Das letzte Ritual von ayami ================================================================================ Kapitel 2: Ein verlockendes Angebot ----------------------------------- 1 Ed lief neben Fee her und sie spürte, dass seine Hand heiß und schwitzig war. Er war sehr aufgeregt und vielleicht auch ein bisschen nervös, weil es immerhin um ein Gespräch mit dem Direktor ging. Sie stiegen die geheime Treppe hinunter, zurück ins Erdgeschoss und schritten zum Empfang. Dort saß der immer gleiche, grauhaarige Mann in seinem schwarzen Anzug und lächelte ihnen bereits entgegen. Er kannte Fee. Sie war die einzige Frau, die die klassischen Konzerte besuchte und dazu ihren kleinen Sohn mitnahm. Einmal hatte er ihr gesagt, wie toll sie es fand, dass sie das tat. Und zu Ed hatte er gesagt, dass er es toll fand, wie sehr er sich für die alte Burg interessierte. Das hatte Ed vor Stolz die Brust schwellen lassen. „Guten Abend, Herr May.“, grüßte Fee höflich und schob dann Ed nach vorn. Jetzt, wo es um die Wurst ging, war er doch etwas schüchtern. Aber er kniff nicht. „Ja, guten Abend, Herr May.“, grüßte auch er höflich und der alte Mann lachte freundlich. „Guten Abend, die Herrschaften. Womit kann ich dienlich sein?“ Fee lächelte und strich Ed übers Haar. „Mein Sohn würde gerne den Museumsdirektor sprechen.“ Ed nickte heftig. „Am besten gleich, aber zur Not können wir auch morgen.“ Herr May lachte schallend und einige der verbliebenen Konzertbesucher drehten ihre Köpfe in Richtung der ungewöhnlichen Geräuschquelle. „Na, kleiner Ed, da muss ich den Direktor aber erst mal fragen, wann er denn Zeit hat. Was hast du ihm denn so Wichtiges zu erzählen?“ Ed strahlte wieder sein gewinnendes Abenteurerstrahlen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte seinen Kopf, damit er über den Empfangstresen schauen konnte. „Ich hab Geheimgänge gefunden, ganz viele. Und ich möchte mit dem Direktor zusammen die anderen suchen. Weil alleine ist das meiner Mutter zu gefährlich.“ Herr May wirkte einen Augenblick lang sehr merkwürdig, fand Fee. Er zwinkerte mit einem Auge und schnappte kurz nach Luft. Dann war der Eindruck wieder verflogen und er lachte. „Na wirklich? Und, wohin haben dich die Gänge geführt?“, fragte er und Fee runzelte die Stirn. „Wissen sie denn davon?“, fragte sie erstaunt und Herr May lächelte. „Sicher wissen wir davon. Oder auch nicht, wie man es nimmt. Wir wissen, dass die Gänge existieren, aber bisher ist es niemandem gelungen, einen zu finden. Außer dem kleinen Ed hier.“ Er sah Ed an und zwinkerte ihm fröhlich zu. „Ich bin sicher, wenn ich den Direktor anrufe und ihm sage, was du gefunden hast, wird er sofort für dich Zeit haben. Was meinst du, ist das eine gute Nachricht?“ Ed nickte heftig und hüpfte aufgeregt neben Fee auf und nieder. Sie schmunzelte. „In Ordnung, dann rufe ich ihn gleich an. Ihr könnt ja solange hier warten, ich bin in einer Minute zurück.“ Herr May verschwand hinter der schmalen Tür, die in sein Büro führte. Einmal war Ed dort drinnen gewesen, Herr May hatte es ihm gezeigt. Weil er es so toll fand, dass Ed sich so für die Burg interessierte. Das Büro war ein kleiner Raum mit hoher Decke. Ohne Fenster. Herr May hatte Ed erklärt, dass man früher allerlei Zeug darin verwahrt hatte, was nicht schön aussah, aber regelmäßig gebraucht wurde. Eine Art mittelalterlicher Besenschrank eben. Ed fand es toll, dass Herr May in einem mittelalterlichen Besenschrank arbeiten durfte. 2 Als Herr May drei Minuten später zurückkam, lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Er beugte sich über den Empfangstresen und zwinkerte Ed zu. „Der Direktor möchte dich gleich sehen. Er ist in seinem Büro, im Nebenflügel. Magst du mich mit deiner Mutter zu ihm begleiten?