Passing Through von MajinMina (Auf der Durchreise) ================================================================================ Kapitel 1: VIII. Fieber im Sommersturm -------------------------------------- Passing through Auf der Durchreise Zwölf Monate - Zwölf Gesichten ..-*-. Trügerisches Sonnenlicht ließ die Farben des Sommers in all ihrer Prächtigkeit erstrahlen, doch es war nicht das satte Grün der Bäume oder die bunten Blumen am Wegesrand, die die Aufmerksamkeit des einsamen Wanderers auf sich zogen – missbilligend musterten zwei blaue Augen die rasch am Horizont aufziehende Wolkenfront. Dunkle Wolken, die fast braun und dreckig aussehen... Leider wusste der junge Mann nur allzu gut, was das bedeutete. ...Hagel! Und dabei hat der Tag so sonnig angefangen. In beunruhigendem Tempo begannen sich die Wolken am ganzen Himmel zu verteilen und ein frischer Wind blies dem jungen Mann den Staub der Strasse und sein rotes Haar ins Gesicht. Etwas ratlos sah er sich um – er stand gerade auf einem hohen Bergkamm in Küstennähe, kein Dorf und keine Bäume weit und breit, die ihm Schutz hätten bieten können. Wie zur Eile drängend zuckte vor ihm bereits ein greller Blitz über den Himmel und erhellte die vor ihm leicht abfallende Strasse. Sehe ich richtig, oder gräbt sich der Weg weiter vorne tiefer in den Bergrücken ein? Ein dumpfes Grollen und die ersten Regentropfen ließen den Wanderer nicht länger zögern und mit einem resignierten Schulterzucken rannte er geschwind dem vermutlichen Unterschlupf entgegen. Besser, ein ausgewachsenes Sommergewitter zwischen ein paar Felsen als auf einem Bergrücken zu genießen. Entsetzlicherweise entpuppten sich die Felsen als überhaupt nicht schützend, denn genau von der Seite, auf der sie überhingen, blies heute der Wind. Die Mundwinkel des jungen Mannes zuckten, als ihm eine Ladung dicker Tropfen ins Gesicht peitschte und er sich dicht an einen großen, leicht eingewölbten Felsbrocken kauerte. Es war nass, schwül und windig aber immerhin trafen ihn keine der inzwischen fröhlich hinunterprasselnden Hagelkörner. Höre ich dich etwa seufzen, Himura Kenshin? Als Rurouni solltest du selbst für die kleinste Unterstützung dankbar sein. Immerhin sind diese Felsen die angenehmste Gesellschaft seit Tagen. VIII. Fieber im Sommersturm Für einen Wanderer auf einer Reise ohne Ziel, immer unter freiem Himmel und den Elementen ausgeliefert, war die beste Jahreszeit, um unterwegs zu sein, der Sommer. Auch wenn im Frühling die Natur weitaus bezaubernder war und die Temperaturen angenehmer, waren die Vorteile des Sommers doch gewichtiger. Erstens: Mann konnte genug Nahrung auf dem freien Feld oder im Wald finden, um sich auch ohne fremde Hilfe verpflegen zu können. Zweitens: Die schwülwarme Nachtluft war der zugigen Frühlings- und Herbstluft vorzuziehen. Das allabendliche Feueranmachen zum Wärmen war nicht zwingend notwenig, und das war gut so, denn oft wurden von dem hellen Schein der Flammen ungebetene Gäste angezogen. Drittens: Auf den Strassen waren wegen der Hitze tagsüber wenig Leute unterwegs, so dass man relativ unbehelligt von neugierigen Blicken reisen konnte. Überhaupt war man im Sommer nur ein unverdächtiger unter vielen Reisenden, da sich gerade viele Städter in kühlere Landsitze zurückzogen Und nicht zuletzt ist der Sommerregen meistens mild und angenehm... Bibbernd und durchnässt zog Kenshin seine Beine enger an sich. ...je nach dem in welcher Gegend man sich aufhält. Natürlich habe ich mir für diesen Sommer die regenreichste Gegend ganz Japans ausgesucht. Mit einem tiefen Seufzer beendete Kenshin seine sarkastischen Gedanken und stand auf. Der Hagelschauer war vorüber und es