The Resurrection of Hyperion von Phantom (Final Fantasy Ⅷ –) ================================================================================ Kapitel 8: Chocobos in the Desert --------------------------------- Nach zahlreichen Monsterkämpfen hatten sie es endlich geschafft. Ihre Itemvorräte neigten sich dem Ende zu; die Heilzauber waren so knapp geworden wie das Trinkwasser. Gerade schüttelte Irvine die letzten Tröpfchen aus der Flasche, die noch während ihres traurigen Fluges im Sonnenschein wie kleine Diamanten blitzten, ehe sie den Grund erreichten und sofort von diesem aufgesogen wurden. Selbst der Sandkorn, der einen jener Tropfen hatte fangen können, trocknete augenblicklich wieder aus. Irvine begann, sich Sorgen zu machen. Aber er wollte seinem Partner nicht den Mut nehmen. Konnte er das eigentlich? War überhaupt irgendjemand auf dieser großen, weiten Welt dazu in der Lage, Selphie Tilmitt die gute Laune zu verderben? Das lebenslustige und selbstbewusste Mädchen lag auf einer dieser Dünen und blickte direkt auf das Gebäude mit den Raketensilos – oder das, was davon übrig geblieben war. Nur zweimal war Galbadias Schrottplatz zum Einsatz gekommen, darunter der brutale Beschuss auf den Trabia-Garden, Selphies Heimat. Ja, erinnerte er sich. Das hatte ihr damals die gute Laune genommen. Er kauerte sich hinter ihr auf den Bauch, in den Sand. Er mochte den Sand nicht. Aber er mochte Selphie, die eine willkommene Abwechslung zwischen den ewig gleichen Dünenkonstellationen und der einfallslosen Fauna, die keine war, darstellte, wenngleich ihr Kleid auch fast dasselbe Chocobogelb aufwies wie diese Endlosigkeit von durstigen Körnern, der Irvine partout keinen Existenzzweck absehen konnte. Gerade jetzt, wo das süße Mädchen nichtsahnend vor ihm lag, pflichtbewusst auf ihre Mission fixiert nur Augen für die Raketenbasis hatte, aufgeregt mit den in die Luft erhobenen Unterschenkeln hin- und herschaukelte, hatte er einen wahrhaftig schönen Ausblick. Deswegen verwarf er die Information über den Mangel an Wasser und sah den Sand und die Basis und Selphie und einen Chocobo. Der Chocobo war pink. Bisher hatte er noch nie einen pinken gesehen – und Irvine Kinneas hatte schon sehr viele Chocobos in seinem Leben gesehen! Aber noch nie einen pinken. Er konnte seinen Blick gar nicht von ihm abwenden. Auch hier vermied er es, Selphie darauf aufmerksam zu machen, denn das könnte den Chocobo verschrecken – auch wenn sie die gefiederten Tiere offensichtlich ziemlich gerne hatte – und womöglich würde er sich dann verstecken. Nein… Der pinke Chocobo würde Irvines Geheimnis bleiben, entschied selbiger und zwinkerte der faszinierenden Augenweide zu, welche mit einem Ausdruck vollsten Vergnügens über den hellen Untergrund rannte. Da stand Selphie auf und schaute sich nach ihm um. Ihr Lächeln zeugte von Sadismus, aber so verliebt er nun einmal war, registrierte er nur Fröhlichkeit und Verträumtheit in ihren sommerwiesengrasgrünen Augen. Er grinste zurück. „Hehe… Die wird nieeeeee wieder irgendwelche Raketen abfeuern!