieb Amaya sich den etwas schmerzenden Arm. „Tollpatschiger Zwerg“, kam es herablassend von Seto. „Ach halt die Klappe“, antwortete Amaya mürrisch. „Wenn du wie ein normaler Bär durch die Weltgeschichte trampeln würdest, statt vorsichtig eine Tatze vor die andere zu setzen, wäre das nicht passiert!“ Dabei blickte sie ihn aber immer noch nicht an, sondern schaute auf den immer noch etwas wehtuenden Arm. Wär ja noch schöner, wenn ich ihm jetzt auch noch meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken würde, dachte sie missgelaunt. Seto schnaubte. Wohl einerseits wegen des Bärenvergleichs und anderseits natürlich auch wegen der Nichtbeachtung. „Soll ich pusten?“, fragte er nach einem Moment spöttisch. „Ja“, erwiderte sie und hielt ihm trotzig den Arm hin. Widererwartens beugte er sich tatsächlich etwas zu ihr herunter und wenig später streifte sein kühler Atem auch schon ihre Haut. Amaya hielt die Luft an. Warum tat er das? Es war nun ganz und gar nicht seine Art. Verwirrt blickte sie auf seinen braunen Haarschopf. Als sich Setos weiche Lippen auf ihre Haut senkten, durchfuhr sie ein angenehmer Schauer. Und zugleich hatte sie die Antwort auf ihre Frage gefunden. Darauf hätte ich auch selbst kommen können, dachte sie missgelaunt. Widerstrebend zog sie ihm den Arm weg. „Es wird gerade wieder ziemlich primitiv, mein Freund!“, teilte Amaya ihm mit, fügte aber nach einem Blick auf ihn grinsend hinzu: „Die Sachen passen doch ganz gut. Nicht ganz deine Farben, etwas zusammen gewürfelt, aber sonst …“ Seto trug eine weinrote Adidas-Trainingshose, dazu ein olivgrünes Hemd und darüber einen dunkelgrünen Kaschmirpullover. Seine Füße steckten in dicken tiefgelben Wollsocken. „Ja, klar“, erwiderte er sarkastisch, „ich sollte wirklich überlegen, mein Kleidungsstil zu ändern.“ Amaya brach in schallendes Gelächter aus. „Stell dir das mal bildlich vor“, brachte sie hervor, „wenn du so auf der nächsten Feierlichkeit auftauchen würdest.“ Sie lachte weiter, beachtete nicht seine missbilligenden Blicke. Die Vorstellung war aber auch zu köstlich. „Du stellst dir jetzt mal die Konsequenzen bildlich vor“, meinte er emotionslos, „und überdenkst dann noch mal alles!“ Amaya reagierte darauf nicht. Sie hielt sich den Bauch und lachte Tränen. Klar, er hatte Recht, dass wusste sie. Aber sie lachte auch eher über die Absurdität des Ganzen, an eine mögliche Umsetzung verschwendete sie keinen Gedanken. Warum auch? Wie gesagt, es war einfach nur absurd. Die Sachen waren wirklich nur wild zusammengewürfelt. Farblich mochten sie ja noch einigermaßen zueinander passen, aber vom Stil? No way! Das ging gar nicht! „Schön, dass ich dich so amüsiere“, spie Seto sarkastisch hervor. Amaya beruhigte sich langsam wieder, bei ihrer Antwort kicherte sie dennoch: „Ich lach nicht über dich. Ich lache eher über die Vorstellung, wie alle dich ansehen würden!“ „Natürlich!“, kam es ironisch. „Ach komm schon, Teddy, guck nicht so böse. War wirklich nicht so gemeint!“, meinte Amaya beschwichtigend. Es brachte allerdings gar nichts. Seto schaute sie immer noch mit einem allerfeinsten Gefrierblick an. „Manchmal wirkst du wirklich wie ein grimmiger, schmollender Bär!“, sagte sie und machte es damit auch nicht gerade besser. Aber das wollte sie auch gar nicht mehr. Wenn sie sich „stritten“, musste sie zumindest nicht immer daran denken, wie gern sie ihn hatte. Was für den Moment ganz angenehm war, wie sie festgestellt hatte. „Und was bist du dann? Ein plumper, sturer Zwerg“, höhnte Seto. „Zwerge sind wenigstens klug!