Once upon a time von Chibichi (Eine Sammlung von märchenhaften Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 3: Die Nacht des blauen Mondes -------------------------------------- Verschmitzt grinste der Vollmond unter den schläfrigen Schäfchenwolken hervor und sah hinunter zur Erde. Alles dort unten lag im tiefen Schlummer. Sein bläulicher Schein erhellte das riesige Ziffernblatt an dem Kirchturm. Es war kurz vor Mitternacht. Sanft schob er die Wolken bei Seite, um einen besseren Blick zu haben. Heute Nacht konnte alles geschehen. Das konnten auch die vielen, kleinen Sternchen um ihn herum spüren, die unter viel Getuschel sein Tun beobachteten. Ein ganz kleines Sternchen, von dessen Laterne nur ein schwaches Schimmern ausging, sah fragend zu den Größeren hinüber. „Was passiert denn jetzt?“, wisperte es leise. Ein großer Stern mit einer strahlenden Laterne nickte wissend und antwortete: „Das wirst du gleich sehen. Heute ist die Nacht des blauen Mondes und da ist alles möglich.“ „Aber…“, setzte das Sternchen wieder an. Die Antwort des großen Sterns war noch rätselhafter als das Treiben des Mondes selbst. Doch bevor es fragen konnte, was denn alles möglich sei, schlug die Kirchturmuhr zwölf. Der bläuliche Schein des Mondes wurde plötzlich für einen kurzen Augenblick viel intensiver. Das Sternchen starrte gebannt hinunter zur Erde und hatte seine Frage komplett vergessen. Es gab ein Drängen und Schieben rund um das Sternchen, da alle anderen Sterne besser sehen wollten, was nun geschah. Zuerst schien rein gar nichts zu geschehen, doch dann wurde der Wetterhahn auf der Kirchturmspitze in ein blaues Glimmen gehüllt. Das kleine Sternchen rieb sich die Augen, aber es hatte richtig gesehen. Der rostige, alte Wetterhahn hatte seine bronzenen Flügel gespreizt und war von der Kirchturmspitze gesegelt. Als wäre das der Startschuss gewesen, glimmten nun auch die anderen Figuren und Statuen überall in der Stadt in einem bläulichen Licht. Die beiden Löwenstatuen aus Marmor am Eingang des Museums schüttelten ihre Mähnen und reckten und streckten sich ausgiebig, bevor sie majestätisch von ihren Podesten sprangen. Die steinerne Eule über der Bibliothekstür ordnete ihre Federn und schuhute leise, um dann in die kühle Nachtluft zu gleiten. Drei drollige Wasserspeier vom Marktplatzbrunnen hörten ganz plötzlich damit auf, Wasser zu spucken, und hopsten laut plätschernd durch den Brunnen. Die kleine, pummelige Amorstatue im Park kletterte unbeholfen von ihrem hohen Podest und landete höchst unvorteilhaft im Gras. Schnell rappelte sie sich wieder hoch und sammelte die Pfeile wieder ein, die bei dem Sturz aus dem Köcher gefallen waren. Jeder einzelne Gartenzwerg in den Vorgärten war zum Leben erwacht und machte sich nun daran mitsamt seiner Schubkarre, Spitzhacke oder seinem Spaten sein gepflegtes Refugium über den Gartenzaun zu verlassen. Auf den Straßen tummelten sich bereits einige Zwerge, die durch ein offen stehendes Gartentürchen hatten entwischen können. Sie stolzierten durch die Gegend, lugten in fremde Gärten hinein und zwirbelten dabei ihre langen Bärte. Der große Steinelefant vom Zooeingang stampfte durch eine kleine Seitenstraße, dass die Fensterläden erzitterten. Einige Meter vor ihm rannte die dicke Bäckerfigur über das Kopfsteinpflaster, die sonst vor der Bäckerei Engel stand. Erschöpft und völlig aus der Puste schulterte der kleine Bäcker sein Baguette und richtete sich im Laufen die Mütze, die ihm ins Gesicht gerutscht war. Mit wenigen Schritten hatte der Steinelefant ihn eingeholt, schlang seinen Rüssel um den dicken Bauch des Bäckers und setzte ihn vorsichtig auf seinem Rücken ab. „Danke.