Judasfall eines Drachen von masamume (Teil 13/2 - Zweifel und Vertrauen) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 - 5 ------------------------ Judasfall eines Drachen Teil 2 - Zwischen Zweifel und Vertrauen Chapter 1 Jetzt lief er hier oben schon eine halbe Ewigkeit herum und hatte ihn noch immer nicht gefunden. So witzig war das jetzt nicht mehr und hätte er Schokolade in der Tasche gehabt, hätte er selbst davon Gebrauch gemacht. Egal, ob das vor dem Frühstück jetzt gesund war oder nicht. So ein Theater hier war sicher noch ungesünder und das vor dem ersten Kaffee!!! „TATO! Komm hier her jetzt! Das ist nicht lustig! Mama wird böse!“ Aber nicht ein einziger Ton seines Kleinen konnte er hören. Das war doch echt die Höhe! Nur weil Joey mal wieder die Tür offen gelassen hatte, war der Minidrache ausgebüchst. Dabei wusste doch jeder, wie schnell der kleine Wirbelsturm verschwinden konnte, wenn er den Ruf der Freiheit hörte. Also: Türen zu und merken, verdammt! War das denn so schwer?! Joey wusste doch, wie fix Tato weg war!!! Scheiße verdammt!!! „TATO! VERDAMMT NOCH MAL!“ Jetzt wurde er echt ärgerlich. Er hatte Hunger, noch keinen Kaffee und kalte Füße, weil Tato ihm außerdem seine dicken Lieblingssocken versteckt hatte. Da war doch ne Intrige im Gange! Also rauf in den ägyptischen Trakt, wenn er unten nicht zu finden war. Treppen krabbeln hatte er ja nun mal leider schon gelernt. Der war eindeutig zu weit für sein Alter. Ob wohl alle hochintelligenten Überflieger so schwer zu hüten waren? Nein, das wollte Seto sich nicht vorwerfen lassen. Dieses freche Verhalten hatte er ganz eindeutig von Yugi! Obwohl Yugi immer behauptete, dass er das Weglaufen von Seto hatte ... EGAL! Ausbüchsen hin oder her - jedenfalls nicht vor dem ersten Kaffee!!! In Tristans und Nikas ehemaligem Schlafzimmer war nichts. Das war jetzt ein wüstenähnlich gestaltetes Wohnzimmer, in welchem nur auf der niedrigen Liege ein paar geknautschte Decken von den überraschenden Gästen herumlagen, aber kein Minidrache. In Maries Schlafzimmer war auch nichts - dort stand eher nebenan jemand unter der Dusche, wo er nicht weiter stören wollte. Selbstständig duschen konnte der kleine Terrorist glücklicherweise noch nicht. Und wenn, dann wäre es dort wesentlich lauter und nasser. Teas und Mokephs ehemaliges Zimmer war abgeschlossen, wahrscheinlich weil Yami in seinem neuen Gemach irgendwelche Süßigkeiten vor Yugi versteckte. Der Raum voller Schlangen und sonstigem Kriechgetier war seit Tatos kleinem Einbruch dort sowieso immer ganz abgeschlossen und so auch heute. Auch wenn dort nur noch Eidechsen wohnten bis Mokeph sie nach und nach rüber in den anderen Flügel transportiert hatte. Vorausgesetzt er bekam das Zimmer, welches er haben und Tea lieber zu einem Kinderzimmer machen wollte. Den Kampf musste erst mal einer gewinnen, bevor die Tierchen rüber konnten ... oder eben auch nicht. „TATO! KOMM HER JETZT! ICH HAB KEINE LUST MEHR!“ Er wusste genau, dass er ihn hörte, aber im Verstecken war er Weltklasse. Erst letzte Woche musste ihn der gesamte Kindergarten suchen, weil man Angst hatte, er wäre verschwunden. Dabei saß er hinter einem Schrank, der nicht ganz an die Wand gestellt war und knabberte an dem Gardinensaum, der dort herunterhing. Und wer hatte ihn gefunden? Yugi! Weil man ihn angerufen hatte, um zu sagen, der Kleine sei unauffindbar und man würde ihn jetzt bei der Polizei als vermisst melden. Aber Yugi hatte heute Morgen genug damit zu tun, frische Brötchen für die plötzlich gewachsene Mannschaft zu machen. Also musste Mama Seto suchen gehen und sich ärgern. Mit Tato spielen war ja schön, aber nicht auf leeren Magen, genauer kaffeeleeren **habt ihr schon mal ein Wort mit 5 E’s gesehen?** Magen. „ASATO! KOMM SOFORT HIER HER! SONST ...!“ „Was schreist du denn so, Mama?“ Super, da hatte er Tato nun gefunden und es war der falsche. Er suchte den kleinen Windelscheißer und nicht den 40-jährigen. **39! Vorsicht, Seto. 39!** Der kam da eben durch die Tür des Gebetsraumes und schaute ihn mürrisch an. Wer wurde schon gern von Mama am frühen Morgen ohne Grund angeschrieen? Irgendwie war es auch nach einer vergangenen Nacht merkwürdig, ihn zu sehen. Er war so groß wie Seto, so erwachsen, noch erwachsener mit Mimikfältchen sogar. Seine schwarze Kleidung wirkte so respekteinflößend und es unterstrich seine blauen Augen so unwirklich. Auch wenn er noch nicht steinalt war, schien er innerlich sehr gereift. Der Gehstock tat dazu nur sein übriges. Und er war am Morgen genauso ungenießbar wie jeder Drache. „Morgen, Tato“ grüßte Seto und kam auf ihn zu. „Dich hab ich aber nicht gerufen.“ „Du hast doch Tato gerufen und hier bin ich. Also, warum suchst du mich?“ „Nicht dich. Na ja, schon dich. Die kleinere Ausgabe von dir.“ „Du meinst meinen Doppelgänger mit Windeln“ lächelte er dann doch etwas belustigt über dieses Missverständnis. „Warum? Hast du mich verloren?“ „Nicht ich, sondern der Köter. Er hat die Tür offen gelassen und jetzt bist du verschwunden.“ „So was“ schmunzelte er. „Und du bist das Suchkommando?“ „Sieht so aus“ seufzte er und lächelte ihn ebenso lieb an, als er endlich vor ihm stand. Auch wenn er jetzt zehn Jahre älter war, sah er gut aus. Als würde Seto in einen Spiegel blicken und sich selbst in zehn Jahren sehen. Nur die blonden Strähnchen, die müsste er künstlich machen lassen. Ebenso wie er sich das Haar kürzer schneiden müsste. Tato hatte ja wirklich extrem kurzes Haar. War als Windmagier wohl vorteilhafter. „Morgen“ strahlte er. „Du siehst gut aus, Sohn.“ „Danke, du auch“ schmunzelte er. Und weil er gerade nichts anderes wusste, breitete er einfach seine Arme aus und umarmte ihn. Eine Geste sagte manchmal mehr als tausend Worte. Auch wenn er an sich nicht so kuschelig war, liefen seine Väter außer Konkurrenz. Er seufzte und entspannte sich ein wenig in Setos Armen, ließ seine Muskeln locker und schmiegte sich an ihn. „Es ist schön, wenn du mich im Arm hast“ flüsterte er. „Ich hab dich lieb, Mama.“ „Ich liebe dich auch“ erwiderte er und drückte ihn an sich, schloss die Augen und genoss seine surreale Anwesenheit. Schon merkwürdig, dass sie trotz des Altersunterschiedes noch immer dieselben Gefühle zueinander hatten. Aber war das nicht egal? Sie hatten schon so viele verwirrende Dinge erlebt - da machte das den Kohl auch nicht mehr fett. „Warst du beten?“ fiel ihm da auf als sein Blick durch die halb geöffnete Tür des Gebetsraumes fiel. „Ja ...“ antwortete er ruhig und ließ ihn wieder los. „Ich hab’s Nini versprochen, dass ich jeden Tag beten gehe. Sie besteht darauf. Du gehst doch auch beten.“ „Ja, schon. Aber nicht unbedingt jeden Tag. Ich bin ja nicht ...“ „Seth“ seufzte er. „Ja, ob der noch betet, weiß ich nicht. Er muss dir sicher sehr fehlen ...“ „Natürlich fehlt er mir“ gab er betrübt zu. „Er ist mein Yami. Ich fühle mich einsam ohne ihn. Wenn ich nur wüsste, wie man ihn ...“ „Nicht“ unterbrach er ihn und nahm vorsichtig seine Hände. „Fang nicht an, darüber nachzudenken. Es bringt nichts und die Fragen begleiten dich sonst die nächsten Jahre. Wende deine Kraft lieber auf andere Dinge.“ „Du sagst das so leicht. Aber ein Großteil meiner Gebete gilt ihm. Ich kann ihn nicht einfach so aus meinem Leben wischen. Ich fühle mich einsam ... abgelehnt, wenn er mich meidet. Mein Wunsch ist nur, dass er wieder nach Hause kommt.“ „Jeder hat etwas, wofür er betet, Mama“ antwortete er mit gesenkter Stimme. „Lass uns nicht mehr davon sprechen. Komm, ich verrate dir ein Geheimnis, bevor du selbst dahinter kommst.“ „Ein Geheimnis“ guckte er überrascht, als Tato die Tür des heiligen Raumes schloss und seine Mama an der Hand in Richtung Treppenhaus zog. Eine hatte er ja noch frei, während er sich mit der anderen auf seinen Gehstock stützte. „Ja, ein Geheimnis. Mein ganz privates, großes Geheimnis. Aber nur, weil ich dich heute so lieb habe.“ „Weil du mich ...?“ Irgendwie war Tato wie er selbst. Vor anderen meistens beherrscht, mürrisch und unnahbar. Aber vor den Menschen, die er am meisten liebte, da war er anders. Bei Seto war das eigentlich nur Yugi und früher mal Seth und ganz selten mal Joey, die ihn so erlebten - aber bei Tato schienen die Eltern dazu zu gehören. Deshalb war er ein bisschen anders als die anderen Drachen. Er war das erste Baby, welches bei seinen Eltern geschützt aufwachsen durfte. Er war ein Wunschkind. Er konnte sich entfalten und hatte ein anderes Selbstbewusstsein ... und doch hatte er dieselben Grundzüge. Er führte ihn ins Treppenhaus, aber sie gingen nicht hinunter, sondern eher ein Stück zu der Treppe, welche noch weiter hinauf zum Dachpool führte. „Pscht, ich zeig dir was“ flüsterte Tato und wies auf die Holzverkleidung, welche dort am Treppenansatz zu sehen war. Er kniete sich daneben und zeigte mit seinem Finger auf den Rand der Treppe. „Hier fehlt ein Nagel“ sprach er geheim gehaucht weiter. „Du kannst das Brett ohne viel Kraft nach oben biegen. Und wenn man klein genug ist, kann man da reinkriechen und im Hohlraum der Treppe sitzen.“ „Du bist mir ja ein Schlitzohr“ schmunzelte Seto und tauschte mit Tato die Plätze, kniete sich neben die Treppe und schaute sich das mal triumphierend an. „Tato!“ rief er noch mal ganz hinterhältig. „Tato, wo bist du denn?“ Tatsächlich hörte man es unter der Treppe kratzen und leise kichern. Der große Tato entgegnete seinem grinsenden Blick mit einem ebenso grienenden welchen. Da hatte er sein kleineres Ich aber ganz gemein verraten. „Tato, komm raus! Wo bist du denn, mein Schatz?“ rief Seto noch mal und hörte ein leises Kichern unter den Dielen. Wenn ihm das nicht jemand gesagt hätte, dann wäre er noch in Stunden auf der Suche nach dem Frechdachs herumgepoltert. „Oh! Guck mal, Mama!“ rief der große Tato dafür umso lauter und zwinkerte ihn keck an. „Schokolade! Willst du auch ein Stück?“ „Oh! Schokolade!“ lockte Seto und musste sich doch ein Lachen verkneifen. „Oh lecker Schoki! Hmmmmmmmm! Ein Gaumenschmaus.“ „Ja! Beide Daumen nach oben! Lecker Schoki!“ Unter der Treppe kam ein Rascheln hervor und schon schob sich die Verkleidung ein Stückchen nach oben. „Daume na obe“ kam eine süße, helle Stimme darunter hervor. „Lecker Sooki ...“ Bevor der Kleine ihn sehen konnte, stieg Mama Seto lieber ganz leise auf die Stufe rauf und beobachtete den Flüchtigen von einem höheren Sichtpunkt aus. „Ja, oh lecker Schoki!“ sagte Tato noch mal besonders deutlich. „Komm, Mama. Sonst isst Joey alles weg.“ „NEIN! Nis Schschschooi alle Sooki!“ beschloss der gierige Minidrache und noch ehe er voller Hunger ganz herausgekrabbelt war, schossen zwei Greifarme auf ihn herab und hoben ihn in die Luft. Er kreischte schrill und strampelte und wollte schnell zurück in seine Höhle, aber gegen Mama war kein Ankommen. Der hatte eindeutig die stärkeren Arme. „Na, du Räuber!“ lachte der und hielt ihn so fest im Arm, dass er ihm nicht auskommen konnte und gezwungen war, ihn direkt anzusehen. Aber Seto musste einfach grinsen über die ausgeklügelte Frechheit seines Sohnes. „Was machst du denn hier? Hast du nicht gehört, dass ich dich gerufen habe?“ „Mama!“ guckte er ganz aufgeregt. „Schschschooi isst alle Sooki auf! Snell hin! Innie Küsse! Alter Swede! Snell, Mama! Snell!“ „Na, dann wollen wir mal in der Küche schauen, ob Joey uns noch Schoki übergelassen hat“ zwinkerte Seto und der große Tato grinste sich nur einen. Wenigstens bekam er keine Schimpfe, denn irgendwo hatte er sich ja selbst verraten. Wer geständig war, wurde gnädig behandelt. „Soll ich Tristan nachher sagen, er soll das Holz festhämmern?“ „Nicht doch, das wäre dumm“ lächelte Seto. „Jetzt weiß ich ja, wo ich dich finden kann, wenn du mal wieder ausbüchst.“ „Meinst du nicht, dass ich mein Versteck jetzt enttarnt habe?“ „Ich hab’s doch gar nicht entdeckt. Ich konnte dich nur schnappen, weil du schon draußen warst.“ „Is war draußen“ fluchte Klein-Tato leise vor sich hin. „Dumm gelaufen, alter Swede. Nis snell genug ...“ In der Küche war schon ordentlich Trubel. Zum Glück hatten sie eine größere Küche, wo auch eine ganze Gruppe Platz fand. Zwar etwas enger als sonst, aber es passte gerade noch. Es kam zwar selten vor, dass wirklich mal alle Familien zusammensaßen, da ja auch jeder seine eigene Küche besaß, aber jetzt, wo sie Gäste zu beherbergen hatten, da nahmen sie die alte Gewohnheit wieder auf und trafen sich morgens. Genau wie früher, wo sie erst gemeinsam frühstückten und dann zur Schule fuhren. Nur eben, dass sie jetzt sich selbst für die Arbeit und ihre Kinder für den Kindergarten fertig machten. Ja ja, die Zeit war schnell vergangen. „Na, hast du ihn gefunden, Liebling?“ lächelte Yugi, kam ihm entgegen und nahm ihm erst mal den kleinen Flüchtling ab. „Hm, eigentlich hat er ja mehr sich selbst gefunden“ brummte er. „Wieso? Tato, was hast du gemacht?“ Er schaute dem Kleinkind in seine großen, babyblauen Augen, aber eine Erklärung fand er darin nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen. Aber dafür bekam er überraschend einen Wangenkuss von dem großen Tato und ein lächelndes „Morgen, Papa“ ins Ohr gesagt, bevor er sich einen Topf und frische Milch aus dem Kühlschrank fischte. „Morgen, Tato“ antwortete er überrascht und schaute dann seinen Liebling ziemlich skeptisch an. „Was heckt ihr schon wieder aus?“ „Nichts. Wie kommst du darauf?“ grummelte er, gab ihm ebenfalls einen Kuss auf die Wange und setzte sich auf seinen Stuhl. „Ich hab Hunger, wo sind die Brötchen?“ „Wir warten noch auf Spatz“ antwortete Narla, welche ihrer Tochter aber trotzdem schon das Fläschchen angesetzt hatte und die Kleine natürlich vorab schon Frühstück bekam. Babys verstanden von Tischmanieren ja nun leider nicht so besonders viel. „Ich hab aber auch Hunger“ quengelte Joey leidlich. „Die Brötchen duften so gut. Warum müssen wir immer auf Minderheiten Rücksicht nehmen?“ „Weil du hier am Tisch die einzige Lebensform mit vermindertem Denkvermögen bist und wir alle auf dich Rücksicht nehmen. Also freu dich und sei ruhig.“ „Boah, du bist so fies! Trink mal erst mal deinen Kaffee, Drache!“ „Wenn du den gekocht hast, ist der bestimmt nicht trinkbar.“ „Den hat Yugi gekocht, nicht ich!“ „Hätte mich auch gewundert, wenn du mal was im Haushalt machen würdest.“ „Ach, und was ist mit dir? Du machst doch auch nie was im Haushalt. Du bist so faul, dass du schon anfängst zu stinken!“ „Jungs, bitte“ seufzte Mokuba müde. „Muss das jetzt sein?“ „JA! ES MUSS!“ war die einhellige Meinung der beiden Streithähne und ... **“WIR STREITEN NICHT!!!“ ... ja ja ja, sorry ...** „Ich muss nichts im Haushalt machen“ bekräftigte Seto. „Schließlich bringe ich das Geld nach Hause.“ „HA! Dass ich nicht lache! Im letzten Quartal hab ich dein Halbjahresergebnis um 2,74 Prozent getoppt! Im Marketing bin ich eindeutig erfolgreicher als du!“ „Aber nur, weil du im letzten Quartal zehn Gesellschaften mehr verwaltet hast, die ICH gegründet habe. Außerdem mache ich kein Marketing mehr, wie soll ich da Gewinne einfahren, du Honk?“ „Wenn du deine Gesellschaften nicht selbst verwaltest, ist das doch nicht meine Schuld! Diese ganze Aufgabenteilung ist doch auf deinem Mist gewachsen! Das hab ich nicht zu verantworten, wenn jetzt deine Gewinne wegbrechen.“ „Sehr wohl, weil ich dir meine Aktienpakete übertragen habe. Aber das überlege ich mir dann das nächste Mal.“ „Ähm, darf ich da auch mal was zu sagen?“ meldete Noah sich vorsichtig. „NEIN!“ Bei dieser geballten Einigkeit konnte man doch als Störfaktor nur klein auf dem Stuhl zusammensinken ... oder? „Behalte doch deine blöden Aktienpakete!“ schimpfte Joey. „Kannst sie ja als Care-Paket in die Dritte Welt schicken. Du stehst doch so auf Stiftungen, Vater Theresa!“ „Da fällt mir ein, wo ist eigentlich deine Spende für meine Stiftung? Ich hab deine monatlichen Zuwendungen noch nicht gesehen, du Flohfänger.“ „Dann musst du mal besser hinschauen. Ich habe dir letzte Woche eine halbe Million auf dein dummes Spendenkonto geschrieben.“ „Deswegen hab ich das nicht gesehen! Eine halbe Million! Dein Geiz geht mir echt auf die Nerven.“ „GEIZ? ICH BIN GEIZIG? Jetzt hört’s aber auf! Du hast doch neulich dem Straßenmusikanten nicht einen Cent gegeben! Ich hab dem fünfzig Dollar in den Hut getan und du gar nichts!“ „Du hast ja auch keinen Musikgeschmack. Der hat schrecklich gespielt. So was sollte man nicht unterstützen. Mozart würde sich im Grabe umdrehen.“ „Das solltest du eigentlich auch tun, aber nicht mal auf’m Friedhof wird man dich los.“ „Ich wollte da nur Platz für dich machen“ zischte er und funkelte ihn mit bösen Augen an. „Dein Grab hab ich schon ausgehoben. Persönlich.“ „Siehst du? Du bist selbst zu geizig, nen Friedhofsgräber zu beschäftigen.“ „Ich will nur sichergehen, dass du auch wirklich drin liegst. Aber ein Blümchen pflanze ich dir auch noch drauf - weil ich so großzügig bin.“ „Ach, herzlichen Dank, Richy Rich.“ „Gern geschehen, Scooby Doo.“ „Okay, jetzt wird’s mir zu dumm“ muckschte er, verschränkte böse die Arme vor der Brust und holte die schmollende Unterlippe heraus. „Jetzt bist du zu weit gegangen.“ „Ach, tut mir das leid“ seufzte er mit dramatisch verdrehten Augen. „Würde es dich trösten, wenn du jetzt ein Brötchen essen darfst? Als Placebo für Hundekuchen, die ich aus Geiz nicht gekauft habe?“ „Ja, das würde mich trösten“ strahlte er sofort getröstet und nahm sofort den Brotkorb ins Visier, wo jede Menge wohlriechender, knackiger, frisch gebackener Brötchen aus Yugis Küche drin lagen. „Darf ich? Oder ist das ein Trick?“ „Natürlich darfst du“ schmunzelte Seto und ließ sein Köterchen sogleich in den Brotkorb greifen und sich das schönste Stück aussuchen. Gierig biss er sofort hinein und machte ein wohliges „Hmmmmmmmmmmm“, als der zarte Teig seine Zunge schmeichelte. „Scho eine ekschtra Behandlung ischt do wasch Schwönes.“ Er kaute sein Brötchen, biss noch mal demonstrativ ein großes Stück ab und wartete auf die bewundernden Blicke oder Neidbekundungen, denn immerhin durfte er schon vorab ein lecker Rundstück happsen. Doch anstatt ein bewunderndes ‚Oooooh’ zu hören, erblickte er um sich herum nur grinsende Gesichter ... was ihn dann doch ein wenig verunsicherte. „Wasch dönn?“ schmatzte er verwundert. „Isch wasch?“ „Nichts, du darfst weiteressen“ schmunzelte Seto, aber als sein Blick ein wenig zur Seite abfiel, schaute auch Joey zur Seite und entdeckte auch den Grund für seine Erlaubnis. Das war nämlich keine Sondererlaubnis, sondern offiziell. Der letzte Fehlende war eingetroffen und Spatz nahm sich nur noch ein wenig Leitungswasser in den heißen Tee, um ihn wohl gleich trinken zu können. Also waren sie längst komplett. Na super, dahin verschwand also seine Sonderbehandlung, welche gar keine war. Vergebens gekämpft um Anerkennung. Doch lachen musste er trotzdem ziemlich heftig. „WIE SIEHST DU DENN AUS?“ Spatz drehte sich überrascht herum und schaute ihn ratlos aus seinen zart glänzenden Stahlaugen an, die sich heute Morgen hinter einer Brille mit schmalem Silberrahmen versteckten. Doch Joey lachte nur laut, klopfte sich auf die Beine und verschluckte sich vor Gackern an dem letzten Stück Brötchen und musste zwar husten, konnte aber einfach nicht aufhören zu lachen. „Was ist denn?“ fragte der blasse Junge verunsichert. Er hatte sich doch nur ein bisschen kühles Wasser genommen ... „Asato, warum lacht er?“ fragte er dann den besorgt. Tato stand ja direkt neben ihm und rührte in seinem Milchtopf, wo er eben noch eine ganze Ladung Kakaopulver reingekippt hatte. „Ist das jetzt Mode bei euch?“ lachte Joey mitten rein. „Deine Klamotten sind ja echt schrill! So mutig wäre ich nicht! MUAHAHAHAHA!“ Spatz sah wirklich etwas eigenartig aus. Ein hellorangenes Shirt, eine weiße Stoffhose und dazu eine pastelrosane Weste. Er sah wirklich zum Schießen aus, denn farblich war das ein einziger Topf voller Kaugummi. „Joey, hör bitte auf zu lachen“ bat Balthasar selbst etwas belustigt, aber er hatte sein Lachen besser unter Kontrolle. „Aber er sieht so geil aus! So was von schwul!“ brüllte er und zeigte obendrein noch mit dem Finger auf ihn. Okay, er hatte ja Recht. Spatz sah ziemlich unmöglich aus und wenn das wirklich Mode war, so war sie für diese Zeit unpassend. „Phoenix“ sprach Tato leise zu ihm und nahm ihm vorsichtig den heißen Becher aus der Hand. „Du hast Sharesas Tasche erwischt. Deine Tasche ist die daneben. Ich hab deinen Namen draufgeschrieben.“ „WHUUUUUUUAAAAAAAA!!!“ kreischte Joey und lag gleich unterm Tisch. Für diesen Anblick hatte sich das Warten doch echt gelohnt. So einen Clown sah man doch nicht jeden Morgen! „SCHNAUZE JOSEPH!“ schrie Tato ihn bitterböse an, so laut, dass buchstäblich das Geschirr in den Schränken klapperte. Das ließ ihn sofort verstummen, sodass er noch das Schluchzen hören konnte, mit welchem der klapprige Junge aus der Küche lief. Und während der so traurig schien, strafte Tato ihn mit einem so bösen Blick, dass Joey eigentlich hätte tot umfallen müssen. Auf jeden Fall wurde er bleich um die Nase. Verdammt, Tato konnte genauso böse gucken wie Seto, kurz bevor er austickte. „Ähm ... sorry?“ tastete er mal an. Vielleicht war ja eine Entschuldigung das, was jetzt erwartet wurde? „Denk gefälligst nach, bevor du blöde Sprüche klopfst“ fauchte er, nahm den Topf mit heißem Kakao und schenkte schnell einen großen Becher davon voll. „Ich gehe ihm helfen“ beschloss Balthasar, aber er wurde mit einem „Lass mal“ stehen gelassen und Tato folgte ihm mit samt Kakao selbst. Jetzt waren schon zwei verschwunden ... ... und hinterließen erst mal verwunderte Stille in der Küche. Was war das denn jetzt für ne Nummer? Erst fängt der Kleine an zu heulen und dann schreit Tato so laut, dass einem die Ohren klingeln? Merkwürdige Sachen, die da vor sich gingen ... „Das war wirklich nicht so toll, Joseph“ brach Sharesa das Schweigen. „Die Taschen von Spatz und mir sind nämlich dasselbe Modell. Aber meine ist dunkelorange und seine rot. Das merkt er aber nicht.“ „Warum? Ist er farbenblind?“ Eigentlich sollte das nur ein schlechter Scherz von ihm sein und umso schuldbewusster wurde ihm, als sie mit einem klaren „Ja“ antwortete. „Spatz IST farbenblind. Wenn er die Taschen verwechselt, weiß er nicht, welche Farben seine Sachen haben. Und da er und ich ziemlich denselben Kleidungsstil, aber nicht dieselben Farben haben, ist er alleine aufgeschmissen. Ihn auszulachen, ist gemein. Ich hab zwar hauptsächlich nur schwarze und weiße Sachen, aber ein paar Farbtupfer hat Mama mir aufgezwungen. Und die hab ich wohl in eine Ecke im Koffer gestopft, wo Spatz seine eigenen Sachen vermutete. Er bekommt seine Kleidung nämlich nach Farben sortiert, damit er sich nicht vergreift. Aber meine wenigen Farbsachen scheint er ja zielsicher erwischt zu haben.“ „Aber ich dachte, farbenblind ist man nur, wenn man Rot- und Grüntöne nicht auseinanderhalten kann“ meinte Mokuba. „Das hätte er doch aber an der Kleidung sehen können.“ „Was du meinst, ist eine Farbenfehlsichtigkeit“ berichtigte Balthasar. „Aber bei richtiger Farbenblindheit, erkennt man nur noch geringe Varianten im Blau-Bereich. Ansonsten sehen alle anderen Farben für ihn gleich aus. Höchstens hell und dunkel kann er noch auseinander halten. Er kann im Allgemeinen nicht besonders gut sehen, denn er ist sehr weitsichtig.“ „Deshalb die Brille“ bemerkte auch Marie. „Aber gestern hatte er keine.“ „Kontaktlinsen“ erklärte sein Bruder. „Wir wussten, dass wir wohl kämpfen würden und deshalb hat er sich gegen die Brille entschieden. Wenn er zu häufig Kontaktlinsen trägt, ist das aber auch nicht gut für seine Augen. Bitte lacht ihn deswegen nicht aus. Er kann nichts dafür, wenn er manchmal etwas orientierungslos ist.“ „Wer konnte so was denn auch ahnen?“ meinte Joey bedrückt. „Vielleicht sollte ich mich mal entschuldigen gehen. Ich wusste ja nicht, dass er ...“ „Lass ihn mal lieber in Frieden jetzt“ bat Sharesa. „Tato ist ihm ja nachgegangen. Der wird ihn schon wieder aufbauen.“ „Und du gehst nicht zu ihm?“ fragte Narla vorsichtig den Zwillingsbruder. „Er lässt sich besser von Asato trösten“ erwiderte er mit doch recht einem abgequälten Lächeln. „Ich hab ihn lieb, aber ich finde nicht so die richtigen Worte. Ich meine, ich kann ihn auch trösten, aber ... ach, das ist schwer zu erklären.“ „Spatz ist neidisch auf Balthasar“ löste Sharesa gegen die fragenden Gesichter. „Warum denn?“ fragte Yugi genauer nach. „Ich kenne ihn ja nicht so gut, er sagt ja nicht viel, aber er scheint doch ein ganz liebes Kerlchen zu sein. Ein bisschen schüchtern vielleicht, aber lieb.“ „Das ist ... etwas komplizierter“ versuchte Balthasar zu erklären. „Ich gebe mir wirklich Mühe mit ihm, ich versuche immer, ihm nahe zu sein, aber er zieht sich dann häufig zurück. Er sagt, er will nicht wie ein kleines Kind behandelt werden, aber gleichzeitig ist er auf Hilfe angewiesen. Weil er mit sich selbst nicht zurechtkommt, kommt er mit anderen Menschen auch nur schwer zurecht. Spatz blockt schnell ab, wenn jemand mit ihm Freundschaft schließen will und am liebsten hängt er nur bei Mama und der Familie rum.“ „Das ist bei schüchternen Menschen doch häufig so“ meinte Yugi. „Oder kommt das auch dadurch, dass er nicht so gesund aussieht?“ „Er ist schon krank seit er geboren wurde“ gestand sein Bruder traurig. „Ich kann schon verstehen, dass er sich nicht von mir trösten lassen will. Das würde mir an seiner Stelle genauso gehen. Ich meine, wir sind eineiige Zwillinge und doch bin ich kerngesund und er fühlt sich minderwertig gegen mich. Ich versuche, ihn ganz normal zu behandeln, aber irgendwie ... es ist eben schwierig. Er sträubt sich und ist so leicht verletzbar. Er fühlt sich vom Schicksal benachteiligt und er gibt mir die Schuld dafür, ohne dass er das jemals sagen würde. Das macht es ein wenig schwierig, mit ihm auszukommen. Ich denke, er ist manchmal viel stärker als ich und trotzdem ... ich weiß auch nicht.“ „Das ist traurig, wenn zwei Brüder so auseinanderdriften“ bemerkte Seto. „Dabei kämpft ihr doch auch zusammen“ meinte Yami. „Du nimmst doch seinen Körper in Besitz, um kämpfen zu können. Ihr seid eine Einheit.“ „Im Kampf ja. Weil er es für seine Pflicht hält. Aber sonst ... ich möchte ihm so gern auch im Alltag nahe sein, aber er zieht sich immer weiter zurück. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich meine Schuld ist. Ich weiß, dass ich nichts dafür kann, aber ... als Zwilling fühlte ich mich ihm noch verantwortlicher.“ „Vielleicht solltest du auch die ganze Geschichte erzählen“ sprach Sharesa vorsichtig. „Damit sie es verstehen.“ „Ich weiß, aber nicht, ob ihm das recht wäre ... ausgerechnet ich ...“ „Dann erzähle ich es“ beschloss sie und lehnte sich ernst auf den Tisch. „Aber bitte behandelt ihn weiter ganz normal, ja?“ „Was ist denn mit ihm?“ fragte Marie beunruhigt. „Ist er krank? Hat er ... hat er etwas Unheilbares? Etwas Ansteckendes, dass er Menschen meidet?“ „Nein, kein Aids oder so“ antwortete sie und sprach ruhig weiter. „Unser Spatz leidet an etwas, was man fachlich Intersexualität nennt.“ „Inter ... inter was?“ guckte Joey verwirrt. „Ist er schwul?“ „Unsinn.“ „Ich kenne den Begriff“ erklärte Noah, der selbst offenscheinlich überrascht war. „Als intersexuell bezeichnet man Menschen, die umgangssprachlich als Zwitter oder Hermaphrodit geboren werden. Das heißt, sie haben keine eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmale.“ „Stimmt“ nickte Sharesa und lehnte sich um Ruhe bemüht zurück. „Als Spatz geboren wurde, hatte er äußerlich und innerlich weibliche und männliche Organe. Aber beide nicht ausreichend ausgebildet. Er hat zum Beispiel eine Gebärmutter, die aber verkümmert ist. Er hat auch Samenstränge, die aber ebenfalls nicht funktionieren. Er wurde mit einer Prostata geboren und hat in der Pubertät auch eine kleine Brust bekommen. Aber eben alles nicht stark genug, um biologisch zu funktionieren oder irgendwie ein männliches oder weibliches Übergewicht zu zeigen. Und durch diese Hormonstörungen haben sich auch andere Leiden eingestellt. Leberschäden, Nierenschwäche, Blutarmut, alles mögliche. Aber vor allem äußerlich war es natürlich schlimm für ihn. Ihr könnt euch vorstellen, wie das die Seele eines Menschen belasten kann. Zumal sein eineiiger Zwilling völlig normal ist.“ Die Gruppe verfiel doch in ein bedrücktes Schweigen. Dass es solche Menschen gab, war ja bekannt. Aber so selten, dass sie niemals selbst einen getroffen hatten. Und nun wurde jemand mit solch einem Mangel in ihre Familie geboren. „Weil sein Körper hormonell nicht korrekt funktioniert, ist er seit seiner Geburt immer sehr krank“ fuhr Sharesa ruhig fort. „Er hat einen Lungenfehler, ein schwaches Immunsystem, Probleme mit den Lymphdrüsen und was weiß ich noch alles. Das kann man gar nicht alles aufzählen. Seine Krankenakte ist dicker als das Telefonbuch. In seiner Kindheit war er mehr im Krankenhaus als Zuhause. Aber die Ärzte haben ihn soweit hinbekommen, dass er dann länger Zuhause bleiben und einigermaßen gut leben konnte.“ „Das Schwerste war aber wohl, als er eben anfing, seinen Körper zu entdecken“ sprach Balthasar traurig weiter. „Man konnte ihm ja nie eindeutig sagen, ob er ein Junge oder ein Mädchen war. Als Kinder haben wir zusammen in einem Zimmer geschlafen und uns natürlich miteinander verglichen. Und da traten Fragen auf, warum er so anders aussah.“ „Und wie habt ihr ihm das erklärt?“ fragte Yugi vorsichtig. „Ich meine, wie verkauft man das einem Kind?“ „Ich weiß noch, was Mama gesagt hat“ lächelte er bitter. „Sie sagte, dass ich eben ein Junge bin. Aber Spatz ist etwas Besonderes. Er darf sich aussuchen, ob er ein Junge oder ein Mädchen sein möchte. Und dann machen die Ärzte das. Aber das dürfe er erst entscheiden, wenn er 14 ist.“ „Die Ärzte sagten, mit 14 könne man ihn frühestens operieren“ erklärte Sharesa weiter. „Das war jetzt vor zwei Jahren. Spatz litt schrecklich unter seiner Andersartigkeit. Nicht nur, dass er so schwächlich war, sondern eben, dass er sich zu keiner Gruppe zugehörig fühlte. In der Schule nahm er nie am Sport teil und er grenzte sich selbst aus, weil er Angst hatte, man könne es erfahren.“ „Und ... jetzt ist er ja 16“ versuchte Yami zu fragen. „Hat er sich denn ... ich meine, hat er sich entschieden? Ist er operiert?“ „Ja. ER ist operiert“ lächelte sie. „Sonst würden wir ja sie zu ihm sagen. Er wollte eben ein Junge sein. Genau wie sein Bruder. Zwar hat er manchmal noch so weibliche Probleme, wie eben, als sich seine Brust vergrößert hat. Aber das hat man dann nachoperiert. Oder eben auch, dass seine Stimme so hell ist. Er bekommt seit einem Jahr sehr starkes Testosteron, damit es besser wird. Man muss nur immer genau beobachten, wie sein Körper das verträgt, deshalb geht es nicht immer so schnell wie er gern möchte.“ „Seit seiner Operation geht es ihm ein bisschen besser“ erzählte Balthasar. „Jetzt weiß er endlich, wohin er gehört. Auch wenn wir glauben, dass es ihm eigentlich egal war. Er wollte nur einfach irgendwo dazugehören.“ „Das ist eben das Problem daran, dass sie Zwillinge sind“ meinte sie. „Balthasar ist so ein typischer Junge. Er spielt Fußball, mag Autos, flirtet mit Mädchen und säuft mit seinen Kumpels.“ „Aber nicht Mama sagen“ bat er mit müdem Witz. „Und Spatz ist eben Spatz“ seufzte sie. „Er ist eben ruhig und schüchtern. Er liest gern und mag es ruhig. Balthasar muss ständig in Bewegung sein und Spatz will da zwar mithalten, obwohl er das weder kann, noch mag. Er fühlt sich immer noch ausgeschlossen und schwach. Aber jedes Mal, wenn wir ihn ermutigen wollen, etwas zu tun, blockt er total ab.“ „Und seid ungefähr zwei Jahren treiben wir immer weiter auseinander. Seit er seine OP hatte“ seufzte der Große. „Das war kurz nach unserem 14. Geburtstag, als wir beide zusammen auf eine andere Schule gewechselt haben. Ich bin mit einem Mädchen aus meiner Klasse Eisessen gewesen und er hat sich das natürlich auch gewünscht. Mit einem Mädchen auszugehen, meine ich. Als dann eine andere Klassenfreundin zu ihm ging und ihn gefragt hat, war er total aufgeregt. Er hat sich die coolsten Klamotten angezogen, die er hatte und sich eine tolle Frisur gemacht. Er hat sogar Rasierwasser von Asato geklaut und benutzt. Er dachte, jetzt ist er endlich als Junge anerkannt, wenn ein Mädchen mit ihm ausgeht.“ „Das hört sich nach einem Aber an“ fragte Marie traurig. „Ein großer Aber“ seufzte er. „Sie hat ihr Eis selbst bezahlt und ihn die ganze Zeit nur über mich ausgefragt. Was ich mag und was sie machen kann, damit ich sie bemerke. Sie wollte gar nichts von ihm, sondern über ihn zu mir. Und seitdem distanziert er sich von mir. Er macht mir keine Vorwürfe, aber neben mir fühlt er sich schlecht. Ich will nicht, dass es so ist, aber was soll ich denn tun? Ich hab nie irgendwas getan, was ihn verletzt. Ich hab ihn immer wie meinen Bruder behandelt, aber wenn ich zu nahe an ihn rangehe, dann zieht er sich zurück. Ich komme nicht an ihn ran. Seelisch sind wir ganz weit weg.“ „Und das verletzt euch beide“ kombinierte Yami mitleidig. „Das ist natürlich schwer für dich. Ich verstehe, dass du dich da schlecht fühlst. Und ihn verstehe ich auch irgendwie.“ „Spatz wird nie ein wirklich richtiger Mann sein“ gestand Sharesa ebenso niedergeschlagen. „Ich hab mal gehört, wie er zu Marie gesagt hat, sie hätte ihn lieber nicht bekommen sollen. Dass er keine Daseinsberechtigung hat. Menschen seien dazu da, sich fortzupflanzen und er ist unfruchtbar. Er sieht ja nicht mal aus wie ein richtiger Mann. So nimmt ihn niemals ein Mädchen. Balthasar hat Kimi und er nicht mal einen richtigen ... na ja, ihr wisst schon.“ „Aber bitte sprecht ihn nicht so direkt darauf an, ja?“ bat Balthasar wehmütig. „Wenn er selbst damit anfängt, könnt ihr ja sagen, dass ihr es schon wisst. Aber sucht das Gespräch darüber nicht selbst. Das würde ihn verletzen.“ „Darf ich euch da noch etwas fragen?“ sprach Yami leise dazwischen und blickte die zwei mit besorgten Augen an. „Ist das der Grund, weshalb Seth nur zu einem seiner Söhne gegangen ist, obwohl er doch zwei hat?“ „Was genau er von mir wollte, wissen wir nicht“ antwortete Balthasar. „Wir wissen nur, dass er eben in genau dieser einen Nacht unbedingt einen Sohn zeugen wollte, der auf jeden Fall einen großen Teil Magie erbt. Tja, das hat er geschafft. Und wäre ich kein Zwilling, wäre ich sogar noch mächtiger.“ „Wir wollen es nicht so hart sagen“ ergänzte Sharesa. „Aber anscheinend ist Spatz einfach der Rest, der von Balthasars Entwicklung übergeblieben ist. Ein Nebenprodukt quasi. Das hat ihm zwar nie jemand so gesagt, aber eigentlich weiß er das auch. Balthasar ist ein mächtiger Magier, aber dadurch, dass er sich den Mutterleib teilen musste, ist er eben auf ein Medium angewiesen.“ „Ich denke aber nicht, dass das etwas Schlechtes ist“ betonte der. „Ich liebe meinen Bruder und ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn er nicht immer an meiner Seite stünde. Es ist doch egal, aus was oder warum Spatz entstanden ist. Er ist ein selbstständiger Mensch mit einem eigenen Charakter und er hat genau dieselbe Anerkennung verdient wie jeder andere Mensch auch. Warum Vater ihn nicht bemerken oder nicht mitnehmen will, weiß ich nicht. Aber wir lieben Spatz und er gehört zu uns. Egal, was Vater dazu sagen würde.“ „Vielleicht gibt Seth nur das an euch weiter, was er selbst erfahren hat“ versuchte Yami ihn zu entschuldigen. „Sein Vater hat ihn auch niemals bemerkt. Dabei hat er so sehr nach seiner Anerkennung gestrebt.“ „Wir sind schon im Bilde“ meinte Sharesa. „Wir wissen, was er anstrebt, aber welche Rolle Balthasar dabei spielen soll, wissen wir nicht.“ „Ich weiß nur, dass ich mich nicht auf seine Seite ziehen lasse“ betonte der. „Ich würde ihn zwar sehr gern überhaupt mal kennen lernen, aber wenn er Spatz nicht akzeptieren kann, will ich mit ihm nichts zu tun haben. Wenn er noch mal kommt und mich mitnehmen will, werde ich nicht so blauäugig sein und ihm einfach nachlaufen. Ich weiß, wo ich hingehöre und ich will kein Werkzeug in seinem perfiden Plan werden.“ „Letztlich wird das ohnehin Ati regeln müssen. Du hast da wenig zu sagen“ rief sie ihm ins Gedächtnis. „Ich würde ja gern, aber ich weiß ja nicht mal, wo er sich aufhält“ seufzte der. „Wie soll ich Seth zur Vernunft bringen, wenn er verschwindet?“ „Das wird sich ergeben. Wir sind jetzt hier, also ist die Zukunft damit schon verändert. Es muss nicht so enden wie bei uns. Es muss nicht und es wird auch nicht.“ Sharesa schien da sehr entschlossen, aber der Rest machte doch etwas zweifelnde Gesichter. Dass sie ausgerechnet mal gegen Seth kämpfen müssten, hätte sich niemand jemals träumen lassen. Nicht nur, da er eigentlich großes Vertrauen durch sein beständiges und besonnenes Wesen genoss ... nein ... er war auch kein ‚normaler’ Bösewicht. Seth war anders. Seth war gefährlicher. Und was das Traurigste war: Er war einer von ihnen. „Darf ich euch denn auch noch etwas fragen?“ durchbrach Seto die eingetretene Stille mit weicher Stimme. „Natürlich“ lächelte Balthasar ihn lieb an. „Nur, wenn du wissen willst, wie die Börsenkurse morgen sein werden, können wir dir schlecht helfen. Nicht, weil wir nicht wollen, sondern so was hat keiner im Kopf, weißt du?“ „Börse ...“ grummelte er leicht beleidigt. Was ging ihn die Börse an? Er saß beim Frühstück und wartete darauf, dass Yugi endlich genug Nutella aufs untere Brötchen geschmiert hatte. Das gestaltete sich in letzter Zeit etwas länger, da Yugi ihm gezeigt hatte, wie gut ein Klacks Honig darunter schmeckte. Es durfte nicht viel, musste aber genug sein, um einen Hauch davon zu erahnen. Und damit hatte sich der kleine Pharao eben mit jedem Morgen mehr Arbeit aufgehalst. „Ich glaube, wir denken da beide nicht so an den Dow Jones“ meinte auch Yugi und legte dem brummenden Drachen sein Futter auf den Teller. Er musste doch versteckt lächeln, wenn er dem Großen dabei zusah, mit welch gierigem Genuss er sich sofort darauf stürzte. Seto und Süßes war so eine eigene Sache. „Und was ist das, woran ihr beide schon wieder gleichzeitig denkt?“ fragte Sharesa. „Wenn’s mal nicht der Beischlaf, sind es die Kinder“ grinste Yami. „Ge-nau!“ nickte Nini entschlossen, noch mit Cornflakes im Mund, die ihr fast wieder herausfielen. „Nicht sprechen und kauen gleichzeitig, Schatzi“ riet Yugi und tupfte ihr die Milch vom Tisch ab. Was Beischlaf war, wusste sie ja zum Glück noch nicht wirklich. „Und Yami soll nicht solche Worte benutzen“ grummelte Seto zwischen zwei Bissen. „Es ist wegen Tato“ setzte Yugi noch mal ruhiger an. „Er sagt zwar, es ist nichts mit seinem Bein, aber er humpelt doch.“ „Nein, mit seinem Bein ist alles in Ordnung“ druckste Balthasar zurückhaltend. „Und er hat so einen traurigen Blick“ ergänzte Yugi besorgt. „Ich weiß nicht, was es ist, aber da ist kein Strahlen in seinen Augen. Ich meine, seht euch den kleinen Tato an.“ Der saß glücklich mit sich und seinem Kirschquark im Hochstuhl und sah zum Anbeißen aus. Er schmatzte leise vor sich hin, aß mit Händen, Füßen und dem ganzen Gesicht. Hinterher Badewanne wäre nicht schlecht. Und vor allem strahlten seine Babyaugen einen so seidigen, einen so erfüllten Glanz aus, dass man in diesem Blick versinken konnte. Tato hatte so einnehmende Augen. Der alte Tato dagegen, schien abgestumpft. „Als Kind hat er noch diesen zufriedenen, diesen vertrauensvollen Ausdruck. Aber jetzt sind seine Augen wie betäubt. Er wirkt so müde vom Leben und irgendwie ... ich weiß nicht. Er macht einen unglücklichen Eindruck. Als ob er es sich nicht anmerken lassen will, aber ... dass er mal so wird, hätte ich nicht gedacht.“ „Ja. Tato ist wirklich ... traurig“ versuchte Sharesa die richtigen Worte zu finden. „Aber weshalb?“ fragte Seto selbst ein wenig niedergeschlagen. „Hat er denn einen Grund dazu? Ich meine, er ist doch ein erwachsener Mann. Er kann sein Leben ändern, wenn ihm etwas missfällt.“ „Nur ist sein Leben nicht ganz so verlaufen, wie er es sich gewünscht hat“ antwortete sie mitfühlend. „Es gab eine Zeit, da war Tato der glücklichste Mensch auf Erden. Er sagte damals, es gäbe nichts, was er sich noch wünschen würde. Er hatte alles, was er sich jemals erträumt hatte. Und dann damals vor jetzt über zehn Jahren ... an einem Tag hat er fast alles verloren. Von seinem einst so glücklichen Leben sind nur noch Bruchstücke vorhanden.“ „Es ist so ...“ setzte Balthasar zu einem Erklärungsversuch an. „Damals war er gemeinsam mit seiner ...“ Aber da brach er sofort ab, als eben Tato die Küche wieder betrat. Den Kakao hatte er anscheinend abgeliefert, denn er hatte nur noch seinen eigenen Becher in der Hand, den er jetzt noch mal mit dem übrigen Kakao im Kochtopf auffüllte. Doch, dass es mit seinem Erscheinen sofort ruhig geworden war, entging ihm dann doch nicht. Er drehte sich herum und sah gereizt in die fragenden Gesichter. „Ist was?“ zischte er genervt. Er schätzte es nicht besonders, angestarrt zu werden. „Und? Konntest du ihn trösten?“ lenkte Sharesa sofort ab. „Er zieht sich um und kommt gleich runter“ antwortete er lauernd darauf, ob er einen Anhaltspunkt auf dieses plötzliche Schweigen fand. Seine Augen suchten die Gesichter ab ... „Dann ist ja gut“ lächelte sie. „Gut gemacht, Tato.“ „Hrrmm“ grummelte er und setzte sich beleidigt auf seinen freien Stuhl. „Ich muss mich auch gleich bei ihm entschuldigen“ meinte Joey. „Ich wusste ja nicht, dass er so ... na ja, so empfindlich ist.“ „Er ist nicht empfindlich. Du wärst auch traurig, wenn man dich auslachen würde ohne ein Guten Morgen zu hören.“ „Wir haben sie aufgeklärt“ steckte Sharesa ihm. „Über Spatz und ... und was mit ihm los ist.“ „Aha. Und?“ sah er sie forschend an. „Und danach haben wir über dich gelästert“ grinste Balthasar. „Du bist nur im falschen Moment gekommen. Shari wollte sich gerade darüber auslassen, wie viele Servietten du verbrauchst, wenn du Chicken Wings isst, aber du bist einfach reingeplatzt.“ „Ja ja ...“ Er glaubte das jetzt nicht wirklich, aber er fragte auch nicht weiter nach. Er sah schon, wenn die anderen etwas wüssten, würden sie ihn anders ansehen. Und deshalb schlussfolgerte er, dass er zu früh gekommen war, bevor sie auch noch seine Lebensgeschichte auseinanderpflücken konnten. Auch wenn Geheimnisse erfahrungsgemäß niemals lang welche blieben ... „Ach, lass dich mal knuddeln, Großer.“ Yugi stand eh gerade neben ihm, weil er noch einen Teller Aufschnitt hinstellen musste und da konnte er ihn gleich mal von hinten umarmen, ihre Wangen an einander drücken und Tato ließ es gutmütig über sich ergehen. Wäre das nicht Papa, wäre der schon lange einen Kopf kürzer. „Du? Papa?“ fragte er leise und schaute mit großen, blauen Augen an ihn hinauf, während er sich zurück an seinen Bauch lehnte. „Was denn, Tatolino?“ lächelte Yugi hinunter. „Möchtest du einen Kirschjoghurt?“ „Tirschmomurt!“ jubelte Klein-Tato laut von seinem Hochstuhl aus und schmiss vor Freude glatt seinen Löffel einen Meter weiter. „Du hast doch schon. Hier.“ Seto hob den weggeschmissenen Löffel auf, leckte ihn ab und steckte ihn in das Schälchen zurück. „Kirschjoghurt. Tato, sag mal Kirschschschjoghurt.“ „Tirschschschmomurt. Is voll legga, alter Swede“ grinste Tato und hätte wohl am liebsten sein ganzes Gesicht in die Schale reingesteckt. „Hach, du warst mal so niedlich, du Räuber“ lächelte Yugi den Großen an. „Und was kann Papa heute für dich tun?“ „Kannst du mir ein bisschen Geld geben?“ „Geld“ wiederholte Yugi ungläubig. „Ich dachte da mehr an Pudding oder so.“ „Bitte, Papi“ bat er mit lieben Augen. „Ich hab doch nur Kreditkarten und die gibt’s in eurer Zeit noch nicht. Außerdem gibt’s dafür bestimmt Probleme, wenn ich mit einem Geldschein bezahle, der noch gar nicht gedruckt wurde. Und man sollte immer Kleingeld in der Tasche haben, oder?“ „Na, wo du Recht hast, hast du Recht“ musste Yugi zustimmen, trat vorsichtig ein Stück zurück, um in seine Gesäßtasche nach dem Portemonnaie zu langen. „Dass du dir noch mal Taschengeld schnorrst“ schmunzelte Balthasar. „Gewusst wie. Da kannst du noch was lernen“ meinte er locker. Er ließ sich eben haushalten. Wo war das Problem? Man brauchte doch Geld. „Ja schon. Aber da kann ich nicht mithalten. Mit 40 Jahren hat man im Schnorren eben etwas mehr Erfahrung.“ Tato öffnete gerade seinen Mund und entließ ein „Ich bin ...“, doch bevor er auf das eine Jahr weniger bestehen konnte, hielt Yugi ihm seinen offenen Geldbeutel hin. „Und wie viel hattest du dir vorgestellt?“ wollte er wissen. „Na ja, das geht doch.“ Tato war ganz frei, langte hinein und nahm sich alle Scheine, die er finden konnte. UND eine Kreditkarte. Und er steckte alles in seine Hemdtasche ein. „Ähm ...“ Und Yugi musste das erst mal verarbeiten bei dem Blick in das schwarze Loch. War das jetzt gerade Betrug oder Raub oder einfach nur Frechheit? „Ach so. Natürlich. Entschuldige, Papa“ antwortete er sofort, zog einen Schein heraus und steckte ihn wieder in die noch immer offene Geldbörse. „Du brauchst ja auch noch was.“ „Danke ... zu gütig.“ Na gut ... Kinder waren eben ein teurer Spaß. Und je älter sie wurden, desto spaßiger wurden sie. „Papa?“ fragte Nini zwischen zwei Bissen und schaute ihn groß an. „Kriege ich auch Taschengeld? Neun Mäuse. Tristan sagt, neun ist gut. Jede Woche.“ „Das ist für eine Fünfjährige aber ziemlich viel“ dachte Yugi. „Und wie viel war das gerade, was du dem großen Tato gegeben hast?“ Okay. Wo sie Recht hatte ... Chapter 2 So verbrachten sie einfach ein wenig Zeit miteinander und besahen sich neugierig diese ‚alte’ Welt. Während die jüngeren Gäste mit Joey, Tristan und Yami zu einer Stadtrundfahrt aufbrachen, folgte Tato lieber Seto und Noah ins Büro. So hatte jeder etwas, was ihn interessierte. Und Stadtrundfahrten reizten ihn wirklich weit weniger als ein Blick in historische Akten. Doch das erste Staunen zogen sie auf sich, als sie aus der Empfangshalle nach draußen traten und Roland schon aus der Limousine ausstieg, um denn Herrschaften die Türen zu öffnen. Als Tato vor ihm stand, bekam der arme treue Roland doch riesig große Augen und zog sich sogar verwundert die dunkle Sonnenbrille von der Nase, um sicherzugehen, dass er da auch nicht schief guckte. Er blickte an ihm hinauf und rätselte sichtlich, wer dieser Mann war. „Guten Morgen, Roland“ lächelte Tato ihn wissend an. „Guten Morgen“ erwiderte er und kniff seine Augen zusammen, um ihn ins Visier zu nehmen. „Entschuldigen Sie die dumme Frage, aber kenne ich Sie irgendwoher?“ „Roland“ sprach Noah und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Das hier ist Tato.“ „Bitte?“ Nun sah er Noah an wie ein Gespenst. Das war doch jetzt ne Verarsche, oder? „Ja, wirklich“ nickte er ruhig. „Vielleicht sollten wir es dir besser erklären. Weißt du, es ist so, dass unsere ...“ „Nein, ich will das gar nicht wissen“ schüttelte er den Kopf und drehte sich um, legte sich die Hände auf die Ohren. „Keine Ahnung, was ihr schon wieder macht, aber mich geht das nichts an. Steigt einfach ein, damit ich losfahren kann.“ Und damit schlug er die Fahrertür zu und die Herren mussten selbst einsteigen. Alles Weitere wollte er weder hören, noch wissen, noch irgendwie darin verwickelt werden. Mit Unwissenheit lebte es sich leichter als mit Neugier. „Isser nich süß?“ schmunzelte Noah. „Wenn du meinst“ brummte Seto und stieg als Erster in den Wagen. Dumm war eben, dass Tato nicht als Seth durchging. Dafür sah man den Unterschied zu schnell. Ob die Erklärung mit einem älteren Double vielleicht zog? Na ja ... musste ja irgendwie. Er konnte ja schlecht jemandem die Wahrheit aufbinden. Jedenfalls nicht ernsthaft. Aber selbst wenn ... hätte das jemand geglaubt? Wohl kaum. Kaum hatte Noah die Tür hinter sich geschlossen und sich den beiden Drachen gegenüber gesetzt, fuhr der Wagen los und brachte sie geschwind dem Stadtkern und damit dem Hauptbüro näher. „Na, so bekommst du ja vielleicht doch noch eine Stadtrundfahrt“ scherzte Noah. „Auf unserer Route kommen wir an mindestens der Hälfte der wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbei.“ „Die werden sich in den paar Jahren kaum verändert haben, Onkel Noah“ meinte Tato leicht unterkühlt. „Hier jedenfalls sieht es aus wie jeden Winter.“ „Unter Schnee sieht doch alles gleich aus“ lächelte er. „Ich finde es nett, dass du uns begleitest.“ „Finde ich auch.“ „Aber ist das nicht auch ein bisschen gefährlich?“ „Gefährlich?“ fragte Seto verwundert. „Was soll denn gefährlich sein?“ „Na, wenn Tato uns irgendwas versehentlich verrät“ riet Noah. „Wird denn da nicht die Zukunft zu radikal verändert?“ „Unsinn“ grummelte der. „Du hast zu viele Fernsehserien gesehen. Was soll denn schlimm daran sein, wenn ich euch sage, dass die asiatische Börse am 7. August 2032 ein plötzliches Tief für ein halbes Jahr erreichen wird?“ „Na, ich würde meine Aktien in Sicherheit bringen“ meinte Noah. „Wäre das nicht unfair gegenüber der Konkurrenz?“ „Ist es nicht viel eher unfair, dass wir die Welt vor einem amoklaufenden Priester retten müssen und gleichzeitig auch noch ein Weltimperium am Laufen halten sollen? Dass immer wir die Dummen sind, die die Menschheit bewahren und gegen irgendwelche magischen oder machthungrigen Spinner kämpfen müssen? Ich denke, unfair ist was anderes. Fair ist es erst, wenn wir unsere Vorteile daraus ziehen.“ „Radikale Einstellung.“ „Ich weiß.“ Tato wusste, dass er manchmal ziemlich radikale Ansichten vertrat. Aber er sah keinen Grund, das zu ändern. Er gab genug von sich selbst für die Allgemeinheit auf - also sollte die Allgemeinheit ihm ruhig etwas zurückgeben. Die Theorie vom selbstlosen Weltretter existierte für ihn nicht. Wer etwas leistete, sollte auch etwas dafür bekommen. Wäre es anders nicht unfairer? „Dann erzähl uns doch ein bisschen von der Zukunft“ bat Seto und lehnte sich entspannt in den Sitz zurück. „Was machen wir so in den nächsten Jahren?“ „Geschäftlich haben wir gerade einen ganz großen Clou gelandet“ begann er zu erzählen. „Wir haben uns das Patent auf Sensomag gesichert und werden davon noch für Generationen profitieren. Die Entwicklung war lang, teuer und aufwendig, aber wir haben damit ein Stück Zukunft gekauft.“ „Sensomag?“ hakte Noah interessiert nach. „Was ist das?“ „Senso steht für Sensoren und Kontakt. Ist klar“ erklärte er. „Das Mag ist für Magnetismus. Ihr wisst ja sicher, dass sich die fossilen Brennstoffe in den nächsten Jahrzehnten schnell verringern werden und deshalb muss für die logistische Infrastruktur einfach eine Ausweichmöglichkeit geschaffen werden. Wir haben recht früh mit der Entwicklung begonnen und konnten 15 Jahre später ein System vorstellen, welches den Einzel- und Massentransport auf der Straße ohne Benzin darstellt.“ „Du meinst, Autos ohne Benzin?“ kombinierte Noah. „Aber das gibt es doch heute auch schon. Mit Wasserstoff oder mit Solarenergie. Oder Erdgas.“ „Alles viel zu ineffizient und labil“ verneinte er. „Magnetismus ist der Schlüssel. Wir haben die Gesellschaft Kaiba Magtechs gegründet und Domino zum Vorreiter der neuen Technologie gemacht. Wir haben Milliarden ausgegeben und Magnetplatten produzieren lassen. Die sind etwa so groß wie ein Ziegelstein und werden unter den Straßenasphalt gelegt. Ähnlich wie Schienen. So haben wir fast alle Straßen Dominos miteinander vernetzt. Die Fahrzeuge dazu erstrecken sich in der Größe von mehrteiligen Zügen bis hin zum Motorrad. Auch dort werden Magnetplatten eingeschweißt, die jedoch um ein einiges flacher und leichter sind. Das Prinzip ist erstaunlich einfach. Durch die Forschung konnten wir eine konzentrierte Polung der Magnetplatten erreichen, sodass sie um ein Vielfaches ansteigt und tonnenschwere Lasten bewegen kann. Man erhält eine Art Reißverschlussprinzip, wenn sich positive und negative Polung abstoßen. So können je nach Stärke bis zu mehreren Stundenkilometern erreicht werden. Unser schnellstes Fahrzeug war fast 350 km/h schnell. Also für Ersatz von Zügen durchaus geeignet. Durch eine Art Gas- und Bremspedal öffnet und schließt man die Platten und kontrolliert so die Geschwindigkeit. Durch das frühere Kuppeln kehrt man die Polung um, falls man einen scharfe Bremsung machen muss. Im Moment ist das noch recht teuer, aber wir finden Wege, dies für den Alltag tauglich zu machen. Außerdem kann so Unfällen vorgebeugt werden, da man keine Ampeln mehr benötigt und Ballungszentren automatisch steuert. Die Polung kann wie ein Ampelsystem von übergeordneten Zentralen gesteuert werden und Geisterfahrten sind unmöglich. Wir räumen gerade die letzten Fehler aus, aber es gibt schon gigantische Verträge für die Vorbestellungen. Ganze Städte haben sich schon angemeldet. Natürlich ist es sehr aufwendig, diese neue Technik einzurüsten, jedoch bleibt uns a) keine andere Möglichkeit und b) mussten auch Asphaltstraßen damals aufwendig gebaut werden. Also ist es letztlich kein Unterschied.“ „Das ist genial“ staunte selbst der erfahrene Noah. „Eine Fortbewegungsart ohne Treibstoff. Einfach nur mit Naturgesetzen. Ist eure Forschung denn in knapp vier Jahrzehnten so weit vorangeschritten?“ „Und es gehört der Kaiba Corp.“ lächelte Tato. „Ich denke, wir haben damit die moderne Zukunft der ganzen Menschheit geschaffen. Und das ist durchaus kein großspuriges Denken. Denn wenn das Öl in ein paar Jahren erst ganz erschöpft ist, werden die Menschen umdenken m ü s s e n. Dann gibt es keine andere Wahl mehr. Und dann sind wir da und verkaufen ihnen unsere Idee.