Hot N' Cold von schmoergelmotte ((ehem. Melting)) ================================================================================ Kapitel 11: Konfrontation ------------------------- Tag auch :) Nein, diesmal werd ich mich nicht wieder entschuldigen, dass es so lange gedauert hat (auch wenn das hier indirekt so was ist *LOL*), sondern einfach nur DANKE sagen für die vielen Kommis. Es freut mich, dass die Story trotz der langen Wartezeiten auf ein neues Kapitel immer noch gern gelesen wird :) So... viel Spaß beim Lesen von: Kapitel 11: Konfrontation Abwesend stocherte Bobby mit dem Löffel in der weißen, kalten Masse herum und starrte auf die chrombesetzte Kühlschranktür ihm gegenüber. Nach seinem ernüchternden Gespräch mit John hatte es ihn in die Küche gezogen, auch wenn er um die Uhrzeit sicher besser beraten wäre, wieder zurück ins Bett zu gehen. Doch ihm war einfach nach einem großen Pott Vanille-Eiscreme gewesen. Nicht, dass Bobby ernsthaft vorhatte, all diese Eiscreme zu essen. Davon würde ihm nur schlecht werden, ganz zu schweigen davon, dass er nicht vorhatte, irgendwann die gleiche Kilo-Zahl wie Piotr auf die Waage zu bringen. Das würde bei ihm allerdings bedeuten, dass er bestimmt fast genauso breit sein würde wie hoch. John hätte darauf wahrscheinlich so was wie „quadratisch, praktisch, gut“ gesagt oder ihm einen neuen Spitznamen wie „Schneekugel“ gegeben. John. Womit Bobby auch schon wieder bei dem Menschen angekommen wäre, der ihm zurzeit am meisten zu schaffen machte. Es waren weniger seine Gefühle für den Feuermutanten, die ihn gerade so runterzogen, als viel mehr die Situation, die sich deswegen zwischen ihnen ergeben hatte. Dieser Kuss; einen größeren Fehler konnte Bobby sich kaum ausmalen (wenn man mal von der Tatsache absah, dass er beim Sex mit Rogue Johns Namen gestöhnt hatte). Seufzend versenkte Bobby den Löffel im Eis, zog ihn wieder heraus und betrachtete für einen Moment die weiße Creme, als könnte darin die Antwort auf all seine Probleme liegen. Jedoch kam keine. Mit einem weiteren Seufzer schob er sich den Löffel in den Mund. Der Vanille-Geschmack hatte etwas Tröstendes an sich; was genau, wusste Bobby auch nicht. Vermutlich war er der einzige Mann, der verstehen konnte, warum Frauen in amerikanischen Schnulzen-Filmen sich immer bei einem großen Pott Eiscreme ausweinten. Ob das schon ein Anzeichen gewesen war, dass er zudem auch noch auf Männer stand? Vielleicht kam in dem Punkt ja schon die kleine Schwuchtel in ihm heraus. Jetzt sei nicht albern, Bobby, ermahnte er sich selber. Schließlich mochte er auch Eiscreme, wenn er gute Laune hatte. Die Frauen in den Hollywood-Filmen vermutlich ebenfalls. Auch wenn es immer so wirkte, als ob sie haufenweise Eiscreme nur deswegen horteten, weil sie befürchteten, sie irgendwann für einen solch tragischen Moment zu brauchen, um ihr gebrochenes Herz wieder zu flicken. Das war ja auch nur allzu logisch. Schließlich verlief bei ihnen keine Beziehung ohne großen Herzschmerz und die Suche nach Mr. Right konnte nicht glücklich ausgehen, wenn sie nicht vorher von herben Enttäuschungen und Missverständnissen geprägt war. Aber genau das war es ja, wie Rogue ihm immer versucht hatte, weiszumachen, was die Filme so „liebenswert“ machte. Mädchenfilme, wie „Maid In Manhattan“ oder „Two Weeks Notice“, obwohl Bobby gestehen musste, dass er echt hatte lachen müssen, als Sandra Bullock in diesem Wohnwagen nicht gerade leise ihr Geschäft erledigt hatte. Rogue hatte das natürlich peinlich gefunden – und mindestens drei Mal betont (und Kitty hatte ihm später erzählt, dass sie das ähnlich sah), dass Hugh Grants britischer Akzent ehrlich sexy war. Doch wie das in solchen Filmen immer endete, hatten sich Danny und Sandy dann doch gefunden. Oder war es Harry und Sally gewesen? Ah, Johnny und Baby! Nein, das war ein anderer Film gewesen. Aber irgendwie so hatten sie bestimmt geheißen. Aber was dachte er jetzt überhaupt über irgendwelche Hollywood-Romanzen nach? Seine eigene – was man nicht mal Romanze nennen konnte – ging jedenfalls gehörig schief. John hatte nur allzu deutlich seine Abneigung gezeigt. Er hatte Bobby praktisch aus der Krankenstation geschmissen, womit eigentlich alles eingetreten war, was Bobby seit Wochen befürchtet hatte: John wusste von seinen Gefühlen und erwiderte sie nicht (womit Bobby, wenn er ehrlich war, auch nur in seinen Träumen gerechnet hatte), er war stinksauer auf ihn, und das zu Recht. Noch dazu war das wohl das Ende ihrer Freundschaft. Und obwohl diese oft Höhen und Tiefen durchlaufen hatte, war sie fabelhaft gewesen. Das wurde ihm jetzt, wo er sie als verloren ahnte, bewusst. Sie waren sich über Jahre so nah gewesen, fast wie Brüder. Ja, manchmal hatte Bobby sich John näher gefühlt, als Ronny. Hinter Johns abgedroschener Fassade steckte ein Junge, mit dem man sich entgegen aller Vermutungen gut unterhalten konnte und es war nicht selten gewesen, dass er Bobby mit irgendeinem lockeren Spruch aus einer betrübten Stimmung gerissen und gleichzeitig klar gemacht hatte, dass er für ihn da war. Und andersherum war es genauso gewesen. Er erinnerte sich an eine Phase, da waren sie 14 oder 15 gewesen, da war John der absoluten Überzeugung gewesen, zu seinem coolen Feuerzeug und seinem coolen Gehabe, würde es noch cooler aussehen, wenn er auch Raucher wäre. Und so hatten sie bei einem Ausflug in die Stadt einen älteren Jungen angequatscht, ob dieser ihnen nicht Zigaretten besorgen könnte. John hatte gleich eine ganze Stange kaufen lassen. „Na, ich muss doch einen Vorrat haben“, hatte er gesagt. Und so kam es, dass John für kurze Zeit zum Raucher wurde. In ihrem Zimmer stank es damals fürchterlich, auch wenn sie das Fenster geöffnet hatten. Doch Bobby hatte nichts gesagt. Wie so oft, wenn John irgendetwas tat, was ihm nicht passte oder Scheiße baute (John im Gegenzug hatte jedes Mal etwas gesagt, wenn Bobby etwas tat, was ihm nicht gefiel). Aber damals war es noch ratsam gewesen, John nicht unnötig zu reizen. Trotz allem hatte Bobby ihn gemocht. Die charakterlichen Unterschiede hatten sie nicht davon abgehalten, Freunde zu werden. Doch schließlich war John ein, wie er es heute nannte, „Malheur“ passiert. Bobby würde es eher „Großunfall“ nennen. Er hatte auf seinem Bett gesessen, eine Zigarette im Mundwinkel, und über einer Zeitschrift („Sichtung von Aliens in Tennessee – gab es Elvis wirklich?