Hot N' Cold von schmoergelmotte ((ehem. Melting)) ================================================================================ Kapitel 15: Ein Herz aus Wackelpudding -------------------------------------- Hallihallo! motti meldet sich pünktlich zur Adventszeit zurück! xD Es ist jetzt nicht unbedingt so, als hätte ich extra darauf gewartet, aber irgendwie... fehlte vorher die Motivation. Daher mach ich es jetzt auch kurz (das nachfolgende Kapitel ist lang genug xD) und wünsch euch viel Spaß beim Lesen ;) Kapitel 15: Ein Herz aus Wackelpudding Photosynthese. Chlorophyll. Die Begriffe kamen ihm bekannt vor. Auf seiner alten Schule, vor Jahren ehe er hierher gekommen war, hatte er diese Begriffe schon einmal im Biologieunterricht gehört – und nicht verstanden. Er wusste lediglich, dass es etwas mit Pflanzen und Licht zu tun hatte. Und mehr interessierte ihn auch nicht wirklich. Doch sein Desinteresse am Unterrichtsstoff war nicht der einzige Grund, warum John Storm nur halbwegs lauschte. Seine Aufmerksamkeit und sein Blick galten nicht der schrumpeligen Alge, die von dem Overheadprojektor an die Leinwand geworfen wurde, sondern dem Hinterkopf des jungen Mannes vor ihm. Dunkelblonde, kurze Haare mit einigen leicht helleren Strähnen, doch auch das nahm John kaum war. Üblich saßen Bobby und er im Unterricht, wenn er denn teilnahm, nebeneinander. Doch diesmal hatte der Eismutant es vorgezogen sich in die Reihe vor John zu setzen – zu Rogue. John konnte nicht behaupten, dass es ihn kalt ließ. Ausgerechnet Rogue. Bobbys Exfreundin. Das Mädchen, das sie sich seiner Meinung nach damals in ihre Freundschaft gedrängt und sie wie eine Schere in zwei Teile zerschnitten hatte, bis sie nur noch von einem kleinen letzten Papierzipfel zusammengehalten worden war. Für John war Rogue der Anfang aller Katastrophen in seiner und Bobbys Freundschaft, doch ihm war auch bewusst, dass er nicht ihr allein die Schuld dafür geben konnte. Denn das Problem lag nicht bei ihr, sondern bei Bobby und vor allem ihm selbst. Es war bereits zwei Tage her, seit er nach ihrer Auseinandersetzung aus der Schule gestürmt war. Seitdem hatte sich ihr Verhältnis zueinander verändert. Natürlich sprachen sie noch miteinander, doch ihre Gespräche waren auf ein Minimum reduziert. Nach außen hin mochte es vielleicht nicht allzu sehr auffallen, doch John spürte genau, dass es nun eine Distanz zwischen ihnen gab, die sie davon abhielt, frei und offen miteinander umgehen zu können. Jedes Wort wirkte wohl gewählt, jedes Lachen aufgesetzt und unsicher. Es ging längst nicht mehr allein um die Gründe ihrer Auseinandersetzung. Fehler hatte jeder von ihnen gemacht. Dass Bobby ihn geküsst und vereist hatte, dass er seine Eltern erwähnt hatte – darüber war John längst hinweg. Ebenso sicher war er sich, dass es auch Bobby nicht mehr um all die – zugegeben – unmöglichen Dinge ging, die John ihm wie schon so oft in einem Anfall von Wut und Zynismus an den Kopf geworfen hatte. Früher hätte John seine Fehler einfach mit einem „Hey sorry, Mann“ abgetan, und Bobby hatte vermutlich etwas wie „Ist schon okay“ geantwortet. Doch in den letzten Tagen war einfach zu viel auf einmal passiert. Sie waren an einem Punkt angekommen, an dem eine halbgare Entschuldigung auch nicht mehr half. Bobby hatte versucht, einen Schritt in diese Richtung zu gehen, doch John hatte nicht mitziehen wollen. Nun lag es an ihm, einen Anfang zu machen. John wusste das. Bobby erwartete keine großen Gesten, keine endlosen Bekenntnisse. Ein aufrichtiges „Es tut mir wirklich Leid“ wäre vielleicht schon ein Anfang. So simpel. Und doch überhaupt nicht so einfach. Als er vor zwei Tagen spätabends vom Astronomieturm zurückgekehrt war, hatte John sich fest vorgenommen, sich zu entschuldigen. Er hatte den Raum betreten und „Hey“ gesagt. Bobby hatte sich zu ihm umgedreht und „Hey“ geantwortet. In seinen Gedanken hatten sich all die Worte gedreht, die John sich auf seinem Weg zu ihrem Zimmer zurechtgelegt hatte, doch keins davon hatte über seine Lippen kommen wollen. Schweigend waren sie ins Bett gegangen. Am nächsten Tag hatten sie so getan, als wäre nichts gewesen, mit dem Ergebnis, dass John nun das Gefühl hatte, sie wären weiter voneinander entfernt als je zuvor. Über die Jahre hatte sich in seinem Innern eine Mauer gebildet; ein Schutzwall, entstanden aus der Angst vor Nähe, die ihn verletzen könnte, und aus Stolz. Lange Zeit hatte er die Mauer gar nicht als solche wahrgenommen, doch nun schien sie so hoch, dass John an manchen Tagen das Gefühl hatte, er könnte nicht einmal den Horizont dahinter sehen. Er hatte keine Ahnung, wo er ansetzen sollte, um das zu vollbringen, was so einfach schien und doch so kompliziert war: den eigenen Stolz zu überwinden und Schwächen zu zeigen und vor allem sie auch zuzugeben. Stattdessen war er dazu verdammt, tatenlos zusehen zu müssen, wie Bobby sich immer weiter von der anderen Seite der Mauer entfernte. Er hatte Angst, ihn irgendwann nicht mehr erreichen zu können. Sehr lange war es her, dass John das letzte Mal solch schwarze Gedanken gehabt hatte. So lange, dass es ihm schwer fiel, sich überhaupt an das Wann zu erinnern. Er hatte sie einfach nicht zugelassen. Seine Mauer hatte ihn davor beschützt. Plötzlich meldete sich verstärkt sein Gewissen. Bekam seine Mauer Risse? Wenn ja, wo war der Spalt, durch den er mal entfliehen konnte? Wenigstens nur für einen kurzen Moment, um sich zu entschuldigen. Er war stets ein Kämpfer gewesen. Er konnte sich durchsetzen. Doch das eigene Selbst war ein harter Gegner. Dabei wollte er einen Schritt auf Bobby zugehen. Er wollte ihre Freundschaft nicht aufgrund von Missverständnissen, Uneinsichtigkeiten und dummen Sprüchen verlieren. Er wollte diese Vertrautheit zwischen ihnen wieder. Er wollte mit Bobby wieder unbefangen Scherze machen. Er wollte mit Bobby vorm Fernseher hängen und sich niveaulose Talkshows reinziehen, um mit ihm über die dummen Gäste herziehen zu können. Er wollte sich mit Bobby im Training auspowern, bis sie nicht einmal mehr genug Kraft hatten, um den kleinsten Muskel zu bewegen – so wie früher. Er wollte Bobby nah sein. Seelisch wie körperlich. Seit Bobby ihm mied, klammerte er sich wie ein Ertrinkender an die wenigen Momente, die sie zusammen verbrachten. Er vermisste ihn. So sehr, dass es manchmal wehtat. So sehr, dass er eifersüchtig wurde, wenn Bobby sich nun neben seine Exfreundin setzte, die ihn im Grunde eigentlich wegen ihm, John, verlassen hatte. Je länger er über seine Gefühle nachdachte, desto deutlicher wurde ihm, dass sie über das Maß des Freundschaftlichen hinausgingen. Sie waren stärker. Bobby war mit dem Gefühl nicht allein. John war mittlerweile klar: auch von seiner Seite aus war da mehr. Doch er war längst nicht bereit, sich selbst einzugestehen, dass er Bobbys Gefühle erwidern könnte. Denn… er und Bobby als Liebespaar? Händchenhaltend in pinken Klamotten? Ihm wurde ja schon schlecht, wenn er nachts versehentlich in Sendungen wie „Queer As Folk“ zappte. Er war nicht schwul. Er war ein Mutant, ein Freak, ja, vielleicht auch ein Arschloch. Nein, ganz sicher war er ein Arschloch. Aber eben nicht schwul. Er stand nicht auf Brad Pitt. Er stand auf Angelina Jolie. Er wollte Brüste und Kurven, keine kratzigen Bartstoppel beim Kuss. Doch wenn er in ruhigen