“, lachte sie schadenfroh. In der Tat war das Gebäude kaum mehr als ein solches zu erkennen, allerdings verwunderte es Irvine doch ein wenig, dass es einigermaßen erhalten geblieben war. Immerhin hatten sie damals die Selbstzerstörung aktiviert, aber was sie dort erblickten, könnte man gar noch als Unterschlupf verwenden. Seine Begleiterin teilte den Gedanken: „Sicher hält man Ellione doooort versteckt!“ „Lass uns einfach mal nachgucken.“ „Spääääter.“ Der Scharfschütze musterte sie irritiert. Normalerweise war Selphie doch immer diejenige, die gleich alles rücksichtslos niederwalzen wollte, ohne vorher groß Pro und Contra abzuwägen. Auf einmal ließ eine Senkung ihres Kopfes ihr vollmilchschokoladenbraunes Haar wippen, und ihre Finger spielten nervös aneinander herum. So kannte er seine Sephie ja gar nicht! „Irviiiiine?“ „Ja~?“ „Ich muss dir was saaagen…“ Irvine warf den Kopf zurück und führte die Hand an seine Stirn. Sie fühlten es ja beide; warum also nicht endlich aussprechen? Er wollte es doch so gerne aus ihrem niedlichen Mund hören: Zarte Worte, die ihn beflügelten, die sein Vorgehen bestätigten. Du hast’s immer noch drauf, Kinneas, und diese Worte beweisen es dir. „Sag nichts!“, stoppte er sie theatralisch. „Ich weiß, was du sagen willst. Ich… ich…“ Auf einmal explodierte sie in ein befreites, kindliches Lachen. „Und ich dachte schooon, du wärst mir bööööse desweeegen!“ Halt! Stopp! Böse? Weswegen?! „Ich hab’ sie jaaaaaa auch zurückgelegt“, verteidigte sie sich beschwichtigend. Da begriff Irvine. Gemeint war der [Exetor]. Als er das wuchtige Gewehr einmal im Balamb-Garden liegengelassen hatte, war es plötzlich nicht mehr da gewesen. Es hatte ihm einen riesigen Schrecken eingejagt – schließlich gehörten der Schütze und sein Schützengewehr zusammen wie Belhel und Melhel – doch so flugs es verschwunden war, so tauchte es wieder auf, und er war dem mysteriösen Fall nicht weiter nachgegangen, weil sein Exetor nicht einmal einen Kratzer davongetragen hatte. Nun wusste er, wer der Übeltäter war. Sollte er bedauern, dass Selphie sein liebstes Stück gestohlen hatte, oder eher, dass sie nicht die Worte ausgesprochen hatte, welche er hören wollte? Und was hatte sie eigentlich mit der Waffe angestellt? Egal. Wenn sie den ersten Schritt nicht hinter sich bringen konnte, sollte vielleicht er es tun: „Ist doch nicht schlimm! Meine Waffen sind deine Waffen, mein Schahaahaahaaaatz!“ Als er sich vorbeugte, sie zu umarmen, war sie bereits vorausgerannt, sodass er um sein Gleichgewicht rang und schließlich damit bezahlte. Mit einem dumpfen Geräusch fand er sich im Sand wieder. Selphie kam zurück. „Nicht gleeeeich den Koooopf in den Sand stecken!“, kicherte sie. Resignierend drehte er sein Gesicht vom Boden weg und sah sich von dem pinken Chocobo ausgelacht. Eigentlich sah er ihn gerne, aber in diesem Fall… Er raffte sich auf. Warum hatte sie ihren Gefühlen keine Luft gemacht? Sollte er sich geirrt haben, was ihr Empfinden ihm gegenüber betraf? Schätzte sie ihn doch nicht mehr als die anderen? Bei ihr war es schwierig, zwischen Liebe und Freundschaft zu unterscheiden. Vielleicht war sie immer noch und in wirklich jedem Aspekt das Kind, welches sie nach außen hin gab, und wusste überhaupt nicht, was Liebe eigentlich bedeutet. Und umgekehrt? Liebte er sie? Wenn ja, was hinderte ihn daran, es auszusprechen? Sonst war er doch auch nicht so schüchtern. Oder fürchtete er die feste Bindung? Hatte er Angst, nicht mehr der große Frauenheld zu sein, sobald er gebunden war? Nutzte er sie letztendlich nur aus – als Lückenfüller, zur Selbstbestätigung? Wie grausam! „Sieh mal!