regnete nur noch dicke, schwere Tropfen. Nässer als nass kann ich sowieso nicht mehr werden. Zeit, einen angenehmeren Unterschlupf als diesen Felsbrocken zu finden, auch wenn du die letzte halbe Stunde ein geduldiger und ruhiger Zuhörer meiner Gedanken warst. Er tätschelte abwesend den Stein zum Abschied. Ich muss einen Platz finden, an dem ich trocken werden und ein Feuer anmachen kann, bevor ich mir eine Erkältung hole. Vor wenigen Stunden – im strahlendsten Sonnenschein – hatte Kenshin sich zwei Fische in der Meeresbucht gefangen. Sein leerer Magen gab ihm durch wütendes Grummeln eindeutig zu verstehen, dass er mit ihrem Verzehr nicht mehr allzu lange warten sollte. Patschnass trottete er mit dem Bündel seiner wenigen Habseligkeiten und den Fischen in der einen und seinem Sakabatou in der anderen Hand weiter den Bergpfad entlang. Seine langen Haare klebten ihm in dunkelroten Strähnen im Gesicht und seine bleiern an ihm hängenden Klamotten wurden durch den Wind nicht trocken sondern klamm. Mit einem kleinen Spurt versuchte Kenshin, seine Körperwärme beizubehalten. Nach einigen Minuten sah er erleichtert etwas vom Weg entfernt eine kleine, schäbige Hütte, die offenbar unbewohnt war. Ohne lange zu zögern schritt er auf sie zu und rüttelte an der morschen Tür. Sie war verschlossen. Kenshin hätte sie zwar ohne die geringste Anstrengung eintreten können aber er entschied sich dagegen, das Eigentum anderer zu zerstören. Statt dessen ging er um das baufällige Gebäude herum, bis er schließlich ein loses Brett fand, das sich problemlos zur Seite schieben ließ. Der Spalt war breit genug um dem rothaarigen Vagabunden Einlass zu gewähren. Im Dämmerlicht sah er, dass er sich in einem ärmlichst eingerichteten Häuschen befand. Der lehmige Boden war feucht von dem Regen, der seinen Weg durch das löchrige Dach fand und durch die Spalten in den Bretterwänden pfiff der Wind. Als Kenshin sich ein bisschen genauer umsah, entdeckte er ein paar alte Decken, die in dem einzigen Möbelstück der Hütte, einem kleinen Holzschränkchen, verstaut waren. Dort fand er auch einige Teile von einfachem Keramik-Geschirr und – zu seinem Erstaunen – sogar eine Flasche Sake, die allerdings schon ziemlich seltsam roch. An einer trockenen Ecke des Raumes sah Kenshin zu allem Überfluss sogar noch einen Stapel Brennholz. Mit einem Lächeln im Gesicht schichtete er es in der kleinen Feuerstelle auf. Er schlug ein paar Funken und beobachtete zufrieden, wie wenig später die ersten Flämmchen zwischen den Ästen hervorzüngelten und die Hütte in ein warmes Licht tauchten. Schnell zog er seine feuchte Kleidung aus und drapierte sie zum Trocknen. Dann ließ er sich, in die alten, aber sauberen Decken gehüllt mit einem Lächeln im Gesicht am Schein des Feuers nieder und begann, seine aufgespießten Fische zu grillen. Etwas zu Essen, ein – zumindest halbwegs dichtes – Dach über dem Kopf und ein wärmendes Feuer. Was mehr kann sich ein Rurouni wünschen. Immerhin... diese Hütte ist die angenehmste Übernachtungsgelegenheit seit Tagen. Vor wenigen Tagen... „Bleib stehen und gib uns alles was du hast, sonst stechen wir dich nieder!“ Ein grobschlächtiger Mann blockierte mit seinen Spießgesellen die schmale Strasse an einer unübersichtlichen Stelle und fuchtelte drohend mit einem rostigen Schwert in der Luft herum. So wenig wie von der brüchigen Klinge so war Himura Kenshin auch von ihrem plötzlichen Hervorbrechen aus den Büschen am Wegesrand beeindruckt. Er hatte ihre Anwesenheit schon vor über einem Kilometer gespürt. „Sessha ist nur ein Rurouni. Ich habe nichts, das ich euch geben könnte,“ erwiderte er sanft auf die rauen Worten und senkte den Blick. „Unsinn!