Momenten an eine weniger überdrehte Version von sich und Bobby dachte, verspürte er eine gewisse Sehnsucht, diese Vorstellung in die Realität umzusetzen. Jemand klatschte in die Hände. Das Licht im Raum ging an. John schreckte hoch. Er sah zu Storm, die den Overheadprojektor ausschaltete. War die Stunde etwa schon vorbei? Ein Blick auf die Analoguhr neben der Leinwand verriet ihm, dass es 14:30 Uhr war. Tatsächlich. Kein Wunder, dass er solche Kopfschmerzen hatte. Seine Grübelei war mindestens genauso anstrengend wie Storms Vortrag über die Photosynthese. Er stand auf und sah, wie Bobby vor ihm das gleiche tat. Sein Herz sank tiefer. Heute hatten sie noch kein Wort miteinander gesprochen, abgesehen von einem halbherzigen „Guten Morgen“. Stattdessen hatte er gerade die letzte halbe Stunde damit zugebracht, über ihre Misere nachzudenken. Das musste er ändern. Er spürte wie eine unangenehme Nervosität sich in ihm breit machte, die ihm eigentlich gänzlich unbekannt war. Ebenso sehr wunderte es ihn, dass er sich plötzlich räusperte, was er sonst nie tat. „Hey Bobby“, sprach er den Eismutanten an und war froh, dass seine Stimme ihm noch gehorchte. Sie verfiel automatisch in diesen coolen, lockeren Ton, den er sich über die Jahre angeeignet hatte. Zu seiner Erleichterung blieb Bobby tatsächlich stehen und drehte sich zu ihm um. „Gott sei Dank ist es vorbei, he? Mein Gott, ich wäre fast eingeschlafen!“ Was nicht ganz stimmte. Seine Gedanken hatten ihn ganz gut wach gehalten. Vom Unterricht hatte er dennoch ebenso wenig mitbekommen, als wenn er geschlafen hätte. Aber war es ein neutrales Thema, mit dem man ein Gespräch beginnen konnte – oder auch nicht. Denn Bobbys Gesichtszüge blieben unbewegt. Etwas, das für Bobby eher untypisch war und Johns Nervosität mit einem Schlag zurückkehren ließ. „Ich fand es eigentlich ganz interessant“, entgegnete Bobby. Eine Feststellung. Diesmal jedoch ohne auch nur den Hauch eines Ansatzes, John davon überzeugen zu wollen, dass Mutter Natur einfach faszinierend war. Es war schließlich bei weitem nicht das erste Mal, dass ihre Meinungen zum Unterrichtsstoff so weit auseinander lagen wie Nord- und Südpol. Bobby interessierte sich für die meisten Themen, während John zu 90% alles abgrundtief langweilig fand. Abgesehen natürlich die früheren Technik-Stunden mit Cyclops und die Stunde Ethik mit dem Thema „Gewaltverherrlichung“, in der sie sich als Exempel ein gutes Dutzend Ausschnitte aus diversen Horrorfilmen angesehen hatten. John hatte da seinen Heidenspaß gehabt, während Bobby die meisten Szenen nur abstoßend gefunden und nach einem näheren Sinn hinter all der Gewalt gesucht hatte. „Und was machst du heute noch so?“, fragte John schließlich in einem kläglichen Versuch, das Gespräch in Gang zu halten. Immerhin hatten sie den Nachmittag frei. Bobby schulterte seine Tasche. „Hm, ich wollte mit Kitty an den See. Schlittschuhfahren.“ – und dann, bevor John die Chance hatte, etwas zu erwidern: „Ich würde ja sagen, du kannst mitkommen, aber Schnee und Eis sind ja nicht dein Ding.“ Damit hatte er natürlich Recht, doch so wie er es sagte, klang es, als wollte er John auch gar nicht erst dabei haben. Das traf John wie einen Schlag in den Magen, denn so offensichtlich abweisend hatte Bobby sich in all den Jahren noch nicht gegenüber ihm benommen. Perplex wie er war, brachte John es lediglich fertig zu sagen: „Ach so, ja, okay… dann wünsch ich euch mal viel Spaß.“ Seine Stimme klang nun überhaupt nicht mehr nach dem coolen John, sondern viel mehr merkte man ihr an, dass John sich gerade wirklich hilflos vorkam. Vielleicht war es das, was Bobby für einen Moment bei ihm stehen blieben ließ, doch falls er vorhatte, noch irgendetwas zu John zu sagen, so wurde es durch Kittys Ruf abgebrochen. „Hey Bobby, kommst du jetzt mal?“ John blickte in die Richtung, aus welcher der Ruf gekommen war, und sah Kitty in der Tür zum Unterrichtsraum stehen. Er wünschte ihr, sie würde ins Eis einbrechen. Und Bobby gleich mit. Er fühlte sich so zurückgesetzt und ja, die Eifersucht kochte in ihm. Bobby sollte den Nachmittag mit ihm verbringen wollen und nicht mit Kitty Pirouetten auf dem Eis drehen gehen. „Schön, wenn man immer noch eine Notlösung parat hat, nicht wahr, Bobby?“, kam es zischend aus seinem Mund und sollte irgendjemand Zweifel an Johns Gehässigkeit bekommen haben, so wischte er sie nun allemal weg. Bobbys Gesicht bekam nun einen Ausdruck, doch es war nicht der, den John sich ursprünglich gewünscht hatte. Kein Lächeln. Stattdessen blanke Wut. John spürte, wie es um sie herum deutlich kühler wurde und sah, wie Bobbys Hand und Unterarm sich bläulich färbten. Kein Zweifel, dass die Kälte von Bobby ausging. Seinerseits griff John nun in seiner Hosentasche nach seinem Zippo®-Feuerzeug. Das kühle Metall fühlte sich wie immer beruhigend und stärkend an. „Bobby?!“, ertönte ein weiteres Mal die Stimme von Kitty, die sich wohl zu wundern schien, warum Bobby sich nicht zu ihr bewegte, geschweige denn eine Reaktion auf ihren ersten Ruf zeigte. Die Kälte um sie herum ließ spürbar nach. Johns Finger um sein Feuerzeug entspannten sich ein wenig. Der kühle Ausdruck in Bobbys Blick jedoch blieb. John schluckte, als der Eismutant sich von ihm abwandte und sich zu der wartenden Kitty begab. Mit einem verächtlichen Schnauben stellte er fest, wie Bobby dem Mädchen einen Arm um die Schultern legte. War das jetzt Absicht? Wenn ja, so hatte John das vermutlich verdient. Soeben hatte er sich selbst vom ersten Platz des „Arschloch des Jahres“ geschlagen. Toll, wenn man immer noch eins draufsetzen konnte. Ein stetiges Kratzen war zu hören, als die Kufen über die bläulich-weiße, festgefrorene Eisschicht glitten. Jetzt im Winter war es nicht mehr nötig, den Springbrunnen auf dem Institutsgelände erstarren zu lassen. Seit Tagen waren die Temperaturen kaum über 32°F geklettert, meist hatten sie sich weit darunter befunden und so war der See, der sich zwei Kilometer vom Institut entfernt am Waldrand befand, zugefroren und konnte nun als natürliche Eislaufbahn benutzt werden. Raureif, der sich wie eine dünne Pulverschicht auf dem Eis befand, wirbelte hoch als Kitty an Bobby vorbeisauste. Sie hatte ihm zum letzten Geburtstag Schlittschuhe geschenkt, vermutlich damit er sich nicht mehr Kufen aus Eis an seine Turnschuhe zaubern musste. Und heute sollten diese eingeweiht werden! Doch Bobby hatte das Gefühl, dass er sich in seinen selbstkreierten Schuhen wesentlich wohler gefühlt hatte. Es war nicht so, als würde er jeden Moment das Eis küssen können, er war hier schließlich in seinem Element, doch irgendwie war er nicht ganz bei der Sache. Er war wütend. „Schön, wenn man immer noch eine Notlösung parat hat.