“ „Und wessen Idee war das?“ lobte Seto. „Etwa deine?“ „Nicht allein“ antwortete er stolz über das erfreute Gesicht seines Vaters. „Eigentlich war es eher ein Zufallstreffer. Tristan hat beim Aufräumen des Speichers, Felis alte Eisenbahn gefunden. Eine Holzeisenbahn mit Magneten. Er wollte sie entsorgen, aber irgendwie blieb sie in der Halle liegen. Joey hat dann ein bisschen damit gespielt und die Lok angeschoben, indem sie einen Magneten mit anderer Polung verwandte. Da kam ihr die Idee. Sie hat uns gefragt, ob so etwas nicht auch mit Autos möglich wäre und uns kam dadurch die Idee einer Art Magnetschwebebahn. Also haben wir uns an die Entwicklung des Prototyps ‚Josephine’ gemacht. Vornehmlich Tristan, du, Onkel Noah und ich. Und gemeinsam haben wir über Jahre dieses Konzept entwickelt. Eigentlich verdanken wir alles nur Joeys Spieltrieb.“ „Na ja, zu so einer Entwicklung gehört schon mehr als Spieltrieb“ meinte Noah. Damit hatten sie der Kaiba Corp. etwas Unschätzbares gesichert. Wenn das wirklich so einfach funktionierte wie Tato sagte, dann hatte die Kaiba Corp. eine neue Zeit eingeleitet. Aber wer, wenn nicht sie? Sie hatten das Know-How, die Manpower und die ausreichenden Mittel. Wenn nicht die Kaiba Corp., wer dann? „Ich denke, es läuft ganz gut“ nickte Tato zufrieden. „Wenn uns jetzt auch noch ein Weg einfallen würde, einen Ersatz für Plastik und Kunststoff zu finden, sind wir auf Öl gar nicht mehr angewiesen. Aber das kommt im nächsten Schritt.“ „Kompliment“ lächelte Seto. „Und was machst du sonst so, wenn du nicht den Ölmultis mit Entmachtung drohst?“ „Hm?“ Er schaute ihn an und wusste die Antwort nicht genau. „Also, sonst hab ich auch gut zu tun.“ „Du hast die KC übernommen. Oder?“ fragte Noah. „Sieht so aus“ antwortete er folglich. „Vor etwa fünf Jahren dann vollständig. Mama hat sich mit 60 aus dem Geschäft zurückgezogen und widmet sich mit ganzem Herzen dem Dasein als Oma. Du selbst hast noch bis vor drei Jahren die Präsidentschaft behalten und an deinem 66. Geburtstag offiziellen Abschied gefeiert. Du verbringst deine Zeit mit Onkel Moki auf Weltreisen.“ „Und Joey?“ wollte er wissen. „Wie lange war er dabei?“ „Oh, der hat einen anderen Weg genommen“ erzählte er. „Er hat mit ... oh, jetzt muss ich rechnen ... er war ungefähr 45 als er eine politische Partei gegründet hat.“ „Joey ist in die Politik gegangen?“ staunte Seto. „Jetzt nicht echt, oder?“ „Man glaubt es kaum“ lächelte Tato. „Aber er ist sehr erfolgreich damit. Er kann die Menschen für seine Ideen begeistern, er ist glaubwürdig und hat schon vieles verändert. Zum Beispiel sind Homoehen jetzt anerkannt. Das war sicher sein persönlich größter Erfolg. Aber ich glaube, die Zeit war einfach reif für jemanden, der kommt und alles umkrempelt. Er ist Bürgermeister von Domino geworden und der Stadt geht es besser als je zuvor. Die Kriminalität ist verschwindend gering, die Kinderbetreuung ist exzellent, die Bildung ist auf landeshöchstem Niveau. Er wurde sogar vom Kaiser gebeten, die Landespräsidentschaft zu übernehmen, aber da hat er abgelehnt. Er möchte lieber nächstes Jahr in Rente gehen. Dann ist er 67 und er meint, es reicht dann auch. Er meint, er hasst Politiker, die älter sind als die Gebäude in denen sie arbeiten.“ „Wie sich die Zeit und die Menschen doch verändern“ seufzte Seto. „Und was ist mit euch geworden? Du sagst, ich bin ... Oma.“ Auch wenn ihm das Wort nur mit einem Zähneknirschen über die Lippen kam. „Und was für eine Oma“ lächelte er. „Die Kleinen lieben dich und jetzt, wo du mehr Zuhause bist, ist so viel Frieden ins Haus eingekehrt, dass sie kaum noch zur Schule wollen. Sie hängen ständig bei dir rum und der Laden ist mehr ein Kindergarten.“ „Der Laden?“ fragte Noah. „Opas Laden?“ „Der Muto Spieleladen. Papa und Ati haben ihn übernommen, als es Opa immer schlechter ging. Er ist vor 19 Jahren gestorben. Aber mit 96 hat er ein sehr langes Leben gehabt und konnte immer Zuhause wohnen. Er ist friedlich eingeschlafen.“ „Ja, auch das gehört zum Leben“ seufzte er. „Und ist Nini denn die Einzige, die Seto und Yugi Enkelkinder geschenkt hat? Ich meine, du trägst einen Ring“ erwähnte er und zeigte auf Tatos Hand, die auf seinen überschlagenen Knien lag. Dort prangte ein recht dicker, matter Ring aus massivem Silber. Gestern war es in dem Dämmerlicht und der ganzen Aufregung kaum aufgefallen, aber Noah hatte schon gesehen, dass Setos Fragen genau darauf zielten. Er hatte ihn schon mit einigen Blicken bedacht, aber es war, als würde Tato immer unabsichtlich die Sprache davon ablenken. Über alle erzählte er, nur nicht über sich. „Eben, das sieht wie ein Ehering aus“ lächelte Seto erfreut. „Bist du verheiratet?“ „Ich ...“ Er senkte seine Stimme, seinen Blick und sah zwischen ihnen beiden hindurch irgendwohin, wo nichts war. „Ja, bin ich.“ „Und weshalb sagst du das so dunkel?“ versuchte Seto und winkte seinen Blick mit einer kleinen Geste zurück auf sich. „Ist es keine glückliche Ehe?“ „Doch, wir waren immer glücklich. Ich war 24, sie 23 als wir geheiratet haben. Vielleicht noch etwas jung, aber wir haben es nie bereut. Nicht einen einzigen Tag.“ „Und warum sagst du, ihr ‚ward’ glücklich?“ bat Seto ihn recht leise. „Wer ‚war’ sie denn? Risa?“ „Ja“ hauchte er noch leiser, als würde ihm die Stimme wegbleiben. „Tato.“ Er fasste seine Hand. Am liebsten würde er ihn in den Arm nehmen und trösten, denn er schien da gerade großen Schmerz aufgewühlt zu haben. „Ist euch etwas geschehen? Dir und Risa? Behindert dich deswegen dieses Humpeln?“ „Das ist kein Humpeln, sondern ein Torkeln“ antwortete er entschlossen und zog seine Hand zurück. „Mir ist ein Flügel abgerissen und deshalb hab ich Probleme mit dem Gleichgewicht. Meine linke Seite ist schwach.“ „Ein Wunder, dass du überhaupt lebst mit nur einem Flügel“ meinte Noah erschrocken. Und Tato sagte das so leichtfertig! „Wie geht das denn? Ich meine ... sind eure Flügel nicht ...?“ „Rah hat mich gerettet.“ Auch wenn er das sagte, hörte man nicht eben besondere Freude darüber. „Er gab mir im Tausch einen Flügel aus Licht. Aber der ist zu leicht, als dass er das Gewicht auf der anderen Seite aufwiegen könnte. Ich kann auch ohne Stock prima laufen, aber auf Dauer ist das anstrengend und ich hab schon einen kaputten Rücken. Es muss ja nicht noch schlimmer werden. Eigentlich ist es egal.“ „Aber damit fehlt dir auch ein Stück Seele“ versuchte Seto das zu verstehen. „So kann man doch nicht leben.“ „Ich bin anders als du. Ich bin auch Papas Sohn“ erklärte er mit zum Fenster gewandtem Blick. „Mir fehlt seelisch nichts. Dich würde das Gold vielleicht nicht retten, aber mich.“ „Fehlt nur noch, dass du ein Leider dahinter setzt“ ergänzte Seto. „Tato, was ist dir passiert, dass du hier so abweisend wirst? Du weißt doch, dass du uns vertrauen kannst.“ „Es ist nicht, weil ich dir nicht vertraue, Mama“ sagte er und wand seinen Blick kaum mehr vom Fenster ab, als dass er auf den Wagenboden blickte. „Ich möchte nur jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Bitte, lass uns später darüber sprechen. Jetzt möchte ich erst mal einen schönen Tag mit dir und Onkel Noah verleben und vergessen.“ „Na gut. Ganz wie du willst, Großer“ lächelte er und drückte seine Hand ganz kurz, bevor er sie gleich wieder losließ. Tato war eben gar kein so harter Kerl, wie er meist tat. Das hatte er leider mit Seto gemeinsam. Seine Schale war hart, aber bei manchen Menschen in manchen Situationen wurde er ganz weich. Weicher als es vielleicht gut war. Ein ewiger Wandel zwischen zwei Extremen und dazwischen die Balance zu halten, war nicht eben einfach. „Ich denke, wir können hier sowieso aussteigen“ tippte Noah als er aus dem Fenster zu den sich anreihenden Autos sah. „Es ist halb elf und natürlich Stau. Die paar Meter sind wir schneller zu Fuß.“ „Hach, wir sollten hier ne zweite Straße bauen“ meckerte Seto. „Ewig dieser Vormittagsstau. Das ist doch nervig.“ „Erklär mal dem Einkaufszentrum, warum du es lieber abreißen willst, anstatt einfach früher aufzustehen“ lachte Noah und zog hinter sich die kleine Scheibe auf. „Roland, lässt du uns hier aussteigen?“ „Okay. Wann wollt ihr wieder abgeholt werden?“ kam seine staugewöhnte Stimme aus dem Fahrerraum. War nicht das erste Mal, dass er die Herren hier um diese Uhrzeit absetzte. „Wissen wir noch nicht. Wir rufen dich dann an, ja?“ „Gut. Dann wünsche ich euch einen schönen Tag.“ „Wir dir auch. Danke, Roland.“ Er zog die Scheibe wieder zu und erhob sich mit einem seufzenden „Na kommt, Mädels“, um aus dem Wagen zu steigen. Auf eigenen Füßen würden sie wohl wirklich schneller im Büro sein als bis Roland vor der Tür halten konnte. Über die schneematschigen Straßen kämpften sie sich durch die überfüllte Einkaufsstraße bis sie endlich auf dem breiten Zugang zum Indischen Drachen ankamen und es dann spätestens in der gigantischen, gläsernen Empfangshalle leerer wurde. An den Seiten warteten ein paar Menschen, entweder Mitarbeiter oder Gäste bis irgendwas geschah. Durch die Seitentüren kam man nur mit speziell laserlesbaren Ausweisen und an den Empfangsdamen hatte sich bisher auch niemals jemand vorbeischleichen können - die waren nämlich sehr eng mit den Jungs von der Security befreundet. Seto und Noah wurden jedoch nicht mit einem kritischen Blick, sondern mit einem freundlich strahlenden „Guten Morgen, Mr. Kaiba“ und „Guten Morgen, Mr. Muto“ begrüßt und anstandslos vorbeigelassen. Jedenfalls solange Noah ein ebenso freundliches „Guten Morgen, Ladys“ entbrachte und Seto sich galant mit jeglichem Kommentar zurückhielt. Da sie ihre Büros ganz oben im Drachenkopf aufsuchen mussten, gingen sie zu der langen Reihe der Fahrstühle und nahmen gleich den ersten, welcher seine Türen geöffnet hatte. Innen dudelte die ständig eintönige Berieselungsmusik und der pickelige Liftboy erkannte sie auch sofort. Immerhin hatte er mit seinen schlechten Schulnoten damals zwar nirgends eine Ausbildungsstelle bekommen, aber als Fahrstuhlführer konnte er sich ein Taschengeld verdienen und sich vielleicht sogar hocharbeiten. In der Kaiba Corp. standen ihm ja sämtliche Wege offen - vor allem, wenn er sich mit den Chefs gutstellte. Nach seinem Betteln hatte Mr. Wheeler ihm immerhin diesen Job gegeben, also war das doch ein guter Anfang, wenn man eine Uniform mit einem KC-Logo tragen durfte. „Guten Morgen“ begrüßte er die drei Herren aufgeregt. „Nach oben?“ „Nein, nach Tackatuckaland“ grummelte Seto. Was für eine blöde Frage. „Ja, nach oben“ lächelte Noah ihn dafür freundlicher an. „Bitte.“ „Jupp!“ Er holte seinen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das kleine Schloss rechts unten, womit er dann auch den Knopf für das aller oberste Stockwerk bedienen konnte. Immerhin war das da oben heiliger Boden und da konnte ja nicht einfach jeder entscheiden, dorthin zu fahren. Die Türen schlossen sich und als Jingle Bells aus den Lautsprechern floss, schauten sich doch alle etwas verwundert an. Jetzt noch? „Wir haben Anfang Februar“ lachte Noah äußerst belustigt auf dieses verdutzte Schweigen. „Tauscht denn niemand die CD aus?“ „Ich werde das nachher sofort bescheid sagen“ meldete sich der Junge in seiner für ihn fast unpassend feinen Uniform sofort. „Das geht ja nicht, dass hier noch Weihnachtslieder gespielt werden. Ich höre das in diesem Jahr auch zum ersten Mal. Vielleicht ist noch eine im Wechsler und nicht rausgenommen worden. Ich werde gleich sofort dem Techniker bescheid sagen.“ „Nur keine Eile. Hört doch sowieso niemand hin“ beruhigte Noah den Kleinen. „Du wirst schon nicht gleich gefeuert, nur wegen der Musik.“ „Gleich nicht, aber heute Abend“ meinte Tato nebenbei. „Was?!“ Da bekam der arme Junge aber tellergroße Augen und wurde ganz bleich um seine Pickelnase. „Aber ... aber ... ich kann da doch nichts für! Für die Musik bin ich nicht zuständig!“ „Was ist denn das für eine Arbeitsmoral?“ blaffte er ihn an. „Nur weil Sie nicht zuständig sind, belassen Sie es bei diesem Fehler und tolerieren eine saisonal veraltete Außendarstellung des Unternehmens? Wissen Sie eigentlich, dass dies eine subtile Schädigung des Firmenimages ist, wenn Sie Gäste zu ihren Meetings geleiten und ihnen dabei für die Jahreszeit unpassende Musik um die Ohren dudelt? Wie soll denn unser Marketing Erfolg haben, wenn wir nicht mal die optimale Beschallung unserer Humanlogistik regeln können? Und Sie, der Sie an vorderster Front unsere Kunden und Partner begrüßen, sagen, Sie sind nicht zuständig? Wenn jeder unserer Kundendienstmitarbeiter eine solch flachse Arbeitseinstellung und so wenig Firmenpatriotismus an den Tag legen würde, könnten wir Insolvenz anmelden. So etwas werden wir nicht dulden. Erstrecht nicht von jemandem wie Ihnen.“ „Ich ... ich ...“ Der Arme. Jetzt war er gekillt. „Tato, lass das“ schmunzelte Noah. Der wusste genau, dass der den armen Liftboy nicht wirklich feuern wollte, sondern es eher genoss, kleine Würmer zu quälen. Seine sadistische Ader sollte man lieber nicht zu weit herauslassen. „Ist doch wahr, Onkel Noah“ argumentierte er und stützte sich enttäuscht auf den Silberknauf seines schwarz lackierten Stocks. „Was beschäftigst du denn für Mitarbeiter, die nur Dienst nach Vorschrift machen? Wenn das so ist, solltest du die Gehaltsspiegel auch dem allgemeinen Durchschnitt angleichen. Dienst nach Vorschrift gibt Lohn nach Vorschrift. So einfach ist das.“ „N o c h führe ich das Unternehmen, Asato“ lächelte er. „Und solange das so ist, bleiben auch die Liftboys, wo sie sind.“ „Meinst du nicht, dass unsere Gäste auch allein in der Lage sein sollten, selbstständig einen Knopf zu drücken?“ „Und wenn jemand fragt, wo beispielsweise unsere Rechtsabteilung ist? Die Jungs hier wissen doch viel mehr als nur Zahlen auf Knöpfen zu lesen. Keiner kennt die vielen Stockwerke so auswendig wie diese Kollegen.“ „Beschriftungsschilder sind günstiger und verursachen keine Personalkosten.“ Tato konnte wirklich gut argumentieren. Und sich mit Noah über so was zu unterhalten, schien ihn wahrlich aufzuheitern. „Vielleicht“ musste er zugeben und zwinkerte den schwer verunsicherten Liftboy charmant an. „Aber Schilder tragen nicht so süße Uniformen mit goldenen Knopfzweireihern.“ „Touché“ seufzte Tato und schüttelte aufgebend den Kopf. Über dieses Argument konnte er nicht drüber. Wenn Onkel Noah auf uniformierte Jungs abfuhr - bitte. Dann ließ er sich das eben was kosten. Noah lachte leise und fand sein Argument wahrlich angebracht. Zumal er Tato damit sämtlichen Wind aus den Segeln nahm. Bis sich die Türen öffneten und Seto ohne ein Wort des Abschieds ausstieg. „Wir ... wir sind da“ erklärte der Boy passender Weise. „Ich weiß. Danke“ schmunzelte Noah und ging mal Seto hinterher. Und Tato verabschiedete sich mit einem unterkühlten „Nichts für ungut. Schönen Tag noch, Kollege“ und drückte ihm einen Schein mit einem recht hochwertigen Kopf in die Hand. Quasi als Dankeschön, dass der Wurm sich so schön gewunden hatte. „Ähm ... ähm ... ähm ...“ Bevor der noch irgendwas zu antworten wusste, schloss der Fahrstuhl schon von selbst seine Türen und setzte sich wieder in Bewegung zum nächsten Kunden. Und diesen merkwürdigen Mann mit den schwarzen Kleidern, dem schwarzlackierten Stock und dem bekannten Aussehen würde er jetzt wohl auch erst mal nicht mehr wiedersehen. Der ging nämlich den beiden Chefs hinterher. Durch den großen Raum mit den kleinen Regalen an der Seite bis hinüber zu den zwei repräsentativen Tresen, hinter denen sich zwei sehr breite Schreibtische versteckten. Aus den Fenstern hinaus gewann man einen unglaublichen Blick über die Stadt. Das hier war mit Abstand das beste Büro im ganzen Drachen, da man nur von hier aus den Rundumblick über Domino hatte und sich selbst dort Blickfenster befanden, wo unten noch Wand war. Vollverglast also. Von Tageslicht durchflutet erstrahlte das dunkle Weiß der Wände geschmückt von teuren Landschaftsgemälden nicht im Geringsten ungemütlich. Und die hellen Holztöne der Möbel mit eleganten Metallbeschlägen wirkte nicht nur modern, sondern auch einladend gemütlich. Hier hatte sich der Innenarchitekt wirklich bezahlt gemacht. „Guten Morgen?“ rief Noah einfach mal ins Blaue hinein, da er hier spontan gar niemanden sah. „Jemand Zuhause?“ „Jaha! Bin sofort da!“ rief es von weiter her, man hörte ein klackendes Rumsen, ein paar schnelle Schritte und noch ehe die drei ihre verwunderten Blicke noch ganz ausgetauscht hatten, bog Sara um die Ecke. Das Kostüm aus aprikotfarbener Seide mit kurzem Rock und Bluse stand ihr zusammen mit den schwarzen Pumps wirklich gut. Mit einem explodierten Dutt, hochgekrempelten Ärmeln und schwarzen Striemen im Gesicht, wie auf den Armen und Händen machte sie doch aber eine eher wirre Figur. „Was hast du denn gemacht?“ lachte Seto laut. „Hast du mit einem Tintenfisch gekämpft?“ „Lach nicht!“ meckerte sie erregt. „Ich bin voll mit Staubtinte.“ „Und warum machst du so was?“ „Weil dieser scheiß Kopierer schon wieder im Arsch ist!“ schimpfte sie und musste aufpassen, dieses feine Tintenpulver nicht überall zu verteilen. „Der Reparaturdienst kommt ja nicht zu Potte. Alles muss Frau selbst machen. Ich bin hier eindeutig unterbezahlt. Wie wäre es mal mit Erschwerniszulage?“ **Mal im Ernst? Ist euch schon mal eine offene Kopierertinte beim Reparieren des Papiereinzuges um die Ohren geflogen? Nein? MIR ABER SEHR WOHL! Ich hasse Kopierer!!!** „Ich bin da mehr für das papierlose Büro“ beruhigte Noah sie mit sanfter Stimme und fischte ein feuchtes Tuch aus seiner Hosentasche, welches er aufriss und ihr erst mal besänftigend hinhielt. „Ja ja, danke“ murrte sie leise. „Du willst doch von allem ne harte Akte haben, Chef. Wir sollten bei Gelegenheit wirklich noch mal über das papierlose Büro sprechen. Und du Seto hör endlich auf zu lachen!“ „Du bist manchmal so niedlich“ drückte er mit einem glucksenden Kichern heraus. „Ja. Du mich auch.“ Heute war sie echt angefressen. Wer kämpfte schon gern mit kaputten Kopierern am frühen Tage? „Übrigens, Mr. Muto. Alicia hat sich heute Morgen krank gemeldet.“ „Hat es sie jetzt doch erwischt?“ fragte er gar nicht mehr belustigt. „Ja, sie hat sich wohl wirklich bei ihrem Enkel angesteckt. Der hat ja letzte Woche diesen Virus gehabt. Sie fällt wahrscheinlich die ganze Woche aus.“ „Ach, das tut mir leid“ seufzte er tief. „Suchst du mir mal die Adresse raus, worüber ich ihr einen Genesungsstrauß schicken lassen kann?“ „Was soll denn auf der Karte stehen?“ wollte sie wissen und wischte sich weiter die Tinte von den Armen, während Noah schon seine Jacke an die Garderobe hing. „Ich weiß nicht. Gute Besserung und ich vermiss dich oder so.“ „Soll ich das echt draufschreiben?“ lächelte sie. „Gute Besserung, dein Chef vermisst dich, also komm bald wieder?“ „Nein, nur gute Besserung“ schimpfte er. „Lass das, ich weiß schon, warum ich das selbst machen wollte!“ „Retourekutsche“ lächelte sie. „Nein, ist kein Problem. Ich schicke ihr was Nettes in deinem Namen. Ist ein jahreszeitlicher Schneeglöckchenstrauß okay für dich?“ „Ja“ murrte er. Manchmal war Sara echt fies zu ihm. Nur weil sie so lustig aussah und sich so lustig benahm, musste sie ihn ja noch lange nicht ärgern. „Sara?“ holte Noah sich mal wieder seine Assistentin zurück. „Hast du schon die Unterlagen für das Bereichsmeeting zusammenstellen können?“ „Liegt schon auf deinem Schreibtisch. Zweites Fach in der Tagesmappe. Ich hab einen Klebezettel reingemacht, ist nicht zu übersehen.“ Sie dachte eben mit. Das war der Vorteil, dass sie so früh morgens ihren Tag begann. So musste sich ihr Chef nur noch ins gemachte Nest setzen. „Nur für dich wusste ich jetzt nicht genau“ schaute sie Seto an. „Das JOS-Projekt stand für heute auf Wiedervorlage, aber unter ToDo und Warteschleife. Ich weiß nicht, was Alicia da gemacht hat. Muss ich da noch irgendwas ergänzen?“ „Weiß ich gar nicht“ guckte er zurück. „JOS liegt erst Ende März an. Wenn nichts weiter draufsteht, schieb das mal auf nächste Woche bis sie wieder da ist. Wahrscheinlich ist das ihr eigenes ...“ „Oh, warte mal“ bat sie und ging entschuldigend an ihm vorbei. Jetzt hatte sie Tato gesehen, der etwas abseits stand und sich ein Bild hinter der matten Glasscheibe zum Vorraum ansah. Etwas versteckt, aber jetzt hatte sie ihn entdeckt. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Fremde sollten sich hier lieber nicht herumtreiben. „Nein, ich hab mir nur das Bild angesehen. Ist das die Skyline von Doha hier auf der Zeichnung?“ „Ähm ...“ Sie blickte an ihm hinauf und schien doch arg überrascht. So antwortete sie nur noch tonlos: „Nein, Abu Dhabi.“ Sie konnte nicht anders als ihn anzublicken und verwundert zu rätseln. Sah aus wie Seto, aber er war jemand anderes. Irgendwie älter, anders. „Entschuldigen Sie, aber ... kenne ich Sie?“ „Sara, ich glaube, wir müssen dir da was erklären“ antwortete Noah und legte ihr schützend den Arm um die Taille. „Das ist Tato.“ „Ich wusste, du kommst mir bekannt vor“ lächelte sie nicht weniger überrascht. „Wie kommt’s? Ich meine ... wieder so ein Fluch oder ... was anderes?“ „Immer was anderes, Liebes“ lächelte er sie sanft an. „Ein paar andere und ich sind hergekommen, um unsere Eltern dabei zu unterstützen, gegen Seth zu kämpfen. Ist ne lange Geschichte.“ „Das glaube ich ... wow, du bist so groß“ staunte sie noch immer. „Auch nicht größer als Mama“ erwiderte er. „Und du bist so jung und hübsch. Nur die Frisur und dein Make-up sind etwas unvorteilhaft.“ „Und du hast denselben, schlechten Humor wie dein Vater“ seufzte sie und zog sich die Spange aus dem Haar. So flossen ihre goldenen Locken eben über ihre Schultern und sie sah nicht mehr aus wie ein gerupftes Sofakissen. „Und was macht ihr hier? Ich meine, habt ihr nichts Besseres zu tun, als ins Büro zu gehen?“ „Um ehrlich zu sein, nein“ erzählte Noah. „Im Moment können wir Zuhause auch eher wenig bis gar nichts tun. Vielleicht gehen wir nachher zusammen lunchen? Dann erzähle ich dir dann alles.“ „Ach, das geht nicht“ schaute sie ihn bedauernd an. „Moki hat angerufen. Er will dich nachher zwischen seinen Vorlesungen unten in der Sushibar treffen.“ „Na fein“ seufzte er. „Soll ich dir dann was mitbringen?“ „Ich gehe mit Tomoko aus der Buchhaltung rüber zum Italiener essen.“ lächelte sie lieb. „Da wo Joey sich immer ne halbe Pizza mitnimmt. Aber danke dir.“ „Dann kannst du mir vielleicht die Speisekarte mitbringen? Ich bin noch nicht dazu gekommen, den Italiener mal auszuprobieren. Und Joey schwärmt ja geradezu von der Pizza Hawaii und dem Cappuccino.“ „Beliefert der nicht auch unsere Kantine?“ meinte Seto sich zu erinnern. „Ja, aber nicht die schönen Kaffeespezialitäten“ zeigte sie mit dem Finger. „Die muss man sich schon selbst holen. Und nach halb eins gibt’s auch kaum noch was von der Pizza in der Kantine. Wollt ihr vielleicht mitkommen nachher? Schönen, starken, schwarzen Kaffee?“ „Um ehrlich zu sein“ schaute Seto sie mit ganz bettelnden Augen an. „Den hätte ich jetzt irgendwie auch schon ganz gern.“ „Ja ja“ seufzte sie, drehte sich um und ging zurück in Richtung des kleinen Flures, wo sie herkam. „Willst du auch einen, Tato? Sekretärin geht Kaffeekochen für den Chef. Kaffeekochen und Kopieren. Entweder bekomme ich Sexistenzulage oder ich beschwere mich wegen Unterforderung.“ Die Männer schwiegen lieber bis sie um die Ecke war, bevor Noah aussprach, was alle drei dachten. „Ich glaube, sie kriegt schon wieder ihre Tage.“ „Können Schwule eigentlich sexistisch sein?“ fragte sich Tato. „Allein diese Frage ist auch Sexismus.“ „Könnt ihr nicht mal an was anderes denken?“ grummelte Seto und zog sich seinen Mantel aus, den er aber, anders als Noah, mit in sein Büro schleppte. Er benutzte lieber seine eigene Ikea-Garderobe. Tato und Noah sahen sich an, zuckten mit den Schultern und machten sich dann in Frieden auf in entgegengesetzte Richtungen. Noah ging arbeiten und Tato blieb lieber bei Seto, sah sich mal an, was der so auf dem Schreibtisch hatte. Und das wörtlich. Er schloss die Tür hinter sich und beobachtete ihn dabei, wie er erst den Knopf zum Hochfahren des Laptops betätigte und dann umgehend zum Keksteller griff, den Sara wohl heute Morgen erst frisch aufgefüllt hatte. In Gedanken musste Tato zugeben, dass sie wirklich keinen leichten Job hatte. Sie reparierte selbst den kaputten Kopierer, musste sich um Noahs Meetings kümmern, Mamas Kekse auffüllen, Kaffeekochen und nebenbei auch mal irgendwann arbeiten. Sekretärin war der einzige Beruf, der nicht nur geschäftliche Betreuung des Chefs, sondern auch lauter Privatkrams von ihm umfasste. Angefangen davon, dass sie seine privaten Termine managte und ihm sein Frühstücksbrot organisierte bis hin dazu, welche Unterlagen er auf welche Reise mitnahm. Ewig der gute Geist zu sein, unscheinbar und trotzdem immer zur Stelle ... nein, so was könnte er nicht. Er hatte es lieber, wenn es so geschah, wie er sagte und er nicht für andere mitdenken musste. „Was guckst du so?“ schaute Seto ihn fragend an. Dass er angesehen wurde, war ihm bei Tato merkwürdigerweise nicht mal unangenehm, aber dieser blaue Blick verriet ihm nicht viel. „Nichts“ antwortete er und tat seine Gedanken ab. Er kam langsam näher, setzte sich ihm gegenüber auf den Besucherstuhl und stützte sich auf seinen Stock zwischen den Knien. „Du fährst schon ewig nicht gern Fahrstuhl, oder?“ „Warum?“ zog er skeptisch seine Augenbraue hoch. „Weil du eben so ruhig geworden bist und danach ziemlich schnell rausgedrängelt hast. Ich hätte nicht gedacht, dass das wirklich schon seit deiner Jugend so ist.“ „Wir haben alle so unsere Macken“ meinte er. „Du hast doch bestimmt auch welche.“ „Nein, ich bin perfekt“ stritt er brummend ab. „Unsinn“ brummte er zurück. „Ich hab ne Menge Macken und ich weiß das. Du hast doch auch welche. Ich hab’s gesehen.“ „Ach ja?“ schaute er. „Spielen wir jetzt, ich bemerke deine Ticks und du meine?“ „Na ja. Ja?“ „Wenn du meinst. Ich weiß, dass du es nicht magst, wenn man dich anstarrt, wenn man hinter dir ist oder wenn es plötzlich laut wird, geschweige denn, wenn jemand rumschreit. Und du magst es nicht, wenn es dunkel ist. Hab ich was vergessen?“ „Die Liste ist beliebig ergänzbar um geschlossene Türen, enge Räume und sonstigen Kram. Nur Kleptomanie hab ich nicht“ seufzte er. „Und du? Ich hab bemerkt, dass du immer deine linke Seite wegdrehst. Du scheinst diese Seite irgendwie zu verstecken.“ „So schnell hat das noch keiner gesehen“ musste er zugeben. „Aber du hast Recht. Für gewöhnlich spreche ich nicht gern darüber.“ „Und jetzt ist es ungewöhnlich? Schließlich gibt es schönere Themen. Weißt du, ich mag’s auch nicht besonders, über meine Traumata zu plaudern.“ „Wer mag das schon?“ antwortete er und lehnte sich entspannt in dem gemütlichen Lederstuhl zurück, drehte dabei ruhig den silbernen Falkenkopf seines Stockes zwischen den Fingern. „Aber weißt du, es gibt Menschen, denen vertraue ich ohne Vorbehalt. Zu aller erst dir und Papa. Ich hab euch mein Leben lang alles anvertrauen können und ihr habt mir dieses Vertrauen niemals schwer gemacht. Ich hab immer gewusst, egal, was ich ausgefressen habe, ich kann immer zu euch kommen. Egal, was los ist, ihr werdet mich immer lieben. Und da ist es egal, ob nun in meiner Zeit oder in eurer.“ „Dann haben wir ja wohl doch ein bisschen was richtig gemacht“ lächelte er. „Und wem vertraust du noch außer uns? Gibt es jemand Besonderen für dich, dem du dich anvertrauen kannst, wenn wir mal nicht mehr sind?“ „Eigentlich der ganzen Familie. Aber jeder hat nun mal Menschen, die ihm ganz besonders nahe stehen. Nini auch. Sie steht mir näher als viele andere, ohne die ganze Zeit neben mir stehen zu müssen. Weißt du, wie ich meine?“ „Ja, ich weiß“ nickte er. „Bei mir ist es am ehesten Noah, der mir wie ein Bruder ist. Moki auch, aber er ist für mich auch ein Stück wie ein Sohn. Noah aber ist mir irgendwie ebenbürtiger. Ich weiß, er ist immer da, ohne immer anwesend zu sein. Ich glaube, das ist so die typische Geschwisterliebe. Anders als bei Joey. Ich hätte damals nie geglaubt, dass ich einen besten Freund haben könnte.“ „Ja, der beste Freund des Menschen, was?“ „So ungefähr“ schmunzelte er. „Wir ergänzen uns einfach gut. Er hat dieses unbekümmerte, trottelige Wesen. Ich weiß, dass er sein Leben ernst nimmt und durchaus intelligent und geschickt ist, aber ihm scheint das Leben so leicht zu fallen. Bei ihm sieht alles so unkompliziert aus. Er denkt nicht so viel über alles nach. Er hat all das, was ich nicht habe. Er reißt mich immer wieder in die unmöglichsten Sachen und bringt Trubel in mein Leben. Dafür passe ich ein bisschen auf ihn auf und kaufe ihn wieder frei, wenn er sich mal wieder zu tief in was reingeritten hat. Ich glaube, so eine Freundschaft ist etwas, was man sehr schätzen und worauf man sehr gut aufpassen sollte. Und deshalb ist er jemand, dem ich ohne Zögern mein Leben in die Hände legen würde.“ „Nini ist viel mehr für mich“ erzählte er. „Es ist schwer zu beschreiben. Eigentlich leben wir vollkommen getrennte Leben, aber ganz tief drin sind wir immer miteinander verbunden. Nicht nur, weil sie meine Schwester ist. Sie ist ... ich weiß es nicht. Sie ist einfach ein eigenes Gefühl. Als wäre ich mit ihr verwachsen. Als wären wir eins und das ganz selbstverständlich.“ „Bist du denn ihr Priester geworden?“ fragte er behutsam. Seto sprach selbst nicht so gern darüber, dass er Yugi sein Leben willenlos überließ und gegen ihn niemals mehr als ein Nichts sein würde. Dass er die Demut besaß, die Seth ihn damals gelehrt hatte. Und das aus eigenem Wunsch. Es war eigentlich absurd so etwas zu tun. Er unterhielt sich ungern darüber, obwohl ihm das ein wichtiger Lebensbestandteil war, den er nicht missen wollte. „Ja. Aber recht früh“ erzählte er. „Sie war gerade schwanger geworden, da war ich noch nicht ganz 18. Aber ich hatte so ein großes Verlangen danach, sie zu beschützen. Das war zu einer Zeit, wo ich ein ziemliches Arschloch war und viele Menschen vergrault habe, die ich eigentlich mochte. Auch gegen sie hab ich mich aufgelehnt. Unterbewusst wollte ich mich wohl einfach abnabeln und so weit distanzieren, bis ich mich selbst als Individuum fühlte. In so einer eingeschworenen Gemeinschaft ist es zwar behütet und sicher, aber gleichzeitig fällt es einem dadurch auch schwer, sich zu beweisen. Und ich wollte mir damals wohl einfach beweisen, dass ich auch auf eigenen Beinen stehen kann. Deshalb hab ich ziemlich fiese Dinge getan und gesagt. Aber als sie dann über Nacht Sethan erwartete und auch ich mich an etwas erinnerte, was eigentlich niemals geschehen war ... ich wusste, dass ich sie nicht ewig dem Schutz der Gemeinschaft überlassen durfte. Ich wollte sie selbst beschützen und ihr helfen, sie stärken.“ „Dann bist du von selbst zu ihr gegangen?“ „Nein, so einfach hab ich ihr das nicht gemacht“ musste er lachend an die Vergangenheit denken. „Wie gesagt, war ich ein großes Ekelpaket. Ich bin zu ihr hin und hab sie beschimpft. Ein Wort gab das andere bis ich meinte: ‚Wenn du meinst, du musst mich haben, dann musst du mich erst kriegen’. Ich hab sie dazu gedrängt, gegen mich zu kämpfen, obwohl sie schwanger war. Eigentlich ziemlich unfaire Voraussetzungen.“ „Und dann?“ wollte er weiter wissen. „Du hast gesehen, dass du ihr kein Leid antun kannst.“ „Ach was. So ein guter Mensch bin ich nicht“ meinte er. „Sie hat mich haushoch fertig gemacht. Ich konnte mich ungelogen drei Tage nicht bewegen. Danach hab ich mir vorgenommen, mich nie wieder mit ihr anzulegen. Ich hab immer gedacht, ich wäre sonst wie toll und sie hat mir nie widersprochen, sondern immer nur zu meinen Querelen gelächelt und gesagt, dass ich es wirklich draufhabe. Aber als sie mir dann diesem Wumms verpasst hat ... tja. So war das eben.“ „Ja, mit so was können wir uns nicht messen“ seufzte auch Seto. „Ich weiß, wenn ich wirklich will und keine Rücksicht nehmen müsste, da könnte ich jeden in den Boden stampfen. Aber Yugi braucht nur einen Blick und ich bin völlig entwaffnet. Ich weiß nicht, wie die Pharaonen es machen, aber diese Kraft ist nicht irdisch.“ „Eigentlich gemein, oder?“ meinte er. „Wir stammen von einem Gott ab, sind aber nicht mal Halbgötter. Wir haben so viel Macht und können uns gegen sie gerade mal im Ansatz verteidigen.“ „Bei mir weiß ich das ja, aber bei dir?“ fragte er neugierig. „Ich meine, deine Seele ist zur Hälfte aus Yugi entstanden. Wenn jemand wirklich eine Ahnung haben könnte, dann doch du.“ „Natürlich hab ich Macht, die ihr nicht habt“ gab er zu. „Die Größte ist sicher, dass ich Schatten bis zu einem gewissen Punkt kontrollieren kann.“ „Ja, das ist etwas, was sonst nur Pharaonen können. Schatten bannen. Und du kannst das?“ „Aber es ist sehr ... anstrengend“ suchte er nach den richtigen Worten. „Weißt du, nicht körperlich. Eher geistig. Wir hatten schon häufiger mit Schatten zu tun und die Pharaonen konnten sie jedes Mal vertreiben oder einfangen und auflösen. Ich selbst kann sie besser kontrollieren, als sie zu bannen. Es gab aber eine Situation, da war nur Nini bei uns und sie war außer Gefecht gesetzt. Da habe ich einige der Schatten eingefangen und mit dem bisschen Gold, was ich besitze, aufgelöst. Es waren nicht viele und körperlich war ich unversehrt. Aber ich habe mich schrecklich gefühlt. Einige Tage lang habe ich nur geweint und wusste nicht, weshalb. Es waren keine Depressionen, aber in mir hat sich alles so erschreckend leer, so schwarz angefühlt. Meine Seele war erschöpft ... ich habe zwar ein bisschen Gold in mir, aber es ist zu wenig, um es wirklich mit einem Pharao zu vergleichen. Ich bin da wohl wirklich eher dein Sohn. Aber ist das nicht normal, dass Kinder schon mal eher nach dem einen oder anderen Elternteil schlagen? Papa liebt mich und mehr brauche ich nicht. Ich muss kein Pharao sein. Ich bin, was ich bin. Selbst, wenn ich wollte, könnte ich daran nichts ändern. Was bleibt mir also anderes übrig, als mein Leben so anzunehmen, wie es nun mal ist? Ich bin nicht von Rah auserwählt und damit muss ich leben.“ „Ich würde nicht sagen, dass du nicht auserwählt bist. Rah liebt auch uns. Daran ist nichts Negatives. Eher finde ich, dass besonders du seinen ...“ „So, Kaffee für die Herren Muto.“ Das Anklopfen mussten sie überhört haben, da kam Sara schon herein mit einem kleinen Tablett und stellte den beiden zwei Becher und eine große Thermoskanne hin. „Tato, nimmst du Milch oder Zucker?“ „Weder noch. Danke.“ „Hab ich mir gedacht.“ War ja nicht schwer zu erraten. Seto trank ihn auch lieber schwarz und stark. „Aber manchmal nimmt dein Vater Sahne dazu. Sahne?“ „Nein, danke.“ „Na gut.“ Sie schenkte ihm sogar einen heißen Becher ein und sah ihn dann mit einem hellen Lächeln an. „Störe ich euch gerade? Ihr seid so ruhig.“ „Kommt drauf an, was du willst“ bemerkte Seto skeptisch und schenkte sich seinen Kaffe selbst ein. Dieses Lächeln war ihm ungeheuer. „Ich dachte mir“ setzte sie zögerlich an. „Tato, kennen wir uns in deiner Zukunft?“ „Ja ...?“ antwortete er leicht fragend. Fragend eher danach, was die Frage sollte. „Aha. Und kannst du mir was von mir erzählen? Ich meine, hab ich ein Haus und zehn Kinder oder hab ich Karriere gemacht? Bin ich verheiratet oder ledig? Hab ich viel zugenommen? Was ist aus mir geworden?“ „Das willst du im Augenblick, glaube ich, gar nicht wissen.“ „Ach, komm schon“ bettelte sie. „Nur einen Tipp. Biiiiiiitte!“ „HALLO? KÜMMERT SICH MAL JEMAND UM MICH, BITTE? SAAARAAA!!! AALICIAA!!! HAAAAALLOOOOOO! SÄÄÄÄÄÄÄÄTOOOOOOOO!!!“ „Warum schreist du nicht mal nach Noah?“ motzte Seto ebenso lautstark zurück. Dieses kreischende SÄÄÄÄÄTOOOOO würde er unter Tausenden erkennen. „Weil der eh nie kommt“ meinte Joey und stand seufzend in der offenen Tür. Noch in Straßenklamotten, dabei trug er im Büro sonst immer Anzug und Krawatte. In dieser Kleidung würde ihn niemand wiedererkennen. Deshalb waren ihm draußen auch nie Papparazzi auf den Fersen. Sie erkannten ihn in ‚normaler’ Kleidung einfach nicht. Es begann bei dem arg windzerzausten Haar, anstatt eines haarspraygebändigten Etwas auf dem Kopf und endete bei ausgelatschten Turnschuhen, anstatt der ledernen Maßanfertigung. Joey hatte auch zwei Gesichter. Das Straßen- und das Bürogesicht. Das ging so weit, dass sich sogar seine Sprache veränderte. Als hätte er gelernt, umzuschalten zwischen Privat-Joey und Business-Wheeler. Beneidenswert wie gut er das trennen konnte. „Und was willst du hier? Bist du nicht auf Stadtrundfahrt mit den anderen?“ „Ich glaube, die haben mich verloren. Ich weiß nur noch nicht, ob das Absicht war“ überlegte er beleidigt. „Wahrscheinlich eher Zweiteres“ war Setos Tipp. Was auch immer Joey wieder angestellt hatte - Seto hätte ihn garantiert absichtlich verloren. „Zu freundlich, du blöder Schnösel“ zischte er. „Hast du auch noch was zu melden, damit es mir schlechter geht, Tato?“ „Nein. Danke, Joseph. Du darfst jetzt gehen“ lehnte er ab und beschäftigte sich lieber mit seinem heißen Kaffee. „Hach! Eines Tages grab ich euch alle am Strand ein und buddele euch nicht mehr aus! Dann seht ihr mal, wo ihr bleibt!“ schimpfte er, drehte sich rum und stampfte davon. Zwei Drachen waren echt zu fies auf ein Mal. „Der Spitzname Köter passt doch, wenn er uns einbuddeln will“ musste Tato durch seinen Kaffee murmeln. „Ihr seid aber auch fies zu ihm“ schmunzelte Sara. „Der arme Joey.“ „SAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!“ Sie tat ein abgrundtiefes Seufzen und schüttelte den Kopf. „JA, JOSEPH?!“ „WO IST MEIN KAMPFANZUG?!“ „Da, wo er immer ist, Billig-Batman“ nörgelte sie leiser und ging eben ohne Weißsagung für die Zukunft zurück an die Arbeit. Von den drei Chefs war Mr. Wheeler mit Abstand der Unselbstständigste. Wurde Zeit, dass er sich mal ne eigene Assistentin einstellte. „Die zwei“ lächelte Seto. „Manchmal benehmen sie sich wie ein altes Ehepaar.“ „Er braucht eben Frauen, die ihn kontrollieren. Narla derzeit Zuhause und Sara im Büro. Solche Leute muss es ja auch geben.“ „Ich liebe deinen trockenen Humor, Sohn“ lachte er. „Hab ich geerbt, Mama“ lachte er zurück. Ja, solange sie unter sich waren, machte das Lachen über andere noch mehr Spaß. Dann seufzte er tief durch und lehnte sich wieder entspannt zurück. Gemeinsam genossen sie ein paar Schlücke heißes Schwarz und lauschten den Stimmen, welche von Sara und Joey durch die nicht ganz zugefallene Tür drangen und hörten. Ohne noch ein Wort zu sagen. Es war nicht mal unangenehm, nicht zu sprechen. Irgendwie war es ... vertraut. Vom ersten Moment an hatte sich das Gefühl zwischen ihnen nicht geändert. Selbst mit dem jetzigen Altersunterschied waren die Gefühle gleich. Und ebenso das Schweigen, welches die innigste Herzensruhe nebeneinander war. „Es heißt“ sprach Seto leise. „Es ist schön, miteinander zu lachen. Schöner ist es, miteinander zu schweigen.“ „Du hast Recht“ stimmte er gelassen zu. „Ich bin froh, dass du mich heute mitgenommen hast.“ „Das alles hier kommt dir aber nicht bekannt vor, oder?“ wollte er neugierig wissen. „Um ehrlich zu sein, nein“ lächelte er. „Der Indische Drache steht in meiner Zeit noch immer und ist sogar das offizielle Wahrzeichen Dominos. Aber hier drinnen sieht es ganz anders aus. Hier, wo jetzt dein Schreibtisch steht, da sitze ich in ein paar Jahren. Und meiner ist nicht von Ikea.“ „Das ist nur Joeys Schuld“ murrte Seto. „Wenn ich die Möbel rausschmeiße, wäre er zutiefst beleidigt. Ich beleidige ihn ja gern, aber das würde ihn wirklich treffen.“ „Wir haben alle so unsere unliebsamen Anhängsel“ meinte er. „Mir hat Joey in der Schule mal einen Aschenbecher getöpfert. Knallpink und so schief, dass er ständig wackelt. Und den muss ich unbedingt immer im Büro benutzen. Besonders, wenn Gäste kommen.“ „Joey hat dir den gemacht? In der Schule? Geht er noch mal zur Schule?“ Seto konnte dem nicht sofort folgen. Wenn Joey in die Politik ging, würde er doch wohl kaum noch mal die Schulbank drücken. „Nein, Baby-Joey“ lächelte er. „In meiner Zeit hat das auch ab und an zu Verwirrungen geführt. Deshalb sagen wir Joseph und Joey. Außer dir, du sagst zu dem alten Joseph Joey und Baby-Joey nennst du Honigtöpfchen. Aber Joseph hat sich damit abgefunden, dass er seinen Jugendnamen ablegen musste. Seine Schuld, wenn er seine Welpen nach sich selbst benennt.“ „Ich denke, das ist ein schöner Brauch. Das ehrt die Vorfahren“ meinte Seto. „Kann ja auch schön sein, wenn es die richtigen Vorfahren sind. Ich meine, allein Seto und Sato ... so toll ist der Vorfahre da nicht. Von Seth ganz zu schweigen. Der ist namentlich am Meisten vorbelastet. Schlimmer als wir.“ „Das solltest du nicht ganz so negativ sehen“ riet Seto und nippte an seinem lecker bitteren Kaffee. „Sicher wünsche ich mir manchmal auch, einfach ganz normal und ahnungslos von allem zu sein. Aber es hat auch Vorteile, wenn man so mächtig ist.“ „Ich weiß ja nicht“ seufzte er. „Ich wäre lieber ein ganz normaler Durschnittstyp mit einem eight-to-five-Job und einer Durchschnittsfamilie. Ich würde mir lieber Gedanken um eine kaputte Waschmaschine machen als darum, die Welt vor dem Brand- und Seuchentod zu erretten. Macht zu haben, kann einem viel geben, aber ebenso viel nimmt sie einem auch.“ „Große Macht bringt immer auch große Verantwortung.“ „Ja, Onkel Ben“ verdrehte er dramatisch die Augen. „Aber es hat auch gute Seiten“ versuchte Seto zu argumentieren. „Wenn ich nicht der wäre, der ich bin, könnte ich nicht mit Yugi zusammensein. Ich weiß, wenn ich ein Durchschnittstyp wäre, würde er mich verlassen, weil sein Leben zu viele Gefahren birgt, die er mir nicht zumuten möchte. Und ich würde ihn noch weniger verstehen als ohnehin schon. So würden wir wahrscheinlich beide einsam und unglücklich leben und sterben. Hätte ich nur einen Durchschnittsjob, könnte ich nicht diesen großen Schutz genießen. Wie glaubst du, könnte ich allein meine Wiedergeburt erklären, wenn ich sogar offiziell vom Gerichtsmediziner für tot erklärt wurde? Doch nur durch Macht und jede Menge Geld. Und eine Durchschnittsfamilie könnte mir niemals diesen Halt geben. Wäre Yugi nur ein Durchschnittsmann, wäre ich schon lange tot und froh darüber. Nur Menschen wie die, welche ich meine Familie nenne, können es mit jemandem wie mir aushalten. Es ist nicht alles schlecht, so wie es ist. Anders zu sein, bedeutet nicht, schlechter zu sein.“ „Ich weiß“ seufzte er tief. „Dennoch würde ich mir manchmal wünschen, mein Leben wäre anders. Dass ich anders wäre. Normal. Früher fand ich mich toll ... heute nicht mehr.“ Seto blickte ihn an und sah in ein trauriges Gesicht. Seine Augen hatten keinen Glanz, seine Mimik keine Spur von Zufriedenheit. Seinen eigenen Sohn so leer zu sehen, schmerzte. „Entschuldige, wenn ich dich doch noch mal darauf anspreche, Tato. Aber ... was genau ist schief gelaufen in deinem Leben?“ Und als der aufblickte und den Mund öffnete, begründete er sofort: „Und du kannst mir nicht weißmachen, dein Leben würde dir Freude bereiten.“ „Mein Leben nicht. Das ist wahr“ gab er mit flacher Stimme zu. „Aber es gibt Menschen und Dinge, welche mir Freude bereiten. Mein Leben mag ich nicht besonders, jedoch habe ich Dinge, die ich nicht verlieren möchte. Menschen, die ich bewahren will. Kannst du mir das glauben?“ „Ja, das kann ich“ nickte er. „Und du willst mir nicht sagen, was dir auf dem Herzen liegt? Was dich so beschwert?“ „Nein ... im Augenblick nicht.“ „Aber weshalb? Ist es, weil ich jünger bin als du? Vertraust du mir nicht?“ „Nein, das ist es nicht. Mama.“ Er hob seinen Blick und schenkte ihm ein verzweifeltes Lächeln. „Ich bin ein schrecklicher Mensch mit vielen Fehlern und abartigen Gefühlen. Aber ich versuche immer mein Bestes, um die Menschen, die ich liebe, nicht zu enttäuschen. Ich vertraue dir sehr, aber zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich noch nicht sprechen. Bitte versteh das.“ „Aber du weißt ... Asato ...“ Seto stellte seinen Becher hin, stand auf und ging zu ihm herum, lehnte sich an den Tisch und nahm die Hände seines Sohnes. „Dein Vater und ich, wir werden dich immer lieben. Du kannst niemals so schrecklich, fehlerhaft oder abartig sein, dass wir dich nicht lieben könnten. Du bist unser Wunschkind und wir glauben an das Gute, an das Warme in dir. Und ich weiß, dass du es hast. Denn nur, wer tiefe Liebe empfindet, kann so tiefe Trauer fühlen. Und allein das macht dich zu einem guten Menschen.“ „Das hast du schön gesagt. Danke, Mama.“ Er blickte an ihm hinauf und schenkte ihm ein wahrhaft ehrliches Lächeln. Einen sehr dankbaren Ausdruck. „Ich liebe dich auch und ich bin mit Vätern wie euch wahrlich gesegnet.“ „Aber das eine darf ich dich doch sicher fragen. Nur aus Interesse“ bat er und ließ auch seine Hände wieder los, um ihm nicht allzu nahe zu treten. Inwieweit Tato das mögen würde, konnte er noch nicht abschätzen. „Das soll nicht so klingen, als würde ich mich nicht als dein Vater fühlen, aber ... habt ihr, du und Nini, jemals nach euren leiblichen Eltern gesucht?“ „Du meinst, die Menschen, die unsere Körper gezeugt und geboren haben“ ergänzte er dunkel und sah ihn fest an. „Nein. Niemals.“ „Hm ... in Ordnung. Aber habt ihr nicht wenigstens mal daran gedacht?“ „Doch, natürlich haben wir das“ gab er zu. „Ich war ungefähr 16 Jahre alt als ich auf den Trichter kam, ich wolle meine Eltern finden. Und ihr habt mich nicht aufgehalten. Du hast mir sogar den Flieger nach Frankreich hingestellt und Papa hat meine Tasche gepackt. Und Nini habt ihr gefragt, ob sie mitmöchte. Aber sie wollte lieber mit ihren Freundinnen in den Sommerurlaub an die Küste fahren. Ich habe also allein meine gepackte Tasche genommen und bin den ganzen langen Weg bis zur eigenen Haustür gekommen“ musste er mit einem kopfschüttelnden Lachen zugeben. „Ich konnte es einfach nicht. Als ich so in Hut und Mantel dastand, habe ich mich gefühlt, als würde ich euch verlassen. Als würde ich euch verraten. Sicher habt ihr es mir freigestellt und mir versichert, dass ich immer euer Kind bleiben werde. Ihr habt mich nie gefangen gehalten. Aber als ich die Gelegenheit hatte, fühlte ich, dass es niemand anderen für mich gibt. Das, woran Nini niemals gezweifelt hat, habe ich dann auch eingesehen. Weißt du, Mama ...“ Er blickte zu ihm auf und schenkte ihm einen tiefen, liebevollen Blick aus klarem Saphir. „Ihr seid meine Eltern. Das seid ihr immer gewesen. Warum sollte ich jemandem nachjagen, den es für mich nicht gibt? Nur um Menschen zu treffen, die in meinem Leben nichts bedeuten? Was bringt es mir? Ich habe die liebevollsten Väter, die sich ein Mensch nur wünschen kann. Nein, ich habe niemals nach meinen leiblichen Eltern gesucht. Niemals wirklich. Denn mein Herz weiß, wo es hingehört. Mein Herz hat niemals etwas anderes gewollt, als das was ich schon hatte.“ „So, nu bin ich da, also beschäftige dich mit mir.“ Anklopfen? Für Joey ein Fremdwort. Er kam einfach herein und knallte Seto einen ganzen Stapel Papier auf den Schreibtisch. Nachdem er sich jetzt bürotauglich umgezogen und frisiert hatte, schien er ernsthafte Absichten zu hegen, arbeiten zu wollen. „Merkst du nicht, dass du störst?“ blaffte Seto ihn an. „Wann störe ich dich mal nicht, Drache?“ Auch wieder wahr. „Also, da, hier“ erzählte er, kramte den Stapel auseinander und formte kleinere Häufchen. „Das sind drei Vorgänge. Die AHT-Prüfungen, die Patentanmeldungen von Shiphon und die Strategie zur DT-Kampagne. Außerdem hast du mir versprochen, dass ich das Rating vom Liason Plus Kick-Off bekomme, was ich bei mir jetzt immer noch nicht gefunden habe. Also zackig, Mister. Und wenn du nicht in die Hufe kommst, briefe ich dich jetzt eben über die Top-Prios bei mir. Also los. Fangen wir mit den AHT-Prüfungen an. Die sind letzte Woche fertig geworden und ich hab dir mal die wichtigsten Diagramme zusammengestellt. Besonders hier die Tortendiagramme solltest du dir mal kritisch ... sag mal, bekommst du bei dem Wort auch immer Lust auf Schwarzwälder Kirsch?“ „Köter ...“ Was blieb ihm da noch anderes übrig als einfach mit dem Kopf zu schütteln? Richtig. Nichts. Chapter 3 Am Nachmittag machte Yugi dafür Bekanntschaft mit den etwas ruhigeren Vertretern der Gastschaft. Er war soeben vom Einkaufen nach dem täglichen Training zurückgekehrt und ließ sich mit einem Seufzen auf den Lippen und der Tageszeitung in der Hand aufs Sofa plumpsen. Noch eine halbe Stunde Pause bis er losfahren und die Kinder aus dem Kindergarten abholen musste. Das Leben als Familienvater mit einem Partner, der meist erst am späten Abend Zuhause war, gestaltete sich eben ein wenig anstrengend. Und obwohl er morgens später losfahren musste, stand er doch noch vor Seto auf, um ihn erst wach zu kuscheln und ihm dann Frühstück zu machen. Aber was tat man nicht alles für den Mann, den man über alles liebte? Dennoch war es schön, sich einen Moment ruhig hinzusetzen und einfach mal sein Horoskop zu lesen. Doch heute produzierte die Couch zum ersten Mal Laute als er sich auf sie fallen ließ. Okay, er hatte nicht richtig hingeguckt, aber die ausgebreitete Wolldecke hatte ihn jetzt nicht wirklich gestört. Doch anscheinend störte er die Decke, denn die bewegte sich jetzt auch und gebar am anderen Ende ein Gesicht. „Oh, entschuldige. Ich hab dich nicht gesehen“ bat er als er in das Gesicht eines etwas verschlafenen Phoenix sah, der sich hier zusammengerollt und ein Schläfchen gehalten hatte. Er war so mager und unscheinbar, dass er eben einfach nicht sofort bemerkt worden war. Mal abgesehen davon, dass Yugi mit den Gedanken eh ganz woanders gehangen hatte. Der Junge tastete neben sich auf dem Tisch und fand dort seine Brille, die er sich auf die zarte Nase setzte und ihn genauer ansah. „Ach, Yugi.“ Jetzt erkannte er ihn auch. Ohne Brille schien er ja ziemlich blind zu sein. „Ja, ich bin’s. Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht wecken. Ich hab dich eben einfach nicht gesehen.“ Er stand höflicherweise auf und setzte sich auf die Couch gegenüber. In seinen Gedanken kam ihm der Fakt, dass dieser leise, schüchterne Junge wirklich Seths Sohn sein sollte, fast absurd vor. Phoenix war süß, ganz ohne Zweifel, aber er schien auch auf den zweiten Eindruck hin, kaum etwas von seinem Vater geerbt zu haben. Anders als Balthasar, der Seth nicht nur äußerlich zu gleichen schien, sondern auch unruhiges Feuer im Herzen trug. Anders als dieser zarte Junge hier. „Macht nichts. Ich werde häufiger übersehen“ antwortete er ganz selbstverständlich und kramte sich ein wenig höher. Die Fortsetzung des Mittagsschlafes konnte er jetzt auch vergessen. „Es ist nur so ungewöhnlich, dass hier jemand um diese Uhrzeit liegt und schläft“ lächelte Yugi ihn um Verzeihung suchend an. „Bist du denn nicht mit den anderen in der Stadt?“ „War ich. Aber ich hab unterwegs schlapp gemacht“ erzählte er mit seiner leisen, seidenhellen Stimme. „Mama ist mit mir wieder nach Hause gefahren.“ „Also ist Mie wieder mit dir zurück und hat dich gleich warm eingepackt.“ „Ja, so ungefähr“ meinte er und legte sich sein Haar zurück, bevor es ihm in die Augen fiel. „Wir haben ein bisschen Karten gespielt und uns eine von diesen alten Serien angesehen. Ich glaube, ich bin wohl irgendwann eingeschlafen. Wo ist Mama denn?“ „Ich hab sie eben noch in der Küche gesehen“ zeigte er zur Tür. „Sie sah so aus als würde sie Tee machen. Kommt bestimmt gleich zurück.“ „Hm ... aha.“ Er lehnte sich zurück und sah an Yugi vorbei gegen die Wand, betrachtete sich stumm den Schrank, der dort stand. Eigentlich nicht weiter interessant, aber dadurch entstand ein etwas belastendes Schweigen. „Und sonst so?“ sprach Yugi interessiert weiter. „Wie gefällt dir unsere Vergangenheit? Ist es sehr anders hier als das, was du kennst?“ „Ja, schon ein bisschen“ antwortete er leise. „Es ist alles so ... so altmodisch.“ „Altmodisch?“ lachte er. „Ja, das muss dir wirklich so vorkommen, was?“ „Du bist nicht beleidigt, wenn ich das sage, oder?“ schaute er ihn besorgt an. „Nein, gar nicht“ schüttelte er seinen Kopf. „Erzähl doch mal, wie es bei euch so ist.“ „Ich weiß nicht ... was willst du denn wissen?“ „Irgendwas. Wie sieht denn so ein typischer Tag aus?“ „Ein typischer Tag“ wiederholte er nachdenklich. „Ihr wohnt ja nicht mehr bei uns. Du und Seto. Aber du hast mir mal erzählt, dass du ihm jeden Morgen sagst, dass du ihn liebst. Dass das etwas wichtiges für euch ist. Ich glaube, das ist so typisch für einen typischen Tag. Dass ihr euch täglich sagt, dass ihr euch noch liebt. Auch nach so vielen Jahren noch.“ „Dann bleiben Seto und ich also zusammen bis wir alt und grau sind. Beruhigend zu wissen“ lächelte er glücklich. „Aber ich meinte eigentlich mehr dich. Was macht Spatz so den lieben langen Tag?“ „Ich weiß nicht ... das Übliche eben.“ Er schien nicht besonders gern über sich selbst zu sprechen. Verständlich. Er war wohl eigentlich sehr schüchtern und jetzt war er gezwungen, sich mit einem fremden Yugi auseinander zu setzen. „Was soll denn die Frage? Soll ich dir nicht lieber was über dich erzählen?“ „Nein, erst mal nicht“ sprach er sanft. „Du hast doch keine Angst vor mir, oder?“ „Ähm ... nein. Warum? Sieht das so aus?“ „Ja, ein bisschen“ lachte er. „Du bist schüchtern, oder?“ „Na ja ... ein bisschen vielleicht. Aber Zuhause nicht so sehr.“ „Vielleicht kann Yugi dir ja helfen.“ Marie kam mit einem Lächeln und einem kleinen Tablett herein und stellte erst die drei Tassen auf den Tisch, bevor sie sich neben Phoenix niederließ. „Yami hat mir mal erzählt, Yugi war früher auch sehr schüchtern.