Meeresrauschen von -Elenya- ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ 2 Es war ungewöhnlich. Madame Boulay holte mich aus meinem Zimmer, obwohl es fürs Abendessen noch zu früh war und meinte, ich müsse mich beeilen. Schnell warf ich mir einen Morgenmantel über, denn ich war schon in meinem Nachtgewand. Normalerweise brachten sie mir das Abendessen auf mein Zimmer, warum also holte sie mich heute heraus? „Es ist der Mann, den Sie am Strand gefunden haben, Madame Bell!“, sagte Madame Boulay aufgeregt, während sie mich aus dem Raum schob. „Er verlangt nach Ihnen, ich frage mich, was er von Ihnen möchte!“ Ich folgte ihren trippelnden Schritten den Flur entlang und fragte mich ebenfalls, was er wohl von mir wollte. Vielleicht konnte er bei den Marcous ein gutes Wort für mich einlegen, damit sie endlich sahen, dass ich nicht verrückt war! Ich fasste Hoffnung und setzte ein strahlendes Lächeln auf, als ich den Raum betrat. Es war einer der schönsten Räume der alten Villa, mit großen Fenstern und hohen Wänden, die von kleinen Schränkchen und Tischen gesäumt und mit Blumenmotiven tapezierten waren. Mittig an der linken Wand stand ein großes Himmelbett in dem der Mann vom Strand lag und mich müde anlächelte, als ich näher trat. Madame Boulay zögerte einen Moment, dann ließ sie mich mit ihm allein und schloss die Tür hinter sich. Dennoch war ich mir sicher, dass sie vor der Tür auf das leiseste verdächtige Geräusch lauschen würde. Keine Chance zur Flucht. „Assieds-toi près de moi!“, hörte ich ihn auf Französisch vom Bett aus sagen und wollte seiner Bitte nachkommen, doch ich fand nichts zum hinsetzten und ich hatte nicht vor, mich zu ihm aufs Bett zu gesellen. Er bemerkte meinen suchenden Blick und lachte kurz auf. Dann wies er auf den Tisch, der an der gegenüberliegenden Wand stand. „Il y a une chaise sous la table.“ Ich holte den Stuhl unter dem Tisch hervor und stellte ihn neben seinem Bett ab, um mich langsam darauf niederzulassen, während ich darauf achtete, dass mein Morgenmantel geschlossen blieb. Ich war schließlich nur im Nachthemd und er war ein wildfremder Mann! Ich sah ihn eine Weile an und lächelte ihm zu, als wolle ich ihn auffordern etwas zu sagen – und tatsächlich, er sprach mit mir. Jedoch wieder auf Französisch. „Est-ce-que tu veux une tasse de thé?“ Er sah mich fragend an, doch ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte die ganze Zeit nur einen Gedanken. Ohne zu Zögern, sprach ich ihn aus. „Pardon, aber warum haben Sie am Strand Englisch mit mir gesprochen, wenn Sie doch Franzose sind?“ Ich sprach absichtlich in meiner Muttersprache, weil ich sehen wollte, ob er darauf reagierte. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Er setzte sich verwundert auf und blickte mich ungläubig an. Dann schien er sich wieder zu fangen, denn er setzte erneut sein erschöpftes Lächeln auf und strich mit seinen großen Händen die Decke über seinen Beinen glatt. „Dass ich mit Ihnen Englisch gesprochen habe, vergessen Sie bitte ganz schnell wieder, in Ordnung?“, sagte er leise, aber dennoch eindringlich. Ich fühlte mich plötzlich ein wenig unbehaglich, weil er mich wie aus heiterem Himmel siezte und Englisch sprach, aber ich gab mir große Mühe, es mir nicht ansehen zu lassen. Was wollte er verbergen? War er ein englischer Spion? War er gefährlich für mich, jetzt wo ich sein Geheimnis kannte? „Es wäre mir am liebsten, wenn Sie Französisch mit mir sprechen würden, denn ich möchte nicht, dass das ganze Haus meine Herkunft erfährt.“ Immer noch sprach er mit ruhiger, gefasster Stimme, doch ich sah seine Hände, die sich mehr als einmal anspannten und zur Faust ballten. Da ich nicht im Geringsten etwas gegen Engländer hatte und den Marcous die Pest an den Hals wünschte, hatte ich kein Problem damit, sein Geheimnis zu wahren und nach seiner zweiten Aussage, hatte ich auch keine Angst mehr vor ihm, denn er schien mir nichts Böses zu wollen. Trotzdem zögerte ich mit meiner Antwort. Er wartete immer noch angespannt und fixierte mich mit seinen grünen Augen, wie ein Wolf seine Jagdbeute. Das machte es für mich noch schwieriger, ihm zu antworten, doch schließlich sprach ich es aus. „Ich würde Ihrer Bitte gerne nachkommen, “, erklärte ich mit leiser Stimme, damit Madame Boulay von dem Gespräch nichts mitbekam und hob hilflos die Schultern, „Aber ich kann fast gar nicht Französisch sprechen. Das einzige was ich kann ist, die Französische Sprache halbwegs verstehen… doch selbst sprechen? Das gehört leider nicht zu meinem Repertoire.“ Sein verwunderter Blick brachte mich fast zum Lachen, aber ich biss mir auf die Unterlippe um es nicht zu tun. „Sie wissen aber, dass Répertoire französisch ist, oder?