“ Johns Worte spukten immer noch in seinem Kopf und er wusste nicht, was ihn mehr erschreckte: die Gehässigkeit, mit der John ihm so etwas an den Kopf werfen konnte oder dass der Feuermutant es überhaupt immer wieder fertigbrachte, solche Kommentare in den Raum zu werfen, selbst die Situation schon angespannt genug war. John wusste von dem Kuss mit Kitty. Es war schon lange her, doch er hatte die Spannungen zwischen Rogue und Kitty durchaus mitbekommen, als er zur Schule zurückgekehrt war. Und natürlich hatte er nachgebohrt. Wie John eben nun mal war. Er wollte ja immer alles wissen – um es dann so wie jetzt gegen Bobby verwenden zu können? Es war bloß ein kleiner Kuss gewesen. Nichts von großer Bedeutung. Zumindest nicht für Bobby und da Kitty sich dazu ebenfalls nicht mehr geäußert hatte, ging er davon aus, dass sie es ähnlich sah. Sie war eine gute, treue Freundin, auf die er sich verlassen konnte, und das gleiche hatte er für sie damals sein wollen. Umso wütender machte es Bobby, dass John über sie sprach, als wäre sie lediglich das Mädchen, auf das Bobby zurückgriff. Klappte es mit Rogue nicht, gab es ja Kitty. Kam er mit John nicht weiter, gab es wieder Kitty – sah John das wirklich so? Bobby ließ sich über das Eis gleiten und schaute zu der jungen Mutantin, die am anderen Ende des Sees über die glatte Fläche jagte. Es tat ihm Leid, dass überhaupt so über sie gedacht wurde. Vermutlich war John da der Einzige, doch Kitty hatte das nicht verdient. Am liebsten hätte Bobby John dafür endgültig in eine lebende Eisstatue verwandelt. Doch es ging nicht nur um Kitty. Es ging auch um ihn. Um ihn und John und die Situation, in der sie gefangen waren. Sie kamen einfach nicht weiter. Manchmal fragte Bobby sich, ob ihre Freundschaft für John so egal war, dass er sie eher in die Brüche gehen ließ anstatt sich zu entschuldigen. Doch Bobby hatte sich geschworen, diesmal nicht nachzugeben. Natürlich, auch er hatte Fehler gemacht. Er hätte John gar nicht erst küssen sollen, und vor allem nicht einfrieren. Und er hätte sich, egal wie provozierend John sein konnte, nicht dazu hinreißen lassen sollen, etwas über dessen Eltern zu sagen. Er bereute es und hatte sich dafür entschuldigt. Doch was war mit all den Fehlern, die John gemacht hatte? Nein, er hatte ihn nicht ohne Vorwarnung einfach geküsst und er hatte auch nicht Bobbys wunden Punkt getroffen, doch er hatte ein Fass, das sich über die letzten Jahre stetig gefüllt hatte, schlagartig zum Überlaufen gebracht.. Irgendetwas sehr Schlimmes musste er in einem früheren Leben verbrochen haben, dass er jetzt damit bestraft wurde, die wohl komplizierteste Person, die er kannte, zu lieben. Er schreckte aus seinen Gedanken hoch, als plötzlich etwas von hinten gegen ihn knallte. Beinahe hätte er sich aufs Eis gelegt, doch zwei Arme legten sich um seinen Oberkörper und zogen ihn wieder in eine aufrechte Position. „Der Sinn des Schlittschuhfahrens ist nicht, nur auf dem Eis zu stehen, Bobby“, hörte er Kittys Stimme neckend hinter sich sagen und konnte kurz darauf ihr Gesicht erblicken, als sie ihn los ließ und um ihn herum stakste, sodass sie sich gegenüber standen. Ihm war gar nicht bewusst geworden, dass sie sich ihm genähert hatte, geschweige denn, dass er selber stehen geblieben war. Als er nicht antwortete, bemerkte er einen besorgten Blick auf Kittys Gesicht und ehe er ihr versichern konnte, dass alles in Ordnung war, sprach sie ihn von sich aus an: „Es ist wegen John, oder? Ich hab gesehen, wie ihr euch im Klassenzimmer unterhalten habt.“ Bobby seufzte leise. Hatten Frauen eigentlich besondere Augen, mit denen sie in die Köpfe anderer gucken und so deren Gedanken erraten konnten? Es war nervig, aber den meisten weiblichen Freunden konnte er nichts verheimlichen. Vielleicht war er auch deshalb schwul geworden? – Dummer Gedanke. „Was hat er denn gesagt?“, fragte Kitty und stupste mit ihren behandschuhten Fingern gegen seinen Unterarm, um ihn zum Reden zu animieren. Bobby schüttelte den Kopf und mied ihren Blick. „Nur wieder Scheiße gelabert.“ Er wollte Johns Worte nicht wiedergeben. Auch wenn er nicht glaubte, dass Kitty dies sonderlich verletzen würde. Sie kannte John immerhin auch schon eine ganze Weile. Dennoch schien sie ihm anzumerken, wie sehr ihn das Gesagte zu beschäftigte. „Nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen, Bobby. Du weißt doch, wie John ist“, riet sie ihm und zog sich ihre bunte Plümmelmütze ein wenig tiefer über die Ohren. Bobby seufzte schwer. Es kostete ihn unheimlich viel Willenskraft, Kitty nicht auf eine Weise anzupflaumen, die er später bereuen würde. Er war so gereizt; wegen Johns Verhalten, wegen der dummen Situation, in die er sich selbst gebracht hatte und weil John einfach John war. Und es ärgerte ihn, dass nun auch Kitty meinte, er sollte das Nachsehen haben. Ausgerechnet Kitty, die doch sonst nicht viel von John und seinen Äußerungen hielt. Als Bobby ihr immer noch nicht antwortete, schien Kitty sich dazu berufen zu fühlen, nun ein tiefgründiges Gespräch über seine Gefühlslage zu führen. Es fiel ihr offenbar nicht leicht, denn er hörte sie tief einatmen, bevor sie zu sprechen begann. „Es…“ – sie schien nicht recht zu wissen, wie sie beginnen sollte. Sie räusperte sich. „Ich mein, du willst doch selbst nicht, dass es so weitergeht, oder? Und er ist eben ein dummer Sturkopf. Du kennst ihn doch.“ Bobby verschränkte seine Arme vor seiner Brust. Es wirkte nicht nur wie eine Abwehrhaltung, es war auch eine. Was wurde das? Eine Beziehungsberatung? Er wollte dieses Gespräch mit Kitty nicht führen. Er hatte sich an diesem Nachmittag vorgenommen, mit Kitty Schlittschuh zu fahren; Spaß zu haben und nicht an John zu denken. Doch der Feuermutant hatte ihm den Nachmittag mit seiner großen Klappe mal wieder gründlich versaut! „Ja, ich kenn ihn“, bestätigte Bobby; seine Stimme klang dabei ungewollt so negativ, dass Kitty zusammenzuckte. Sie steckte ihre Hände in die Taschen ihrer Winterjacke. „Tja, und trotzdem l-liebst du ihn.“ – das Wort „liebst“ klang zögerlich, als käme es ihr selbst komisch vor, es auszusprechen. Bobby fühlte mit einem Mal ein mulmiges Gefühl in seinem Magen. Natürlich war er sich seiner Gefühle zu John längst bewusst, doch es war das erste Mal, dass jemand anders sie aussprach. „Frag mich manchmal, warum eigentlich…“, brummelte er und starrte an Kitty vorbei zu den im Winter trostlos aussehenden Bäumen am Waldrand. „Bobby, das fragen wir uns alle!“, meinte sie in einem möglichst trockenen Ton, doch ihr Grinsen verriet, dass sie ihn bloß necken wollte. Sie schlug ihn mit einer Hand auf den Oberarm und entlockte ihm damit ein schwaches Lächeln. Bobby hatte sich bisher keine Gedanken darüber gemacht, wie Kitty wohl darüber denken mochte, dass er plötzlich auf einen Jungen stand. Doch sie schien dem nicht allzu negativ gegenüber zu stehen. Und wenn doch, so zeigte sie es ihm zuliebe zumindest nicht und allein dafür war Bobby dankbar. Überhaupt hatte Bobby das Gefühl, das Interesse an ihm und John hätte wieder nachgelassen. Ab und zu begegneten ihnen noch neugierige, merkwürdige Blicke einiger Mitschüler, doch die dummen Sprüche und nervigen Befragungen blieben aus. Sicherlich auch etwas, was er seinen Freunden zu verdanken hatte. Er gab sich Mühe, Kitty nun ein breiteres Lächeln zu schenken. Sie erwiderte es ihrerseits. „Red doch einfach noch mal mit ihm“, schlug sie ihm vor, doch Bobby schüttelte nur den Kopf. „Ich bin ihm schon oft genug hinterher gelaufen.“ „Hm, diesmal würdest du nicht hinterherlaufen, sondern einen Schritt auf ihn zugehen. Das ist etwas anderes.“ Bobby schwieg für einen Moment. Doch wirklich nachdenken über ihre Worte wollte er nicht. Er hatte sich entschlossen, diesmal John den ersten Schritt machen zu lassen. Warum sollte er sich selbst zum Deppen machen? Er hatte sich bereits entschuldigt und versucht, mit dem Feuermutanten zu sprechen. „Weißt du, irgendwann muss auch mal von ihm was kommen“, meinte er und klang dabei endgültig, sodass Kitty bewusst wurde, dass sie ihn nicht umstimmen konnte. Sie zuckte mit den Schultern. „Deine Entscheidung.