“, konterte sie. „Unterschätz die Intelligenz eines Bären nicht. Davon mal abgesehen, saufen Zwerge wie ein Loch, da werden wohl nicht viele Gehirnzellen übrig bleiben.“ „Ich saufe also wie ein Loch. Wenn ich mich recht entsinne, warst du es, der gerne mal so manchen Liter Alkohol vernichtet hat“, zischte sie zurück. Okay, das war vielleicht schon ein Schlag unter die Gürtellinie. Sie wusste, dass er nur getrunken hatte, wenn es bei irgendwelchen obskuren Feierlichkeiten nicht anders gegangen war, und wirklich nur ganz selten, wenn ihre Situation so richtig aussichtslos gewirkt hatte. Seto hatte es immer gehasst. Auch wenn er seinen Kummer im Alkohol ertränkt hatte. Aber nach manchen Ereignissen war es einfach befreiend gewesen. Ein paar Stunden sich nicht mit ihren damaligen Alltagssorgen herumschlagen zu müssen. Das wusste sie aus eigener Erfahrung. „Ah, verletzter Zwergenstolz“, sagte er maliziös, „da war mir ja glatt entfallen, dass du so gut wie nichts verträgst!“ „Soll ich dir mal etwas sagen?!“, fauchte sie. Es war wohl wirklich etwas zu hart gewesen. Sie hatte anscheinend bei ihm ziemlich unangenehme Erinnerungen geweckt. „Ich glaub zwar nicht, dass es sehr informativ sein wird, aber du lässt dir von mir ja leider nicht den Mund verbieten.“ „Hast du das nach den Jahren auch endlich mal begriffen?“, fragte sie sarkastisch und stemmte die Hände in die Hüpften, um ihre folgende Schimpftriade noch zu unterstreichen. Dabei nahm sie zum ersten Mal an diesem Abend bewusst wahr, wie ihr Nacken zog. Es schmerzte ziemlich. Die lange, unbequeme Sitzerei hatte wohl doch mehr Spuren hinterlassen, als sie gedacht hatte. Toll, dachte sie, jetzt bin ich auch noch total verspannt. Als hätte sie nicht schon genug Probleme. Und als wollte sie jemand noch mehr ärgern, kam schon das nächste dazu. In Form von Setos seltsamen, musterenden Blicks. Sie konnte überhaupt nicht definieren, in welche Richtung sich seine Gedanken bewegten. „Was?!“, bluffte Amaya ihn an. „Es…“, setzte er noch in Gedanken an, unterbrach sich dann aber selbst. Augenblicklich kehrte sein eiskalter Gefriertruhenblick wieder. „Vergiss es!“, sagte er arrogant. „Sorg lieber dafür, dass etwas zu Essen auf den Tisch kommt.“ „Ich? Warum sollte ich? Du kannst gefälligst mithelfen.“ „Du bist die Gastgeberin“, sagte er emotionslos und wendete sich dabei von ihr ab. Kurz warf er einen Blick durch den Raum, dann steuerte er zielstrebig das große, L-förmige Sofa an. „Du könntest dich ja mal erkenntlich zeigen, dass ich dich hier wohnen lasse“, fauchte sie ihm hinterher. „Da ich dir diese missliche Lage überhaupt erst zu verdanken habe, sehe ich das als selbstverständlich an!“, erwiderte er, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. „Du hättest den Kaffee mit dem Schlafmittel ja nicht trinken müssen“, konterte sie. „Es war eine Variante für einen erholsamen Schlaf. Davon mal abgesehen, begrenzte es unsere Konversation auf einen absehbaren Zeitraum.