“ bellte ihm der Anführer der Räubergruppe entgegen. Ein Mann von hinten zupfte ihn am Ärmel. „Was?!“ fuhr er ungehalten herum. “Schau ihn dir doch mal an,” meinte sein Kumpane, „siehst du seine Klamotten? Er sieht wirklich aus wie ein Landstreicher.“ Der Anführer kniff seine Augen zusammen und musterte den Mann, der im Halbschatten der Bäume vor ihm stand. Das dunkelbraune Haar, soweit er es erkennen konnte, war staubig und verfilzt und der dunkelblaue Gi sowie seine grauen Hakama waren vielfach verschlissen, geflickt und dreckig. Kenshin musste sich ein Grinsen verkneifen, als er sah, wie sich der Gesichtsausdruck seines Wegelagerers von grimmig in enttäuscht wandelte. Warum müssen die Leute einen immer nach dem Aussehen beurteilen? Wenigstens haben sie mich nicht erkannt, sonst wäre jetzt nicht Enttäuschung sondern Entsetzen auf ihren Gesichtern zu lesen. Der Anführer wollte gerade sein Schwert sinken lassen, als ihn von hinten wieder sein Kumpel am Ärmel zupfte. „Was denn nun?“ drehte er sich um. „Sein Schwert,“ nickte er in Kenshins Richtung. „Dein Schwert,“ blaffte der Anführer gleich darauf Kenshin an. „Das kannst du uns geben!“ Kenshin sah auf und zog eine Augenbraue hoch. „Warum sollte ich euch mein Schwert geben? Es ist sehr kostbar für mich.“ Die Räuber grinsten und traten näher an ihn heran. „Auch für uns wird es kostbar sein,“ lächelte der Anführer tückisch. Sein rostiges Schwert näherte sich drohend. Nun war es an Kenshin, die Augen zusammen zu kneifen. „Warum belästigt ihr friedliche Wanderer? Könnt ihr nicht in einer der Hafenstädte eine ehrliche Arbeit finden?“ Die Männern lachten. „Harte Arbeit für einen kargen Lohn!“ rief einer. „Nein Danke. Wo uns doch Reisende und Bauern alles geben könne, was wir verlangen.“ Kenshins Augen wurden noch ein bisschen schmäler. „Ihr überfallt auch Bauernhöfe?“ „Was geht dich das an?“ brummte ihn der Anführer an. „Gib uns jetzt das Schwert und wir werden dein Leben verschonen. Denk ja nicht dran, es zu ziehen, gegen uns hast du keine Chance, wir sind zu fünft und du bist alleine.“ Abermals musste Kenshin innerlich grinsen – dank jahrelanger Übung blieb sein Gesicht jedoch ausdruckslos. Warum müssen einen die Leute einen immer nach dem Aussehen beurteilen?! „Weder werde ich mein Schwert ziehen noch es euch geben,“ sprach er leise aber mit einem plötzlich beunruhigenden Unterton in der Stimme. Das rostige Schwert des Anführers stockte in der Luft. Der junge Mann vor ihm trat einen Schritt vor ins Sonnenlicht. Sein Haar war wie Feuer und seine Augen wie Eis. Unschlüssig verharrten die Banditen auf der Stelle. „Ich... Wir...“ stotterte der Anführer unschlüssig, sichtlich verunsichert. Plötzlich spürte er ein Zupfen am Ärmel. „Was, verdammt noch Mal?!“ rief er genervt über die Schulter. „Seine Haare... sein Gesicht...“ kam die zitternde Stimme seines räuberischen Kumpanen von hinten. Mit großen Augen musterte der Anführer das jugendliche Gesicht seines Opfers, dem gerade ein leichter Windhauch den viel zu langen Pony aus dem Gesicht wehte und damit die kreuzförmige Narbe auf der linken Wange enthüllte. Sein Herz blieb stehen. „Hi..Hi...Hitokiri Battousai!“ Mit einem Klirren fiel das rostige Schwert zu Boden und gleich darauf folgten die fünf Banditen ihm freiwillig in den Straßenstaub. „Verschone uns!“ winselte der gerade eben noch so mächtige Bandit nun kleinlaut. Kenshin seufzte. Ein kleiner Kampf zum Aufwärmen wäre auch nicht schlecht gewesen. Sein Blick fiel auf das rostige Schwert. Obwohl so amateurhafte Banditen sicher auch als Kämpfer eine Enttäuschung sind. Er schüttelte über seine eigenen Gedanken den Kopf. Die Kämpfe, die du hinter dir hast, Himura, reichen für ein ganzes Leben. Sei froh, dass es zur Abwechslung mal zu keinem Kampf gekommen ist. Er trat einen Schritt nach vorne und sofort zuckten die Männer zurück. „Bitte t-töte uns nicht!