“ „Ich weiß“ sagte Phoenix leise. „Asato hat mir das mal erzählt. Aber jetzt bist du nicht mehr schüchtern, oder?“ „Nein, ich glaube nicht“ schmunzelte Yugi. „Seit ich meinen Yami habe, ist es besser geworden. Und spätestens seit ich mit Seto zusammenbin, hat sich mein Selbstbewusstsein gestärkt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass jeder erst etwas finden muss, wofür er von Herzen kämpfen will. Dann will man sich von nichts mehr aufhalten lassen und kennt nur noch das eine Ziel, für was man alles geben, alles aufgeben möchte. Da hat man keine Zeit mehr zum Schüchternsein.“ „Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, man kann sich ändern, wenn man das richtige Ziel hat. Und heute ist Yugi selbstsicher“ meinte Marie und reichte erst ihrem Sohn und dann auch Yugi eine dampfende, duftende Teetasse herüber. „Aber ich bin kein Pharao“ zweifelte Phoenix. „Dazu muss man kein Pharao sein. Jeder hat Mut und jeder hat Zweifel“ versuchte Yugi ihn ein wenig aufzubauen. „Weißt du, ich habe auch mal Zweifel an mir. Das ist ganz normal.“ „Ja?“ schaute er leise auf. „Warum denn? Du bist doch sehr stark.“ „Aber ich zweifle auch mal an mir. Jeder tut das“ erklärte Yugi dem Jungen. „Weißt du, sieh mich doch nur an. Ich bin nicht besonders groß und daran muss ich ständig denken. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, habe ich immer das Gefühl, die Leute gucken mich an und lachen hinter meinem Rücken. Meine Zwergengröße ist ein Punkt, wo ich weiß, dass ich sehr schwach bin. Ich kann nichts daran ändern, also muss ich damit leben. Nichtsdestotrotz zweifele ich immer wieder daran, ob ich wirklich Manns genug bin, die Dinge, die ich mir vornehme, auch zu schaffen. Es ist nicht besonders schön, wenn man machen kann, was man will und doch nie für voll genommen wird, nur weil man eben einen halben Meter kleiner ist. Du sollst die Weltenergie lenken und kannst nicht mal den Staub aus den oberen Schrankregalen wischen. Natürlich habe ich Zweifel an mir.“ „Aber Seto macht es nichts aus, dass du klein bist. Er liebt dich doch“ antwortete Phoenix ganz offen. „Auch in meiner Zeit. Er ist so verliebt in dich. Ich kenne euch nur als alte Männer, aber Seto sagt immer noch, dass du der Schönste von allen bist. Ich finde, du musst keine Furcht haben, dass er dich nicht für voll nimmt. Er liebt dich. Für ihn bist du schön. Und von ihm geliebt zu werden, ist doch etwas, was dein Leben ausfüllen kann.“ „Und deswegen kann ich damit leben, nicht normal groß zu sein. Setos Liebe zeigt mir, dass ich trotz meiner Größe ein ganzer Mann sein kann. Er verlässt sich auf mich und dieses Vertrauen in mich macht mich stärker und lindert meine Zweifel ein wenig“ lächelte er. „Jeder hat seine Mängel, ob nun körperlich oder seelisch. Und du wirst sicher auch deine Schüchternheit irgendwann überwinden. Wenn du die richtige Sache oder den richtigen Menschen gefunden hast.“ „Vielleicht ...“ Er blickte betrübt auf seine Tasse nieder und verbarg, wie unsicher er sich wirklich war. „Wenn ich doch nur klein wäre ... wenn es nur das wäre ... das wäre schön.“ „Du bist doch nicht schlecht“ tröstete Marie und legte ihm vertrauensvoll die Hand aufs Bein. „Irgendwann hat jeder einen Tag, an dem er ein Held sein wird. Ganz bestimmt.“ „Ich bin kein Held. Das weiß ich.“ „Nur, weil dein Tag noch nicht gekommen ist“ betonte Yugi. „Aber irgendwann bist du einer. Irgendwann in seinem Leben wird jeder Mann mal zum Helden. Und in unserer Familie sowieso. Auch du. Ganz bestimmt.“ „Ich bin ja gar kein richtiger Mann ...“ „Ich weiß“ sprach Yugi vorsichtig und bekam einen mehr als erstaunten, einen fast erschrockenen Blick. „Balthasar und Sharesa haben es uns erzählt. Aber weißt du was? Besonders die Menschen, welche schwach und unfähig scheinen, wachsen viel weiter über sich hinaus. In dir steckt ein Held. Das wissen wir. Du musst ihn nur rauslassen.“ „Anstatt Ladenbesitzer hättest du lieber Motivator werden sollen“ war seine trockene Meinung dazu. Glauben konnte er ihm nicht wirklich, aber diese motivierende Redensart hatte er auch im Alter nicht abgelegt, somit kannte er das schon. Und in der Zukunft wussten ja nun auch alle über sein ‚Identitätsproblem’ bescheid. Er war damit aufgewachsen, dass sie es wussten und so spürte er zwar natürlich ein wenig Scham davor, darüber zu sprechen, aber auf der anderen Seite, auch ein wenig Erleichterung, denn so musste er es weder selbst beichten, noch fürchten, wann es herauskommen würde. Somit hatte Yugi auch hier eine kleine Last von ihm genommen. „Ja, vielleicht könnte ich da was werden. Wäre doch spaßig“ lächelte Yugi. „Aber ich werde Ladenbesitzer? Meinst du, ich übernehme Opas Laden?“ „Ja. Du und Ati zusammen“ erzählte er. „Aber ich weiß nicht, ob wir eure Zukunft jetzt so ändern, dass doch alles anders wird. Wir sind ja hier, also ist alles, was wir in unserer Zeit erlebten, vielleicht niemals so geschehen.“ „Hach, man kann machen, was man will, oder?“ seufzte Marie und stupste ihren süßen Sohn an. „Die Zukunft ist immer ungewiss. Selbst, wenn man schon Gäste aus ihr hat, kann man nie bescheid wissen. Wirkliche Sicherheit bietet doch nur das Tageshoroskop aus dem Frühstücksfernsehen.“ Da mussten die beiden dann doch lachen. Sogar Phoenix zeigte das süße Lachen seiner hellen Stimme und ließ sich von ihr in den Arm nehmen. Da konnte Yugi reden so viel er wollte. Die selbstverständliche Liebe einer Mutter konnte auch er nicht für ihn ersetzen. Und der Kleine brauchte seine Mutter sichtlich mehr als sein Bruder. Er brauchte Marie auch in dieser Zeit. Ihre Mutterwärme und das behütete Gefühl. Er war eben noch ein Küken. „Zeig Yugi doch mal, was du mir vorhin gezeigt hast“ lächelte sie den Jungen an. „Nein ...“ hauchte er leise. „So toll ist das nicht.“ „Von wegen! Komm, zeig ihm, was du mir gezeigt hast. Yugi, du wirst staunen!“ „Was denn?“ fragte der interessiert. „Habt ihr was gemacht?“ „Nicht wir. Nur Spatz“ antwortete sie begeistert und schob ihren Sohn ein Stück von sich weg, um ihn weiter bekräftigend anzusehen. „Du solltest das wirklich nicht so geheim halten. Du kannst stolz auf dich sein.“ „Nein ...“ „Doch, bestimmt“ lächelte Yugi. „Komm schon. Zeig mir mal, was sie meint.“ „Aber du darfst nicht lachen“ bat er und sah ihn fürchtend an. „Ich find’s nämlich nicht so super toll.“ „Ich sag dir dann schon meine ehrliche Meinung ... wozu auch immer.“ Er beobachtete, wie Phoenix seine Beine auf den Boden stellte und sich bückte. Neben dem Sofa stand seine dunkelblaue Umhängetasche, aus welcher er ein schmales Buch in DinA4 herauskramte. Sah aus wie eines von denen, in welchem Seto sich immer mit seinen Brainstormings beschäftigte. Ein festgebundener Block. Er reichte ihn Yugi über den Tisch und der stellte erst seine Tasse ab, bevor er sich zurücklehnte und das Buch aufschlug. Und dass Phoenix nichts mit Seth gemeinsam hatte, würde er nie wieder behaupten. Schon auf der ersten Seite prangte Seths Gesicht. Nicht so wie Yugi es kannte, sondern so wie Phoenix es gesehen hatte. Er war älter, hatte längeres Haar und trug noch immer seinen dünnen Bart. Die Falten im Gesicht und der stolze Blick seiner Augen flößten dem Betrachter sofort großen Respekt vor dem abgebildeten Mann ein. Sogar das entschlossene Funkeln in den einnehmenden Augen und das harte Gesicht hatte der Zeichner perfekt dargestellt. Es war nicht in Farbe, nur in Bleistift gezeichnet und Hintergrund gab es auch nicht. Es war einfach Seths Gesicht, welches entschlossen in die Ferne blickte. Obwohl nur eine Skizze, war das Können überwältigend. „Hast du das gezeichnet?“ fragte Yugi und sah ihn begeistert an. „Na ja ...“ antwortete er leise. „Ich weiß, es nicht so gut wie ...“ „Nein, das ist großartig!“ lobte er strahlend. „Du hast Talent!“ Er schlug auch die zweite Seite auf und fand dort schon die nächste Skizze. Wieder in feinem Bleistift gezeichnet bildete es zwei Hände ab. Eine große, starke Hand, welche er aus Erfahrung und Dank des zeichnerischen Könnens sofort als Seths erkannte. Obwohl es nur eine Hand war, sah er sofort, wem sie gehörte. Seths Hand war krampfend geöffnet und trug eine lodernde Flamme in sich, in welcher ein kleiner Drache von den züngelnden Flammen gebildet nur ganz leicht durchschien. Etwas weiter unten eine etwas kleinere Hand, dünne Finger und sehr zart. Yugi vermutete, dass Phoenix seine eigene Hand zeichnete, obwohl er seine Hände noch nicht so eingehend betrachtet hatte. Die schwache, magere Hand griff nach der starken Flamme, aber reichte nicht heran. So sehr sie sich auch streckte. Seths mächtige Hand oben rechts, die Hand seines Sohnes unten links. Auf einem Blatt und doch berührten sie sich nicht. Ein Bild voller Sehnsucht, Verzweiflung und einem Stück unerwiderter Liebe. Wäre dies wirklich seine Hand, so war die Deutung nicht schwer. Phoenix sehnte sich nach der Anerkennung und der Liebe seines Vaters, doch der war so weit fort, dass er ihn nicht erreichte. Seth hielt Macht und große Pläne in seinen Händen, an welche sein schwacher Sohn niemals heranreichen konnte. Ein schönes, aber zugleich ein unendlich trauriges Bild. Er blätterte um und fand auf der nächsten Seite in Bleistift das schlafende Gesicht des erwachsenen Tatos. So friedlich und sanft, dass er nur am kurzen Haar erkannte, dass es nicht Seto war. Er lag scheinbar auf einem Kissen gebettet und träumte vor sich hin. Und über seinem Kopf mit dem verwuschelten Haar war ein kratziges ‚SCHAAAAAARCH’ gemalt, was Yugi dann doch zum Lachen brachte. „Tato schnarcht also, ja?“ lachte er und blickte zu ihm hinüber. „Ja“ lächelte Phoenix versteckt. „Er lag so auf dem Sofa und war nicht zu überhören. Ich musste ihn einfach zeichnen.“ „Schnarcht er echt so laut?“ grinste er. „Als Baby schnarcht er nur ganz leise.“ „Ja, Asato schnarcht so laut, dass die Wände wackeln“ erzählte er mit leuchtenden Augen. „Wir haben ihm gesagt, er soll das lassen, aber er sagt, er schnarcht gar nicht. Und dann haben Joey und Nini ihn auf Video aufgenommen und weißt du, was er gesagt hat? Er sagt, das sei eine Fälschung! Aber er schnarcht wirklich. Du glaubst gar nicht wie laut! Deswegen wachen immer alle auf, wenn er mal einschläft. Sethan und Jonny haben ihm aus Spaß eine schalldichte Schlafkammer gebaut, die er um sein Kopfkissen aufstellen kann, aber Asato war total beleidigt. Er hat eine ganze Woche nicht mit ihnen geredet, so beleidigt war er.“ „Dann sollte ich ihm dein Bild wohl lieber nicht zeigen“ lachte Yugi. „Nicht, dass er dann auch noch sauer auf dich ist.“ „Nein, er weiß das“ antwortete er ein wenig ruhiger. „Ich zeige Asato alle meine Bilder, damit er mir seine Meinung sagt. Aber bei dem Bild musste er auch lachen. Er hat gesagt, wenn ich nicht lieb bin, malt er mal ein Bild von mir. Aber das glaube ich nicht. Er kann ja nicht mal Zettelchen schreiben, die man richtig lesen kann. Ein Mal hat er Kiyasa einen Zettel dagelassen, wo draufstand, dass sie ihm Schokokekse aus der Schule mitbringen soll. Da hatten sie nämlich Backunterricht. Und weißt du, was sie gemacht hat?“ „Nein, was denn?“ lächelte Yugi. Unglaublich, wie plötzlich der schüchterne Junge aufblühte, sobald die Sprache auf Tato fiel. „Wer ist überhaupt Kiyasa?“ „Sie ist eine Tochter von Tea und Mokeph“ zählte er auf. „Hanarisa, Theresa, Aissa, Kiyasa, Sharesa und Lisa.“ „Oh, doch eine mehr als wir kannten” stellte Marie fest. „Kiyasa ist die einzige, die adoptiert wurde“ erzählte er. „Sie kam in Setos Kinderheim, als sie sieben Jahre alt war. Und irgendwie passte sie, zumal sie einen so schönen ägyptischen Namen hat. Ihr Vater war nämlich Ägypter. Aber das kann Shari euch besser erzählen.“ „Und was hat Kiyasa mit Tatos Keks-Notiz gemacht?“ fragte Yugi nach. „Sie hat ihm neue Socken gekauft“ lachte er heiter. „Sie hat da was ganz anderes draus gelesen! Asato hat so eine Sauklaue. Nur Seto kann die lesen. Deswegen schreibt er seine Zettelchen jetzt immer auf dem Computer oder er ruft an. Ich glaube, er ist immer noch beleidigt, dabei ist das jetzt schon so lange her.“ „Du magst Tato wohl sehr, was?“ lächelte Marie ihn an. „Ja“ hauchte er und senkte seinen Blick mit roten Wangen. „Er ist toll. Ich wäre auch gern so wie er. Er ist so stark. Er ist immer da, wenn wir ihn brauchen. Wie ein echter Mann sein muss. Ich wäre gern ein bisschen wie er. So ein richtiger Mann ...“ „Balthasar sagte, dass er euch wie seine Söhne angenommen hat“ fragte Marie ihn mit ganz unbedrohlicher Stimme. „Ist das wahr?“ „Ja, irgendwie schon“ gab er leise zu. „Asato war immer für uns da. Schon seit wir Babys waren. Mit Balthasar balgt er sich immer und manchmal sieht es so aus als würden sie sich richtig streiten. Aber eigentlich machen sie nur Spaß. Mit mir geht Asato nicht so um. Er ist immer lieb und ruhig. Aber manchmal macht er auch einen Spaß mit mir. Genauso als wäre ich ein ganz normaler Junge. Das mag ich sehr gern. Er ist ein toller Mann. Mein Vorbild. Wenn er was sagt, fühlt sich das anders an. Ich glaube, so fühlt es sich an, wenn man einen Vater hat. Wisst ihr?“ Er hob seinen Blick und sah langsam zwischen beiden hin und her. „Mit ihm kann ich über alles sprechen. Über alles. Auch damals, als ... als ich mich entscheiden musste. Er war ganz viel bei mir und hat mir geholfen. Er hat immer das gemacht, wo ich glaube, dass das eigentlich ein Vater macht. Balthasar hat eine Zeit lang mal versucht, ihn Papa zu nennen, aber da hat Asato gesagt, dass er das nicht möchte. Ich fand das ein bisschen schade ... als wir klein waren, habe ich mir immer gewünscht, dass mein Vater nach Hause kommt. Und immer, wenn ich traurig war, hab ich mir gewünscht, dass Asato doch Mama heiratet. Aber er tut nur, was er wirklich will. Ich wäre auch gern so wie er. So stark und so ... so männlich.“ „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“ lächelte Yugi. „Ja“ hauchte Phoenix leise und senkte schüchtern ganz tief seinen Blick. „Ich bewundere ihn.“ „Das kann ich mir vorstellen“ meinte er. „Tato sieht wirklich toll aus und er hat einen guten Charakter. Und ich kann mir vorstellen, dass er euch bestimmt ein guter Vaterersatz war. Wenn du dich so gut bei ihm fühlst.“ „Ja, ich fühle mich sehr gut bei ihm. Er tröstet mich, wenn ich traurig bin. Seto sagt, es würde Asatos Seele auch gut tun, wenn er sich ein wenig um uns kümmert.“ Der schmale Phoenix war so leise, so schüchtern, doch wenn es um Tato ging, wurde er lebendig. Seit er klein war, war Tato immer da gewesen. Immer war er bei ihm und gab ihm die Liebe, die ihr Vater ihnen verweigerte. Mit Balthasar pflegte er zwar eine ganz andere, eine lockere und lässige Beziehung, aber Phoenix behandelte er anders. Liebevoller, ruhiger. Jeden Jungen so, wie er sich wohlfühlte. So wie Eltern es tun sollten. Auch wenn er nicht ihr Vater war und das auch niemals behaupten würde, so gab er den beiden anscheinend doch etwas, was sie bei keinem anderen Mann jemals so bekommen hatten. „Hallo! Ist Joey hier?“ Die drei schraken alle kurz zusammen, als Seto plötzlich mitten im Zimmer stand und sie mit seiner Frage bombardierte. „Erschreck uns doch nicht so“ keuchte Marie und atmete tief durch. „Was machst du überhaupt schon hier? Bist du nicht im Büro?“ „Der Termin ist ausgefallen“ antwortete er. „Also, habt ihr Joey gesehen?“ „Guten Tag erst mal, Mr. Muto“ raunte Yugi ihn an. „Entschuldige. Wo sind denn nur meine Manieren?“ musste Seto sich schuldbewusst fragen und trat auf Yugi zu, beugte sich herab und küsste ihn. Einen Augenblick blieben ihre Lippen aufeinander liegen, bevor er sich wieder löste und seinem Mann noch einen kleinen Kuss auf die Wange setzte. „Hallo Schatz“ flüsterte er verliebt. „Hallo Liebling“ lächelte er leise zurück und betrachtete ihn ruhiger, als er auch Phoenix und Marie höflicherweise einen guten Tag wünschte. So viel Zeit musste sein und außerdem sollte Seto sich auch nicht immer so hetzen. Wenn Yugi nicht ein bisschen auf ihn aufpasste, machte sich sein Liebster immer viel zu schnell viel zu viel Stress. „Warum suchst du denn Joey?“ wollte Marie neugierig wissen. „Weil Narla mich angerufen hat“ antwortete er. „Sie sagte, er soll sie nicht mehr aus der Stadt abholen. Sie hat die anderen wiedergefunden und fährt mit denen nach Hause.“ „Und warum ruft sie Joseph dann nicht direkt an?“ schaute Phoenix ihn ratlos an. „Weil der Depp sein Handy im Büro vergessen hat.“ Seto zog ein Handy aus seiner Tasche und das war eindeutig Joeys. Nicht nur, dass das ein super schlankes Klapp-Modell war, sondern den albernen Hundeanhänger hatte Seto ihm selbst höchstpersönlich gebastelt. Und just in dem Moment, als er das Ding herauszog, zeigte sich auch, was das übertrieben doof aussehende Hündchen so besonders machte. Während nämlich das Handy eine laute Sirene als Klingelton von sich gab, begann der Hundeanhänger zu bellen. Viel lauter als die Sirene. Mit so viel Krach konnte er das Ding garantiert nicht mehr und niemals wieder überhören. Und wo er das gerade in der Hand hatte, ging er auch ran. Etwas mürrisch meldete er sich mit: „Muto am Apparat Wheeler?“ Also, eine gute Empfangsdame würde er sicher nicht mehr werden, bei diesem anklagenden Ton. Vor allem, wenn im nächsten Moment ein „Kritisier mich gefälligst nicht!“ in den Hörer gebrüllt wurde. „Wer ist denn das?“ schaute Marie besorgt. „Schrei doch die Kunden nicht so an.“ Auf Joeys Handy riefen nämlich erfahrungsgemäß meist sehr wichtige Kunden an, zu denen man ein bisschen nett sein musste. Schließlich war Joey dafür zuständig, die ganzen Produkte richtig nach außen hin zu vermarkten. „Von wegen Kunden“ brummte Seto und drückte den Knopf zum Mithören. „... geht jede Menge dabei drauf! Und das ist dann DEINE Schuld, Drache!“ schallte Joeys Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. „Eher deine Schuld, wenn du dein Handy bei mir liegen lässt“ murrte er. „Also, was willst du, Köter? Ich hab Besseres zu tun als mich um dich zu kümmern.“ „Ich hasse dich auch“ fieselte er zurück und wurde dann notgedrungen ruhiger. Wenn er was wollte, musste er halt nett zu Seto sein - sonst bekam er sein Handy nämlich nur mit List und Tücke zurück. „Ist Narla bei dir?“ „Muss ich jetzt auch noch auf dein Weibchen aufpassen?“ grummelte er. „Nein, sie fährt mit den anderen zurück. Du musst sie nicht mehr abholen. Das hätte sie dir selbst auch gesagt, wenn du nicht dein Handy bei mir hättest liegen lassen.“ „Ja ja, ist angekommen“ knurrte er zurück. „Und wo ist mein Handy jetzt?“ „In meiner Hand, wo denn sonst, du Blitzmerker?“ „Und wo ist deine Hand genau?“ „An meinem Arm“ grinste er. „Soll ich dir ein Foto per MMS schicken?“ „Ha ha, Oberschenkelklopfer.“ Joey war echt ein bisschen angefressen und das kostete Seto voll aus. „Ich will mein Handy wiederhaben!“ „Komm doch und hol’s dir, Köter.“ „Wenn du mir sagst, wo du bist, komme ich und beiße dir den Arm ab, du Lackaffe.“ „Übernimm dich mal nicht, Dackelchen. Ich bin hier im Wohnzimmer. Und wo bist du?“ „Na super! Und wie kommst du da hin?” „Schon mal was von Autos und Füßen gehört?“ „Manchmal hasse ich dich echt, du Ekelpaket!“ Damit klackte die Leitung und auf sein besorgtes „Joey?“ Es kam nur noch Tuten aus der Leitung. Also konnte er das Handy nur noch zusammenklappen und Yugi besorgt ansehen. „Er hat aufgelegt.“ „Tja.“ Was sollte Yugi da groß machen? Allmächtig war er ja auch nicht. „War ich echt zu fies?“ „Ihr geht doch immer ein bisschen hassverliebt miteinander um“ war die leise Meinung von Phoenix dazu, der ihn wohl ein bisschen aufbauen wollte. „Ja, eben“ bedauerte Seto und sah schuldbewusst das Handy an. „Vielleicht war ich wirklich ein bisschen zu gemein zu ihm. Ich wollte ihn doch nicht verletzen.“ „Mach dir mal keine Sorgen“ beruhigte Yugi. „Du weißt doch, dass er dir nicht böse sein kann. Genauso wenig wie du ihm lange böse sein kannst. Ihr könnt doch gar nicht anders als euch ständig was an den Kopf zu werfen.“ „Aber vielleicht ist Joey in der Stadt und hat Narla gesucht. Dann macht er sich doch Sorgen, wenn er sie nicht findet. Und wenn er denkt, ihr passiert was und ruft besorgt bei mir an und ich bin so gemein zu ihm? Da wäre ich auch böse.“ „Ach, du bist so süß, wenn du so schuldbewusst redest.“ Joey stand im Türrahmen und grinste sich einen. Seinen Drachen mal mit einem schlechten Gewissen zu sehen, war doch echt was Cooles. „Joey!“ Seto drehte sich um und sah ihn geschockt an. „Wie kommst du denn hier her?“ „Schon mal was von Autos und Füßen gehört?“ feixte er fröhlich. Er trabte herein und fischte sich sein Handy aus den Händen des noch immer verwirrten Drachen. „Hi Leute!“ grüßte er auch die anderen. „Was machst du denn hier?“ wollte Seto ratlos wissen. „Bist du nicht in der Stadt, Narla abholen?“ „Es gibt ja noch andere Wege, mich zu erreichen als nur über’s Handy“ erzählte er ganz unbesorgt. „Ach ja? Und wie?“ knurrte Seto ihn böse an. So langsam kam ihm der Gedanke, dass er einer Verarsche aufgesessen war. „Sara kennt mich einfach zu gut“ grinste er. „Ich bin los, um Narla abzuholen und weil ich mein Handy vergessen habe, hat sie dann bei Sara angerufen. Und die weiß, dass ich jedes Mal, wenn ich unten vorbeigehe, eine halbe Pizza beim Italiener mitnehme. Also hat sie da angerufen und Luigi hat mir dann gesagt, dass ich nicht mehr in die Stadt muss. Also bin ich nach Hause gefahren und hab meinen Schreibtisch aufgeräumt. Und dabei ist mir aufgefallen, dass ich mein Handy bei dir vergessen hatte.“ „Aber wir wussten auch nicht, dass du Zuhause bist“ meinte Marie. „Wann bist du denn gekommen?“ „Gekommen bin ich als du gerade Phoenix zugedeckt hast“ lächelte er. „Aber da wollte ich nicht stören und bin ganz leise weiter.“ „UND WARUM LEGST DU EINFACH AUF, WENN ICH DICH VERARSCHE?!“ schrie Seto ihn dann super sauer an. „SO WAS KANNST DU MIT MIR NICHT MACHEN!“ „Du bist ja nicht mehr mein Chef. Ich bin ein ganz freier Mann“ war Joeys Meinung dazu. „Außerdem kannst du ruhig mal ein schlechtes Gewissen haben, dass du immer so gemein zu mir bist, du Schnösel.“ „Wer ist denn hier gemein zu wem? DU ärgerst MICH doch die ganze Zeit!“ „Ach ja? Womit ärgere ich dich denn, hä?“ „Mit deiner ganzen Anwesenheit! Du bist ein unerträgliches Individuum!“ „Na wenigstens bin ich ein Individuum und verschenke nicht mein Leben an irgendwelche kleinen Könige!“ „YUGI IST NICHT KLEIN!!!“ „Ach ja? Und als nächstes erzählst du mir, der Pabst trägt Hodenpiercings.“ „Vom Pabst weiß ich nichts“ zischte er und beugte sich so weit herunter, dass Joey seinen Atem im Gesicht spüren konnte, bevor er weiter drohte. „Aber Yugi hat Sachen drauf, die beherrschst du nicht mal in deinen kühnsten Träumen.“ „Du hast ja gar keine Ahnung, was ich für ein Traumtyp bin“ grinste Joey und streckte sich provokativ mutig zu ihm hinauf. „Yugi ist doch kein Gegner für mich.“ „Ach ja?“ grinste Seto zurück. Mittlerweile waren sie sich so nahe, dass sie sich jeden Moment die Nasen abbissen. „Ich schwöre dir, Yugi schlägt dich in jeder Disziplin. In j e d e r.“ „Armer, unwissender Drache.“ Und das durfte sich wohl wirklich nur ein Joey rausnehmen. Er schlang seine Arme um Setos Nacken und hinderte ihn daran, sich wieder zu vollster Größe zu erheben. Denn dann wäre er für sein Vorhaben zu hoch. Doch so konnte er ihm seine Lippen aufdrücken und ihn aufdringlich küssen. Jeden anderen hätte Seto mit hoher Sicherheit sofort aus dem Haus befördert und dafür nicht unbedingt die Tür benutzt. Doch bei ihm machte er eine Ausnahme. So fasste er ihn fast liebevoll an den Hüften und hielt ihn ein Stück näher. Er öffnete sogar seine Lippen als er ihm seine Zunge aufdrängen wollte, doch so rum ließ er sich das nicht gefallen. Als Joeys Uke würde er sicher nicht enden. So schlängelte er sich an seiner Zunge vorbei und drückte sie zurück. Ein feuchtes Geräusch erfüllte den Raum, als sie sich so liebevoll behakelten. Doch wie ein Kampf sah das dann wirklich nicht mehr aus. Zärtlich umarmten sie sich und Joey ließ sich mit geschlossenen Augen in seine Arme legen, schwelgte mit Genuss in dem inbrünstigen Kuss seines Drachen. Und auch Seto schien es zu mögen, sein Hündchen so zärtlich zu halten. Auch wenn er, anders als bei Yugi, seine Augen nicht geschlossen, sondern einen kleinen Spalt geöffnet hielt. Zwar blickte er nicht wirklich in eine Richtung, aber so ganz katapultierte ihn das nicht in eine andere Welt. Was aber nicht hieß, dass er diese mehr als vertraute Nähe nicht doch als sehr angenehm empfand. Immerhin war es Joey und küssen war für den Drachen in ihm ein wichtiger Bestandteil fürsorglicher Zuneigungsbezeugung zur Stärkung der sozialen Beziehung - wie Narla es ausdrücken würde. Erst nach einigen Sekunden lösten sie sich wieder voneinander und seufzten sich zufrieden an. „Also“ grinste Yugi die beiden frech an. „Wenn ihr jetzt noch ein bisschen weitergeht, haben wir auch was davon.“ „Höh?“ Seto stieg da jetzt nicht wirklich hinter. So schmutzig wie Yugi konnte er gar nicht denken. Der Gedanke, etwas mehr mit Joey anzufangen und ihn mal zum Gruppensex einzuladen ... nein, darauf würde er niemals von selbst kommen. Für ihn gab es nur Yugi. „Warum? Ich ...“ „Siehst du?“ schmunzelte Joey ihn keck an. „Yugi bekommt schon Angst, dass ich dich ihm ausspanne. Ich sagte doch, ich bin ne echte Gefahr.“ „Für wen?“ guckte Seto ihn ratlos an. „Für Yugi!“ rief Joey kopfschüttelnd. „Er wird schon ganz eifersüchtig. Er ist neidisch auf mein Können.“ „Wieso? Was kannst du denn?“ „Ach, Seto!“ Er schubste ihn ein Stück weg und blickte ihn tadelnd an. „Gib’s doch zu. Eigentlich bist du doch unterschwellig ziemlich scharf auf mich.“ „WAS?!“ Sein Ausruf war nur noch ein Kreischen. „Seit wann das denn? Yugi!“ Er drehte sich zu ihm um und fiel wörtlich vor ihm auf die Knie. „Glaub ihm nicht ein Wort! Wirklich! Niemand kann dich ...“ „Und wenn du da fertig bist“ lachte Joey und zeigte auf seinen Gürtel. „Dann kannst du hier mal gleich weitermachen, wo du schon so schön kniest. Du stehst doch drauf, nicht wahr? Gib’s zu. Eigentlich willst du mich.“ „WIE BITTE?! Wheeler! Wer hat dir denn ins Hirn geschissen?!“ „Nee ... ich glaube, was mit Fäkalien ist verboten. Kommt jetzt auch nicht vor, wäre ja auch eklig. Warte mal.“ Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Hosentasche, entfaltete ihn und zeigte, dass es sogar vier oder fünf Zettel waren. Anscheinend doppelseitig bedruckt. „Ja, hier steht nur sap und lemon. Nicht mal darkfic oder so. So ne super leichte Sache ...“ „Was redest du denn da?“ „Na ja, hier“ lächelte er und hielt ihm den Zettel hin. „Hab ich im Internet gefunden und ausgedruckt. Wollte ich dir mal zeigen. Fängt schon gleich gut an. Lies mal laut vor.“ Seto nahm skeptisch diese zerknüllten Zettel entgegen und nahm dabei kaum wahr, wie Yugi ihn aus dem Knien hinaufzog und neben sich aufs Sofa setzte. Wohl auch, um ihm über die Schulter zu linsen, denn das interessierte ihn jetzt auch. „Lies. Laut, damit wir auch was davon haben“ forderte Joey ihn noch mal auf und setzte sich in freudiger Erwartung neben Marie. Setos Reaktion wollte er jetzt einfach zu gern sehen. „Die Morgensonne fiel durch die dunkelblauen Vorhänge eines teuer eingerichteten Schlafzimmers einer großen Villa“ begann er noch ganz ahnungslos. „Doch auch der anbrechende Morgen konnte die beiden Verliebten nicht davon abhalten, ihr nächtliches Treiben fortzusetzen. Wieder und wieder verlangten sie nacheinander wie so oft in den letzten Wochen. Wenn der Ältere mal einen Tag oder auch nur eine Nacht freischaufeln konnte, hielt sie nichts mehr davon ab, ihr verliebtes Drängen zu befriedigen. Joey, was ist das für ein Scheiß?“ „Lies nur weiter. Wird gleich besser“ grinste er ihn gespannt an. „Immer wieder stöhnte der Jüngere unter ihm auf, wenn der Blauäugige seinen harten ... JOEY! WAS IST DAS FÜR EIN SCHWEINKRAM?“ „Sind doch keine Kinder hier“ lachte er. „Lies weiter.“ „So was lese ich nicht!“ schimpfte er und wollte die Zettel zusammenknüllen, um sie ihm an seinen hohlen Schädel zu schmettern, aber da fischte Yugi ihm das schnell aus den Händen und las an seiner statt gespannt weiter. „Ah ja. Also, wenn der Blauäugige seinen harten Schwanz in ihn stieß.“ „YUGI!“ Seto lief schon hochrot an, aber Joey wusste, dass er sicher gleich platzen würde, wenn Yugi erst noch weiterlas. Was der zum Glück auch unbeeindruckt tat. „Der Hintern des Blonden schmerzte, aber er wusste, der Brünette würde nicht aufhören bis er seine und die Lust seines Liebsten vollauf befriedigt hatte. Und das konnte schon mal Stunden dauern. Wie in diesem Fall von Mitternacht an bis zum Morgengrauen. Er wollte auch gar nicht, dass der Ältere mit seinen fordernden Stößen aufhörte, bevor er nicht das Gefühl des aufkommenden Höhepunkts voll ausgekostet hatte. Der Ältere pumpte die feuchte Männlichkeit des Jüngeren im schnellen Takt seiner Stöße und brachte sie gleichzeitig zu einem himmlischen Orgasmus.“ „Yugi, das ist versaut“ murrte Seto ihn rotwangig an. „Außerdem ist das schlecht geschrieben. Leih dir lieber einen schwulen Liebesroman von Noah.“ Aber Yugi dachte gar nicht daran, aufzuhören, denn er hatte da schon ein paar Worte entdeckt, die seinen Liebling sicher sehr belustigen würden. „Erschöpft brach der Blauäugige über ihm zusammen und auch der Braunäugige musste nach Luft ringen. Einen letzten ausgelaugten Kuss schenkten sie sich, bevor der Ältere sich herunterrollte und sofort nach den Zigaretten griff. Die Kippe danach musste einfach sein. Der Jüngere war das gewöhnt und hatte es aufgegeben, ihm dieses Laster abgewöhnen zu wollen. So griff er nur mit letzter Kraft zu seinem eigenen Nachttisch und reichte dem Brünetten den Aschenbecher herüber. ‚Damit du nicht wieder das ganze Bett vollascht’ sagte er mit einer Mischung aus Scherz und Ernst. Der Ältere bedankte sich nicht, sondern nahm das Stück ohne Kommentar zu sich rüber. Er zog an der Zigarette und streichelte dem Jüngeren durch sein strubbelig blondes Haar, als dieser seinen Kopf an seiner Schulter bettete. ‚Wann müssen wir eigentlich heute zur Schule, Joey?’ fragte er beiläufig. Auch wenn er in der letzten Zeit nicht häufig in der Schule gewesen war, weil es in der KC so viel zu tun gab. ‚Ich glaube, zur ersten. Fährst du mich hin, Seto? Ich meine, wenn du mich schon die ganze Nacht ...’“ „WAS IST DAS DENN?!“ Geschockt riss Seto ihm die Zettel aus der Hand und starrte die Buchstaben darauf an. Mit tellergroßen Augen und panisch aufgerissenem Mund. „Ist doch cool“ lachte Yugi. „Ein Porno über dich und Joey.“ „Nein, das ist kein Porno“ belehrte Joey mit einem fachmännischen Grinsen. „Ich hab das beim Surfen gefunden. So was nennt man FanFiction und zum ersten Mal wurde das über Star Trek geschrieben, glaube ich.“ **Sogar schon über Stargate gibt’s was... ts ts ts ... nix ist mehr sicher.** „ABER WER SCHREIBT DENN SO WAS?!“ kreischte Seto aufgebracht. „Warum wunderst du dich denn so? Prominente werden doch öfter so von ihren Fans beschrieben“ fragte Phoenix leise. „Das ist doch normal.“ „NORMAL?! SO WAS IST DOCH NICHT N O R M A L !!!“ **Sorry, ich MUSSTE das einfach mal schreiben. Ich wollte auch unbedingt mal ‚Der Blauäugige und der Braunäugige’ und ‚Der Ältere und der Jüngere’ und so schreiben. Mir ist nämlich heute Morgen bewusst geworden, dass solche Elemente in meinen eigenen FF’s total fehlen. Und das geht ja so nicht. Außerdem wollte ich mal wissen, was mein OOC-Seto so von seinen anderen Ichs denkt. ^^** „Ist doch lustig“ meinte Yugi. „Und ganz schön versaut. Gefällt mir.“ „War klar, dass dir das gefällt. Wenn’s versaut ist“ lachte auch Marie. „Aber was soll denn das? Das stimmt doch alles gar nicht!“ plädierte Seto, der damit so gar nicht zu Rande kam. Er riss Yugi die Zettel aus der Hand und fuchtelte damit in der Luft herum. „Das ist doch alles Quatsch! Ich hab doch gar nichts mit Joey!“ „Aber in der Geschichte schon“ lachte der. „Ich sagte doch, unterschwellig bist du scharf auf mich. Das sehen sogar Leute, die wir nicht mal kennen.“ „IST DOCH GAR NICHT WAHR! Das ist von vorne bis hinten gelogen!“ Er konnte es einfach nicht glauben! „Außerdem stimmt das ja alles gar nicht! Ich bin doch jünger als Joey. SIEBEN MONATE bin ich jünger. Warum steht denn da was anderes?“ „Stimmt, du bist der Jüngste. Du hast als letzter im Jahr Geburtstag“ musste auch Marie zugeben. „Nur die Mokis sind jünger als du. Und die Kinder.“ „Das darf keiner jemals zu Gesicht kriegen!“ beschloss Seto und zerriss die Zettel wild und möglichst schnell, in möglichst viele, möglichst kleine Teile. „Wenn das jemand sieht! Das ist ja peinlich!“ „Seto, das steht alles im Internet. Das kann j e d e r lesen“ grinste Joey. „Die Leute halten uns für ein schönes Paar.“ „Das sind wir gar nicht!“ Nach der Gesichtsfarbe, den geweiteten Pupillen und den hektischen Bewegungen nach zu urteilen, bekam der Drache gleich einen Herzkoller. „Sind wir wo-hol!“ grinste er weiter. „Also, Seto, wann fährst du mich zur Schule?“ „GAR NICHT! NIEMALS!“ Als würde es davon besser werden, verarbeitete er die Schnipsel dieser Schundschrift zu Fusseln. „Ich liebe Yugi! Nur Yugi! Yugi! Yugi! Yugi! Ein für alle Mal! NUR YUGI!“ „Über Yugi und dich gibt’s auch Geschichten“ beruhigte Joey. „Soll ich dir mal den Link rüberschicken?“ „NEIN!“ keifte er geschockt zurück. „Die verklage ich! So was zu verbreiten!!! Ich hab ein Copyright auf mich selber!!!“ „Du bist doch nicht der einzige Promi, dem so was passiert.“ Beruhigend legte Yugi seine Hände auf die seines Lieblings, die sonst auch gleich noch den Tisch zerfetzten, wenn er erst das Papier in kleinste Atome verwandelt hatte. „Schatzi, das sind doch nur Geschichten. Die Gedanken sind frei, weißt du?“ „Aber doch nicht solche!“ „Ich hab auch schon Geschichten über dich und Moki gefunden“ grinste Joey ihn breit an. „Du hast ein ganz schön wildes Leben, weißt du?“ „VERKLAGEN! ALLE VERKLAGEN!“ rief er und sprang vom Sofa auf. Er wäre wahrscheinlich losgelaufen und hätte alle seine Anwälte angerufen, wenn nicht gerade Tato mit einer angebrochenen Tafel Schokolade die Tür versperrt hätte. „Was hast du denn?“ brummte er ihn fast beleidigt an. Da kam man mal rein und wurde sofort verklagt? Was sollte das denn, bitte? „Seto hat die FF’s entdeckt“ erzählte Marie. „Ach so“ schaute Tato seine Mama an. „Hast du das nicht gewusst? Noch nie eine gelesen?“ „GEWUSST? GELESEN? Sag bloß, du hast das auch gewusst, dass so ein ... so ein ... so was existiert! IM INTERNET!“ „Natürlich“ bekannte er ganz beiläufig. „Ich lese mir regelmäßig die FF’s über mich und Linus Stoneson durch. Die sind ganz lustig teilweise.“ „Wer ist denn Linus Stoneson?“ wollte Yugi wissen. „Das ist ein berühmter Musiker in unserer Zeit“ erklärte Phoenix. „Asato hat mal mit ihm in einer Band gespielt.“ „Vor Jahren mal“ schwächte der das ab. „So was muss man als Promi nun mal über sich ergehen lassen. Weiß doch jeder, dass das nicht ernst gemeint ist. Aber einige davon sind ganz niedlich.“ „Und du liest so was?“ Herzkoller. Ganz eindeutig in wenigen Sekunden. „Na ja, nicht alles“ gab er zu und setzte sich langsam auf den Sessel, der neben Phoenix stand. Er gab ihm sogar ein Stück von seiner angebrochenen Schokolade ab. „Es muss auch gut geschrieben sein. Mich zum Beispiel nervt es, wenn Grammatik und Interpunktion völlig außen vor gelassen werden. Joey wiederum ist das egal. Die findet alles gut. Und Sethan ist nur die Handlung wichtig, außer wenn death drin ist. Dann heult er immer. Ati steht mehr auf kurze pwp’s. Hat eben jeder so seine Vorlieben.“ „Vielleicht solltest du auch mal schreiben“ grinste Joey. „Kannst ja die Wahrheit schreiben und sie als ausgedacht verkaufen.“ „Spinnst du?!“ atmete Seto und hielt sich sein pumpendes Herz. „Das glaubt doch eh niemand! Das geht keinen was an ...“ „Eben drum.“ „Außerdem will ich nicht, dass jeder weiß, was ... was ...“ „Wie Yugi dich zum orgasmischen Schreien bringt?“ „JOEY! HALT DIE KLAPPE!!!“ „Aber die alten Storys über Mama und Papa lese ich auch lieber nicht“ gab Tato ganz freimütig zu. „Irgendwie finde ich das ein bisschen merkwürdig. Ich meine, ihr seid ja meine Eltern und in eurem Alter, sollte man gewisse Dinge einfach nicht mehr tun. Nur dumm, dass euch das wohl niemand gesagt hat. Also lasst ... MAMA!“ Herzkoller jetzt eingetreten. Wiederbeleben, bitte. Sonst Warnung death hinzuzusetzen ... und noch mal fällt der Autorin keine gute Begründung ein, jemanden wiederzubeleben. **Eigentlich sollte das Kapitel hier über was ganz anderes sein, aber irgendwie bin ich abgeschweift ... na ja, jetzt lasse ich es halt drin (nicht so wie viele andere Szenen, die ich wegen Abschweifung rausgestrichen habe T_T). Nehmt dies als Gruß an alle Kolleginnen, die alle niedlichen Elemente des ‚Älteren und Jüngeren’ drin haben ... und an alle anderen auch. Ich danke allen Schreiberlingen für die vielen erfüllten Abende, die ich hier rumsaß und FF’s verschlungen habe. Bombardiert weiter die Yaoi-Seiten, geht in Baumärkte und esst mehr Sushi! XD** Chapter 4 **Und bevor ich wieder Mecker kriege, dass zu wenig Lemon drin ist, zwischendurch mal wieder ein nicht-jugendfreies Kapitel. Hope you’ll enjoy it. Last Lemon before 238 Pages. ^^** So spät am Abend war Yugi noch niemals hier gewesen. Der Indische Drache im Zentrum der Stadt war in dieser Nacht in dunklem Rot beleuchtet, doch von innen sah man das nur noch, wenn man Ausblick auf einen der vielen Arme hatte. Am Empfangstresen saß nur noch eine nette Dame anstatt fünfen und die schien während der Nachtschicht auch nicht wirklich viel zu tun zu haben. Jedenfalls hatte sich einer der Wachmänner zu ihr gesellt und gemeinsam vertrieben sie sich die Zeit mit etwas Gerede. Erst als sie Yugi erblickte, ging sie zurück an die Arbeit. „Guten Abend, Mr. Muto“ grüßte sie ihn mit einem freundlichen Nicken und drehte sich auf ihrem mobilen Stuhl zu ihm. „Guten Abend“ lächelte er ebenso freundlich zurück. Er kannte zwar ihren Namen nicht, aber letztlich kannte sie ihn und das reichte ja. Wenn er jeden der zigtausend KC-Mitarbeiter namentlich kennen wollte, müsste er so ein Megahirn haben wie Seto. Er begab sich zur ihr an den Tresen und stellte nur fest, dass diese Dinger nicht für kleine Menschen gebaut waren. Jedenfalls ging ihm das Ding bis zur Schulter und so erhob sie sich ins Stehen, um ihn besser sehen zu können. „Ist mein Mann noch oben?“ Die Frage war eigentlich mehr dazu gedacht, anzusagen, dass er jetzt raufgehen würde. Natürlich wusste er, dass Seto oben war. So war es ja verabredet. „Ja, er arbeitet sehr lange heute“ lächelte sie höflich. „Er wird sich sicher freuen, dass Sie ihn abholen. Das Sekretariat ist leider nicht mehr besetzt, aber ich könnte direkt oben anrufen und Sie ankündigen.“ „Nein, ich glaube, er erwartet mich.“ Yugi WUSSTE, dass er ihn erwartete. Schließlich hatten sie heute etwas Spezielles vor. „Aber danke. Schönen Abend noch.“ „Danke. Einen schönen Abend noch, Mr. Muto“ wünschte sie zurück und setzte sich wieder. Nur der Wachmann bot sich noch mal an und fragte nach: „Mr. Muto, soll ich Sie nach oben fahren?“ „Ich hab meinen Schlüssel dabei. Danke!“ winkte er zurück und war auch schon fast bei den Fahrstühlen angekommen. Nach 23 Uhr am Abend arbeiteten auch Noahs feschen Liftboys nicht mehr und so waren für Gäste die Wachmänner zuständig. Mal davon abgesehen, dass nach 20 Uhr eh niemand mehr ins Haus kam, der sich nicht namentlich angemeldet hatte. Zwar arbeiteten sicher noch sehr viele Leute um diese Uhrzeit, aber die loggten sich mit ihren Ausweisen automatisch ein, wenn sie ins Gebäude ein- und wieder hinaustraten. Besonders Mitarbeiter, welche nicht mit EDV arbeiteten, wie zum Beispiel das Reinigungspersonal, deren Arbeitszeit wurde automatisch so erfasst. Per Sensor, wenn man zur Tür hereintrat. So konnte man im Computersystem immer genau sehen, wer und wie viele Leute aktuell anwesend waren. Das war deshalb so hoch entwickelt, weil man aus dem Brandfall damals viel gelernt hatte. Zwar war das Gebäude wohl das feuerfesteste, welches in der ganzen Stadt zu finden war, aber sollte es wirklich zu einer Evakuierung kommen, musste man ja wissen, ob noch irgendwo jemand war. Unglaublich, wie viel Geld Seto und Noah in die Gebäudesicherheit hinein investiert hatten. Allein das erhöhte Wachpersonal und die Kameraüberwachung ... das waren Welten, in denen Yugi sich fremd fühlte, obwohl er einen Universalschlüssel besaß. Selbst wenn er den großen Boss geheiratet hatte, war er noch lange nicht mit der Firma verheiratet. Und ins Büro fuhr er auch nicht oft, obwohl er hier immer Ehrengast war. Jeder, der ihn nicht freundlich empfing, würde wohl ein sehr schnelles Personalgespräch beim Drachen persönlich bekommen. Dennoch kam Yugi nicht annähernd so häufig her, wie er könnte. Besonders nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit. Immerhin war es kurz vor Mitternacht. Der Blick hinaus aus dem gläsernen Fahrstuhl über die nächtliche Stadt war einmalig. Erhebend wie groß dieses Gebäude war und wie weit man blicken konnte. Zwar war der Himmel von Wolken bezogen, aber der fast volle Mond schien hindurch. Kurz musste er daran denken, was Seth wohl zum nächsten Vollmond tun würde, wenn er nicht wieder nach Hause kam. An diesem Abend würde Yami ohne ihn sicher wehmütig ums Herz werden ... Doch da sprang die Fahrstuhltür am Ziel wieder auf und er konnte in das große Empfangszimmer eintreten. Es war nur spärlich am Rande beleuchtet und die zwei großen Schreibtische hinter dem Tresen waren auch unbesetzt. Natürlich arbeiteten weder Sara noch Alicia so spät noch. Die dicken Türen zu Noahs und Joeys Büro waren geschlossen, die lagen beide Zuhause in ihren Betten und schlummerten. Nur Setos Tür war leicht angelehnt und ließ einen scharfen Lichtschein heraus. Er arbeitete noch und erwartete seinen nächtlichen Besuch. Yugi seufzte noch mal leise und drückte die dünne Mappe an seine Brust, die er bei sich trug. Genau so hatte er sich immer in seinen Vorstellungen gefühlt und heute Abend würde er erfahren, ob es wirklich so geschehen konnte. Joeys kleine Reise in die Welt der Geschichten über ihn und Seto, hatte Yugi daran erinnert, wie es ihm selbst jahrelang gegangen war. Damals als er noch zur Schule ging und seinen Angebeteten nur aus der Ferne sah. Als Seto noch so kalt und unnahbar war. Wie häufig hatte er sich in seinen Jugendträumen ausgesponnen, er würde am späten Abend in das Büro des großen Kaiba fahren und dort als Futter für die sexuelle Gier des Firmenbosses enden. Genau so wie er es jetzt vielleicht erlebte. Zuerst hatte Seto leicht verunsichert reagiert, als Yugi ihn um dieses kleine Rollenspiel bat. Aber er hatte es ihm erklärt. Wie oft er früher davon geträumt hatte, diesem kalten Geschäftsmann zu erliegen. Dies war lange ein fester Bestandteil seiner Fantasie, als er den Drachen aus der Ferne anschwärmen konnte. Einfach eine kleine Fantasie. Und Joey hatte ihn daran erinnert, dass er das, was sich manche nur vorstellen, selbst erleben könnte. Es war ihm möglich, seine Jugendfantasie nachzuholen. Es am eigenen Leibe zu erleben ... wenn Seto mitspielte. Und der hatte zugestimmt. Er hatte immer versprochen, wenn Yugi etwas Bestimmtes machen wollte, dann würde er sich bemühen, ihm entgegenzukommen. Und das hier war doch wirklich etwas, was er seinem Liebsten erfüllen konnte. Wenn Yugi sich wünschte, den eisigen Firmenboss hautnah zu erleben, so wie er ihn sich früher immer vorgestellt hatte, dann würde er das bekommen und sein Liebling würde sich größte Mühe geben, möglichst gemein zu ihm zu sein. Es war zwar etwas merkwürdig, aber mal wieder etwas Würze in ihrem Liebesleben, bevor sie der Alltag einschläferte. Und für Yugi etwas, was er sich viele Jahre nur ausgesponnen hatte. Ohne Hoffnung, es wirklich zu erleben. Nochmals atmete er tief durch, drückte seine Bewerbungsmappe an sich und klopfte leise an die angelehnte Tür. Er wartete einen Moment, doch eine Antwort kam nicht. Also drückte er das schwere, von innen mit Lederpolstern verkleidete Monsterportal auf und blickte hinein. Seto saß im besten Nadelstreifenanzug an seinem klobigen Schreibtisch und war in eine Akte vertieft, in welche er ab und an etwas hineinkritzelte. Sein Büro war eindeutig vollkommen auf ihn zugeschnitten. Den Fakt, dass Joey all seine Möbel bei Ikea geordert hatte, konnte der Innenarchitekt gut verstecken. So wirkte der große Eichentisch nicht wie aus dem Discount. Die dunkelblaue Sitzecke war aus hartem Leder, aber groß genug für mehrere Personen. Auf der anderen Seite eine Art kleiner Küche mit einer Theke aus hellem Holz. Und in den großen Einbauschränken, welche die Wände auf der anderen Zimmerseite verkleideten, sicher Unmengen an Aktenordnern, welche man aber erst sah, wenn man die Türen öffnete. Das ganze Zimmer war so groß wie drei oder vier Einraumwohnungen. Von dem traumhaften Blick aus der großen Fensterfront zu schweigen. Die Form des Fenster war von innen fast normal, aber von außen hätte man das rechte Auge des riesigen Drachenkopfes erkannt. Und mit dieser hellen, aber nicht blendenden Beleuchtung, der Stille und nur dem leisen Kritzeln des Füllers auf dem Papier, wurde Yugi doch ein wenig flau in der Magengegend. Er fühlte sich wirklich zurückversetzt in seine Jugend. So fremd kam ihm plötzlich alles vor, obwohl er doch schon öfter hier gewesen war. Aber noch niemals, wenn sich die Nacht über sie gelegt hatte. Also los, die Stunde war perfekt. Er hatte sich sogar einen extra schicken Anzug angezogen und frisch geduscht! Er klopfte nochmals leise und räusperte sich etwas zurückhaltend. „Ähm ... Entschuldigung?“ Seto blickte skeptisch von seiner Akte auf und fixierte seinen Ehemann mit einem so kühlen Blick, dass dem eine wohlige Gänsehaut über den Rücken schauerte. Ja, genau diesen Blick hatte er sich früher auch immer eingefangen. Diesen eiskalten, undurchdringlichen Pokerblick. Früher hatte Seto ihn aus Angst aufgesetzt, heute wollte er sich nur nicht in die Karten sehen lassen. Seine Familie bekam diesen Blick so gut wie niemals zu spüren, aber jetzt konnte er ihn für die Jugendfantasie seines Liebsten herauskramen. Ein Talent mehr an ihm - Seto war ein echter Schauspieler. „Bitte?“ Seine Stimme war tief und so erschütternd kalt. Er wirkte plötzlich ganz anders als der anschmiegsame Kuscheldrache, der sich abends in seine Arme drängelte. Er spielte seine Rolle als rücksichtsloser Egomane perfekt. So sahen ihn sonst nur Geschäftleute ... Yugi hatte schon ganz vergessen, dass dieses Gesicht noch existierte. „Ähm ... ich ...“ Er musste fast selbst darüber lachen, dass sein Herz wirklich ein wenig zusammensank. Dabei war er doch schon lange kein unschuldiger Schuljunge mehr. Diesen Drachen hatte er lange schon gebändigt. Dennoch ... „Yugi Muto ... ich hatte einen Termin.“ „Hatten oder haben Sie einen Termin, Mr. Muto?“ fragte er mit kalter Stimme zurück. „Ich habe einen“ antwortete er zitternd. War das zu glauben? Da saß wirklich genau der eisige Typ, in den er sich damals verguckt hatte. Und jetzt würde er ihn nicht mehr nur in seinen Träumen vernaschen. >Yugi, du bist echt schlimm.< „Ein bisschen spät für einen Termin, denken Sie nicht, Mr. Muto?“ klagte er ihn an. „Aber Ihre Sekretärin hat mir das so gesagt.“ „Dann haben Sie wohl einen Fehler gemacht und sich das falsch notiert. Lassen Sie sich einen neuen Termin geben. Guten Abend.“ „Aber ...“ Yugi musste sich schon anstrengen, um ihn davon abzuhalten, sofort wieder all seine Aufmerksamkeit auf die Akte zu lenken. So leicht war ein Gespräch mit dem millionenschweren Boss eben nicht zu bekommen. „Aber haben Sie denn nicht jetzt kurz Zeit? Dauert bestimmt auch nicht lange.“ „Dauert bestimmt nicht lange oder es dauert nicht lange?“ „Es wird nicht lange dauern“ sprach Yugi um Mut bemüht heraus. Seto konnte es einem echt schwer machen mit seiner Genauigkeit. Zum Glück war er Zuhause nicht immer so aufdringlich pedantisch. Einen Moment ließ er noch seinen eisblauen Blick an Yugi hinauf und hinunter wandern, bevor er dann wieder auf seine Akte sah. „Setzen Sie sich.“ „Danke.“ Langsam kam Yugi herein und setzte sich ihm gegenüber auf den Besucherstuhl. Über den breiten Schreibtisch hinweg war das eine ziemliche Distanz, die sie Zuhause niemals zwischen sich hatten. Seto spielte seine Rolle wirklich original so, wie Yugi es sich immer vorgestellt hatte. Unglaublich wie ablehnend er wirkte, obwohl er eigentlich ein Kuscheltier war. Er ließ ihn wohl extra zappeln und so blickte Yugi geschlagene fünf Minuten im Zimmer umher. Die Uhr bestätigte diese halbe Ewigkeit sogar. Seto konnte so arrogant sein! Da hatte man einen festen Termin und er tat, als würde ihn das persönlich beleidigen. Außerdem zeigte er, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als sich sofort mit seinem Besuch zu beschäftigen. Ja, er konnte ein Arschloch sein, wenn er wollte. Doch endlich, als Yugis Nervosität langsam immer realer wurde, steckte er seinen teuren Füller zurück in die Halterung und lehnte sich genüsslich in seinem knirschenden Ledersessel zurück. Seine tiefen Saphiraugen ließ er forschend auf Yugis Gesicht liegen und zeigte ihm durch diesen überlegenen Blick nur wie klein und unfähig man doch gegen ihn war. Sein Blick konnte so frierend sein ... „Nun, Mr. Muto“ begann er und schlug entspannt seine langen Beine übereinander, faltete seine schlanken Finger über dem Knie. „Was wollen Sie denn von mir?“ „Ich möchte mich bewerben“ antwortete er und legte ihm zaghaft seine Bewerbungsmappe auf den Tisch. Er brauchte schon einen ziemlich langen Arm, um sie bis ganz zu ihm rüberzuschieben und selbst dann, nahm Seto sie nicht mal sofort entgegen, sondern sah ihn weiter durchdringend an. „Sie möchten sich bewerben oder bewerben Sie sich, Mr. Muto?“ „Ich bewerbe mich“ erwiderte er und knirschte innerlich mit den Zähnen. Jawohl, so langsam konnte er nachvollziehen, auf welche Art der Drache seine Verhandlungspartnern mürbe machte. Obwohl ... eigentlich schickte diese kalte Stimme und dieser erniedrigende Blick ein heißes Gefühl in seinen Schoß. Da saß er, der Mann aus seinen Fantasien. In natura und live. „Und auf welche Stelle genau bewerben Sie sich?“ In seinem Gebärden war wirklich nichts zu erkennen. Keine Ablehnung, keine Freude, gar nichts. Ein leeres, nichtssagendes Pokerface. „Ich hab in der Zeitung gelesen, dass Sie noch Leute für Ihren Systemsupport suchen. Ich glaube, ich kann das.“ „So so, glauben Sie das“ wiederholte er wertungsfrei und griff sich dann doch mal gütig die mitgebrachte Mappe. Kurz schien er wohl wirklich erstaunt, wie genau Yugi das hier nahm. Er hatte tatsächlich eine echte Bewerbung geschrieben. Mit Zeugnissen, Praktikumsnachweisen und allem Drum und Dran. Da hatte er sich wirklich viel Arbeit gemacht. Aber nach nur diesem verräterischen Augenfunkeln kam er zurück zum Geschäft. Wenn Yugi das hier so ernst nahm, dann musste er sich bemühen, diese Ernsthaftigkeit zu erwidern. „Und was für eine Stelle haben Sie da genau im Auge, Mr. Muto?“ „Na ja, ich kann vieles“ versuchte er zu erklären und so langsam wurde es ihm doch warm. Setos ganzes Auftreten war so eisig, dass er nicht anders konnte, als sich leidenschaftlich zu ihm hingezogen zu fühlen. Er liebte diese kalte Seite. „Ich kann kleine Programme installieren und ... ich bin gut in Fehlerbehebung. Und Installationen kann ich auch vornehmen. Den Computer von meinem Opa habe ich schon mehrmals vor Viren gerettet.“ „Für meinen Systemsupport suche ich allerdings etwas anderes als PC-Kenntnisse für den privaten Hausgebrauch“ sprach er und blätterte die Mappe ein Stück weiter. „Haben Sie vielleicht noch andere Qualifikationen, die Sie mir anbieten möchten? Abschlüsse, Fortbildungen, Referenzen?“ „Ich ... na ja ...“ War das zu glauben? Seine Nervosität war real spürbar! Ihm einen Job aus den Rippen zu leiern, war nicht eben leicht getan. „Ich hab eine gute Beobachtungsgabe, bin serviceorientiert und ich hab Organisationstalent. Ich bin belastbar und flexibel. Ich denke, ich kann mich in jeden Job reinfuchsen.“ „Denken Sie das nur oder können Sie das auch?“ „Ich KANN das!“ entgegnete er mit der Entschlossenheit der Genervtheit. „Sagen Sie mir, was Sie brauchen und ich werde das hinkriegen. Was immer es ist.“ „An Enthusiasmus scheint es Ihnen jedenfalls nicht zu mangeln“ stellte er trocken fest. „Ich sehe hier aber, dass Ihre Noten in Mathematik und Sport zu wünschen übrig lassen.“ „Aber in Mathe habe ich mich gebessert. Das können Sie an meinem Abschlusszeugnis sehen“ argumentierte er. „Und Sport ist für einen Bürojob ja wohl nicht so wichtig.“ Okay, früher war Yugi in Sport nie wirklich gut gewesen. Er hatte nun mal kurze Beine und damals weniger Kraft als andere. Daran hatte er erst später verstärkt gearbeitet und diese Zeugnisse waren eben schon ein paar Jahre alt. Dass er ein Jockey der oberen Weltklasse war, hieß noch lange nicht, dass er im Weitsprung auch toll war. Im Schulsport war er leider immer der Letzte gewesen ... „Trotzdem stelle ich lieber Arbeiter ein, die auch gesund sind“ war Setos kühle Antwort darauf. Er seufzte, klappte die Mappe zu und legte sie zurück auf den Tisch. Dann sah er ihn an als wolle er ihn aushöhlen, als wolle er in ihn hineinsehen. Und Yugi konnte nicht anders als gewisse Gefühle in sich aufsteigen zu spüren ... welche sich leider auch zunehmend in seinem Schoß bemerkbar machten. Er musste die Schenkel zusammenkneifen und sich nicht peinlich zu machen. Warum gestaltete Seto es so schwierig? Konnte er nicht einfach jetzt sofort über ihn herfallen? Diese umschleichende Katzentaktik war wirklich gemein. „Ich will aber einen Job haben“ probte Yugi jetzt mal einen Vorstoß. „Ohne gehe ich hier nicht mehr raus. Ich weiß, Sie haben genug offene Stellen. Eine davon wird ja wohl auf mich passen.