“) gebrütet, als Bobby irgendetwas gesagt hatte, was John zum Lachen gebracht hatte – und dazu, sich am Rauch zu verschlucken. Er hatte fürchterlich gehustet und dabei intelligenter Weise die Zigarette auf sein Bett fallen lassen. Und während diese ein kleines, schwarzes Löchlein in seine Decke gefressen hatte, hatte John sich gar nicht mehr einkriegen können, was dazu geführt hatte, dass er sein Bett schließlich vollständig in Brand gesetzt hatte (damals hatte John seine Kräfte noch nicht so sehr unter Kontrolle gehabt, wie heute). Bobby hatte es zwar geschafft, die Flammen zu löschen, ehe sie noch mehr anrichten konnten, doch Johns Fußende war komplett verkokelt gewesen (die Zeitschrift hatte es leider auch getroffen, wodurch sie nie geklärt hatten, ob Elvis wirklich ein Alien war oder nicht. Die Diskussion gab es aber Jahre später wieder mit Michael Jackson). Natürlich hatten sie es ihren Lehrern sagen müssen. Scott Summers hatte sie beide ziemlich schräg angeblickt und gefragt, wie das passieren konnte. John hatte schon zuvor gejammert, dass sie ihn sicher von der Schule schmeißen würden, immerhin hatte Professor Xavier ihn vorher schon mal ermahnt, dass es so mit Johns Verhalten und dem Einsatz seiner Kräfte nicht weitergehen konnte (es ging noch länger so weiter und Xavier schmiss ihn nie raus). „Aber es war doch nur ein Zigarettenunfall!“, hatte Bobby gesagt, doch John hatte erwidert: „Das glauben die mir doch nie!“ Und in Angesicht dessen, dass er vielleicht seinen besten Freund verlieren würde, hatten sie ihre Matratzen getauscht und der junge Bobby hatte Scott allen Ernstes erzählt: „Ich hab geraucht, Mr Summers.“ Zu schade, dass Scotts Augen damals schon immer hinter dieser Sonnenbrille versteckt gewesen waren. Sein Blick wäre sicher köstlich gewesen (wenn auch tödlich). „Du hast geraucht, Bobby?!“ „Ja, Mr Summers, es tut mir wirklich Leid.“ Und wie zur Bestätigung hatte sich Bobby Johns Zigaretten, die sie natürlich auf Johns Nachttisch hatten liegen lassen, gegriffen und sich eine angezündet. Sowohl Scott Summers als auch John hatten ihn verwundert wie interessiert angeblickt. Nie in seinem Leben hatte Bobby so gehustet, wie als er seinen ersten Zug genommen hatte. Er war sich sicher, dass Scott durchaus gewusst hatte, wer in diesem Zimmer wirklich rauchte, doch er hatte sie damals in dem Glauben gelassen, dass er Bobby sein Getue abnahm und lediglich gesagt: „Im Haus wird nicht geraucht, Bobby. Und sei das nächste Mal vorsichtiger.“ Dann hatte Bobby eine neue Matratze bekommen. Und das Gefühl gehabt, seinen besten Freund vor einem Rauswurf beschützt zu haben. Auf Bobbys Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, was jedoch schnell wieder verschwand. Wie hatte er all das nur aufs Spiel setzen können, für so etwas wie diesen kleinen Kuss, der ihm im Endeffekt nichts weiter gebracht hatte. Du bist so ein Idiot. So ein verblödeter, riesiger Idiot. „So spät noch auf?“ Eine Stimme von der Tür aus ließ ihn hochblicken und für einen Moment hatte er gehofft, es wäre John, doch dann realisierte er, dass die Stimme viel weiblicher klang und schon rückte Storm in sein Blickfeld. Er sagte nichts und senkte seinen Blick wieder. Er war sich sicher, die Frage bedurfte keiner Antwort. Für einen Moment lang schien sie ihn schweigend zu beobachten, doch dann betrat sie die Küche und öffnete die Kühlschranktür. „Ich konnte auch nicht schlafen“, erzählte sie ihm und er sah auf; beobachtete, wie sie sich eine Flasche Wasser aus dem Fach an der Tür nahm. „Ist irgendwie komisches Wetter heute, nicht wahr?“ Er starrte wieder in seinen Becher, in dem das Eis mittlerweile zum Teil geschmolzen war. Er fragte sich, was das sollte. Sie wusste doch wohl genau, dass er nicht wegen irgendeiner Wetterfühligkeit oder Vollmond oder sonstigen „Schlafstörern“ auf war. „Irgendwie schon“, meinte er dennoch. Schweigen entstand zwischen ihnen. Lediglich das Kühlschrankbrummen und das Geräusch, als sie sich das Wasser in ein Glas füllte, brachen die Stille. Er merkte ihr an, dass sie auf etwas hinaus wollte, doch sie machte noch keine Anstalten, etwas zu sagen, sondern nahm einen Schluck der kühlen Brause und drehte sich langsam zu ihm um. Ihre Blicke begegneten sich, doch Bobby senkte seinen schnell wieder. Es war ihm unangenehm, in ihre Augen zu sehen, nach all dem, was heute passiert war und was sie davon mitbekommen hatte. Zwar wusste sie nicht die genauen Umstände, aber es war auch so peinlich genug. „Was heute passiert ist…“, begann sie, doch Bobby nutzte den Moment ihrer stilvollen Pause und unterbrach sie. „…das war vollkommen für den Arsch, das weiß ich“, sagte er und er wusste nicht, warum sie ihn nun so verwundert ansah, aufgrund seiner Selbsteinsicht oder seiner Wortwahl. Doch falls sie ernsthaft überrascht war, ließ sie sich das nicht anmerken. „So hätte ich es nicht formuliert, aber ja… Bobby, das war wirklich nicht in Ordnung. Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass es in einer anderen Situation, bei einem anderen Menschen vielleicht ganz anders hätte ausgehen können.“ Mit „anders“ meinte sie gefährlicher. Ein normaler Mensch hätte vielleicht mehr Schäden davon getragen als „bloß“ ein paar unterkühlte Glieder und eine Fiebererkältung. Das wusste er selbst. Doch mit einer anderen Person als John wäre all das auch gar nicht passiert. Ehe er sich versah, hatte er diese Worte auch schon ausgesprochen. Auf seine Wangen legte sich ein leichter Rotschimmer. Das hatte er nicht sagen wollen. „Was ist zwischen dir und John vorgefallen?“, sagte sie nun und Bobby wunderte sich, dass diese Frage nicht schon viel früher gestellt worden war. Sein Körper spannte sich an und trotz des Eises in seiner Hand wurde ihm ziemlich warm. Er wollte es ihr nicht sagen. Und er würde es auch nicht tun. Dennoch konnte er ihr nicht in die Augen sehen, während er sagte: „Bei allem Respekt, Miss Munroe, aber ich glaube… das geht Sie nichts an.“ Seine eigenen Worte erschraken ihn und wohl auch sie, denn für einen Moment sagte Storm gar nichts. Ihre Reaktion konnte er nicht sehen. Seinen Blick hielt er weiterhin gesenkt. Normalerweise hätte er sich nie so ausgedrückt. Solche direkten Aussagen gehörten zu John, nicht zu ihm. Was war bloß in ihn gefahren, dass er nach allem, was sie für ihn getan hatte, nach all der Diskretion, die sie ihm heute erteilt hatte, so mit ihr sprach? Auch wenn es sie wirklich nichts anging, hatte er seiner Meinung nach nicht das Recht, ihr das so zu sagen. Doch Storm schien es lediglich zu verwundern, dass diese Worte aus seinem Mund kamen. Die Worte an sich schien sie ihm nicht sonderlich übel zu nehmen. „Du willst nicht darüber sprechen“, stellte sie fest und ließ ihm einen kurzen Moment, um etwas zu sagen, der jedoch ungenutzt verstrich. „Das ist dein gutes Recht, Bobby, und du musst es mir auch nicht erklären.“ Ihre Worte erleichterten ihn. Sie würde nicht weiter nachbohren. Und auch wenn er es befürchtet hatte, hatte er es dennoch nicht ernsthaft erwartet. Storm war wirklich ein sehr ausgeglichener Typ und akzeptierte die Privatsphäre ihrer Schüler. Ihre Worte deuteten allerdings ein „Aber“ an, das auch zugleich folgte. „Trotzdem… was auch immer zwischen euch los war, Bobby, das heute hätte nicht passieren dürfen.“ „Ich weiß“, sagte er demütig und biss sich auf die Lippen. Seine Schuldgefühle hatten mit keinem Moment aufgehört, doch nun wurden sie wieder stärker. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und blieb vor der Theke, an der er saß, stehen. „Ich weiß, dass John nicht gerade einfach ist und selber auch oft genug mit seinen Kräften Schaden angerichtet hat, aber-“ Bobby unterbrach sie erneut. „Er kann nichts dafür. Die Schuld… liegt allein bei mir.“ Überrascht sah sie ihn an. Vermutlich dachte sie, John hätte ihn provoziert. Dass er nun gar nichts getan haben sollte, verwunderte sie offensichtlich. Doch sie ließ sich dadurch nicht beirren. „Wie auch immer. Ich weiß, dass unsere Kräfte sehr verführerisch sind.“ – sie lehnte sich an die Theke, was Bobby dazu brachte, zu ihr aufzusehen – „Gestern hab ich mich fürchterlich über Wolverine aufgeregt. Ehrlich, als er mir dann den Rücken zugedreht hat und über das Schulgelände davon gedackelt ist, hatte ich wirklich große Lust, einen Blitz in ihn einschlagen zu lassen.“ Bobby verschluckte sich an seinem Eis. Perplex starrte er sie an und sie zuckte verlegen mit den Schultern. „Was ich damit sagen wollte: Ich hab es nicht gemacht.“ – (Bobby kam der Gedanke, dass John hier vermutlich gesagt hätte, es könnte auch eine Lüge sein, immerhin würde man so etwas bei Wolverine eh nie bemerken) – „Und das ist es, worauf es ankommt, Bobby. Wir müssen lernen, dass unsere Kräfte nicht dazu da sind, Leute zu bestrafen, wenn wir wütend auf sie sind oder sie als Ventil für unsere Gefühle zu nutzen. Wir müssen uns beherrschen und unsere Probleme auf die Art zu lösen, wie es normale Menschen auch tun würden. Es ist nicht immer leicht, aber ich dachte nicht, dass du ein Schüler wärst, dem ich das noch extra erklären müsste.“ Bobby wich schuldbewusst ihrem Blick aus. Sie legte eine Hand auf seinen Unterarm, was ihn dazu brachte, auf die schmalen Finger zu schauen, die so viel dunkler waren als seine blasse Haut. „Ich denke, das war ein einmaliger Ausrutscher, der nicht wieder passieren wird“, sagte sie schließlich und ihre Finger drückten kurz sanft zu. Sie ließ von ihm ab und trank ihr Glas leer. Es berührte ihn, dass sie so großes Vertrauen in ihn hatte. Er würde es sicher nicht noch mal enttäuschen. Schweigen legte sich erneut über sie, als er ihr dabei zusah, wie sie das Glas in die Spüle stellte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie nur wegen ihm noch auf war. Er musste zugeben, dass er diese mütterliche Art an ihr früher nie wahrgenommen hatte. Es war immer Professor Xavier gewesen, an dem man sich gewandt hatte, wenn es Probleme gab. Lediglich Jean Grey hatte auch mal solche Gespräche geführt. Storm und Cyclops jedoch hatten sich aus solchen Angelegenheiten meist rausgehalten. Zumindest war es ihm immer so vorgekommen. Dafür waren sie auch immer die „cooleren“ Lehrer gewesen. Doch er musste sagen, sie machte ihren neuen Job wirklich gut. Er wusste, dass es nicht immer einfach für sie war. Auch wenn Logan und die älteren Schüler wie er zumindest auf die Kleineren Acht gaben und Hank sie mit dem Unterricht unterstützte, stand sie doch ziemlich allein da. „Bleib nicht mehr zu lange auf“, hörte er sie schließlich noch sagen und war sich nicht sicher, ob dies ein Rat oder eine Bitte sein sollte. Er hob seinen Blick und rang sich