“ Herrlich, wie war er wieder nett. Gut, dass sie sich gerade so in Rage geredet hatte. Ihre Wut übertönte den Schmerz relativ gut. Einen kleinen Stich im Herzen verspürte sie dennoch. Aber ehrlich gesagt, hatte sie überhaupt keine Lust, weiter darüber nachzudenken. Es würde nur schmerzhaft werden. Und Schmerzen hatte sie, für ihre Begriffe, momentan genug. Am liebsten hätte Amaya seine Aufforderung ignoriert. Einfach irgendetwas anderes gemacht. Und wenn es an die Decke starren gewesen wäre. Aber da machte ihr, ihr Magen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Sie hatte auch Hunger. Da Seto definitiv nichts zubereiten würde, blieb das wohl oder übel an ihr hängen. Seufzend ergab sie sich ihrem Schicksal und marschierte missmutig in die Abstellkammer, wo auch die Tiefkühltruhe stand. Wenn sie sich nicht gewaltig irrte, dann müsste darin noch einige Stück selbstgemachte Pizza darauf warten gegessen zu werden. Sie behielt recht. „Was willst du?“, fragte Amaya über die Schulter hinweg, als sie die in Alufolie verpackte Pizza auf der Arbeitsplatte ablegte. „Salami, Thunfisch, Gyros oder... ähm warte… hier ist auch noch Hawaii“, meinte sie bei der Bestandsaufnahme. „Bitte was?“, klang es mit wenig Interesse vom Sofa hinüber. „Was für Pizza du möchtest?“, fragte sie, aufgrund seines Tonfalls, leicht gereizt. Seto drehte sich leicht und schaute sie an, einen Arm lässig auf der Sofalehne liegend. Das Bild hätte sich vermutlich wieder fast um den Verstand gebracht, wäre da nicht die Empörung in seinem Blick gewesen. „Du bietest mir allen Ernstes Tiefkühlpizza an?“, erwiderte er, spie das vorletzte Wort geradezu angewidert hervor. Das ließ sie kochen vor Wut. Was erwartete er eigentlich? Das sie alles frisch auf Lager hatte, hier jeden Tag jemand Lebensmittel anlieferte, obwohl niemand da war? „Wie stellst du dir das vor? Wir können schon froh sein, dass überhaupt irgendetwas Essbares im Haus ist!“, fauchte Amaya. „Ich esse keine Tiefkühlpizzen“, wieder betonte er es, voller Abscheu, „das sind minderwertige Produkte! Also, lass dir etwas anderes einfallen!“ „Gr“, verließ erst nur ihre Lippen. Sie überlegte schon, ob sie ihm an den Kopf werfen sollte, dass er doch verhungern sollte, besann sich aber eines besseren. „Ich hab die Pizza selbst gemacht“, erklärte sie, um Ruhe bemüht. „Bei unserem letzten Besuch ist sie übrig geblieben, und ich hab sie eingefroren. Entweder du isst etwas davon, oder gar nichts. Etwas anderes haben wir nicht!“ Er seufzte – wenig begeistert. „Gyros und Salami“, meinte er dann. Damit wanderte noch je zwei Stücke Gyros- und Salamipizza auf das Backblech. Das traf sich gut, sie wollte nämlich gern Thunfisch und Hawaii. Nachdem sie das Blech in den Ofen geschoben hatte und die Eieruhr gestellt hatte, hängte sie die Pfannen an ihrem Platz zurück und deckte den Küchentisch. Danach ließ sich Amaya erschöpft neben Seto aufs Sofa fallen. Ohne fiel dabei nachzudenken, verfolgte sie das Geschehen im Fernseher, den ihr Teddy inzwischen angemacht hatte. Sie war schon dabei wegzunicken, als Seto sie zu sich hinüberzog. Schlagartig war sie wieder wach. Was hat er vor, fragte sie sich und die Frequenz ihres Herzschlags erhöhte sich. Seine Hände wanderten in ihren Nacken und von dort unter ihr Shirt. Unschlüssig was zu tun war, blieb sie einfach still sitzen und rang mit sich. Die warme Berührung war mehr als angenehm, dennoch zu nah sollte er ihr nicht kommen. Die Grübelei erübrigte sich, als Seto begann sanft ihren Nacken zu massieren. Seufzend ließ sie den Kopf hängen und schloss genießend die Augen. Das tat gut und war genau das, was sie jetzt gebraucht hatte. Sie saßen eine ganze Weile schweigend da. Amayas Verstand verabschiedete sich durch die schon fast zärtliche Behandlung mehr und mehr. Egal wie sehr sie sich dagegen wehrte. Unterbewusst war ihr allerdings immer noch klar, dass Seto das ganz bestimmt