“ „Erstens mal, Mr. Muto“ antwortete Seto kalt und extrem niederringend, „haben Sie hier gar nichts zu wollen. Und zweitens habe ich zwar viele offene Stellen, aber die möchte ich weder mit frechen Schuljungen besetzen, noch mich in irgendeiner Form zu etwas nötigen lassen. Also zügeln Sie ihren Ton, sonst beende ich dieses Gespräch.“ „Ja. Entschuldigung.“ Das war wirklich anders. Zuhause hatte Yugi immer das Sagen und Seto würde niemals so gemein mit ihm reden. Eigentlich war Seto derjenige, der immer kuschte. Das hier ... ja, es war genau wie in seinen Träumen. Nur in seinen Träumen hatte er damals das Vorgeplänkel recht schnell übersprungen und im nächsten Moment sah er sich schon in den sexuellen Begierden des Drachens gefangen. Er hatte ihn schon überall genommen. Auf dem Tisch, vor dem Fenster, auf dem Boden ... allein der Gedanke reichte aus, um ihm Röte ins Gesicht und ein drückendes Gefühl weiter südlich zu treiben. >Verdammt, Seto! Nimm mich endlich!< „Ihre Entschlossenheit jedoch interessiert mich“ gab er zu und veränderte seinen kalten Blick noch immer nicht. Unglaublich, wie fest er den sitzen hatte. „Ich denke, wir sollten herausfinden, welche Position Ihnen entsprechen würde und wie es mit Ihrer Loyalität bestellt ist.“ „Okay ...“ >Nur bitte lass es nicht zu lange dauern.< „Möchten Sie für Ihren Einstellungstest einen neuen Termin vereinbaren oder wollen Sie das Risiko eingehen, mich als Prüfer zu ertragen?“ „Meinetwegen sofort“ antwortete er mit leuchtenden Augen. Ja, das war doch mal ein Schritt in die richtige Richtung! „Sie scheinen ja wirklich dringend einen Job zu benötigen.“ Jetzt veränderte sich seine emotionslose Mine und selbst Yugi konnte nicht anders, als im ersten und auch in zweiten Moment weiche Knie zu bekommen. Dieses zarte Schmunzeln, welches er aufgesetzte, sah aus wie die gierige Grimasse eines Wolfes, bevor er seine Beute zerriss. Ewig schon hatte er ihn nicht mehr so abschätzig lächeln sehen. „Ähm ... ja ...“ Er musste sich wirklich schnell einreden, dass das auf der anderen Seite des klobigen Tisches, sein süßer Schokodrache war, der am liebsten mit Kindern spielte, Babys an sich kleben hatte und jeden Abend ganz lange kuscheln wollte. Hätte er sich das nicht noch mal ins Bewusstsein gerufen, wäre ihm wirklich bange geworden. Dann wäre er wohl vielleicht doch sofort rausgerannt. „Wegen meinem Opa“ versuchte er zu erklären. „Er ist schon alt und deswegen kann er nicht mehr so viel arbeiten. Sein kleiner Laden hat Schulden und deswegen will ich ihn finanziell unterstützen.“ „Mir blutet das Herz“ antwortete er so überzeugend, dass Yugi schnell noch mal auf den Kalender guckte. Nein, er war wirklich noch im aktuellen Jahr und nicht in der Vergangenheit. Seto war nicht wieder das alte Ekel geworden. Auch wenn er das so überzeugend spielte, dass selbst er darauf hereinfallen könnte. „Nun, dann ist es Ihnen ja wohl sehr wichtig, hier mit einem Arbeitsvertrag hinauszugehen. Sehe ich das korrekt?“ „Ja“ nickte er leicht bang. „Ich kann jeden Job machen, Mr. Kaiba. Das weiß ich.“ „Dieses Urteil dürfen Sie durchaus mir überlassen.“ Er ließ eine kurze Pause entstehen, bevor er die Position seiner Beine wechselte und ihn dann weiter prüfend ansah. „Nun, Mr. Muto. Wären Sie wohl so gut und würden Ihr Hemd ein Stück öffnen?“ „Warum?“ fragte er unschuldig. Schließlich war er hier der unerfahrene Schuljunge und nicht der Oberseme. „Einfach so“ lächelte Seto und obwohl es schon kein fieses Grinsen mehr war, wirkte es doch nicht besonders einladend. „Ich sehe doch, dass Ihnen warm ist. Wir sind allein und wollen uns da doch etwas entspannter unterhalten, nicht wahr? Fühlen Sie sich so frei, sich etwas Luft zu machen. Bitte.“ „Ich möchte aber meine Knöpfe nicht öffnen. Es ist alles gut so.“ Sein Blick verfinsterte sich und seine Stimme sank in rauchigen Bass ab. „Knöpfe öffnen. Sofort.“ Yugi tat einen durchaus echt überraschten Blick. Nicht die Tatsache, dass er sich hier wahrscheinlich gleich langsam ausziehen sollte, sondern mehr deshalb, weil sein sanfter Liebling einen so herrischen Ton an den Tag legen konnte. >Verdammt, ist das geil< dachte er sich als er also langsam die ersten zwei Knöpfe seines Hemdes öffnete. Aber dann auch nicht weiter. Er sah zu ihm über den Tisch und fragte scheu: „Besser so?“ „Ja“ war die schlichte Antwort. „Nun, Mr. Muto. Es ist Ihnen egal, welche Art von Job ich Ihnen anbiete?“ „Na ja, so ziemlich“ antwortete er. „Also, Putzen will ich nicht unbedingt ... wenn’s nicht doch was anderes gibt.“ „Also, es ist Ihnen egal oder es ist Ihnen nicht egal?“ „Ja, es ist mir egal“ sagte er dann entschiedener. „Macht Ihnen das eigentlich Spaß, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen?“ „Ja, es macht mir Spaß“ schmunzelte er mit funkelnden Augen. „Besonderen Spaß bereitet es mir, kleine Jungen nervös zu machen. Kleine Jungen wie Sie, Mr. Muto.“ „Ich ... ich bin nicht nervös ... Mr. Kaiba.“ Tja, das hätte Yugi ernsthaft nicht überzeugender sagen können. Denn ob er es nun wahrhaben wollte oder nicht. Seto machte ihn nervös. So nervös wie seit Jahren nicht mehr. Nicht nervös, weil er sich hier bewerben sollte, sondern nervös in einem etwas intimeren Sinne. „Das sehe ich anders“ raunte er dunkel. „Dann ist es also nicht auf Ihre Nervosität zurückzuführen, dass sie versuchen, Ihren steifen Penis durch zusammengedrückte Oberschenkel vor mir zu verbergen?“ Jetzt musste Yugi doch schlucken. Ja, er hatte wirklich versucht, nicht sofort alle Karten auf den Tisch zu legen, aber Seto merkte durchaus wie sein Verhalten auf ihn wirkte. Und dieses kalte Gebaren reizte seinen Geliebten, das wusste er. Genau das war es, wie es in seinen Träumen immer geschehen war. Die Offenlegung seiner versteckten Gelüste. Die Lust danach, eine Nacht lang die Spielpuppe des kalten Geschäftsmannes zu sein. „Ich ... ähm ...“ Was sollte er dazu jetzt antworten? „Nur keine falsche Scham. Sie sind nicht der Erste, dem das passiert.“ Auch wenn sein Ton alles andere als beruhigend war. „Es ist ein natürlicher Vorgang, dass manche Männer bei erhöhter Nervosität eine Erektion bekommen.“ „Ach ja?“ wagte er den nächsten, zaghaften Vorstoß. „Sie etwa auch?“ „Nein“ antwortete er klar heraus. „Mich erregen andere Dinge. Aber kommen wir zurück zu Ihnen. Ich denke, wir sollten Ihre gastronomischen Fähigkeiten ein wenig testen. Können Sie mit Kaffeemaschinen umgehen?“ „Ich dachte aber eigentlich mehr an einen ... einen etwas anspruchsvolleren Job.“ „Was meine Kaffeebohne angeht, bin ich durchaus anspruchsvoll“ meinte er eisgekühlt. Wohl am liebsten Eiskaffee. „Und Sie wollen doch einen Job, oder nicht? Sagten Sie nicht, das Betätigungsfeld sei Ihnen egal?“ „Ja ...“ musste er zähneknirschend antworten. Laut Geschichte war er auf diesen Job angewiesen. Heute würde er sich so nicht mehr behandeln lassen ... außer von Seto. „Also dann. Bitte stehen Sie auf und gehen dort herüber“ nickte er auf die kleine Küche weiter hinten. „Hinter der großen Holztür verbirgt sich eine Espresso-Maschine. Ich möchte, dass Sie mir einen kleinen Schwarzen zubereiten.“ „Ich ... ich dachte, Sie wollten Kaffee?“ „Ich möchte präziser einen Espresso. Das ist die Bezeichnung für eine bestimmte, ursprünglich in Italien entstandene Zubereitungsart der Kaffeebohne“ antwortete er trocken. „Oder sind Sie damit bereits überfordert, Mr. Muto?“ Seto verstand es wirklich, Psychodruck aufzubauen. So blieb Yugi nichts anderes übrig als seine schützende Position hinter dem Schreibtisch zu verlassen, seine verräterische Erektion herunterzudrücken und sich in die Küchenecke zu begeben. Dort angekommen schob er die Holztür über der Arbeitsplatte ein Stück hinauf und fand dort viele polierte Knöpfe und Schalter in teuerstem Edelstahl vor sich blitzen. Das Ding sah eher aus wie das Cockpit eines Flugzeuges und nicht wie eine Kaffeemaschine! Er betrachtete das Ding, doch spontan konnte er nicht mal zuordnen, wo man überhaupt das Pulver einfüllte. Den Platz für die Tasse hatte er schon gefunden, aber alles andere? War ja nicht mal beschriftet! Damit war er zugegeben wirklich etwas überfordert. Als ein tiefer Bass neben ihm vibrierte. „Die Kapseln finden Sie rechts, Mr. Muto.“ Geschockt zog er die Luft ein, als diese rauchige Stimme ganz dicht an seinem Ohr erklang. Wie konnte er sich so schnell und so leise von hinten nähern? Mal abgesehen davon, dass ihn diese kalte Tonlage in himmlische Gefilde blicken ließ. „Hier.“ Seto zog eine silberne Schublade auf, in welcher ein paar verschiedenfarbige, runde Kapseln lagen. Ja, die kannte Yugi auch von Zuhause. Der griff also hinein und nahm sich spontan eine rote heraus. „Nein“ hauchte er ihm kalt von hinten ins Ohr. „Eine schwarze.“ >Will der mich wahnsinnig machen mit dieser Stimme?< Abgesehen davon, dass Seto sonst immer die roten nahm, weil ihm die schwarzen zu würzig waren. Nur Zuhause sah die Maschine ein wenig unbedrohlicher aus und da war er ja auch keinem sexbesessenen Tyrannen ausgeliefert. Also ließ er die rote zurückplumpsen und nahm sich dafür eine schwarze. „Und dann?“ „Und dann ... mit viel Gefühl einführen“ raunte er ihm ins Ohr und stand so nahe hinter ihm, über ihn gebeugt, dass seine Haare an Yugis Wange kitzelten. „Und ... wo?“ Er wurde wirklich nervöser und sein Schritt spannte, dass es langsam begann zu schmerzen. Genau wie in seinen Fantasien erregte ihn dieses herrische, kalte Verhalten seines Angebeteten. Er war so perfekt. „Genau hier.“ Aber anstatt auf den schmerzen Berg in seiner Stoffhose, legte Seto seine Hand federleicht auf Yugis Po. So leicht, dass der genau überlegen musste, ob er das wirklich tat oder ob das eine Täuschung war. Zumal seine Antwort doppeldeutig war, denn er schob die andere Hand an seinem Gesicht vorbei und drückte einen kleinen Knopf, womit sich automatisch eine kleine Zange ausfuhr. Das Gerät musste ein halbes Vermögen gekostet haben, nur um Kaffee zu machen. „Hier?“ Mit zitternden Fingern schaffte er es nur unter Konzentration, die Kapsel in die kleinen Greifer der Zange zu legen. „Und jetzt? Noch mal hier drücken?“ „Wenn Sie meinen, dass man gewisse Stellen berühren sollte ... seien Sie ganz zwanglos.“ Yugi schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und drückte erneut den kleinen Knopf, womit die Zange sich wieder zurückzog und alles aussah wie vorher. Nur weiter unten sah es nicht aus wie vorher, denn mittlerweile war das federleichte Gefühl nicht mehr an seinem Po, sondern direkt zwischen seine Beine gewandert. Verdammt, konnte Seto nicht richtig zupacken? „Und ... und jetzt?“ fragte seine zittrige Stimme weiter. Ihm war so warm auf den Wangen, so hitzig im Körper. Am liebsten würde er sich auf den Boden schmeißen, sich die Kleider vom Leib reißen und nur noch ‚Nimm mich!’ schreien. Aber das würde dieses Spielchen etwas in die falsche Richtung bringen. „Und dann“ raunte diese dunkle Stimme in sein Ohr. Er nahm Yugis Hand, die im Gegensatz zu seiner eigenen zittrig und warm war und führte sie an einen anderen, einen schwarzen Knopf der Maschine und gemeinsam drückten sie darauf. „Dafür sorgen, dass es heiß und feucht wird.“ Es ertönte ein leise schlürfendes Geräusch und vermischte sich mit einem kehligen Aufstöhnen, als die andere Hand tatsächlich gegen seinen Schritt drückte. Ganz leicht nur massierte er mit dem Mittelfinger darüber, aber drängend genug, um als sexuelle Belästigung gewiss zu werden. Yugi schloss die Augen und stand ganz still. Nicht aufhören, nur nicht aufhören jetzt. Weiter ... „Wir wollen doch nicht, dass etwas daneben geht“ flüsterte Seto und führte Yugis Hand, die er noch immer hielt, ein Stück nach links, wo drei kleine Tässchen standen. Gemeinsam nahmen sie eine davon und stellten sie nach unten, wo sicher gleich das heiße Gebräu heraustropfen würde. Doch nur am Rande konnte Yugi sich darauf konzentrieren, denn die durch den Stoff massierende Hand in seinem Schritt beschwerte seinen Atem, vernebelte seinen Blick. Gerade hatten sie die Tasse darunter gestellt, drückte Seto so kräftig durch die Hose, dass Yugi erneut verlangend aufstöhnen musste. Zumal auch der Fakt, dass im gleichen Moment der Espresso in die Tasse schoss, seine Fantasie eher auf andere Flüssigkeiten lenkte, die auch herausdrängen wollten. „Und?“ flüsterte die tiefe Stimme in sein so empfindsame gewordenes Ohr. „Mögen Sie das, Mr. Muto?“ „Jha ...“ hauchte er heraus und lehnte sich zurück gegen die breite Brust, die ihn sicher stützen würde. Seinen Schritt drängte er weiter in die liebevolle Hand. „Bitte ... mehr ... Mr. Kaiba ...“ „Nun, dann dürfen Sie sich natürlich auch einen machen. Sie wissen ja jetzt, wie es geht.“ Ein leises Lachen tönte an seine Ohren und Yugi fühlte wie er plötzlich verlassen wurde. Als er seine vernebelten Augen wieder öffnete, war er allein mit der Maschine. Die Tasse war verschwunden und hatte sich gemeinsam mit einer schicken Designeruntertasse und dem Besitzer zurück an den Schreibtisch verzogen. Wie gemein. Yugi konnte nichts anderes tun als ihm zurück zum Ausgangspunkt zu folgen und mit schmerzender Körpermitte zurück auf den Stuhl zu setzen, der ihm jetzt vielfach unbequemer vorkam. Seto hingegen saß auf seinem gemütlichen Sessel und nippte an seinem Espresso als sei nichts geschehen. „Mr. Muto. Möchten Sie keinen Kaffee?“ „Nein“ war seine Antwort in einem fast beleidigten Ton. „Ich mag keinen.“ „Und ich dachte, Sie hätten behauptet, Sie mögen das? Sie sagten doch, Sie wollten mehr“ reizte er ihn mit funkelndem Blick. „Da habe ich mich wohl geirrt. Möchten Sie vielleicht etwas anderes? Vielleicht einen Cappuccino mit geschäumter Milch? Oder einen Cafe Latte?“ „Was soll das werden?“ wollte er beleidigt wissen. „Ich dachte, Sie geben mir einen Job. Stattdessen grabbeln Sie mich an. Wissen Sie eigentlich, dass ich Sie dafür verklagen kann? Das ist sexuelle Belästigung!“ „Ich habe Sie doch nicht angegrabbelt“ schmunzelte er herausfordernd. „Und wenn ich Sie sexuell belästigen würde, würde das anders aussehen. Glauben Sie mir.“ „Ach ja? Und wie soll das bitte noch aussehen?“ „Ich denke, Gastronomie ist wohl nicht das geeignete Gebiet für Sie, wenn Sie sich schon am Espresso so erregen“ beschloss er dann und stellte die nur angenippte Tasse auf den Tisch. „Was denken Sie, was ich stattdessen mit Ihnen machen könnte, um Sie ans Unternehmen zu fesseln?“ „Ich gehe jetzt. Sie sind ja pervers“ drohte Yugi und stand auch entschlossen auf. Er nahm sich seine Mappe zurück und warf ihm noch einen bösen Blick zu. „Schönen Abend noch, Mr. Kaiba.“ Er drehte sich um und ging auf die dicke Tür zu, welche sich aber vor ihm wie von Geisterhand schloss und ein leises Klicken zu vernehmen war. Erschrocken drehte er sich um und sah Seto dasitzen. Noch immer ganz ruhig, aber mit einer Fernbedienung in der Hand. „Machen Sie sofort die Tür auf!“ Schließlich musste Yugi ja wenigstens so tun als würde er sich zieren. Wenn Seto so gemein spielte, dann konnte er das auch. „Ihr armer Opa mit dem verschuldeten Laden“ bedauerte er und legte die Fernbedienung ruhig zur Seite. „Wissen Sie, so kleine Läden werden ja nur allzu schnell von großen Unternehmen geschluckt.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ „War nur eine Feststellung“ entgegnete er mit glitzernden Saphiren und gesenkter Stimme, während er mit seinem Sessel ein Stück zurückrollte. „Wissen Sie, Mr. Muto, meine Erfahrung zeigt mir, wer nicht geschluckt werden will, sollte erst selbst schlucken. Verstehen Sie, wie ich das meine?“ Und dass er seine Beine ein Stück spreizte und ganz anscheinend nicht auf die Übernahme von Kleinstunternehmen anspielte, war eindeutig. „Sie wollen doch, dass ich Ihnen wohlgesonnen bin. Nicht wahr, Mr. Muto? Sie können sich denken, dass es in dieser Stadt sehr nützlich sein kann, mein Wohlwollen zu besitzen. Ich bin ein Mann mit großem Einfluss.“ „Wollen Sie mich erpressen?“ Wobei der Gedanke ihm durchaus gefiel. Doch das konnte er ja nicht so offen zeigen. Eigentlich wussten beide, dass sie am liebsten sofort übereinander herfallen wollten. Aber dann wäre die schön angesexte Stimmung weg und Yugis Fantasie würde nicht wahr werden. „Ich bin nur hilfreich, das richtige Betätigungsfeld für sie auszuloten“ sprach er mit erschreckend ruhiger Stimme. „Für die Gastronomie sind Sie wohl kaum geeignet, wenn ich Ihnen schon so eine schlichte Espresso-Maschine erklären muss. Vielleicht liegt ihnen die Archivierung näher.“ Yugi sah ihn nicht gespielt, sondern wahrlich entgeistert an. Archivierung? So ein trockener Berufszweig? Natürlich würde er nicht abhauen, aber jetzt musste Seto wirklich sein ganzes rücksichtsloses Können aufbieten, um letztlich doch noch einen Treffer zu landen. Von sexueller Belästigung zurück zum biedersten aller Jobs. „Ich schlage vor, Sie nehmen sich dort einen Zettel und einen Stift weg“ nickte er auf die kleine Anhöhe seines großen Schreibtisches, wo eben genau solche Notizdinge sauber und pingelig aufgereiht waren. Yugi blieb noch ein paar Sekunden auf seinem Platz stehen, bevor er dann doch wieder zurückkam, seine Mappe hinlegte und sich einen Block, sowie einen Kugelschreiber griff. Ohne sich zu setzen. „Ich sehe, wir verstehen uns“ lächelte Seto ihn hinterhältig an. „Und nun gehen Sie dort hinüber, öffnen den Schrank und schreiben bitte die Beschriftung der Ordnerrücken ab. Danach möchte ich von Ihnen einen Vorschlag, wie eine neue Ordnung die Handhabung vereinfachen könnte. Das sollte nicht schwer sein, denn es herrscht wirklich ein kleines Durcheinander. Meine Sekretärin hat nämlich meine Ablage in den letzten Wochen ein wenig verkommen lassen.“ Yugi sah ihn forschend an, aber konnte da den Haken jetzt nicht finden. Also begab er sich zu dem Schrank, auf welchen er hingewiesen wurde und öffnete die zwei weiten Türen. Darin sah er sofort, was das Problem war. Es war zwar alles schön sauber hingestellt, aber es war nicht alphabetisch. Das wäre selbst dem dümmsten Laien aufgefallen. „Das kann ich Ihnen sofort sagen, was Ihnen da helfen würde“ zeigte Yugi überzeugt auf die Ordner. „Sie sollten das alphabetisch aufreihen.“ „Nur nicht so voreilig“ warnte er. „Schreiben Sie erst auf, was Sie dort sehen.“ „Mr. Kaiba. Für wie doof halten Sie mich?“ fragte er ihn mutig auf den Kopf zu. „Das ist doch wirklich einfach. Dafür brauche ich das nicht alles abschreiben.“ „Ach, zu einfach ist Ihnen das“ wiederholte er und bekam einen mehr als bedrohlichen Ton in der Stimme. „Vielleicht sollten wir den Schwierigkeitsgrad erhöhen? Wäre Ihnen das recht, Mr. Muto?“ „Ich bitte darum.“ Schließlich wollte er doch zeigen, dass er mehr konnte als abschreiben und Kaffeekochen. „Nun dann“ funkelte er ihn mit eisigen Augen an. „Ich möchte, dass Sie sich ausziehen.“ „WAS?!“ Okay, das war doch jetzt etwas sehr direkt. „Ist Ihnen das zu schwer?“ fragte er herausfordernd. „Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie derjenige waren, der mich um einen Job gebeten hat? Sollte ich Sie für unfähig halten, werden Sie in der ganzen Stadt keine Arbeitsstelle bekommen. Sie wollten eine Erhöhung des Schwierigkeitsgrades und ich habe sie Ihnen gegeben. Oder können Sie ohne Kleidung plötzlich nicht mehr schreiben? Das ist ein sehr schwaches Bild, welches ich hier langsam von Ihnen gewinne, Mr. Muto.“ „Ich habe gesagt, solche Sachen mache ich nicht“ antwortete er in die Enge getrieben. „Nein, Sie haben gesagt, Sie könnten sich in jeden Job reinfuchsen. Das waren Ihre Worte. Und auch, dass Sie es ein wenig schwerer haben wollen. Oder haben Sie mich belogen? Das würde mich sehr zornig machen. Und das wollen Sie doch nicht“ lachte er überlegen. „Es ist nicht einfach, mein Wohlwollen zu gewinnen. Das weiß ich. Aber Sie sollten sich vor Augen halten, dass ich kleine Gefallen durchaus gern begleiche. Zum Beispiel mit sicheren, gut bezahlten Jobs.“ „Ach ja? Haben Sie etwa alle Jobs als kleinen Gefallen so besetzt?“ „Nein, nur einige“ lächelte er. „Die besonders gut bezahlten, versteht sich. Über Aufstiegschancen lässt sich danach ebenfalls verhandeln. Ich halte Sie aber natürlich hier nicht gefangen“ offenbarte er gütig, lehnte sich gelassen ein Stück nach vorn und drückte einen Kopf auf seiner Fernbedienung, womit das kleine Klacken verriet, dass die Tür nun wohl wieder offen war. „Sie können jederzeit gehen, Mr. Muto. Dann allerdings ohne Arbeitsvertrag und ohne Zukunft in Domino.“ Jetzt war Yugi im Zugzwang. Der Boss hatte alle Trümpfe in seiner Hand und wenn der arme Schuljunge den Laden seines Opas retten wollte, musste er notgedrungen bleiben. Diesen speziellen Einstellungstest nicht zu bestehen, würde auch bedeuten, keinen anderen mehr zu bestehen. Das war eine Falle gewesen. Also musste er tun, was von ihm verlangt wurde. Er legte Block und Schreiber in den Schrank hinein, sein Sakko auf den Boden und begann, sich langsam das Hemd aufzuknöpfen. Unter dem eiskalten Blick des Drachens ließ er es von seinen Schultern gleiten und legte es vorsichtig auf den teuren Veloursteppich. „Weiter ...“ bat er gönnerhaft als Yugis Blick sich noch mal nach der Ernsthaftigkeit dieser Sache fragte. Aber er schien es sehr wohl ernst zu meinen. Also öffnete er langsam auch die Schnalle seines Gürtels, den Knopf und zog den Reißverschluss auf. Nebenbei schlüpfte er zaghaft aus seinen Schuhen und ganz langsam entblößte er auch den Rest von sich. Unterwäsche hatte er heute mal angezogen, weil es draußen so kalt war. Aber auf Setos ernsten Blick hin, bückte er sich und musste auch dieses letzte Stück loswerden. So stand er also vor ihm, mit nichts mehr, was ihn verhüllte und einer perfekt stehenden Männlichkeit, welche sich unter diesem kalten Blick nur noch mehr aufpumpte. „Dass Sie schlecht im Sport sein sollen, mag ich gar nicht glauben“ sprach er mit einem forschenden Blick. „Ihr Körper ist doch sehr wohl proportioniert. Durchaus ansprechend.“ „Danke ...“ Er versuchte seine Scham hinter den Händen zu verstecken, doch so leicht ließ Seto ihm das nicht durchgehen. „Sie tragen aber noch Socken“ nickte er auf seine Füße. „Wir haben doch Fußbodenheizung. Also bitte, Mr. Muto.” Wäre er ein echter Schuljunge mit echter Unschuld würde er jetzt denken, was da doch für ein perverses Schwein saß. Aber so fand er es nur anregend. Ja, genau so hatte er es in Gedanken immer wieder durchgespielt. Er war nur der unterschwellig willige Spielball für die Gelüste des Mannes, den niemand zähmen konnte. Seto war wie in seiner Rolle verwurzelt und auch Yugi fühlte sich zurückversetzt in die Zeit, als er sich nur halbherzig gegen das wehrte, was die Leute von ihm forderten. Die Tatsache, dass er jetzt mit seinem Ehemann so ein Spiel trieb, war aufregend. So stützte er sich am Schrank ab, hob die Ferse hinauf an den Po und zog sich die Strümpfe aus. Und da wusste er ganz sicher, dass das etwas war, worauf sein Liebling merkwürdigerweise total abfuhr. Diese etwas eigenwillige Art, sich der Socken zu befreien. Als auch dies erledigt war, versteckte er seine Erektion und sah ihn rotwangig an. „Und?“ forderte Seto ihn heraus. „Können Sie jetzt noch so leicht auf meine Frage antworten, Mr. Muto?“ „Ja“ versuchte er möglichst fest zu sagen. „Sie sollten eine alphabetische Reihenfolge nehmen. Nicht so durcheinander.“ „Vielleicht sollten Sie sich das doch noch ein Mal genauer ansehen“ schlug er vor und nickte erneut auf die hohe Wand mit den vielen Ordnern, bevor er seine Stimme senkte. „Umdrehen.“ Yugi blinzelte ihn an und tat so als hätte er das nicht richtig verstanden. So einen kurzen, klaren Befehl. „Drehen Sie sich um“ sprach er noch mal langsam. So langsam als würde er seinen Geduldsfaden anzählen. „Stützen Sie sich auf das Regal und sehen Sie sich die Ordner genau an.“ Yugi war hin und weg. Sein Liebling hatte eine so herrische Stimme, einen so unnachgiebigen Blick in den eiskalten Augen. Er konnte nicht anders, als in Leidenschaft zu ihm zu entbrennen. Genauso wie damals als er ihn das erste Mal sah. So hoch erhoben von dieser Welt, so selbstsicher und stark. So egomanisch, narzisstisch und arrogant. Er war einfach wundervoll. So gehorchte er, drehte sich herum und legte seine Hände auf das Regal vor ihm. Er blickte hinauf zu den beschrifteten Ordnern und seine Gedanken waren doch ganz woanders. Er hatte ihm gerade seinen blanken Hintern zugewandt und spreizte auch gespielt unbewusst lasziv seine Beine ein Stück. Wenn das jetzt keine Einladung war. Und doch war ihm, als könne er den kalten Blick auf seinem Rücken fühlen. Wie er an ihm hinauf und hinunter wanderte und den Betrachter überlegen ließ, was er wohl als nächstes mit seinem Opfer anstellen wollte. Yugi fieberte schon der nächsten Phase entgegen, seine Erektion wurde heiß und immer härter, begann zu pochen und zu schwellen. Seto saß doch hinter ihm! Er konnte ihn haben! Jetzt sofort! Aber der ließ sich Zeit. Leider hatte Yugi hier keine Uhr, aber er hörte sie ticken und nach schier endlos langer Zeit begann er auch, die Sekunden mitzuzählen. Eins, zwei, drei, vier ... Minuten. Minute um Minute zählte er und als er sich irgendwo zwischen Minute sieben und acht verzählte, begann er noch mal neu. Allmählich schmerzten seine Beine vom regungslosen Stehen, seine Hände wurden taub vom Aufstützen und es wurde ihm auch kalt, so nackt inmitten eines mehr als gut klimatisierten Raums, in denen der Eisdrache hauste. „Ähm ...“ So langsam wurde das doch etwas unangenehm. „Mr. Kaiba?“ „Ja, Mr. Muto?“ Yugi schrak zusammen. Seto stand direkt hinter ihm!!! Er wähnte ihn noch auf seinem Stuhl, aber er war nur Zentimeter von ihm entfernt. Meine Güte, wie leise konnte der sich bewegen? Und wie lange stand er schon so da und wartete nur auf ein erstes Anzeichen von Schwäche? „Na, nicht doch erschrecken“ beruhigte er eher beunruhigend und legte seine kalten Hände an die nackten Seiten. Oberflächlich wollte er ihn wohl stützen und ihn beruhigen, weil der arme Schuljunge wirklich tief in sich zusammengezuckt war. Aber unterschwellig bezweckte er damit etwas ganz anderes. „Wie ... wie lange stehen Sie schon da?“ babbelte seine nervöse Stimme. „Schon eine Weile“ flüsterte er ihm dieses Mal ins andere Ohr und fuhr langsam mit seinen kühlen Händen die Taille herunter in Richtung Po. „Können Sie mir schon eine neue Ordnung vorschlagen?“ „Ich ... ich bin ... immer noch ... also, alphabetisch wäre gut.“ Jetzt war Yugi ehrlich nervös. Ganz ehrlich und echt. Dieser Schock, dass er unbemerkt direkt hinter ihm stand, vielleicht schon seit Minuten, steckte ihm in allen Knochen. Wenn Seto das ganze Spiel so ernst nahm ... dann würde er sicher auch mit ebenso harten Bandagen weiterspielen. Und einen Augenblick zweifelte Yugi daran, ob sich das, was in der Fantasie noch anregend war, in Wirklichkeit genauso erfüllend gestaltete und nicht doch eher furchteinflößend. Er bekam hier wirklich das zu spüren, was sonst Setos Verhandlungspartner zu spüren bekamen. Nur, dass er die nicht ansexte, sondern einfach nur herablassend behandelte und unter Druck setzte. Allein das reichte, um einen mürbe zu machen. „Sie sind wirklich standhaft, Mr. Muto.“ Ob er nun damit meinte, dass er auf seine Meinung bestand oder eher die noch immer harte Erektion, zu welcher sich seine kalte Hand langsam hinbewegte und bereits federleicht über die Hoden strich ... Yugi wusste es nicht mehr. Er wusste nur noch, dass er eigentlich nur noch eines wollte. „Ich gebe ... mir Mühe“ atmete er und unterdrückte sein Keuchen als eine kalte Fingerkuppe über seine feuchtheiße Lust nippte. „Ja, das sehe ich, Mr. Muto“ raunte er ihm ins Ohr und schloss seine eleganten Fingerkuppen allmählich immer fester um seine harte Spitze. „Haben Sie denn noch einen anderen Gedanken zur Lösung dieses Problems?“ Er begann langsam über die warme Haut zu reiben und entlockte seinem Bewerber ein kehliges „Aaahhhhhhh ...“ „Nun?“ fragte er nur wieder kalt nach, als würde ihn die Erregung des Jungen vollkommen unbeeindruckt lassen. „Nein“ ertönte eine ungewohnt hohe Stimme aus seinem Munde. „Mr. Kaiba ... was tun Sie da? Bitte ... bitte nicht ...“ „Bitte nicht was?“ hauchte er ihm seinen kalten Atem ins Ohr. „Sprich aus, was du willst, Muto.“ „Ich ... hhichh ... aaaaahhhhhh ...“ Er senkte seinen Kopf, schloss die Augen und wünschte sich, diese Hand würde noch etwas schneller sein. Er spürte schon die ersten Tropfen herausfließen und wusste doch, dass er lieber keine Ansprüche stellen sollte. Stattdessen bewegte er seine Hüften in einem ebenso langsamen Takt immer dieser wunderbaren Hand entgegen und stöhnte nochmals schüchtern in den Schrank hinein. „Nicht so nervös, Muto“ grinste diese kühle Stimme. „Was ist? Magst du es, wenn ich das bei dir tue, ja?“ „Jha ...“ „Oder soll ich aufhören und meine Ablage alphabetisch sortieren?“ „Nhein ... bitte nhicht!“ keuchte er als seine Hand ihn vorn so hart zudrückte, dass es wehtat. „Aahh!“ „Also möchtest du noch einen Augenblick überlegen?“ „Bitte, Mr. Kaiba ... bitte … bhitte … Ihre Hand!” „Was ist?” lachte er. „Du bist doch schon seit vorhin hart, Muto. Sag mir, was du willst. Ich wette, du warst noch nie richtig befriedigt.“ „Aaaaaahhhhhhh ...“ Seine Hand bewegte sich und entlockte ihm das nächste Aufstöhnen. Außerdem dieses Sprechen. Wenn Seto sich dazu überwand, so hatte es nicht den Anschein. Genau wie in seinen frühen Fantasien. Genau so forderte er ihn heraus. „Na?“ zischte er ihm erregend zu und zwang seinen trockenen Finger tief zwischen seine Pobacken. Drückte ihn grausam hinein, dass es wehtat. „Willst du etwa schon aufgeben?“ „Jha! Jha! Oh bitte ... bitte ... Mr. Kaiba ... bitte ...” „Ha ha ha” lachte er ihm leise zu und entzog ihm seine guten Hände. Er löste sich einfach von ihm und ließ den erregten Yugi keuchend am Schrank stehen. Dem schwindelte es ihm Kopf, seine Knie waren weich und der Atem war mehr nur ein leises Stöhnen. Warum nur? Warum nur hielt er ihn so hin? Das war wirklich grausamer als er es erwartet hatte. Wackelig drehte er sich zu ihm um und sah, dass er sich eben weiter vorn auf das dunkle Ledersofa setzte. Seine blauen Eisaugen funkelten zu ihm herüber und seine Lippen umspielte ein kaltes Lächeln. „Um noch mal auf den Schutz des großväterlichen Ladens zurückzukommen ...“ Seinen Satz brauchte er nicht beenden. Dass er seine Knie auseinander spreizte und ihn mit direktem Blick heranbefahl, brauchte keine Worte. Ein Seto Kaiba bekam immer, was er wollte. Immer. Ob nun früher oder später. Yugi atmete noch mal tief ein und taumelte dann langsam zu ihm herüber. Die Erregung war unerträglich und erschwerte das Laufen. Durch die Härte zwischen seinen Beinen und den heißen Schwindel im Kopf. Er war eben nur noch Momente vom Höhepunkt entfernt und nun musste er doch noch weiterleiden ... „Komm“ befahl Seto mit leichter Stimme und ließ ihn zwischen seinen Knien niedergehen. Ein wenig scheu und unsicher blickte Yugi zu ihm auf. „Aber, Mr. Kaiba. So etwas ... ich glaube, ich will das nicht ... so was hab ich ... ich hab das noch nie gemacht.“ „Dann zeig mir, wie flexibel du auf neue Anforderungen reagierst“ funkelte er zu ihm herunter. „Öffne meine Hose und ich werde dir im Gegenzug ganz andere Wege eröffnen.“ Yugi schluckte das Verlangen zu diesem kalten Mann herunter und legte zaghaft Hand an. Er öffnete den Gürtel, den Knopf darunter und schon spürte er, dass auch sein Liebling nicht ganz unberührt geblieben war. Durch den dunklen Stoff drückte eine harte Wärme hindurch. Er zog den Reißverschluss auf und öffnete die Hose so weit es eben ging. „Mr. Kaiba ... ich ...“ „Weiter, Muto“ unterbrach er ihn sofort und entgegnete seinem unsicheren Blick mit einer unabdingbaren Härte. Es gab keine andere Wahl. Yugi hob vorsichtig den Saum des letzten Stoffes an und zog ihn herunter. Wenn er diese Körpergegend nicht schon so gut kennen würde, hätte er sicher gestaunt, denn Seto war um einiges besser bestückt als er selbst. Lag vielleicht gesamt an der Körpergröße. „Nimm vorsichtig die Hand“ forderte er und mit zitternden Händen tat Yugi wie ihm befohlen wurde. Er griff vorsichtig nach dieser aufkeimenden Härte und fühlte, wie das ganze Stück sofort auf seine wenigen Berührungen reagierte. Das war etwas, was Seto nicht verstellen konnte. Er war einfach verdammt sensibel und leicht zu erregen. Und so wurde seine Männlichkeit zusehends schnell härter und größer. „Leck daran.“ Aber seine Stimme war noch immer so eiskalt als wäre gar nichts weiter los. „Zeig mir deine Zunge.“ „So?“ Er kitzelte vorsichtig über die warme Spitze und hörte nichts von oben. Seto musste sich wohl sehr beherrschen, nicht zu stöhnen. Er spielte noch immer den Kalten, um Yugis Fantasie nicht zu zerbrechen. Doch wenigstens ein leises Keuchen konnte Yugi ihm entlocken als er zunehmend fester und schneller die Spitze umkreiste, die weiche Haut herunterzog und ihn schön hart werden ließ. Das ging nicht spurlos an ihm vorbei, aber für normale Verhältnisse, beherrschte sich sein Liebling über die Maßen gut. „Jetzt nimm den Mund“ kam die nächste Forderung der kühlen Stimme. „Aber pass auf, dass deine Zähne nichts berühren. Los, ganz in den Mund. Ich mag es tief.“ „Mr. Kaiba, ich weiß nicht, ob ...“ Er ließ kein Nein gelten. Er legte seine kalte Hand an Yugis Hinterkopf und drückte ihn bestimmend herunter. Der konnte nur den Mund öffnen und ihn so weit in sich aufnehmen, wie es ging. „Jha ... so ist es gut ...“ hauchte er und ließ ihn langsam wieder locker, damit sich der Kopf wieder hob. Doch dann drückte er ihn wieder tiefer und zwang sich weiter in die feuchte Höhle hinein. Genau in dem Tempo, welches er haben wollte. Hätte Yugi gekonnt, hätte er gegrinst. Ja, so stellten sich bestimmt die meisten Menschen den kühlen Seto vor. Aber, dass er Yugi blasen ließ, hatte ja noch einen Grund, den nur sein Geliebter kennen konnte. Hätte Yugi die Hände genommen, wäre er wesentlich schneller am Höhepunkt. Seto liebte Yugis Hände und wenn er sich schon beherrschen musste, nahm er doch das kleinere Übel, um es sich leichter zu machen. >Na, warte du! Schummeln kann ich auch, mein Liebling.< So grinste Yugi eben innerlich und bog sich die Spielregeln etwas zurecht. Er setzte seine Zunge und seine Lippen nicht so ein wie ein unbeholfener Schuljunge es tun würde, sondern so, wie er es nun mal konnte. Und das war um Etagen besser. Er drückte die warme Härte an seinen Gaumen, hob und senkte seinen Kopf taktisch schneller und saugte gierig, nuckelte und öffnete seinen Mund leicht, um wie zufällig seinen Atem über die feuchte Haut zu jagen. Nach nur wenigen Momenten der etwas schnelleren Gangart nahm Yugi dann noch die Hilfe seiner Hände hinzu, um ihn an der tiefen Wurzel zu massieren, die er nicht erreichen konnte. Und das brachte den im Herzen ganz weichen Seto zum Aufstöhnen und er riss fast grausam den blonden Schopf zurück. Wenn Yugi den erotisch verschleierten Blick dieser eisblauen Augen verkaufen könnte, er wäre reicher als Bill Gates. Aber um nichts in der Welt würde er jemals diesen verklärten Ausdruck weggeben wollen. „Muto, du kleine Schlampe“ grinste er ihn spitz an. „Ich hab dich wohl unterschätzt.“ „Man soll niemals nach dem Aussehen urteilen, Mr. Kaiba“ grinste er ebenso zurück und wischte sich einen Tropfen Speichel aus dem Mundwinkel. „Ich urteile grundsätzlich nur nach Fähigkeiten. Und bei erkenne ich langsam überraschendes Potential.“ Er zog ihn auch gegen den kleinen Widerstand zu sich hinauf, direkt auf seinen Schoß und hielt ihn mit eiskalten Händen an seiner Taille gefangen, während ihn die Saphirblicke schier durchbohrten. „Wollen wir doch mal sehen, wie gut du wirklich bist.“ Noch bevor Yugi sich seine Antwort zurechtgelegt hatte, musste er feststellen, dass er auch seinen Liebling nicht unterschätzen sollte. Der drückte mit all seiner Kraft ganz langsam die nicht uke-gewöhnten Hüften herab, legte seine Hände an die Pobacken, um sein Ziel zu entblößen und hob sein eigenes Becken hinauf. Mit einem kehligen, langen Wimmern musste Yugi herauslassen, dass das jetzt aber wirklich schmerzte. Er war zwar noch erregt, aber das hier war echt hart. Hoffentlich wusste der Mann, der sonst nur Uke war, wie weit er gehen konnte. Er fühlte sich aufgespießt, gepfählt. Als würde sein ganzer Rücken durchtrennt und der Schmerz brannte sich in seinen ganzen Unterkörper. Als würde man ihm den Hintern auseinander reißen. Aber wenigstens hielt er dann ein und traktierte ihn nicht weiter, sodass sein vermeintlicher Schuljunge nach Atem schöpfen konnte. „Kaiba ... du Schwein ...“ keuchte er gedrückt und ließ sich in seine Arme hängen. „Ich glaube nicht, dass ich dich überschätzt habe, Muto“ grinste er ihn kalt an und zwang ihn näher an seine Brust. „Da ist noch was herauszuholen. Soll ich dir zeigen, was ich meine?“ „Nein ... Mr. Kaiba ... bitte … ich …” „Beweg dich.“ „Ich ... ich kann nicht ...“ Er konnte wirklich gerade nicht. Das tat verdammt weh. „Rede nicht. Entweder hast du mehr drauf oder du solltest lernen, dass man Vorgesetzte besser nicht reizt. Aber wenn du es unbedingt so haben willst ...“ „AAAAAAAAHHHHHHHHH!“ Yugi riss die Augen auf als sein sonst so braver Liebling begann, seine Hüften zu bewegen. Er griff seine Beckenknochen und zwang ihn vor und zurück, in Kreisen ein wenig auf und ab. Er war um so vieles stärker als er selbst, dass er ihn mit Leichtigkeit in der Hand hatte. Er konnte mit ihm umspringen, wie es ihm passte und diese Überlegenheit nutzte er jetzt aus. „KAIBA! AAAHHH!!! AAAHHH!!!“ „Also?“ Er stoppte mit seiner harten Art und funkelte ihn herausfordernd an. „Reite mich oder ich sorge selbst dafür, deine Fähigkeiten auszuloten.“ „Mr. Kaiba ... bitte ...“ Ein letztes Mal versuchte Yugi, ihn zu überzeugen und sah ihn mit feuchten Augen an. „Das ist mein erstes Mal ...“ „Na und? Dann genieße es. Besseren Sex als mit mir wirst du niemals haben“ raunte er und biss ihm hungrig in die Halsbeuge. „AAHH!“ >Wie ist der denn drauf? Oh, Scheiße! Wie hieß es gleich? Geister, die ich rief, verlassen mich nun nicht mehr ...< Diesen Geist bekam er jetzt nicht mehr in seine Flasche gestopft und die Tour des unschuldigen Schuljungen zog auch nicht. Wäre Seto echt so ein Arschloch, für welches ihn so viele hielten, wäre ihm das in der Realität auch egal gewesen. So also fühlten sich reale Fantasien an. „Komm, Muto ...“ Er senkte seine Stimme und leckte ihm feucht übers Ohr. Zärtlicher glitten seine kalten Hände um ihn herum und legten sich auf seine angespannten Pobacken. „Du bist geil. Ich sehe das doch. Hol dir, was du brauchst. Ich zeige dir, wie es die großen Jungs tun. Und als dein Vorgesetzter unterliege ich der Fürsorgepflicht. Vertrau mir. Dir passiert nichts.“ „Seto ...“ flüsterte er dankend, hingebungsvoll und sah sich besiegt. In diesem Spiel hatte der Boss das Sagen. Vorsichtig begann er mit kleinen Bewegungen und spürte, dass das sogar viel angenehmer war, als wenn er still saß. Zumal diese zauberhaft kalten Hände auf seiner warmen Haut lagen und ihn unterstützten, ihn hielten und sanft massierten. „Für dich immer noch Mr. Kaiba, Muto“ verbat er sich und verpasste ihm einen schnellen, tiefen Stoß. „AH! MR. KAIBA!“ Okay, das war angekommen. Auf die Ebene wollte er also nicht runter ... oder rauf. Das wäre dann eine weitergehende Fantasie. Nämlich die Fantasie davon, wie sie heirateten, Kinder bekamen und glücklich zusammen alt wurden. Das hier war eher die schmutzige Sexfantasie eines pubertären Jungen, die er als Mann jetzt wahrmachte. Und so langsam begann es, sich gut anzufühlen. Vor allem die zärtlichen Hände auf seinem Po entspannten ihn und vermittelten trotz der kalten Atmosphäre ein Gefühl von Sicherheit und Wärme. Das hier war nur Sex, aber es war gut. „Muto ...“ atmete er leise und lehnte sich zufrieden an das harte Polster zurück. „Das machst du sehr gut.“ „Ich gebe mir Mühe ... Mr. Kaiba ...“ Und das war nicht mal gelogen. Je länger er sich so tastend auf seinem harten Schoß bewegte, desto wärmer wurde ihm und so langsam begann er auch wieder neben dem Schmerz, seine eigene Erregung zu spüren. Seine Enge begann sich zu weiten und die Lusttropfen, welche Setos Härte absonderte, wirkten zusätzlich ein wenig erleichternd. Trocken war es zwar immer unangenehm, aber das richtige Verlangen ersetzte auch für kurze Zeit das beste Gleitgel. Er würde schon auf seine Kosten kommen. Und allmählich kehrte auch das Verlangen zu Yugi zurück. Wie oft hatte er in der Schule gesessen und war in Gedanken zergangen, wie es wohl wäre mit ihm? Wie häufig hatte er abends allein im Bett gelegen und sich vorgestellt, wie er ihn in seinem teuren Büro rannahm? Gedanken, für die er sich lange schämte und sie das erste Mal mit Yami teilte. Und er erinnerte sich an die Worte, die er ihm mal gesagt hatte. Wenn man wirklich nach etwas verlangte und Geduld hatte, konnte jede Fantasie wahr werden. Und jetzt, Jahre später, sollte sein Yami Recht behalten. Seine geheime Fantasie lebte er in diesem Moment. „Ah! Muto!“ Anscheinend passte es dem eiskalten Boss nicht, dass ihm der Junge langsam den Verstand raubte. „Träum nicht rum!“ Noch während Yugi in dem Gefühl schwebte, dass alles wahr wurde, riss man ihn herum und drückte seinen erregten Körper mit der Brust auf das kalte Leder. Die Kühle des Stoffes, auf welchem er niederlag, ließ seine heiße Erregung schmerzen. Er war so verwirrt, dass er gar nicht recht schaltete. Aber dass ihre mittlerweile angenehme Verbindung getrennt wurde, musste er mit einer inneren Leere zur Kenntnis nehmen. „Mr. Kaiba ...“ bibberte er unschuldig und blickte über seine Schulter an ihm hinauf. Blickte in die tiefblauen Augen, die von einem Schleier verhangen waren. „Hab ich was falsch gemacht?“ „Knie dich vor mir hin.“ Das tat er ja schon mehr oder weniger, also kam er noch mal richtig aufs Sofa, legte seine Unterarme auf die Lehne, bot ihm seinen Hintern und wartete auf Kommendes. Anscheinend brachte sich auch Seto hinter ihm neu in Position und dann fühlte er, wie sogleich die kühlen Hände an seine Beckenknochen zurückkehrten und die warme Härte erneut in ihn drang. „Aaaahhhhh ...“ Dieses Mal war es angenehmer. Wesentlich angenehmer. Anscheinend hatte Seto doch ein Einsehen und verwendete nun Gleitgel. Das machte es für beide leichter und bei diesem zweiten Mal fühlte Yugi auch kaum Schmerz. Zwar war das Gel noch ein wenig kalt, aber es wurde schnell warm, als die zärtlichen Stöße ihn langsam verwöhnten. „Na, Muto?“ fragte er in einem tiefen Bass und brachte sein Trommelfell zum Vibrieren. „Gefällt dir das?“ „Jha ... Mr. Kaiba ... jha … Sie sind so ... so hart ...” Doch gerade als Yugi seine Augen schließen und endlich genießen wollte, stoppten die angenehmen Bewegungen und es geschah einige Momente gar nichts. Seto hielt einfach still und wartete auf irgendwas. „Kaiba ... Mr. Kaiba ...“ bettelte er und drängte ihm seinen Po auf. „Bitte nicht aufhören. Bitte ... bitte weiter ...“ „Kannst du alles haben, Muto“ flüsterte er, beugte sich vor und fuhr vom einen Ohr hinüber zum anderen. „Ich will sehen, ob du in der Lage bist, dich auszudrücken. Na los. Sag mir, was du willst. Bitte darum.“ „Sie ... Mr. Kaiba ...“ flehte er mit zitternder Stimme. Sein Unterleib war in Hitze und sein Muskelring pochte um diese schöne Härte. Sein Herz schlug wild gegen seine Brust und seine unbefriedigte Härte sehnte sich so sehr nach Berührungen. „Bitte machen Sie weiter ... damit ...“ „Ich will dich hören, Schlampe“ hauchte er ihm ins Ohr. „Sprich es aus: Ficken Sie mich.“ „Mr. Kaiba ...“ Also, Seto zog hier ja wirklich alle Register. Ob er sich vorher Tipps bei Yami geholt hatte? Auf so was kam er doch nicht selbst! „Bitte ... bitte nicht ...“ „Sag es“ zischte er ihm ins Ohr. „Wenn nicht, lasse ich dich so nach Hause gehen. Ohne Job und dafür mit der ewigen Frage, wie es sein könnte, es von mir besorgt zu bekommen. Sag es und ich mache aus einem kleinen Jungen einen gestandenen Mann.“ „Mr. Kaiba ...“ Yugi musste doch ein wenig lächeln. Zum Glück war Seto hinter ihm und sah ihn nicht dabei. „Bitte ficken Sie mich.“ Doch stattdessen „AAUU!“ wurde er in seine Brustwarze gekniffen. Wenn die jetzt mal nicht blutete! „Und jetzt noch mal ohne Grinsen, Muto.“ „Mr. Kaiba ...“ Sein Atem war tief und er drückte ihm seinen Körper willig entgegen. Jetzt wurde es wirklich langsam Zeit. „Bitte ficken Sie mich. Bitte.“ Ein Lob bekam er dafür zwar nicht, aber die leichten Bewegungen gingen weiter und es tat so gut, dass Yugi ein wohliges Stöhnen in das nächtliche Büro entließ, sich an der harten Lehne festhielt und seinen Körper streckte. „Ah ... Mr. Kaiba ... dhas ist so ghut …” „Ich weiß“ keuchte er ihm und biss ihm zärtlich ins Ohr, während er weiter ganz behutsam und regelmäßig zustieß. „Ich mag deine Enge, Muto. Du bist heiß.“ „Mr. Kaiba ... aahh ... jhaa … bitte!” Endlich griff er auch um ihn herum und hielt seine schreiende Erektion in der Hand. Langsam begann er sie zu streicheln und entgegen seiner Stöße auf und ab zu schieben. Auch wenn Yugi sonst der aktive Part war, genoss er das hier in tiefen Zügen. Jetzt hatte er seinen kalten Firmenboss und er tat genau die Dinge, die er sich immer von ihm gewünscht hatte. Alles stimmte. Wirklich alles. Von der Nervosität am Anfang über die schmutzigen Anspielungen und das anstößige Reden. Das plötzliche, schmerzhafte Eindringen und jetzt der fast liebevolle Rhythmus. Jetzt fehlte nur noch der feuchte Abschluss, aber wenn Seto so weitermachte, war der nicht mehr fern. Die Stöße trieben sich immer fester durch seinen Körper und er fühlte sich so frei, dass sein Atem in einem durchgängigen Stöhnen erklang. Das feuchte Gefühl der Härte, wie sie immer wieder in ihn eindrang, die kühle Hand, welche ihn zusätzlich befriedigte und der leise hechelnde Atem an seinem Ohr. Rundum guter Sex, in welchem einer von ihnen vollkommen untergeben war. Zumindest im Spiel. „Mr. Kaiba ... jha ... jhaaaaaa …” Es dauerte nicht mehr lange. Nur noch ein paar Sekunden und er würde Erfüllung finden. Sein Körper zuckte bereits, in seinen Lenden begann es zu kribbeln und sein Atem konnte kaum noch Schritt halten. „Das ist so gut ... nicht aufhören ... bitte nicht aufhören ... bitte ... aahh ... so gut ...“ „Ich hab gewusst, dass du ne Schlampe bist“ atmete er fast in einem Fauchen und zog sich zurück. War einfach fort. „NEIN!“ Was für eine Enttäuschung. „Mr. Kaiba! Bitte! BITTE!” „Ha ha ha” lachte er leise und glänzte ihn aus seinen leuchtenden Augen eiskalt an. Er streckte seinen Arm nach dem sich umdrehenden Jungen aus, legte seine Handfläche an seine heiße Wange und zog ihn sanft näher. Näher und zu ihm hinauf. „Jha ...“ Ja, das wollte er auch. Küssen. Er wollte ihn küssen. Doch falsch gedacht. Er wurde weiter über ihn auf die andere Seite gezwungen und lang aufs Polster gelegt. Sein Bein wurde weit hinauf gestreckt und über die Rückenlehne gehakt, während die kräftigen Hände seine Hüften anhoben und er wieder fest in ihn eindrang. „Aahh! Mr. Kaiba! Bitte! Bitte!” „Ja. Sehr gut, Muto. Bettel um Erlösung. Ich will dich betteln hören.“ „Mr. Kaiba ... ah ... das ist so … oh … oh … Mr. Kaiba … aahh … tiefer ...” Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Es war so schön mit ihm, mit dieser Fantasie. Und er stieß ihn mit einer Mischung aus Grausamkeit und Liebe. Gerade zärtlich genug, um nicht schmerzhaft zu sein. Doch schmerzend genug, um nicht zu zärtlich zu sein. Es war einfach nur guter, erfüllter, hemmungsloser Sex. Yugi griff in seinem Stöhnen über sich und fand keinen Halt. Das Sofa war zu groß und das Leder zu glatt. Er war allein mit sich und dieser Lust. Er hörte seine eigene Stimme wie von weiter Ferne und vor seinen geschlossenen Augen drehte sich die Welt. Genau so hatte er es sich immer vorgestellt. Seine Fantasie. „AAAHHH! KAIBA!!! KAAIIBAA!!! JHAA!!!“ Er streifte seine Prostata, fuhr immer wieder darüber und schickte ein kaltes Brennen durch seinen Leib, seine Wirbelsäule entlang bis hoch in seinen Kopf. Das war das Tüpfelchen auf dem I. Sein Körper bäumte sich auf, seine schwitzigen Hände glitten hilflos vom Leder ab und er gab sich völlig in diese Übermacht des eisig kalten Mannes seiner Träume. Wie als würde eine große Last von ihm genommen, wurde er federleicht und spürte nichts mehr außer diesem Verlangen, welches in ihm aufging und ihn in einem letzten Abriss unter sich begrub. Er spürte seinen warmen Orgasmus über den Bauch laufen und die Hand benetzen, welche ihn bis zum letzten Moment fest verwöhnte und ihn mit langsam abklingender Lust auf dem Boden absetzte. Zwischen seinen Beinen ein letztes Zucken, ein gequetschtes Stöhnen und dann kam auch sein Gönner in ihm zum Höhepunkt. Er fühlte es tief in sich laufen, spürte die angespannte Härte und ganz langsam sank der große Körper auf ihn nieder, um gemeinsam nach Atem zu ringen. Selbst hier bemühte Seto sich seine Rolle zu spielen. Kein Wände erzittern lassender Erlösungsschrei, sondern ein leises Keuchen. Perfekt für einen kalten Egomanen, für den selbst ein Orgasmus nur eine kleine Emotion war, die er sich ab und an mal gönnte. Sie schlangen ihre Arme umeinander, drückten sich an den anderen und genossen ihr geschafftes Werk. Ja, Fantasien konnten wahr werden, wenn man nur genug Geduld aufbrachte. Seto war in der Lage, seine Gelüste zu befriedigen. Selbst wenn sie etwas abgedreht waren. Lange lagen sie so nebeneinander und genossen die Wärme zwischen sich. Zumal Seto mehr oder weniger auf ihm lag, da das Sofa nicht breit genug war. Aber das machte nichts. Er war zwar schwer, aber es war eine angenehme Schwere, wenn sein Drache sich auf ihm niederließ. Und selbst nach diesem Sex kuschelte er sich bei ihm ein und wollte nicht allein gelassen werden. Er war doch eigentlich ein ganz braver. „Mr. Kaiba?“ lächelte Yugi dann, als sie beide scheinbar einigermaßen zu Kräften gekommen waren. „Ja, Muto?“ brummte er dunkel. „Was willst du?“ „Hab ich den Job im Systemsupport denn jetzt?“ „Nein, tut mir leid“ sprach er und lächelte liebevoll an seine Halsbeuge. „Deine Qualitäten sehe ich eher nicht in dieser Richtung.“ „Dann ... war alles umsonst und ich kann Großvaters Laden nicht retten?“ fürchtete er gespielt besorgt. „Nicht unbedingt. Ich hätte da noch eine andere Stelle“ schmunzelte er. „Ist ein Fulltimejob und nicht immer leicht, aber dafür recht gut bezahlt, denke ich. Sagtest du nicht, du kannst alles machen?“ „Was wäre denn das? Ist da ... muss ich dann ... so was ... na ja ... öfter machen?“ „Unter anderem“ offerierte er zufrieden und sprach ruhig weiter. „Ich hätte da noch die Stelle eines Ehemannes zu vergeben. Du musst mich nur heiraten, deinen Namen mit mir teilen, regelmäßig mit mir schlafen, mich bekochen, aufräumen, Wäsche machen und die Kinder betreuen. Außerdem ständige Seelsorge, Lebensberatung, Zeitmanagement und diverse, unregelmäßige Sonderprojekte, die dann zeitnah zu formulieren wären. Was meinst du, Muto? Kriegst du das hin?“ „Das ist doch überschaubar“ lächelte er geschmeichelt. „Und die Bezahlung ist mir gar nicht so wichtig. Das ist ja schon eher ein humanitäres Engagement, was? Quasi Liebe zum Beruf.“ Seto seufzte nur und legte sich etwas gemütlicher an seine Schulter. „Ich lasse Ihnen die Vertragsunterlagen dann zur Durchsicht zukommen, Mr. Muto.“ „Tu das, Liebling“ flüsterte er und drückte den Großen an sich. Die Stelle eines Ehemannes ... hörte sich wohl leichter an als es war. Und ein Fulltimejob, war das ganz sicher. Da musste man wirklich echte Liebe zum Beruf mitbringen. „Du? Yugi?“ fragte er dann leise in den stillen Moment hinein. „Ja, mein Herz?“ lächelte er und kraulte ihm durchs verwuselte Haar. „Darf ich jetzt wieder nett sein?“ „Jahaha, darfst du“ lachte er. So leicht war es seinem anschmiegsamen Kuscheldrachen also doch nicht gefallen, den Harten zu spielen. Das war einfach ein Stempel, der ihm irgendwann mal aufgedrückt worden war und eigentlich so fern der Realität, dass er echtes, schauspielerisches Können bewies. „War es gut?“ wollte er noch vorsichtig wissen. „Hast du dir das so gewünscht? Früher? In deiner Fantasie?“ „Es war noch viel besser“ lobte er und hielt seinen Kopf fest umarmt. „Du warst genau so, wie ich es mir früher immer erträumt habe.“ „Sag mal ehrlich“ fragte er leise gegen seine Schulter genuschelt. „Bist du enttäuscht, weil ich eigentlich nicht so bin wie du gedacht hast? Ich bin ja gar kein Seme mit SM-Tendenzen. Bist du nicht ein bisschen enttäuscht gewesen? Damals als du mein wahres Ich gesehen hast? Dieses ... dieses zerstörte, dreckige, klammernde Ich?“ „Unsinn. Ich liebe dich“ versprach er und kraulte seinen Nacken. „Ich war nicht enttäuscht. Ich habe immer gewusst, dass in dir ein warmherziger, liebesbedürftiger, zärtlicher Mann steckt. Der wahre Seto. Ich wollte dich so kennen lernen wie du wirklich bist. Und du bist wundervoll. Du musst nicht kalt und gemein sein. Ich liebe dich so wie du wirklich bist. Ich liebe meinen Ukedrachen.