ein leichtes Lächeln ab. Sie erwiderte es, ehe sie langsam aus der Küche ging und ihn wieder mit seinen Gedanken allein ließ. John blieb einige Tage auf der Krankenstation. Storm hätte gedacht, er würde darauf bestehen, möglichst schnell diese kahlen, sterilen Räume wieder verlassen zu dürfen, doch er unternahm nichts in dieser Richtung. Fast kam es ihr manchmal so vor, als wollte John sogar hier bleiben, unten im Keller, fernab von all den anderen. Und damit hatte sie gar nicht so Unrecht, auch wenn sich „die anderen“ einzig und allein auf Bobby beschränkte. Dabei würde John diese Räume gerne verlassen. Zwar war es hier wenigstens etwas wohnlicher als in einem normalen Krankenhaus und Piotr hatte ihm in einem Anflug von väterlicher Fürsorge eigens einen Fernseher nach unten gebracht, doch wer würde sich schon in Räumen wohlfühlen, die bis auf einen Stapel Klamotten nichts Eigenes, nichts Persönliches enthielten; deren Wände kahl und nichtssagend waren, sodass die stickige Atmosphäre einen fast erdrückte. Ganz abgesehen von der Langeweile. Denn wie sagt man so schön: Die beste Krankheit taugt nichts. Und auch kein Fernseher, wenn morgens doch nur Wiederholungen von irgendwelchen Soaps und Real Life-Dokus liefen, von denen man sich dann im Nachmittagsprogramm die neuen Folgen anschauen konnte. Einzig und allein die Shoppingkanäle konnten amüsant sein, wenn mal wieder irgendein tuntiger Pseudo-Designer meinte, seine neue Allerweltskollektion vorstellen zu müssen oder man mit Haushaltsgeräten überschwemmt wurde, die alle einen Zweck zu haben schienen: nämlich keinen. Johns Favorit über all die Zeit waren aber sämtliche Produkte zur Diät, zum Abnehmen oder sonstigen Verbesserung der körperlichen Figur geworden. Besonders die Vorher-Nachher-Bilder waren so prickelnd unglaubwürdig, dass es fast schon wieder komisch war. Aber vielleicht sah er sich das auch alles nur gerne an, weil die Frauen bei diesen „Trainier-dir-deinen-Po-in-Form“-Geräten immer so knappe Bodys trugen. Nichtsdestotrotz: Der Fernseher ersetzte einfach keine Unterhaltung. John sah sich seufzend in dem Raum um, der ihn in all diesen Tagen so vertraut geworden war, als hätte er hier bereits die ganzen neunzehn Jahre seines Lebens verbracht. Er hatte nie in diese Schule zurückkehren wollen, zumindest oberflächlich betrachtet nicht. Er hatte gedacht, er hätte mit seinem Fortgang all das hinter sich gelassen und würde es nicht vermissen, doch jetzt, wo er wieder hier war und in diesem Raum einsam und allein vor sich hinvegetierte, merkte er, dass er sich getäuscht hatte. Nicht nur Bobby hatte ihm gefehlt, sondern auch all die anderen Schüler und Storm. Vielleicht sogar Wolverine – obwohl nein, das würde zu weit gehen. Sogar der Tod von Professor Xavier schien ihn nun rückblickend irgendwie zu betrüben. Wäre er noch am leben, wäre er sicher zwei Mal am Tag hier runter gerollt und hätte John mit irgendwelchen tollen Ratschlägen und Weisheiten vollgepumpt, was John nur dazu gebracht hätte, den Professor für einen noch größeren Quacksalber zu halten und ihn dafür noch mehr zu verachten – und unterschwellig doch an ihm zu hängen. Mit halb geschlossenen Augen lehnte John sich an die Wand hinter ihm. In letzter Zeit wuselte es in seinem Kopf nur von solchen Gedanken, was im Wesentlichen daran lag, dass er hier einfach zu viel Zeit zum nachdenken hatte. Etwas Abwechslung würde ihm sicher gut tun. Doch John klagte jedes Mal, wie schlecht es ihm immer noch ginge. Und gelogen war das noch nicht einmal. Bei jedem Atemzug spürte er, wenn er bewusst darauf achtete, immer noch dieses Ziehen im Brustkorb. Wenn er hustete, hatte er das Gefühl, er würde zerspringen. Seine Glieder schmerzten, wenn er sich auch nur leicht bewegte und sein Körper wurde zwischenzeitlich im Wechsel von Hitze- und Kälteschauern überrannt. Manchmal hatte er immer wieder für kurze Zeit Fieber und alles in allem fühlte er sich ausgelaugter denn je. Nie hätte er gedacht, dass Bobby ihn mit seiner Fähigkeit so Schachmatt setzen könnte, doch nur weil er der Herr über das Feuer war, hieß das wohl noch lange nicht, dass er auch gegen Frostbeulen immun war. Träge schloss John seine Augen wieder und ließ sich auf die Matratze seines improvisierten Bettes zurückfallen. Wenn er ehrlich wäre, könnte er sich genauso gut in ihrem Zimmer auskurieren. An medizinischen Geräten hing er ohnehin nicht mehr und für etwaige Untersuchungen könnte er auch herkommen. Doch der wirkliche Grund, warum John die Krankenstation noch nicht verlassen hatte, waren nicht seine körperlichen Gebrechen, sondern Bobby. Seit dieser in der Nacht direkt nach diesem „Unfall“, wie Storm es immer nannte, zu ihm gekommen war, hatte er ihn nicht mehr gesehen. Zwar bekam John hin und wieder Besuch von anderen Schülern des Instituts – ja, zu seiner Verwunderung war sogar Kitty unter ihnen gewesen –, doch Bobby hatte sich nicht mehr hier her verirrt. Eigentlich auch nicht besonders verwunderlich, wenn man bedachte, wie John das letzte Mal reagiert hatte, als Bobby versucht hatte, mit ihm zu sprechen. Und dennoch hatte John gedacht, der Eismutant hätte wenigstens den Schneid, es nochmal zu versuchen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er das auch wirklich gewollt hätte. Was Bobby anging, wusste John eh nicht mehr, was er noch denken sollte. Zum einen war da sein bester Freund. Vielleicht sogar sein einziger Freund, denn die losen Freundschaften, die John mit anderen Schülern wie Piotr pflegte, hatten in ihm nie das Vertrauen entwickeln können, das er Bobby entgegenbrachte. Auf der anderen Seite war da aber der Bobby, der ihn geküsst hatte. Der Bobby, der ihn in Eis