“, seufzte der kleine Bäcker und wischte sich mit einem großen, rotkarierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Auch die Figuren aus dem Märchenwald am Rande des Parks hatten ihre angestammten Plätze verlassen. Hänsel und Gretel gingen einträchtig mit der Hexe Richtung Wald und knabberten Lebkuchenziegel vom Hexenhäuschen. Rotkäppchen ritt auf dem großen, bösen Wolf und hielt dabei krampfhaft ihr Körbchen fest, damit der Kuchen und die Flaschen Rotwein nicht auf den Boden purzelten. Aschenputtel hatte sich zu den anderen Prinzessinnen gesellt und schwatzte lebhaft mit Schneewittchen, der alle sieben Zwerge in Reih und Glied folgten und leise vor sich hinpfiffen. Eine Prinzessin mit einem Frosch auf der Schulter kicherte über den verschlafenen Gesichtsausdruck von Dornröschen, die noch einmal ausgiebig gähnte. Alle Straßen der Stadt waren bevölkert mit allerlei Statuen, die sich ihren Weg durch die verschlungenen Gassen bahnten, und wohl alle hatten dasselbe Ziel. Auf dem höchsten Ast einer mächtigen Eiche mitten im Wald saß ein silberner Rabe und krächzte laut, um die anderen Tiere und Figuren hierher zu locken. Unter der Eiche hatten es sich bereits die beiden Löwen des Museumeingangs bequem gemacht und blickten über die große Waldlichtung den Neuankömmlingen entgegen. Als auch der letzte Gartenzwerg auf der Wiese Platz genommen hatte, erhoben sich die Löwen und brüllten. Sofort trat eine Stille auf der Lichtung ein, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Auch die tuschelnden Sternchen am Nachthimmel verstummten und beugten sich noch näher über den Park, um ja nichts zu verpassen. Beinahe hätte das kleine Sternchen dabei seine Laterne fallen gelassen, so neugierig hatte es sich hinuntergeneigt. Der Vollmond zwinkerte belustigt und beleuchtete mit seinem bläulichen Schein die Lichtung. Sanft lächelnd trat eine weitere Statue aus dem Schatten der Eiche und schritt zwischen die beiden Löwen. Ihr Marmorkleid rauschte bei jedem Schritt leicht im kühlen Nachtwind und ihr langes Haar schimmerte im Mondenschein. Die anderen Statuen schauten sie ehrfürchtig und erwartungsvoll an. Denn sie war das Wahrzeichen der kleinen Stadt und somit auch die älteste Statue. „Willkommen.“, sprach die schöne Marmorfrau und lächelte die anderen an. „Es ist schön, euch alle nach so langer Zeit wiederzusehen und auch unter uns einige Neue begrüßen zu können.“ Bei diesen Worten liefen mehrere Gartenzwerge rot an und zogen scheu ihre Zipfelmützen zum Gruß. Die marmorne Statue schenkte ihnen ein noch strahlenderes Lächeln und nickte ihnen zu. Einer der Wasserspeier vom Marktplatzbrunnen meldete sich vorwitzig zu Wort: „Dieses Mal hat der Mond sich aber ganz schön Zeit gelassen. Ich dachte schon, dass die Nacht des blauen Mondes gar nicht mehr kommt. Jeden Tag Wasser in einen Brunnen zu spucken und als Klettergerüst für kleine Kinder herzuhalten, kann man doch nur durchstehen, wenn man sich auf so ein Ereignis wie heute freuen kann.“ Eigentlich wollte er noch viel mehr sagen, aber einer der Steinlöwen hatte ihm für seine Vorwitzigkeit einen bösen Blick zugeworfen und kurz seine riesigen Fangzähne gebleckt. Doch die Marmorfrau schien nicht verärgert darüber, dass der Wasserspeier das Wort an sich gerissen hatte, sondern nickte nachsichtig. „Es stimmt. Die letzte Nacht des blauen Mondes liegt schon ein paar Jahre zurück.