“ Kenshin spürte einen leichten Stich im Herz. Warum, warum beurteilen die Menschen einen nur nach dem Aussehen! Und warum scheint diese Frage der Fluch meines Lebens zu sein? Frustriert schritt er an den am Boden kauernden Banditen vorbei, die nichts von seinem Schwur, niemals mehr zu töten, wissen konnten. „Ich werde euch nicht töten. Aber versprecht mir, nie wieder friedliche Menschen zu behelligen. Geht in die nächste Stadt und leistet Wiedergutmachung für eure Schandtaten.“ Die Köpfe nickten eifrig und wirbelten Staub auf. Kenshin ließ die bemitleidenswerten Gestalten hinter sich und hoffte, das sie seinen Rat beherzigen würden. Er hatte gespürt, das sie im Grunde keine bösen Menschen waren und auch nicht gewalttätig. Das Schwert – übrigens die einzige Waffe außer ein paar dicken Ästen – war zwar alt aber nicht schartig. Kenshin war sich sicher, dass diese Männer sich nur aus Not und Dummheit zu einer Räuberbande zusammengeschlossen hatten. Sie leben nur auf die Art und Weise, die ihnen die Beste scheint. Sie wissen es nicht besser. Waren das nicht eure Worte, Meister Hiko Seijuro? Würdet ihr jetzt lachen, wenn ihr euren dummen Schüler so sehen könntet? Bestimmt. Ich musste erst meine Seele zertrümmern, bevor ich fähig war, die Prinzipien verstehen zu können, die ihr mir damals erfolglos versucht habt, beizubringen. Ist das etwa nicht lachhaft?... Hinter sich hörte er panisches Fußgetrappel und auch ohne sich umzusehen, wusste er, dass die Männer das Weite gesucht hatten. Als er kurz vor der Abenddämmerung im nächsten Dorf ankam, wurde er von einem Mob wütender Bauern begrüßt, die ihn mit wildem Gefuchtel ihrer Ackerwerkzeuge davonjagten. „Hau ab und erzähl deinen Räuberkollegen, hier gibt es nichts zu holen!“ riefen sie ihm noch hinterher. Seufzend folgte Kenshin der doch recht nachdrücklichen Bitte und schlug sein einsames Lager im Wald auf. Immerhin, überlegte er, während er sich an einen Baumstamm setzte, das Schwert an die Schulter gelehnt, wenn auch mein Aussehen für mich keine Vorteile bringt, dann wenigstens für die Dorfbewohner und Reisenden dieser Gegend. Die Banditen werden sich hier wohl nicht mehr so schnell blicken lassen. Wenige Tage später... Kenshin war in den Decken zusammengesunken und er atmete tief und fest. Weder das stetige Tröpfeln von der Decke noch das Knarzen der Bretterwände schienen ihn beim Schlafen zu stören. Auch wenn seine Gesichtszüge, sonst immer in bemühter Ausdruckslosigkeit verkrampft, nun entspannt waren umklammerte seine linke Hand noch das neben ihm zu Boden gesunkene Schwert. Die Glut des Feuers war schon fast ausgegangen und ein letztes, lautes Aufknacken ließ Kenshin schließlich aus seinem tiefen Schlaf hochschrecken. Seine rechte Hand hatte sich schon instinktiv dem Heft seines Schwertes genähert, bevor er sich bewusst wurde, wo er war. Verschlafen blinzelnd spähte er durch die Bretterritzen und sah, dass es draußen bereits dunkel war. So lange hab ich geschlafen? Und auch noch so tief, ich hab nicht Mal geträumt. Ein seltener Umstand, der ihn zufrieden vor sich hinsummen ließ, während er seine inzwischen getrocknete Kleidung wieder anzog. Während er sich die Hakama zuband, erfasste ihn plötzlich ein leichtes Schwindelgefühl und in seinem Kopf begann es unangenehm zu pochen. Nanu? Vielleicht hab ich nicht genug getrunken... Er nahm sich eines der Keramikschälchen, das er vorhin gefunden und unter ein Leck des Daches gestellt hatte. In einem Zug trank