Huans von Nagisa_Tsubaragi ================================================================================ Kapitel 13: Neuanfang --------------------- Als Nia die Augen aufschlug, erkannte sie das inzwischen ihr gut vertraute Krankenzimmer. Sie fühlte sich schwindelig und schwach. Aber wie war sie hierher gekommen? Vor einem Moment saß sie doch noch Salvatore gegenüber! Frau Wood saß neben ihr und bevor Nia auch nur den Mund aufmachen konnte, begann die Lehrerin: "Nachdem du realisiert hast, dass Salvatore tatsächlich dein Huan ist, bist du - vor Freude? - umgekippt." Nia wurde rot - so etwas war ihr noch nie passiert! Wie peinlich! Ihre Klassenleitung nestelte an ihrer Manschette herum, ganz so, als wolle sie von etwas ablenken. Anschließend räusperte sie sich und fuhr fort: "Die Schule ist inzwischen aus und alle sind schon ins andere Gebäude gezogen. Lass mich kurz die wesentlichen Dinge sagen, die ich allen anderen bereits vor Stunden mitgeteilt habe: Jeder Ruler hat einen Huan für die Offensive und eine für die Defensive. Das ist im Kampf der elementare Knackpunkt, denn es gibt zwei Arten, jemanden zu besiegen: 1. Der Ruler geht in die Knie oder 2. Beide Huans werden unschädlich gemacht. Der defensive Huan ist für die Verteidigung des Rulers zuständig und schützt dich vor den Angriffen des Gegners. Logisch, oder?" Nia nickte zustimmend und hing an ihren Lippen. Das Schwindelgefühl war mit einem mal wie weggeblasen. Nun seufzte Frau Wood und schob ihre Brille, die etwas heruntergerutscht war, wieder die Nase hinauf. "Diese Regeln sind zwar schön und gut, aber: "Ausnahmen bestätigen die Regel", nicht war?", fragte sie bohrend und schaute Nia dabei mit ihrem Röntgenblick an. Nia schluckte. Hatte sie was falsch gemacht? Sicherheitshalber nickte sie einfach mal. "Das Problem, was ich vor der Erweckung von Salvatore angesprochen habe, ist, dass du wider aller Regel zwei offensive Huans hast. Und das ist, wie du dir vorstellen kannst, denkbar schlecht." Das Mädchen war wie vom Donner gerührt. Zwar freute sie sich, dass Salvatore ihr Huan war, aber warum war ausgerechnet immer sie diejenige, die die größten Handicaps hatte?! Das war so ungerecht! Nichts in ihrem Leben konnte einfach mal glatt gehen! Nichts! "Aber ...", begehrte sie auf, doch Frau Wood unterbrach sie und sprach mit einem herrischen Ton: "Cedric kann nur bedingt als defensiver Huan gesehen werden - er ist ein Bär. Er ist sehr stark, hat aber ein dickes Fell. Aber er wird trotz allem als offensiver Huan eingestuft - daran gibt es nichts zu rütteln. Im Umkehrschluss bedeutet das für dich, dass du dich in einem richtigen Battle richtig anstrengen musst, da du völlig ungeschützt bist." Sie seufzte wieder, nahm ihre verdreckte Brille ab, rieb sie an ihrem Rockzipfel und setzte sie entnervt aber elegant wieder auf. "Da das aber nun einmal so ist, musst du das beste draus machen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, deine Huans sind sehr angriffsstark und machen die Gegner platt, bevor sie "Hilfe!" schreien können oder deine Huans sind sehr viel schneller als die anderen, damit sie innerhalb von einer halben Sekunde bei dir sind, sollte dir etwas zustoßen. Du hast zwar denkbar schlechte Karten, aber wenn du dich voll reinhängst, trainierst ohne Ende und an dich glaubst, kannst du zu einer echt harten Nuss im Battle werden. Deine Huans - Cedric und Salvatore - müssen perfekt miteinander harmonieren und aufeinander eingestimmt sein - falls einer von den beiden überhaupt weiß, was das ist." Der letzte Satz triefte vor Ironie und Sarkasmus, dass Nia es fast greifen konnte. Langsam wurde sie verzweifelt - sie hatte es um Meilen schwerer als alle anderen! Das war so ungerecht! Und jetzt sollte sie ihrem Schwarm und dem behinderten Idioten auch dazu bringen, sich zu verstehen - wo sie das Wort noch nicht einmal buchstabieren konnten und sie sich eher den Todesstoß verpassen würden, als den anderen auch nur beim Vornamen zu nennen! Nia sah schwarz für ihre Karriere als