“ Bobby nickte. Schließlich schlug Kitty ihm erneut gegen die Oberarm. „Komm schon, wir waren eigentlich fürs Eislaufen hier. Wer zuerst am anderen Ende des Sees ist, hat gewonnen.“ „Und was ist der Preis?“ „Das erzähl ich dir, wenn ich angekommen bin!“, erwiderte sie schelmisch und drehte sich mit einem Mal um, um los zu laufen. Bobby hatte seine liebe Mühe, noch hinterher zu kommen. Natürlich hatte er Kitty nicht mehr einholen können. Einen Gewinn hatte sie dennoch nicht eingefordert. Nun saß er im Wohnzimmer, das früher oft von Xavier für Besprechungen benutzt wurde. Soeben hatte er für sich entschlossen, dass er als älterer Schüler durchaus das Recht hatte, den Fernseher in diesem Raum zu benutzen. Es war zwar nicht wirklich verboten, aber die meisten Schüler sahen im Gemeinschaftsraum fern. Dieser wirkte um diese Zeit – ein Blick auf die Uhr verriet, dass es bereits nach 10 p.m. war – zwar meist ausgestorben, doch Bobby konnte im Moment gut auf die Gesellschaft seiner Mitschüler verzichten. Er griff nach der Fernbedienung und ließ sich auf dem Sofa nieder. Es wunderte ihn kaum, dass er auf einem Nachrichtenkanal landete. Dort stritt man sich gerade über Truppeneinsätze im Nahen Osten. Kaum hatte sich das Mutantenproblem weitestgehend gelöst, hatte die „normale“ Menschheit wieder Zeit, sich untereinander zu bekriegen. Bobby zappte weiter und sank dabei tief ins Polter. Seine Hand strich über seinen Bauch, der ihn mit einem unwohlen Völlegefühl plagte. Er hatte nicht allzu viel gegessen, doch angesichts der Tatsache, dass er im Moment kaum Appetit hatte, war es beim Abendessen wohl doch noch zu viel gewesen. John und er hatten am Tisch so weit wie nur eben möglich voneinander entfernt gesessen. Bobby konnte nicht behaupten, sich dabei wohl gefühlt zu haben. Die Spannungen waren über den Tisch hinweg deutlich spürbar gewesen. Flüchtig schaute er auf das flimmernde Bild im Fernsehen: eine Musiksendung über Rock-Hits der 70er- und 80er-Jahre, in der gerade „Jump“ von Van Halen vor sich hin dudelte. Bobby musste zugeben, die Blicke genossen zu haben, die John ihm während des Abendessens immer wieder zugeworfen hatte. Zu gern hätte er vielleicht ein Wort mit ihm gewechselt, doch warum sollte er? Dafür gibt es zig gute Gründe, erinnerte er sich selbst in Gedanken und verfluchte sich dafür, nun ins Zweifeln zu geraten. Kittys Ratschlag spukte ihm immer noch im Kopf, doch er konnte sich nur schwerlich mit ihm anfreunden. Immerhin hatte er John doch klar gemacht, dass er für ein Gespräch offen war, oder nicht? Und es war nicht zu viel verlangt, auch mal den Feuermutanten den ersten, unangenehmen Schritt des Anfangs machen zu lassen, fand er. Es enttäuschte ihn, dass John bisher nicht einmal versucht hatte, ihn anzusprechen. Stattdessen ruhte er sich vermutlich wieder auf der Sonnenseite des Lebens aus, in der Annahme, Bobby würde schon irgendwann wieder auf ihn zugehen. Aber nein, diesmal nicht! Soll er ruhig sehen, wie er da selber rauskommt, dachte Bobby sich bissig und umschloss die Fernbedienung ein wenig fester. Er spürte wieder Wut in sich aufkommen. Ein Teil von ihm wollte John durchaus leiden sehen; wollte, dass er sich abstrampelte, um Bobby von seiner Reue zu überzeugen. Insofern John überhaupt etwas bereute. Ein anderer Teil in ihm wollte jedoch einfach nur Frieden schließen, denn die Spannungen zwischen ihnen fingen langsam an, ihn zu zermürben. Er spürte ein krampfhaftes Ziehen in seinem Magen. Vielleicht war die gefühlte Tonne Eiscreme, die er heute aus Frust – mal wieder – in sich reingeschaufelt hatte, doch keine so gute Idee gewesen. Kein Wunder, dass er beim Abendessen keinen Hunger mehr gehabt hatte. Er ließ sich noch tiefer ins Polster sinken und legte die Füße auf den Tisch; hoffentlich würde Storm ihn nun nicht dabei erwischen. Mit einem Blick an die Zimmerdecke fragte er sich, ob er vielleicht zu hart war. Doch die Holzbalken schienen ihm keine Antwort zu geben. Stattdessen ertönte aus dem Fernseher die Stimme von Lou Gramm: „You’re as cold as ice.“ – Ja, danke! Missmutig starrte Bobby auf den Fernseher und betätigte dann demonstrativ den ON/OFF-Knopf auf der Fernbedienung – Stille. Er hatte auf eine göttliche Eingebung gewartet, nicht auf Foreigner. Vielleicht war das aber auch Gottes Art, ihm zu zeigen, dass er im Moment dieselbe Sturheit an den Tag legte, die ihn bei John so in den Wahnsinn trieb. Seufzend raufte er sich die Haare. Es war doch nicht so, als würde er neben John stehen und diesem dabei zusehen, wie er sich zu Tode strampelte, nachdem er ins Eis eingebrochen war. Er wollte doch nur eine Entschuldigung. Wenn er nun aber an Johns verletzten Blick dachte, als er ihn auf seine Eltern angesprochen hatte und die abweisende Haltung auf dem Astronomieturm, kam er sich vor wie ein Monster. Bobby rollte die Augen. Nein, du hast kein Herz aus Eis. Dein Herz ist aus Wackelpudding, Bobby, resignierte er in Gedanken. Er war einfach viel zu weich. Warum bekam er jetzt Mitleid mit John, obwohl dieser ihn die Tage zuvor schikaniert hatte? Die Antwort war ihm eigentlich klar: tief im Innern wusste er, wie schwer es John fiel, sich aufrichtig für etwas zu entschuldigen oder überhaupt etwas zuzulassen, das hinter seine Fassade des „coolen Johns ohne schwächliche Gefühle“ ging. Doch musste Bobby sich deshalb immer alles gefallen lassen? War es nur deswegen jetzt wieder an ihm, ihren Streit abzuhaken, wie eine Mutter, die ihrem pubertierenden, aufsässigen Kind alles verzieh? Bobby strich sich über die geschlossenen Augenlider. Seine Zweifel frustrierten ihn. Er war hin und her gerissen, zwischen der Möglichkeit, zu John zu gehen und einen Anfang zu machen und seinem Stolz, der sich nun einmal in die Idee gesteigert hatte, diesmal abzuwarten. Gott, ich glaub, ich brauch Vanilleeiscreme. Sein Magen gab ein blubberndes Geräusch von sich, als wollte er sagen: Bloß nicht! Aber Eiscreme war sein Allzweckheilmittel gegen jedwede Seelenkrankheit. Ich muss ja nicht wieder so viel essen…, meinte er eher halbherzig zu sich selbst, als er aufstand. Sein Magen gab erneut ein ungutes Geräusch von sich. Übersetzt sollte es wohl so etwas heißen wie: Nicht mal einen Löffel, sonst streik ich! Bobby stand auf und gab ein erneutes, schweres Seufzen von sich. Vielleicht diesmal Schokoladeneiscreme. Sein Magen verstummte. War Schokoladeneiscreme gut oder war er in eine Schockstarre verfallen? Vermutlich das Zweite. Aber Bobby war sich sicher: Man sagte, Schokolade macht glücklich. Und Eiscreme machte ihn glücklich. Da konnte bei Schokoladeneiscreme doch gar nichts mehr schiefgehen! Mit einem erschöpften Seufzen zog John Allerdyce einen Teller aus dem Spülbecken und legte ihn auf den Stapel links neben ihm. Wie auch schon den Abend zuvor musste er Storms Strafe abarbeiten, weil er sich unerlaubt mit dem Wagen vom Schulgelände entfernt und diesen dann auch noch irgendwo draußen stehen gelassen hatte, weil ihm der Sprit ausgegangen war. Er blickte auf seine Hände, die bereits so schrumpelig waren, wie sie sich anfühlten. Storm hatte doch keine Ahnung, was sie ihm