eingesperrt hatte. Der Bobby, der offensichtlich mehr für ihn empfand, als es für einen besten Freund üblich wäre. Und John wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Auf eine Art müsste er sich wohl geschmeichelt fühlen, immerhin hatte er stets gedacht, Bobby wäre bloß an Mädchen interessiert. Dass er nun so unwillkürlich auf Männer, auf John, stand, sprach doch eigentlich für den Feuermutanten. Und ein winzig kleiner Teil in ihm fühlte sich auch irgendwie beflügelt, wenn er daran dachte, dass Bobby anscheinend in ihn verliebt war. Denn dass Bobby diesen Kuss ernst gemeint hatte, daran hegte John keinen Zweifel. Viel zu bestürzt hatte er über sein eigenes Verhalten gewirkt, als dass er damit einfach nur hatte ausprobieren wollen, wie es ist, einen Jungen zu küssen – was außerdem, da war John sich sicher, sonst eh nie in Bobbys Sinn kommen würde. Doch der größte Teil in ihm fühlte sich eher bedroht, verletzt und irgendwie auch angewidert. Es war nicht so, dass John irgendwie etwas gegen „anders Orientierte“, so hatte seine Mutter das immer genannt, hatte. Er war beim besten Willen nicht für sie, aber eben auch nicht gegen sie. Eigentlich waren sie ihm so ziemlich egal. Er hatte sich nie wirklich Gedanken um dieses Thema gemacht. Natürlich hatte er sich, wie fast jeder andere Teenager auch, in der Pubertät mal Gedanken darüber gemacht, ob er nicht vielleicht schwul war; dann aber doch mit Erleichterung festgestellt, dass er auf Frauen stand – auch wenn ihm jetzt namentlich keine einfallen würde, in die er wirklich mal verliebt gewesen wäre. Resignierend öffnete John seine Augen wieder und starrte an die helle Decke, an der er doch tatsächlich meinte, einen neuen Fliegenschiss zu erkennen. Wenn man so oft an die Decke gestarrt hatte, wie er die letzten Tage, dann kannte man sie irgendwann in- und auswendig und bemerkte jede kleine Veränderung an ihr. Ob sie nun eingebildet war oder nicht. Das hat doch alles keinen Sinn. Zu oft hatte er all diese Gedanken in den letzten Tagen durchgekaut. So langsam hingen sie ihm selbst zum Halse heraus. Doch sie ließen sich einfach nicht verbannen. Und obwohl der Hauptkern in ihm von diesem Kuss und dem, was er bedeutete, alles andere als begeistert war und dieses Thema am liebsten verdrängen wollte, schaffte es dieser kleine Teil in ihm, dem dies zu gefallen schien, es immer wieder hartnäckig in seine Gedanken. Es war wie als hätte man etwas getan, was vielleicht nicht ganz richtig, aber auch nicht wirklich schlimm war. Man wusste, dass man es locker sehen konnte und jeder es locker sehen würde und doch verfolgte das schlechte Gewissen einen endlos und warf immer wieder Zweifel auf. Nur hatte John nichts getan und auch kein schlechtes Gewissen. Warum, verdammte Scheiße… musste er dann immer wieder daran denken? „John Allerdyce, jetzt reiß dich zusammen“, murmelte er sich selbst zu, doch diese Worte hatte er in den letzten Tagen schon zu oft aus seinem eigenen Mund gehört, als dass sie Wirkung zeigen würden. Er fragte sich, warum ihn all das so beschäftigte. Vielleicht, weil er nicht wusste, ob er seinen besten Freund eventuell verloren hatte? Weil er nicht wusste, ob er normal mit ihm umgehen können würde, wenn er wieder hier rauskäme? (Noch ein Grund, sich weiter in der Krankenstation zu verstecken) Doch das sollte ihn eigentlich betrüben, nicht beglücken. Was also sollte dieses kribbelige Gefühl, wenn er darüber nachdachte, was Bobby für ihn empfand? Was sollte dieser Klumpen im Magen, wenn er sich vorstellte, Bobby würde ihn noch einmal küssen (und das hatte er getan, nicht nur einmal), der vielleicht schwer war, aber ihm dennoch ein positives Gefühl gab? John fuhr sich mit den Fingern über das Nasenbein. „Noch mal: Reiß dich zusammen, verdammt!“ Wenn er nicht bald hier rauskäme, würde er verrückt werden. Doch Bobby begegnen – das wollte er auch nicht. Leises Gemurmel herrschte im Gemeinschaftsraum. Die meisten Schüler saßen über den Hausaufgaben, die sie für Hank zu erledigen hatten. Der blaue Politiker-Mutant unterrichtete kein wirkliches Fach. Dazu, fand er selbst, hatte er einfach viel zu wenig Zeit, die er mit den Kindern verbringen konnte. Damit der Unterricht wirklich sinnvoll war, brauchten Kinder eine feste Struktur und die konnte er ihnen nicht geben, wenn er nie wusste, wann sein Terminkalender es zuließ, ins Institut zu kommen. Mindestens einmal in vierzehn Tagen war er hier. Selten auch zwei Tage pro Woche. Daher beschränkte er sich mittlerweile darauf, mit ihnen diverse Themenbereiche zu bearbeiten, die ihre Allgemeinbildung stärken oder ihnen menschliche Werte vermitteln sollten. Im Moment bearbeiteten die Schüler mit Hank „wichtige, historische Persönlichkeiten“. Dazu hatte Hank die Schüler in Gruppen von drei-vier Leuten eingeteilt, die dann in der nächsten Unterrichtsstunde etwas zu der ihnen zugeilten Person vorstellen mussten. Bobby bearbeitete zusammen mit Warren und Jubilee den ersten Präsidenten der USA, George Washington. Jeder kannte ihn und selbst im Ausland war sein Name jedem bekannt, und wenn auch nur durch die Hauptstadt der USA, die nach ihm benannt worden war. Doch Bobby war nicht so wirklich bei der Sache. Er konnte sich einfach nicht auf den Text, den Warren ihnen aus dem Internet ausgedruckt hatte, konzentrieren und so war sein Blatt noch nahezu unbefleckt, während das von Warren und Jubilee mit dicken, leuchtenden Textmarker-Streifen übersät waren. Seufzend lehnte er sich an die Rückenlehne seines Stuhls. Jubilee und Warren sahen kurz zu ihm auf, sagten jedoch nichts und arbeiteten einfach weiter. Bobby war mehr als froh, die beiden in seinem Team zu haben. Sie stellten