“ Er folgte ihrer ausgestreckten Hand, deren Zeigefinger nicht auf die Basis, sondern geschätzt hundert Meter weiter deutete, und bemerkte ein Fahrzeug. Erst da vernahm er auch den arbeitenden Motor, das Wackeln des Metalls, das Splittern der Steine gegen die Felgen. Team Chocobo versteckte sich hinter der Düne und beobachtete, wie das Gefährt zielstrebig auf die Raketenbasis zusteuerte. Mühelos polterte es über die alte Schranke, welche aus ihrer Halterung gerissen einsam auf dem Grund vor sich hinrostete. Im Inneren des demolierten Geländes verebbte der Motor. „Sie wird tatsächlich noch benutzt! Deshalb die Reifenspuren im Sand!“ „Beeileeeeen wir uns!“ Vorsichtig lenkten sie eine nähergelegene Düne an, die ihnen wenn auch kleinen Einblick in das kohlenschwarze Mauerwerk gestattete. Sie hörten das Öffnen eines Kotflügels. Bald darauf ging ein weiterer auf. „Komm, hier rein! Beeilung!“ Mit großer Überraschung taxierten Selphie und Irvine die beiden Personen, die sich sekundenlang in ihr Blickfeld begaben, um zu der Tür des Gebäudes zu hasten. „Der Entführer!“, meinte Irvine zu wissen. „Sollen wir ihn überrumpeln?“, fragte Selphie daraufhin. „Nein, noch nicht. Wir wissen nicht, mit wie vielen Feinden wir es zu tun haben. Erst mal beobachten und dann das Gebäude checken.“ „Oookaaaay~.“ Geduldig warteten sie und verfolgten, wie die Zielpersonen ohne Code oder Schlüssel ins Innere traten. Die Sonne pfefferte erbarmungslos vom Himmel und quetschte aus ihnen die Feuchtigkeit wie Gravit einen zusammen. Selphie wurde einer Schweißperle ansichtig, die sich ihren Weg über die goldglänzende Wange ihres Kollegen bahnte, und überlegte einen Moment, ob sie sie vielleicht fortwischen sollte. Was denke ich daaaaaa? Augenblicklich wurde ihr noch ein wenig heißer, und sie zwang ihre Augen zurück auf die Tür, welche sich gerade hinter den Eintretenden schloss. Ihr Herz raste auf einmal so… „Gut“, sprach Irvine entschlossen. Seine Stimme war wunderbar maskulin und löste bei Selphie sofort eine Gänsehaut aus… Nein! Aufhören! Konzentration! Kooooooonzeeeeeentraaaaatioooooon! „Ich rufe Quistis an!“, kam es von ihr wie aus der Pistole geschossen. „Danaaaach gehen wir rein!“ Irvine äußerte keinen Einwand. Er betrachtete sie genau, während sie das Gespräch führte. Besonders ihre Augen, die während des Telefonats in eine unerreichbare Ferne zu blicken schienen, die so riesig waren und in denen so unvorstellbar viel Energie sprühte, hatten es ihm angetan. Ihre Wimpernkränze waren nicht so dicht wie die Rinoas, und bei noch genauerem Hinsehen erkannte man, dass ihnen ein zarter Braunton anhaftete, den man aus der Ferne niemals würde zur Kenntnis nehmen können. Leichte Freudenfalten um sie her ließen keinen Zweifel daran, dass Selphies liebstes Hobby Lachen war – und wäre doch die Wüste nur halb so saftig wie das Sonnensommerwiesengrasgrün ihrer Augen! „Heyyy, heeeeey“, erklang Selphie Tilmitts Stimme in den Apparat wie klare Xylophonschläge. „Wir wissen endlich, wo sich Ellione aufhäääält!