nicht machte, um ihr einen Gefallen zu tun. Natürlich kannte sie seinen Hintergedanken. Doch im Moment war es ihr furchtbar egal, dazu war das Gefühl einfach zu berauschend. Amaya widersetzte sich auch nicht, als sich ihre Vermutung bestätigte und Setos warmen Atem ihre Haut kitzelte. Dem folgten wenig später seinen weichen Lippen. Die Küsse, die er ihr auf die Schultern hauchte, jagten ihr abwechselnd heiße und kalte Schauer über den Rücken. Sie konnte nicht anders, als sich mehr fordernd, an ihn zu drücken. Sie seufzte genießend, während er ihrer Aufforderung nachkam. Völlig gab Amaya sich seinen Berührungen hin, legte den Kopf in den Nacken und sog dabei seinen unbeschreiblichen Duft ein. Ihr Teddy schien das als Einladung zu sehen, und begann an ihrem Hals zu knabbern. „Und das ist jetzt nicht primitiv?“, ertönte plötzlich angewohnt rau Setos Stimme. „Doch“, murmelte sie mühsam, hatte Schwierigkeiten gehabt seinen Worten überhaupt einen Sinn zu geben. „Aber ich muss zugeben… mhm…“ Sie brach ab, als er an einer Stelle ihres Hals verharrte, um diese gierig etwas mehr zu bearbeiten - das würde wohl einen Knutschfleck geben. Der Gedanke war ihr entschwunden, seine Lippen nahmen wieder all ihre Empfindungen ein. „Was?“, fragte Seto, es klang schon fast neugierig. Aber das musste sie sich eingebildet haben, denn er ließ ihr gar nicht die Chance zu antworten, sondern presste seine Lippen auf ihren Mund. Fordernd bewegten sich ihre Lippen gegeneinander, Setos Zunge strich gerade bittend über ihre Unterlippe, als... ...die Eieruhr schrill zu piepen begann und ankündigte, dass die Pizza nun fertig war. Die hohen Töne brachen den Bann, der Amaya gefangen hielt. Dennoch kostete es ihr einiges an Überwindung, sich von ihm zu lösen - aus seiner Umarmung zu entkommen. Sie konnte sich aber nicht zurückhalten, ihm einen Kuss auf die Nase zu hauchen. Danach suchte sie schleunigst das Weite, konnte immer noch nicht glauben, von ihm weggekommen zu sein. Ihr Herz schlug so schnell, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Sie stellte die Uhr und den Ofen aus, wandte sich dann an Seto, während sie nach den Topflappen im Schrank suchte. Er musterte sie unentwegt mit einem undefinierbaren Blick. „Du kannst dir unten im Keller eine Flasche Wein aussuchen!“ „Wein?“, fragte er und klang wirklich etwas verwirrt. Allerdings auch alles andere als begeistert. „Ja, etwas anderes haben wir nicht. Max besteht darauf, immer ein ‚edles Tröpfchen‘ im Haus zu haben. Egal, wie oft man in diesem Haus ist. Und da ich weiß, dass du nicht so der Wein-Fan bist, hab ich mir gedacht, lass ich dich aussuchen“, erklärte sie. „Zu gütig“, erwiderte er in einer Mischung aus Spott und Sarkasmus. „Ja ne?!“, meinte sie nur gut gelaunt. Sie wusste nicht genau warum, aber der Kuss hatte ihre Stimmung deutlich gesteigert, obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall sein sollte. Vielleicht lag es daran, dass sie es geschafft hatte, von ihm wegzukommen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich das nicht zu getraut. Ihre Selbstbeherrschung schien besser zu sein, als sie gedacht hatte. Nachdem Seto mit einer Flasche Carbanet aufgetaucht war, konnten sie endlich mit dem Essen beginnen. Eine Weile herrschte Schweigen. Amaya war es nicht wirklich unangenehm, schließlich wusste sie, dass Seto kein Mann der großen Worte war. Umso erstaunlicher war es, dass er am Ende er war, der zu sprechen begann. „Ich kann Wein wirklich nichts abgewinnen“, murmelte er, den Blick missbilligend auf das Glas mit der roten Flüssigkeit gerichtet, das er in einer Hand schwenkte. „Ich eigentlich auch nicht“, erwiderte sie, immer noch überrascht. „Aber besser als Leitungswasser mit zu vielen Mineralien.