wenigstens keine Fragen und auch wenn sie sich vielleicht ärgerten, dass er im Moment kaum etwas zu ihrer Gruppenarbeit beisteuerte, so ließen sie sich das dennoch nicht anmerken. Vielleicht aber auch hatten sie sich einfach nur resignierend daran gewöhnt, dass Bobby in der Woche, die seit dem „Unfall“ mit John vergangen war, ständig in Gedanken versunken war und abwesend vor sich hinstarrte. Natürlich hatte er auch seine „wachen“ Momente, in denen er voller Konzentration war und manchmal sogar Elan zeigte, so wie es eigentlich bei ihm üblich war. Doch meist schweiften seine Gedanken irgendwann von allein zurück zu John. Dabei hatten sie kaum noch etwas mit ihm zu tun. Zumindest nicht direkt. Mittlerweile war Bobby an dem Punkt angekommen, in dem das Selbstmitleid größer geworden war, als die Schuldgefühle. Er verdammte sich für den Kontrollverlust, der ihm passiert war und noch mehr, in was für eine Situation ihn das gebracht hatte. Jetzt, knapp sieben Tage nach dem Vorfall, hatte die Fragerei und Tuschelei langsam aufgehört. Das Thema wurde uninteressant, weil es keine neuen Informationen zu verarbeiten gab und John nicht wieder aufgetaucht war, während Bobby sich hartnäckig weigerte auch nur ein Wort zu sagen, wenn nach dem Grund für seinen und Johns Streit gefragt wurde. Die ersten Tage waren die reinste Hölle gewesen. Bobby war sich nicht sicher, was schlimmer gewesen war: das nervige Aufdrängen von Mitgefühl und Verständnis, die gierigen Fragen oder die dummen Vermutungen. Doch auch die gut gemeinten Hilfsangebote und Ablenkungsversuche waren nicht gerade einfach zu ertragen gewesen, auch wenn es vielleicht unfair war, so darüber zu denken. Doch was ging es sie schon an, was zwischen ihm und John vorgefallen war? Hätte er ihnen erzählen sollen: „Hey, sorry Leute, ich steh schon seit Wochen total auf John und irgendwie ist mir dann eine Sicherung durchgeknallt. Ich hab ihn geküsst, er wollt mich in Brand setzen, ich hab ihn vorher vereist und deswegen gab es statt Bobby das Brathähnchen dann John das Eisbein.“ Klasse. Genau so! … natürlich nicht! Er konnte es ihnen einfach nicht sagen. Es war schon schwer genug gewesen, mit John darüber zu sprechen (was auch immer man da „Gespräch“ hatte nennen können), der wenigstens ein Anrecht auf ein Gespräch hatte, was man von ihren Freunden nicht behaupten konnte. Noch dazu wusste er nicht, wie sie darauf reagieren würden, wenn er sich plötzlich als „Schwuli“ zu erkennen gäbe. Bobby blickte auf zu Warren, dessen blaue Augen sich konzentriert über die vollen Zeilen bewegten. Würde dieser von ihm abrücken, wenn er wüsste, dass Bobby an einem Jungen interessiert war? Konnte Bobby sich eigentlich nicht vorstellen. Warren wirkte viel zu verständnisvoll, so wie ein guter Zuhörer eben, jemand, auf den man sich auch in schlechten Zeiten verlassen konnte, egal, wie tief unten man war. Doch waren es gerade oft solche Menschen, die dann mit Abscheu reagierten. Und wie stand es mit Pete? Der kräftige Russe wirkte nicht gerade wie jemand, der gerne mal eine Gay Bar von innen sehen würde. Und doch wusste Bobby es auch hier nicht wirklich einzuschätzen. Das Gleiche galt für die Mädels, auch wenn man da potenziell weniger Angst hatte, abgelehnt zu werden. Trotzdem… ein mulmiges Gefühl blieb. Nicht mal, als Rogue ihn angesprochen hatte, hatte Bobby ihr erzählt, was vorgefallen war. Und dabei wusste sie als Einzige, abgesehen von ihm und nun auch John, was er für diesen empfand. War ja auch nur allzu offensichtlich, wenn er schon beim Sex mit ihr dessen Namen stöhnte. Bobby rollte die Augen über sich selber. Er war so ein Riesen-Idiot. Aber die Suppe hatte er sich selber eingebrockt und er würde sie auch selbst auslöffeln müssen, so scheußlich sie auch schmeckte. Jetzt bräuchte er einen Pflanzenkübel, in den er sie rein schütten könnte! In seinen Gedanken versunken merkte er nicht, wie alle um ihn herum plötzlich erstarrten. Erst als das Gemurmel erstarb und es fast totenstill im Raum wurde, schien Bobby wieder aufzuwachen. Verwundert blickte er in die Runde seiner Mitschüler, bis er dann ihrem Blick zur Tür des Gemeinschaftsraums folgte. Bobby wurde schlecht. Im Türrahmen stand John, der sich nun langsam in den Raum bewegte. Nichts an seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass es ihm noch irgendwie schlecht ging. Er gab sich lässig wie immer. Nur die tiefen Augenringe und die fahle Haut zeugten davon, wie schlecht es ihm in den letzten Tagen gegangen war. „Hey, was starrt ihr denn alle so? Ich bin’s. John Allerdyce – nicht Jesus“, sagte er in einem gewohnt gereizten Ton und ging schleppend langsam auf die Gruppe zu, in der Bobby saß. Piotr fand als Erster seine Sprache wieder. Auf seinem Gesicht bildete sich ein breites Grinsen; froh, den anderen gesund und munter wiederzusehen. In der Zeit, in der John krank gewesen war, war Bobby erstaunlicher Weise aufgefallen, wie gut der Feuermutant sich wieder eingegliedert hatte. Obwohl zunächst viele gegen seine Wiederaufnahme an der Schule gewesen waren, hatten sich nun alle um ihn gesorgt. Fast schien es, als wäre John nie weg gewesen, als wäre er nie Terrorist auf Alcatraz gewesen. „Ey, Johnny! Ehrlich? Du bist nicht Jesus? Na, auferstanden von den Toten bist du doch trotzdem, oder was hast du die letzten sieben Tage gemacht? Fliegen gezählt, huh?“, kam es polternd von Peter, der trotz seiner massigen Gestalt extrem lässig auf seinem Stuhl hing. Kaum einer hätte gewagt, John so anzusprechen. Und vielen wäre das wohl als etwas unfreundlicher Willkommensgruß vorgekommen, wenn sie krank gewesen wären. Doch Piotr wusste, dass er das mit John machen konnte. Auf dessen Gesicht zuckten die Mundwinkel, der Schalk sprach aus seinen Augen und ließ sie mit einem Mal wieder lebendiger, weniger kränklich, wirken. „Du hast Recht, Pete! Komm rüber, knie vor mir und küss mir die Füße!