“ Ed nickte und sah dann fragend zu Fee. Als auch sie nickte, sprang er vor Freude in die Luft und fasste sie dann bei der Hand. Sie folgten Herrn May durch den langen Korridor, der Haupt- und Nebenflügel verband. Am Ende des Korridors befand sich das Büro des Museumsdirektors. Ed tapste von einem Fuß auf den anderen, während Herr May klopfte und sie warteten. Dann öffnete der Direktor persönlich die Tür und bat sie herein. Herr May verabschiedete sich mit einem Nicken und verschwand wieder in Richtung des Empfangs. „Nun, dann setz dich doch mal hierher, Ed. Und sie nehmen doch auch Platz.“ Ed und Fee setzten sich in die beiden Ledersessel, die vor dem großen Schreibtisch des Direktors standen. Fee sah sich verstohlen um. Das Büro war mittelalterlich eingerichtet. Eine alte Rüstung, dunkle Holzdielen, blanker, alter Stein an den Wänden. Schreibtisch und Sessel standen auf einem großen, dunkelbraunen Fellteppich. Es wirkte gemütlich und irgendwie würdevoll. „Nun, Ed, erzähl mir doch einmal von deiner Entdeckung.“, bat der Direktor und Ed erzählte von seinen Streifzügen. Von dem ersten Gang, den er entdeckt hatte und von den anderen. Dann fragte er auch direkt, ob er helfen durfte, die anderen Gänge zu suchen. Fee verkniff sich ein Grinsen über die Vorwitzigkeit ihres Sohnes. Der Direktor störte sich offensichtlich nicht daran. Im Gegenteil, ihm schien der forsche junge Mann zu gefallen. „Ed, ich würde mich freuen, wenn du uns helfen würdest. In der Tat planen wir schon lange eine ausführliche Suche nach den unbekannten Gängen in diesen alten Mauern. Aber um einfach drauflos zu suchen, haben wir zu wenig Geld. Das könnte ewig dauern. Nun, da du uns einige Anhaltspunkte geboten hast, wissen wir, wo wir beginnen können.“ Ed strahlte stolz und drückte die Hand seiner Mutter. Fee drückte sanft zurück und nickte ihm aufmunternd zu. „Wenn deine Mutter es erlaubt, starten wir sofort. Du würdest hier bleiben und mich und die bereits anwesenden Experten führen. Bis morgen sind die anderen Experten da und wir würden unsere groß angelegte Suche beginnen. Ich würde mir eine Woche ausbedingen, um die ersten Erfolge verzeichnen zu können. Was meinst du?“ Eds Augen waren groß und größer geworden, während er dem Direktor lauschte. Fees Augen dagegen hatten sich verdunkelt. Sie wollten ihren Sohn hier behalten? Eine ganze Woche, einfach so? Nein, das war ihr nicht recht. „Und wenn wir tatsächlich weitere Gänge finden, bekommst du natürlich eine angemessene Belohnung für deine Hilfe.“ Nun wurden auch Fees Augen groß. Eds fielen beinahe heraus, so riesig wurden sie. „Sie meinen Geld?!“, rief er fasziniert und Fee stieß ihren unhöflichen Sohn leicht in die Seite. „Was denn?“, beschwerte Ed sich empört bei Fee. Der Direktor lachte. „Na, na. Er hat doch Recht, sich zu freuen. Diese Entdeckung ist uns schon etwas wert. Sollten sich seine Angaben bestätigen, wäre uns das fünfhundert Euro wert. Plus hundert Euro für jeden weiteren Gang, den wir finden. Na, wie finden sie das?“ Fee keuchte. So viel Geld. Ed lachte und sprang seiner Mutter auf den Schoß. „Oh ja, Mama! So viel Geld! Sag schon ja!“ Fee schüttelte wortlos den Kopf. Das war unglaublich. Und fast wie ein Wink des Himmels. Erst vor einer Woche war ihre Waschmaschine kaputt gegangen. Dann hatte sie vor zwei Tagen ihren Job verloren. Personalkürzungen. Sie mussten sich noch keine Sorgen machen, aber es kam auch nicht gerade zur falschen Zeit. So viel Geld. Das würde locker reichen, für eine neue Maschine und Zeit. Zeit genug, um sich einen ordentlichen Job zu suchen. Fee konnte es nicht glauben. Aber konnte sie deshalb ihren Sohn hier lassen? Einfach so? Der Direktor schien ihre Fragen zu ahnen. Er lachte. „Machen sie sich keine Sorgen um ihn. Unsere Museumspädagogin würde an der Suche teilnehmen und ihren Sohn betreuen. Es würde ihm eine Menge Spaß machen und es sind doch sowieso Ferien. Sagen sie ja! Es ist gutes Geld und mit Spaß verdient.