hiermit antat! All die Teller, Töpfe, Schüsseln, Gläser, das Besteck für so viele Schüler… – es war ja nicht so, als hätten sie keine Spülmaschine. Doch diese durfte John natürlich nicht benutzen. Gestern hatte es ihn um die zwei Stunden gekostet, bis er endlich fertig war. Nun war es schon nach 10 p.m. und er war immer noch nicht fertig. Zwar näherte er sich langsam dem Endspurt, doch er musste die Sachen auch noch abtrocknen und einräumen. Hätte er nicht nach dem Essen fast eine dreiviertel Stunde damit verschwendet, über sich und Bobby zu sinnieren, könnte er schon längst in seinem Zimmer sein und an die Decke starren, … um dabei, nun ja, weiter über sich und Bobby zu sinnieren. John seufzte und nahm den Spüllappen wieder in die Hand, schruppte damit angewidert über einen besonders verdreckten Teller, an dem sich Soßen-Reste festgeklebt hatten. Oder wohl eher eingebrannt!; denn er rubbelte und rubbelte, doch die Flecken waren hartnäckig und wollten kaum nachgeben. „Steck den Teller noch mal ins Wasser, dann kann das einweichen“, vernahm er plötzlich eine Stimme hinter sich und beinahe hätte John den Teller fallen gelassen. Über seine Schulter blickend sah er Bobby am Türrahmen lehnen. „Wie lange stehst du schon da?“ Bobby stieß sich vom Türrahmen ab. „Lange genug, um deinen Kampf mit der Tomatensoße zu beobachten.“ John hatte irgendwie ein Lächeln erwartet, vielleicht ein mattes Grinsen, doch in Bobbys Gesicht regte sich nichts. Selbst seine Stimme klang ähnlich emotionslos. Die braunen Augen folgten dem Eismutanten, als dieser sich zum Kühlschrank begab und das Gefrierfach öffnete. Er nahm einen kleinen Pott mit Schokoladeneiscreme heraus. John rollte mit den Augen. Er selber mochte ebenfalls Eis, doch Bobbys Konsum war in der Tat unnatürlich. Dass der davon nicht fett wird! Er erwartete, dass sich nun vielleicht ein Gespräch zwischen ihnen entwickeln würde, doch Bobby schien den Eisbecher interessanter zu finden als ihn. Na klasse… John wandte sich wieder zu seinem mammuthaften Berg an schmutzigem Geschirr (in Wahrheit war es gar nicht mehr so viel, aber er konnte einfach keine dreckigen Teller mehr sehen). Bobbys Schweigen trug nicht gerade dazu bei, seine aufkommende Verzweiflung angesichts dieser nicht enden wollenden Arbeit zu mildern. Unmotiviert tauchte er den Teller mit der Tomatensoße in das Spülbecken und hielt ihn dabei so verkrampft unter Wasser, als hätte er ihn zu seinem persönlichen Feind auserkoren. Doch in Wirklichkeit ging es ihm nicht um diesen hartnäckigen Fleck auf dem Teller. Er konnte die Spannung im Raum spüren, seit Bobby ihn betreten hatte. Zu gerne wollte er etwas sagen, doch er wusste nicht was. Alles hörte sich in seinen Ohren so dumm und belanglos an, dass er gar nicht erst wagte, es auszusprechen. Früher hätte er sich um so etwas nie Gedanken gemacht. Er sprach für gewöhnlich immer frei nach Schnauze, aber in dieser Situation hatte er Angst, es bloß zu vermasseln. Diese Unsicherheit kannte er nicht und sie machte ihn fertig. Der Teller rutschte ihm aus der Hand. John stöhnte leise. Hinter sich konnte er Bobby seufzen hören. Vermutlich rollte dieser gerade seine Augen, doch er sagte nichts. Wahnsinnig hilfreich bist du da, Bobby Drake, zischte er ihm gedanklich zu. Er fühlte sich von dem Eismutanten beobachtet, doch als er sich zu ihm umwandte, blickte dieser bloß in eine Zeitschrift, die auf der Küchentheke lag und schaufelte dabei das Schokoladeneis in sich. Erstick doch dran! Er fischte den Teller wieder aus dem schaumigen, vom Fett schon glibberigen Wasser und stellte widerwillig erfreut fest, dass der Fleck sich im Wasser aufgeweicht und nahezu selbstständig gelöst hatte. Wenigstens etwas! Verspannt blickte er zu dem restlichen schmutzigen Geschirr und nahm sich einen weiteren Teller vom Stapel. Er hatte immer noch das Gefühl, Bobbys Blick in seinem Rücken zu spüren, doch er wandte sich nicht ein weiteres Mal um. Dass der Barhocker an der Theke über die Fliesen geschoben wurde, nahm er nur unterschwellig wahr. Zu sehr war er mit dem Teller in seiner Hand beschäftigt, und damit, möglichst nicht über Bobby nachzudenken. Entsprechend erschrak er, als er ihn plötzlich aus den Augenwinkeln neben sich stehen sah. Fast hätte er wieder einen Teller fallen lassen. Diesmal wäre er jedoch nicht im Spülbecken gelandet. John blickte auf Bobbys Hand, die sich ihm geöffnet entgegen streckte, ehe seine Augen zu dessen Gesicht wanderten. Bobby sah resigniert aus, so als hätte er irgendetwas aufgegeben – oder vielleicht konnte er es auch bloß nicht mehr ertragen, John beim Spülen zuzusehen. Zugegeben, in Haushaltsangelegenheiten war er nicht gerade vorzeigbar. „Gib schon her“, meinte Bobby auf den Spüllappen deutend. Es war das erste Mal, dass er mit John sprach, seit er das Klassenzimmer verlassen hatte. John schluckte. „Du brauchst mir nicht helfen.“ Er konnte das hier auch allein. Er brauchte keine Almosen. Andererseits, wenn er sich den Stapel schmutzigen Geschirrs neben Bobby genauer ansah und an den noch größeren Stapel sauberen Geschirrs hinter sich dachte, der teils noch abgetrocknet und in die Schränke sortiert werden wollte, wusste er, dass er ein wenig Hilfe ganz gut gebrauchen könnte. Kapitulierend reichte er Bobby das Spültuch und wich einen Schritt zur Seite. „Das ist reiner Eigennutz“, meinte Bobby, wohl zu sich selbst nickend und nahm einen weiteren Teller vom Stapel. „Eigennutz?“ „Äh… ja.“ – Bobby zögerte einen Moment, dann sprach er weiter: „Nicht, dass du noch Albträume über schmutziges Geschirr bekommst. Dann wälzt du dich die ganze Nacht von links nach rechts und ich kann nicht schlafen.“ Johns Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. Das war eine der faulsten Ausreden, die er jemals gehört hatte. Doch es fühlte sich verdammt gut an, dass Bobby ihm nun half. „Du könntest abtrocknen, John.“ Der Feuermutant schreckte hoch. Das war ihm irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen. „Ja, … klar!“ Er schnappte sich ein Handtuch und stellte zufrieden fest, dass ebenso wie gestern die meisten Teller und Töpfe bereits getrocknet waren. Also entschied er sich, damit anzufangen, diese schon mal in die Schränke zu räumen. „John?“ Bei der Nennung seines Namens zuckte er innerlich zusammen. Erwartungsvoll drehte er sich zu Bobby um, doch dieser schenkte ihm nur einen höchst irritierten Blick. „Nur mal so ne Frage… hast du all das mit demselben Wasser gespült?“ John nickte. „Klar.“ Bobby zog die Augenbrauen hoch und aus irgendeinem Grund blickte er höchst skeptisch und ein wenig angewidert ins Wasser. John kräuselte die Stirn. War daran jetzt irgendetwas falsch gewesen? Bobby murmelte undeutlich etwas vor sich hin, doch John meinte so viel wie „na, auf die letzten zehn Teller kommt es auch nicht mehr an“ verstehen zu können. Vielleicht hätte er das Wasser zwischendurch mal wechseln sollen? Die Idee war ihm gar nicht gekommen. Im Nachhinein kam es ihm aber gar nicht so dumm vor, wenn er bedachte, wie schmierig und schmutzig das Wasser bereits nach den ersten Minuten gewesen war. Doch das Spülwasser und das Geschirr interessierten ihn gerade reichlich wenig. Innerlich wollte er schon in Höchststimmung auflaufen. Dass Bobby ihm half, erleichterte ihn ungemein. Es nahm ihm zwar nicht gänzlich diese nervige Unsicherheit, doch es war schon mehr, als sie die letzten Tage vollbracht hatten. So wütend konnte Bobby also nicht mehr sein, oder? Die Tatsache, dass sich dadurch nicht ihre momentanen Probleme lösten, verpasste ihm allerdings einen Dämpfer. Er räumte die Töpfe in den Schrank und schloss die Tür. Nachdenklich kehrte er zu Bobby zurück, nahm sich erneut das Handtuch und begann, die verbleibenden Teller und Gläser abzutrocknen. Sie arbeiteten einige Augenblicke schweigend vor sich hin, ehe John plötzlich in seinen Bewegungen innehielt. Seine Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Das hier war seine Chance! Er sollte sie nutzen. Doch er wollte es nicht vermasseln; wie sollte er bloß anfangen? Er spürte Bobbys verwunderten Blick auf sich. „Was ist los?