“ Den meisten Schülern entkam ein kurzes Auflachen. Bobby spürte, wie Johns Blick nun zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, zu ihm wanderte. Er schluckte hart, als er das Provozierende in dessen Augen erkannte. Johns ganze Haltung und Mimik sprach dafür, dass er es auf eine öffentliche Auseinandersetzung anlegte. „Oder Pete, nein, warte“, sagte er, obwohl Piotr nicht mal Anstalten gemacht hatte, aufzustehen. „Lass Bobby den Vortritt.“ – er ließ den Eismutanten nicht aus den Augen – „Er ist schon ganz heiß darauf, … nicht wahr, Bobby?“ Bobby fühlte wie sein Herz begann, schneller zu schlagen. Ihm wurde unglaublich warm und Hitze strömte in seine Wangen. Er fragte sich, ob John es wirklich darauf anlegte, ihn öffentlich zu demütigen. Wenn ja, dann war er auf dem beste Wege, das zu schaffen. John wusste, dass Bobby allein das nun schon unangenehm war. Das Schweigen im Raum war drückend. Alle schienen zu warten, was als Nächstes passieren würde und Bobby merkte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Es wäre sein Part, nun etwas zu tun, doch er wusste nicht, wie er reagieren sollte. John blickte derweil in die Gesichter ihrer Mitschüler, wie sie Bobby fragend ansahen und zwischendurch mal zu ihm blickten, als erhofften sie sich eine Antwort auf die Frage, was hier eigentlich gespielt wurde. Und da dämmerte John es: sie hatten keine Ahnung. „Du hast es ihnen nicht erzählt“, stellte er nüchtern fest und sein Blick ruhte starr auf Bobby, von dem er sich erhoffte, dass er endlich mal aufschauen würde, doch der andere tat ihm diesen Gefallen nicht. Für einen Moment schwieg John, doch noch bevor er selbst überlegt hatte, ob es klug war oder nicht, sprach er weiter: „Und ich dachte immer, diese Schule sei ein offenes Buch. Als Ashlee damals versucht hat, es sich in der Dusche selbst zu besorgen, hat das doch nachher auch jeder gewusst.“ „John!“, unterbrach Kitty ihn empört und starrte ihn Kopf schüttelnd an. „Du erzählst vollkommenen Unsinn. Halt einfach die Klappe. Wenn du so bist, will dir eh keiner zuhören.“ John zuckte mit den Schultern. Kittys harsche Worte interessierten ihn nicht. Zu jeder anderen Zeit wäre er vielleicht darauf angesprungen, doch hier ging es nicht um sie. Und auch nicht um Ashlee, die schon seit Jahren wieder bei ihren Eltern wohnte, weil ihr das Internatsleben zu „wenig privat“ war – was die Gerüchteküche natürlich nur unterstrichen und die Geschichte zu einem echten Running Gag an der Schule gemacht hatte. Damals hatten einige Mädchen behauptet, sie angeblich gehört oder sogar dabei überrascht zu haben. Aber es ging hier um Bobby. Nur um Bobby. John konnte nicht einmal selbst sagen, warum er sich plötzlich so verhielt, doch er wollte ihn „bluten“ sehen. Es war, als wäre er in all den Tagen auf der Krankenstation so auf Bobby fokussiert gewesen, dass er sich nun mit einem großen Knall davon befreien musste. Es war ein Ventil, das er brauchte, um seine unsägliche Frustration über die Langeweile, die körperliche Gebrechlichkeit und vor allem diese nicht enden wollenden Gedankengänge und Gefühlsregungen, loszuwerden. Dabei hatte John das Gefühl, bloß Zuschauer in seinem eigenen Kopf zu sein und merkte nicht einmal, wie er langsam zu weit ging. „Aber Kitty, du hast Recht. Ashlee ist out. Das wird langsam alt. Also Bobby, denkst du, die Schule ist bereit für eine neue Sensation?“ Unverfroren sah er ihn an, die Augenbrauen hochgezogen und sichtlich auf eine Reaktion wartend, als Bobby ihm endlich den Gefallen tat und aufblickte. „John…“, sagte er leise und stand auf, was John unübersehbar verdutzte. „Wenn du über das sprechen willst, was passiert ist, können wir das gerne tun.“ Bobby gratulierte sich innerlich dafür, dass er es schaffte, so klare Worte zu finden, wo alles in ihm vollkommen durcheinander war. Sein Herz brachte ihn fast um, so schnell pumpte es das Blut durch seine Venen. Seine Hände waren so feucht, als hätte er durch das Morgentau im Gras gestrichen und auf seinem Rücken stand der Schweiß. Ihm war heiß und fast schwindelig. „Aber nicht hier“, setzte er hinzu und blieb kurz vor John stehen. Er versuchte ihm, in die Augen zu blicken, doch er konnte ihm nicht standhalten; immer wieder suchten seine Augen etwas anderes in ihrem Blickfeld, um nicht in die von John blicken zu müssen. In einem kurzen Moment jedoch bemerkte er, dass auch John seinem Blick immer wieder kurz auswich. „Wieso denn nicht hier, Bobby?“, fragte John und seine Stimme verriet kein bisschen die Unsicherheit, die mittlerweile in seinen Augen zu lesen war. Eins musste man John lassen: Er war der Meister der Show. Für die anderen nicht hörbar setzte er schließlich hinzu: „Was willst du mir schon sagen, was ich nicht eh schon weiß, hm? Ich hab keine Lust, dir eine Chance zu geben, mir in den Arsch zu kriechen, auch wenn du das… sicher gerne würdest.“ Für einen Moment starrte Bobby John ungläubig an. Er hatte mit dummen Sprüchen gerechnet – es ging immerhin um John –, aber es so direkt aus dessen Mund zu hören, traf ihn wie ein Schlag, als er die Zweideutigkeit dieser Aussage begriffen hatte. „Gottverdammt, bist du scheiße“, murmelte er ihm leise zu und wandte sich von ihm ab, doch John hielt ihn am Unterarm fest. Wieder in einer Lautstärke, die für alle verständlich war, meinte er: „Was soll das, Bobby? Denkst du, du kannst hier jetzt die Regeln aufstellen?