“, erklärte sie. „Daher soll das heutige Fest noch ausgelassener und fröhlicher werden, da wir so lange warten mussten. Aber denkt daran, um ein Uhr müssen wir alle wieder auf unseren Plätzen sein, dann erlischt der Zauber des Mondes wieder. Aber nun lasst uns feiern!“ Die anderen Statuen klatschten und jubelten. Ein Satyr, der sonst in der Nähe des Kirchhofes stand, spielte auf seiner Laute, der Steinelefant trompetete und der Rattenfänger von Hameln stimmte mit seiner Flöte ein. Die Gartenzwerge sprangen ungezwungen im Kreis. Die Prinzessinnen des Märchenwaldes tanzten einen Reigen und kicherten verhalten. Rotkäppchen verteilte freimütig Kuchen und Wein und wurde dabei unterstützt von dem dicken Bäcker, der immer dann einen großen Schluck Rotwein trank, wenn niemand hinsah. Die wunderschöne Marmorfrau beobachtete lächelnd die anderen, die tanzten und musizierten, aßen und tranken, lachten und schwatzten. Zufrieden über die Freude des Festes schritt sie flankiert von den beiden Löwen über die Lichtung. Die kleinen Sternchen oben am Himmel tanzten ebenfalls einen lustigen Reigen, so hatte sie das Fest dort unten im Wald angesteckt. Doch leider krächzte der silberne Rabe viel zu schnell wieder. Oben auf dem höchsten Ast der Eiche hatte er Ausschau nach der Kirchturmuhr gehalten, um die anderen zu warnen, wenn es bald eins schlagen sollte. Erstaunt hielten die Statuen in ihrem Fest inne und tuschelten durcheinander. Erneut brüllten die Löwen, um ihnen Ruhe zu gebieten. „Es wird Zeit. Jeder muss zurück auf seinen Platz.“, verkündete die Marmorfrau. „Auf Wiedersehen bis zur nächsten Nacht des blauen Mondes.“ Eilig stoben die Statuen auseinander. Die größeren Figuren halfen den Kleinen wieder zurück zu ihrem angestammten Platz zu kommen. Der Steinelefant setzte den dicken Bäcker wieder an seiner Bäckerei ab. Die Gartenzwerge kletterten über ihre Gartenzäune und stellten sich in Pose, als wäre nie etwas gewesen. Die Wasserspeier spuckten wieder Wasser in den Brunnen, die Löwen legten sich auf ihre Podeste vor dem Museum und die Marmorfrau stellte sich vor das Rathaus. Nur der kleine, pummelige Amor hatte Schwierigkeiten sein Podest hochzuklettern. Also stellte er sich notgedrungen direkt daneben und würde am nächsten Morgen von einem verdutzten Parkgärtner gefunden werden, der ihn wieder auf sein Podest wuchten und etwas über Vandalen murmeln würde. „Wie schade, dass es schon vorbei ist.“, murmelte das kleine Sternchen traurig. Ihm hatte das Fest der Statuen sehr gefallen und es hatte am ausgelassensten mitgetanzt. „Wird bald wieder eine Nacht des blauen Mondes sein?“ Hoffend sah es die anderen Sterne an. Ein alter Stern, dessen Laterne nur noch schwach glimmte, wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. „Das ist schwer zu sagen. Manchmal dauert es nur Monate, bis es eine Nacht des blauen Mondes gibt, und manchmal viele, viele Jahre.“, erklärte er. „Und ob bei der nächsten Nacht wieder die Statuen lebendig werden, weiß ich nicht. In so einer Nacht ist alles möglich, nur der Mond allein weiß, was passiert.“ Das kleine Sternchen blickte neugierig zum Vollmond hinüber, der zufrieden über seinen Zauber lächelte. Als er den Blick des kleinen Sternchens bemerkte, grinste er verschmitzt und zwinkerte. Er würde sich noch etwas Zeit lassen bis zur nächsten zauberhaften Vollmondnacht und bis dahin würde ihm auch wieder etwas Wunderbares einfallen, das er mit seinem bläulichen Schein geschehen lassen könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)