“ Du musst was sagen, ermahnte John sich und atmete tief ein, während er sich zu Bobby drehte. Sein Herz schlug schnell gegen seine Brust; ein Klumpen bildete sich in seinem Hals und er holte ein weiteres Mal tief Luft, als wollte er sich davon befreien. Sein Hals fühlte sich mit einem Mal kratzig und schwer an. „Es… es tut mir Leid, … was ich gesagt habe“, purzelten die Worte plötzlich stockend aus seinem Mund. „Und auch… wie ich dich behandelt hab.“ Schweigen. Das war es jetzt gewesen? Für die mickrigen 15 Worte hatte er sich die letzten beiden Tage abgemüht und fast graue Haare vom Grübeln bekommen? War ja jetzt gar nicht so schwer, gestand er sich anerkennend und musste aufpassen, dass er vor Erleichterung nicht gleich in Ohnmacht fiel. Auch Bobby sah ein wenig so aus als, als hätte man ihm soeben eröffnet, dass Hank und Wolverine in Wahrheit Frauen waren und eine lesbische Beziehung führten. Er blickte John vollkommen perplex an und stand so schockgefroren da, als könnte er kaum fassen, was er soeben gehört hatte. John war ebenso erstaunt über sich selbst. Er hätte niemals gedacht, dass er es fertigbringen würde, diese Worte zu sagen. Doch mit einem Mal hatte sein Hirn ausgesetzt und die Worte waren einfach aus seinem Mund gekommen. Wie war das passiert? Er wusste es nicht. Er hatte sich nur so erleichtert, so beflügelt gefühlt, als Bobby ihm plötzlich seine Hilfe angeboten und ihm damit gezeigt hatte, dass die Distanz zwischen ihnen doch nicht unüberbrückbar war. Bobby war einen Schritt auf ihn zugegangen. Offensichtlich bedurfte es manchmal Hilfe von der anderen Seite der Mauer, um sie zum Bröckeln zu bringen und den Stolz zu überwinden. „O-okay“, entkam es Bobby und er schien fast fragen zu wollen, ob John dies noch mal wiederholen könnte, doch er tat es nicht. Und John war froh darum, denn er war sich nicht sicher, ob er es noch mal geschafft hätte. Irgendwie wartete John innerlich auf eine Antwort von Bobby, doch dieser schien nichts sagen zu wollen oder zu können. Er wandte sich offenbar lieber wieder dem Spülbecken zu. John fühlte sich unbehaglich. Er hatte das Gefühl, noch etwas sagen, mehr erklären zu müssen, doch es war ihm schon schwer genug gefallen, sich zu entschuldigen. Das auszuführen, brachte er nicht über sich. „Ich meine es ernst“, beteuerte er und konnte die Unsicherheit in seiner Stimme nicht ganz verstecken. Bobby blickte auf und drehte seinen Kopf zu ihm. Er mühte sich ab, John ein Lächeln zu zeigen. „Ich weiß.“ Er schlug John mehrmals federleicht auf die Schulter, als wollte er ihm versichern, dass alles in Ordnung war. John entspannte sich ein wenig. Bobbys Berührung fühlte sich gut an. Doch als Bobby sich wieder dem Spülen zuwandte, hatte er das Gefühl, seine Entschuldigung würde nicht genügen, um die Situation zwischen ihnen zu kitten. Er versuchte sich darauf zu besinnen, warum in den letzten Wochen so viel zwischen ihnen falsch gelaufen war und kam bei dem Kuss an, den Bobby ihm so unvorhersehbar aufgedrückt hatte. Er war so wütend gewesen. Doch seitdem hatte er viel über diese flüchtige Berührung ihrer Lippen nachgedacht und sich gefragt, wie es sich wohl angefühlt hätte, wenn er darauf vorbereitet gewesen wäre. Sein Blick wanderte zu Bobby, der nun den letzten Teller aus dem Wasser zog und nach dem Schrank über der Spüle griff, um die Trinkgläser einzuräumen. Dann hielt er in seiner Bewegung inne. Er drehte sich ein wenig, sein Blick fiel auf seinen Ellenbogen. Als John diesem Blick folgte, sah er, dass er wohl ohne es zu bemerken seine Hand auf Bobbys Arm gelegt hatte. Sie sahen beide wieder auf und ihre Blicke begegneten sich. John spürte, wie sein Herz begann schneller gegen seine Brust zu schlagen und sich in seinem Magen ein nervöses Gefühl breitmachte. „Ich mein es wirklich ernst“, versicherte er ihm ein weiteres Mal mit Nachdruck. Bobby wirkte immer noch recht irritiert, doch seine Lippen zeichneten ein leichtes Lächeln, das nun authentischer wirkte als zuvor. „Ja, ich glaub dir das.“ Falls er noch etwas hinzufügen wollte, so verstummte er nun, als John ihm näher kam. Ohne darüber nachzudenken legte der Feuermutant seine Hand in Bobbys Nacken. Bobby war nur unwesentlich größer als er, doch die paar Zentimeter zog John ihn zu sich herunter. Ehe einer der beiden darüber nachdenken konnte, was hier geschah, lagen ihre Lippen aufeinander. Das Gefühl war elektrisierend, doch verschwand auch ebenso schnell wieder, als Bobby überrascht zurückzuckte. John vernahm ein schmerzerfülltes Stöhnen von seinem Gegenüber. Bobby hatte sich offenbar den Kopf an der geöffneten Schranktür gestoßen. So dumm es in dieser Situation wirkte, John musste sich wirklich zusammenreißen nicht loszulachen, als er Bobbys zerknirschtes Gesicht sah. Die Augenbrauen des Eismutanten waren zusammengezogen, die Hand auf die schmerzende Stelle an seinem Hinterkopf gepresst. „Du willst mich küssen und ich ende im Eis. Ich will dich küssen und du stößt dir den Kopf. Wir müssen etwas falsch machen, Drake, wenn sich einer von uns immer weh tut“, platzte es fast schon amüsiert aus ihm heraus. Wäre er in diesem Moment innerlich nicht viel zu aufgeregt, würde er sich vermutlich beglückwünschen, dass „Old Bad Boy John“ seinen Weg zurück gefunden hatte – oder zumindest seine große Klappe. Bobby schenkte ihm ein trockenes „Ha ha“ und zog einen Mundwinkel hoch. Offensichtlich tat sein Kopf wirklich weh. John jedoch konnte dies nicht trüben. Er griff an dem anderen vorbei und schloss die Schranktür, trat dabei wieder einen Schritt näher an den Eismutanten heran. Die Nähe zwischen ihnen wirkte anregend. Die Luft knisterte. Bobby hob seinen Blick langsam wieder, um den von John zu treffen. Seine Hand sank langsam von seinen Kopf hinab. John hatte das Gefühl, ihm würde die Luft wegbleiben. Er schluckte trocken, ehe er sich abermals vorlehnte und seine Hand wieder in Bobbys Nacken legte, wo sie auf die es Eismutanten traf. Ihre Lippen trafen aufeinander und lagen für einen Moment dicht aneinander gepresst. John entkam ein leises Seufzen, doch es fühlte sich an, als würde mit einem Mal alle Luft aus seinen Lungen gepresst. Er löste sich kurz wieder von Bobby, lediglich wenige Millimeter, um ein wenig Atem zu bekommen. Dann vereinte er ihre Lippen erneut miteinander. Er begann seine Lippen zu bewegen, spürte wie Bobby dies nach wenigen Augenblicken erwiderte. Sein Herz überschlug sich fast. Er spürte Bobbys Hand auf seinem Rücken. Er lehnte sich vor. Der Kuss intensivierte sich. Ihre Lippen küssten einander zärtlich, jeder