“ „Dann darf ich das nächste Mal wieder unten liegen?“ „Ja, darfst du“ lächelte er. Wenn ihm das denn so wichtig war. „Aber sag mal, hat es dir denn auch ein bisschen gefallen? Unser kleines Spielchen? Hat es dir auch Lust bereitet? Oder ist es dir sehr schwer gefallen, so kalt und gemein zu sein?“ „Geht so“ überlegte er müde. „Wenn ich im Büro Gespräche hab, bin ich ja auch so ähnlich. Ich gebe mir immer Mühe, dass ich nett bin, aber das ist nicht so einfach. Dann bin ich so ähnlich wie zu dir heute. **Und das war noch nett. ^^** Nur, dass ich mit anderen keine so schmutzigen Sachen rede. Die mögen mich ja aber auch nicht so wie ich dich mag. Mit denen ... da will ich ja keinen Sex.“ „Na, das hoffe ich doch“ lachte er und heiterte ihn ein bisschen auf. Er wusste ja, dass Seto sich bei anderen nicht sexuell erregen konnte und auch, wenn er nicht das Bedürfnis danach hatte, wäre es doch schön, wenn er wenigstens könnte, wenn er denn wollte. So eine psychisch bedingte Impotenz war für keinen Mann schön. „Dann hast du dich gar nicht so doll verstellt?“ „Doch ... dir gegenüber schon. Ich will ja, dass du mich magst“ seufzte er und wurde ein Stück schwerer. „Du bist mir wichtig. Ich hab dich doch lieb. Ich will dir gefallen.“ „Ich hab dich auch lieb, mein Herz“ lächelte er und schloss ganz entspannt seine Augen. „Ich bin so froh, dass ich dich habe.“ „Willst du so was jetzt öfter machen?“ „Warum? Wäre das schlimm?“ „Nein“ nuschelte er geschafft. „Aber das ist so anstrengend.“ „Aber du hast mich sehr glücklich gemacht“ dankte er sanft. „Und solange du weißt, dass das nur mal zwischendurch ein Abenteuer war, eine Fantasie von früher ... das weißt du doch, oder?“ „Jha“ hauchte er und schlief gleich ein. Er war so süß. Er schlief immer schnell ein, wenn sie Sex gehabt hatten. Er war so sensibel, dass er hinterher meist völlig geschafft war. „Darf ich jetzt auch wieder Muto heißen?“ „Ja, darfst du“ wuschelte er ihn durch sein Haar. „Was meinst du? Soll ich mal aufstehen, mich anziehen und dann fahren wir schön nach Hause? Mein Mr. Muto.“ „Hm ...“ Er kam ein Stückchen hoch und ließ Yugi unter sich herauskrabbeln. Er selbst blieb aber lang auf der Couch liegen und würde sich die Hose dann zumachen, wenn er eh aufstehen und zum Auto gehen musste. Nur keine Umstände jetzt. „Wo hast du denn Taschentücher, Engelchen?“ „Hm ...“ „Seto?“ „Schublade ... unten“ antwortete er geschafft und sein Finger zuckte in Richtung rechts. >Dabei bist du doch eigentlich so süß, mein Liebling< lächelte Yugi, der sich auch nicht über seinen schmerzen Hintern beschweren wollte und sich lieber mit parfümierten Taschentüchern aus der Schreibtischlade säuberte. Seto hatte seine Sache gut gemacht und sich voll ins Zeug gelegt, den Fiesling raushängen zu lassen. Aber so lieb und sanft und so kuschelig liebte er ihn auch. Auf Dauer würde er es mit so einem kalten Egomanen wohl auch nicht aushalten. Das wäre zwar nicht wesentlich anstrengender als das, was er jetzt auch hatte und er würde ihn nicht weniger lieben - aber es war doch schön, wenn man nach dem Sex zusammen im gemeinsamen Bett einschlief und sich geliebt und nicht benutzt fühlte. Wobei ... als er sich zu Seto umdrehte und den tief atmen sah, sagte ihm eine Stimme, dass heute erst mal nur einer eingeschlafen war. „Super“ lachte Yugi und stand mit den Klamotten auf den Armen vor dem Sofa und blickte auf seinen schlafenden Drachen nieder. „Und kannst du mir auch sagen, wie ich dich jetzt ins Auto kriege?“ „Hmmmm ...“ Tja, deshalb war der Job des Ehemannes eben nicht für jeden Dahergelaufenen. Da brauchte man wahre Kreativität und Liebe zum Beruf ... **Und bevor ihr mich für vergesslich haltet. ^^’ Dass der Pharao seinen Körper lieben lässt, war im Vorwege abgeklärt. Ist klar, nech? XD** Chapter 5 Felis Comeback Obwohl der Besuch aus der Zukunft eine spannende Sache war und die sporadisch eingekehrte Ruhe sogleich wieder zerwühlte, waren auch andere Dinge aufregend und trotz ihres bitteren Nebengeschmacks eine gute Sache. Es war bereits Abend. Viele hatten sich bereits zu Bett begeben und nur noch ein paar letzte Leutchen saßen so im Wohnzimmer herum, genossen die Abendruhe. Joey und Narla hatten sich vor den Kamin unter eine Wolldecke gekuschelt und schuckelten gemeinsam ihr süßes Babymädchen. Tristan und Nika hatten sich auf der Couch lang gemacht und während er eher desinteressiert die veraltete Tageszeitung studierte, malte Nika etwas in einem Zeichenblock herum, was mit etwas Glück irgendwann mal Mode werden würde. Mokuba hatte die Nase in einer Zeitschrift versteckt. Wenn Noah im Hausbüro saß, könnte er den zwar eigentlich auch nerven gehen, aber im Augenblick fühlte er sich noch nicht schrecklich einsam. Zumal er auch gleich noch mal rüber ins andere Wohnzimmer wollte, um nach den Kätzchen zu sehen, die jetzt nach und nach auch mal aus ihrem Körbchen herauspurzelten, um den Raum unsicher zu machen. Einer der Gründe, weshalb Noah im Moment einen Bogen um dieses Zimmer machte. Seto und Yugi genossen ihre kinderfreie Abendzeit und hatten sich auf dem langen Sofa zusammengekuschelt. Na ja, eigentlich wollte Yugi ja lesen, aber wenn Seto sich so aufdringlich an ihn anschmiegte, musste er den Schinken loswerden und seine Füße auf den Tisch legen, damit der Schoß frei war für den Kopf des Drachen, der gekrault werden wollte. Sein Liebling war nun mal abendkuschelig. Und solange Yami vor sich noch ein bis zum Überlaufen bepacktes Tablett stehen hatte, war davon auszugehen, dass es noch ein Weilchen ruhig bleiben würde. Zumindest bis Mokuba mit dem Kopf aus seiner Zeitschrift auftauchte und ihn angrinste. „Yami?“ „Joa?“ schmatzte er und biss trotz vollen Mundes noch mal von seinem Kirschonfitüre-Salami-Brot ab. „Wasch?“ „Wollen wir einen Test machen?“ „Musch isch misch dawür buegen?“ „Nein, du musst dich nicht bewegen. Nur weniger in den Mund stecken, damit ich deine Antwort verstehe“ versprach er mit skeptischer Augenbraue. Als Pharao lernte man wohl nicht, dass ein voller Mund beim Sprechen unappetitlich war. „Aber ich will mal wissen, wie genau du eigentlich über dein Lieblingsthema bescheid weißt.“ „Schex?“ horchte er erfreut auf und schluckte seinen Bissen herunter. „Ja.“ „Mokiii~iiii“ klagte Seto, dem das jetzt schon zu viel wurde. „Geh nach den Katzen sehen, bevor dein Kater schon wieder irgendwas kaputt macht.“ „Ich will auch mitmachen“ meldete Joey sich gleich. „Ich weiß auch viel über die Vereinigung von Mann und Frau.“ Worüber Narla nur den Kopf schüttelte. Joeys Wissen war eher praktischer Natur als wissenschaftlich. „Okay, Frage eins“ begann Mokuba und zückte den Kuli zum Schreiben. „Was versteht man unter Goldfischsex?“ „Boah, shit“ schnaufte Joey jetzt schon überfragt. „Vielleicht, wenn man sich hellgelbe Lackanzüge anzieht.“ „Du bist peinlich“ meinte Narla. Auch wenn diese Feststellung nicht gerade neu war und auf wenig Ablehnung traf. „Ich weiß“ strahlte Yami. „Das ist Sex ohne Hände. Quasi wie die Fische, die sich umeinander winden und auch keine Hände haben.“ „Wow, gut“ bemerkte Moki anerkennend. „Das hätte ich jetzt nicht gewusst. Geht das überhaupt?“ „Man hat ja noch den Mund. Und wenn man ich nicht beherrschen kann, lässt man sich eben die Hände auf den Rücken binden.“ lächelte er. Wahrscheinlich hatte er das alles schon durchexperimentiert. „Weiter. Frag mich Frage zwei.“ „Na gut. Frage zwei: Hymen ist eine andere Bezeichnung für ...?“ „Das weiß ich aber“ prahlte Joey sofort. „Wenn man heiratet und vor dem Traualtar steht, dann schwört man sich gegenseitig seine Liebeshymne.“ „Hymen, nicht Hymne“ guckte Mokuba erstaunt. „Gott, wie blöd kann man sein?“ „Ich weiß es“ hob Yami den Finger. „Hymen ist das Jungfernhäutchen. Weißt du, Joey. Das, was du bei Narla kaputt gemacht hast.“ „Ati, so genau musst du die Fragen nicht beantworten!“ schimpfte sie. Das war ja peinlich! „Ist aber richtig. Also, Frage drei“ fuhr Mokuba fort. „Wenn ein Mann und eine Frau gleichzeitig einen Orgasmus haben, nennt man das wie?“ „Gut?“ guckte Joey. „Nein. Wissenschaftlich“ brummte Mokuba. Joeys ständiges Gequatsche war echt etwas daneben. Sollte er sich doch zurückhalten, wenn er nichts wusste. „Oh, das ist schwer“ musste auch Yami überlegen. „Das kann ich zwar ganz gut herbeiführen, aber bei dem Wort dafür, muss ich mal kurz nachdenken. Das war ... Eupa ... sie? Nein, aber so ähnlich. Irgendwas, was sich ähnlich anhört wie Europa.“ „Eupareunie. Fast richtig“ meinte Mokuba. „Das hätte ich auch nicht gewusst. Du, Seto?“ Der antwortete lieber gar nicht. Dieses Quiz war ihm jetzt schon peinlich genug. Es war doch abzusehen, wie das endete, wenn er da mit reingezogen wurde. Deshalb antwortete er lieber gar nicht und hoffte, man würde ihn übersehen. „Bestimmt“ lächelte Yugi und kraulte beruhigend das Haar hinter seinen Ohren. „Wir kommen fast immer zusammen. Hm? Liebling?“ „Yugi ...“ Knurr, grummel, murks. Keine Details bitte. „Aber die Frage war ja, wenn Mann und Frau zusammen kommen“ meinte Joey streng genommen. „Wenn Mann und Mann zusammen kommen, ist das dann das Gleiche?“ „Ist doch wurscht. Nächste Frage“ fuhr Mokuba weiter. „Wie viele Spermien produziert ein gesunder Mann im Durchschnitt täglich?“ „Viele“ meinte Joey. „100.000.000“ antwortete Yami. „Pro Schuss. Oder?“ „Stimmt. Punkt für Yami.“ „Eigentlich müsste ich auch einen Punkt kriegen“ meinte Joey. „Viele war doch auch richtig.“ „Vergiss es, das war zu ungenau. Also, Frage fünf. Das ist aber leicht. Was wird bei der Beschneidung des Mannes entfernt?“ „Weißt du es?“ schaute Yami zur Seite. „Dann sag’s, bevor ich mir den Punkt hole.“ „Das Haar“ nickte Joey. „Da bin ich mir sicher. Wenn ich mich beschneiden lasse, bekomme ich ne Intimfrisur. Auch wenn das eigentlich Quatsch ist, finde ich. Entweder ganz oder gar nicht. Also, Beschneidung heißt zum Intimfrisör zu gehen.“ „Dann mal viel Spaß. Geh dich beschneiden lassen“ murmelte Seto. Joeys Gesicht nach seiner Beschneidung würde er zu gern sehen. Der würde sich wundern. „Nein, die Vorhaut“ antwortete Yami jetzt doch. „Richtig, oder?“ „Ich sag ja, das war einfach. Joey, du bist ne Lusche“ hakte Mokuba diese Frage ab. Noch ein Punkt auf Professor Yamis Liste. Darauf konnte der dann auch nicht mehr viel sagen. Je mehr Fragen kamen, desto mehr blamierte er sich. Wusste er denn wirklich so wenig über das, was er mit Narla gern machte? War ja peinlich. „Nächste Frage, Yami. Ursprünglich wurde der Vibrator entwickelt, um Frauen von der Hysterie zu heilen. Wann wurde der erste Lustbringer zum Patent angemeldet?“ „Irgendwann nach meiner Geburt.“ Welche ja schon so einige Jahre zurücklag. „Nein, das weiß ich wirklich. 1869.“ „Wieso weißt du so einen Quatsch?“ fragte Narla verwundert. Das war doch absolut überflüssiges Wissen. „Na, ganz leicht. Per Eselsbrücke“ grinste er. „18 und 69. Ab 18 sollte man offiziell Sex haben dürfen, also spätestens meine ich ... aber nicht vor 16 finde ich ... na ja, und 69 ist ne schöne Sache“ schmunzelte er mit blitzenden Augen. „Ne sehr schöne Sache sogar. Nicht wahr, Seto?“ „Klappe“ brummte er gegen Yugis Bauch. Nicht ihn fragen, ja? Bitte willentlich seine Anwesenheit ignorieren. „Krass“ nickte Mokuba und vermerkte das auf seiner Liste. „Aber das hier weißt du bestimmt nicht. Das ist wissenschaftlich. Was ist das Frenulum?“ „Easy“ winkte er ab und schüttete sich Buttermilch in seine Gyrosschale. „Das Frenulum ist das Hautbändchen zwischen Eichel und Vorhaut. Schönes Ding und so praktisch.“ „Du bist gruselig“ meinte Narla. Wenn Yami sich mal bei allen Dingen so kompetent zeigen würde, das wäre ja mal ne schöne Sache! Dann wäre die Welt schon gerettet. „Aber gibt einen Punkt“ schrieb Moki sich auf. „So, jetzt Ausschlussprinzip. Die sexuelle Reaktion der Frau wird in vier Phasen unterteilt. Welche gibt es wirklich? Die Entspannungsphase, die Plateauphase, die Atemphase oder die Kontraktionsphase?“ „Die Plateauphase.“ „Yami ... jetzt wirst du mir auch gruselig.“ Mokuba konnte sich nur noch einen Punkt vermerken und dazu schweigen, wie auch Joey langsam schwieg. „Hast du das für dein Buch recherchiert?“ „Nö, sexuelle Literatur ist ein schönes Hobby. Die denken sich die kompliziertesten Namen für die einfachsten Sachen aus“ zuckte er mit den Schultern. „Welche Frage kommt jetzt?“ „Frage Neun. Welcher Zwang verbirgt sich hinter der Erotomanie?“ „Wie passend“ grummelte Seto dunkel und schloss die Augen, als Yugi ihm einen kleinen Kuss in den Nacken hauchte. „Wenn du es weißt, dann sag es doch, Liebling“ lächelte er. „Dann bekommst du Yamis Punkt.“ „Ich hab meine eigenen Punkte.“ „Lass mich raten. Vielleicht hier?“ Er hauchte ihm warm ins Ohr und leckte frech über den zarten Schwung. Und Setos Reaktion bestand darin, kurz zu zittern und seinen Fuß hoch zu flippen. Er reagierte immer so niedlich, wenn man ihn an seinen Energiepunkten reizte. „Yugi, lass das“ schimpfte er, ohne sich von ihm wegbewegen zu wollen. Nur den Fuß knallte er beleidigt zurück aufs Polster. „Du bist gemein.“ „Ich weiß.“ „Yami?“ fragte Mokuba ernst nach. „Weißt du das?“ „Jupp“ freute er sich und blickte weg von den kuschelnden Hikaris. „Erotomanie ist der Zwang, sich nahezu ständig mit Liebe, Sex und Erotik zu beschäftigen. Und entgegen aller Meinungen habe ich das nicht. Dran zu denken, heißt ja nicht, davon besessen zu sein.“ „Aber wir können Seto ja mal fragen“ lachte Joey. „Der hat doch eh jeden Tick, den man nur haben kann.“ „Aber er ist alles andere als ein Erotomaniker“ meinte Yami. „Er reagiert ja nur auf Yugi. Also ist er eher ein Yugiohmaniker.“ **Mal ehrlich. Das Wortspiel ist doch jetzt verdächtig für den Pulitzer, oder?** „Aber das ist keine anerkannte Krankheitsform. Trotzdem dein Punkt“ überspielte Mokuba das rote Gesicht seines großen Bruders. Es waren ja nur noch wenige Fragen bis der arme Drache erlöst war. „Frage zehn: Was bezeichnet ein Ejaculatio-praecox?“ „Joey, dazu kannst du doch bestimmt was sagen!“ lachte Yami. „Wieso?“ guckte er ganz ahnungslos. „Ich hab keine Krankheiten. Außerdem sagt ihr doch, ich soll ruhig sein.“ „Tristan hatte das gestern Abend“ meinte Nika, die sich bei dem ganzen Gequatsche mittlerweile auch nicht mehr auf ihren Block konzentrieren konnte. Aber das musste sie jetzt zum Besten geben. „Eine Lady genießt und schweigt“ verbat der sich stupste mit seinem Fuß ihren Block an, um sie zurückzuhalten. Er wusste zwar nicht, was sie meinte, aber es war seiner Männlichkeit bestimmt nicht zuträglich. „Einen Ejaculatio-praecox?“ lachte Moki. „Echt? Letzte Nacht?“ „Ja“ zwinkerte sie. „Er hatte ziemlich Druck, glaube ich.“ „Nika!“ schimpfte er. Jetzt wusste er auch, was sie meinte. Und ja, es war überaus peinlich! „Kritzele weiter an deinem Modedingsda!“ „Was ist denn das?“ wollte Joey jetzt echt wissen. „Hatte ich das auch schon mal?“ „Ja. Ziemlich sicher“ schmunzelte Narla. „Seto auch“ meinte Yugi. „Gleich beim ersten Mal.“ „YUGI! MANN, MUSS DAS SEIN?“ „HALLO, WAS IST DENN DAS?“ schrie Joey gegen seinen Drachen an. „Ein vorzeitiger Samenerguss!“ rief Yami erlösend. „Jeder sollte mal einen haben.“ „Und du hattest einen letzte Nacht?“ guckte Joey Tristan an. „Mann, wie peinlich.“ „Du hattest auch schon einen. Tu nicht so“ meinte Narla. „Ich glaube, jeder Mann hatte schon einen. Ich auch“ meinte Nika ganz offen. „Nicht schön, aber wohl unvermeidlich.“ „Du bist ja so verständnisvoll zu deinem Mann“ grinste Narla sie an. „Ja, nicht wahr?“ grinste sie zurück. Selten eine Frau gehabt, die so viel von männlicher Anatomie verstand. „Nächste Frage“ bat Yami. „Ich bin in Fahrt. Los, mehr Fragen!“ „Sorry, das war’s“ meinte er und klappte die Zeitschrift zusammen. „Du hast von zehn Fragen neun und eine halbe richtig beantwortet. Wer dir zum Opfer fällt, tut mir leid.“ DING DONG! DING DONG! „Siehst du? Sie kommen dich abholen“ lachte Joey. „Du bist doch ein Eromaniker.“ „Erotomaniker“ verbesserte Yami gleich. „Nein, ich bin keiner. Nur als Hobby vielleicht.“ „Ich muss eh in die Küche“ seufzte Narla, setzte ihrem Mann das schlafende Baby auf den Arm und kramte sich aus der Wolldecke heraus. „Da kann ich auch gucken, wer da an der Tür ist.“ „Ob das jetzt endlich Sethan ist?“ überlegte Mokuba laut. „Würde der höflich durch die Tür kommen?“ „Weißt nicht. Vielleicht“ meinte Joey. „Auf jeden Fall besser als so ein Schattenkampf oder so. Hach, hach, hach. Irgendwie vermisse ich die Zeiten, wo wir alles mit Karten regeln konnten.“ „Und ich vermisse die Zeiten, wo ich die Abende ohne dich verbringen konnte.“ „Seto, du sei mal lieber ruhig“ stritt er zurück. „Wer gleich beim ersten Mal zu früh schießt, sollte mal lieber nicht schlau labern.“ „Das ... das ...“ Da konnte er nicht drüber. Ja, er war nun mal ziemlich schnell. Aber er war ja vorher auch noch nie so angefasst worden. Da hatte er nun mal etwas sensibel reagiert. „YUGI!“ „Warum denn ich?“ guckte der überrascht. „ALLES DEINE SCHULD!“ „Und ich bin stolz darauf“ antwortete er lächelnd. „Du warst echt süß. Dass du so schnell kommst, hätte ich auch nicht gedacht.“ „YUUUUGIIIII!“ „Was denn? Ist doch schön“ gab Yami seinen Senf zum Gespräch und über sein Apfeltörtchen. „Schade, dass ich nicht dabei war. Ich hätte gern gesehen, wie Yugi dich das erste Mal flachgelegt hat. Deine Stimme hätte ich gern gehört.“ „HÖRT DOCH AUF ZU LABERN!“ „Drache, nicht so laut“ bat Joey und schuckelte das bebende Mädchen in seinen Armen. „Sie wacht gleich auf und dann ist das Theater groß.“ „Ja, ich will das auch nicht hören“ meinte Mokuba ernst. Seto war sein großer Bruder. Sich vorzustellen, wie er Sex hatte, war wie seine eigenen Eltern zu erwischen. „Ihr seid echt zwei süße Ukes“ lächelte Yami. „Ihr hattet ja in derselben Nacht euren ersten Sex. Also, das ist doch ne schöne Gemeinsamkeit.“ „Können wir mal das Thema wechseln?“ bat Mokuba hochrot im Gesicht. Er war ja auch gern zu Scherzen aufgelegt, aber so langsam ging ihm das doch zu weit. Er hätte mit diesem Thema niemals anfangen dürfen. Jedenfalls nicht, solang Yami in der Nähe war. Es war wahrscheinlich auch ganz gut, dass der genau jetzt gestoppt worden war. So kamen ihre Gäste nicht in das zweifelhafte Vergnügen, eines Doktor-Yami-Love-Grundkurses. „Hey“ sagte Narla vorsichtig als sie vornan ging. „Wir haben Besuch.“ Und bei diesem Besuch fielen sie doch glatt vom Stuhl. Sie sahen nur eine einzige Person, deren Begleitung sofort nebensächlich war. „FELI!“ Nikas Ausruf war fast ein Kreischen. Sie schlug sich die Hände vor den Mund und stand dort wie angewurzelt. Sie konnte es nicht glauben. Da war sie. Ihre kleine Feli, ihre Tochter, ihr Krümelchen, ihr Mäuschen, ihr Ein und Alles. „Guten Abend“ nickte der Herr im leicht geöffneten Hemd vorsichtig. Ihr Onkel. Er stand neben seiner Frau, welche ihre Jacke nicht ausgezogen hatte, sondern Feli auf dem Arm hielt, die auch noch ihren wolligen Mantel anhatte. Sie schien zu schlafen und hatte ihr Gesicht abgewandt. „Wir sind unpassend?“ „Nein! Nein!“ antwortete Tristan sofort und ging auf ihn zu. Verwirrt, aber höflich. Sie dachten, sie würden Feli niemals wiedersehen. Es war ihnen gerichtlich verboten, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Und nun war sie plötzlich da. Nervös reichte er ihrem Onkel die Hand und warf doch einen Seitenblick nach dem nächsten auf das schlafende Kind, dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Es war klar, dass er viel lieber sie begrüßt hätte. „Feli ... schläft?“ fragte Nika leise aus der Entfernung. Sie traute sich gar nicht, näher zu kommen. Als würde diese Seifenblase sofort zerplatzen. „Ehm ... nein“ antwortete der freundliche Onkel mit gesenkter Stimme und ebenso leicht geneigtem Kopf. „Sie ist ... Felicitas, sie ist ... sie ist sehr ... ehm ... Trauer?“ „Sie ist traurig?“ fragte Tristan verwirrt und wagte es, nach einem Nicken der Tante, vorsichtig an die kleine Hand zu greifen und zaghaft daran zu streicheln. Doch sie blieb dort hängen, wie schlafend, wie leblos. „Schläft sie?“ „Sie nicht schlafen. Sie immer traurig. Nicht sagen, nicht sehen. Immer nur traurig.“ „Was ist denn mit ihr?“ wollte Nika besorgt wissen und ließ die Kleine nicht aus dem Blick, während sie sich neben Tristan stellte und nach seinem Arm griff. „Frau meine und ich, wir nicht mehr wissen. Doktor auch nicht lustig macht“ versuchte er in gebrochener Sprache zu erklären. „Felicitas ist zu uns gekommen und immer weinen, immer traurig. Immer sagen Mama, Papa. Immer immer. Nicht spielen und immer nicht mag Essen. Wir sind zu Doktor gegangen, damit sie gesund wird. Aber Doktor immer sagt, nur Zeit hilft. Immer Zeit, Zeit, Zeit. Doktor redet mit ihr, aber sie sagt nicht viele Wort. Und nicht spielen. Wir haben Tochter. So groß“ zeigte er etwa bis zu seiner Hüfte. So groß war wohl seine eigene Tochter. „Sie doch spielen immer versucht. Aber Felicitas immer nur weinen. Ich auch mit ihr rede Sprache von hier, aber sie immer nur weinen. Und dann Weihnachten gar nichts mehr sagen. Sie nicht weinen, nicht sprechen und nicht essen. Nichts mehr. Sie immer nur dasitzen und gucken und schlafen. Doktor sagt Zeit ... aber Herz“ sprach er langsam und legte sich seine Hand aufs Herz. „Herz sagt, Mama und Papa. Felicitas muss Mama und Papa gehen. Zu Ihnen muss sie gehen. Damit sie lachen kann. Bei uns nicht lachen. Wir haben sie viel lieb, aber Felicitas Sie lieb hat. Bitte ... Sie machen Felicitas gesund.“ „Sie ... Sie bringen uns Feli zurück?“ bibberte Nikas Stimme wie von selbst und Tränen liefen aus ihren Augen. „Felicitas wieder lachen muss“ schaute er sie bittend an. „Bei uns nicht ist glücklich. Sie wird krank. Sehr krank. Felicitas sie mehr hat lieb. Sie Mama und Papa sind.“ Seine Frau wand sich zu ihm und sagte ihm etwas. Wohl auf Spanisch, aber das verstand hier kaum jemand. Ebenso wenig wie sie das Gerede ihres Mannes verstand. „Sie müssen helfen“ bat er wieder zu Nika und Tristan und nahm seiner Frau vorsichtig die Kleine ab, hielt sie auf seinem Arm. Dabei drehte er ihr Gesicht nach vorn und sie sahen, dass Feli nicht schlief. Sie hatte ihre Augen offen, aber sie waren leer. Völlig ohne Willen, ohne Widerstand oder sonst ein Gefühl hing sie dort und ließ alles mit sich geschehen. Er hatte ja erklärt, dass sie lange geweint und getrauert hatte. Aber seit Weihnachten hatte sie es aufgegeben. Sie war apathisch, ohne Gefühl. Genau das, was Nika und Tristan am Meisten befürchtet hatten, war eingetreten. Sie hatte den Umzug zu den für sie fremden Leuten nicht verkraftet. „Oh, Feli ... Schätzchen ...“ Verzweifelt streckte Nika die Hände nach ihr aus und ließ sie sich hinübersetzen. Doch auch dann machte die Kleine keine Anstände, sich zu wehren oder sich zu freuen. Sie war vollkommen in sich selbst verschlossen, kaputt. „Bitte ... bitte setzen Sie sich doch“ bat Tristan und wies auf die Sitzecke. „Danke“ nickte der nette Onkel und zog seine Frau hinter sich her. Seine Jacke legte er über die Lehne und nahm auch seiner Frau den Mantel ab. Feli blieb auf Nikas Arm sitzen und wurde auch von ihrem Wollmantel befreit. Niemand wollte etwas sagen, aber man sah ihr an, dass sie keinen Appetit gehabt hatte. Sie war dünn geworden und blass. Es ging ihr nicht gut, sie fühlte sich nicht wohl. Sie hatte ihr Herz und ihr Vertrauen an ihre Eltern gehängt und war enttäuscht worden. Sie verstand das alles nicht und war in ihrer Verzweiflung untergegangen. Da konnten auch die besten Doktoren und Psychologen nicht helfen. Niemand konnte ihr die Liebe ersetzen, die sie sich wünschte. „Meine Kleine ...“ Nika standen die Tränen in den Augen und auch Tristans waren ganz feucht. „Viele Kinder Sie haben hier“ versuchte der Onkel freundlich anzutasten. Er sah auf dem Kaminsims so viele Fotografien mit Kindern stehen. Da war doch ein Hinweis darauf, dass Kinder hier sehr freundlich aufgenommen wurden. „Ja, wir haben hier sehr viele Kinder. Alle noch recht klein“ antwortete Mokuba und setzte sich mit Seto gegenüber auf die Couch. „Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten? Tee oder Kaffee?“ Er drehte sich zu seiner Frau um und übersetzte auf Spanisch, aber sie schüttelte nur den Kopf. Man sah ihr an, dass sie selbst ziemlich müde und verzweifelt war. Ganz bestimmt tat sie sich auch nicht leicht, hier jetzt zu sitzen und das Kind zurückzugeben, welches sie selbst von hier fortgenommen hatte. „Nein, danke“ antwortete er dann und blickte zurück zu Tristan. „Bitte entschuldigen Sie, dass wir nicht kommen und anrufen. Wir hier wollten zu Arzt von Felicitas, wo sie schon kennt. Aber dann meine Frau und ich sagen, Felicitas muss kommen hier her. Bitte. Wir lieb haben, Mädchen. Sehr, sehr lieben wir Felicitas. Wir nicht wollen wegwerfen. Aber wir wollen, glücklich ist. Bitte. Sie müssen versuchen, dass sie glücklich ist. So gut als wir gekommen sind.“ „Nur, damit wir das nicht falsch verstehen“ bat Tristan ernst. „Sie wollen uns Feli nicht geben und dann wieder wegnehmen? Es ist nicht gut für sie, wenn sie ständig hin und her geschoben wird.“ „Ehm ... bitte ... Entschuldigung. Ich nicht weiß ...“ Das schien er nicht zu verstehen. Er gab sich Mühe mit der Sprache, aber verstehen tat er auch nicht alles. „Él pregunta si usted la devolverá después de que ella es curada“ sprach Seto und wurde überrascht angesehen. Auch wenn es nicht unbedingt überraschend war, dass er fließend Spanisch reden konnte. Es gab kaum eine Sprache, die er nicht gelernt hatte. **Was für ein Glück, dass es für den Rest der Menschheit im www Übersetzungstools gibt. Also fragt mich nicht, ob das alles so korrekt ist. Außer Englisch kann ich nämlich nix weiter. T_T** „Gracias“ nickte der Onkel freundlich. „Wir nicht wollen Felicitas wieder wegnehmen. Sie hier bleiben. Wenn Sie wollen, Señor Taylor. Sie und Ihre Frau. Wir nicht kommen und wieder wegnehmen. Wir sind wichtig, dass Mädchen glücklich ist. Sie so glücklich war mit hier.“ „Sólo queremos que ella tenga una vida buena” betonte die bis jetzt schweigende Tante und gestikulierte wild zu Seto, der sie wohl als Einziger hier verstand. „La vimos reírse cuando la recogimos. Pero ahora ver como ella es. Ella está tan triste. Nunca riéndose, nunca gritando. La Muchacha está como muerto! No quisimos que ella empeorara. Por favor perdónenos y tome su bolso. Por su proprio bien.” „Sie bedauert es sehr, dass sie Feli von hier weggeholt haben” übersetzte Seto für die beiden. „Sie sagt, sie möchte nur, dass sie wieder glücklich ist. Sie haben alles getan, damit es ihr gut geht, aber Feli hat wohl auf nichts reagiert. Deshalb bittet sie euch, dass ihr sie wieder zurücknehmt und ihnen verzeiht.“ „Wir sind nicht böse“ weinte Nika und drückte das leblose Püppchen fest an ihre Brust heran. „Wir sind nur glücklich, dass sie wieder hier ist. Alles andere werden wir auch schaffen. Wir sind unendlich dankbar. Oder?“ „Ja“ nickte auch Tristan und fand wohl kaum Worte. Dass Feli jemals wieder zurückkehrte, hätte auch er sich nicht träumen lassen. Sie war kaum ein paar Monate fort und noch hatten sie es nicht übers Herz gebracht, ihre Sachen wegzuschmeißen oder zu verschenken. Feli war noch in ihren Herzen und nun war sie auch persönlich wieder zurück. Wenn auch in denkbar schlechter Verfassung. Inzwischen hatte auch der Onkel seiner Frau die Antwort einigermaßen übersetzte und sie wirkte damit ein Stück erleichtert. Sie hatten dem Mädchen nur Gutes gewollt und dass es letztlich so geendet war, tat ihnen merklich leid. Sie hatten mit ihrer Liebe alles nur noch schlimmer gemacht und diese kleinen Wurzeln grausam aus der lockeren Erde gerissen. „Gracias“ hauchte Nika und blickte die Frau auf der anderen Seite des Tisches an. „Entschuldigung“ erwiderte sie mit feuchtem Blick. „Siento tanto. Entschuldigung.” Über den Tisch und alle Grenzen hinweg reichten die beiden einander die Hände und versöhnten sich. Niemand hatte wirklich etwas Böses gewollt, aber trotz all der guten Absichten war es Feli schlecht ergangen. „Wir bekommen das schon irgendwie wieder hin“ versuchte Tristan aufzubauen und nahm Felis schlaffe Hand, um sie vorsichtig zu küssen. Doch die Kleine zuckte nicht einmal. Sie war völlig abwesend, traurig, gebrochen. Allein gelassen in dieser großen, unbekannten, für sie so erschreckenden Welt. „Feli. Feli, mein Schätzchen.“ Nika setzte sie ein wenig gerader auf ihren Schoß und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu wecken. „Na, mein Schatz? Erkennst du das hier wieder? Zuhause? Ist das hier Zuhause?“ Doch keine Antwort, keine Reaktion. Diese dunklen Puppenaugen blieben leer. „Feli, erkennst du Papa wieder? Hm? Deinen Papi? Wo ist Papi?“ Aber auch Tristan erkannte sie nicht. Es war zu viel geschehen und sie hatte sich von dieser Welt zurückgezogen. Wie tot. „Seto ...“ „Sie scheint wie unter Schock zu stehen“ bemerkte er traurig und blickte sie mit liebevoll geneigtem Kopf an. „Na, Feli? Felimaus? Erkennst du mich? Hm, Süße? Möchtest du einen Keks? Oder Happy Birthday?” Aber nichts. Nichts von dem, was sie einst so liebte, weckte sie auf. Kein Schlagwort weckte ihr Interesse. „Sie nicht versuchen“ schüttelte der Onkel tieftraurig seinen Kopf. „Sie nicht antwortet. Sie so traurig ist. Niemals sagt ein Wort.“ „Aber irgendwo da drinnen ist doch unser Felimäuschen“ hoffte Nika und drückte sie an sich. „Schatzi, womit kann man dir eine Freude machen, hm? Was willst du denn? Was macht dich wieder froh?“ „Damals hat sie ja auf Happy voll reagiert“ meinte Mokuba. „Tiere wirken doch manchmal Wunder. Soll ich sie mal holen? Was ein Mal klappt, klappt vielleicht auch zwei Mal.“ „Einen Versuch ist es wert. Vielleicht braucht sie etwas, was sie kennt. Etwas, was für sie selbstverständlich war. Worauf sie sich immer verlassen kann. So wie, dass immer Tiere um sie sind“ nickte Seto, als sein kleiner Bruder sich erhob und mal sehen wollte, ob er nicht irgendwo ein Allheilmittel auftrieb. „Tiere?“ schaute der Onkel ihn traurig, aber freundlich an. „Sie haben Tiere hier?“ „Ja, ein paar“ antwortete Seto. „Feli liebt Tiere. Besonders Katzen.“ „Ja, damals hat sie nur unsere Katze gestreichelt und war gleich Zuhause“ erzählte auch Mokuba beim Rausgehen. „Ich werde mal sehen, ob ich irgendwo ...“ „WHUA! HÄSCHEN!“ Da hätte er Noah fast umgelaufen. „Guck doch nach vorne!“ Der wollte doch nur zur Tür herein und schon stieß man in der Mitte zusammen. So viel Verkehr, damit rechnete man ja nicht. „Sorry, Hase“ entschuldigte er. „Ich war mit den Gedanken gerade woanders. Ich wollte mal Happy herholen.“ „Willst du sie nicht mal ein bisschen in Ruhe lassen? Sie hat ...“ Aber da hörte er auch auf mit seiner Belehrung als er hineinblickte und dort Feli und zwei Unbekannte sitzen sah. Aber vor allem sah er Feli. „Feli?“ „Ja“ antwortete Seto kurz. „Sie ist zurück. Es geht ihr nicht gut.“ „Na, das sieht man ja. Ach, armes Mäuschen.“ Noah war zwar nicht besonders vernarrt in Kinder, aber lieb haben, tat er die Kleinen hier auch. Und Feli war ihm immer mit die Liebste gewesen. Sie war ein bisschen frech, aber sonst unaufdringlich. Noah kam besser mit unaufdringlichen Kinder klar. Jetzt kam er erstrecht herein und begrüßte aber zuerst die Gäste mit einem Handschlag. „Guten Tag. Noah Kaiba. Guten Tag.“ Von beiden bekam er jeweils ein freundliches Nicken zur Antwort, bevor er sich umwand und selbst mal nach Feli schaute. „Darf ich sie denn anfassen?“ „Ja, natürlich“ nickte Nika als er sich herunterkniete und ihr auf gleicher Höhe in die leeren Augen blickte. Seine arme Feli. Ganz blass und abgenommen hatte sie auch. Als er sie das letzte Mal sah, strahlte sie wie die Sonne persönlich. Jetzt war sie kaum noch ein Sternchen. „Na, mein Mäuschen?“ versuchte er es und nahm ihre hängende Hand mit nur einem Finger. „Wie geht’s dir, Süße? Alles gut?“ Aber auch er bekam keine Antwort. Sie sah ihn nicht mal richtig an, sondern eher an ihm vorbei ins Nichts. Aber Noah hatte eine ganz besondere Waffe. Er griff in die Tasche seiner baumwollenen Stickjacke und zog ein grün eingepacktes Minzbonbon heraus. Die, welche er selbst gern aß und Feli häufig eines abgeben musste. „Na, Feli? Ein Bonbon für das Mäuschen?“ Das wirkte wie ein Zauberspruch. Ihre Augen belebten sich und wanderten langsam zu seiner Hand, welche das leckere Stück hochhielt. Sie fixierte es und wenn das keine Reaktion war, dann war Noah kein Kinderstar. Allgemeines Staunen breitete sich aus, als Noah langsam begann, das Bonbon auszuwickeln und Feli schon ihre kleine Hand danach streckte. Noahs Bonbons waren immer das kleine Highlight eines jeden Tages. „Noah ...“ Auch Nika konnte es kaum glauben. Die Kleine war so fertig mit der Welt und da kam Noah mit einem Bonbon und einem Lächeln und knackte ihre harte Schale mit so weichen Mitteln. „Na, möchtest du einen Bonbon?“ lächelte er die Kleine liebevoll an und sie begann sogar, den Blick in seine Augen zu erwidern. „Feli? Ist das ein Bonbon?“ „Ja?“ guckte sie ihn fragend an. „Ein Bonbon? Feli, ist das ein Bonbon?“ „Donndonn. Nona Donndonn? Ja?“ „Jaaaaaa! Super, Feli! Ein Bonbon von Noah!” „Feli? Nona Donndonn?” Jetzt musste er ihr das aber auch geben. Und weil es zu groß für ihren kleinen Mund war, biss er mit einem Knack die Hälfte davon ab und teilte sich das mit ihr, so wie immer. Er lutschte die eine Hälfte und legte dann seine Hand in ihre. Und zusammen führten sie das Minzstück zu ihren kleinen Lippen und ließen es im Mund verschwinden. Dass Noahs Bonbons für Feli ein so wichtiges Lebenselement waren, hätte wohl niemand gedacht. Aber das war für sie ein großes Stück Zuhause. Ihre Tante brach in Tränen aus und musste von ihrem Mann festgehalten werden. Was sie mit so viel Mühe und Aufwand versucht hatte, schaffte dieser Mann mit nur einer kleinen Geste. Obwohl sie ihre leibliche Verwandte war, fühlte Feli sich nur hier Zuhause. Hier ging es ihr gut, weil sie das erste Mal echte Liebe, echte Geborgenheit erfahren hatte. Und Noahs Bonbons waren das erste Ritual, welches sie entwickelt hatte. Das Erste, was immer wieder zurückkehrte. Worauf sie sich verlassen konnte. Und es war das Erste, was sie wieder annahm. „Na, siehst du? Ist doch alles gar nicht so schlimm“ lächelte er und streichelte ihr liebevoll über ihr dunkles Haar. „Meine kleine Freundin, hm?“ Sie antwortete ihm jetzt auch nicht weiter, sondern lehnte sich einfach nur an Nika zurück, legte ihre Hände auf den Arm, der sie festhielt und lutschte ihren Bonbon. Sie war noch lange nicht wieder ganz die Alte, aber den ersten Schritt hatte sie zurück in Richtung Heimat getan. Und sogar noch mehr. „Noah ... danke.“ Tristan wusste nicht recht, wie er ihm das danken sollte. Wenn er und selbst Nika so ratlos davorstanden, kam er auf eine so einfach Idee. Ihm rollten die Tränen aus den Augen und weinen sah man ihn wirklich nicht häufig. Aber das hier war seine Tochter und sie zurückzuhaben, war das Beste, was ihm passieren, mehr als er sich wünschen konnte. „Wuewue?“ Feli guckte ihn an und streckte ihre Hand nach ihm aus. „Babbi wuewue?“ „Nein, Papi hat kein Wehweh“ schnupfte er und kam verheult heran, um ihre Stirn zu küssen. „Papi ist froh, dass seine Feli wieder da ist. Bist du auch froh, Flitzetässchen?“ „Babbi ...“ Sie schloss die Augen und ihre Welt bewegte sich langsam wieder zurück, so wie sie es kannte. Jetzt kam sie ganz langsam auch seelisch zurück in ihr richtiges Zuhause. „Babbi ... Mama ... Nona ... Feli hause gehn …“ Kapitel 2: Kapitel 6 - 10 ------------------------- Chapter 6 Noch eine halbe Stunde Zeit bis der Hubschrauber landete. Geduscht hatte Noah nach dem Frühstück bereits, die Pflegekur in seinem Haar brauchte noch ein paar Minuten bis sie unter dem Handtuch ganz eingeweicht war und die Joghurtmaske für weiche Haut zog auch noch einen Augenblick. Zeit genug, um mal eben in Ruhe zu telefonieren. Ja wohl, in Ruhe! Denn er war heute Morgen überraschend Strohwitwer. Mokuba hatte die Nacht bei seinem Freund Toba verbracht, da er gestern nach der Geburtstagsfeier einfach hoffnungslos zu besoffen war, um noch selbst zu fahren und Roland wollte er dafür nicht extra rausklingeln. Der hätte bei einem betrunkenen Moki mit schwerer Zunge wohl auch so seine Freude gehabt. Na ja, aber so ein Morgen ohne Wuschel war auch mal ganz nett. Man wachte mit der eigenen Bettdecke auf und konnte auch mal in Ruhe die Nachrichten im Radio hören, ohne ständig gelangweilte Kommentare dazu zu bekommen. Aber morgen früh wollte er ihn irgendwie doch ganz gern wiederhaben ... ihn und seine schnippischen Kommentare. Er setzte sich an den Laptop, klappte ihn auf und binnen Sekunden waren alle Programme bereit. Noah wusste schon, warum er kein Windows benutzte. In seiner Internetzeit war ihm das bereits zuwider und das würde sich wohl auch nie ändern. Selbstprogrammierte Software war wesentlich angenehmer. Irgendwie etwas individueller und noahfreundlicher. Er brauchte seinen Laptop nur ansehen und der wusste, was sein Herr von ihm wollte. Er drückte die richtige Tastenkombination und es tat sich ein schwarzes Fenster auf. Er hörte es ein Mal tuten, zwei Mal, drei Mal, vier Mal. „Kaiba?“ Bis er eine Antwort bekam. „Guten Morgen, Papa“ lächelte er das schwarze Fenster auf seinem Monitor an. „Noah, guten Morgen!“ Gordon freute sich hörbar, dass er anrief. „Es ist doch schon halb neun. Bist du noch nicht auf Terminen?“ „Heute nicht“ antwortete er und lehnte sich in seinem gemütlichen Lederstuhl zurück. Zum Glück konnte sein Vater nicht sehen, wie er da mit Handtuch auf dem Kopf und Joghurtmaske im Gesicht in seinem Bademantel mit Bommelpuschen den Morgen langsam angehen ließ. „Ich hab heute einen Auswärtstermin in Sho-Town und mein Shuttleservice kommt erst in einer halben Stunde. Und da ich gerade Zeit hatte ...“ „Dachtest du dir, du rufst mal kurz an. Das finde ich aber nett.“ „Nicht wahr?“ schmunzelte er. „Halt mich bitte nicht für blöd, aber ... wo bitte liegt Sho-Town?“ „Shoratawia“ erklärte er. „Sho-Town sagt Joey immer. Straßenslang ist ansteckend.” „Shoratawia“ wiederholte Gordon nachdenklich. „Kann es sein, dass ich neulich einen Bericht über einen Solarturm gesehen habe, der da errichtet werden soll?“ „Kann sein. Das ist meiner“ gab er fröhlich zu. „Neue Zweigstelle unseres Privat- und Firmenkundendienstes für Solaranlagen. Dauert aber noch ein Jahr bis das Gebäude fertig ist.“ „Wow, das ist dein Turm? Von der Kaiba Corp.?“ „Na ja, eher von der JOS. Deshalb heißt er auch JOS-Tower. Aber da die JOS eine hundertprozentige Tochter der Kaiba Corp. ist, gehört das Gebäude natürlich zu uns. Ich werde die Baustelle heute besichtigen, aber deshalb fahre ich nicht extra hin. Ich hab ein Meeting mit der Wirtschaftsdelegation und will versuchen, Steuervorteile auszuhandeln. Mein Problem ist, dass die JOS zu viel Grundkapital für die Subventionen einsteuert, die ich Anfang letzten Sommers fest mit eingerechnet habe. Nachdem aber zum 1. Januar der §195 im dritten Absatz mit zu geringem Vorlauf geändert wurde, kann ich das jetzt nicht mehr rückgängig machen. Wenn Sho-Town jedoch möchte, dass die JOS ihren Hauptsitz nicht nach Domino zum Mutterkonzern verlagert, sollten mir die Herren Wirtschafter etwas entgegenkommen. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern vor allem Setos. Wenn der mitbekommt, dass uns da Geld durch die Lappen geht, wird er ganz schnell einen neuen Finanzierungsplan erstellen, der dann für Sho-Town schlecht ausgeht. Zumal Domino natürlich sehr daran gelegen ist, dass wir neue Unternehmen lieber hier aufbauen.“ „Ich glaube, davon verstehst du mehr als ich ...“ Mit diesem Wirtschaftskram kannte er sich nämlich nicht besonders gut aus. Er war Kunstrestaurator und große Konzerne waren für ihn schillernde Glasbauten. Da fehlten ihm schlicht die Kenntnisse über Gesetze, Subventionen und so weiter. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht langweilen“ entschuldigte Noah. Er vergaß manchmal einfach, dass er zwar mit Seto so reden konnte, aber sein Vater damit nicht viel anzufangen wusste. „Oh nein, du langweilst mich nicht. Ich kann nur leider nicht viel mehr tun, als dir zuzustimmen. Du wirst schon Recht haben.“ „Eigentlich rufe ich auch nicht an, um von so drögen Sachen zu sprechen“ meinte er lieb. „Ich wollte eigentlich mehr hören, wie es euch geht. Ist Celines Erkältung besser geworden?“ „Hast du ne Ahnung“ seufzte er. „Sie geht mir schon wieder auf den Senkel. Sie hat jetzt mal wieder beschlossen, dass sie abnehmen will und meldet sich ständig zu irgendwelchen Sportkursen.“ „Was ist so schlimm daran, dass sie abnehmen will? Sie sieht zwar nicht schlecht aus, aber ... na ja ...“ „Sie ist ein Pummelchen. Sag es ruhig“ lachte er. „Mir macht das nichts und ihr eigentlich auch nicht. Das Ding ist nur, dass sie das Auto nimmt, um in die Stadt zu ihren Kursen zu fahren und ich dann hier nicht besonders mobil bin.“ „Warum schafft ihr euch nicht einen zweiten Wagen an? Oder habt ihr nicht die Finanzen? Ich könnte ...“ Gordon und Celine besaßen nämlich nur einen alten Transporter, dem ständig die Antenne abfiel. Ein ziemlich altes Schrottteil **Tripple**, welches sie liebevoll mit Blumen zu einem Hippiebus bemalt hatten. Noah fragte sich schon lange, warum sie sich keinen neuen kauften und würde gern ... aber mit seinem Reichtum protzen wollte er auch nicht. Er wollte seinen Vater nicht beleidigen, indem er ihm einen überteuerten Wagen kaufte. Noah befürchtete, er könne das falsch auffassen ... obendrein waren Gordon solche Dinge auch nicht wichtig und vielleicht würde er sich nicht mal freuen. „Quatsch, wir brauchen kein zweites Auto“ versicherte er, was Noah nicht besonders überraschte. „Ihre Sportanfälle dauern meistens nicht mehr als zwei oder drei Wochen und dann bleibt sie wieder Zuhause und der Wagen wird nur noch zum Einkaufen benutzt. Und die Kunstgegenstände kommen per Spezialtransport zu uns. Also müssen wir nicht mal ...“ „Papa, mit wem telefonierst du schon wieder?“ hörte Noah eine helle Mädchenstimme Stimme aus dem Hintergrund. Das war doch sicher Patrice. „Ich muss auch mal. Es ist halb neun, das weißt du doch! Wer ist da dran?“ „Noah“ antwortete er kurz. „Du kannst Sharon doch übers Internet anrufen. Dann wird das nicht wieder so teuer.“ „Ich kann aber nicht ins Internet, wenn du telefonierst. Ich hab dir gesagt, wir brauchen ISDN, aber du ... Moment! NOAH?! DER NOAH?!“ „Schrei nicht so. Entschuldige, Noah“ wand er sich wieder an ihn. „Was sagtest du eben?“ „Gar nichts“ lächelte er. Manchmal wünschte er sich, er wäre wie Patrice aufgewachsen. Während sie versuchte, ihren Vater von der Zweckmäßigkeit eines ISDN-Anschlusses zu überzeugen, musste er für seinen damals vermeintlichen Vater eigene Softwareprogramme entwerfen. Tatsächlich lagen zwischen ihnen ganze Welten. Er fragte sich, ob er wohl heute ein anderer Mensch wäre, wenn er ebenfalls mit Gordon als Vater großgeworden wäre. „Grüß sie mal lieb von mir.“ „Gruß“ gab er zur Seite weiter. „Sie nickt“ gab er zurück. „Etwas sprachlos auf ein Mal.“ Aber sie war nun mal noch immer ein Fan und wenn sie wusste, dass Noah mithörte, wurde sie auch gleich viel leiser. Man wollte sich ja nicht blamieren. „Warum ist sie denn nicht in der Schule? Sind noch Ferien?“ „Wasserrohrbruch im Schulgebäude. Alle haben seit gestern schulfrei. Aber morgen muss sie wieder hin. Falls die Handwerker heute Vormittag noch fertig werden, geht ne Telefonkette rum, dann muss sie noch zum Nachmittagsunterricht. Das klappt in der Dorfschule wohl ganz gut. Sie hat ... warte mal.“ Er hielt anscheinend den Hörer weg, auch wenn Noah ihn noch leise hörte. „Das werde ich ihn nicht fragen. Nimm den Zettel weg. Sorry, Noah. Noch mal, bitte.“ „Was will sie denn?“ Was sollte er fragen, was er nicht wollte? Hatte Patrice ihm ehrlich einen Zettel geschrieben, damit er Noah was fragte? „Gib sie mir mal.“ „Na fein. Selbst Schuld, Paddy. Jetzt kannst du ihn selbst fragen. Hier.“ Noah hörte es rascheln und es war davon auszugehen, dass er soeben weitergereicht worden war. „Patrice?“ „Guten Morgen, Noah“ antwortete sie vorsichtig. „Guten Morgen“ lächelte er. Eigentlich war sie ziemlich vorlaut, aber vor ihm zügelte sie sich immer. Auch wenn sie jetzt wusste, dass sie im entfernten Sinne seine kleine Schwester war, ließ sich ihre Schwärmerei für ihn jedoch nicht ganz verbergen. Sie war eben erst zehn, fast elf und vielleicht war Noah für sie die erste, fast ernste Verliebtheit. „Na, genießt du deine freien Tage?“ „Geht so“ meinte sie. „Mama ist ja mit dem Auto weg, also kann Papa mich nicht zu meiner Freundin fahren.“ „Dann fahr doch mit dem Rad.“ „Zu kalt“ meinte sie. „Und ... was machst du?“ „Ich muss mich gleich zum Termin fertig machen. Wolltest du nicht, dass Gordon mich was fragt?“ „Ich ... ähm ...“ Tja, jetzt war ihr das wohl doch peinlich. Sich selbst zu trauen oder jemand anderen zu bitten, waren zwei verschiedene Sachen. „Nun frag schon“ lachte er. „Du wirst es wohl kaum an die Bravo verkaufen.“ „Äh ... ich wollte wissen ... ob du ... ähm ... was hast du denn heute an?“ „Heute?“ Er sah an sich hinunter. Für gewöhnlich war er immer topp gekleidet und mehrfach von Mädchen ihres Alters zum Best Dressed Man gewählt worden. Aber von seinem jetzigen Zustand gab es wohl nur streng gehütete und von Noah offiziell verbotene Familienschnappschüsse. „Um ehrlich zu sein, sitze ich hier noch im Bademantel. Ich hab flauschige Puschen an, ein Handtuch auf dem Kopf und ne Joghurtmaske im Gesicht.“ „Ähm ... echt?“ Zu gern würde er jetzt ihr erstauntes Gesicht sehen. Es war sich wohl schwer vorzustellen, dass auch ein Noah Kaiba nicht adrett gekleidet aus dem Bett stieg. „Ja, echt“ lachte er. „Aber für gleich hab ich mir einen dunkelblauen Anzug mit silbernen Nadelstreifen rausgelegt. Dazu ein weißes Hemd und schwarze Stiefeletten.“ „Aha ... und trägst du auch Schmuck?“ „Werde ich wohl. Ich glaube, ich nehme den Silberring mit den Rosenranken und den schlichten ohne Verzierung. Vielleicht nehme ich noch die Kette mit meinem Sternzeichenanhänger und das passende Armband dazu.“ „Und hast du auch diesen süßen Ohrring?“ „Süß? Meinst du den, mit dem grinsenden Sternchen, den Nini mir geschenkt hat?“ „Nein, den mit der blauen Perle. Das würde doch gut zu einem dunkelblauen Anzug passen.“ „Hm, ja. Das ist eine gute Idee. Ich glaube, den nehme ich.“ So schlecht war die Idee wirklich nicht. Es war ja nicht so, dass er dicke Klunker am Ohr trug. Schließlich musste er als Geschäftsmann einigermaßen gedeckt auftreten. Aber so eine kleine Perle, nicht größer als eine Träne, war kein Fauxpas. „Danke für den Tipp.“ „Bitte“ antwortete sie schüchtern. „Wo fährst du denn hin?“ „Nach Shoratawia, um da jemanden zu treffen.“ „Sho-Town?“ horchte sie gleich auf. „Wird da nicht gerade der neue JOS-Tower gebaut? Der soll doch total solarbetrieben werden, oder?“ „Du bist ja gut informiert“ lachte er. Sie wusste wohl besser über Noahs Geschäfte bescheid als Gordon. Schließlich gierte sie nach allem, was ihr Schwarm so tat. Und zu wissen, was er gern für Schmuck trug, war da nur der Anfang. Wahrscheinlich kannte sie sogar seine offiziellen Hobbys besser als Mokuba, der sich nicht halb so sehr für Noah ereiferte. Würde man den fragen, würde er nicht mal wissen, was JOS überhaupt war. Eigentlich traurig. „Oh ja!“ antwortete sie aufgeregt. „Nächste Woche halte ich ein Referat über Solarenergie und da nehme ich den JOS-Tower als Beispiel. Wegen des Schulausfalls ist meine blöde Parallelklasse da auch heute hingefahren, aber eben nur die. Ohne mich, obwohl die Lehrerin genau weiß, dass ich da hin will. Toll. Aber die sind sowieso alle blöd. Ich hab mir aber schon Fotos aus dem Internet gesucht. Aber die JOS hat noch gar keine eigene Homepage, oder? Ich meine, außer das bisschen.“ „Ja, die Seite ist noch nicht so groß“ gab er zu. „Bis jetzt ist die JOS ja noch eine Briefkastenfirma. Die Produktentwickler stellen mir nächste Woche ihre Konzepte vor und dann wird in der Woche darauf hoffentlich endlich die Palette feststehen. Dann können wir anfangen, die ersten Kunden an Land zu ziehen. Zumindest die Firmenkunden. Die Privatkunden akquirieren wir dann im Herbst. Aber darum kümmert sich dann Joey. Sobald die Gesellschaft steht und es an die Kunden geht, ziehen Seto und ich uns da raus. Seto macht dann noch eine Weile das Controlling, aber dann geht alles nach und nach auf den Geschäftsführer über. Den ich übrigens auch noch suchen muss.“ „Du bist ganz schön beschäftigt, oder?“ „Na ja. Ist ganz normal. Hört sich wichtiger an als es ist“ spielte er das herunter. „Und bei dir läuft die Schule gut?“ „Geht so.“ „Also, wenn ich dir bei deinem Referat zum Beispiel helfen kann, sag bescheid. Ich bin ja zufällig gerade heute in Sho-Town. Brauchst du noch irgendwas, was ich dir mitbringen könnte?“ „Vielleicht neue Fotos“ sagte sie vorsichtig. „Die im Internet sind ja von vor zwei Monaten. Mittlerweile werden doch schon die ersten Solarzellen angebracht ... oder?“ „Stimmt, einige sind schon dran“ meinte er, als ihm eine spontane Idee kam. „Sag mal, hast du heute schon was vor?“ „Ähm ... wieso?“ Jetzt wurde sie nervös. Aber richtig mit Herzklopfen. Sie hoffte, dass er wirklich gleich das sagte, was sie befürchtete, aber auf der anderen Seite bekam sie langsam das Flattern. „Weißt du, ich fahre heute kurz beim JOS-Tower vorbei. Wenn du magst, nehme ich dich mit. Dann kannst du dir das mal vor Ort ansehen. Es schreibt sich leichter darüber, wenn man es selbst mal gesehen hat. Und diene Fotos kannst du dann selbst machen.“ „Aber ... du willst mich echt mitnehmen?“ „Natürlich“ lachte er. „Warum denn nicht? Oder bist du schon verabredet? Wolltest du nicht zu deiner Freundin?“ „Nein! Aber störe ich dich denn nicht? Da laufen doch bestimmt wichtige Männer rum und ...“ „Ach, das Meeting dauert nicht lang“ beruhigte er. „Vielleicht ne halbe Stunde oder so. Eigentlich lohnt es sich gar nicht richtig, überhaupt extra hinzugehen, nur um denen meine Meinung zu sagen, aber ich dachte, bei der Gelegenheit kann ich gleich die Baustelle besichtigen. Und wenn dir das hilft, nehme ich dich mit.“ „Aber ... aber ... ich ... echt?“ „Ja, echt“ schmunzelte er und war froh, dass sie jetzt sein Gesicht nicht sah. Sie war nicht die einzige, die Herzklopfen bekam. Immerhin war Noah drauf und dran, den ersten Ausflug mit seiner kleinen Schwester zu unternehmen. Das war für ihn auch eine neue Situation. Geschwister hatte er nie gehabt und fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, ein großer Bruder zu sein. „Wenn es dir passt, bin ich so in einer Stunde da und hole dich ab.“ „Wirklich? Ich ... aber ...“ „Sag einfach ja.“ „JA!“ rief sie und es ging ein Knallen durch die Leitung. Wahrscheinlich hatte sie gerade den Hörer runtergeschmissen vor lauter Glück. „Also, dann kommst du gleich schon? Heute? Wirklich jetzt gleich?“ atmete sie aufgeregt. „Ja, gleich“ versprach er. „Gibst du mir Gordon noch mal?“ „JA!“ Es raschelte kurz und dann hörte man es in der Ferne stampfen, als auch Gordons lachende Stimme erschien. „Was hast du denn mit der gemacht?“ kicherte er. „Sie ist ja ganz aus dem Häuschen.“ „Nicht nur sie“ seufzte er und fühlte, wie ihm unter der Maske ganz warm wurde. „Ich hab sie gefragt, ob sie mich nach Sho-Town begleiten möchte.“ „So was brauchst du sie nicht fragen“ meinte Gordon sicher. „Natürlich will sie mit. Du weißt doch, wie sie auf dich fliegt.“ „Das heißt, wenn es dir nichts ausmacht.“ „Nein. Warum sollte es mir etwas ausmachen?“ „Na ja, vielleicht möchtest du sie nicht mit mir weglassen. Ich meine, sie ist doch noch fast ein Kind. Außerdem muss sie doch eventuell noch zum Nachmittagsunterricht.“ „Noah“ seufzte er. „Weißt du, was passiert, wenn ich jetzt nein sage? Dann hab ich hier tagelanges Gezicke und hassen wird sie mich für den Rest meines Lebens. Mal abgesehen davon glaube ich schon, dass du gut auf sie Acht geben wirst. Im Gegensatz zu meiner wilden Tochter, ist mein Sohn nämlich verantwortungsvoll und erwachsen.“ „Ja“ lächelte er und senkte überflüssiger Weise seinen Blick. „Danke, Papa.“ „Sei nicht nervös“ baute er ihn liebevoll auf. „Ich bin froh, wenn ihr euch gut versteht. Paddy ist zwar nicht meine leibliche Tochter, aber ich liebe sie so als wäre sie es. Und dich liebe ich auch. Ich würde mich freuen, wenn ihr zusammenwachst wie echte Geschwister. Trotz des Altersunterschiedes.“ „Ich versuche es“ versprach er gerührt. „Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich hoffe, dass sie mich dann immer noch mag, wenn sie erst mal hinter die Fassade von Zeitschriftenbildern blickt.“ „Weißt du was?“ fragte er weich. „Ich glaube, du bist genau so ein Saubermann wie die Zeitschriften dich darstellen. Ich denke nicht, dass du dich in der Öffentlichkeit groß verstellst. Dafür wirkst du zu authentisch.“ „Trotzdem bin ich nicht so perfekt, wie man meint.“ „Das ist niemand, Noah. Und das erwartet auch niemand. Setz dich nicht so unter Druck. Ich liebe dich und Paddy liebt dich auch. Natürlich zeigst du deine weichen Seiten nicht vor den Medien, aber jeder weiß, dass sie da sind. Ich denke, das ist das, was dich menschlicher macht als meinen Bruder. Deshalb bist du ein guter Mensch.“ „Meinst du?