“ Ein paar glitzernde Fäden ihres zartvollmilchschokoladenbraunen Haars standen ab, was Irvine gerne korrigiert hätte, doch als er sich vorbeugte, um ihre Frisur – natürlich rein freundschaftlich – glatt zu streichen, wippte sie nach hinten, sodass er beinahe wieder den Sand geknutscht hätte. „Sie befindet sich in der aaaaalten Raketenbasis! Du weißt schooon… Die wir zerstööört haben!“ Er rückte seinen schwarzen Cowboy-Hut zurecht. „Vooooor der Basis. Wir werden sie jetzt stüüürmen!“ Beide waren zu abgelenkt, um zu erahnen, was ihnen unmittelbar bevorstand… „Hääää? Cifer? Was will der de… Ahhhhh!“ Das Funkgerät fiel hinab und blieb im Sand stecken. Alle weiteren Worte von Team Mogry blieben unerhört. Selphie hechtete zur Seite und entkam so nur knapp dem mächtigen Kopf, der auf sie zugerast war. Irvine riss seine Waffe hervor und richtete sie auf das Monster. Ein Abyss-Wurm – ein riesiges Geschöpf, dessen Körpergroßteil unter der Erde, die sein Element war, verborgen blieb. Irvines Schuss ließ das Ungetüm zusammenzucken, aber bedeutsam verletzte er es nicht. Selphie schleuderte ihm eine Stange ihres Nunchakus entgegen, doch auch dessen Wirkung stellte sich als enttäuschend heraus. Ehe sie erneut attackieren konnten, erzitterte der Sand unter dem Einfluss des unterirdischen Schweifes. Das Erdbeben schüttelte sie heftig durch; Selphie versuchte sich verzweifelt auf den Beinen zu halten, doch es sollte ihr nicht vergönnt sein. Auch die Hand ihres Partners erreichte sie nicht mehr rechtzeitig. „Vitra!“ Eine sanfte Aura hüllte sie ein. Sie sog das erfrischende Gefühl der Heilung in sich auf, die auf ihrer Haut prickelte, und begab sich anschließend sofort wieder in Angriffsstellung – aber nicht, ohne Irvine einen dankbaren Blick zuzuwerfen. Ihr nächster Schlag traf ins Schwarze: Das Monster zischte vor Schmerz und rächte sich mit einem aggressiven Vorschnellen seines Hauptes, dem Selphie geschickt ausweichen konnte. Irvine feuerte; nach seinem Angriff musste sich der Wurm erst wieder sammeln. „Koooonzentriere dich auf die Offensiveeee!“, rief sie ihm zu. „Deine Angriffe bewirken viel meeehr als meine! Ich kümmere mich um die Heiluuuung und lenke das Ding aaaab!“ Irvine bestätigte, dass er verstanden hatte. Dann hob Selphies Levitas-Zauber ihn vorsorglich in die Luft. Und ihr Plan ging auf! Als der ungezählte Schuss dem Abyss-Wurm den Rest gab, sprang Selphie fröhlich auf und jubelte; Irvine legte sich sein Gewehr an die Schulter und atmete erleichtert auf. „Das waaaaar luuustig!“ „Anfangs sahst du aber nicht so aus, als wäre dir nach Lachen zumute“, wies er sie neckend auf ihren Schreck hin und ahmte überspitzt ihr Verhalten während des Bebens nach. Beide brachen in ein schallendes Gelächter aus. War es die Erleichterung? Die Sonne? Die Liebe? Es dauerte jedenfalls seine beträchtliche Zeit, bis sie wieder Luft schnappen konnten. „Duuhuuuu~?“, begann Selphie schließlich. „Hmmm~?