Ruler. Tiefschwarz. ___________________________________________________________________________ Nachdem die Schülerin aus dem Krankenzimmer entlassen worden war, begab sie sich umgehenst auf ihr Zimmer. Bis auf ihr Hab und Gut war der ganze Raum schon leergeräumt. Das Zimmer wirkte ganz anders und völlig befremdlich: Abgezogene Betten, Leere, große, düstere Schränke, deren Türen so geöffnet waren, als ob sie einen fressen wollten, blank gefegte Schreibtische und gähnend leere Regale im Bad, das sonst so vollgestopft war, dass man nicht einmal mehr wusste, wo man seinen Zahnstocher hinpacken sollte. Da man den Spruch "pack deine Siebensachen" ziemlich gut auf Nias Besitz anwenden konnte, war sie schneller fertig als das ein Blitz vom Himmel bis zum Ableiter kam. Behutsam hievte sie ihren klitzekleinen pinkfarbenen Koffer die Treppen runter - an der letzten wartete schon Frau Wood mit verschränkten Armen und sichtbarer Ungeduld. Nichts konnte ihr schnell genug gehen! "Hier lang.", sagte sie knapp angebunden und gemeinsam gingen sie los. Es ging durch scheinbar endlos geschlungene, leere Korridore, die immer gleich aussahen: kahl, grau, verlassen. Klassenzimmertür an Klassenzimmertür, Fenster an Fenster. Diese Gleichmäßigkeit machte Nia müde - es gab nichts neues und aufregendes, nichts, was das Auge, das Gehirn gefordert hätte, weil es neue Reize gab. Langsam aber sicher geriet das Mädchen auch außer Atem. Wie lange waren sie eigentlich schon unterwegs? Der Himmel war schon am Morgen grau in grau gewesen und die Lichtintensität hatte sich seitdem nicht mehr verändert. Eine halbe Stunde war es bestimmt schon ... oder gar eine Dreiviertelstunde? Aber das konnte doch nicht sein! Die Schule war niemals so groß, als dass man so lange darin herumirren konnte! Außer ... man hatte sich verlaufen. Aber so was würde Frau Wood doch niemals passieren! ... Oder? Sicher war: Nia hatte jegliches Zeitgefühl verloren und gerade, als sie etwas anmerken wollte, bleib die Klassenleiterin urplötzlich stehen, sodass Nia sie fast angerempelt hätte. Frau Wood drehte sich nach rechts und zog einen alten, rostigen Schlüssel aus ihrer Brusttasche hervor. Nia begriff nicht ganz. Sollte ihre Lehrerin sie nicht in ein anderes Schulgebäude bringen? Stattdessen standen sie nun vor einer Tür, die genauso aussah wie alle anderen. Nein: Auf dieser Tür war ein winziges Schildchen angebracht, dass vergilbt, verblasst und kaum lesbar war: Abstellkammer Frau Wood bemerkte den zweifelnden Blick ihrer Schülerin und entgegnete lächelnd: "Keine Angst, ich bin nicht verrückt oder so." Was die Schülerin nicht gerade beruhigte - im Gegenteil. Doch zum Beweis öffnete sie die Tür und das, was Nia erblickte, verschlug ihr den Atem: Hinter der angeblichen "Abstellkammer" lag eine mit gelben Marmor ausgelegte Empfangshalle, in dessen Fußboden man sich spiegeln konnte. Die Wände waren im selben zarten Gelbton wie der Boden gehalten und rundherum lief eine weißgoldene Bordüre, die ein Schloss-Flair erzeugte. In regelmäßigen Abständen hingen goldene Kerzenhalter an der Wand, in der Mitte des Raumes war ein ebenfalls weißgoldenes Mosaik, das Sonne, Mond und Sterne darstellte, im Boden eingelassen. Die Lobby war mit eleganten, gelben Ledersesseln, Glastischen mit güldenen Löwenfüßen und traumhaften Palmen ausgestattet. Das absolute Highlight war aber der gigantische, kristallene Kronleuchter, der majestätisch über dem Mosaik schwebte und das Licht in allen Farben brach. Frau Wood musste die angewurzelte Nia beinahe mitzerren und ihren Mund zuboxen, bevor sie alle drei Zentimeter staunend stehen blieb und alles begutachtete. Auch der Empfangsschalter war mehr als edel. Das junge Mädchen kam sich vor wie in einem Märchen. Noch niemals zuvor hatte sie etwas derartiges gesehen. Ein 5-Sterne-Hotel! Ein Paradies! Allerdings kam sie sich auch "etwas" fehl am Platz vor. Sie fühlte sich gegen den ganzen Protz und Prunk klein, hässlich, unbedeutend, schäbig, störend und ... nackt vor. Aber was sollte sie machen? Ganz bestimmt nicht in Selbstmitleid