“ „Natürlich. Ich weiß noch früher, da hast du dich in der Badewanne immer unter Handtuchbergen versteckt, wenn du etwas falsch gemacht hast. Wenn du beispielsweise einen Keks geklaut hattest, den du eigentlich nicht durftest. Du hast ein gutes Rechts- und Unrechtsbewusstein schon seit Kindesbeinen an. Du hast immer versucht, deine Fehler zu verbergen. Und deshalb glaube ich, dass du ein guter Mensch bist. Hab keine Angst, dass wir dich nicht akzeptieren. Du gehörst zu uns, egal welche Fehler du hast. Zu Paddy, zu Celine und zu mir. Und glaube mir, Paddy wirst du auch von deinen Fehlern begeistern können“ tröstete er ihn mit einem Lachen. „Deine Hardcore-Fans kannst du nicht verschrecken. Verlass dich auf mich. Sie vergöttert dich.“ „Wenn du meinst“ lächelte er leise in den Hörer. „Danke, Papa.“ „Schon gut. Mal was anderes. Soll ich Paddy irgendwo hinbringen?“ „Du hast doch kein Auto.“ „Kein Problem. Ich frage einen Freund, ob er sie nach ... wie sagst du? Sho-Town?“ „Genau.“ „Ob er sie nach Sho-Town bringt. Dann hast du keinen Umweg.“ „Ist kein Umweg. Nur ein Abstecher“ meinte er. „Dann mache ich mich jetzt auch langsam fertig. Ich bin dann so in einer Stunde da.“ „Eine Stunde?“ wiederholte er. „Ich hab das so verstanden, dass du nicht mal angezogen bist. Und mit dem Auto brauchst du schon knapp mehr als ne Stunde bis zu uns. Hetz dich lieber nicht, bevor du noch einen Unfall baust.“ „Ich muss nicht hetzen. Alles ganz entspannt“ lächelte er und tippelte freudig auf seiner Stuhllehne herum. „Du wirst schon sehen. Heute versuche ich mal, meiner kleinen Schwester das Gefühl zu geben, als sei sie eine moderne Prinzessin.“ Chapter 7 Noah stieg aus dem Hubschrauber und knallte die schwere Tür hinter sich zu. Mit dem Auto hätte er über eine Stunde gebraucht, mit dem Helikopter war er besser als doppelt so schnell. Und es war gut, dass direkt neben dem alten Haus seiner Großeltern ein großes Feld lag, welches jetzt im frühen Frühjahr noch nicht vom Bauer bestellt worden war. Da ließ es sich gut landen. Er stöckelte vorsichtig mit seinen auf Hochglanz polierten Stiefeletten über den stoppeligen Ackerboden und kam auch erstaunlich sauber auf dem Straßenasphalt an. Er knöpfte sich sein Jackett gegen die Kälte zu und ging schnellen Schrittes zu dem Haus mit dem schönen Garten. Jetzt im Frühjahr war die Hecke vom Winterschnitt noch sehr niedrig und so sah er seinen Vater auf die Terrasse treten, während er selbst gerade das seitliche Gartentor öffnete, um in den Garten zu gelangen. Eigentlich wollte er ja vorn herum durch die Haustür und höflich klingeln, aber wenn man ihm schon entgegenkam, nahm er auch den Familieneingang. Wenn jemand Zuhause war, nahm man immer den Garteneingang, so hatte Celine es ihm mal gesagt. Vorn herum kam sonst nur offizieller Besuch. Freunde und Familie kamen immer durch den Garten. Ihm drangen dumpfe Töne an die Ohren, die er spontan aber nicht zuordnen konnte. Vielleicht befand sich in der Nähe eine Vogelhorde, die zwitscherte oder es quietschen Zuggleise. Die Töne hier waren irgendwie wie Zuhause, aber auf der anderen Seite auch anders. Schon komisch, wie jeder Ort seinen eigenen Klang hatte. Ebenso wie seinen eigenen Duft. Hier roch es anders als im Garten der Villa, eigentlich mehr nach feuchter Erde, nach Wald und Regen. Auf dem Lande wirkte alles noch so frisch und ruhig. Irgendwie schlafend. „Guten Morgen“ grüßte Noah, als er über den nassen Rasen auf Gordon zuschritt, der sich noch seine helle Strickjacke festzurrte, da es doch noch ziemlich frisch war. „Guten Morgen, Noah“ grüßte er und sah von der Seite zu ihm zurück. „Erzähl mir nicht, du bist wirklich mit dem Hubschrauber gekommen.“ „Wird sonst schwierig, es an einem Tag nach Sho-Town und bis nachmittags wieder zurück zu schaffen. Oder hat dein Bauer etwas dagegen, dass ich sein Feld als Landeplatz missbraucht habe?“ „...“ Antworten konnte er erst mal gar nicht, sondern verarbeitete einfach nur, dass sein Sohn mit Hubschraubern flog wie andere Leute das Fahrrad benutzten. Aber Noah lebte nun mal in einer anderen Welt. „Ich glaube, das merkt er gar nicht“ meinte er mit schüttelndem Kopf und breitete seine Arme aus. „Komm erst mal her.“ Mit einem Lächeln trat Noah auf ihn zu und erwiderte seinen festen Drücker. Erst mal begrüßen, vorher ging gar nichts. „Komm rein, es ist kalt“ bat er und ließ Noah vor sich selbst ins Wohnzimmer eintreten. Anscheinend war er für Besuch gerade nicht gerüstet. Es lag ein ganzer Haufen Bügelwäsche auf dem Sessel, sodass man gar nicht sitzen konnte. Und das Geschirr vom Frühstück stand auch noch auf dem Tisch. Das war wieder eine Welt, die Noah nicht kannte. Einfach Wäsche herumliegen oder Geschirr stehen zu lassen, wäre für Gozaburo eine Katastrophe gewesen. Noah war es gewohnt, dass alles keimfrei und in pingeliger Ordentlichkeit aufgeräumt war. Aber hier herrschte häusliche Gemütlichkeit. Wen störte schon eine nicht zusammengelegte Wolldecke oder die liegengelassene Chipstüte vom Vorabend? Es war ja nicht unordentlich ... nur eben nicht sofort weggeräumt. „Sorry, ich bin gerade erst seit fünf Minuten angezogen und kam noch nicht zum Aufräumen“ entschuldigte er und faltete wenigstens schon mal die Wolldecke zusammen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich so schnell hier bist. Sonst hätte ich noch ein bisschen Ordnung gemacht.“ „Stört mich nicht. So würde es bei uns auch aussehen, wenn ich nicht ständig hinter Moki herräumen würde. Und da Yugi gegen eine Haushaltshilfe ist ...“ „Echt? Bist du so ein Ordnungsfanatiker?“ lachte er und drehte sich zu ihm herum. „Eigentlich nicht. Mein Freund ist nur ein kleiner Faulpelz, den so was nicht stört. Aber mich stört es schon, wenn nach drei Tagen immer noch seine Schuhe unterm Tisch stehen.“ „Kann ich verstehen. Ich räume meinen Mädchen auch ständig hinterher. Aber das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Du siehst es ja. Hier liegt immer noch Celines Müll von gestern“ seufzte er und knüllte die Chipstüte zusammen. „Chips? Ich dachte, sie wollte abnehmen.“ „Ich hab’s mir abgewöhnt, sie belehren zu wollen. Da verliere ich nur.“ „Kenne ich“ stimmte er mit ein. Mokuba war da ähnlich. Er sagte, er wolle mit Sport anfangen und ging erst mal schön fernsehen. Oder er wollte mehr lernen und besuchte vorher noch die nächste Fete. Er wollte ja auch Hello erziehen und ... na ja, das eine, was er wollte und das andere, was er tat. „Wir sind doch echt gebeutelt, was?“ tröstete er seinen Leidsteiler und warf die alte Verpackung in den Küchemülleimer. Und wo er eh gerade mit einem Fuß in der Küche stand: „Möchtest du vielleicht noch was frühstücken? Brötchen sind noch fast warm.“ „Danke, ich hatte schon mein Müsli heute“ verneinte er. „Vielleicht einen Tee? Oder Kaffee?“ „Danke“ lächelte er. „Ich bin für halb zwölf in Sho-Town angekündigt und würde gern gleich los.“ „Dann werde ich sie mal holen. Rufen bringt ja nicht viel.“ „Warum?“ „Sag bloß, du hörst das nicht“ nickte er missmutig an die Zimmerdecke. „Sie hört schon wieder so laut Musik, dass sie nicht mal deinen Hubschrauber mitgekriegt hat.“ „Ach, das sind diese Töne. Die sind mir schon draußen aufgefallen.“ Ja, jetzt konnte er das auch zuordnen. Das war laute Musik, die gedämpft durch die Wände und Fensterschreiben drang. Klang ein bisschen wie Zuhause, aber da waren die Wände ein wenig besser gedämmt. „Ist aber ziemlich hoch. Was ist das für ne Band? Rockmusik ist das nicht ... oder? Hört sie Klassik?“ „Das müsstest du eigentlich kennen.“ Gordon drehte sich herum, ging durch die offene Flurtür hinaus und stieg die Treppe hinauf. Weil er weiter nichts gesagt hatte, trollte Noah sich einfach ihm nach. „Das ist Klassik. Die CD von Pasrahcals Violinenkonzert.“ „Ach“ stutzte er. „Der Mitschnitt vom Herbstball, als Seto unter falschem Namen aufgetreten ist?“ „Ich steige da nicht mehr durch, durch die ganzen Sachen, die ihr da verzapft“ lachte er. „Ich weiß nur, dass ich ziemlich viel Geld bezahlt hab, um ihr das zu Weihnachten zu schenken. Wusstest du, dass allein die Kopien unter dem Ladentisch ein kleines Vermögen kosten?“ „Ja, weiß ich. Damals wurde nur eine Auflage von 5000 Stück gepresst und eine Neuauflage gab es nicht. Wie viel hast du denn bezahlt?“ „Halt dich fest“ warnte er, als er auf der obersten Stufe angekommen war und sich ernst zu Noah umdrehte. „400 Dollar.“ „Wie bitte?“ schluckte Noah perplex. „So viel Geld für eine CD?“ „Für die Kopie einer CD“ berichtigte er. „Die sind hoch gehandelt, aber was sollte ich machen? Paddy hat mir wochenlang in den Ohren gelegen, als sie mitgekriegt hat, dass jemand Raubkopien davon verkauft.“ „Wer tut denn so was?“ Das war doch kaum zu glauben! Er hatte doch nicht ernsthaft so viel Geld für die Kopie eines Klassikkonzertes ausgegeben! „In Domino gibt es einen kleinen Musikladen und da jobbt ... Moment, wie war das? Der Bruder von dem Freund eines Freundes, den Paddys Klassenkamerad vom Hockey kennt. Ja, ich glaube so war das. Kann auch der Schwipsschwager von Columbus sein. Frag mich nicht. Auf jeden Fall hat sie das Teil jetzt und ich dachte, es ist Ruhe. Aber mit Ruhe ist ja nicht viel, wie du hörst.“ „Aber wirklich“ bat Noah. „Du hättest mich doch auch fragen können. Ich hab die Original-CD Zuhause rumliegen. Die setzt schon Staub an.“ „Ich frage dich doch nicht wegen jeder Kleinigkeit.“ „Aber 400 Dollar sind keine Kleinigkeit.“ „Und so ein Satz von dir“ lächelte er mit sanftem Ausdruck. „Nein, wirklich. Die CD ist viel wert. Du hättest sie mir nur geschenkt.“ „Natürlich hätte ich das“ betonte Noah nur. Natürlich hätte er sie sofort rausgerückt, wenn er geahnt hätte, das sein Vater sonst so viel Geld für eine Kopie bezahlte. Für den waren 400 Dollar nämlich ne Menge Geld. Bei Noah fielen Summen unter fünfstelliger Höhe gar nicht weiter ins Gewicht, aber bei anderen Leuten tat das auf dem Konto weh. „Eben drum. Du willst sie doch sicher auch irgendwann hören.“ „Papa, wirklich. Ich höre die nie“ schwor er ganz fest. „Seto ist mein Bruder. Wir machen zusammen Hausmusik. Ich muss mir keine CD nehmen, um ihn spielen zu hören.“ „Noah, lass mich ehrlich sein, ja?“ bat er und lehnte sich ans Geländer, um ihm ein bisschen Ruhe zu signalisieren. „Ich weiß, dass du mehr Geld hast als ich. Und du weißt, dass mir das nichts ausmacht. Trotzdem möchte ich nicht, dass sich so schnöde Finanzen zwischen uns drängen. Du sollst nicht das Gefühl haben, dass ich mich nur mit dir abgebe, weil du mir nützlich bist. Nur deswegen frage ich dich bei so was nicht.“ „Aber was würdest du denn an meiner Stelle tun?“ fragte er ihn ebenso ehrlich zurück. „Ich habe Angst, dass ich mich vor dir aufspiele. Aber auf der anderen Seite soll es nicht so aussehen, als sei ich geizig und würde nichts teilen wollen.“ „Wir werden da schon einen Mittelweg finden“ versprach er und setzte ein helles Lächeln auf. „Mach dir keine Sorgen. Du hörst mir zu, wenn ich mich über mein überzogenes Konto ärgere und ich höre dir zu, wenn du dir mal wieder ne neue Yacht gekauft hast. In Ordnung? Lass uns das nicht so eng sehen. Letztlich geht es uns beiden doch nicht schlecht.“ „Wenn du meinst ...“ „Ja, meine ich“ nickte er. „Denk nicht immer so viel nach, Noah. Sei doch ab und zu mal etwas impulsiver. Das befreit.“ „Bist du denn ein impulsiver Typ?“ fragte er skeptisch zurück. „Treffer versenkt“ lachte er und strich sich verlegen das Haar zurück. Nein, er war letztlich genauso wie Noah auch. Keinen Deut besser oder schlechter. Er war eigentlich der Letzte, der von impulsiver Befreiung sprechen sollte. „Aber lass es doch wenigstens ab und zu mal so aussehen, als könne ich dir einen väterlichen Rat erteilen, ja? Tu mir den Gefallen.“ „Du fragst ja doch um Gefallen“ lächelte er zurück. „Hör auf. Du hast ja schon gewonnen“ winkte er ab und drehte sich um, damit sie hineingehen konnten und nicht ewig auf der Treppe herumstanden. Er öffnete die Tür und die Musik war noch lauter zu hören. Auch wenn sie erst mal nur in einen kleinen Flur eintraten, von welchem drei Türen abgingen. Und da es hier kein zusätzliches Fenster gab, war es relativ dunkel. „Warst du eigentlich schon mal hier oben?“ „Bis jetzt nicht. Immer nur unten.“ „Kein Wunder, hier gibt es auch nicht viel zu sehen“ meinte er und machte trotzdem die Tür direkt gegenüber der Flurtür auf, von wo aus gleich helles Sonnelicht hereinschien. „Hier ist unsere Werkstatt, wenn du mal gucken möchtest.“ Natürlich wollte er das. Er trat ein und blickte sich um. Ja, so in etwa hatte er sich eine Kunstwerkstatt vorgestellt. In der Mitte des großen, mit Laminat belegten Raumes war ein länglicher Tisch, auf welchem ein flaches Etwas mit einem Leinentuch bedeckt war. An der Seite standen einige Staffeleien zusammengelegt und einige aufgebaut, deren Bilder jedoch ebenfalls mit weißen Tüchern verhangen waren. Einige altgriechisch anmutende Statuen aus hellem Material, vielleicht Marmor oder Gips, standen am Rande und sahen mit ihren toten Augen herüber. Die Wände waren in hellem Weiß gestrichen und trugen keine Tapete. Hinten in der Ecke stand ein großer Schrank aus hellem Holz aufgebaut und an der Seite ein kleiner Wagen aus Metall, auf welchem diverses Werkzeug lag, wie Messer, Spachtel oder verschiedene Pinsel. Obwohl es hier etwas vollgestellt war, wirkte der Raum nicht unordentlich. Eher so, als würde hier jemand arbeiten. „Seit Paddy älter ist, müssen wir die Tür nicht mehr abschließen“ erzählte er, während Noah betrachtend von einer Ecke in die nächste blickte und diesen Raum auf sich wirken ließ. Eine echte, lebendige Kunstwerkstatt. „Aber wir haben eine hoch ausgefeilte Alarmanlage. Auch wenn hier wohl keiner einbricht, verlangt das die Versicherung.“ „Einige Gegenstände hier sind wohl ziemlich teuer, was?“ stellte Noah fest. Hier also verdiente Gordon seine Brötchen. Schon komisch. Noah war zwar sehr an Kunst interessiert und kannte sich auch recht gut in diesem Metier aus. Nicht zuletzt, weil er Seths Karriere gefördert hatte. Aber beruflich hätte er das niemals in Betracht gezogen. Ob er das wohl hätte, wenn nicht Gozaburo ihn geformt hätte? „Teuer ist relativ. Einen Picasso hatten wir noch nicht, aber ein Mijavic ist doch auch schon was, oder?“ „Ihr habt einen Mijavic? Vojtech Mijavic?“ blickte Noah ihn staunend an. „Den berühmten tschechischen Maler aus dem 17. Jahrhundert? Ich dachte, seine Werke befinden sich alle in amerikanischem Privatbesitz.“ „Ich wusste, du kennst dich ein bisschen aus“ freute er sich. „Komm, ich zeig dir was, was dich sicher interessieren wird.“ Er ging ein paar Schritte vor, entfernte vorsichtig das weiße Laken vom Tisch und brachte zum Vorschein, was sich darunter verbarg. Noah erkannte das große Gemälde einer jungen Frau. Sie war nackt und nur ihre Scham von einem fast durchsichtigen Schleier verdeckt, während ein zartes Licht auf ihrem jungen Busen glänzte. Ihr wallend schwarzes Haar warf sie nach hinten, hielt ihre dunklen Augen verträumt halb geschlossen, aber ihre rosigen Lippen erotisch geöffnet. Im Hintergrund ein tiefblaues Meer, auf welches Rosenblüten aus aprikotfarbenen Wolken herabregneten. Ein paar davon wehten ihr ins Haar, andere spielten an ihrer hellen Haut. Das wunderschöne Meisterwerk eines grazilen Frauenkörpers. „Die Rosenprinzessin am Meer der Sehnsucht. Aus dem einstigen Familienbesitz der Familie Hovorka“ betitelte Noah dieses Bild. Es war sicher nicht im ganzen Volke so bekannt wie ein Rembrandt oder ein Dali, aber wer ein bisschen tiefer in die Kunst einstieg, traf bald auf diesen in Fachkreisen sehr geschätzten Maler. „Da hast du hier wirklich ein ziemlich bekanntes Werk liegen.“ „Wir sind auch ganz stolz, dass wir den Auftrag bekommen haben“ erzählte er, aber er senkte seine Stimme als wolle er ihm ein Geheimnis anvertrauen. „Möchtest du auch wissen, weshalb die Rosenprinzessin hier ist?“ „In der Tat“ bat er fest. „Das Bild sieht nicht aus als sei es beschädigt oder abgenutzt. Warum gibt man es in die Werkstatt?“ „Wir sollen es restaurieren“ erklärte er und sah ihn verschmitzt an. „Das Bild, welches wir hier sehen, ist nicht das, welches Mijavic gemalt hat.“ „Ähm ... wie? Nicht?“ „Nein. Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass die Rosenprinzessin in Wirklichkeit ein Rosenprinz ist?“ „Ich würde sagen, dass das eine ziemlich gewagte Behauptung ist“ antwortete er mit kritischem Blick auf das schöne Mädchen. „Hat Mijavic einen Mann mit Busen gemalt? Das kann ich mir nicht vorstellen. Okay, ihre Züge sind nicht ganz so zart wie andere Gemälde von Mijavic es zu der Zeit waren, fast ein wenig zu muskulös, , aber männlich sieht das für mich nicht aus. Das ist ein Busen und keine glatte Brust, wie man sie bei einem Jungen malen würde.“ „Er hat diesen Busen nicht gemalt. Das war jemand anderes“ erklärte Gordon und zeigte über den mittleren Teil des Bildes. „Kunsthistoriker haben vor etwa zwei Jahren Skizzen eines bislang unbekannten Malers Mijavic zugeordnet. In diesen Skizzen war mehrmals ein Junge abgebildet, welcher der Rosenprinzessin erstaunlich ähnlich sieht. Ein hellhäutiger, schlanker Junge mit androgynen Formen und langem, dunklen Haar. Dir sagt sicher auch der Name Newman etwas?“ „Natürlich. Newman ist ein anerkannter Kunstexperte und -händler. Er liebt die Kunst und ist Inhaber einiger Museen und Ateliers. Er beschäftigt mehrere Unternehmen mit historischer Forschung im Bereich der Aktmalerei. Ich hab auch schon für seine Stiftung gespendet, weil er wirklich Großes auf diesem Feld leistet.“ „Ich habe Newman mal auf einer Kunstausstellung kennen gelernt. Sonst hätte ich dieses Stück wohl kaum hier“ erzählte er weiter. „Er wollte diesem Mysterium nachgehen, weshalb in den Skizzen von Mijavic immer ein Junge gezeichnet wird, aber sein berühmtes Werk weiblich ist. Zumal er sonst eher runde Frauen gemalt hat. Er hat die Rosenprinzessin mithilfe moderner Technik analysieren lassen und herausgefunden, dass dieses Bild vor etwa 290 Jahren übermalt wurde.“ „Jemand hat es übermalt?“ „Hm. Ganz besonders im mittleren Bereich. Eine meisterliche Verfälschung des Originals. Newman hat auch Briefe von und an Vojtech Mijavic gefunden. Unter anderem auch zärtliche Liebesbriefe, welche er an einen gewissen Matyas Hovorka schreibt und von ihm erhält.“ „So weit ich weiß, war das Oberhaupt der Familie Hovorka seinerzeit doch ein großer Förderer für Mijavic. Das war ... wie hieß er gleich? Ondrej Hovorka. Die Hovorkas waren über Jahrhunderte renommierte Kunsthändler, welche aber während des ersten Weltkrieges ganz von der Bildfläche verschwunden sind. Die Werke ihrer Familie und ihrer Auftragsmaler sind über alle Kontinente verteilt und Newman versucht, das Erbe der Hovorkas wieder zusammenzufügen. Damit unter anderem eben auch bekannte Maler wie Mijavic.“ „Und jetzt kannst du dir auch denken, wie zu Mijavics Zeit der jüngste Sohn der Familie Hovorka hieß?“ „Matyas?“ „Bingo“ schnippte er. „Aufregende Geschichte, oder? Ich wusste, du weißt, worauf ich hinauswill.“ „Das würde vermuten lassen, dass Vojtech Mijavic ein Verhältnis zu Matyas Hovorka hatte. Er hat sonst nur Auftragsarbeiten gemacht und besonders Mädchen und Frauen für die Familie Hovorka gemalt. Ich dachte, er hätte sich mit Zuzana Hovorka vermählen lassen. Sie war die zweite Tochter des Hauses. Nur einheiraten konnte er nie, weil er vorher zu Tode kam.“ „Und er verunfallte, kurz nachdem Matyas Hovorka die Kaufmannstochter Aneta Kostal geheiratet hatte.“ Gordon bereitete es richtig Freunde, Noah mit kleinen Hinweisen immer wieder in die richtige Richtung zu schubsen. Es war einfach wundervoll, einen Sohn zu haben, der so gebildet war, dass er sich auf solch einem hohem Niveau mit ihm unterhalten konnte. „Und ein halbes Jahr nach Mijavics Tod beging Matyas Selbstmord“ brachte Noah diese Kunstgeschichte zuende. Er stand Gordon in Sachen kunsthistorischer Allgemeinbildung in nichts nach und dachte gern seine Spuren weiter. Es gab nicht viele, die der Kunst ebenso zugewandt waren wie er. „Dann war Mijavics Unfall vielleicht gar kein Unfall, so wie es lange angenommen wurde. Viel eher ebenfalls Selbstmord, weil er und Matyas getrennt wurden. Erst heiratet Matyas, dann stirbt Vojtech und ein halbes Jahr später begeht der jüngste Hovorka Selbstmord. Das lässt Mutwilligkeit unterstellen.“ „Und das wird wohl auch der Grund sein, weshalb man das Gemälde von Matyas später in das Aktbild eines Mädchens umgestaltet hat“ erklärte Gordon. „Damals war Homosexualität eine nicht hinnehmbare Sache. Noch zumal Vojtech wesentlich älter war als Matyas. Die beiden zusammen - das wäre eine Schande für die Familie Hovorka gewesen. Zumal Aktmalerei von Jungen damals einfach nicht üblich war. Und Ondrej Hovorka war ein sehr kapitalistischer Mensch, wie man berichtet. Selbst wenn es um die eigene Familie ging.“ „Deshalb hat er das Gemälde seines toten Sohnes übermalen lassen, um es doch noch zu verkaufen. Was für ein Vater ...“ „Ja“ seufzte Gordon schwer und sah seinen eigenen Sohn liebevoll an. „Aber jetzt habe ich Matyas hier und werde ihn zurück in das verwandeln, als was Vojtech ihn gesehen hat. Auch wenn ihre Liebe kein glückliches Ende fand, lebt sie doch in diesem Bild weiter. Im Gemälde des Rosenprinzen am Meer der Sehnsucht.“ „So hat Vojtech seinen Matyas gesehen“ trauerte Noah und sah das verfälschte Gemälde betrübt an. „Eine Gesichte wie in einem Schnulzenroman.“ „Das Leben ist doch die größte Schnulze von allen. Aber ich hab gleich gedacht, dass dich diese Geschichte interessiert. Matyas sieht ein bisschen aus wie Mokuba, findest du nicht?“ „Jetzt, wo du es sagst ... ja, ein bisschen“ stutzte er und blickte dieses Bild noch eindringlicher an. „Mokuba ist nicht sonderlich zierlich, aber vor einigen Jahren war er das noch. Wie alt mag Matyas gewesen sein, als er gemalt wurde?“ „Er wurde verheiratet als er 16 war. Also muss es vorher gewesen sein“ vermutete Gordon. „Was wir heute als Kinder ansehen, waren damals schon richtige Erwachsene.“ „Das Bild zeigt, wie sehr Vojtech ihn geliebt haben muss“ seufzte Noah und strich ganz vorsichtig mit verträumten Fingerspitzen über die Ölfarben, welche die wahren Konturen eines zerbrechlichen Jungen verdeckten, der doch nur den Fehler gemacht hatte, sich zu verlieben und für seine Liebe in den Tod gegangen war. „Man spürt es in den warmen Farben und den weichen Strichen. Und der Ausdruck in seinem Gesicht scheint so losgelöst. Als er Modell stand, muss er unglaublich glücklich gewesen sein. Der junge Matyas ... was wohl aus den beiden geworden wäre, wenn nicht der alte Hovorka zwischen sie getreten wäre? Ob sie glücklich geworden wären?“ „Weißt du, Noah ...“ sprach er leise und legte einen gedämpften Ton in seine Stimme. „Jedes Mal, wenn ich an diesem Bild arbeite, muss ich daran denken. Ich habe meinem Bruder niemals den Tod gewünscht, aber vielleicht war es gut für dich und Mokuba. Ich bin mir nicht sicher, ob er eure Liebe geduldet hätte.“ „Das hätte er sicher nicht“ stimmte Noah zu, in trauriger Erinnerung. Hätte Gozaburo seine Neigung zu Männern herausbekommen ... nicht auszudenken, zu was er fähig gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte er Mokuba töten lassen, um das Übel auszumerzen und ihn für alle Zukunft vor weiteren Liebschaften zu warnen. „Es wäre ungerecht, wenn sich die Geschichte wiederholt hätte.“ „Ich liebe Mokuba über alles in der Welt. Aber ich glaube, ich bin in diesen Dingen sehr nach meinem Vater geraten“ gestand er und ließ sein Blick auf dem lustvollen Gesicht des verfälschten Jungen ruhen. „Ich liebe ihn wirklich, aber ich wäre niemand, der sich aus Trauer selbst richtet. Ich würde ihn in Erinnerung behalten und in meinem Herzen mit mir gemeinsam leben lassen. So wie du meine Mutter leben lässt.“ „Noah ...“ „Du hast Recht. Wir sind echt gebeutelt“ versuchte er diese niedergeschlagene Stimmung mit einem Lachen ein wenig zu lockern. Gordon akzeptierte Mokuba voll als seinen Schwiegersohn und das war das, was Noah an ihm am meisten schätzte. Er machte ihm keine Vorhaltungen, sondern wünschte sich nur, dass sein Sohn glücklich war. Und wenn er sein Glück in einem Mann sah, unterstützte er das. Gozaburo hätte das niemals geduldet. „Und wie willst du Matyas nun von seinem Busen befreien?“ „Mit viel Geduld, einem Skalpell und etwas Chemie“ erklärte er. „Die Originalfarbe ist darunter noch vorhanden. Das ist das gute an Öl. Ich werde die obere Schicht vorsichtig entfernen und die dadurch entstandenen Schäden ausbessern. Auch sind die anderen Farbteile, die nicht übermalt wurden, von der Zeit natürlich verfärbt; das bleibt nicht aus bei 300 Jahren. Ich werde das also auch noch restaurieren und hoffe, dass es in ungefähr ein bis zwei Jahren wieder so aussieht, wie damals. Nur ob Newman danach mit dieser Geschichte an die Öffentlichkeit geht oder ob er den Rosenprinzen in seiner Privatsammlung einschließt, weiß ich natürlich nicht.“ „Unglaublich, dass du so ein Stück anvertraut bekommst. Du bist doch eigentlich gelernter Goldschmied, oder?“ „Ich bin gut versichert“ lachte er. „Und geduldig bin ich auch. Celine und ich achten aufeinander, sodass wir nicht übermütig werden und etwas kaputt machen.“ „So war das nicht gemeint. Ich meine, ich hab dich nie gefragt, ob du irgendwann mal ein zweites Studium gemacht hast.“ „Na ja, so indirekt. Als ich damals in Kanada ankam ...“ Er konnte gar nicht aussprechen, da wurde die bis jetzt gedämpft durchschallende Musik klar und laut und ein breites Licht drang in den dunklen Flur. Patrice kam also aus ihrem Zimmer. Wahrscheinlich wollte sie gar nicht in die Werkstatt, aber da die Tür offen stand, schaute sie mal herein, was da los war. Und als sie den Kopf hereinsteckte, weiteten sich geschockt ihre Augen und sie blieb im ersten Augenblick stehen wie ein geschocktes Reh auf der Autobahn. Bis sie mit einem beleidigten „OOHH! PAPA! MANN!“ auf dem Absatz kehrtmachte und mit knallender Tür zurück in ihrem Kinderzimmer verschwand. „Ähm ...“ schaute Noah etwas irritiert. „Was war das denn jetzt?“ „Pubertät“ meinte Gordon mit zuckenden Schultern. „Im Moment bin ich immer an allem Schuld.“ „Erinnert mich an Moki als er in der Pubertät war.“ „Du liebst ihn wirklich sehr, was?“ stellte er mit einem fröhlichen Lächeln fest. „Na ja ...“ Und Noah wurde dann doch etwas verlegen. „Natürlich ... warum?“ „Du redest gern von ihm“ antwortete er mit sicherer Stimme und verschränkte seine Arme. Bei allem fiel Noah ein Vergleich zu Mokuba ein. Wie ein frisch verliebtes Schulmädchen, welches nur an seinen Schwarm denken konnte. Dabei waren die beiden schon eher ein altes Ehepaar. Ob Mokuba überhaupt wusste, wie sehr Noah an ihm hing? „Ist mir gar nicht aufgefallen“ erwiderte er etwas kleinlaut. „Ist das wirklich so?“ „Jupp“ lachte er. „Irgendwie bist du süß. Und nun werde ich mal sehen, woran ich jetzt wieder schuld bin. Nur um nicht dumm zu sterben.“ Und dafür ging er in die Höhle der Löwin. Er verließ die Werkstatt und klopfte vorsichtig an die zugeknallte Tür. Die Musik war mittlerweile leise gestellt, sodass sie das sicher auch hören musste. „VERSCHWINDE!“ keifte es von drinnen. Sie hatte ihn also gehört. „Paddy“ seufzte Gordon und schüttelte mit einem kleinen Lächeln zu Noah sein geduldiges Haupt. „Woran bin ich jetzt wieder schuld?“ „DU HAST MICH NICHT GEWARNT, DASS NOAH SCHON DA IST!“ „Warum sollte ich dich denn warnen? Du wusstest doch, dass er kommen wollte.“ Daraufhin hörte man erst mal gar nichts mehr. Nichts bis auf ein paar klackende Töne im Inneren des geheiligten Teenieraumes. Selbst die Musik hatte sie ausgestellt. Anscheinend kochte sie vor Wut und Aufregung. „Paddy, alles okay? Kommst du gleich runter? Noah möchte los.“ „ICH HAB NICHTS ZUM ANZIEHEN!“ schimpfte sie beleidigt. „ICH HAB ÜBERHAUPT NICHTS! ICH SEH AUS WIE EIN KIND!“ „Schatz, du bist ein Kind. Du hast doch ...“ „SCHNAUZE!“ Und irgendein gegen die Tür geworfener Gegenstand knallte so laut, dass Gordon erschrocken zurückwich. Was für eine kleine Furie. Genau wie Mokuba damals. „Ei jei jei“ sang er und strich sich nachdenklich das Haar zurück. „Das hätte ich jetzt vielleicht nicht sagen sollen.“ „Lass mich mal, Papa“ lachte Noah, drängelte sich an ihm vorbei und klopfte selbst mal vorsichtig mit dem Knöchel ans Holz. „Paddy, hier ist Noah. Kann ich reinkommen?“ „NOAH!“ Kreisch! Der war ja auch noch da! Und er klopfte sogar! „MOMENT!!! ICH KOMME GLEICH RAUS!“ „Geh einfach rein, sonst braucht sie noch ewig“ bat Gordon mit schüttelndem Kopf. Er kannte das schon. Sie hatte nun mal manchmal so Aussetzer. So war das beim Erwachsenwerden. So drückte Noah vorsichtig die Klinke herunter und öffnete die Tür langsam einen Spalt. „Paddy?“ Er steckte seinen Kopf herein und ließ sie in seinem Blick erstarrt stehen bleiben. Anscheinend hatte sie krampfhaft nach den richtigen Klamotten gesucht. Der zweitürige Kleiderschwank war so gut wie leer, dafür lag alles auf dem Bett und dem Boden verteilt und sie selbst war bei einer Jeans und einem violetten Shirt hängen geblieben, welches sie wohl aber schon wieder ausziehen wollte. Was Noah aber eigentlich viel mehr schockte als die vielen Klamotten, war, dass er sich noch niemals so häufig auf ein Mal gesehen hatte. Die schräge Wand war voll mit seinen Gesichtern. Zig von Postern klebten Rand an Rand nebeneinander, sodass man die Tapete kaum noch sah. Direkt neben dem Fenster hing sogar ein lebensgroßer Starschnitt von ihm, wo nur der Ellenbogen und ein Fuß fehlten. Über ihrem unordentlichen Bett war ein riesiges Poster angebracht, bedruckt mit seinem letzten Fotoshooting, mit welchem er für den neuen Herbstmantel von Nikas und Maries Label warb und sich gern als Modell hergab. An der Wand gegenüber ging es weiter mit mehreren großen und kleinen Postern, nur wo die Lautsprecher der Anlage, die kniehohen Borde und der Schreibtisch standen, war ein Stück ausgespart. Auf der Nachtkommode das Bild, wo sie alle gemeinsam im Wellnesshotel wohnten und sich in Bademänteln hatten ablichten lassen. Hier und da sah er zwar auch mal Setos oder Mokubas Gesicht, aber das wohl eher, weil die zufällig mit auf SEINEN Bildern waren. Sogar unter den Klamotten konnte er die Bettwäsche mit seinem Antlitz bedruckt sehen. Wenn das hier kein Fanraum war, dann wusste er auch nicht ... „Hi“ lächelte er aber dann nach der ersten Schocksekunde so ruhig, als hätte er das gar nicht bemerkt, dass er hier mehrfach von den Wänden strahlte. „Hi“ grüßte sie erschrocken zurück. „Das ... ähm ...“ „Ich wollte mal fragen, wann du fertig bist. Ich würde gern gleich los, wenn es dir nichts ausmacht.“ „Besser, ich komme nicht mit“ eröffnete sie ihm traurig. „Ich störe dich ja nur.“ „Unsinn! Wer hat dir das denn gesagt?“ „Ich hab nichts zum Anziehen“ seufzte sie und schmiss den Pullover, den sie in der Hand hatte zurück in den Schrank. Für ihn wollte sie doch besonders gut aussehen, aber alles, was sie besaß, war für ihren Geschmack viel zu kindisch und wurde ihm nicht im Ansatz gerecht. „Das ist doch nicht wichtig“ beschwichtigte er, öffnete die Tür ganz und war so frei, sich selbst hereinzulassen. „Außerdem ist doch das, was du gerade anhast auch sehr schick.“ „Aber du hast gesagt, du hast da ein Meeting. Ich mache dich nur peinlich.“ „Paddy ...“ „Ich hab nichts, was man zu so was anzieht. Nichts ordentliches.“ „Dann mache ich dir einen Vorschlag, ja?“ Er kam herein und kniete sich vor sie wie ein Traumprinz. Nicht nur, weil er sonst so groß war, sondern auch, um sie liebevoll von unten anzulächeln. „Wenn du erlaubst, würde ich dich gern als mein Püppchen mitnehmen.“ „Als ... Püppchen?“ >? ? ?< „Ja, ich hab da so ne fiese Vorliebe“ eröffnete er ihr schalkhaft. „Ich liebe es, hübsche Mädchen einzukleiden. Wenn es dir recht ist, würde ich dir gern etwas für das Meeting kaufen.“ „Du ... willst mir was kaufen?“ „Aber nur unter einer Bedingung“ ergänzte er und hob mahnend seinen Finger. „Du darfst keinen Widerspruch einlegen. Du trägst, was ich dir aussuche und du tust so, als würdest du dich freuen. Okay?“ „Okay!“ Eben war sie noch tödlich betrübt und hasste ihre kindische Garderobe und überhaupt war die Welt böse und schlecht. Und kaum kam Noah, verwandelte sich alles um sie herum in rosarote Herzchen. Er würde also mit ihr einkaufen gehen? Und sie einkleiden? Richtig einkleiden und er suchte es aus? Bei seinem tollen Geschmack? „Hast du das gehört?“ strahlte sie über seine Schulter hinweg Gordon an. „Darf ich, Papa? Darf ich mir von Noah was kaufen lassen?“ „Natürlich“ lächelte er sanft. „Aber tu, was er dir sagt und sei brav.“ „Papa!“ grummelte sie beleidigt. So was kindisches durfte er doch vor Noah nicht sagen! Sie ging doch nicht mehr in den Kindergarten! „Dann machst du dich schnell fertig, damit wir loskönnen, ja?“ bat Noah und erhob sich. „Ich warte mit Gordon unten auf dich, in Ordnung?“ „Ja! Ich beeile mich!“ „Schön.“ Mit einem letzten Zwinkern schloss er die Tür wieder und folgte seinem Vater wieder hinunter ins Wohnzimmer. Die Treppe hinunter durch die Tür bis sie gemeinsam wieder am Anfang waren. Etwas wortkarg war der plötzlich geworden und blickte Noah nicht mal an. Der hörte nur ein leises Glucksen, als er in der Küche verschwand. „Ist was, Papa?“ fragte er besorgt aufgrund des Schweigens. „Hab ich was falsches gesagt?“ „Ihr seid so geil“ lachte er und kam prustend wieder heraus. Sein Lachen zu verbergen schaffte er dann doch nicht mehr. „Ich werde angefahren und bei dir wird sie zum zahmen Lämmchen. Und du bist so souverän, als würdest du das ständig machen.“ „Na ja, mit Fans muss ich mich ab und zu mal beschäftigen“ meinte er ratlos. „Das meine ich nicht“ atmete er und versuchte, sich wieder zu fassen, lehnte sich geschafft gegen den Türrahmen. „Eigentlich bist du so nervös, dass sie dich nicht mögen könnte und bei ihr ist das genau das gleiche. Sie will auf dich unbedingt erwachsen wirken. Ihr wollt einander so sehr beeindrucken. Ihr seid beide einfach zu niedlich.“ „Tja ... was soll ich dazu noch sagen?“ meinte er und strich sich das Haar zurück. Komisch. Er hatte heute festgestellt, dass Gordon das auch häufiger tat. Ob solche Angewohnheiten auch vererbt wurden? „Ich hoffe aber, sie stört dich wirklich nicht“ fragte er dann aber ganz ernst. „Du wolltest da hin, um zu arbeiten und nicht um den Babysitter zu spielen.“ „Sie ist doch schon eine junge Dame, Papa“ tadelte er spielerisch. „Na gut, ich sehe schon. Gegen euch zwei komme ich nicht an“ lächelte er. „Aber sei bitte geduldig mit ihr. Du weißt, wie sehr sie in dich verliebt ist. Wenn sie merkt, dass sie was verpatzt hat, wird sie unendlich geknickt sein.“ „Ach, im Patzer ausgleichen bin ich gut“ antwortete er sicher. „Neulich waren Moki und ich auf einer Filmgala in der Hauptstadt und er hatte nichts besseres zu tun, als vor der gesamten Presse zu sagen, wie schrecklich er das Kleid von Paris Hilton findet. Die Höhe, dass er auch noch meinte, mit so schlecht gespritzten Lippen sollte sie lieber Kühlpaste anstatt Lipgloss verwenden.“ „Vor der Presse?“ „Vor der versammelten Presse“ nickte er und lachte. „Aber es wurde nichts darüber geschrieben. Ich will mir nicht vorstellen, was das gäbe, wenn sich mein Freund mit der Hollywood-Bande anzofft. Dann kommen wir aus den Schlagzeilen gar nicht mehr raus. Aber so ist er nun mal. Ich kann ganz gut damit leben und bis jetzt konnte ich seine Patzer immer glimpflich ausgehen lassen. Er ist immer so ... oh, nein“ stöhnte er und fasste sich an die Stirn. „Ich rede schon wieder von Mokuba.“ „Sprich nur“ lächelte er lieb. „Ich höre dir gern zu. Du hast so ein witziges Glitzern in den Augen, wenn du von ihm erzählst.“ „Hör auf. Das wird mir jetzt langsam peinlich.“ „Nicht, dass du noch auf dein Zimmer verschwindest und mit den Türen knallst“ lachte er und stieß sich vom Türrahmen ab. „Möchtest du nicht vielleicht doch noch einen Tee?“ „Danke, ich muss noch fliegen heute.“ „Oder ein Brötchen für unterwegs? Ich packe euch etwas zusammen.“ „Nein, Papa. Danke.“ Außerdem nahm man doch auf Geschäftstrips keinen Proviant mit wie auf einem Schulausflug ... ab und an hatte sein Vater wirklich komische Anwandlungen. Kein Wunder, dass Patrice manchmal der Kragen hochging. Chapter 8 Selbst nachdem der Hubschrauber nach einer dreiviertel Stunde Flug gelandet war, kam Patrice aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dass draußen vor ihrem Haus einer stand, hatte sie wegen der lauten Musik gar nicht mitbekommen und als ihr eröffnet wurde, dass Noah damit zu reisen gedachte, ja sogar noch persönlich zu fliegen, da blieb ihr der Mund offen stehen bis sie in Shoratawia, oder auch Sho-Town, gelandet waren. Zwischen den ganzen verwirrenden Straßen, tausend Knöpfen und Blinklichtern steuerte er doch tatsächlich gezielt eines der Hochhäuser an, auf dessen Dach er eine einmalige Punktlandung aufsetzte. Wahnsinn! Für sie sah von oben alles gleich aus. Zwar hatte sie ein Headset bekommen, aber dennoch war sie kaum zu einer Unterhaltung fähig. Sie konnte nur immer wieder beteuern, dass sie sich wohlfühlte und kein Problem mit dem Fliegen hatte. Ansonsten war sie viel zu nervös, überhaupt etwas heraus zu bekommen. Sie war zwar schon mit Noah gemeinsam im Wellness-Hotel gewesen, aber dort hatte sie nicht wirklich viele Gelegenheiten, sich ernsthaft mit ihm zu unterhalten. Viel eher war der Urlaub dazu gedacht, dass er und Gordon sich näherkommen konnten, was ja auch prima geklappt hatte. Sie nutzte die Zeit und freundete sich währenddessen mit Mokuba an, aber Noah war nun mal nicht Mokuba. Noah war irgendwie weniger ... ‚crazy’. Sie wusste aus ihrem ganzen Sammelsurium von Fanstuff so viel über ihren Bruder, dass sie kaum wusste, worüber sie mit ihm reden sollte. Noahs Vorlieben lagen eher im höheren Niveau. Von Kunst, Literatur oder Musik verstand sie nicht viel, von Mode und Wirtschaft auch nicht. Und ihm zu erzählen, dass sie letzte Woche endlich ihren Reifen am Fahrrad selbstständig gewechselt hatte, würde ihn sicher nicht reizen. Sie kam sich so kindisch vor neben einem weltgewandten Mann wie ihm. Und sich im Hubschrauber über Mikrofon einer Unterhaltung zu widmen, war ja auch nicht ganz einfach. Aber nun waren sie endlich gelandet, die Rotorblätter beruhigten sich und damit wurde es auch leiser. Sie sah wie Noah sein Headset abnahm und es an einem kleinen Haken an der Seite aufhing. Das machte sie ihm gleich nach und war ganz glücklich, dass dabei nichts zu Bruch ging. „So, siehst du? Schon überstanden“ lächelte er sie lieb an und blieb noch einen Moment sitzen. „Alles heil bei dir?“ „Ja“ antwortete sie doch etwas angespannt. „Dein erster Hubschrauberflug war nicht schlimm? Ich bin extra vorsichtig geflogen.“ „Das habe ich gemerkt“ versuchte sie zurück zu lächeln. „Mir geht’s gut. Das war toll. Ich freue mich schon auf den Rückweg.“ „Na, davor haben wir ja noch ein bisschen Zeit“ meinte er und machte sich daran, auszusteigen. „Bleib sitzen, ich mache dir gleich die Tür auf.“ „Ich kann das schon.“ So schwer war das ja nicht. Hubschraubertüren funktionierten wie Schiebetüren beim Auto. Während sie noch aus dem hohen Gefährt purzelte, sah sie schon einen Mann mit dunklem Anzug auf sich zukommen. Er hatte einen freundlichen Gesichtsausdruck aufgelegt und trug sein dunkles Haar streng nach hinten gegelt. Der Kleidung nach zu urteilen sicher ein Kollege von Noah. Oder ein Geschäftspartner oder ein Kunde oder ein Angestellter - konnte ja alles mögliche sein. „Mr. Kaiba. Schön, dass Sie da sind.“ Zuerst begrüßte er Noah, der gerade um den Hubschrauber herumkam und ihm quasi direkt in die Arme lief. „Oh hallo“ lächelte er routiniert zurück. „Vielen Dank, dass ich Ihren Landeplatz nutzen darf, Mr. Fumaki“ dankte er und schüttelte ihm die gereichte Hand. „Aber das ist doch kein Problem. Sie sind uns immer ein willkommener Gast.“ „Das hört man natürlich gern. Ist ihre nette Assistentin heute gar nicht bei Ihnen?“ „Sie hat Urlaub genommen und mich mit dem ganzen Kram allein sitzen lassen“ scherzte er gespielt verzweifelt. „Sie wissen ja, wie das ist, wenn man plötzlich auf alles allein achten muss.“ „Ja, was wären wir ohne unsere guten Feen?“ scherzte er zurück. Aber eigentlich wusste er gar nicht, wie das war. Aus diesem Grund hatte er ja Sara und Alicia zu zweit, damit immer jemand da war. Aber es war eben nicht jeder Chef so gut gestellt wie er. „Aber dafür haben Sie heute jemanden mitgebracht“ bemerkte er und warf einen kleinen Seitenblick auf die etwas deplaziert wirkende Patrice. „Wollen Sie uns nicht vorstellen?“ „Natürlich. Wie unhöflich von mir“ entschuldigte er und trat demonstrativ neben seinen kleinen Gast. „Mr. Fumaki, Patrice Laframé. Patrice, das ist Hiro Fumaki. Er ist der Chef von LiCom und hat uns freundlicher Weise sein Dach zur Verfügung gestellt.“ „Guten Tag Patrice“ grüßte er und schüttelte auch ihr freundlich die Hand. „Ich hoffe, du hattest einen guten Flug?“ „Ja, sehr gut“ antwortete sie und konnte sich verbergen, dass sie ein wenig beklommen war. Sie hatte nicht viel Erfahrungen mit Chefs von Firmen und wie man sich da benahm. Zumal sie sich in ihrer Freizeitkleidung auch ein wenig dumm vorkam. Eigentlich lebte Noah in einer Welt, die sie gar nicht kannte. „Darf ich fragen, was Ihnen die Ehre einer so netten Begleitung beschert?“ wand sich der freundliche Firmenchef wieder an Noah. Denn es war ja doch ungewöhnlich, dass man auf Geschäftsreisen neuerdings Schulmädchen mitnahm. Und bei Fantreffen war eigentlich doch immer mindestens ein Fotograf anwesend. „Patrice ist ...“ Wie sollte er das erklären? Er blickte sie kurz an, aber helfen konnte sie ihm da nicht. Den Lead musste schon er übernehmen. „... meine kleine Schwester“ antwortete er dann doch ganz wahrheitsgemäß. „Ihre ...?“ Schluck. Das musste er nun erst mal verdauen. „Mr. Kaiba, ich wusste gar nicht, dass Sie eine so junge Schwester haben ... ich meine ... wie lang ist ihr Vater nun ...?“ „Patrice ist zwölf und die Tochter der Lebensgefährtin meines Vaters“ erklärte er in aller Kürze und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Also meine Schwester.“ „Ah ... ach so ... in Ordnung.“ Auch wenn das eine recht überraschende Nachricht war, trug er es mit Fassung. Zum Einen hatte er keinen Grund an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln und zum Anderen hätte er sich ohnehin jeglichen Kommentar verkniffen. Dass die Kaibas eine eigenartige Familie waren, war ja allgemein hin bekannt. Das bekam man bei Seto schon ständig mit, der ließ sich ja sogar für tot erklären. Dennoch durfte man sich einen so wichtigen Mann wie Noah Kaiba nicht vergellen - egal, wie eigenartig seine Familie war. Er war einfach so wichtig, dass er sich eine gewisse Eigenartigkeit leisten konnte. „In Ordnung. Dann darf ich Sie nach unten begleiten?“ Er fing sich wieder und wechselte fachmännisch das Thema als er auf die Tür hinter sich und den Gästen bedeutete, ihm zu folgen. „Ich habe mir erlaubt, Ihnen unseren Fahrdienst zu organisieren“ erklärte er, als Noah ihm folgte und darauf achtete, dass Patrice ihm ebenfalls nicht von der Seite wich. „Das ist sehr nett von Ihnen, Mr. Fumaki“ dankte er in seinen angewohnt höflichen Ton. „Darf ich Sie vielleicht noch um einen weiteren, kleinen Gefallen bitten?“ „Natürlich. Was kann ich für Sie tun?“ Er hielt den beiden die Tür auf und drückte einen kleinen Knopf, um den Fahrstuhl zu rufen. Die Treppe zu nehmen, wäre bei dieser Gebäudehöhe eher ein sportlicher Großevent. „Ich hatte noch keine Gelegenheit Shoratawia ausgiebig zu besichtigen und kenne mich daher nicht sonderlich gut aus“ begann er freundlich. „Haben Sie vielleicht einen Tipp für eine gute Damenboutique?“ „Ah, ich verstehe“ nickte er und warf auch Patrice einen wissenden Seitenblick herüber. „Sie haben Glück, Mr. Kaiba. Meine Schwägerin ist zufällig Besitzerin einer sehr ausgesuchten Boutique mit angegliederter Schneiderei. Sie hat ihr Handwerk in Mailand gelernt und bereits sehr erfolgreich Mode in den etablierten Modegroßstädten präsentiert. Aber durch ihre Hochzeit ist sie hier in Shoratawia sesshaft geworden. Wenn Sie möchten, kann ich gern einen Anruf machen und man wird sich umgehend um Sie kümmern.“ „Das wäre sehr freundlich von Ihnen“ lächelte er und stieg nach ihm in den Fahrstuhl ein, der sich auch recht schnell wieder schloss und alle drei dem Erdgeschoss näher trug. „Mein Meeting beginnt um 14.30 Uhr“ erzählte er mit Blick auf die Uhr. „Wäre es vielleicht möglich, dass Sie gleich um einen Termin für uns bitten?“ „Natürlich, sehr gern“ nickte er und zückte bereits sein Handy. „Der Chauffeur wird Sie dann zu aller erst dorthin fahren. Kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun? Vielleicht eine Tischreservierung im Restaurant oder eine Hotelübernachtung?“ „Danke, wir möchten heute Abend wieder zurückfliegen“ lehnte er ab. „Ich möchte Sie auch nicht zu sehr auf Trab halten. Es ist schon genug, dass Sie sich so freundlich um uns kümmern.“ „Aber das ist doch ganz selbstverständlich. Der Dank ist auf meiner Seite, dass Sie auf mich zugekommen sind“ lächelte er. Außerdem gab es wohl niemanden, der Noah Kaiba einen Gefallen abschlug. Zwar bewegte er sich auf absolut gesetzlichem Grunde, aber man konnte nicht abstreiten, dass er durchaus gewisse Mafia-Methoden beherrschte, die da zu oberst hießen: Tust du mir einen Gefallen, tue ich dir einen Gefallen. Und einen Gefallen bei ihm ausstehen zu haben, war besser als jede Lebensversicherung. Da gehörte es sich nur, ihm einen Tagestrip zu organisieren oder bei Wunsch auch mehr. Sich einen Kaiba zum Feind zu machen, konnte letztlich ähnlich schlimm enden wie sich mit der Mafia anzulegen. „Und falls Sie mal in Domino sein sollten, gehe ich davon aus, dass Sie mich besuchen“ lächelte Noah zurück und folgte ihm hinaus als der Fahrstuhl unten angekommen war und sie direkt in eine kleine Empfangshalle entließ, in welcher um diese Uhrzeit reger Betrieb herrschte. Es huschten Geschäftsleute hin und her, die Damen am Empfangstresen hatten alle Hände voll zu tun und neben ihnen drängelte sich sogar ein Pizzabote in den Fahrstuhl, der sofort in den achten Stock wollte. „Reger Betrieb“ bemerkte Noah als sie auf die große Drehtür am Ende der kleinen Halle geführt wurden. Zwar war dieses Gebäude gar nichts gegen die riesige Haupthalle des Indischen Drachen, welche sogar fünf große Drehtüren besaß, aber hier schien es ebenfalls sehr geschäftig herzugehen. „Es ist Mittagszeit“ lachte ihr freundlicher Führer, der sie durch die Menge hindurch geleitete. „Da laufen die Angestellten vermehrt rein und raus.“ „Kommt mir bekannt vor.“ Doch während die beiden so über den regen Betrieb sinnierten, achtete Patrice eher darauf, dass Sie nicht den Anschluss verlor und doch noch genug Zeit zum Erröten bekam. Vielleicht bemerkte Noah es gar nicht, aber er wurde von vielen Leute angesehen, ja geradezu mit den Augen verschlungen. Kleine Grüppchen begannen das Tuscheln und eine Angestellte machte sogar schnell ein Foto mit ihrem Handy. Und als Anhang wurde sie selbst natürlich auch in Augenschein genommen. Wie ungewohnt, wie unangenehm. Vielleicht hätte sie sich doch lieber das Kleid mit der Schleife anziehen sollen anstatt Jeans und T-Shirt mit dickem Winteranorak. Gegen Noah in seinem feinen Anzug sah sie doch aus wie Oscar aus der Tonne. Sie passte hier so gar nicht hin ... „Alles okay?“ Noah blieb einen Schritt stehen und begleitete sie dann weiter. „Was gehst du so weit hinten, hm? Sind wir zu schnell?“ „Nein, alles okay“ antwortete sie schnell. „Ich weiß nur nicht, ob ...“ „Ach, mach dir keine Gedanken“ lächelte er sie liebevoll an und nahm ihre Hand, als sie gemeinsam durch die Drehtür schlichen. „Ist doch alles okay. Gleich kaufen wir dir erst mal ein elegantes Outfit, lassen deine Haare machen und dann fühlst du dich gleich viel besser“ versprach er und blieb an der dicht befahrenen Straße stehen, wo bereits eine kleine Limousine mit verdunkelten Scheiben auf sie wartete. Zwar nicht so eine große Stretchlimo wie seine Daheim, aber durchaus herzeigbar. Mr. Fumiko ließ es wirklich an Luxus nicht mangeln. „Damit fahren wir jetzt?“ zeigte sie fasziniert auf das teure Auto. Aber da der Geschäftsführer gerade mit dem ausgestiegenen Fahrer sprach, war wohl davon auszugehen, dass das ihr ‚Fahrdienst’ war. „Du bist noch nie Limousine gefahren?“ lächelte er zu ihr herunter. „Dann wird es ja mal Zeit. Das hier ist zwar eine relativ kleine Stretchlimo, aber wir sind ja auch nur zu zweit.“ „Mr. Kaiba.“ Der uniformierte Fahrer trat auf die Gäste zu und nahm auch seine Mütze vom leicht ergrauten Haupt. Mit seinem gezwirbelten Schnurrbart wirkte er direkt so lustig, dass Patrice etwas grinsen musste. „Ich bin Curt, Ihr Fahrer für heute.“ „Noah Kaiba. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Curt“ lächelte er und reichte auch den Bediensteten respektvoll die Hand, bevor er auf Patrice wies. „Meine Begleitung, Patrice Laframé.“ „Hallo“ grüßte auch sie und gab ihm die Hand. „Hallo Mademoiselle“ lächelte er und lüpfte seine Mütze, die er sich wieder aufsetzte. „Curt wird Sie den ganzen Tag begleiten. Und sollten Sie doch noch einen weitergehenden Wunsch haben, rufen Sie mich sehr gern an.“ Er reichte Noah die Hand zum Abschied, welche dieser auch gern nahm und drückte. „Haben Sie nochmals vielen Dank, Mr. Fumiko“ nickte er zurück. „Gern. Und dir wünsche ich einen ganz tollen Tag“ lächelte er zu Patrice, als Curt bereits die Tür öffnete und Noah herantreten ließ. „Paddy, kommst du dann?“ „Ja! Aufwiedersehen, Mr. Fumiko!“ Schnell kletterte sie auf Noahs Wunsch in den Wagen, bevor er ihr folgte. Das war eben seine gute Schule. Noah ließ Damen grundsätzlich vorgehen, selbst wenn es noch so junge Damen waren. Aber das war nur die erste Etappe auf einem Tag voller Aufregungen und Überraschungen. Aufregend war nicht nur die erste Fahrt in einer, wenn auch von Noah als ‚klein’ betitelten, Luxuslimousine, sondern auch, wie man behandelt wurde, wenn man plötzlich den Stempel V.I.P. besaß. Sie wurden direkt vor einem recht unscheinbaren Geschäft herausgelassen. Nebenan war ein italienisches Restaurant, wo selbst bei diesen etwas frostigen Temperaturen schon Leute draußen saßen und sich an Heißgetränken gütlich taten. Das Restaurant sah spannender aus als das kleine Schaufenster daneben. Dort war kaum ein Hinweis darauf, dass das eine Boutique sein sollte. Dort war nur ein kleines Regal mit Schmuck, Gürteln und Taschen aufgebaut, jede Menge Goldverzierung dazwischen und oben drüber in weißen Klebelettern ‚Ladies Eye’. „Eine richtige Boutique hab ich mir irgendwie anders vorgestellt“ musste sie doch etwas enttäuscht zugeben. Das Kaufhaus, an dem sie vorhin vorbeigefahren waren, sah irgendwie spannender aus. „Das glaube ich dir sofort“ lächelte er und legte ihr liebevoll den Arm um die Schultern. „Aber das ist das Geheimnis von guten Boutiquen. Je weniger nach außen strahlt, desto mehr Geheimnisse verbergen sich im Inneren. Sonst wäre der Laden wohl überlaufen.“ Zumal nicht nur das seiner Erfahrung entsprach, sondern er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Mr. Fumiko ihm ‚irgendeine’ Boutique empfehlen würde. Er wusste durchaus, dass es für die Familie Kaiba etwas ausgesuchter sein musste. „Lass uns mal einen Blick reinwerfen“ schlug er vor und zog sie mit sich über den Bordstein. Er öffnete die Tür und ein helles Glöckchen kündigte ihren Besuch an. Hier drin sah es wirklich anders aus als von draußen vermutet. An der Decke waren ausschließlich Glasfenster, sodass viel Sonnenlicht hereinfiel. Außerdem war hier ein teurer, dicker Teppich in tiefroter Farbe ausgelegt und die wenigen Kleiderstangen am Rande zeigten hauptsächlich Glitzer und wenig Stoff. Alles war sehr sporadisch und von daher schon fast wieder protzig in seiner Arroganz. Ja, das entsprach eher dem Bilde einer Boutique. Keine vollen Regale, sondern ganz wenig Ware und dafür umso mehr Beratung und umso höhere Preise - auch wenn Patrice hier auch auf den zweiten Blick nicht ein einziges Preisschild entdecken konnte. Geschweige denn etwas, was modisch zu ihr passen könnte. „Guten Tag, Mr. Kaiba. Wir haben Sie bereits erwartet.“ Aus dem Nebenraum kam eine recht kleine, sehr schlanke Frau in einem hautengen Kostüm auf sie zu. Das schwarze lockige Haar zu einem Dutt hochgesteckt und ihre dünnen, rot bemalten Lippen passten farblich sogar perfekt zu dem Rot ihres kurzen Rockes und ihrer hohen, roten Schnallenschuhe. Sie sah aus als hätte sie richtig Ahnung von Mode. Und dass der BH unter ihrer weißen Bluse etwas durchlinste, war wohl so gewollt, immerhin war er bestickt. „Ich bin Joan Gils. Mein Schwager hat Sie angekündigt.“ „Guten Mrs. Gils“ grüßte er und gab ihr freundlich die Hand. „Bitte nennen Sie mich Joan.“ „Gern, Joan. Ich bin Noah“ lächelte er und wies zur Seite. „Und das ist meine Schwester Patrice.“ „Oh, was für ein schöner Name“ freute sie sich und beeindruckte das Mädchen damit, dass an der Hand, die sie ihr reichte, ein ziemlich protziger Ring mit einem bestimmt echten Diamanten drin funkelte. „Kommst du aus Frankreich?“ „Nein, aus französisch Kanada“ antwortete sie und schüttelte der hübschen Frau ihre teure Hand. „Und Sie?“ „Ich? Oh, mein Name ist ein Künstlername“ lachte sie. „Ich komme aus Shoratawia. Ich hab zwar schon viele Länder gesehen, aber es hat mich immer zurück nach Hause gezogen. Bist du zum ersten Mal hier?“ „Ja.“ „Und wie gefällt es dir?“ „Ganz gut.