“ Daraufhin nickte er nur, schien mit seinen Gedanken plötzlich relativ weit weg zu sein. Amaya hätte einiges für einen Blick in seinen Kopf gegeben. Vermutlich grübelte er darüber, was sie denn als ‚Extravagant‘ betrachtete. Die Tatsache, dass ihn das so verwirrte, ließ sie schmunzeln. Daran würde er zu knabbern haben. Gefühle waren noch nie seine Stärke gewesen. Als sie dann allerdings leichte Besorgnis in seinen Augen aufblitzen sah, verwarf sie den Gedanken. Sein Denken galt anscheinend Mokuba. Nur wenn es um seinen kleinen Bruder ging, funktionierte seine ausdruckslose Miene nicht perfekt. Meistens zumindest. „Kannst du ihm nicht einfach eine Mail schreiben? Ich meine, es sollte dir nicht sonderlich schwer fallen zu verbergen, von wo aus sie gesendet wurde“, sagte Amaya irgendwann. Seto blickte sie daraufhin fast überrascht an. Es dauerte aber nur wenige Sekunden bis sein Gesichtsausdruck wieder gar nichts verriet. „Ja, das könnte ich. Aber wenn ich schreibe, dass ich in den nächsten Tagen nicht nach Hause komme, dann will er wissen, wo ich bin. Dadurch das ich unterdrücke, von wo aus ich auf mein Mailsystem zu gegriffen habe, wird er nicht fündig und macht sich deshalb Sorgen.“ Da hatte er wohl recht. Ihr würde es auch nicht anders gehen. „Und etwas anderes“, begann sie, wurde aber von Seto unterbrochen: „… fällt mir nicht ein. Egal wie ich es dreh und wende, am Ende würde er sich immer Sorgen machen.“ Es war schwer, etwas Beruhigendes darauf zu erwidern. So recht fiel ihr auch nichts ein. „Es ist ja nur für einen Tag“, sagte sie nach einem Moment. „Meinetwegen können wir auch gleich aufbrechen, nachdem wir ausgeschlafen haben.“ „Ihr habt hier ein Auto?“ „Ja, auch etwas worauf Max gesteht.“ „Gut. Was anderes wird uns wohl nicht übrig bleiben.“ Damit war es wieder ruhig gewesen. Diese Stille hatte auch niemand bis Ende des Essens gebrochen. Inzwischen dämmerte es. An Schlafen war aber nicht zu denken. Amaya war trotz des zwei Stunden Marsches und der fast schlaflosen Nacht viel zu aufgewühlt, und Seto sah anscheinend auch noch keinen Grund, sich hinzulegen. Allerdings hatte er ja doch einige Stunden Schlaf genießen können. Nun saßen sie vor dem Fernseher. Und zu Amayas Bedauern hatte Seto die Macht über den Drücker. Sie wusste nicht was ihn geritten hatte, aber aus irgendeinem Gedanken heraus hatte er einen Horrorfilm angemacht. Das Teil hatte wirklich null Sinn – absolut hirnlos – und hatte auch keine richtige Handlung, diente wohl wirklich nur dem Zweck einem das Gruseln zu bereiten. Demnach war es wirklich ein Wunder, dass Seto ausgerechnet den angelassen hatte. Amaya hatte schon mehrere Versuche unternommen ihm die Fernbedienung zu entreißen, bisher war es ihr leider nicht gelungen. Mittlerweile bedachte Seto sie schon mit einem spöttischen Blick, aber das war ihr reichlich egal, wenn nur endlich dieses grausame Ding auskam. „Du hast doch nicht etwa Angst“, sprach er irgendwann voller Spott. Ja, verdammt. Sie hatte Angst. Aber das zugeben ... ne, kam nicht in Frage. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie, es klang erstaunlich überzeugend. „Es ist nur einfach hirnlos.“ „Genau deswegen hab ich es angemacht“, grinste er wissend, „man kann dabei prima abschalten.