“, fragte er mit einem Schmunzeln und nun traute auch ich mich, ein wenig zu lachen. Dennoch, war ich noch nicht fertig und so zwang ich mich, wieder ein ernstes Gesicht zu machen. Glücklicherweise war das nicht schwer. All die Jahre in denen ich allein gewesen war, verlassen und vergessen von allen die mich liebten, hatte mein Gesicht sich in eine ernste Maske verwandelt, die sich nur in eine freundliche verwandeln konnte, wenn es mir vollkommen gut ging und ich mich wohl fühlte. Wenn ich den Schmerz und die Angst und die Personen die damit in Bezug standen, vergessen konnte. Und wenn die Freude dann kam und sich wie gleißendes Licht in meinem Gesicht und meinem ganzen Körper ausbreitete, dann war sie nur schwer zu vertreiben – so wie jetzt. Denn es war selten, dass mich jemand mit solch freundlichen Augen ansah und mich anlächelte, als wäre ich jemand wohl bekanntes und eine lieb gewonnene Person. „Wenn Sie mir erlauben, auch eine Bitte zu äußern, Monsieur…?“, begann ich sah ihn fragend an. „Leclerc“, kam es kurz und knapp vom Bett. Seltsam. Ein französischer Name, für einen Engländer? „Monsieur Leclerc, wenn ich auch eine Bitte äußern dürfte?“, fragte ich noch einmal und sah ihn an. Er nickte. Dankend lächelte ich ihn an, dann wurde ich wieder ernst. „Ich würde mich freuen, wenn Sie weiterhin mit mir Englisch sprechen könnten. Die Marcous müssen doch nicht wissen, dass Sie Engländer sind. Sie können zufällig Englisch und da ich kein Französisch beherrsche, können wir uns auf Englisch unterhalten.“ Wieder sah ich ihn fragend an und ich wunderte mich ein wenig, dass ich so angespannt war. Konnte mir dieser Mann nicht völlig egal sein? Und was war, wenn er überhaupt kein Interesse an meinen Bedürfnissen hatte, und sich jetzt eigentlich nur hatte höflich bedanken wollen? Ich spielte mit meiner Bitte auf weitere Gespräche, ohne dass ich ihm und er mir überhaupt vorgestellt worden war! Was für ein herrliches Gefühl war das, als er mich nicht empört oder abweisend, sondern freundlich und verständnisvoll ansah und leicht nickte. „Nun gut, das klingt, als könnte es klappen.“, sagte er, seufzend und fuhr sich mit der Hand durch das braun-rote Haar. Dann sah er mich wieder an. „Wie hießen Sie noch gleich? Ich glaube ich habe es vergessen.“ „Emily Bell.“, erwiderte ich und reflexartig schossen meine Mundwinkel in die Höhe. „Und… und Sie sind?“ Ich war ein wenig aufgeregt. Ob er mir nun vielleicht seinen richtigen Namen verriet? „Alain Leclerc.“, antwortete er und ich versuchte mir meine kleine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sacht strich ich mit der einen Hand über meinen Morgenmantel und mit der anderen schob ich mir eine dunkle Strähne meines Haares wieder zurück hinters Ohr, an dem ein blauer Ohrring glitzerte. „Nun, der Grund warum ich Sie rufen ließ ist folgender: Sie waren diejenige, die mich am Strand aufgefunden hat und Sie waren es auch, die mich gerettet haben. Dafür danke ich ihnen noch einmal.“ Er machte eine Pause und sah gedankenverloren aus dem Fenster, als würde ich plötzlich nicht mehr existieren. „Ich stehe tief in Ihrer Schuld und wenn es irgendetwas gibt, dass ich für Sie tun kann, dann sagen Sie es mir bitte. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich Ihnen danke.“ Er sah mich immer noch nicht an, doch ich konnte seine Schultern sehen, die ganz leicht zu zittern begannen. Ratlos saß ich auf meinem Stuhl und sah weiterhin auf seine rotbraunen Haare und sein rechtes Ohr und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Es herrschte Stille für einen Moment, dann drehte er seinen Kopf langsam wieder zu mir. Zuerst dachte ich, er wäre böse auf mich, weil seine Augenbrauen so seltsam nach oben gezogen waren, doch dann sah ich die Träne, die langsam über seine Wange lief und auf die Decke tropfte, als sie am Kinn angekommen war. „Aber, Monsieur! Das ich Ihnen geholfen habe, das war doch eine Selbstverständlichkeit!“, sagte ich leicht verunsichert, durch seine Schwäche, die er mir so offen zeigte. „Geht es Ihnen gut, oder soll ich Madame Boulay rufen?“ Ich wollte mich schon erheben, denn er machte mir plötzlich einen sehr blassen und erschöpften Eindruck, doch dann spürte ich, wie seine Hand nach der Meinen griff und sank wieder zurück auf den gepolsterten Stuhl. „Nein, bitte bleiben Sie noch.“, flüsterte er. „Es geht mir gut, ich bin nur ein wenig schlapp.“ Er wischte sich die Tränenspur von der Wange und sah mich lange und durchdringend an. Wir sprachen nicht, er sah mich nur an und ich erwiderte seinen Blick, als hätte ich nie etwas anderes getan. Irgendwann wurden seine Augenlieder schwer und sein Atem ging ruhiger. Sein Körper entspannte sich und nur wenige Augenblicke später, war er fest eingeschlafen. Einen Moment saß ich ein wenig perplex auf meinem Stuhl und starrte ihn an. Er hatte gewollt, dass ich bleibe. Ich! Er war in meiner Gegenwart eingeschlafen. In meiner Gegenwart! Leise stand ich auf und brachte, immer noch gerührt, den Stuhl zurück zum Tisch, dann warf ich noch einmal einen Blick auf ihn und verließ mit zaghaften Schritten das Zimmer. Nein, bitte bleiben Sie noch. Wie lange hallten die Worte noch durch meinen Kopf? Ich glaube es war eine Ewigkeit. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich Ihnen danke. Danke, Emily. Danke, dass du mich gerettet hast. Wörter, nichts als Wörter. Doch sie berührten mich tiefer, als alles andere jemals zuvor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)