“ Auch wenn Sie bisher nur alles von oben und ein wenig vom Autofenster aus gesehen hatte. Spontan sah es hier nicht anders aus als in einer anderen Stadt auch. „Das ist schön“ lächelte Joan sie freundlich an und wand sich dann wieder vertrauensvoll an Noah. „Und Sie möchten also, dass ich mich ein wenig um Ihre Schwester kümmere?“ „Das wäre ganz toll von Ihnen“ nickte er. „Wir haben allerdings nicht so schrecklich viel Zeit. Wäre eine Stunde in Ordnung?“ „Mehr als genug Zeit, um aus einem hübschen Mädchen eine junge Dame zu machen“ lächelte sie auf die Kleine und dann wieder zu ihm. „Was haben Sie sich denn vorgestellt? Nur Kleidung oder das Rundumsorglos-Paket mit Make-Up, Haaren, Nägeln?“ „Rundumsorglos wäre schon ganz gut. Patrice ist allerdings noch nicht ganz elf Jahre alt“ erklärte er. „Ich denke, Make-Up ist etwas overdone. Ansonsten toben Sie sich gern aus und unterstreichen sie ihren Typ. Es sollte etwas Businesstouch haben, wobei ein wenig verspielt vielleicht. Sie machen das schon. Geld spielt keine Rolle.“ „Das war mein Lieblingssatz“ lachte Sie erfreut. Wer hörte nicht gern, dass Geld keine Rolle spielte? Da war ihr ja wirklich ein selten guter Kunde ins Haus geflattert. „Ach, nur eine Bitte habe ich noch“ lächelte er verlegen und strich sich das Haar aus der Stirn. „Haben Sie vielleicht eine Krawatte für mich? Ich habe heute Morgen doch wirklich meine liegen lassen.“ „Natürlich. Krawatten haben wir mehr als genügend“ antwortete sie fröhlich und winkte eine ihrer Mitarbeiterinnen heran, die ähnlich edel herausgeputzt auf hohen Stilettos auf sie zustackste. Mit ihrem sehr dunklen Teint war es eindeutig, dass sie aus dem fernen Ausland stammte. „Hindy, kümmerst du dich bitte um unseren männlichen Besuch? Ich nehme Patrice dann mit nach hinten.“ „Selbstverständlich. Wenn Sie mir folgen wollen, Mr. Kaiba?“ Noch bevor Patrice sich überhaupt weiter orientieren konnte, wurde sie von Joan an der Hand genommen und in den hinteren Bereich gebracht. So eine Sonderbehandlung hatte sie noch nie erlebt, geschweige denn erwartet. Als Noah sagte, er würde ihr was kaufen, dachte sie an einen Besuch im Kaufhaus und nicht eine Grunderneuerung in der teuersten Boutique der Stadt! Sie wollte zwar gern ein wenig erwachsener wirken, aber nicht deshalb gleich ihren neu gewonnenen Bruder in himmelshohe Umkosten stürzen ... geschweige denn von einer fremden Designerin an sich herummachen lassen ... Aber alles ging gut und als sie nach nicht ganz einer Stunde endlich in den Spiegel blicken durfte, gingen ihr die Augen auf. War das wirklich sie? Davon, dass sie neue Unterwäsche trug, wollte sie mal absehen, zumal sie bisher nicht wirklich die Wichtigkeit eines BH’s realisiert hatte - bei ihrer geringen Oberweite brauchte sie eigentlich nicht mal einen. Dennoch ... Sie trug neue Lederstiefel mit einem kleinen Zentimeterabsatz, was ihr das Gefühl gab, sehr elegant zu stehen. Die schwarze Buntfaltenhose machte ihre Beine lang und gerade. Dazu ein weißes Kragenhemd und darüber eine schwarze Seidenweste. Diese machte ihre Taille nicht nur frauenhaft rund, sondern sie wusste, wie sehr Noah Westen liebte seit Mokuba die öfter trug. Und da tat der eigentlich unnütze BH doch seinen Dienst und gab ihr zumindest psychisch ein erwachsenes Gefühl. Das Haar hatte man ihr in zwei Strängen über den Kopf nach hinten geflochten, was ihr zwar einen jugendlichen, aber trotzdem eleganten Touch gab. Die neuen Herzohrringe mit kleinen Glitzersteinchen sahen ebenso toll aus wie das dazu passende Armband, die Halskette und die Silberuhr. Eine schwarze Lederhandtasche mit kurzen Griffen hatte man ihr auch gegeben, um ihr den Rucksack zu ersetzen und darin sogar ein dazugehöriges Portemonnaie. Make-Up hatte sie zwar wirklich keines bekommen, aber dafür eine Creme, die ihr eine leuchtende Haut gab und die Nägel hatte man ihr ebenfalls gefeilt und farblos lackiert. Das I-Tüpfelchen jedoch war ein Parfum, welches man ihr erst aufgetragen und dann in einem kleinen, kunstvollen Flakon in die Handtasche gesteckt hatte. Und so im Spiegel erkannte sie sich kaum wieder. Hatte sie sich eben noch wie ein dummes Schulmädchen gefühlt, so hatte sie jetzt viel eher das Gefühl, an Noahs Seite zu passen. Was Kleidung doch ausmachen konnte ... jetzt konnte sie total verstehen, warum Mokuba so sehr danach eiferte, ihm zu gefallen und auch im Stil zu ihm zu passen. Noah war es wert, dass man sich für ihn veränderte. Nicht, weil er es so wollte, sondern einfach, weil er es wert war und auch selbst darauf achtete, dass er immer eine gute Figur machte. „Ich sehe, du gefällst dir“ lächelte die freundliche Joan und trat hinter ihr in den Spiegel. „Und fühlst du dich wohl?“ „Ja“ antwortete sie noch immer in vollem Staunen. „Ich sehe ganz anders aus.“ „Nicht anders, verändert“ berichtigte sie fröhlich. „Komm, dann wollen wir mal deinem Bruder zeigen, wie du aussiehst.“ „Wem?“ Sie drehte sich herum und wusste spontan gar nicht, wovon die gute Frau überhaupt sprach. „Deinem Bruder“ wiederholte sie rätselnd. „Noah ist doch dein Bruder ... oder nicht?“ „Noah! Ach so, ja!“ Gott, wie peinlich. Sie sah Noah noch gar nicht richtig als ihren Bruder an. Dafür besaß er noch viel zu sehr seinen Götterstatus. „Ihr kennt euch noch nicht lange, oder?“ fragte sie freundlich, während sie ihren jungen Gast zurück in den Laden eskortierte. „Merkt man das?“ fragte sie etwas geknickt zurück. Sie wollte ja gern, dass Noah ihr Bruder war, aber dennoch wussten sie noch viel zu wenig voneinander. Natürlich hatte sie seine Steckbriefe in- und auswendig gelernt, aber ihn persönlich zu kennen, war irgendwie etwas ganz anderes, als nur seine Körpergröße und Lieblingsfarbe zu wissen. „Ein bisschen, ja“ antwortete sie in einem freundschaftlichen Ton. „Nicht nur, dass er dir scheinbar die Welt zu Füßen legen möchte. Ich habe auch das Gefühl, er ist etwas befangen. Er scheint sehr auf dich zu achten, aber ein wenig wirkt es als würde er noch Scheu vor dir haben.“ „Woher wissen Sie denn das?“ „Erfahrungswerte“ lächelte sie wissend voraus. „Ich habe eine recht gute Menschenkenntnis. Und die sagt mir, dass er dir näher sein möchte, als er sich selbst zutraut.“ „Ich traue mich ja auch nicht richtig“ gab sie verlegen zu. „Ich meine, er ist so intelligent und so hübsch und so reich und so gebildet. Und ich bin nur in der fünften Klasse und wohne irgendwo auf einem Feld. Wir sind ja nicht mal blutsverwandt ...“ „Ich glaube, das ist ihm gar nicht wichtig“ tröstete sie, als sie die Tür öffnete, die Kleine dann an den Schultern griff und lächelnd ansah. „Schau mal, wenn er dich nicht mögen würde, dann hätte er dich doch gar nicht mitgenommen. Er stellt dich sogar als seine Schwester vor. Das würde er nicht tun, wenn er sich das nicht wirklich wünschen würde. Hey, er ist Noah Kaiba. Er muss nichts tun, was er nicht wirklich will. Hast du dir das mal überlegt?“ „Na ja ...“ Nein, nicht wirklich. Aber irgendwie hatte die freundliche Frau Recht. Noah musste nichts tun, was er nicht selbst wollte. Aber er hatte selbst vorgeschlagen, sie heute mitzunehmen. Er sprach sogar von ihr als seine Schwester. Und er war doch schließlich kein Lügner. „Aber er ist trotzdem ein Mann, also mach es ihm etwas leichter, seine Gefühle zu zeigen“ zwinkerte sie sie neckisch an. „Du weißt doch, wir Frauen können so was besser. Geh offener auf ihn zu, nimm seine Hand. Dann werdet ihr ganz schnell warm miteinander. Sei natürlich, dann wird er auch nicht das Gefühl haben, sich verstellen zu müssen.“ „Meinen Sie wirklich?“ „Aber natürlich“ lächelte sie begeistert. „Und dieser Tipp war sogar kostenlos. Und jetzt werde ich gehen und deinem Herren Bruder die Rechnung präsentieren. Wenn er dich danach immer noch lieb hat, ist das Geschwisterliebe fürs Leben.“ „Danke, Joan“ lächelte sie etwas getröstet. „Sie sind wirklich sehr nett.“ „Du auch, Patrice.“ Sie richtete nochmals stolz die beiden kurzen Flechtzöpfe und erhob sich dann wieder, tat den Vorhang zur Seite und kam zurück in den Verkaufsraum. „Hindy? Wo ist unser Gast?“ „Nebenan“ antwortete sie und blickte von ihrer Schreibarbeit auf, welche sie gerade am einem kleinen Tisch verrichtete. „Ich habe ihm einen Tee gemacht und nun wartet er gespannt darauf, dass ihr fertig werdet.“ „Dann werden wir ihn mal erlösen. Komm mit Patrice.“ Sie nahm die Kleine an der Schulter und führte sie neben sich her. Einmal quer durch den Raum bis sie durch eine angelehnte Tür mit der Aufschrift ‚Privat’ in eine Art Wohnküche kamen. Zwar schien es, als wäre dies durchaus ein Kundenraum und keine ‚typische’ Wohnungsküche, aber dennoch war das mal ein anderes Umfeld als ein traditioneller Warteraum. Heimeliger. Jedenfalls stand dort ein Kühlschrank, ein Herd, eine Mikrowelle, Hängeschränke und in der Mitte des ganz in weiß gehaltenen Raumes ein Esstisch mit sechs Stühlen. An einem davon saß Noah und tippte mit einem kleinen Stift auf seinem Handy herum, bei welchem Patrice sich ohnehin schon fragte, ob man damit auch Raumschiffe steuern konnte. Noahs Minitechnik konnte ja schließlich so gut wie alles. Doch er hatte sie über das leise Radiogedudel bereits gehört und blickte auf, um zu sehen, was da auf ihn zukam. „Wir sind fertig“ lächelte Joan und schob Patrice in den Raum. Erst war auf Noahs Gesicht nicht viel zu erkennen. Er blickte an ihr hinauf und hinunter und einen Moment befürchtete sie schon, dass ihm das neue Styling missfiel. Jedoch dann strahlten seine Augen und er zeigte das schönste Lächeln der Erde. „Paddy, du siehst toll aus!“ staunte er, steckte das Handy weg und erhob sich, um auf sie zuzugehen. „Wie eine echte Geschäftsfrau. Dreh dich doch mal.“ Ein verlegenes Rot legte sich auf ihre Wangen, als sie sich langsam drehte und dann schüchtern an ihm hinaufsah. „Gut so?“ „Also, mir gefällt es unglaublich gut“ strahlte er und legte ihr begeistert beide Hände auf die Schultern. „Gefällst du dir denn auch?“ „Ja“ antwortete sie aufgeregt. „Alles ist neu. Von den Schuhen bis zu den Haarspangen. Ich fühle mich richtig hübsch.“ „Das freut mich, Herzchen“ lächelte er und sah sie noch einen ganzen Moment verliebt an, bevor er sich an die zufrieden dreinschauende Joan richtete. „Haben Sie vielen Dank, Joan. Es war eine gute Wahl, herzukommen.“ „Und die Krawatte steht Ihnen auch“ erwiderte sie und nickte auf das neue Stück um seinen Hals. Zu seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug und dem weißen Hemd passte eine dunkelblaue Krawatte mit weißem Rankenmuster wirklich gut. „Um ehrlich zu sein, habe ich gleich zwei gekauft. Ich hab eine entdeckt, die perfekt zu meinem Bruder passt.“ „Sie meinen sicher die weiße, mit den silbernen Glücksdrachen drauf“ lächelte sie wissend. „Um ehrlich zu sein, musste ich auch an ihn denken, als meine Angestellte sie gefertigt hat. Dieses Drachenmuster ist der Renner im Moment, aber nicht jeder kann weiß tragen. Die roten und blauen gehen wesentlich besser weg. Sollen wir sie als Geschenk verpacken?“ „Das hat Ihre reizende Kollegin bereits erledigt“ sagte er und zeigte eine kleine Tasche hoch, die er eben vom Stuhl nahm. „Nun dann, wollen wir?“ „Sicher, wenn Sie noch einen Moment erübrigen können.“ Nun bekam Patrice doch ein etwas schlechtes Gewissen, als Noah ihr hinausfolgte und sie gemeinsam zur Kasse gingen, welche etwas versteckt in der Ecke des Verkaufsraumes stand. So eine Beschenk-Aktion war ja ne tolle Sache, aber dass Noah das jetzt alles bezahlen musste, war ihr doch etwas peinlich. Joan zückte einen Zettel, einen Stift und legte los. „Nun, da haben wir zuerst die Accessoires. Das Set Silberherz mit zwei Haarspangen, einem Armband, einer Armbanduhr, einer Halskette und zwei Ohrringen mit jeweils 1,5 Karat Diamanten auf Weißgold. Das Echtheitszertifikat sollte Hindy Ihnen bereits beigelegt haben.“ „Hat sie“ nickte Noah und blickte Patrice liebevoll an. „Schätzchen, bist du so lieb und schaust mal nach, ob Curt schon da ist?“ Dass er nur wollte, dass die genauen Summen nicht an ihre Ohren drangen, braucht er gar nicht so deutlich zu sagen. „Okay ...“ flüsterte sie, drehte sich herum und ging langsam durch den Raum zum Schaufenster, um hinauszublicken. Dass sie so teuren Schmuck trug, der sogar ein Echtheitszertifikat bekam, das machte ihr irgendwie ein schlechtes Gewissen. Hätte sie gewusst, dass Noah so viel Geld ausgab ... sie hätte niemals so leichtfertig sein Angebot angenommen. Dennoch konnte sie nicht anders als die Ohren zu spitzen, während Joan weiter aufzählte, was sie alles hatte. Über die Unterwäsche bis zum Parfum. Alles schrieb sie ihm auf und berechnete es. Patrice hätte nicht hinhören sollen ... sie konnte sich die Zahl ja nicht mal merken ... aber sie hörte irgendwie die Zahl 30.000 da heraus. Ganz genau konnte sie es nicht verstehen, aber sie schwor sich, dass sie ab sofort nie wieder wachsen würde, um nicht aus diesem teuren Outfit herauszukommen. Doch wie abgedreht und anspruchsvoll Noahs Einkaufsgewohnheiten wirklich waren, offenbarte sich ihr in anderer Form. Als sie so in ihrer Limousine saßen und Patrice aus dem Fenster blickte, rutschte Noah plötzlich neben sie und blickte ebenfalls hinaus. „Was ist denn da?“ Er hatte wohl bemerkt, dass sie ziemlich gedankenverloren hinausblickte, was ihr nun doch spontan peinlich wurde. „Nichts“ antwortete sie zurückhaltend. „Nur die Autos da.“ „Ja, die sind wirklich hübsch“ musste er zugeben. Direkt vor ihnen konnten sie einen großen Autohändler mit offenem Glasbau erkennen. An den nicht-überdachten Ausstellungsflächen mit den Gebrauchtwagen waren sie bereits vorbeigefahren, aber nun standen sie an der Ampel und hatten einen Blick auf die Autos, welche innerhalb des Glasgebäudes standen. „Interessierst du dich für Autos?“ „Eigentlich gar nicht“ musste sie zugeben und zeigte hinaus. „Ich hab nur den da erkannt. Das ist ein VW Phaeton.“ „Stimmt, da hast du Recht“ lächelte er sie lieb an. „Und warum erkennst du gerade dieses Auto? Ich meine, der Lamborgini daneben sieht doch viel auffälliger aus.“ „Wer?“ guckte sie ihn verdutzt an. „Der Lamborgini. Der gelbe da“ zeigte er etwas weiter nach rechts. „Den erkennt man doch viel leichter.“ „Ich finde Autos eigentlich langweilig“ wiederholte sie und schaute wieder zum Fenster hinaus. „Aber den Phaeton erkenne ich immer. Das ist Papas Lieblingsauto. Er sagt, er mag den Wagen, weil er so schlicht aussieht und so viel Power im Inneren hat. Wenn er den sieht, labert er und labert und labert.“ „Aber er hat Recht. So ein Phaeton ist eine schöne Sache“ musste Noah beipflichten. Er hatte die Liebe zu Sportwagen vor einigen Jahren abgelegt und angefangen, sich bodenständigere Autos zu kaufen. Sollten Seto und Moki doch ihre Ferraris fahren, er setzte sich lieber in Autos, die Rücksitz besaßen. Schon komisch, dass er diesen Geschmack wohl mit Gordon gemeinsam hatte. Und bei diesem Gedanken zuckte es durch seinen Kopf. „Du sagst, er liebt dieses Auto?“ „Total“ seufzte sie. „Er hat sich sogar mal beim Autohändler reingesetzt und ist damit gefahren. Aber gekauft hat er dann doch nichts. Er sagt, das kostet über 100.000 Dollar.“ „Und das ist nur die Grundausstattung“ pflichtete Noah bei, bevor er sich umdrehte und die kleine Trennscheibe zum Fahrerraum aufzog. „Curt?“ „Mr. Kaiba?“ antwortete er ruhig. „Es tut mir leid, diese Straßen hier sind immer recht voll. Aber es ist der schnellste Weg ins Stadtzentrum.“ „Kein Problem, wir haben ja noch eine Dreiviertelstunde. Sind Sie so nett und fahren mal bei dem Autohändler hier auf?“ „Natürlich sehr gern.“ Er lenkte ein und schon befand er sich auf dem Schneckenweg auf die andere Spur zum Straßenrand. „Was hast du vor?“ Patrice drängte sich da ein mehr als furchtbarer Gedanke auf, als Noah die Scheibe wieder zuschob und mit blitzenden Augen aus dem Fenster sah. „Was hältst du davon, wenn wir Gordon ein kleines Souvenir mitbringen?“ fragte er sie ganz ernst. „Meinst du, er wäre beleidigt? Ich meine, ihr habt ja nur diesen alten Bus.“ „Das ist doch viel zu teuer“ bat sie atemlos. „Außerdem sagt Papa, er kann damit nicht so viele große Gegenstände transportieren. Er repariert den Bus immer selbst und sagt, es ist ein gutes Auto zum Arbeiten.“ „Er soll deswegen ja auch den alten Wagen nicht abschaffen. Ich meine nur ... oder wäre das zu protzig?“ „Papa sagt, wenn er das Geld hätte, würde er davon was anderes kaufen“ meinte sie und sah sehnsüchtig hinaus. „Aber ich glaube, er möchte total gern einen Phaeton haben. Er hat mir auch mal gesagt, dass es nicht schlimm ist, dass du mehr Geld hast als wir. Aber wenn du mal einen Phaeton hast, dann will er fragen, ob er mal damit fahren darf.“ „Ich hab ja schon einen. Aber ich möchte ihn ja nicht damit beleidigen“ bat er wahrhaft unentschlossen. „Meinst du, er wäre beleidigt?“ „Nein, glaube ich nicht.“ Sie drehte sich um und lächelte ihn an. „Papa wäre wahrscheinlich überglücklich. Das würde er nur nie sagen. Aber das Auto guckt er schon ganz lange an.“ „Wir können es uns ja mal ansehen“ schlussfolgerte Noah und ließ seine Augen kurz über den Hof des Händlers gleiten, während ihre Limousine ganz am Rande hielt. Es dauerte nur Sekunden bis auf Patrices Seite die Tür aufging und Curt sie höflich zuerst aussteigen ließ, bevor Noah ihr folgte. „Danke. Wir sind gleich wieder da“ nickte Noah ihm zu und lächelte zu der Kleinen herunter. „Dann komm, Herzchen.“ Ihr Herz schlug immer wilder, je näher sie den teuren Geschossen kamen. Den kurzen Weg über den Außenhof, dann durch eine kleine Drehtür und hinein in den Glassaal, in welchem die Autos standen, die sich ein Normalsterblicher nur ansehen durfte. Auch wenn sie genau das vorerst auch nur mal taten. Direkt auf den anvisierten Phaeton zugesteuert, blieben sie davor stehen und linsten mal durchs Seitenfenster in den Innenraum. Da Noah nichts berührte, traute auch Patrice sich nicht zu, überhaupt nur über den Lack zu streichen. Wenn sie mit ihrem Armband einen Kratzer hinterließ, würde Noah das überteuer bezahlen müssen. Und ihre Mama hatte sie mal gelehrt: Berühre niemals Dinge, die kein Preisschild haben. „Guten Tag. Darf ich Ihnen helfen?“ Sofort war auch ein Verkäufer zur Stelle und bot sich an. Mit Patrice sprach er nicht weiter, er wand sich direkt an Noah. Er wirkte noch recht jung, sicher nicht älter als Noah, um die 30. Ein irgendwie allzu typischer Verkäufer. Sein dunkles Haar war grob gelockt, sein Anzug von der gehobenen Stange, seine Schuhe poliert und sein Lächeln aufgesetzt. Zumindest bis Noah sich umdrehte und ihm ein „Ja, bitte“ entgegnete. Da fiel ihm für einen Moment alles aus dem Gesicht und er richtete sich zwar erfreut, aber sichtlich verwundert auf. „Noah Kaiba?“ „Lustig, so heiße ich auch“ schmunzelte er zurück. War wohl nicht das erste Mal, dass er mit seinem eigenen Namen begrüßt wurde. „Entschuldigung. Wie unhöflich.“ Er streckte ihm sofort die Hand hin und musste sich nun wirklich zusammenreißen. So einen Kunden hatte man rundum zufrieden zu stellen. „Hunser mein Name. Bitte nennen Sie mich George.“ „Gut, George“ lächelte er zurück und schüttelte ihm die Hand. „Sie interessieren sich für den VW oder kann ich Sie beraten?“ „Wir wissen schon ziemlich genau, was wir wollen. Fraglich nur, ob Sie uns da entgegenkommen können.“ „Wir werden sicher einen Weg finden. Nicht umsonst sind wir der renommierteste Händler am Platz.“ „So so“ nickte Noah vielsagend. Das hatten schon viele gesagt, bevor sie Noah trafen. Es war bekannt, dass Seto Muto viel und in Massen kaufte. Seto kaufte wahllos alles, was seinen Blick einfing. Ob er das dann am Ende wirklich brauchte, stellte sich dann irgendwann später heraus, wenn er Zuhause aussortierte. Noah kaufte wenig, häufig gar nichts. Aber wenn er mal kaufte, dann ausgesucht und ohne Preislimit. Noah musste man begeistern und ihm jeden Sonderwunsch erfüllen - dafür zahlte er gut. „Nun, was kann ich für Sie und Ihre bezaubernde Begleitung tun?“ lächelte der junge Verkäufer seinen zu gewinnenden Kunden an. „Wir interessieren uns für den Phaeton hier“ antwortete er und legte seine Hand auf das Dach des teuren Automobils. „Aber um ehrlich zu sein, sind wir noch etwas unschlüssig.“ „Was genau soll er denn haben?“ „Was genau hat er denn schon?“ „Also“ er holte tief Luft, trat neben Noah und präsentierte das Stück, welches das Interesse des großen Kaibas weckte und hoffentlich befriedigte. „Dieses Ausstellungsstück ist der Phaeton 6.0 W12 4Motion. Ausgestattet mit langem Radstand, 5-Gang-Automatik und 331 kW. Leichtmetallräder Spirit 8 1/2 J x 18 Reifen 255/45 R 18. Verbraucht 14,5 Liter auf 100 km und liegt bei der CO2-Emission bei 348 g/km.“ Er ging um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. „Die Lackierung ist Apassionata-Blau, der Kofferraum, als auch die Sitzbezüge ergänzen sich in einheitlichem Kristallgrau in **jetzt kommt ein Tripple** Volllederausstattung. Die Rücksitze sind selbstverständlich umklappbar, was für besonders viel Stauraum sorgt.“ „Mich interessiert mehr der Vorderraum.“ „Natürlich. Wollen Sie mal sitzen?“ Er schloss den Kofferraum wieder und führte Noah herum, öffnete ihm die Tür, damit er sich hinters Lenkrad setzen und alles live beäugen konnte. „Sie sehen auch hier die helle **masu loves Tripples** Volllederausstattung, Hutablage, die Applikationen in hell lackierter Kastanie. Diese Ausstattung umfasst automatische Distanzregelung und zusätzlich hierzu ein Umfeldbeobachtungssystem. Dämmverglasung mit beheizbarer Frontscheibe, elektrisches Schiebedach und Fondsitzanlage mit beheizbaren Vorder- und Rücksitzen inklusive Standheizung. Und natürlich die Tiptronic-Bedienung über Schaltwippen an der Lenksäule. Hier.“ „Sehr schön. Wirklich“ nickte Noah anerkennend, strich nachdenklich über das helle Lenkrad und blickte an ihm vorbei zu Patrice hinaus. „Möchtest du auch mal sitzen?“ „Na ja ..“ Eigentlich nicht. Sie verstand nur nicht nichts von Autos, sondern die Gefahr, etwas kaputt zu machen, ließ sie doch leicht nervös werden. „Ich mache dir die Tür auf“ bot der engagierte George an und lief herum, wo er ihr dann die Beifahrertür offen hielt. Etwas zittrig setzte sie sich zu Noah hinein und stellte sofort fest, was das für ein Unterschied zu normalen Autos war. Es roch noch ganz neu, die Sitze waren hart und überhaupt war alles glänzend und sauber und glitzernd - ganz anders als in ihrem alten Transporter, dessen Sitze geflickt und dessen Fußmatten ständig sandig waren. „Und? Gefällt er dir?“ lächelte George sie wissend an. Natürlich war so ein Auto für ein junges Mädchen beeindruckend. Noah Kaiba hatte solche Wagen sicher schon zu häufig gesehen, um ihn noch groß beeindrucken zu können. Aber vielleicht konnte er ja über die Kleine punkten. „Ziemlich groß“ musste sie zugeben. „Von draußen ist die Farbe ganz schön. Aber ich finde die Sitze etwas hell. Ich meine, draußen ist das Auto dunkel und innen hell ... sieht komisch aus.“ „Geht mir auch so“ musste Noah zustimmen und sah George an. „Können wir an der Ausstattung noch etwas ändern?“ „Individualisierung ist kein Problem“ lächelte der zuversichtlich. „Wir können gern in mein Büro gehen und mal nachschauen, was ich Ihnen anbieten kann.“ „Gut.“ Noah nickte und stieg aus. Sofort war auch Patrice draußen und wollte die Tür schließen. Aber sie bemerkte, dass Noah das auch nicht tat und so ließ sie es bleiben. Das musste der Verkäufer tun. Der Kunde selbst legte grundsätzlich erst mal nirgends Hand an. „Haben Sie denn schon länger so einen Wagen im Auge?“ plauderte der Händler, während er die beiden hinter sich her und an lauter anderen polierten Autos weiter abseits führte. „Um ehrlich zu sein, habe ich davon schon einen“ gab Noah offen zu. „Nun, wo ich überlege, einen zweiten zu erstehen, weiß ich ziemlich genau, was er haben soll und was nicht.“ „Schön, wenn ein Kunde sich auskennt und weiß was er will“ antwortete er höflich. Noah bezweifelte zwar, dass das so schön war, wenn er klare Ansagen machte, aber er ließ das höfliche Geschwätz eben über sich ergehen. Kunden, die sich auskannten, waren im Allgemeinen eher schwierig, da man ihnen schlecht etwas aufschwatzen konnte. Und Noah ließ sich grundsätzlich keinen Mist andrehen. Zumal das hier nicht sein erster Wagen war. „Ich habe einen kleinen Faible für große Wagen“ erwiderte Noah nichtssagend und stieg ihm nach eine Stufe empor, bevor ihm eine Glastür aufgehalten wurde, welche er dann durchschritt. „Setzen Sie sich gern schon mal“ wies er auf die drei Stühle, welche auf der Außenseite seines langen, aber schmalen Schreibtisches standen und schloss die Tür, nachdem Patrice eingetreten war. „Ich suche noch eben die Unterlagen heraus.“ Während er also einen Schrank öffnete und den richtigen Ordner heraussuchte, rückte Noah seinem Mädchen den Stuhl zurecht und ließ sie platznehmen, bevor er sich selbst setzte. „Möchten Sie vielleicht etwas trinken, Mr. Kaiba?“ „Danke, wir sind etwas in Eile“ lehnte er ab und sah seitlich zu ihr. „Oder möchtest du etwas, Paddy?“ „Nein“ schüttelte sie den Kopf. Im Moment überschlug sich ihr Magen so oder so. Da jetzt noch etwas reinzuzwängen, könnte böse enden. Allein dieses Büro hier war so ungewohnt. Eigentlich war dies ein größerer Raum, welcher nur durch hellgraue Stellwände in vier kleinere Areale getrennt wurde. Zwei davon größer, die anderen beiden etwas kleiner. Sie waren hier in einem der größeren. An der festen Wand stand der leichte Holzschrank, während sich hinter dem Schreibtisch eine der Stellwände befand. Ansonsten um sie herum nur schlierenfreies Glas, durch welches man den Verkaufsraum einblicken konnte. Aber im Augenblick schienen sie die einzigen Kunden zu sein. Bis auf ein jüngeres Paar, welches draußen herumlief und sich von einer Verkäuferin im langen Rock die Gebrauchtwagen zeigen ließ. „So, da haben wir es auch schon.“ George setzte sich hinter seinen Bildschirm und tippte kurz etwas ein, bevor er den Ordner aufschlug und Noah mit fast peinlich hell leuchtenden Augen anblickte. „Darf es noch ein wenig mehr sein?“ „Wenn Sie mitschreiben möchten“ lächelte Noah zurück und lachte höflich mit, als auch der Verkäufer in ein gefälschtes Lachen verfiel. So lange bis er hinzusetzte: „Das war ganz ernst gemeint.“ „Sie sind wirklich ein spannender Kunde“ schmunzelte er, rollte ein kleines Stück zur Seite und setzte sich aufmerksam an die Tastatur. „Wollen wir gemeinsam mal die individuellen Ergänzungsmöglichkeiten durchgehen?“ „Nein danke. Ich diktiere lieber.“ Und dass Noah das wörtlich meinte, hatte wohl auch der Verkäufer nicht erwartet. Geschweige denn Patrice, der langsam schwindelig wurde. „ Was unbedingt noch mit eingesetzt sein sollte, ist ein Parkdistanzsystem inklusive dem neuen Spurenwechselassistenten. Ein Audiosystem mit 12-Kanal-Verstärker und Surround-Lautsprechern, DVD-Navigationssystem, Reifenfülldruck-Kontrollsystem, Winterrad-Ausführung ‚Champion’ mit zusätzlichen Sensoren für das Reifenfülldruck-Kontrollsystem, Mobiltelefonvorbereitung rSAP inklusive Dachantenne und zusätzlichem Bluetooth-Bedienhörer, TV-Empfang in der Mittelkonsole. Natürlich noch ein keyless Access mit fern- und zeitsteuerbarer Standheizung. Außerdem eine abnehmbare Anhängervorrichtung und ein Handfeuerlöscher. Sicherheit muss sein.“ Es dauerte einen Augenblick bis ihr Berater sich gefangen hatte und verdutzt die diktierten Daten in seinen Rechner schrieb und klickte. „Und ich würde gern das Buch für Stoff- und Ledermuster sehen“ setzte er noch hinzu. „Wenn ich das so sehe, wollen Sie das ganze Paket.“ „Nun ja. Fast“ lächelte Noah. Ja, er hatte einen kleinen Faible für große und teure Autos. Mit einem noch recht entrückten Augenschlag zog er eine Schublade seines Schreibtisches auf und gab ein dünnes Buch heraus, welches er schon mal aufschlug und hinlegte. Darin verschiedene Stoff- oder Ledermuster in unterschiedlichen Farben und Maserungen schon auf der ersten Seite. „Der Außenlack gefiel uns ja“ lächelte Noah dann Patrice an, als er ihr das Buch hinüberschob und zu ihr rutschte. „Was meinst du, Herzchen? Welches Muster wollen wir haben?“ „Ich darf das aussuchen?“ „Natürlich“ zwinkerte er ihr neckisch zu. „Bei so was braucht man weiblichen Geschmack.“ „Hm ... erst mal gucken.“ Langsam blätterte sie das Buch durch, während Noah sich wieder an ihren Verkäufer wand. „Nun George. Meine Individualeinstellungen sind doch sicher machbar.“ „Fast eine Sonderanfertigung, aber absolut machbar“ nickte er mit einem Seitenblick auf seinen Bildschirm. „Ich gehe davon aus, dass Sie den Wagen nicht leasen wollen?“ „Hatte ich nicht vor. Ist ja kein Firmenwagen“ erwiderte er nüchtern. „Was sagt denn der Preis?“ „In dieser Spezial- und extra Lederausstattung ... Moment.“ Er tippte noch etwas ein, scrollte herunter und schockte dann wohl hauptsächlich Patrice mit einer langen Zahl. „Gerundet sind wir bei knapp 235.000 Dollar zuzüglich Steueranmeldung. Möchten Sie einen Ausdruck der Aufstellung haben?“ „Nein. Das kann ich mir merken und meine Kreditkarte ist gedeckt“ meinte er gruselig ruhig, bevor er Patrice über die Schulter linste. „Na? Welches Leder gefällt dir?“ „Ähm ... das?“ Sie zeigte vorsichtig auf einen der Stoffe und erntete ein zufriedenes Nicken. „Ja, dunkles Anthrazit hätte ich auch ausgesucht“ pflichtete er ihr bei. „George, wir möchten das dunkle Anthrazit. Wenn das geht.“ „Geht natürlich alles, Mr. Kaiba.“ Er rieb sich innerlich schon die Hände. Bestimmt dachte er sich auch, dass er niemals in so kurzer Zeit mit einem so leichten Kunden so massig viel Geld verdient hatte. Aber wenn er glaubte, Noah Kaiba wäre ein leichter Kunde, hatte er sich leider getäuscht. „Ich bräuchte natürlich noch einige Daten von Ihnen, Mr. Kaiba. Wohin möchten Sie den Wagen denn geliefert haben?“ „Ich würde ihn gern persönlich abholen. Hier“ lächelte er und wusste, dass er gleich ziemlich viel fordern würde. „Oh, wir würden ihn auch nach Hause liefern“ antwortete George und tippte weiter auf seiner Tastatur herum. „Ich muss natürlich anfragen, aber wir wollen uns ja nach Ihnen richten. Zu wann hätten Sie den Wagen denn gern?“ „In ungefähr drei Stunden.“ Das war jetzt der Knackpunkt. Es war kein Problem eine Liste aufzunehmen und eine entsprechende Spezialanfertigung bauen zu lassen. Es war aber durchaus ein Problem, dies innerhalb weniger Stunden zuende zu bringen. Wohl genau deshalb blickte George auf und hatte das Leuchten seiner Augen viel zu schnell wieder eingebüßt. „Sicher ist das viel verlangt. Aber es sieht doch so aus“ sprach Noah mit überzeugter Kundenstimme. „Ich bin nur heute für einen Tag in der Stadt und würde gern in meinem neuen Wagen zurück nach Domino fahren. Später als heute Abend kann ich den Wagen nicht mehr brauchen.“ „Mr. Kaiba, bei all meiner Verehrung für Sie“ sprach er mit einem fast flehenden Unterton. „So eine Sonderanfertigung benötigt mindestens drei Wochen. Der Wagen würde ja extra für Sie produziert werden. Wir können Ihnen aber einen Leihwagen in ähnlicher Qualität ...“ „Ich würde durchaus einen entsprechenden Aufschlag zahlen“ unterbrach er seine faden Ausreden. „Natürlich kann ich Ihnen nicht sagen, wie Sie ihre Arbeit machen sollen, aber ich brauche den Wagen heute. Sonst muss ich bei meinem eigenen Händler anfragen, der diesen Service bisher problemlos offerieren konnte.“ „Mr. Kaiba. Wir stehen nicht im direkten Kontakt mit den Herstellern. Wir verhandeln entsprechend mit Zwischenhändlern und ...“ „In diesem Falle, George“ sprach er und verwandelte sein so freundliches Gesicht in eine angehend ernste Mine, „schlage ich vor, dass Sie mit Ihrem Vorgesetzten sprechen. Vielleicht hat er Kontakte, die mir mein Anliegen erleichtern können. Ich zahle zwar sehr gut, aber ich bettele nicht darum, etwas zu kaufen.“ Er holte ein kleines Etui aus der Innentasche seines knielangen Mantels, öffnete es und legte ihm eine Visitenkarte auf den Tisch. „Ich muss jetzt leider weiter, aber ich würde mich freuen, wenn Sie mich später anrufen und mir sagen, wann mein Wagen bereitstehen wird.“ „Ich kann es versuchen“ erwiderte George mit zweifelnder Stimme und nahm die begehrte Visitenkarte an sich, blickte sie furchtsam an. „Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“ „Sollte ich nichts von Ihnen hören, werde ich Sie natürlich auch nicht weiter behelligen.“ Noah lächelte zwar, aber nicht nur George, sondern auch Patrice merkten deutlich, dass er ein Nein nicht akzeptieren würde. Seine Philosophie war: ‚Geht nicht gibt’s nicht’. Das galt sowohl für Noah als Anbieter für eigene Kunden, als auch als Kunde selbst. Wenn er etwas haben wollte, dann wollte er es. Und wenn er es nicht bekam ... nun ja, er war nicht unhöflich, aber sein Anliegen hatte er verdeutlicht. „Ich erwarte dann Ihre Rückmeldung. Komm, Paddy. Wir wollen weiter.“ „Ja.“ Jetzt hatte sie bei ihm wirklich ein anderes Gesicht gesehen und sie war erstaunt, wie hartnäckig er sein konnte. Er machte immer so einen netten und zuvorkommenden Eindruck. Bei Mokuba und anderen wirkte er manchmal sogar extrem nachgiebig, aber es wäre doch ein Wunder, wenn er mit so einem weichen Wesen wirklich erfolgreich sein könnte. Nach außen hin war er immer souverän und weltgewandt, höflich und wohlerzogen. Aber in ihm schlummerte ein Raubtier, welches man lieber nicht herausfordern sollte. Man tat gut daran, sich es mit ihm nicht zu verderben - und ihm ein Nein zu verpassen, verzieh er niemandem so leicht. Chapter 9 „Ist etwas mit dir? Du bist so ruhig.“ Noah bemerkte, dass seine Kleine ziemlich still geworden war, seit sie wieder in der Limousine saßen. „Nein, alles okay“ antwortete sie und sah ihn umgehend aufmerksam an. „Tut mir leid.“ „Was denn?“ „Was?“ „Was dir leid tut“ lächelte Noah sie sanft an. „Du bist so still seit wir beim Autohändler waren. Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ „Du hast dem Mann ja ganz schön Angst gemacht“ gestand sie, senkte ihre Stimme und ihren Blick. „Na ja, Angst nicht unbedingt“ erwiderte er ruhig. „Wäre Seto dabei gewesen, DANN hätte er Angst bekommen.“ „Na ja ...“ „Ist es das?“ fragte er lieb und legte seinen Kopf zur Seite, um sie liebevoll anzusehen. „Hab ich irgendwas gemacht, dass du ... so bist? War ich arrogant?“ „Bitte sei nicht böse, ja?“ Vorsichtig blickte sie auf und scheute den Augenkontakt noch ein wenig. „Ich hätte nicht erwartet, dass du ... ‚so’ bist. Ich meine, sonst bist du immer lieb und nett und bei ihm ...“ „Ja, ich war recht bestimmt“ ergänzte er, ahnend was sie zu sagen versuchte. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Ich bin wohl nicht so wie du gedacht hast.“ „Nein, das nicht ... aber ... sei nicht böse, ja?“ „Ich bin nicht böse.“ Er versuchte sie mit einem Lächeln zu beruhigen und schlug elegant die Beine übereinander. „Ich halte es aber für ehrlich, den Leuten zu zeigen, wenn mir etwas nicht passt. Und an George passte mir etwas ganz gewaltig nicht.“ „Und was?“ fragte sie verwundert. „Er war doch sehr nett.“ „Ja, nett war er. Zu mir. Aber nicht zu dir.“ „Doch“ wand sie fragend ein. „Er hat mir die Autotür aufgehalten.“ „Er ließ es an Manieren mangeln“ erklärte er und stützte sein Kinn auf die elegant gestreckte Hand. „Erst mal hat er dich weder begrüßt, noch nach deinem Namen gefragt. Er hat dir weder in den Wagen geholfen, noch heraus. Auf dem Weg ins Büro musstest du hinter uns laufen, weil er dir den Rücken zugedreht hat. Er hat dir nicht die Tür aufgehalten, dir nicht den Stuhl zurechtgerückt oder dich gefragt, ob du etwas trinken möchtest. Er wollte mir etwas verkaufen, aber zufrieden stellen wollte er mich nicht. Und das passte mir nicht. Damengesellschaft geht vor. Punkt.“ „Ist das so?“ „Ja, das ist so“ meinte er lieb. „Es gehört einfach zu den guten Manieren, dass man die Dame vorgehen lässt, ihr zuerst die Hand reicht und ihr Hilfe anbietet. Sicher ist das abhängig von der Situation. Da ich viel älter als du bin, begrüßt man mich natürlich zuerst, aber für meinen Geschmack ist er zu wenig auf dich eingegangen. Für einen Mann im gehobenen Kundendienst war das eine sehr schwache Leistung. Ich war nur so höflich zu ihm wie er zu dir. Oder hattest du das Gefühl, dass er sich um dich bemüht hat?“ „Irgendwie ...“ Wenn er ihr das so erklärte, dann betrachtete sie das wirklich anders. Bei Joan in der Boutique hatte sie sich besser gefühlt. Sie hatte sofort nach ihrem Namen gefragt. Selbst Mr. Fumaki hatte darum gebeten, dass man ihm die junge Dame vorstellte. Und beide hatten sie als Person wahrgenommen. Aber George hatte sich kaum um sie gekümmert. Ihr selbst fiel so etwas kaum auf, aber Noah achtete sehr penibel auf höfliche Umgangsformen. Und anscheinend war es ihm wichtig, dass man seine Schwester angemessen behandelte. „Nicht mehr böse?“ schaute er sie gespielt traurig an. Und sie wurde ganz rot auf den Wangen. Er konnte ja so unglaublich liebe Augen machen und der fluntschig gespitzte Mund sah einfach zu süß aus. Sie schämte sich fast dafür, dass sie ihn einen Moment anders als göttlich gesehen hatte. „Nein“ antwortete sie verlegen. „Ich hab mich nur gewundert, dass du plötzlich so anders warst.“ „Du bist eben was Besonderes. Und ich möchte, dass man dich auch so behandelt“ lächelte er sie lieb an. „Also alles wieder gut?“ „Es ist ja gar nicht schlecht gewesen ...“ „Na, dann bin ich beruhigt“. Er lehnte sich zurück und hielt den Blickkontakt noch einen Augenblick, bevor er zum Fenster hinaussah. „Ich will ja nicht, dass du irgendwann von mir enttäuscht bist. Vielleicht bin ich nicht so wie du denkst.“ „Ach Quatsch. Ich finde dich trotzdem toll.“ „Oh, danke schön!“ Er lachte, als sie sich den Mund zuhielt und vor Scham im Boden versinken wollte. Wahrscheinlich hatte sie das gar nicht so laut sagen wollen. Aber es rutschte nun mal wie von selbst raus. „Ich finde dich auch toll. Ich wollte schon immer eine Schwester haben.“ „Wirklich?“ Sie guckte ihn zweifelnd an, aber irgendwie klang das total lieb von ihm. „Ja. Ganz wirklich“ beteuerte er mit milder Stimme. „Ich meine, mit einer Schwester kann man wunderbar shoppen gehen. Ich darf dich einkleiden und wir können zusammen sogar Stoffmuster aussuchen. Und ich glaube, es gibt noch viel mehr, was wir zusammen machen können. Ich glaube, mit dir kann ich mehr anfangen als mit einem kleinen Bruder. Ich meine ... hey, wir können über Jungs quatschen.“ „Ja“ lachte sie verlegen. Das konnten sie. Noah war irgendwie kein typischer großer Bruder. Er war mehr so was wie eine männliche Schwester. Obwohl er in gewisser Weise ein Beschützer war, war er trotzdem wie eine Verbündete. Irgendwie ziemlich cool. „Siehst du“ lächelte er erfreut. „Ist doch schön, wenn wir zusammen über etwas lachen können.“ „Ja“ nickte sie und betrachtete ihn glücklich. Auch wenn es wenig brachte, ihn anzuhimmeln, so konnte sie ihn doch trotzdem toll finden. Und sie bemerkte immer mehr, wie sehr er sich um sie bemühte. Hoffentlich merkte er in gleicher Weise, dass sie es auch versuchte. Da sprang schon die Tür neben ihr auf und kühle Luft zog herein, kroch sofort ihre Beine hoch. „Oh, wir sind schon da“ folgerte Noah selbst etwas überrascht. „Paddy, mit dir vergeht die Zeit wie ihm Flug.“ „Dabei sind wir nicht mal geflogen, sondern gefahren.“ „Wo du Recht hast.“ „Darf ich helfen? Es ist etwas matschig hier draußen.“ Curt reichte der jungen Dame die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Draußen angekommen, fanden sie sich auf einer Baustelle wieder. Zum Glück regnete es nicht, aber der Boden war aufgeweicht vom letzten Regenguss und so schenkte jeder Schritt einen matschigen Klang. Das hier war das Baugelände, wo die neue Tochtergesellschaft der Kaiba Corp. ihren Hauptsitz bekommen sollte. Vom dem zukünftigen Gebäude waren bereits die Umrisse erkennbar. Meterhohe Stahlträger aufeinander geschichtet und etwa zwei Drittel war bereits mit Außenwänden versehen. Der neue JOS-Tower strahlte schon jetzt eine gewisse Macht aus. Es würde ein Gebäude aus dunkelblauem Glas und Solarzellen in selber Farbe werden, was man jetzt schon erahnen konnte. Selbst in diesem noch lang nicht abgeschlossenen Stadium. Oben auf der Spitze, welche jetzt von heller Sonne beschienen wurde, glänzte bereits ein dunkelblauer Stahl-Bogen und ein Kran war dabei, die ersten Teile des Schriftzuges zu montieren. Patrice wurde ganz schwindelig, wenn sie hinaufblickte und die Männer in luftiger Höhe arbeiten sah. Sie hätte ja schon Angst, einen der vielen Bagger hier unten zu fahren, aber dass es wirklich Leute gab, die so hoch oben so passgenau arbeiteten ... Wahnsinn. Was so ein Gebäude wohl kosten mochte? Anscheinend war sie nicht die einzige, welche die Idee hatte, einen Aufsatz über das neue Riesenprojekt der KC zu schreiben. Am Rande des abgezäunten Geländes waren große und kleine Infotafeln aufgestellt und sie entdeckte sogar die Führung einer Schulklasse über das Gelände. Die große Gruppe von Jugendlichen in dunkelbrauner Uniform wurde von einem etwas dickeren Mann über den schlammigen Boden geleitet und alle trugen diese ungemütlichen Schutzhelme. „Ihr bietet sogar hier Führungen an?“ fragte sie erstaunt. „Das war Joeys Idee“ erklärte Noah, der ihr gerade in den Mantel half, bevor er seinen eigenen von Curt gereicht bekam. „Seitdem der Indische Drache gebaut wurde, ist das Interesse an unseren Bauprojekten erstaunlich groß. Deshalb hat er gemeint, es wäre eine gute Sache, die Leute an unseren Fortschritten teilhaben zu lassen und zu informieren. Das gilt nicht nur für den JOS-Tower hier, sondern auch für das neue Logistikzentrum in Domino und das Gebäude, welches wir in Sapporo für unsere Produktentwicklung bauen. Überall kann man vom Anfang bis zum Ende miterleben wie ein Gebäude entsteht. Von der Planung bis zur Eröffnung. Joey sieht darin nicht nur Zukunftsperspektiven für junge Menschen, sondern auch ein gutes Marketing. Und in beidem muss ich ihm zustimmen. Auf die Idee, so etwas zu vermarkten, sind Seto und ich nie gekommen.“ „Nehmt ihr Geld für so was?“ „Was meinst du genau?“ „Für solche Führungen“ fragte sie und schaute ihn an. „Nein“ lächelte er zurück. „Das ist eher Werbung für uns. Aber man muss sich vorher anmelden. Du siehst ja, wie viele Leute hier am Zaun stehen und die Infotafeln lesen. Und die Wartelisten für solche Führungen sind ziemlich lang. Egal, ob das nun für einen Kindergarten, eine Studentenführung oder ein Betriebsausflug ist. Der Andrang ist so groß, dass wir eigentlich Geld nehmen müssten. Aber das tun wir nicht. Ist besser fürs Image, weißt du?“ „Wenn die Wartelisten so lang sind ... dann ist es wohl ziemlich schwer, sich da drin mal umzusehen, oder? Dann müssen wir erst mal gucken, wo wir uns anmelden können ...“ „Ähm ...“ Er guckte sie an, sie guckte ihn an und nach drei Sekunden mussten beide lachen. Noah sah das mal als positives Zeichen. Da hatte sie doch glatt vergessen, dass sie mit dem Typen unterwegs war, der das alles finanzierte. Es war richtig erfrischend, dass sie für einen Moment seinen Status weglegte. „Na, dann komm, Herzchen.“ Er reichte ihr den Arm, den sie zwar verlegen, aber schon etwas lockerer nahm. Sie hakte sich bei ihm unter und durfte sich wie eine echte Dame fühlen. Ihre Eltern nahmen sie immer nur an der Hand, Noah gab ihr den Arm. Das war zwar anders, aber irgendwie schöner. Und sie konnte nicht abstreiten, dass sie nun doch ein wenig stolz war. Jetzt trug sie tolle Klamotten und durfte sich so ganz offiziell an Noahs Seite zeigen. Sie bemerkte wie die umstehenden Leute sie ansahen und sich zunehmend Aufregung breit machte. Nach und nach erkannten sie den wichtigen Mann, der auf den Infotafeln sein Gesicht zeigte und in der Firma ganz oben stand. Und zu wissen, dass sie mit ihm da rein kam, wo andere draußen bleiben mussten - wer würde sich da nicht etwas besonders fühlen? Sie gingen an den Menschen vorbei und Patrice bemühte sich, ähnlich elegant wie Noah zu wirken. Schließlich wollte sie ihn nicht blamieren. Er beachtete die Menschen um sich herum eher wenig. Nur wenn sie gar zu aufdringlich starrten, schenkte er ihnen ein ertapptes Lächeln. Aber alle persönlich zu begrüßen, würde wohl zu viel Lebenszeit kosten. Am Tor angekommen, öffnete der uniformierte Pförtner ohne Zögern die Schranke und ließ sie mit einem freundlichen „Guten Tag, Mr. Kaiba“ hindurchtreten. „Guten Tag, Jerry. Danke schön“ lächelte Noah zurück und blieb doch noch einen Moment stehen, um in das kleine Häuschen hineinzusehen und sich einen Moment mit dem alten Kollegen zu unterhalten. „Sagen Sie, sind die Herren Wirtschaftspolitiker schon da?“ „Haste ne Ahnung“ seufzte er und lehnte sich in seinem breiten Bürostuhl zurück, der unter seinem Gewicht ganz schon knartschte. So hatte Patrice sich immer einen typischen Pförtner vorgestellt. Richtig rund, einen grauen Haarkranz, eine dicke Brille auf der Nase und eine dunkelblaue Uniform. Und seine Sprache war, nun ja, als wäre er ein typischer Arbeiter. „Was meinste, warum hier so viele Leute rumstehen? Vor zehn Minuten ist der Bürgermeister hier angekommen. Das gab ein Trara, Mr. Kaiba, das kannste glauben.“ „Der Bürgermeister?“ wiederholte er überrascht. „Der war gar nicht angemeldet. Ich dachte, ich treffe den Wirtschaftsminister.“ „Der ist auch da“ meinte er locker. „Scheint so als wäre der Termin wichtig heute, was?“ „Kann man sagen“ schmunzelte er. „Ich will was von ihnen, was sie mir nicht geben wollen. Und sie wollen was von mir, was ich ihnen nicht geben werde. Klassischer Interessenkonflikt.“ „Davon versteh ich nix“ winkte er nicht besonders interessiert ab. „Sie machen das schon. Und wenn die nicht nett sind, schickste denen den Muto auf den Hals.“ „Das wäre dann so ziemlich meine letzte Waffe“ lachte er und stieß sich von dem kleinen Sprechfenster ab. „Wir sehen uns dann später, Jerry.“ „Lass dich nicht stressen, Mr. Kaiba“ feuerte er ihn mit erhobener Faust an. Noah lachte, legte seinen Arm um Patrice und geleitete sie an der Schranke vorbei, welche sich alsbald hinter ihnen schloss. „Wer war das denn?“ schaute sie zweifelnd zurück. „Duzt oder siezt er dich jetzt? Darf er das?“ „Bei Jerry ist das okay. Wir kennen uns schon Jahre“ erzählte Noah, der lieber den Holzweg am Geländerand ansteuerte, als über den ganzen Matsch zu laufen. Auf den behelfsmäßig hingelegten Brettern blieben seine Schuhe wenigstens einigermaßen sauber. „Ich hab ihn kennen gelernt, als ich mich bei ihm bedankt habe. Er sieht nicht so aus, aber er ist sehr aufmerksam und macht einen tollen Job. Willst du von seinen Heldentaten hören?“ „Klar“ meinte sie. Was den eleganten Noah mit so einem Proletarier verband, wäre doch wirklich interessant zu wissen. „Er war bei der Security im alten Kaiba-Tower, bevor der abgebrannt ist. Damals hat er in der Frühschicht die Kameraüberwachung gemacht. Dabei ist ihm aufgefallen, dass ein auffällig unauffälliger Mann ohne Gepäck hereingekommen ist, aber mit einem Koffer wieder rausging. Das allein ist ja noch nicht verdächtig, aber er wusste, dass ich mir damals vor kurzer Zeit ein kleines Rosenmuster aus Nieten auf einen Lederkoffer hab machen lassen. Es war zwar nur ganz klein am Rande, aber als Jerry das sah, hat er gleich die Türen verriegelt und ihn gestellt. Hinterher haben polizeiliche Ermittlungen ergeben, dass das ein Industriespion war, der wichtige Daten aus meinem Archiv entwendet hatte.“ „Ein Spion?“ Da staunte sie aber. „Wie bei James Bond?“ „So ähnlich“ schmunzelte er. „Industriespionage ist etwas anders als bei James Bond. Wenn zum Beispiel ein Konkurrent damals die Entwicklungsdaten der Table Arena bekommen hätte, so hätte er ein kopiertes Produkt herausbringen können, bevor wir das Patent anmelden konnten, was uns dann Umsatz gekostet hätte. So was ist ein Beispiel.“ „Und dieser Jerry hat das verhindert.“ „Hat er“ nickte er. „Er hat ein gutes Auge für Details. Und seitdem kennen wir uns eben. Ich mag ihn. Er redet nicht so geschwollen, das ist sehr erfrischend.“ „Ja, die Leute reden immer so unnatürlich, wenn du da bist.“ Das war ihr schnell aufgefallen. Jeder war super nett und es hieß immer ‚Ja, Mr. Kaiba. Natürlich Mr. Kaiba. Gerne, Mr. Kaiba. Darf’s vielleicht noch ein bisschen mehr sein, Mr. Kaiba?’. Es war zwar schön, dass alle so zuvorkommend waren, aber irgendwie wirkte es unehrlich. „Es ist ganz schön schwer, da normal zu sein, oder?“ „Manchmal ja“ seufzte er und lächelte zu ihr herunter. „Aber auf der anderen Seite sind das ja auch nicht meine privaten Freunde. Ich mache mit denen Geschäfte und nichts anderes. Das muss man einfach trennen.“ „Magst du deswegen Moki so gern?“ „Weswegen?“ schmunzelte er. „Weil ich mit ihm keine Geschäfte mache? Das würde bei ihm eh nach hinten losgehen.“ „Nein, weil er dich so normal behandelt. Irgendwie wirkst du immer ein bisschen aufgeschmissen, wenn er da ist.“ „Aufgeschmissen?“ lachte er laut heraus. Das hatte ihm ja noch keiner so hart gesagt. War ja nett zu erfahren. „Nein. Also, na ja ... nicht so jetzt“ versuchte sie schnell irgendwie zu retten. „Ich meine nur ... er ist irgendwie ...“ „Lass nur. Ich weiß, was du meinst“ kicherte er und wischte sich mit dem kleinen Finger eine Lachträne aus dem Auge. „Ich lasse mir wirklich viel von ihm gefallen. Häufig vielleicht ein bisschen zu viel. Manchmal redet er mit mir als wäre ich doof oder so und er nimmt mich nicht wirklich ernst. Aber ich glaube, wir tun uns da nicht viel. Manchmal kriegt er seinen Willen, manchmal kriege ich meinen Willen.“ „Ja?“ grinste sie zu ihm rauf. „Wann kriegst du denn deinen Willen?“ „Er jammert seit Jahren, dass er sich die Haare kurz schneiden will“ schmunzelte er verliebt. „Aber davon konnte ich ihn bisher zum Glück abhalten.“ „Du magst lieber Männer mit langem Haar, oder?“ „Ich liebe langes Haar. Mokis festes, dickes Haar. Ich liebe es, seinen Kopf zu streicheln, ihm beim Kämmen zuzusehen oder hineinzugreifen, wenn wir ...“ ... ähm, das sagte er jetzt nicht. „Ich hoffe, er behält sein rabenschwarzes Haar noch ganz lange.“ „Und wann musst du mal nachgeben?“ fragte sie ihn weiter aus. „Bei den Katzen.“ Und ob Noah es nun wollte oder nicht, da verfinsterte sich sein Gesicht. „Bei den Katzen? Warum? Magst du keine Tiere? Ich dachte immer.“ „Ich hasse Tiere nicht, aber ich bin kein Fan von Haustieren“ gab er ehrlich zu. „Es reicht mir schon, dass ständig Falkengeschrei durchs Haus schallt und die Katzen ... na ja. Die Fische im Wohnzimmer sind eigentlich mehr als genug.“ „Ich wusste gar nicht, dass du keine Tiere magst“ staunte sie und blieb dafür sogar geschockt stehen. „Es heißt doch, dass du Delphine liebst.“ „Das hat man mir angedichtet“ schüttelte er ernst den Kopf. „Nur weil ich eine Stiftung für Delphintherapie unterstütze, bin ich noch lange kein Fan von Tieren. Aber die Leute meinen, jemand wie ich muss tierlieb sein. Jeder beliebte Promi ist tierlieb und überhaupt ...“ plapperte er und ruderte höhnend mit seinen Armen in der Luft herum, bevor er sie in die Manteltasche steckte. „Sei nicht böse, aber ich kann weder mit Tieren noch mit kleinen Kindern was anfangen. Ich hasse sie wie gesagt nicht, aber ich würde mir ebenso wenig willentlich ein Haustier anschaffen wie ein Kind. Aber damals hat Seto Happy Birthday angeschleppt und sie Moki geschenkt. Da hatte ich kein Mitspracherecht. Aber jetzt hat sie auch noch Nachwuchs. Schlimm genug, dass die drei Rabauken jetzt ständig überall herumturnen, aber die haben ja auch noch einen Vater und der treibt mich in den Wahnsinn.“ Es fehlte nur wenig und gleich raufte er sich die Haare. „Dieses Vieh ist ein Monster. Er kratzt, beißt und stinkt. Er macht überall hin und ruiniert meine Sachen. Moki bringt ihm ja langsam bei, sich streicheln zu lassen, aber ich glaube, dieses Monster hasst mich! Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass man das Tier ans andere Ende der Welt bringt!“ Sie stand ziemlich verblüfft da und wusste kaum etwas zu sagen. Das waren ja Seiten an Noah, die sie gar nicht kannte. Er wurde immer als tierlieb hingestellt, aber er war gar kein Freund von Haustieren. Außerdem hieß es immer, er könne so gut mit Kindern umgehen und dann sagte er, er würde sich nie welche anschaffen. Das war mit Abstand die Überraschung des Jahres! „Oh oh.“ Jetzt merkte auch er, was er gesagt hatte und bekam langsam Befürchtungen. „Schon wieder so eine Seifenblase zerstört?“ „Ja ... aber das ist gut.“ Sie begann plötzlich zu lächeln, ging zu ihm und nahm ganz von selbst seine Hände. „Ich mag dich immer lieber. Und weißt du auch warum? Weil ich dich irgendwie immer besser kennen lerne. Und irgendwie ist das auch schön. Genau wie Papa gesagt hat. Du bist genauso normal wie alle anderen Männer auch. Ich finde, du bist was Besonderes, aber irgendwie ... ich mag dich normal noch viel, viel, viel lieber. Ich glaube, ich kenne einen Noah, den kein anderer kennt.“ „Das ist mit Abstand das Netteste, was mir jemals jemand gesagt hat“ lächelte er und kniete sich zu ihr herunter. „Und ich mag dich auch total gern. Weil du nämlich ein ganz besonderes Mädchen für mich bist.“ „Im nächsten Leben wird Moki ein Kater und ich ein langhaariger Mann. Okay?