er das randvoll mit Regenwasser gefüllte Gefäß leer. Er spürte, wie das kühle Wasser ihm den Hals hinab rann. Warum war ihm plötzlich so warm? War das kühlende Gewitter zugunsten der immer herrschenden sommerlichen Schwüle wieder abgezogen? Oder kam die Hitze von ihm selber? Er holte ein paar neue Scheite Holz und entfachte das Feuer wieder. Wenn ich mich erkältet haben sollte, dann ist Schwitzen das Beste. Er stellte sich noch andere Gefäße mit Trinkwasser bereit und mummelte sich in die dicken Wolldecken. Nach einiger Zeit spürte er bereits, wie sich auf seiner Stirn eine kühle Schweißschicht bildete. Als er sie mit dem Handrücken abwischte, merkte er, dass er glühte. Verdammt. Ich habe mich erkältet. Dieses blöde Gewitter. Er kramte in seinem kleinen Bündel nach dein paar fiebersenkenden Heilkräutern, die er sich irgendwann mal gesammelt hatte doch noch während dem Suchen erinnerte er sich, dass er letzten Monat alles aufgebraucht hatte, um einem kranken Kind zu helfen. Vielleicht sollte ich raus gehen und sehen, ob ich noch was finde, bevor mein Fieber zu hoch wird. Doch die warmen Decken schienen ihn mit sanfter Gewalt zurückzuhalten und seine Augen fühlten sich so schwer an, dass er sie kaum aufhalten konnte. Schlaf, dachte er träge, viel schlafen, dann geht es mir morgen besser. Dann fielen ihm seine Augen zu. -- Sofort sank er in wirre Träume hinab. Er sah sich in einer Hütte sitzen, ein sterbendes Feuer vor sich und er versuchte immer wieder aufzustehen um irgendetwas zu besorgen. Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, was es war, als es ihm plötzlich wieder einfiel. Es waren Kräuter, die er noch sammeln musste, um Medizin herzustellen. Doch er konnte jetzt nicht fort. Etwas Schweres lag auf seiner Schulter. Es war Tomoes Kopf. Sie lächelte ihn im Feuerschein an. Tomoe... ich muss noch mal raus, wir brauchen frische Kräuter... Seine Liebste sah ihn stumm an. Ihr Gesicht war blass. Plötzlich sah er sie daliegen, auf ihrem Futon. Dort, wo sie sich erst letzte Nacht im Feuerschein geliebt hatten, lag sie nun blass und leblos. „Nein,“ hörte er sich rufen als ihn eine Hand an der Schulter packte. Durch den Nebel vor seinen Augen sah er das Gesicht eines Mannes. Es war Katsura Kogoro. „Du musst mitkommen nach Kyoto,“ sprach er mit ernster Miene und seltsam veränderter Stimme. „Nein!“ Kenshin versuchte die Hand abzuschütteln aber sie ging nicht weg und noch dazu schienen ihn die Wolldecken wie Stricke einzuwickeln. „Lasst mich hier. Lasst mich mit ihr in Otsu bleiben. In Outsu.“ Er spürte, wie ihn Hände auf den Boden drückten. „Nach Kyoto...“ hörte er Katsuras Stimme murmeln. Und eine andere Stimme sprach plötzlich: „Hitokiri...“ Kenshin spürte, wie ihm noch heißer wurde. Dieser Mann war nicht Katsura. Wo ist mein Schwert! Die zentnerschweren Wolldecken machten es ihm erneut unmöglich, sich zu bewegen. Gebt mir mein Schwert, wollte er sagen doch seine Lippen waren so schwer, so dass nur ein gestammeltes „wert“ seinen Mund verließ. Eine der Gestalten vor ihm verschwand im Nebel. Danach hörte er irgendwo jemanden erstaunt ausrufen: „Ein Sakabatou!“ Neben sich sah er ein Feuer brennen. Das Haus in Otsu brannte lichterloh. Er würdigte es keines Blickes mehr, als er langsam die Straße nach Kyoto entlang ging. Mit jedem Schritt, mit dem er dieser verfluchten Stadt näher kam, spürte er wieder die altvertraute Kälte in sich hochsteigen. Ein Schleier legte sich über seine Augen als seine Hand verzweifelt nach dem blauen Schal griff, den er jetzt um den Hals trug. Er spürte, wie ihn die Kälte zwar umklammerte aber nicht mehr von seinem Herzen Besitz ergriff. „Tomoe,“ flüsterte er. Plötzlich verschwamm alles vor ihm. Er war wieder im Haus in Otsu, er lag am Boden und ihm war so heiß. Seine Stirn brannte. „Wasser,“ krächzte er und wie einen Engel sah er Tomoe, die ihm einen feuchten Lappen kühlend auf die Stirn drückte. Er tastete nach ihrer Hand, die sie hastig wegzog. „Tomoe, geh nicht...