“ Es folgte ein tiefer Blick in die Augen des anderen. Sie spiegelten sich in denen des Gegenübers, aber nicht das war es, was es auf einmal so unabwendbar machte, in ihnen zu versinken. Eine Stille begann einzusetzen, doch dieses Mal wollte sich Irvine die Enttäuschung ersparen: „Du hast dir wieder etwas von mir geliehen, ohne mich zu fragen.“ Sie kicherte ganz sonderbar und schüttelte den Kopf. „Neeeeein, so ist es niiiiicht… Ich wooollte nuuur…“ Er besah sie überrascht. „Was wolltest du?“ „Ich…“ „Selphie?“ „Hmmmm… Nnnnh…“ „Nun sag schon.“ „Irvy… ich… ich glaube, ich… ich… lie…“ „Vorsicht!“ Ehe Selphie realisieren konnte, wie ihr geschah, rannte Irvine um sie herum und baute sich schützend vor ihr auf. Sie wirbelte herum. Das Letzte, was sie sah, bevor es passierte, war das Maul des Abyss-Wurms, der es nicht akzeptieren wollte, einfach zu sterben, ohne einen seiner Mörder mit sich in den Tod zu reißen. „Nein! Irvine!“ Ihr Herz bebte, ihr Blut pulsierte spürbar in ihrem Kopf. Unfähig, sich zu regen, war sie nur Zuschauer eines romantischen Filmes, der gerade jetzt seinen dramatischen Höhepunkt erfuhr. Die Ohnmacht schnürte ihr die Kehle zu, und das Wissen über das zu Erwartende engte ihre Lungen ein, die schmerzhaft jede Luft aus ihr pressten. Mit ihrer letzten verbleibenden Kraft schrie Selphie, schrie sie um ihr und um sein Leben. „IRVIIIIIIIIIINE!!!“ Ihre Stimme tauchte in die Kakophonie grässlicher Geräusche ein: Das Fauchen des Monsters, das Reißen von Stoff, von Fleisch. Der scheußliche Gestank von Blut breitete sich über das herbe, ihr so vertraute Parfum des Scharfschützen aus. Würde sie sich nicht noch daran erinnern, dass sie die Einzige war, die ihm helfen konnte, hätte sie Augen und Ohren verschlossen und alles Weitere über sich ergehen lassen in der flehenden Hoffnung, dass es bald vorbei sein würde – egal, wie. Doch sie war ein SEED. Und so reagierte sie rasch, machte den gefallenen Irvine aus, schlitterte auf ihn zu, dass der feine Sand wie kleine, spitze Nadeln Furchen in ihre Knie schnitt. Die furchteinflößenden Wunden drängten sich in ihr Sichtfeld: Sie zogen sich quer über seine Brust, wo die Zähne des Wurmes ihn getroffen hatten. Selphies Gedanken fuhren ein Rennen. Die Lungen könnten versehrt sein, die Rippen gebrochen; er brauchte sofort Hilfe. „Es tut mir so Leid!“, rief sie verzweifelt, dann sah sie sich nach dem Abyss-Wurm um, der schon wieder zum Angriff ansetzte. Tränen glitzerten in ihren Augen. Wenn man Selphie kennenlernte, würde man sie nicht für jemanden halten, der seine Gefühle verheimlicht, aber genau das hatte sie sich früh aneignen müssen. Sie hatte für sich selbst entschieden, zu lachen, wenn ihr nach Weinen war, aber in diesem Augenblick gelang ihr das so wenig wie damals, als sie auf dem Friedhof des zerstörten Trabia-Gardens die Namen ihrer Freunde entziffert hatte. Wie in Zeitlupe. So langsam, dass sie die Wut in den Augen des Riesenwurms sehen konnte. Sie hatte nie daran gedacht, dass auch Monster Gefühle entwickelten. Sie bemitleidete es. Da fiel ihr etwas ein. Sie konzentrierte sich auf ihr Inneres, krallte sich dabei tief in Irvines Mantel, der von seinem Blut benetzt war, und bat ihre G.F. um Hilfe. „Rubinenglanz!