versuchte den anderen ein wenig zurückzudrängen und die Dominanz zu wahren. Bobbys Lippen fühlten sich kühl an, aber weich und samtig. John spürte wie Bobbys Finger ihren Griff ein wenig verstärkten und ihn näher an den Eismutanten zogen. Atemlos löste er ihren Kuss langsam und öffnete seine Lider, von denen ihm gar nicht bewusst gewesen war, dass er sie halb geschlossen hatte. Bobbys Wangen wirkten leicht gerötet und John hatte das Gefühl, ihm ging es nicht anders. Zumindest war ihm recht warm geworden. Sich auf die Lippen beißend spürte er plötzlich wieder diesen Klumpen in seinem Magen. „Wow“, murmelte er leise. Mit einem Mal wusste er nicht mehr, ob es wirklich richtig gewesen war, Bobby zu küssen. Er konnte nicht einmal einschätzen, was er bei diesem Kuss empfunden hatte. Ihm war bewusst, dass er diesen Kuss initiiert und bestärkt hatte, doch alles in ihm schien plötzlich so taub zu sein. Mit einem Mal fühlte er sich nicht mehr sonderlich wohl in der Gegenwart des anderen. „Ähm…“ Er hatte das Gefühl, etwas sagen und diesen Kuss erklären zu müssen, doch ihm fiel nichts ein. Instinktiv trat er einen Schritt von Bobby zurück. In dem Blick des anderen sah er die gleiche Verwirrung, die er auch selbst fühlte. Fahrig strich er sich über das mit einer Gelschicht an den Kopf gepappte Haar. Bobbys Anwesenheit wirkte erdrückend. Er fühlte sich unwohl und wollte raus hier. Alles in ihm schrie nach Flucht. Und Bobby schien zu überrascht, um reagieren zu können. „Mir fällt gerade ein, ich hab in unserem Zimmer die Heizung noch gar nicht angemacht!“, sagte John schnell und ging zwei weitere Schritte rückwärts. Er sah Bobby die Stirn runzeln. „Ich… ich denke, ich geh eben schnell und dreh sie auf. Ist ja so kalt draußen… und so“, erklärte John hastig und zögerte noch einen unschlüssigen Moment lang, ehe er sich umdrehte und sich eilig aus der Küche entfernte. Bobby starrte ihm ungläubig hinterher. Was war das denn nun gewesen? Seine Lippen fühlten sich merkwürdig fremd an, seine Brust war schwer. Tief atmete er ein, doch so recht wollte er nicht zu Luft kommen. Er drehte sich wieder, um sich mit den Händen auf die Theke stützen zu können. Dabei fiel das saubere, teils noch mit Wasser und Schaum bedeckte Geschirr in seinen Blick. „Na toll“, murmelte er seufzend. John würde wohl kaum wieder kommen. Resignierend griff er nach dem Handtuch und begann damit, die noch nassen Sachen abzutrocknen. Ermattet machte Bobby sich zurück auf den Weg in sein und Johns Zimmer. Seine Hände fühlten sich so schrumpelig an, als wären ihm Schwimmhäute gewachsen. Bis zum Frühstück wollte er jedenfalls keine Teller und Tassen mehr sehen, nicht einmal einen Löffel! Er konnte durchaus verstehen, warum John gestern Abend so entnervt und schweigend in ihr Zimmer zurückgekehrt war. Spülen, Abtrocknen, Einräumen – das war auch nicht sein Traum-Job. Aber es war Johns Strafe, nicht seine. Doch Bobby versuchte nicht einmal, dem Feuermutanten ernsthaft böse zu sein. Er hatte heute Nachmittag bereits gemerkt, dass er sich nicht dazu eignete, andere Leute zappeln zu lassen oder ihnen gar die kalte Schulter zu zeigen. Seine Gefühle fuhren mit ihm Achterbahn. Daher war ihm auch jetzt schon klar, dass John ihn vermutlich gleich einfach nur einmal scheel angrinsen musste und schon würde er wieder vergessen, warum er eigentlich wütend auf ihn sein wollte. Du bist zu gutherzig, Bobby, einfach zu gutherzig, sagte er sich selbst innerlich seufzend und setzte seinen Weg fort. John derweil hatte die Zeit mit etwas sehr Sinnvollem verbracht: aus dem Fenster zu starren und dabei nachzudenken – etwas, das er in letzter Zeit ja ach-so-selten getan hatte! Könnte glattweg sein neues Hobby werden, wenn es mal zu etwas Produktivem führen und nicht immer nur Kopfschmerzen verursachen würde. Dass er Bobby dem Geschirr überlassen hatte, kümmerte ihn reichlich wenig. Um ehrlich zu sein, war es ihm nicht einmal aufgefallen, als er Hals über Kopf aus der Küche gestürmt war. Ihm war klar, dass dies nicht sonderlich nett war, doch er hatte Bobbys Nähe einfach nicht mehr aushalten können. So komisch es klang, der Kuss mit Bobby hatte ihm Angst gemacht. Und dabei hatte er ihn selbst gewollt und die Initiative ergriffen. Wenn er jetzt im Nachhinein darüber nachdachte, bescherte es ihm augenblicklich ein kribbelndes, warmes Gefühl in der Magengegend. Es hatte sich toll angefühlt, Bobbys Lippen an seinen eigenen zu spüren. Und vielleicht war es genau das, was ihm solche Angst machte. Der Kuss hatte ihm gefallen. Aber was bedeutete das? War Bobby bloß einfach gut im Küssen oder hieß das, er war schwul? John war sich durchaus im Klaren darüber, dass er für Bobby mehr empfand als nur Freundschaft und auch, dass dieser Kuss nicht bloß so aufregend gewesen war, weil er neu war. Doch warum sollte er sich plötzlich für einen Jungen interessieren? Und dann ausgerechnet auch noch für Bobby, den er seit Jahren kannte. Er hatte ja nicht einmal das Gefühl, für Bobby großartig anders zu empfinden als sonst. John raufte sich die Haare, welche nassfeucht an seinem Kopf klebten, in einzelnen Strähnen aber immer wieder in sein Gesicht rutschten. Es war verrückt. Zum einen wollte er nichts lieber, als Bobbys Nähe und zum anderen wünschte er sich, er könnte ewig vor ihm davonlaufen. Seine Gefühle überforderten ihn. Sich das einzugestehen, fiel ihm schon schwer. Die Möglichkeit aber, dass er schwul war oder zumindest bisexuell, kam ihm so weit hergeholt vor, dass er nicht verstand, was genau er nun an Bobby fand. Das ist doch alles Scheiße, verfluchte er sich und das Gefühlschaos, in dem er sich befand. Lethargisch blickte er aus dem Fenster. Er zuckte nicht einmal zusammen, als sich die Tür öffnete. Auch ohne sich umzudrehen, wusste er, dass es Bobby sein musste. Bobby entdeckte John auf der breiten Fensterbank sitzend. Offensichtlich blickte er hinaus in die Dunkelheit des Schulgeländes, doch Bobby bezweifelte, dass John mehr sehen konnte, als die Reflexion seiner Selbst, die sich aufgrund der Beleuchtung im Zimmer im Fenster spiegelte. Er schloss die Tür hinter sich und starrte auf Johns Rücken. Er erwartete eine Erklärung für all das, was in der Küche passiert war. Dass John sich entschuldigt hatte, war schon wie ein kleines Weltwunder gewesen. Er hatte die Hoffnung ja schon beinahe aufgegeben, so etwas jemals aus Johns Mund zu hören, doch die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Doch der Kuss? Bobby konnte sich kaum einen Reim darauf machen. Ein kleiner Teil in ihm hoffte natürlich, dass John die gleichen Gefühle empfand wie er auch. Doch der größere Teil in ihm war verwirrt. John hatte schließlich bisher nicht einmal ansatzweise etwas in der Richtung angedeutet, zumindest nichts, was für Bobby ersichtlich gewesen wäre. Und nun dieser Kuss; nicht bloß ein kleines Küsschen, sondern ein richtiger Kuss. Natürlich könnte Bobby sich jetzt sagen, es war genau das, was er gewollt hatte und ja, in gewisser Weise war es das auch. Der Kuss war toll gewesen. Viel mehr wollte er aber nun Klarheit. Als er jedoch nun so auf Johns Rücken starrte, wurde ihm klar, dass dieser sich vermutlich wieder in Schweigen hüllen würde. Warum sollte er ihn auch jemals an seiner Gedanken- und Gefühlswelt, – von der Bobby wenigstens ausging, dass John sie