“ Bobby blickte ungläubig in seine Augen und schüttelte den Kopf. Nicht als Antwort auf Johns Frage, sondern darüber, dass dieser es für sie beide gerade so peinlich machte. „John Allerdyce!“, rief jemand, bevor Bobby auch nur die Chance hatte, etwas zu antworten und diesmal war es nicht Kitty. Es war Rogue. „Lass den Scheiß, verdammt! Es reicht.“ Es wunderte Bobby, dass ausgerechnet Rogue diese Persiflage unterbrach, wo sie doch vielleicht nach dem, was zwischen ihm und ihr passiert war, Genugtuung empfinden könnte, ihn so vorgeführt zu sehen. Doch sie war nicht so selbst- oder rachsüchtig, dass sie darüber hinaus Anstand und Moral vergaß. Bobby versuchte ihr, so gut es ging, ein dankbares Lächeln zu schenken, was jedoch nicht erwidert wurde. Ihre Miene wirkte wie versteinert. Wahrscheinlich hatten sich mit dieser Auseinandersetzung nur ihre Vermutungen bestätigt, die sie ohnehin schon die ganze Zeit gehabt hatte. Sie war nicht dumm und hatte sicher 1 und 1 zusammenzählen können, wenn es Bobby eindeutig zu John hinzog und dieser dann plötzlich in Eis eingefroren war. Der Feuermutant drehte sich ebenfalls zu ihr um, sagte jedoch kein Wort. Bobby wusste nicht zu sagen, ob dies daran lag, dass er langsam zur Besinnung kam oder im gleichen Moment Logan in den Raum gestürmt war. Sicherlich hatte man sie bis weit auf den Flur hören können. „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“, fragte er und seine ernste Stimme durchschnitt die Stille, die sich breit gemacht hatte. Bobby blickte noch einmal zu John, machte sich dann aber von diesem los und quetschte sich an Logan vorbei auf den Flur hinaus. Keiner der verbleibenden Schüler sagte etwas, doch dass alle Augen auf John gerichtet waren, verriet, was hier passiert war. Ohnehin hätte Logan es sich auch so zusammenreimen können. Wer John einmal kannte, der brauchte nicht zu fragen, wer Unruhe gestiftet hatte, wenn dieser mit im Raum war und Bobby sich fluchtartig aus dem Staub machte. „Arbeitet weiter, los“, meinte Wolverine mit halbem Befehlston in Richtung der anderen Schüler, die daraufhin erschrocken zusammenzuckten und sich wieder ihren Blättern widmeten, auch wenn sie nicht wirklich lasen, was da stand. Wolverine griff John an der Schulter und zog ihn zu sich. Der muskulöse, wuchtige Oberkörper drückte sich dem Jungen fast ins Gesicht. „Hör mir zu, was auch immer passiert ist, lass es nicht noch mal passieren. Ansonsten garantier ich dir, wirst du die Krankenstation bald wiedersehen“, zischte er ihm leise zu und erwartete seine Reaktion. In Johns Augen war ein Funken Angst zu sehen. „Willst du mir etwa drohen?“, meinte er dennoch betont emotionslos. Logan lächelte leicht. Das war nicht ernst gemeint, aber… das muss er ja nicht wissen. „Vielleicht“, sagte er und schubste ihn sanft, aber bestimmt in die Richtung der anderen Schüler. Dann wandte er sich ab, warf noch einen prüfenden Blick durch den Raum und ging. John blieb perplex dort stehen, wo Logan ihn zurückgelassen hatte. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder fing. Seine Worte an Bobby klangen ihm noch mal durch den Kopf und ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht diesmal zu weit gegangen war. Nachdenklich setzte er sich auf den Stuhl, den Bobby bis eben noch besetzt hatte. Warren und Jubilee blickten kurz zu ihm auf, sprachen ihn jedoch nicht an. Vielleicht wollten sie nicht riskieren, auch Opfer von seinen taktlosen Sprüchen zu werden oder sie hatten einfach entschieden, aus Loyalität zu Bobby nicht mehr mit ihm zu sprechen. Vielleicht aber auch merkten sie, wie John langsam zur Besinnung kam, langsam realisierte, was er getan hatte, und wollten ihn nun in Ruhe lassen. John blickte starr auf Bobbys Ausdrucke, nahm aber nicht einmal das Thema wahr. Zu sehr nahm die Auseinandersetzung mit ihm Bobby ihn nun ein. John Allerdyce, manchmal… bist du echt ein Arschloch. TBC Das war lang, gell? Ich hab ja das Gefühl, dass es zu lang ist bzw. einige Szenen oder Gedankengänge der beiden sich unnötig in die Länge ziehen. Allerdings hab ich im Nachhinein auch nicht so recht gewusst, wo ich kürzen soll, also musstet ihr da jetzt durch xD Übrigens: "Maid In Manhattan" und "Two Weeks Notice" sind die englischen Originaltitel der Filme "Manhattan Love Story" und "Ein Chef zum Verlieben". Danny und Sandy sind die Hauptcharaktere in "Grease", Harry und Sally im gleichnamigen Film und Johnny und Baby entstammen "Dirty Dancing", was einfach nur beweist, dass Bobby von Rogue durch sämtliche "Mädchen"-Filme geschleust wurde *LOL* In Punkto Elvis Presley und Michael Jackson: Im Gegensatz zu Michael wüsste ich Elvis nicht, dass es da jemals Gerüchte gegeben hätte, er wäre ein Alien. Das hab ich frei erfunden. Bei dem gibt es nur die Gerüchte, dass er noch lebt - wie bei Michael Jackson jetzt auch. Da fragt man sich: Haben die Leute eigentlich sonst nichts zu tun? Irgendwann sollte man sie auch mal in Frieden ruhen lassen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass John sich so etwas durchliest - um sich im Endeffekt dann darüber zu amüsieren. Tja, und nachdem Johnny-Boy jetzt am Ende seiner Arschloch-Attitüde wieder Freilauf gegeben hat, könnt ihr gespannt sein, was Bobby im nächsten Kapitel dazu sagt. Eine Idee hab ich schon. Aber ich mach hier trotzdem mal lieber keine Aussage, wann ich dazu komm, das auch zu schreiben. Mit viel Glück geht's vielleicht etwas schneller xD" Jedenfalls hat es mir ehrlich Spaß gemacht, die beiden zu schreiben. Sodele, ... Kommis sind immer gern gesehen, ebenso wie Eis, kühle Getränke, Handventilatoren... auch wenn ich jetzt freiwillig zurück in die Hitze springe (und wieder viel zu viel rede). Bis denne, motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)