“ Fee lachte. „Wo ist der Haken?“ „Es gibt keinen. Nun, vielleicht doch. Sie müssten eine Woche ohne ihren Sohn auskommen. Wir würden das Museum solange schließen und niemandem Zutritt gewähren, um die Suche nicht zu stören. Und um die Öffentlichkeit nicht zu früh einzuweihen. Aber ansonsten – nein, kein Haken.“ Fee starrte den Direktor an und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann sah sie Ed an, der sie erwartungsvoll ansah. Dann zuckte sie mit den Schultern und lachte. „Wenn sie mir dafür garantieren, dass meinem Sohn nichts passiert – warum nicht?“, sagte sie und lächelte ihrem Großen zu. Er war wirklich Feuer und Flamme für diese Sache. „Das geht in Ordnung. Ich habe hier einen Betreuungsvertrag. Den Standardvertrag für die Kinderführungen, nur etwas abgewandelt. Wegen der längeren Zeit. Sollte ihm hier etwas zustoßen, übernehmen wir die volle Verantwortung. Unsere Betreuung ist wirklich gut, sie haben sie doch bereits einige Male in Anspruch genommen, nicht wahr?“ Fee nickte und lächelte. Ja, die Museumspädagogin war wirklich eine wunderbare Person. Ed war in den Ferien oft im Museum und nahm an den Angeboten für Kinder teil. Er mochte die junge, engagierte Frau sehr. Sie arbeitete ehrenamtlich im Museum, während sie Semesterferien hatte. Sie war ausgebildete Erzieherin und studierte nun Antike Geschichte. „In Ordnung. Wo muss ich unterschreiben?“, fragte Fee lachend und schlang ihre Arme um Ed. Der klatschte vor Freude in die Hände. „Einen Moment. Ich suche den Vertrag heraus.“, sagte der Direktor nachdenklich, während er in einer Schublade herumsuchte. Dann zog er ein Blatt heraus und legte es auf den Schreibtisch. Er drehte es zu Fee herum und reichte ihr einen Kugelschreiber. „Dort unten, auf der gestrichelten Linie.“, sagte er und lächelte freundlich. Fee unterschrieb und reichte den Kugelschreiber zurück. Der Direktor stempelte den Vertrag und legte ihn in die Schublade zurück. „Vielen Dank.“, sagte er und erhob sich. „Dann werde ich sie nun zum Ausgang begleiten und sie verabschieden. Wir haben alles, was Ed brauchen wird, hier. Machen sie sich keine Sorgen. Wenn etwas passiert, oder wenn er sie sprechen möchte, wird er sie anrufen. Du kennst doch die Telefonnummer von deiner Mama, oder?“ Ed nickte und schob die Brust vor. Fee grinste still in sich hinein. Ihr Kleiner wurde langsam groß. Er hatte wirklich seinen eigenen Kopf. Eine ganze Woche allein im Museum. Ohne seine Mama. Das war wirklich mutig. Fee war stolz auf ihren Sohn. Sie beschloss, ihm gleich heute einen Brief zu schreiben, das würde ihn freuen. Er liebte Briefe und seit er einigermaßen lesen konnte umso mehr. Zu dritt gingen sie zurück zum Eingang und Ed winkte seiner Mutter zu, als diese durch die moderne, automatische Glastür nach draußen auf den Parkplatz ging. Fee drehte sich noch zweimal um, dann stieg sie in der Ferne in ihr Auto und fuhr davon. Ihr war ein wenig mulmig zumute, aber sie schluckte das Gefühl herunter. Sie wusste, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Ihr Sohn war gut aufgehoben und Fee wusste, dass sie das Geld wirklich gut gebrauchen konnten. Also überließ sie ihren Sohn seinem großen Abenteuer. Eine Woche, dann würde sie ihn wieder abholen. Und er würde viel zu erzählen haben. Wahrscheinlich würde das Fernsehen kommen. Oh Gott, vielleicht würde er eine lokale Berühmtheit. Fee grinste sich im Rückspiegel zu, bei dem Gedanken. Öffentlicher Rummel würde gut zu ihrem kleinen Wirbelwind passen. Sie beschloss, sich keine Sorgen zu machen, sondern sich für Ed zu freuen. Manchmal gab es schon verrückte Zufälle im Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)