“ Ein Glück, dass sie solch ein hervorragendes Verhältnis zueinander hatten! Ein kleines, smaragdgrünes Tier materialisierte sich aus ihrem Geist. Es analysierte die Szene geschwind mit seinen brombeerfarbigen Kulleraugen, sprang dann hinauf, und der große Rubin, der seine Stirn gleich einem Diadem zierte, erstrahlte. Sein Licht aus feinstem Rubinenstaub prasselte auf die beiden Menschen hernieder. Carbuncle nickte Selphie aufmunternd zu und verschwand in einem Loch im Boden. Hinter ihm brauste der Wurm auf sie zu. Jetzt konnte die junge Frau nur hoffen, dass sie das Richtige getan hatte… Es kam näher… näher… Es war da! Selphies Pupillen verengten sich. Was sie von dem Monster trennte, war eine Distanz von geringen Zentimetern. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz setzte aus. Ging ihr Plan nicht auf…? Doch! Vor ihren Augen strahlte etwas auf: Eine Wand, die der Angreifer vorher aufgrund ihrer Unsichtbarkeit nicht hatte wahrnehmen können. Jetzt raste er gegen sie wie gegen Panzerglas, und der Widerstoß seiner eigenen Kraft schleuderte ihn weit zurück. Das war Selphies Chance! Sie hetzte auf den Abyss-Wurm zu, griff noch im Laufen nach ihrem Nunchaku und wirbelte es wild herum. Schreiend vor Wut ließ sie es auf den Feind niederfahren, dem es eine tiefe Verletzung in den Schädel schlug. Er heulte auf, versuchte noch ein letztes Mal, sich aufzubäumen, ehe seine Kraft endgültig nachgab und er tot zu Boden krachte. Blut, Schweiß und Staub standen in der Luft, unterstützt durch die brütende Hitze. Ihr Mund war trocken, ihre Augen feucht, als sie Sekunden damit verstreichen ließ, in diese leblosen, leeren Augen zu starren. Dann wandte sie sich um und rannte auf den Verletzten zu. Die Wunden bluteten noch immer. Sie waren tief und schwer. Würde er durchhalten? „Irvine, Irvine, ich hab’s geschafft!“, schluchzte sie und legte die Hände um seinen Kopf. „Ich hab’s geschafft…“ Gelähmt durch den Anblick und nicht wissend, was sie nun tun konnte, ließ sie den Gefühlen freien Lauf. „…[Chocobo].“ Selphie hielt inne und neigte sich Irvines blassem Gesicht zu. Durch den Tränenschleier erkannte sie vage, dass er lächelte. „Hä?“, schluchzte sie mehr denn sie sprach. „Du erinnerst mich… immer an einen Chocobo.“ Er ließ die Worte in der Luft stehen, ohne sie zu erklären, sodass Selphie sich gezwungen sah, auf diese eigentlich unangebrachte Äußerung einzugehen: „Du halluzinierst, Irvine Kinneas.“ „Nein“, widersprach er wie selbstverständlich und hob den Blick. „Dieses gelbe Kleid…“ Die Söldnerin sah an sich herab und wusste sogleich, wovon er redete. Es war ihr Lieblingskleid. Sie hatte es schon während ihrer ersten Mission als SEED getragen. Ein sonnengelbes, leuchtendes Sommerkleid, das ihr ihre beste Freundin aus Trabia geschenkt hatte. Es war selbst genäht. Ein Unikat also. Für Selphie von erheblicher Wichtigkeit. Dass es Irvine gefiel, wunderte sie nicht, schließlich war es ein sehr knappes und eng anliegendes Kleidungsstück. „Du hast es getragen, als wir uns damals im Galbadia-Garden… das erste Mal seit unserer Kindheit wiedersahen“, erinnerte Irvine sie. „Du hast es getragen, als wir… den Sieg über die Hexe Artemisia feierten… Und heute trägst du es wieder…“ „Es ist mein Lieblingskleid“, verriet sie ihm