“ Abschalten? Aha. Amaya hatte schon immer gewusst, das irgendetwas in seinem Kopf gewaltig durch ratterte, solche Ausmaße hatte sie jedoch nicht vermutet. Es vergingen einige Minuten und jede empfand sie mehr als Tortur. Unbewusst zuckte sie immer wieder zusammen. „Das kann man ja nicht mit ansehen“, kam irgendwann kopfschüttelnd von Seto. Sie hatte seine Worte noch gar nicht richtig begriffen, da saß sie schon auf seinem Schoß. Automatisch schlang sie ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Wenn sie gewusst hätte, dass sie hier landen würde, hätte sie ihre Angst offensichtlicher gezeigt. Eins musste man Teddybären lassen, sie waren ziemlich bequem. „Man sollte den Begriff Angsthase in Angstzwerg abändern!“, ergriff Seto abermals das Wort. „Ach, Klappe da oben!“, grummelte sie nur und drückte sich weiter an ihn. Warum war er eigentlich so ein Genie darin, alle schönen Momente zu zerstören? Jetzt würde sie es jedenfalls nicht zulassen. In dieser Position nickte Amaya weg. Richtig eingeschlafen war sie nicht, aber sie bemerkte nur am Rande, wie Seto den Fernseher abstellte, sich mit ihr erhob und sie nach oben in ihr Zimmer brachte und sie dort auf dem Bett ablegte. Das erste, was sie wieder voll mitbekam, war, dass seine Lippen plötzlich ihren berührten. Er saß neben ihr und hatte sich über sie gebeugt. Eine Zeit lang erwiderte sie den Kuss, der immer fordernder und verlangender wurde, bis ihr irgendwann dämmerte, dass sie auf dem besten Weg war, ihren Plan über den Haufen zu schmeißen. Ihre ganze Willenskraft darauf konzentrierend schaffte sie es tatsächlich seine Hand, die unter ihrem Shirt ihren Körper erkundete, einzufangen, und mit ihrer anderen Hand drückte sie Setos Kopf sanft aber bestimmt ein Stückchen weg, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. Lust und Verlangen standen in ihnen geschrieben. Und ein kleines bisschen Verwirrung. Amaya genoss, dass sie seine Maske soweit zum Einsturz gebracht hatte. Es gab ihr ein bisschen Hoffnung. Wenn sie ihn jetzt abblitzen ließ, würde das Spuren bei Seto hinterlassen. Das wäre schon mal ein kleiner Schritt. „Was willst du?“, fragte sie ernst. „Dich!“, sagte er sofort. „Und du denkst, dass du mich so leicht bekommst?“ „Ich bekomme immer was ich will!“ „Dann muss ich dir jetzt wohl eine Lektion erteilen.“ „Zwerg, deine Augen verraten ganz deutlich, wie sehr du mich willst!“ „Nur weil ich dich und dein hübsches Hinterteil geil finde, heißt das noch lange nicht, dass ich mich jederzeit ficken lasse!“ Nach dem schnellen Schlagabtausch, schauten sie sich regungslos an. Als er sich wieder über sie beugte, hob sie einen Finger. „Das heißt Nein!“ Seto hob einen Augenbraue. „Da gibt es ein Problem, ich hab mir versprochen, heute mit dir ins Bett zu gehen.“ „Dann nimm ’s doch einfach wörtlich“, erwiderte sie nur leichthin, während sie Pullover und Jeans auszog. „Bei mir in Bett schlafen kannst du gerne!“ Einen Moment lang blickte er sie einfach nur kalt an. Dann brummelte etwas so undeutlich, dass sie nur mit sehr viel zu Dichtung „Verdammter Stolz!“ erahnen konnte. Wenig später lag er bei ihr und beanspruchte einen großen Teil der Bettdecke. Da Amaya sich an seine Brust geschmiegt hatte, war ihr das allerdings reichlich egal. „Warum hab ich nur das Gefühl, dass das ein einziger Fehler war!“ Neben ihm erklang nur ein zufriedener Seufzer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)