hatte, immerhin war kein Roboter – teilhaben lassen? Nein, das wäre ja zu einfach!, dachte Bobby zynisch und erschrak selbst darüber, wie frustriert er schon wieder in seinen Gedanken klang. Vielleicht hätte er den Becher Schokoeiscreme gleicht mit nach oben nehmen sollen (angemerkt sei: sein Magen meldete sich daraufhin mit einem wütenden Gluckern!) Und während er so auf den stummen und bewegungslosen John starrte, bemerkte er dessen nasse Haare. Ne! Der war jetzt nicht allen Ernstes seelenruhig duschen, während ich da unten seinen Kram weggeräumt hab?! – er sollte John etwas an den Kopf werfen, definitiv! Doch ehe er wirklich den Entschluss dazu fassen konnte (er hätte es ja doch nicht getan), drehte John sich um und rutschte von der Fensterbank hinunter. Oh – mein – Gott! Es – lebt ! Herrlich, wie sarkastisch man werden konnte, wenn man sich nur lang genug in Johns Nähe aufhielt. Ach ja, da isser ja wieder!, schoss es John – gemeiner Weise – durch den Kopf. Der Egoismus hatte ihn wieder, denn er fand, Bobby hätte ihm ruhig noch etwas mehr Zeit mit sich und seinem rotierenden Gehirn lassen können. Reichte ja schließlich schon, wenn er seine Gedankenwelt beherrschte, da musste er nicht auch noch in Person stören. Als Bobby ihm jedoch ein „Hey John, die Küche ist jetzt übrigens aufgeräumt“ zuwarf, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er Bobby mit seiner Strafarbeit hatte sitzen lassen. Und ja, da war jetzt die Spur eines schlechten Gewissens. Auch so ein Nebeneffekt, den Bobby auf ihn hatte. Nicht, dass sein Gewissen sich nicht auch früher schon mal in unregelmäßigen Abständen gemeldet hatte, aber seit es Bobby und diese Gefühle gab, war es wesentlich anhänglicher geworden. Theatralisch gesehen: Bobby machte aus ihm einen Softie! Er macht aus dir einen schwulen Softie, John, erinnerte ihn eine hämische Stimme in seinem Kopf und war es ein erstes Anzeichen von Wahnsinn, dass er dachte, sie könnte boshaft lachen?! Doch zurück zu Bobby, welcher ihn – zurecht – ein wenig gereizt ansah. „Ähm ja, sorry. Das war… irgendwie… also keine Ahnung“, gab er zusammenhanglos von sich und sah Bobby mit den Augen rollen. „Na ja, ich fand eh, du konntest besser spülen als ich!“ Falls das ein Kompliment sein sollte, empfand Bobby dies wohl keinesfalls so. Stattdessen winkte er ab und ging auf sein Bett zu. Bei Bobby war es nie ein gutes Zeichen, denn diese abfällige Abwink-Geste hieß nur, dass er ihm zu blöd war, weiter zu diskutieren. Leider nicht, dass er nicht mehr wütend war. Dazu kannte John ihn mittlerweile zu gut. „Okay, ich weiß, das war scheiße. Immerhin war das mit dem Spülen mein Problem“, sagte er und es wäre wohl der perfekte Zeitpunkt gewesen, sich bei Bobby für dessen Hilfe zu bedanken, doch John verpasste seinen Einsatz. Er hörte den Eismutant seufzen. „Schon in Ordnung.“ „Wirklich?“ „Ja, ja.“ – wie schon gesagt, Bobby konnte eh nicht lange böse sein. Erschöpft von dem ganzen Tag und ihren Problemen drehte er sich um, und erblickte John, der mittlerweile in der Mitte des Raumes stand. Wenn er ihn da so stehen sah und an den Kuss zurückdachte, wollte er am liebsten zu ihm marschieren, ihn an sich reißen und in einen erneuten Kuss ziehen. Es kam ihm vor, als hätte er nun Blut geleckt und wäre gleich süchtig danach geworden. Die ganze Zeit hatte er sich mit seinen Gefühlen zurückgehalten, was ihm, bis auf das eine Mal, auch gut gelungen war. Doch nun hatte John ihn geküsst, nicht andersherum. Und die Sehnsucht, es wieder zu erleben, machte ihn nun fast wahnsinnig. Langsam ging er auf John zu und blieb schließlich mit einem leichten Abstand vor ihm stehen. „Vergiss es einfach, okay? Ich räum dir immerhin auch manchmal deine Klamotten hinterher.“ Das entsprach der Wahrheit, aber Bobby wollte schließlich manchmal auch den Teppichboden sehen. „Stimmt schon“, meinte John ein wenig amüsiert und zeigte ein für ihn so typisches Grinsen. Bobby hatte das Gefühl, sein Herz würde Flügel kriegen. Sich zusammennehmend wagte er es, einen Schritt näher auf John zuzugehen und so die natürliche Distanz zwischen ihnen zu überbrücken. Doch noch ehe er ihm wirklich zu nah kommen konnte, wich John ihm zur Seite aus. Bobby konnte sein Verhalten nicht deuten. Erst küsste er ihn und nun wich er zurück, wenn Bobby ihm auch nur einen Zentimeter zu nah kam? Was fürchtete er? Dass Bobby ihn noch mal küssen würde? Nach dem, was Bobby beurteilen konnte, schien John von ihrem Kuss nicht allzu abgeneigt zu sein. Wieso also flüchtete er nun vor ihm? „Alles okay?“, fragte er nach und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ein wenig argwöhnisch dabei klang. John dagegen wirkte nervös. „Ja klar, hm, ich hab nur gedacht, ich könnt im Wohnzimmer noch etwas durch das Nachtprogramm zappen. Vielleicht läuft ja etwas Gutes.“ Bobby nickte. John floh also mal wieder aus der Situation. Das war so typisch! Doch er würde ihn nicht aufhalten. Er sah keinen Vorteil für sich, wenn er ein Gespräch erzwang. Es würde nur wieder darin enden, dass sie genau da ankamen, wo sie heute Morgen noch gewesen waren. Er vermied es, John anzusehen, doch er merkte, wie dieser sich der Tür näherte und die Klinke betätigte. Doch dann schien John innezuhalten. Neugierig wandte Bobby sich um und merkte, wie auch John seinerseits sich wieder zu ihm drehte. „Lust, mitzukommen?“, fragte John ihn schließlich und Bobby war davon so überrascht, dass er erst nicht wusste, was er sagen sollte. „Allein über all die Idioten im Fernsehen zu lachen, ist doch langweilig.“ Bobby schmunzelte ein wenig. Vielleicht war es nicht seine Anwesenheit, die John störte, sondern die Nähe, die sich durch den Kuss zwischen ihnen gebildet hatte. Vielleicht verwirrte es ihn selbst genauso sehr wie Bobby. Vielleicht brauchte er einfach nur Zeit. Vielleicht sollten sie an diesem Abend einfach nur mal Freunde sein. „Klar“, war seine Antwort. Er setzte er sich in Bewegung. Late Night Talkshows mit John – das waren doch rosige Aussichten. TBC Gänzlich überzeugt bin ich ja selbst noch nicht von diesem Kapitel, aber ich bin mal gespannt auf eure Kommentare. Es tut mir Leid, dass ihr mal wieder solange hierauf wartet musstet. Hoffentlich hat es euch dann wenigstens gefallen :) Ich versuche das nächste Kapitel noch dieses Jahr fertigzustellen, vielleicht zu Weihnachten. Vorher steht jedoch noch ... **blink, blink: hier ist Platz für Ihre Schleichwerbung** ... ein "Supernatural"-OneShot auf dem Plan (*Jele zuwink*) und angesichts der letzten Wartezeiten möchte ich auch hier lieber nichts versprechen xD" So langsam nähern wir uns aber dem Endspurt. Ich denke, es werden noch 2-3 Kapitel und ein Epilog folgen. Wer mich kennt, hat vielleicht verstanden, was ich durch Bobbys Zwiegespräch mit seinem Magen andeuten wollte xD Im Übrigen frage ich mich, was aus Bobbys Pott Eis geworden ist, den er sich aus dem Kühlschrank geholt hatte. Irgendwie hab ich den danach nicht mehr erwähnt. Sagen wir einfach, er hat ihn zurück ins Gefrierfach gesteckt und John hat es nicht mitbekommen *LOL* Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Bobby ihn draußen stehen lassen würde. So ne Verpeiltheit ist Johns Aufgabe xD Jetzt wünsch ich euch jedenfalls erst mal eine schöne Woche! Bis zum nächsten Kapitel, motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)