“ Er hustete heftig und in seiner rauhen Stimme lag abgrundtiefes Flehen. "Geh nicht..." „Er denkt ich bin seine Frau!“ hörte er eine entrüstete Männerstimme brummen. „Das ist nicht gut,“ stellte eine andere Stimme fest. War das nicht Katsura? „Der Meinung bin ich auch,“ lachte wieder die erste Stimme zynisch. „Ich dachte nicht, dass ich so weiblich aussehe...“ „Baka... das heißt, sein Fieber ist immer noch hoch.“ Kenshin blinzelte. Fieber? Wer sind die Männer? Ich brauche mein Schwert! Seine Hand tastete panisch neben sich. Ihm war schlecht. Alles um ihn herum schien sich zu drehen. Jemand kniete neben ihm. „Du bist in Sicherheit,“ hörte er eine Stimme, dann sank er wieder in den Nebel. -- Er sah sich mit dem Schwert in der Hand. Sah die entsetzten Gesichter seiner Opfer. Ihr Blut, das über ihn spritzte. Der Geruch brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Eine Stimme in seinem Kopf schrie: mehr! Eine andere Stimme flehte: nie mehr! Katsura stand wieder vor ihm. „Ich brauche dein Schwert. Kannst du für mich töten?“ Verdutzt sah Kenshin das Sakabatou in seiner Hand. „Ich bin jetzt ein Wanderer, Katsura. Ein Rurouni. Ich kann nicht mehr töten.“ Katsura starrte ihn sprachlos an. „Sakabatou?“ Kenshin versuchte zu nicken, sein Kopf war so schwer. „Nur noch... wiedergut machen...“ Seine Zunge löste sich kaum von seinem trockenen Gaumen. Als Katsura ihm einen Becher mit Wasser an die Lippen hielt, trank er gierig. Dann sank er zurück. Sein Blick wurde langsam wieder klar. Ich bin nicht in Otsu. Ich bin nicht in Kyoto. Ich bin in einer Hütte und habe Fieber. Aber was macht Katsura hier? „Katsura?“ fragte er mit rauer Stimme. Nichts. Hab ich's mir doch gedacht. Ich phantasiere. „Ja, ich bin hier,“ hörte er plötzlich jemanden antworten. Katsura ist doch hier? Aber wie kann das sein? Das ist nicht möglich, es sei denn... Langsam entspannte Kenshin sich. „Katsura... wie passend. Ihr habt mich damals in die Hölle Kyotos gebracht. Jetzt führt ihr mich in die Richtige..." „Hölle?“ Der Mann neben ihm beugte sich näher heran. Kenshin konnte sein Gesicht nicht genau erkennen, doch Katsura schien verwundert zu sein. „Wohin sonst...“ murmelte Kenshin. Langsam verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. „Ich sterbe.“ Er spürte Katsura neben ihm zurückzucken. „Macht dich das so glücklich?“ Das Dröhnen in Kenshins Kopf wurde wieder stärker. Er konnte kaum nicken. „Hast du nicht vorhin etwas von wiedergut machen erzählt?“ drang Katsuras Stimme durch die zunehmende Dunkelheit. Wiedergut machen. Wie? Ein unmögliches Wort. Was ich mit meinem Schwert zerstört habe, kann nicht wieder gut gemacht werden. Er drehte seinen Kopf von Katsura weg und sah wieder die Flammen. In diese Flammen gehöre ich. Plötzlich sah er sich wieder im Schein des Feuers sitzen. Seite an Seite mit Tomoe. Und er hörte sich selbst, wie er ihr versprach: Wenn das Blutvergießen ein Ende gefunden hat, werde ich einen Weg finden, für meine Verbrechen Wiedergutmachung zu leisten. Und sah ihre Augen, die antworteten: Menschen können sich ändern! Sie beide hatten sich während ihrer Zeit in Otsu sehr verändert. Wenn er sich jetzt dem Fieber ergab, dann wäre all die Veränderung und Tomoes Opfer umsonst gewesen. -- Als er wieder zu sich kam, war sein Kopfweh verschwunden. Er fühlte sich zwar noch leicht schwummrig beim Aufsetzen, aber es ging ihm auf jeden Fall schon besser. Er blinzelte durch die Hütte, die von Sonnenlicht erhellt wurde, das durch die breiten Spalten der Holzwände strahlte. „Wie geht es dir?