zerfließen denn ... denn DAS alles ... schien ihre neue Schule zu sein! Frau Woods Stimme riss sie aus ihren angenehmen Tagträumen, in denen sie sich als Prinzessin mit goldenem Krönchen gesehen hatte und Salvatore ihr Prinz auf dem weißen Schimmel. "Hier ist dein Zimmerschlüssel - verlier in bitte nicht! Deine Nummer ist die 357. Vorne links ist der Aufzug. Alles weitere wirst du morgen zusammen mit den anderen erfahren." Bevor Nia sich von ihr abwandte, um in den gläsernen, mit Reliefs versehenen Lift zu steigen, fügte die Lehrerin noch hinzu: "Vergiss vor lauter Staunen das Atmen nicht!" Doch das bekam das junge Mädchen schon nicht mehr mit. Ihre Bäckchen waren vor Vorfreude gerötet. Wie würde nach all dem Luxus im Empfangssaal wohl ihr Zimmer aussehen? Egal was kam - soeben war sie in einen neuen Lebensabschnitt getreten, von dem sie nicht abwarten konnte, wie es weiterging. ___________________________________________________________________________ Nachdem Nia mit dem Aufzug nach oben gefahren war, kam sie zu dem Schluss, dass man in solch einer noblen Schule bestimmt Einzelzimmer hatte. Sie malte sich aus, wie die Einrichtung aussehen könnte, während sie den Gang entlangschlenderte, wo sich ihr Zimmer befinden musste. Bestimmt gabs riesige Betten ... und einen eigenen Kühlschrank! Ein gigantischer Spiegel! ... 350 ... 352 ... 354 ... 358 .. 357! Da! Voller Vorfreude und klopfendem Herzen riss sie die Tür und fiel im selben Augenblick aber aus allen Wolken: Salvatore, nur mit Boxershorts bekleidet - Nasenblutenfaktor schlechthin und Herzkreislaufkollapsursache Nummer eins- debattierte mit einem Cedric, dessen Haare klitschnass waren und dessen Lenden nur durch ein äußerst knappes Handtuch bedeckt wurden. Ihr Frauenschwarm hatte einen Rasierer in der Hand und fuhr sich zwischendurch immer wieder über die Wangen und übers Kinn, wo sich innerhalb der letzten paar Tage ein leichter, sexy Dreitagebart gebildet hatte. Der behinderte Idiot hatte selbst dann seine Haare geschlossen und geflochten, wenn er sie frisch gewaschen hatte. Seltsamer Kauz! Keiner der beiden hatte sie kommen hören und deshalb stolperte sie schnell wieder rückwärts und wollte gerade die Türe heimlich schließen, als sie das Gespräch aufschnappte: "Nia wird ausflippen, wenn sie dich so sieht, Cedric!", meckerte Salvatore und suchte in seinem Kulturbeutel verzweifelt nach seinem Rasierschaum. "Mir doch egal! Ich wohne hier!", konterte dieser zurück und rubbelte sich mit einem kleinen Handtuch die Haarspitzen trocken. "Sie aber auch!", meinte der Frauenschwarm. "Na und?! Schau doch mal in den Spiegel! Du rennst auch nur in Boxershorts rum! Nicht sehr üppig bekleidet, falls man das mal so sagen darf!" "Das ist etwas ganz anderes ...!" "Ach ja? Und wieso? Nur weil sie in dich verliebt ist, darfst du so rumlaufen und ich nicht?!" Kurzes, entsetztes Schweigen. "Das spielt doch gar keine Rolle - und überhaupt: Woher willst du das denn wissen?!", bohrte Salvatore nach. Cedric winkte entnervt ab und legte sich aufs Bett. "Das sieht doch ein Blinder mit einem Krückstock! Wie zärtlich sie dich ansieht, wenn du grad nicht hinschaust, wie schüchtern sie tut, wenn sie mit dir redet, wie rot sie immer anläuft, wenn du sie anlächelst ... Nur, um es mal grob zu umreißen ..." Nia blieb die Spucke weg. Merkte man ihr das so sehr an, dass sie in Salvatore verschossen war? Oder konnte "nur" Cedric sie lesen wie ein offenes Buch?! Egal wie es war - es war ihr peinlich, unangenehm und am liebsten wäre sie auf der Stelle im Erdboden verschwunden! Sie wollte nicht mehr hören - das war mehr als genug! Bestimmt glühte sie wie ein Leuchtturm! Schnell zog sie die Tür zu - aber leider zu laut. Salvatore öffnete sie wieder und alle drei sahen sich erschrocken an und erstarrten zu Salzsäulen. "Ha ... Hallo.", presste Nia tonlos und krächzend hervor. Meine Güte - wie ultramegahyperunendlichpeinlich! Sie wurde noch einige Nuancen dunkler, als sie Salvatore und Cedric nun so vor sich stehen sah, sodass die Tür doch