leise und verstand nicht, worauf er hinauswollte. „Du hast… darin gesungen… geschrien… gekämpft… gelacht. Immer, wenn ich dich darin sah… musste ich an einen jungen Chocobo denken… Ein Chocobo, Sephie… ist ein sehr intelligentes Tier. Er entwickelt seinen Chocobo-Freunden gegenüber einen starken Beschützerinstinkt… und ist immer für andere da. Er liebt das Leben… wie es auch kommt… und gibt seinen Lebensmut an andere weiter. Deshalb ist der Chocobo so beliebt… Verstehst du? Du bist… ein Chocobo, weil auch du nie aufgibst und das… Leben liebst und weil du… immer für uns alle da bist…“ Sie wollte protestieren, doch Irvine schüttelte den Kopf. „Sieh mich an… Was war ich vor unserem Treffen? Der einsame Schütze? Der ruhelose Frauenheld? Ich sag’ dir, was ich war… Ich war ein Versager. Einen auf cool machen… Das war alles, was ich konnte. Große Töne spucken… Mich mit dem Titel des besten Scharfschützen rühmen… Ich hielt nie viel von den Gefühlen anderer… war selbstsüchtig… Aber dann… sah ich [dich]. Ich sah, wie du dich um die Schüler des Trabia-Gardens kümmertest, als wir… nach dem Raketeneinschlag dort waren. Mit deinem Chocobo-Kleid hast du ihnen ein großes Stück der Sonne, die man ihnen… so brutal entrissen hatte, wieder zurückgegeben… Weißt du, dass dort alle zu dir aufgesehen haben? Weißt du, dass das heute noch viel mehr tun? Ich… bin einer davon… Du hast mir die Augen geöffnet…“ „Oh, Irvine!“ Berührt von den Worten, aus seinem Mund so fremd und gleichwohl so glaubhaft, brach das Mädchen erneut in Tränen aus. Irvine hob seine Hand und legte sie sacht auf die tränenbenetzte Wange. „Sei mein Chocobo… Hör auf zu weinen und sei mir noch ein letztes Mal die lebenslustige, starke, schöne Selphie, die ich so sehr verehre und so liebgewonnen habe…“ Matt sank seine Hand wieder hinab. Er holte tief Luft. Das Sprechen hatte ihm viel Energie gekostet. Zu viel. „Ich mag Chocobos… Alle… Arten… Alle… Farben… Aber besonders… besonders mag ich den pinken… Ja… Den pinken mag ich am meisten…“ Es dauerte eine Weile, bis Selphie begriff. Augenblicklich schoss ihr das Blut in die Wangen. „Irvyyyyyy!“ Wäre die Situation nicht so verdammt ernst gewesen, sie hätte dem unverschämten, unverbesserlichen Weiberhelden eine verpasst. Jener pinkfarbene Chocobo zierte nämlich die Rückseite ihres blütenweißen Höschens! Aber wie konnte er das wissen? Doch die Situation war ernst, und deswegen konnte sie ihm nicht böse sein. Vorsichtig legte sie ihre auf seine Hand, die auf der Verletzung ruhte, und beugte sich so tief zu dem Schützen hinab, dass ihre Stirn die seine berührte. „Sorry“, schluchzte sie. „Aber wie soll ich lachen können, wenn du nicht mit mir lachst? Wie soll ich fröhlich sein, wenn der, der mir am meisten bedeutet, in meinen Armen stirbt? Wenn dir mein Lachen so viel wert ist, Irvine, dann betrachte es als Belohnung, die du nur bekommst, wenn du überlebst…“ „Wie gemein“, hauchte er mit gespielter Beleidigung, und jeder seiner Atemzüge auf ihrer Haut stärkte ihre entkräftete Hoffnung. „Warum sagst du mir das erst jetzt?“ „Weil ich…“ Sie schniefte. „Weil ich weiß, dass du dann überleben wirst…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)