“ fragte unvermittelt eine Stimme hinter ihm und Kenshin fuhr herum. Zwei Männer saßen an die Wand gelehnt und beobachteten ihn neugierig. So gut kann es mir noch nicht gehen, sonst hätte ich euch früher bemerkt, dachte Kenshin, aber laut antwortete er: „Ich denke, ganz gut.“ Einer der Männer nickte zufrieden. „Die Medizin hat geholfen.“ Kenshin sah, dass der Mann ein Schwert vor sich liegen hatte. Sein Schwert! Sofort war er hellwach und in Alarmbereitschaft. Der Mann bemerkte seinen stechenden Blick, stand auf und hielt Kenshin das Schwert entgegen, als ob er Gedanken lesen könnte. Kenshins Augen wurden wieder etwas weicher, als er den Mann musterte. Irgendwie kam er ihm bekannt vor. „Ihr habt mich gesund gepflegt?“ fragte er die zwei Unbekannten. Die Männer nickten. Jetzt trat auch der andere aus dem halbschattigen Eck hervor. Kenshins Augen wurden groß, als er in ihm einen der Banditen erkannte, die er vor ein paar Tagen getroffen hatte. Etwas perplex nahm er langsam das ihm entgegengereichte Schwert. Die Männer wissen, das ich Hitokiri Battousai bin, pflegen mich gesund und reichen mir auch noch mein Schwert?! Schließlich brach der andere Mann wieder das Schweigen. Er hatte irgendwie Ähnlichkeit mit Katsura Kogoro. Das erinnerte ihn an irgendeinen seltsamen Traum... „Du hattest Glück. Wir waren nur auf der Durchreise. Die Hütte hier gehört meinem Freund hier.“ Kenshin verbeugte sich entschuldigend. „Ich wollte nicht einbrechen.“ „Kein Problem,“ winkte der ehemalige Bandit ab. „Ich habe die Hütte schon vor Monaten verlassen, um mich der Räuberbande anzuschließen. Ich hatte viele Schulden und konnte mich im benachbarten Dorf sowieso nicht mehr blicken lassen.“ „Wir wollten dich dort zuerst hinbringen,“ schaltete sich wieder der erste Mann ein. „Doch dann stieg dein Fieber so stark, dass wir dich nicht mehr nach Kyo bringen konnten.“ „Kyo?“ fragte Kenshin dazwischen. „Das Dorf ein paar Kilometer weiter östlich von hier. Jedenfalls haben wir dich hier gelassen und das Beste getan, was wir konnten. Heute Morgen dachten wir dann, du stirbst. Du schienst es auch irgendwie zu wollen...“ Der Katsura-ähnliche Mann unterbrach sich. „Aber jetzt bist du ja wieder fit. Das Fieber ist gesunken und du hast tief und fest bis zum Nachmittag durchgeschlafen.“ Die zwei Männer packten ihre Wandersachen. „Wir müssen jetzt auch los,“ erklärte der ehemalige Bandit. „Wir wollten nur noch solange bleiben, bis du aufwachst. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Ein paar Stunden entfernt hat ein Bekannter einen Job für uns. Ich werde dort arbeiten und genug Geld verdienen, um meine Schulden im Dorf zurückzuzahlen. Dann werde ich vielleicht diese Hütte wieder herrichten...“ Der Mann lächelte und folgte seinem Freund zur Tür. „Du kannst übrigens so lange hier bleiben, bis es dir wieder besser geht. Es ist zwar nicht sehr komfortabel aber besser als nichts.“ „Wartet,“ rief ihnen Kenshin, immer noch wie erstarrt zwischen den Wolldecken sitzend, hinterher. Eine Frage brannte ihm förmlich auf der Seele. „Warum habt ihr mir geholfen?“ Die zwei Männer sahen sich einen Moment lang an. Schließlich meinte der ehemalige Räuber, „du hast mir vor ein paar Tagen auf der Straße einen so großen Schrecken eingejagt, dass ich beschlossen habe, ein neues Leben anzufangen. Ich dachte, das Mindeste, was ich tun kann, ist, dir die selbe Chance zu gewähren.“ Er ging einen Schritt nach vorne. „Wir müssen jetzt gehen. Mein Name ist Mutoshi, das hier ist mein Freund Keigo.