wieder schnell zugedonnert wurde. Drei Minuten später wurde sie abermals geöffnet - gerade genug Zeit für das über beide Ohren verliebte Mädchen, um sich wieder zu beruhigen und keinen Kollaps zu erleiden. Inzwischen waren beide Jungs vollkommen angekleidet, aber auch sichtlich verlegen - mehr oder minder: Cedric sah noch bockiger aus als sonst und Salvatore hatte ein nervöses Lächeln auf den Lippen. "Entschuldige.", meinte der Frauenschwarm sanft, "Hoffentlich haben wir dir nicht einen allzu großen Schrecken eingejagt." Cedric räusperte sich, um einen Lacher zu unterdrücken, woraufhin Salvatore ihn mit einem bösen Blick strafte, was den blonden Hünen allerdings ziemlich kalt ließ. "Hast du uns belauscht?", fragte Cedric geradeheraus und ohne Umschweife, während er sich auf seine coole Art und Weise seine Haare abtrocknete. Auch Salvatore beäugte sie interessiert, obwohl es ihm für andere fast greifbar gegen den Strich ging, WIE man seine Nia fragte. Verlegen strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. "Nur ab da ... wo ihr euch über euren ... ähm ... "Aufzug" gestritten habt ...", stotterte sie nervös und bemerkte peinlich berührt, dass ihre Schuhe mal wieder dringend geputzt werden sollten. Man hörte förmlich die Räder in ihren Hirnen rattern, als sie das gesamte Gespräch noch einmal zurückspulten und wieder von vorn abspielten. Plötzlich breitete sich eine Grabesstille aus - der Groschen war gefallen. Sie hatte auch mit angehört, dass sie sich über die Liebe von ihr gegenüber Salvatore unterhalten hatten. "So lange?!", stieß Cedric entsetzt hervor und schlug sich die Hand vors Gesicht, sodass Nia unwillkürlich zusammenzuckte. Entnervt ging der Blondling zum Bett. Ihr Schwarm seufzte nur, "Egal - Komm erst mal rein und pack dein Zeug aus." Gehorsam trat sie ins Zimmer und bemerkte erst jetzt, wie schön ihr neues Heim war: Im Raum standen drei Himmelbetten - eines in weißgold, eines in blaugold und das letzte in rotgold. Alle waren durch ein jeweils farblich passendes Nachttischschränkchen voneinander getrennt. Hieß das etwa ...?! Hieß das etwa, dass sie neben Salvatore schlief?! Ihrem Schwarm?! Sofort glühte sie wieder und die Schmetterlinge flogen fast Amok. "Du schläfst in der Mitte.", sagte beide Jungs synchron - Salvatore herzzerschmelzend lieb, Cedric grantig und trotzig. "Ah ... Ja ... OK!", stammelte sie überglücklich - sie musste echt Acht geben, dass sie vor Freude nicht hyperventilierte! Nia fühlte sich wie in einem Freudentaumel - auch wenn der behinderte Idiot da war und alles dämpfte - allerdings nur minimal, angesichts all dem anderen guten. Flugs hatte sie ihr ganzes Gepäck verstaut: Wecker, Ohrringe und Halskette in den Nachtschrank, Spardose, Tagebuch sowie Fotoalbum auf den großen, pompösen, fein geschnitzten Schreibtisch, Jeans, Trägertop, Socken, Unterwäsche, Bikini und Abschlusskleid in den gleichschön gestalteten, riesigen Wandschrank und zu guter letzt Haarnadel und Badehandtuch in das luxuriöse, gigantische Bad, in dem Whirlpool und Sauna selbstverständlich zum Standard gehörten. Fasziniert schauten ihr die beiden Jungs zu und bewunderten, wie sie das alles innerhalb weniger Minuten bewerkstelligte, wofür sie Stunden gebraucht hatten. Steckte es etwa allen Frauen im Blut?! "Fertig!", bemerkte Nia glückselig und zog ihren dunkelblauen Schlafanzug mit dem schlafenden Mond mit Nachtmütze heraus und schlenderte gemütlich ins Bad. Als sie fertig war, lag Salvatore im Bett und las Illuminati, während Cedric auf dem Himmelbett flackte und Sakrileg verschlang. Nia ließ sich ebenfalls aufs Bett nieder und war begeistert: Ein Wasserbett! Sie musste sich die Augen vor Ungläubigkeit reiben, als sie den Plasmafernseher gegenüber der Betten sah, der mindestens so breit wie sie hoch war! Noch nie, nie nie nie nie hatte Nia solch eine große "Mattscheibe" gesehen! Sie giggelte in sich hinein. Was würde sie hier wohl noch alles erleben? ___________________________________________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)