“ Keigo trat nach vorne und verbeugte sich ebenfalls. „Und du bist...?“ fragte Mutoshi. Erstaunt sah Kenshin ihn an. „Wer ich bin?“ wiederholte er die Frage. „Ja,“ sagte Mutoshi und lachte jetzt. „Du hast dich uns noch nicht vorgestellt. Das ist das mindeste, was du als Dankeschön tun kannst. Immerhin will ich nicht nur ein Gesicht sondern auch einen Namen in Erinnerung behalten. Kenshin spürte diesmal eine angenehme Wärme durch seinen Körper fluten, die nichts mit dem Fieber zu tun hatte. „Himura,“ antwortete er nach einer Pause. „Himura Kenshin.“ Die Männer nickten und wandten sich dann zum Gehen. -- Als paar hundert Meter von der Hütte entfernt holte Mutoshi seinen Freund Keigo ein. Er zupfte ihn am Ärmel. „Was?“ Drehte sich Keigo fragend um. „Ich... hätte nie gedacht, dass er... so ist.“ Keigo zog eine Augenbraue hoch. „So ist? Wir kennen ihn doch gar nicht.“ Mutoshi legte die Stirn in Falten. „Meinst du? Ich glaube, nach dem, was er im Fieber so von sich erzählt hat, kennen wir ihn besser als die meisten anderen.“ „Das mag sein,“ nickte Keigo. „Wenn du nicht darauf bestanden hättest, ihm zu helfen, hätten wir auch nie erfahren, dass es die richtige Entscheidung war.“ „Als wir in die Hütte kamen und ich ihn da liegen sah, war mein erster Gedanke, ihn dort sterben zu lassen. Doch wie er da so dalag im Fieberwahn und vor sich hingemurmelt hat, da wusste ich plötzlich irgendwie, dass es falsch war, ihn nur nach seinem Äußeren zu beurteilen,“ lächelte Mutoshi. Keigo lief weiter. „Schade,“ meinte er über die Schulter hinweg zu seinem Freund, „dass die Mehrheit der Menschen das nie so sehen wird. Und erzähl bloß keinem, dass du den Hitokiri Battousai gesund gepflegt hast. Am Ende wird dich noch jemand dafür töten!“ Mutoshi nickte. Dann verdüsterte sich sein Blick. „Es ist ungerecht.“ „Die Menschen sind nicht gerecht,“ philosophierte Keigo. „Sie sehen eben nur, was sie sehen wollen und...“ „Das meine ich doch gar nicht,“ unterbrach ihn Mutoshi. „Warum hat er dich und nicht mich für den berühmten Katsura Kogoro gehalten? Du hast doch überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihm.“ Keigo lachte. „Anscheinend machst du dich einfach besser als Geliebte.“ Mutoshi dampfte. „Ich seh’ nicht halb so weiblich aus wie Himura!“ „Da hast du recht,“ sagte Keigo und beide gingen kichernd ihres Weges. -- Kenshin hörte von dem Gespräch nichts. Er saß immer noch in der Hütte und starrte in das schon längst erloschene Feuer. Als er sich endlich aus seiner Erstarrung lösen konnte fand er neben sich noch zwei Reisbällchen, die die Männer für ihn zurückgelassen hatten. Er wickelte sie sorgfältig ein und verstaute sie in seinem kleinen Beutel. Dann schob er sein Sakabatou in seinen Gürtel und verließ die Hütte. Draußen empfing ihn ein atemberaubend schöner Sonnenuntergang. Der einsame Wanderer stand einfach nur da und betrachtete das Farbenspiel der Wolken. Ist es nicht seltsam, überlegte er, während er dann eine Weile später auf unbekanntem Pfad in Richtung Westen lief. Wer hätte gedacht, dass so ein hässlicher Sturm einen so schönen Sonnenuntergang hervorbringen kann? Ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Vielleicht waren ja die letzten Tage doch nicht so schlecht... --- Ich hoffe, es hat euch ein bisschen gefallen! Ich musste diese Geschichte einfach schreiben, um mich von meinen Anderen abzulenken und auf neue, positive Gedanken bringen... keine Ahnung, wann das nächste Kapitel fertig ist ^^ deswegen bin ich auch für Wünsche und Anregungen offen und dankbar! Vielen Dank an meinen Reviewer, Inuyasha 22 ^_^ Bis demnächst, Mina Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)