“ „Abgemacht“ lachte er und schloss sie in den Arm. Von allen Geschäftsreisen war das hier mit Abstand die, welche den größten Erfolg brachte. Am Ende erkannte sie, dass er gar nicht so schrecklich weit entfernt war, wie sie glaubte. Und er erkannte, dass sie auch den ‚normalen’ Noah gern hatte. Ja, sie sprach am Ende sogar ganz vertraut und frei heraus. Jetzt war er nicht mehr länger Poster-Noah, sondern ihr ganz eigener Bruder-Noah. Ein neues Gefühl von Familie, welches er wiederbelebt fühlte. Sie lächelten einander an und waren zufrieden mit sich und der Welt. Es war ein wunderbares Gefühl, wenn man einander kennen und allmählich auch lieben lernte. Auch wenn Noah schon zwei anadoptierte Brüder hatte, so war der Gedanke daran, eine kleine Schwester zu haben doch etwas ganz anderes, etwas schönes. Noah reichte ihr den Arm, aber musste sie leider nach nur wenigen Schritten wieder loslassen, als sich die Dielen verengten. Wenn nicht einer von ihnen im puren Matsch laufen wollte, so mussten sie notgedrungen hintereinander gehen. So übernahm er freiwillig die Führung und zog sie nur sanft an der Hand hinter sich her, während er unter seinem anderen Arm die Ledermappe fest an sich drückte. Nicht, dass ihm so wichtige Dokumente noch in den Schlamm fielen oder seine teure Tasche ruiniert wurde. Auch wenn er Geld genug hatte, sich sofort dreifachen Ersatz zu besorgen, so achtete er dennoch penibel auf seine Dinge. Nur weil man reich war, musste man noch lange nicht verschwenderisch sein. Da war er ähnlich geizig wie Seto und hasste jegliche Verschwendung. Dafür verschwendete Mokuba ständig Geld, Zeit und Nerven ... „Oh Gott ...“ Paddy flüsterte das zwar nur, aber dennoch blieb Noah stehen und drehte sich besorgt zu ihr um. Das eben hörte sich nicht sonderlich begeistert an. „Was ist denn?“ fragte er hilfsbereit. „Bist du doch in den Matsch getreten?“ „Was? Nein!“ Schnell drehte sie den Kopf von rechts zu ihm und blickte ihn aus großen Augen an. „Alles okay.“ Aber er war ja nicht dumm und so blickte er dorthin, wo sie eben so schockiert rüber gestarrt hatte. Aber dort sah er nicht viel mehr als einen Bagger, der sich soeben an ihnen vorbeiwalzte und eine Schulklasse, die am Rande des Flatterbandes herumstand und deshalb nur an dem halb fertigen Gebäude hinaufsehen, aber nicht hineingehen konnten. Die Lehrerin dort sah etwas orientierungslos aus und blickte sich um, während die Klasse noch relativ still stand. Aber die ersten Jungs machten bereits ihre Faxen mit dem Absperrband und mit dem Matsch zu ihren Füßen. „Kennst du die?“ mutmaßte er und blickte wieder hinunter zu ihr. Weshalb sonst sollte sie so überrumpelt dort hinsehen. „Ja“ gab sie leise zu und blickte vorsichtig zurück zu der Gruppe. „Das ist meine blöde Parallelklasse.“ „Stimmt, du hattest erwähnt, dass die heute hier sein wollten“ meinte Noah sich vage zu entsinnen. Und sie äußerte sich heute Morgen am Telefon ein wenig beleidigt darüber, dass eben die andere Klasse fuhr und sie nicht. „Willst du sie begrüßen?“ „Nein. Ganz bestimmt nicht“ antwortete sie mit einem grimmigen Unterton, der ihn jetzt doch überraschte. Sie war doch sonst nicht so. „Aber warum denn nicht? Wenn das Schulkameraden von dir sind ...“ „Sie sind scheiße“ eröffnete sie ziemlich hart. „Bis jetzt war der Tag so schön.“ „Warum sind sie denn scheiße?“ fragte Noah genauer nach und beugte sich neugierig zu ihr herab. „Ihr geht doch auf dieselbe Schule.“ „Die lästern über mich und ärgern mich, weil ...“ „Weil was?“ hakte er nach und sah, dass sie plötzlich hochrot im ganzen Gesicht wurde. „Na, sag schon. Warum lästern sie über dich?“ lächelte er sie ganz lieb an. Anscheinend wurde ihr die Sache gerade peinlich. „Wegen dir“ murmelte sie und ließ ihren Kopf vor Peinlichkeit auf die Brust sinken, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Weil ich ... dein Fan bin. Sie lachen über mich.“ Und Noah wusste, sie war beileibe kein kleiner Fan. Sie war ein Groupie. Und wenn er Mokuba richtig verstanden hatte, schrieb sie seine Initialen in kleine Herzchen in die Schulhefte. Nicht nur kein Wunder, dass ihr das jetzt peinlich war - außerdem nicht verwunderlich, dass das andere Pubertierende zu Spöttereien hinriss. „Ich hab gesagt, dass du mein Bruder bist, aber ... sie wollten mir nicht glauben.“ „Na, kein Wunder. Bisher haben wir es ja auch noch nicht offiziell gemacht.“ Bis auf einige wenige Menschen wusste niemand etwas von Noahs neuer Familie. Eine Pressemitteilung hatte es bisher noch nicht gegeben. Erst mal weil er und Gordon in Frieden ein Stück zusammenwachsen wollten und derzeit ergab sich einfach keine Gelegenheit. Zumal der Zeitpunkt für Noah im Augenblick auch etwas dumm war. Aber das hieß ja nicht, dass man es verschweigen musste. „Papa hat gesagt, ich darf es ruhig erzählen.“ Jetzt schaute sie ihn doch an und schien besorgt, ob sie damit vielleicht einen Fehler begangen hatte. „Oder ...?“ „Nein, natürlich darfst du das erzählen“ beruhigte er. „Ich erzähle es ja auch. Ich meine, es ist kein Wunder, dass sie dir nicht glauben. Eine Mitteilung an die Presse hat es bisher ja nicht gegeben. Aber wenn du möchtest, überzeuge ich deine Mitschüler gern davon, dass sie überhaupt keinen Grund haben, an deinen Worten zu zweifeln.“ „Schon gut. Mit denen bin ich fertig“ verneinte sie recht hart. „Interessiert mich nicht, was die mir in der Pause hinterher schreien. Die haben einfach keine Ahnung. Solange meine Freunde mir glauben ... deren blöde Meinung ist doch egal.“ „Dir vielleicht, aber mir nicht“ entgegnete er, zumal er sich denken konnte, wie blöde es war, wenn man gehänselt wurde. Mit Sicherheit ließ sie das nicht ganz so an sich abprallen wie sie vorgab. Es war ihr nur einfach peinlich, zuzugeben, dass ihre Fanliebe zu ihm wohl an anderer Stelle zu blöden Sprüchen führte. „Komm, lass uns die Gäste begrüßen.“ „Nein, lieber nicht.“ Jetzt bekam sie nervöses Herzklopfen. „Außerdem wartet doch der Bürgermeister auf dich und ...“ „Der Bürgermeister hat sich nicht angemeldet. Der kann gern noch ein paar Minuten warten“ war Noahs freundliche Meinung und setzte ein fast hinterhältig echtes Lächeln auf. „Keine Angst, Herzchen. Ich werde so charmant sein, dass du mich nicht wiedererkennst.“ „Noah ...“ „So viel Zeit muss sein. Komm.“ Außerdem hatte er auch gerade Lust darauf, einigen Teenies ein schlechtes Gewissen zu machen. Hinterher würde sicher niemand seine kleine Schwester mehr ärgern. Endlich hatte er mal jemanden, der er beschützen konnte. Er hatte Seto nie verstanden, dass er so versessen darauf war, jeden zu strafen, der Mokuba auch nur schief anguckte. Doch irgendwie ... ja, jetzt konnte er ihn verstehen. **Ey, ich hab drei kleine Geschwister. Ich bin geschädigt bei so was. Was erwartet ihr?!** So drückte er ihre Hand und zog sie die ersten Meter hinter sich her, bevor sie genug Tempo erreichte, um ihm auch ohne Zug zu folgen. Dann erst ließ er sie los, legte seinen Hüftschwunggang ein und lockerte sein Haar. Er würde denen schon zeigen, was es bedeutete, seine kleine Schwester zu ärgern. Die ersten Schüler schienen ihn bereits gesichtet zu haben und rätselten hinter versteckenden Händen darüber, ob er es auch wirklich war. Man traf ja nicht jeden Tag einen so hochprominenten Menschen. „Kann ich Ihnen helfen?“ sprach Noah direkt die Lehrerin an, welche sich entlang des Flatterbandes umblickte und wohl etwas zu suchen schien. Sie drehte sich herum und bei dem Anblick ihrer fast herausspringenden Augen wollte Noah sich zu gern lachend auf den Boden schmeißen. Vielleicht sollte er nicht ganz so provozierend lächeln. Das schockte die Dame vielleicht zu sehr. „Sie machen den Eindruck als suchten sie etwas“ erklärte er, als er vor ihr stehen blieb und die bis eben so unruhige Meute mit einem Schlag mucksmäuschenstill war. Noah kannte generell zwei Reaktionen von Jugendgruppen. Entweder waren sie alle wie versteinert oder es gab Typen, meistens Jungs dazwischen, welche ihren Mut beweisen und ihm flapsig kommen wollten. Das hier war eindeutig die versteinerte Variante. „Sie ... Sie sind Noah Kaiba“ stellte die Lehrerin atemlos fest. „Gut, dass Sie mir das sagen. Ich hab mich schon gewundert“ scherzte er und hielt ihr die Hand entgegen. „Und Sie sind?“ „Ebi Okhu. Klassenlehrerin“ stellte sie sich vor und schüttelte aufgeregt seine Hand. „Mrs. Okhu“ wiederholte er lächelnd und stemmte dann seine Ledertasche in die Hüfte. Schade, dass Paddy so schüchtern hinter ihm stand und den Kopf gesenkt hielt. Sonst hätten ihre Schulkameraden sie sicher schon erkannt. Aber in so einem neuen Outfit mit modischem Styling vermutete sie wohl niemand. „Sie machen hier heute eine Führung? Wo ist denn ihr Tourleiter?“ „Wir haben die Tour bereits beendet und dürfen uns außerhalb der Absperrung noch etwas umblicken“ erklärte sie leicht unruhig. Sie war noch eine recht junge Lehrerin, sicher nicht wesentlich älter als Noah. Ihre Kleidung ähnlich die der Schuluniform bieder und in gedecktem Dunkelgrün. Ihr wunderbar braunes Haar zu einem keuschen Flechtzopf nach hinten gebunden, im Gesicht kaum erkennbares Make-Up. Modell Mauerblümchen, Noahs Lieblingsopfer. Diese Art von Frauen verfiel ihm erfahrungsgemäß am Schnellsten. „Nun ja, hier gibt es nicht viel zum Umsehen. Außer vielleicht Matsch und ein paar Baggern“ meinte er mit einem scherzhaften Lächeln. „Ich suche die Infotafeln“ erklärte sie und war sichtlich bemüht, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. Sie konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Noahs reizender Charme sie leicht von der Bahn ableitete. „Die Schüler sollen sich noch ein paar Notizen für ihre Aufsätze machen. Die Infotafeln draußen haben wir schon besucht, aber ich dachte, hier auf dem Gelände könnte man noch genauere Informationen über die Baupläne erhalten.“ „Oh, hier wo gebaut wird, gibt es keine weiteren Infotafeln. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste“ antwortete er freundlich. „Sie haben Recht, vielleicht sollte man welche aufstellen. Vorher aber müsste ich mit dem Bauaufseher sprechen. Schließlich sollen hier vor allem die Arbeiter ungehindert vorbeikommen können. Der vorrangige Nutzungsschwerpunkt liegt natürlich auf dem Bauvorhaben. Wobei meiner Meinung nach sollte der Schwerpunkt eher sein, hier endlich den Vorplatz zu pflastern. Ich hab gleich nasse Strümpfe.“ Sein eher schlechter Witz riss die Lehrerin doch zu einem kleinen Kichern hin und ebenso ein paar Mädchen der Schulgruppe, während andere eher kurz tuschelten. „Aber da Sie wohl auch im Internet derzeit noch keine große Hilfe finden können“ fuhr er freundlich lächelnd fort. „Vielleicht kann ich Ihnen auch Ihre Fragen beantworten. Haben Sie denn welche?“ „Oh, wir möchten Sie nicht von der Arbeit abhalten“ bat sie überrascht. „Sie haben doch sicher wichtige Termine.“ „Ach, heute ist mein Terminplan nicht so straff“ lächelte er fröhlich. „Wissen Sie, wenn ich mit meiner Schwester unterwegs bin, lasse ich mir gern ein wenig Zeit und genieße es, alles etwas ruhiger angehen zu lassen.“ „Ihre Schwester?“ „Oh richtig, wie unhöflich von mir“ lachte er und trat einen Schritt seitwärts, um die neue Patrice hinter seinem Rücken hervorzulocken. „Darf ich vorstellen? Meine kleine Schwester Patrice Laframé. Sie hat heute überraschend schulfrei und da habe ich sie gern mitgenommen. Sag hallo, Paddy.“ Sie hob langsam ihren Kopf und fand die Situation wohl nicht ganz so erheiternd wie Noah. Mit einem leisen „Hallo, Mrs. Okhu“ gab sie sich zu erkennen und warf damit auch die Schulklasse von Hocker. „Patrice!“ staunte nicht nur ihre Lehrerin, sondern dieselben Äußerungen kamen auch aus der versammelten Gruppe. Das war wohl das Letzte, was sie nun erwartet hätten. Die Patrice, welche sie für ihre Äußerungen verspottet hatten, stand nun wirklich an Noah Kaibas Seite. Ja, er legte sogar seinen Arm um sie. Dann hatte sie tatsächlich die Wahrheit gesagt!!! „Oh, ihr kennt euch?“ Wenn er nicht schon einen Job hätte, würde er ans Theater gehen. „Dann ist das deine Parallelklasse, die heute einen Ausflug machen?“ „Ja“ antwortete sie leise. Unglaublich! Noah tat wirklich so als wisse er von rein gar nichts! Was zum Geier hatte er denn nur vor? Außerdem hatte er einen wichtigen Termin! Er sollte sich mit Politikern treffen und nicht hier seine Späße mit irgendwelchen Jugendlichen treiben! „Oh, dann ist es mir natürlich eine besondere Ehre, Ihnen weiterzuhelfen“ lächelte Noah erst die Lehrerin und dann ein paar Schüler an. Von wegen Saubermann. Er konnte so was von verlogen sein! „Und wir dachten, du spinnst wieder rum“ meinte eines der Mädchen, welche Patrice zur Hälfte bang und zur anderen Hälfte reuig anschaute. „Ja, es ist schwer zu glauben. Für mich war es auch eine Überraschung“ lächelte Noah zur Antwort, da sein Schwesterherz wohl gerade etwas wortlos war. „Ich habe nach Jahren die Tochter meines Vaters kennen gelernt. Ich hab mir schon immer eine kleine Schwester gewünscht und mit Paddy ist mein Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Ich hoffe, sie ist mit mir als Bruder auch zufrieden?“ Er schenkte ihr einen Blick, der liebevoller nicht sein konnte und sie mit einem Lächeln erröten ließ. Auch wenn sie nichts sagte, wusste Noah, dass sein Versuch ihre Stimmung aufzuhellen, langsam Früchte trug. Man konnte ruhig sehen, dass sie zu ihm gehörte. „Es dauert bestimmt noch ein wenig bis wir uns richtig gut kennen, aber wir sind auf dem besten Wege. Was meinst du, Herzchen?“ „Ja“ schmunzelte sie verlegen. Wow, Noah zog ja voll die Liebes-Show ab. Langsam entwickelte sich das hier zum Höhepunkt des Tages. Dass sie vor anderen, die sie auch noch kannte, als so etwas Besonderes behandelt wurde. Das war mehr als sie sich bisher erträumt hatte. „Wir werden schon als Familie zusammenwachsen“ schloss er mit reinster Zuversicht und zwinkerte der schwer sprachlosen Lehrerin verführerisch zu, sodass ihre Gesichtsfarbe nicht ihren Ton verlor. „Da helfe ich Ihnen natürlich nur umso lieber weiter. Ich hab mein Schwesterchen auch mitgenommen, da sie nächste Woche ein Referat über Sonnenenergie halten wird und da bietet sich der JOS-Tower als Beispiel doch nur allzu gut an. Also, wenn ich Ihren Schülern da auch noch irgendwie helfen kann. Was für Informationen suchen sie denn genau, Mrs. Okhu?“ „Ach.“ Ja, stimmt. Da war auch noch ein anderes Thema, als Noahs makelloses Gesicht und sein einnehmendes Lächeln zu bewundern. „Nun ja, dass noch nicht alle Solarmodule installiert wurden, sehen Sie ja selbst“ erzählte er, während er an dem halb fertigen Gebäude hinaufwies. „Soweit ich das sehen kann, ist erst ein Drittel der geplanten Menge befestigt worden. Damit liegen wir aber gut im Zeitplan. Wir haben uns übrigens deshalb vornehmlich für Solarenergie entschieden, da hier die Gewinnung und Speicherung wesentlich einfacher ist als bei beispielsweise Windkraft. Außerdem sieht es auch noch nett aus. Oder was meinen Sie?“ Er zeigte auf den großen Aufsteller, welcher in einem Entwurf das Gebäude zeigte, wie es fertig aussehen sollte. Völlig dunkelblau verspiegelt und irgendwie sah es ziemlich spacig aus. Besonders mit den extra Kollektoren, welche wie ein Fächer an der Spitze des Towers eine Art Kragen bildeten. „Wie ich sehe, haben Sie auch bereits unsere Infomappe erhalten“ fuhr er fort und nickte auf die weißen Mappen mit dem silbernen KC-Logo drauf, welche die gesamte Klasse mit sich herumtrug. „Kann ich Ihnen noch etwas beantworten, was Sie nicht darin finden?“ „Ja, das können Sie wirklich“ bat sie, rutschte ihre Umhängetasche haltbarer hin und schlug die Mappe auf, um hineinzublicken. „Sie haben hier die Pläne für das Gebäude abgebildet. Speziell das Vorgehen für die Stromgewinnung.“ „Na ja, natürlich nicht alles“ lächelte er sie freundlich an. „Wir sind selbstverständlich nicht zu sehr ins Detail gegangen. Wir möchten ja nicht, dass die Konkurrenz es kopiert und wie Sie sicher den Medien entnommen haben, hatten wir auch bereits Erfahrungen mit Anschlägen. Deshalb sieht man darin natürlich nichts, was die Sicherheit gefährden könnte.“ „So tief werden wir natürlich auch in Schüleraufsätzen nicht ins Detail gehen können. Wir kümmern uns eher weniger um den Aspekt der Architektur als mehr um die Gewinnung von Ökostrom. Es heißt, der JOS-Tower wird sich selbst mit sämtlicher Energie versorgen?“ „So ist es geplant. Wir wollen sehen, dass wir unabhängig sind vom allgemeinen Stormnetz. Somit sind wir das erste Unternehmen, welches einen solchen Schritt wagt. Natürlich werden wir trotzdem Stromleitungen legen, um im Falle eines Ausfalls weiterarbeiten zu können. Aber grundsätzlich soll der Schwerpunkt auf der Autonomie der Immobilie liegen.“ „Ja, aber eines wundert mich“ gab sie zu und schaute von ihrer Mappe zu ihm hinauf, als er zu ihr herantrat und neugierig mit in die Unterlagen lugte. Und scheinbar ganz unbewusst machte er sie durch diese körperliche Nähe auch ein wenig hibbelig. „Was denn?“ lächelte er sie gütig an. „Lieber fragen als wundern, liebe Mrs. Okhu. Dafür bin ich ja da.“ „Diese Löcher“ zeigte sie nach links. Dort stand in etwa 70 Metern Entfernung ein großer Bohrer, der aber gerade pausierte. War ja auch bereits Mittagszeit und somit erlahmten die Arbeiten gerade ein wenig. „Wir fragen uns, ob Sie zusätzlich zur Sonnenergie auch auf Erdwärme zurückgreifen.“ „Das haben Sie ganz richtig erkannt“ lobte er. „Vor etwa zwei Wochen haben die Bohrarbeiten für die Gewinnung von Erdwärme begonnen. Die alleinige Nutzung von Sonnenkollektoren reicht für ein Gebäude dieser Größenordnung natürlich nicht aus. Deshalb werden wir die Beheizung auf diesem Wege sicherstellen.“ „Ich sehe aber, dass diese Bohrungen auf den Plänen gar nicht verzeichnet sind.“ „Tatsächlich?“ Jetzt staunte er doch ein wenig. „Darf ich?“ Er ließ sich von der Lehrerin die Mappe reichen, gab seine Tasche vertrauensvoll mit den Worten „Hältst du mal kurz, Herzchen?“ an Patrice weiter, um die Hände frei zu haben. Mit skeptischem Blick entfaltete er das Prospekt, um sich den Bauplan in ganzer Größe anzusehen. „Tatsächlich. Sie haben Recht“ bemerkte er selbst verwundert. „Das ist ungewöhnlich. Es war zwar in Planung, die Bohrpunkte zu vermerken, aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, warum wir das jetzt nicht getan haben.“ „Schade“ lächelte die junge Lehrerin ein wenig enttäuscht. „Das wäre doch zu perfekt gewesen.“ „Ja, niemand ist perfekt. Nicht mal ich“ lachte er und scherzte ihr verführerisch zu. Doch er wäre nicht Noah Kaiba, wenn er nicht den Schein von Perfektion durch ein wenig mehr Tamtam verdichten könnte. Er musste nur ein aufgewühltes Gefühl hinterlassen und man würde sich immer mit Herzklopfen an ihn erinnern. Und um seinen Charme vor so vielen Minderjährigen nicht allzu lasziv spielen zu lassen, wusste er spontan auch etwas anderes Spannendes, was bei sicher allein einen bleibenden Eindruck hinterlassen würde. Ja, da war nur eine Sache, die mehr Eindruck hinterließ als all sein Charme. Er kannte ja seine Pappenheimer. „Aber ich will ja nicht, dass die Lehrerin und die Schulkameraden meiner Schwester mit einer Informationsleckage von dannen ziehen müssen. Was würde ich denn da für ein Bild hinterlassen?“ lachte er die rotwangige Frau an und zückte sein Handy. „Wenn Sie noch zwei Minuten übrig haben, kann ich Ihnen sofort den Bauverantwortlichen ans Telefon holen.“ „Oh, ich wollte jetzt nicht, dass jemand deshalb Ärger bekommt“ bat sie und hob besänftigend ihre Hände. „Ich meine, so wichtig sind die Pläne nun auch wieder nicht.“ „Ich bin mir sicher, es gibt eine gute Erklärung dafür, warum diese Informationen weggelassen wurden“ lächelte Noah und tippte mit dem Daumen gekonnt auf seinem Minicomputer. „Und unserem Bauverantwortlichen kann ich schlecht Ärger machen. Der lässt sich nicht von mir ärgern“ lachte er und schaltete den Lautsprecher ein, womit die Runde der Jugendlichen noch etwas enger um ihn wurde und Patrice eher unbewusst näher an ihn drückte. Alle wollten mithören, wenn er da seinem Angestellten die Leviten las. Schließlich war es für ihn ja auch peinlich, wenn er mangelhafte Informationen zu verantworten hatte. Und mit Wohlwollen registrierte er, dass Patrice sich bereits den ein oder anderen bewundernden Blick eingefangen hatte. Tja, sie war jetzt eben quasi ‚plötzlich Prinzessin’. Es tutete noch ein zweites Mal, bevor eine äußerst unfreundliche Stimme aus dem zwar kleinen, aber hoch technisierten Gerät erschallte. „Na, super! Und was willst du jetzt?“ Seto. So charming wie eh und je. Kein Wunder, dass er den direkten Kundendienst nicht mehr machte. Nur sein ‚freundliches’ Wesen war noch beeindruckender als Noahs sämtliche Ausstrahlung. Dafür musste er nicht mal vor Ort sein. „Guten Tag, Kollege Muto“ meldete Noah sich betont langsam und freundlich. Setos rüde Meldung hatte ein aufgeregtes Tuscheln in der Gruppe verursacht. Boah, der böse Drache persönlich am Rohr! Bis auf Noah und Patrice beeindruckte allein das alle Zuhörer. Noah wusste ganz genau welche bleibenden Eindrücke sein Bruder hinterlassen konnte. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Im Moment veranstalten die Läuse auf meiner Leber ganze Volksfeste!“ schimpfte er mit grimmiger Stimme. „Ich hab ja noch nicht genug zu tun! Ständig rennen hier Leute rein und raus, halten mich vom Arbeiten ab und jetzt rufst du auch noch an! Habt ihr euch heute alle gegen mich verschworen? Gibt’s ne Prämie für denjenigen, der mich heute noch zum Wahnsinn treibt?“ „Und dein Kaffee war auch noch Plörre heute Morgen, was?“ Noah wusste ja, dass Setos Gemotze immer nur halb so böse war wie es klang. „Schlimmer. Ich hatte noch gar keinen Kaffee heute. Den hat Tato ausgetrunken und Yugi war schon weg“ knurrte er. Und ‚Yugi war schon weg’ bedeutete, dass er niemanden hatte, der ihm neuen Kaffee kochte. Auf die Idee, das selbst zu tun, war er wahrscheinlich nicht gekommen. „Was willst ...?“ „Wer ist das?“ schallte es fröhlich aus dem Hintergrund bei Seto. „Niemand“ antwortete er abweisend. „Du sollst dich nicht immer auf die Theke setzen! Komm runter da! Das ist eine Küchenecke, kein Wohnzimmer!“ „Ist das Moki?“ fragte Noah, den das doch etwas wunderte. „Hat der nicht Uni?“ „Seto! Wer ist das?“ quengelte der von der anderen Seite. „MANN! IST EUCH LANGWEILIG ODER WAS?!“ schimpfte Seto, der ganz unglücklich zwischen den Fronten stand. Durch die Leitung drang ein leises Piepen und dann eine etwas breiter hallende Stimme. „Hallo!“ hörte man dann Mokubas fröhliches Singen. „Kaiba hier. Wer nervt meinen Bruder?“ „DU!“ meckerte Seto ihn an. „Du kannst doch nicht einfach mein Telefon übernehmen!“ Beziehungsweise einfach den Lautsprecher einschalten, um mit telefonieren zu können. „Du siehst doch wie einfach ich das kann.“ „Und du sollst dich nicht auf meinen Schreibtisch setzen. Benutz gefälligst Stühle zum Sitzen!“ „Seto, lass mich dir das Gespräch abnehmen, ja? Sieh es als eine Art Praktikum.“ Das Grinsen in seiner Stimme war fast schon hässlich, so wenig zeigte er sich von dem Geschimpfe beeindruckt. Aber auch Mokuba wusste, dass sich ‚echtes’ Schimpfen ganz anders anhörte. „So, wen hab ich da jetzt dran? Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ „Und ich hab dich in der Uni geglaubt. Schwänzt du schon wieder?“ „HASE!“ rief Mokuba sich, ohne die kritischen Worte weiter zu bedenken. „Wo treibst du dich denn schon wieder rum? Ich komme her, um dich zu besuchen und du bist nicht mal da! Du weißt doch, dass du dich bei mir abmelden sollst!“ „Ich hab dir gesagt, dass ich heute nach Sho-Town fliege.“ „Hast du nicht! Das wüsste ich!“ „Du hast sogar noch gesagt, ich soll dir was mitbringen!“ „Das sage ich immer! Das ist kein Beweis!“ „Hallo!“ meldete Seto sich mal dazwischen. „Könnt ihr nicht woanders telefonieren? Ich hätte mein Büro gern für mich.“ „Seto hat schlechte Laune heute“ erklärte Mokuba überflüssiger Weise. „Hab ich schon gemerkt“ bestätigte Noah. „Was nervst du ihn denn überhaupt? Warum bist du nicht in der Uni?“ „Ich wollte mit dir essen gehen. Aber Sho-Town ist ne Ecke zu weit.“ „Du sollst doch nicht immer deine Vorlesungen schwänzen, Häschen“ seufzte Noah, auch wenn er wusste, dass das wenig Sinn hatte. Derzeit hatte Mokuba mal wieder eine seiner faulen Phasen. Die beendeten sich entweder von selbst oder wenn Seto mal auf den Tisch haute. Und so wie es aussah, hatte der große Bruder das im Augenblick noch nicht vor. „Und du sollst dich nicht einfach so aus dem Staub machen, Hase. Wann bist du wieder Zuhause?“ „Hallo“ knirschte Seto, wurde aber geflissentlich ignoriert. Dass er seine Ruhe haben wollte, störte Mokuba nicht weiter. „Ich weiß noch nicht.“ Und Noah beachtete Setos freundliche Drohung auch nicht weiter. „Ich habe gleich noch ein Meeting, dann bringe ich Paddy nach Hause und lasse mich dann von Roland abholen.“ „Paddy? Was macht Paddy bei dir in Sho-Town?“ „Hab sie mitgenommen.“ „Ah so. Okay, knuddel mal unsere Schwester von mir.“ „Später“ lächelte Noah zu seiner Schwester herunter. „Häschen, ich wollte jetzt wirklich kurz mit Seto sprechen. Lass uns später noch mal telefonieren, ja?“ „Was muss ich tun, um euch wieder loszuwerden?“ wollte Seto genervt erfahren. „Moki ne Standpauke halten und mir ne Info geben“ meinte Noah. „Oh oh. Tschau, Hase!“ Da machte sich der Wuschel wohl doch lieber aus dem Staub. Ne Standpauke von Seto wollte er wohl nun doch nicht riskieren. Man hörte einen dumpfen Ton, wahrscheinlich als er vom Schreibtisch sprang und dann hinaustappelte. „Noah, die machen mich heute alle wahnsinnig“ seufzte Seto. „Komm bloß her und hol deinen Freund ab.“ „Mein Freund ist ganz nebenbei übrigens dein kleiner Bruder.“ „Nein, im Moment ist er d e i n Freund.“ Und wenn er lieb war, war er natürlich Setos kleiner Bruder. „Die Mails stapeln sich hier, ich hab zehn Minuten gebraucht um Joey hier rauszukriegen, Mokuba setzt sich überall rauf nur nicht auf einen Stuhl und Alicia ist immer noch krank. Und Sara telefoniert schon die ganze Zeit. Wenn sie es nicht schafft, meinen 14 Uhr-Termin zu verlegen, springe ich heute noch aus dem Kellerfenster.“ „Und dann rufe ich auch noch an. Armes Brüderchen.“ „Schon gut. Was ist los?“ fragte er dann. Sobald Mokuba weg war, schien er ein wenig ruhiger zu werden. Ja, er ließ sich im Augenblick nun mal leicht nerven. „Du, ich bin hier am JOS-Tower.“ „Hab ich in deinem Terminplan gesehen. Sag mir was, was ich noch nicht weiß“ antwortete Seto. Wenigstens der wusste, wo Noah sich rumtrieb, wenn Mokuba sich dafür nicht ausreichend informierte. „Solltest du nicht eigentlich genau jetzt mit dem Wirtschaftstypen über die Subventionen sprechen?“ „Eigentlich“ lächelte er. „Stattdessen ist mir gerade was aufgefallen. Diese Infomappen, die wir hier verteilen.“ „Was ist damit?“ „Da fehlen die Zeichnungen, wo wir die Erdwärme bohren. Wollten wir die nicht eigentlich mit reinnehmen? Du bist doch Bauverantwortlicher für den Solar-Tower. Ich bin hier gerade gefragt worden und weiß ehrlich gesagt nicht wirklich, was da der Stand ist.“ „Das kann ich dir sagen.“ Man hörte es im Hintergrund knartschen. Wahrscheinlich lehnte er sich in seinem dicken Schreibtischsessel zurück. „Wir haben die Mappen drucken lassen, bevor die Punkte für die Bohrungen festgelegt wurden. Die Baubehörde hat die Genehmigung erst relativ spät erteilt, weil die Lage der Abwasserrohre und Stormleitungen unter der Erde nicht hinreichend bekannt war. Ich hab aber gehört, dass es aktualisierte Mappen geben soll. Warte mal kurz.“ Es klangen zwei kurze Pieptöne durch die Leitung, bevor sich dann eine neue Stimme meldete. „Drache. Was los?“ Joey. Der war also auch bei der Arbeit. „Die JOS-Mappen“ kam Seto gleich ohne Gruß zum Thema. „Gibt’s da neue?“ „Nächste Woche“ war die knappe Antwort. „Warum?“ „Hab Noah in der Leitung.“ „Ist der in Sho-Town?“ „Ja.“ „Was will der?“ „Frag ihn selbst. Für Marketing bin ich nicht zuständig. Ich leg auf und fahre jetzt zu Opa, bevor ich jemanden erwürge. Falls mich jemand sucht, sagt ihm, ich bin tot. Tschau, Noah.“ Es kam ein Klacken und Seto war weg. Der hatte keine große Lust auf Plaudereien und tat das Schlaueste, was er tun konnte - nämlich einfach zu Opa fahren und den ganzen Rest sitzen lassen. „Hi, Noah“ meldete Joey sich fröhlich. „Was willst du mit den JOS-Mappen? Ich hab dem Wirtschaftstypen alle wichtigen Infos schon zugeschickt.“ „Nein, ich stehe hier gerade mit einer Schulklasse zusammen“ erklärte er und blickte sich lächelnd in der Runde der staunenden Augen um. „Seto hat mir eben erklärt, warum die Bohrungen für Erdwärme nicht verzeichnet sind. Nächste Woche gibt’s neue Mappen?“ „Nee, so viel Mühe hab ich mir nicht gemacht. Wäre zu teuer“ erklärte er. „Ich hab die alten Mappen weiter produzieren lassen und dafür so ein Transparent bedruckt, wo die Bohrungen drauf sind. Das kannst du dann über den Bauplan rüberlegen und hast quasi genau das Gleiche. Aber das war von Anfang an so geplant. Hast du die Mappe vorliegen?“ „Jupp“ antwortete er und schlug die Mappe noch mal auf. „Ist aber noch die alte.“ „Macht nichts. Blätter mal auf die letzte Seite. Siehst du da das rote Ausrufezeichen?“ Er stellte sich neben die Lehrerin, blätterte in der Mappe und ließ sie live mit reinsehen. Und tatsächlich. Auf der letzten Seite war gut sichtbar unten rechts ein rotes Ausrufezeichen aufgedruckt. „Ja, gefunden“ gab er an Joey weiter. „Und was steht da? Infos zu den Erdwärmebohrungen zu erhalten ab Datum bla bla bla unter Telefon bla bla bla, Website bla bla bla und so weiter. Den Einleger kann man da bei Bedarf kostenfrei nachbestellen. Ab nächster Woche wird er dann automatisch mit verteilt.“ „Hast Recht. Hab nicht richtig geguckt“ gab Noah ganz frei zu. War also gar kein Fehler, sondern Joey hatte das vorsorglich genau so geplant. „Wäre es vielleicht möglich, dass du ungefähr 30 von den Einlegern an die Mittelschule in Kushin schickst?“ „Moment. Rede nicht mit mir, solange ich keinen Stift in der Hand habe ... Mittelschule Kushin“ schrieb er sich dann kurz auf. „Ist das nicht die Schule, wo Paddy auch hingeht? Hast du ne Adresse?“ „Gerade nicht parat. Zu Händen Mrs. Okhu.” „Gut, findet Sara raus. An Mrs. Okhu“ meinte er vollkommen problemlos. „Kann ich sonst noch was für dich tun?“ „Ja. Sei so gut und mach Seto Kaffee, bevor er zu Opa fährt. Der ist ja nicht auszuhalten heute.“ „Vergiss es. In das Büro gehe ich nie wieder rein“ erwiderte er sofort mit beleidigter Stimme. „Der ist mies drauf. Ich glaube, Yami hat ihn genervt heute Morgen. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, ihn auf die Palme zu treiben.“ „KÖTER!“ schrie es aus der Ferne. Ja, Seto hatte eine sehr durchdringende Stimme. „WAS?!“ schrie er zurück. „GEH AUS DER LEITUNG! ICH WILL YAMI DURCHSTELLEN! BIN ICH DENN HIER DIE TELEFONVERMITTLUNG ODER WAS?!“ „Jungs! Wir haben ne Gegensprechanlage!“ hörte man eine weibliche Stimme etwas schwächer dagegen schreien. Nun ja, Sara hatte es eben auch nicht leicht. „Wir sind doch hier nicht im Irrenhaus! Schreit euch bitte leiser an!“ „Ich lasse euch dann mal alleine“ lachte Noah. „Und stresst meine Assistentin nicht so doll.“ „Ach, wer stresst den hier?“ grinste Joey durch die Leitung. „Der Drache ist doch die Gelassenheit in Person. Nur was Moki hier will, weiß irgendwie niemand.“ „Sei so gut und sag Seto, er soll ihn in die Uni schicken.“ „Geht nicht“ lachte er heiter. „Seto ist schon wieder tot.“ „Ach so. Stimmt ja.“ „Jo. Mach’s gut, Noah.“ „Ja. Tschau.“ Er legte auf, steckte das Handy weg und ging über die verdutzten Gesichter mit der Bemerkung „Nur der tägliche Bürowahnsinn“ hinweg. Dass es in der Vorstandsetage manchmal etwas stressig und dadurch etwas ‚merkwürdig’ zuging, empfand er schon als Normalität. Wenn ihn was nervte, machte er einfach die Tür zu. Nur hatten andere sich die Führung eines Weltunternehmens wohl etwas konservativer vorgestellt. „Wie Sie gehört haben, werden die Erdbohrungen nächste Woche veröffentlicht. Sie bekommen dann druckfrisch die Einleger in die Schule geliefert.“ „Oh, das ist wirklich sehr nett von Ihnen“ erbrachte sie mit flacher Stimme. „Kein Problem“ lächelte er sie zudem auch noch zuckersüß an. „Kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun?“ „Nun ja ... ähm ... ich weiß nicht.“ „Mr. Kaiba!“ Um den Bagger herum kam eine Gruppe von etwa sieben dunkel gekleideten Herren. Davon sicher waren auf einen Blick gleich vier als Bodyguards zu erkennen, denn sie trugen dunkle Sonnebrillen und waren von einer mehr als kräftigen Statur. In ihrer Mitte zwei ältere Herren. Der eine etwas untersetzt mit ohrenlangem Grauhaar und der andere sehr schlank mit gar keinem Haar, aber dafür einer kleinen, runden Brille. Hinter ihnen ein noch sehr junger Mann mit nach hinten gegeltem, dunkelblondem Haar und er trug gleich zwei schwere Aktentaschen hinter den Alten her. Aber von den Herren war er nicht nur der Jüngste, sondern er sah auch gar nicht so schlecht aus. Jedenfalls ließ Noah gern seinen Blick einen Moment auf ihm liegen und war froh, dass Mokuba gerade nicht da war. Dem wäre das sofort aufgefallen, dass er den Jungen mit der geraden Statur einen Augenblick musterte. Die Gruppe kam schnurstracks auf ihn zu und die Lehrerin erkannte zumindest einen sofort. „Ist das nicht der Bürgermeister?“ Noah ließ sie mit offenem Mund stehen und trat zwei Schritte auf die Gruppe zu, welche ihn schnell erreicht hatte und der grauhaarige Mann ihm lächelnd die Hand hin hielt. „Mr. Kaiba. Wir hatten schon befürchtet, Sie kommen nicht mehr.“ „Bitte entschuldigen Sie. Ich bin aufgehalten worden“ lächelte er dennoch freundlich zurück. „Ich bin verwundert, Sie hier zu sehen, Bürgermeister Katani.“ „Als ich hörte, dass Sie in der Stadt sind, habe ich meine Termine verschoben. Mr. Takeno erzählte mir, dass er Sie heute wegen der JOS-Niederlassung mit ihm sprechen wollen.“ „Deshalb bin ich hier. Guten Tag, Mr. Takeno.“ Er hielt auch dem dünnen Glatzkopf seine Hand hin, die ihm sogleich geschüttelt wurde. „Mr. Kaiba“ lächelte der ihn geschäftlich an. „Schön, dass wir uns wieder treffen.“ „Ebenso. Darf ich Ihnen meine Schwester vorstellen? Patrice Laframé.“ Er legte ihr den Arm um die Schulter und schob sie sanft nach vorn. „Ich komme heute in den Genuss ihrer Begleitung. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass sie mir heute ein wenig über die Schulter sieht.“ „Ihre Schwester. Welch eine Überraschung.“ Da konnte der Bürgermeister nicht ganz drüber hinweggehen, dass ihn das wunderte, aber er gab ihr trotzdem die Hand. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Ms. Laframé.“ „Guten Tag, Herr ... Bürgermeister“ antwortete sie und es war ihr doch ein bisschen peinlich. Sie hatte seinen Namen wohl leider sofort wieder vergessen. Aber der Bürgermeister schien ein freundlicher Mann zu sein und trat einen Schritt zur Seite. „Mr. Kaiba, Ms. Laframé. Dann möchte ich Ihnen meinen Neffen vorstellen. Tim Andrews. Er lebt für gewöhnlich bei meiner Schwester in Florida, aber nun ist er für ein Jahr nach Shoratawia gekommen und schaut seinem alten Onkel über die Schulter.“ „Hallo Patrice“ lächelte der gut aussehende Junge sie an, klemmte sich eine der schweren Taschen unter den Arm und gab ihr die Hand, bevor er sich auch an Noah wand. „Mr. Kaiba.“ „Hallo, Mr. Andrews.“ „Oh, bitte nennen Sie mich Tim“ lächelte er zurück. „Gut, Tim also. Ich bin Noah. Du sprichst aber gut unsere Sprache. Bist du in den USA aufgewachsen?“ „Meine Mutter hat mich zweisprachig erzogen. Ich hoffe, mein Akzent stört Sie nicht.“ „Nein, überhaupt nicht. Mein bester Freund ist Engländer und hat einen wesentlich stärkeren Akzent. Bürgermeister Katani, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Tim um einen Gefallen bitte?“ „Natürlich nicht“ nickte er. „Tim, würdest du Mr. Kaiba einen Gefallen tun?“ „Weißt du, ich habe gerade gedacht“ lächelte er erst Patrice und dann den jungen Tim an. „Wenn wir uns gleich ins Meeting zurückziehen, wäre es doch schön, wenn du meine Schwester vielleicht zum Mittagessen ausführen könntest. Auf meine Rechnung versteht sich.“ „Noah!“ schaute die ihn geschockt an und wurde hoch rot. Sie und so ein gut aussehender Junge!!! „Nicht weit weg. Dort drüben habe ich einen kleinen Italiener gesehen. Dort könnt ihr doch warten bis wir fertig sind. Sonst langweilt ihr euch nur.“ „Es wäre mir ein Vergnügen“ lächelte Tim sie charmant an. „Und ein wenig Hunger habe ich wirklich. Eine Pizza wäre genau das Richtige.“ „Ich hole dich dann dort ab, ja?“ meinte Noah, nahm ihr seine Tasche ab und gab ihr einen süßen Kuss auf die Wange. „Und wenn etwas ist, findest du mich direkt hier auf dem Gelände. Du kannst mich vom Fenster aus sehen.“ „Darum geht’s doch gar nicht“ flüsterte sie ihm schüchtern zu und direkt ins Ohr. „Ich war noch nie mit einem Jungen essen.“ „Dann wünsche ich dir viel Spaß“ flüsterte er ihr geheim zurück. „Also, ich finde, Tim ist doch wirklich ein Süßer, oder?“ Und die selbst geschossenen Fotos für den Schulaufsatz würden dann eben warten müssen ... Chapter 10 Nachdem Noah sich also auf liebreizendeste Art von der jungen Lehrerin verabschiedet und seine Schwester vor den Augen der neidischen Schulkameraden mit dem süßen Tim verkuppelt hatte, tat er das, was nun mal getan werden musste. Er verwendete für eine halbe Stunde seine Gedanken auf Geschäftliches und besprach mit dem Bürgermeister und dem Wirtschaftstypen, wie er sich eine zukünftige Arbeit in der Stadt vorgestellt hatte und was die Politik zu tun gedachte, um ihm den Standort ein wenig schmackhafter zu machen. Doch er hielt sich kurz und wollte Patrice nicht allzu lang allein lassen. Zwar hatte er Curt gebeten, auf die beiden Acht zu geben, aber trotzdem war es ihm lieber, wenn er seine Kleine direkt unter den eigenen Fittichen wusste. Aber es wahr gut, dass sie zwischendurch auch mal etwas aß. Immerhin waren sie bereits einige Stunden unterwegs und die Aufregung war für sie ja in jeder Minute allgegenwärtig. Doch auch nachdem er sie vom Italiener abgeholt hatte, lief alles wie am Schnürchen. Sie blieben noch einen Augenblick dort sitzen, Noah genehmigte sich eine Gemüsepasta und einen guten Weißwein bis der Blick auf die Uhr ihn irgendwann weiter trieb. Direkt zurück zum Autohändler, welcher das Wunder tatsächlich möglich gemacht hatte. Von seinem ursprünglichen Verkäufer sah er nur noch einen Haarzipfel um die Ecke verschwinden und wurde fortan vom Chef persönlich bedient, welcher ihm stolz seinen neuen Wagen präsentierte. Ob er diesen nun in einer anderen Filiale abgerufen und es schnell noch mal durch die eigene Werkstatt geschickt oder ob er es beim Hersteller geklaut oder mit rosa Nilpferden hatte herschleppen lassen, war Noah wurscht. Hauptsache es war das, was er wollte. Okay, die Musikanlage hatte nicht exakt die Lautsprecher, die er sich wünschte, aber ansonsten war der Wagen topp und der Kunde befriedigt. Er schickte seine Kreditkarte über den Tisch des Händlers und entließ Curt mit einem dicken Trinkgeld in den Feierabend, bevor er sich hinters Steuer klemmte und mit Patrice gemeinsam in Richtung Heimat brauste. Seinen Hubschrauber würde er dann morgen von einem Angestellten abholen lassen. Die Autofahrt verlief sehr ruhig und so erzählten sie sich noch ein Stündchen dies und das, wobei doch der hübsche Tim die meiste Zeit ihre Worte bestimmte, bevor Patrice dann geschafft auf dem Beifahrersitz eindämmerte und Noah ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er drehte die Heizung hoch, damit sie es schön warm hatte und blickte ab und an mal zu ihr herüber. Sie sah süß aus, wie sie da in ihrem Sitz tiefer gerutscht war und mit offenem Mund ein bisschen wie ein Besoffener aussah. Nachdem sie anfangs so nervös und schüchtern war, hatte er nun das Gefühl, dass dieser Tag ihn sehr nahe mit ihr zusammengebracht hatte. Er hatte die Gelegenheit ihren Märchenprinzen zu spielen und sie bekam ein Gespür dafür, wie es war, zu einer gehobenen Familie zu gehören. Sollte Noah wirklich in absehbarer Zeit an die Öffentlichkeit bringen, dass die Geschichte der Kaiba-Familie eine ganz andere war, als die welche man kannte, so würden nicht nur Patrice, sondern auch ihre Eltern sehr stark sein müssen. Er ahnte, dass das Medieninteresse in der ersten Zeit sehr groß sein würde bis es dann irgendwann ganz schnell abflaute. Es war ihm wichtig, dass seine neue Familie wusste, wie sehr er hinter ihr stand - und sie hoffentlich auch hinter ihm. Und auch Patrice war ihm wichtig. Sie war seine kleine Schwester und er hoffte, dass es auch so bleiben würde und sie nicht daran zweifelte, dass er es gut mit ihr meinte. Es war bereits dunkel, als Patrice die Augen wieder aufschlug und verwirrt aus dem Fenster blinzelte. Sie räkelte sich und kam langsam dahinter, dass sie wohl eingepennt war. „Na? Hast du etwas schönes geträumt?“ Noah lächelte sie liebevoll an, als er ihren müden Blick sah. „Ich bin eingeschlafen“ stellte sie auch für sich selbst fest und wischte sich über die Schlieren in ihrem Gesicht. „Entschuldige bitte.“ „Schon gut. Es war ein anstrengender Tag“ meinte er. „Möchtest du frische Luft schnappen? Dann fahre ich kurz ran.“ „Ich kenne das hier“ erwiderte sie überrascht als sie hinausblickte. „Hier ist der Hof, wo ich manchmal mit meiner Freundin die Ponys pflege.“ „Ja, wir sind auch gleich da“ nickte Noah. „Das Navi sagt mir, wir brauchen noch vier Minuten.“ „Wie lange hab ich denn geschlafen?“ „Och. So zwei Stündchen?“ schmunzelte er. „Sorry, ich konnte dich nicht wecken. Du sahst niedlich aus.“ „Komisch, das sagt Papa auch immer“ murmelte sie und öffnete nacheinander ihre Zöpfe, welche sich sonst von selbst verflüchtigten. „Dann bin ich mit Gordon ja mal wieder einer Meinung“ lachte er und fuhr etwas langsamer als es über einen etwas huggeligen Feldweg ging. „Meine Güte. Hoffentlich ist es nicht so matschig. Sonst sieht der neue Wagen gleich aus wie schlammgebadet.“ „Noah, kann ich dich was fragen?“ „Natürlich“ lächelte er auf die dunkle Straße. „Was ist denn?“ „Es ist, weil ... mir ist aufgefallen ... du sagst doch eigentlich Papa zu ihm, oder?“ „Na ja ...“ Er blickte ganz kurz zu ihr, bevor er wieder die Straße im Auge behalten musste. Woher diese Frage kam, konnte er so plötzlich nicht sagen. „Warum fragst du? Stört es dich? Ich meine, wenn es dich stört, kann ich überlegen, ob ...“ „Nein, mich stört das nicht“ erklärte sie, während sie weiter ihre Haare zu einem ansehnlichen Nest zu binden versuchte. „Ich finde es schön, weil ich weiß, dass Papa das sehr gern hat. Ich meine, ich weiß ja, dass er eigentlich nicht mein richtiger Vater ist, aber meinen richtigen Vater kenne ich auch gar nicht. Für mich ist es normal, wenn ich Papa zu ihm sage. Und er hat mir erzählt, dass er es auch schön findet, wenn du das machst. Er sagte, als du damals noch klein warst, hat er sich das immer gewünscht. Aber mir ist aufgefallen, dass du zu ihm immer Papa sagst, aber wenn du mit mir über ihn redest, sagst du immer Gordon. Ich wollte wissen, ob das irgendeinen Grund hat, warum du das machst.“ „Wirklich? Tue ich das?“ Das war ihm eigentlich nie so aufgefallen. Aber wenn sie es sagte, wenn es ihr richtig aufgefallen war ... vielleicht tat er das unbewusst. „Ich dachte, vielleicht liegt das daran, dass du denkst, ich will ihn als Papa nicht mit dir teilen“ erklärte sie mit erstaunlich ruhiger Stimme. „Aber das ist nicht so. Ich bin eigentlich ganz froh, wenn du ihn mal ein bisschen beschäftigst. Er kann nämlich manchmal ganz schön nerven.“ „Ja, das glaube ich dir“ lachte er. Für ein Mädchen, welches langsam in die Pubertät kam, war er bestimmt sehr anstrengend. Das war das Alter, wo alle Eltern irgendwie anstrengend wurden. Aber auch Noah blieb nicht unbedingt immer von anstrengenden Menschen verschont. Als er in ebendiesem Moment in die Straße einbog, welche sie zum Ziel führte, sah er schon aus der Ferne einen weinroten Ferrari Maranello im fahlen Licht der Laterne glänzen. Und wenn schon nicht das, so verrieten doch die Initialen MK den Besitzer. „Oh je.“ Und in Noah stieg ein ganz gefährliches Gefühl auf. „Was oh je?“ fragte Patrice nach, warf einen Blick nach vorn und sah dann auch den mehr als teuren Wagen dort stehen. „Wem gehört der denn?“ „Moki“ war seine aschfahle Antwort. „Was will der denn hier?“ „Wahrscheinlich dir ne Szene machen.“ Noah drehte seinen Kopf herum und sah nun sie mehr als verwundert an. Was war denn das für eine Äußerung jetzt? „Na ja“ lächelte sie schalkhaft. „Ich kenne euch jetzt auch schon ein bisschen.“ „Ich glaube, ich lasse dich nur rausspringen und setze mich dann ins Ausland ab.“ Aber selbst da würde sein eifersüchtiger Freund ihn finden. Nun musste er doch im Kopf alles noch mal genau durchgehen. Er hatte ihm doch gestern Abend gesagt, dass er plante, nach Sho-Town zu fliegen. Das hatte er ihm gesagt!!! Oder ... etwa nicht? Herr je ... Nun ja, ihm blieb keine große Wahl. Er parkte den neuen Wagen neben Mokubas Edelflitzer und traf draußen schon Patrice, die noch schneller herausgehopst war als er. „Keine Angst, ich beschütze dich“ lächelte sie und es war das erste Mal, dass sie ganz von selbst nach seiner Hand griff und ihn verliebt ansah. „Bestimmt hat er nur Sehnsucht nach dir und will dich abholen. Ich jedenfalls würde das so machen.“ „Sollte ich irgendwann mal hetero werden, wärest du die Erste, die ich heiraten würde“ seufzte er und ließ sich von ihr in Richtung des Gartens ziehen. Sie nahm schon ganz automatisch nicht mehr die Vordertür, sondern flutschte auch immer durch die Terrasse herein. Schien tatsächlich der allgemeine Familieneingang zu sein. So tippelten sie nur schnell über das feuchte Gras, bevor sie auch schon die Tür erreichten und Patrice diese ohne Anklopfen einfach aufdrückte. War also nicht verschlossen. So vertrauensselig ... hier musste man sicher keine Angst haben, dass plötzlich irgendwelche wildgewordenen Hexen oder sonstige Spinner die Abendrunde sprengten ... **Mal echt, das schädigt einen doch, oder?** „Wir sind wieder da!“ verkündete sie fröhlich, ließ Noah los und hoppelte guter Dinge hinein. Mit etwas schuldbewusstem Haupt trottete Noah ihr hinterher. „Ist etwas später geworden als geplant. Wir ...“ Er wollte sich gerade rechtfertigen, als ihn der unwahrscheinlichste aller Fälle ereilte. Auf dem Sofa saßen nicht nur Celine und Gordon, sondern zu seinem größten Erstaunen: Yugi! „Wo ist Moki?“ fragte er vollkommen entrückt und blieb mitten in der Tür stehen. Er blickte sich um, aber ansonsten schien weiter niemand da zu sein. Das war total unlogisch! Draußen stand Mokubas Sportwagen und hier drinnen saß Yugi. Okay, dass sie Besuch von ihren eigenen Kindern aus der Zukunft bekamen, war ja vielleicht noch vorstellbar. Aber wenn es hierfür jetzt keine gute Erklärung gab, würde Noah sich sofort selbst einweisen lassen. „Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen“ lachte Celine und stand auf, um ihrer Tochter die Jacke auszuziehen. „Ist alles in Ordnung, Noah? Hat Paddy dich so gestresst?“ „Warum steht Mokis Auto da draußen?“ Er kam da einfach nicht drüber hinweg. Nicht dass Yugi und Moki jetzt die Körper getauscht hatten oder sonst etwas. Es konnte ja alles Mögliche passieren! Wundern sollte ihn eigentlich gar nichts mehr. „Setz dich, Sohn“ bat Gordon und rutschte ein Stück zur Seite. „Keine Angst. Dein eifersüchtiger Süßer ist nicht hier.“ „Nur ich“ lächelte Yugi ihn beruhigend an. „Keine Angst, ich mache dir keine Szene.“ So blieb ihm nichts anderes, als den Kopf zu schütteln und erst Celine, dann Gordon und schlussendlich Yugi mit einem kurzen Wangenkuss zu begrüßen, bevor er sich geschafft in die Sofaecke fallen ließ. „Und wie war’s?“ „Es war so cool, Mama!“ schwärmte Patrice und präsentierte sich mit einem gekonnten Drehen. „Noah hat mir zuerst Klamotten gekauft und ...“ „Halt! Bevor du jetzt den großen Erfahrungsbericht ablieferst“ hielt Celine sie gleich an und drückte sie an sich. „Wollt ihr was trinken oder essen? Noah?“ „Nein, danke“ lächelte er zurück. „Wir haben schon gegessen.“ „Dann soll ich jetzt mal erzählen?“ freute sich Patrice und strahlte übers ganze Gesicht wie ein Honigkuchenpony. „Mama, Noah hat mich mit dem Hubschrauber abgeholt und ...“ Sie kam gar nicht richtig zum Erzählen, da klimperte eine Melodie wie eine Spieluhr aus ihrer neuen Handtasche. „AH!“ Sofort kramte sie darin herum und zog ihr Handy heraus, blickte das Display an und wurde tomatenrot, blickte zu Noah und flüsterte aufgeregt: „Tim ruft mich an.“ „Dann geh ran“ schmunzelte er. „Deswegen hast du ihm doch deine Nummer gegeben. Oder nicht?“ „Oh, mein Gott! Er ruft echt an!“ quiekte sie und war schneller zur Tür heraus verschwunden als man die Staubwolke sich heben sah. Wahrscheinlich brachte sie sich in Sicherheit, um privater telefonieren zu können. „Okay.“ Celine stemmte die Fäuste in die Hüfte und grinste Noah voll der Vorausahnung an. „Wer ist Tim?“ „Tim“ lächelte Noah und stützte sich seitlich auf die weiche Lehne. „Tim ist 15 Jahre alt, hat dunkelblondes Haar, blaue Augen und sieht aus wie einer Boyband entsprungen. Er ist der Neffe vom Bürgermeister von Sho-Town und sie hat sich heute von ihm zur Pizza einladen lassen. Und was soll ich sagen? Ich glaube, die beiden haben neben ein paar verstohlenen Blicken auch ihre Nummern getauscht.“ „Schau an, schau an. Tim also“ grinste sie und setzte sich neben Yugi auf den freien Platz gegenüber. „Du hast also meine Tochter verkuppelt, ja? Mit einem vier Jahre älteren Jungen?“ „Verkuppelt kann man das nicht nennen. Ich hab sie nur kurz zwischengeparkt, während ich mal kurz ins Meeting musste. Aber ich hab die ganze Zeit auf sie geachtet und wenn man es richtig rundet, sind sie nur drei Jahre auseinander“ betonte er und blickte hinüber zu Gordon, der sich das mit einem schweigenden Lächeln anhörte. „Ich hätte dir jetzt nichts unterstellt“ meinte er trocken. „Sie schien den Tag mit dir ja sehr aufregend zu finden. Die Sachen hast du ihr gekauft?“ „Hm ...“ „Und wie war es bei dir?“ „Aufregend“ erwiderte er mit einem kleinen Augenfunkeln. „Es war sehr schön. Ich glaube, wir sind uns ein ganzes Stück näher gekommen.“ „Das freut mich“ nickte Celine wahrlich beruhigt. „Ihr ward ja auch ziemlich lange weg. Und den Hubschrauber haben wir jetzt auch gar nicht gehört.“ „Das hat auch einen guten Grund.“ Immerhin hatte er ein teures Präsent im Gepäck, welches er an den Mann bringen wollte. „Aber Yugi, sag mal, warum bist du mit Mokis Auto unterwegs?“ „Ich bin dein Abholkommando“ erklärte der, während er sich die Hände an einem dampfenden Tee wärmte. „Ich hab nur sein Auto genommen, weil meines heute von der Batterie verlassen wurde und ich in seinen Sportwägen besser sitzen kann als in Setos. Der hat zu spezielle Sitze.“ Denn Seto musste sich Fahrersitze in Übergröße ordern, wegen seiner langen Beine. Von daher fiel es Yugi etwas schwer, seine Autos zu fahren. „Und um deiner nächsten Frage gleich vorzubeugen“ ergänzte er, als Noah schon den Mund öffnen wollte. „Roland fährt Joey heute Abend noch und Moki, nun ja“ schmunzelte er. „Er besucht die Abendvorlesungen in der Uni.“ „Abendvorlesungen in der Uni“ wiederholte er verwundert. „Das hat er ja noch nie gemacht. Wie kommt’s?“ „Seto ist der Kragen geplatzt. Das hättest du erleben müssen“ lachte er in froher Erinnerung. „Er ist wegen schlechter Laune aus dem Büro zu Opa geflüchtet und Moki ihm hinterher. Um den Drachen zu besänftigen hat Opa dann extra seine liebsten Schokoladenkekse gebacken und Moki hat es gewagt, ihm den letzten zu klauen. Da war alles zuende und er hat ihm eine Standpauke erteilt, dass der Arme so klein mit Hut wurde. Du weißt, wie wenig Spaß er bei Schokolade versteht.“ „Ouh ja ...“ „Und letztlich hatte Moki dann die Wahl, sich entweder unter dem Teppich zu verkriechen oder in die Uni zu fahren. Nun ja, ab und zu hört er eben doch mal auf seinen großen Bruder.“ „Gepriesen sei der Herr!“ seufzte Noah überaus erleichtert. „Endlich hat Seto mal auf den Tisch gehauen. Meine Gebete wurden erhört.“ „Alles in allem also ein gelungener Tag bei dir“ schlussfolgerte Yugi. „Ja, sehr gelungen“ lächelte er zurück. „Selten so ausgeglichen gefühlt wie jetzt gerade.“ „Das ist schön. Bist du mir denn sehr böse, wenn ich dich dann schon nach Hause drängele? Ich hab Zuhause einen hungrigen Mann sitzen und Kinder, die ins Bett wollen.“ „Wollen?“ „Na ja, müssen“ schmunzelte er. „Außerdem will ich vermeiden, dass der liebe Yami eine unbeobachtete Küche vorfindet.“ „Ja, ich sehe, du wirst gebraucht.“ Wenn Yugi nicht wäre, würde Zuhause so einiges drunter und drüber laufen. Seto würde wahrscheinlich verhungern, denn der aß eigentlich gar nichts, wenn er nicht daran erinnert wurde, dass er Hunger zu haben hatte. Die Kinder würde Seto auch noch ins Bett kriegen, aber Yugi gab ihnen gern selbst noch einen Abendkuss - sonst schimpfte Tato am nächsten Morgen mit ihm und Nini konnte sich ihren Tagesbericht nicht richtig von der Seele reden. Und Yami ... tja, musste man da noch irgendwas zu sagen? Seit Seth fort war, kam Yugi auch dort mehr in die Verantwortung, ihn nicht vereinsamen zu lassen. Davon abgesehen, dass er sich zusätzlich noch um Opas kaputten Rücken sorgte und selbst auch noch einen zeitraubenden Job hatte. Wenn man es genau betrachtete, war es ein Wunder, wie er das alles unter einen Hut bekam, ohne dass jemand zu kurz kam. Umso erstaunlicher, dass er sich zudem noch die Zeit nahm, Noah abzuholen. Yugi war wirklich erstaunlich und dabei wirkte er so ausgeglichen. „Es war aber auf jeden Fall sehr nett, dass du hier warst“ sprach Celine an Yugi gewandt. „Und beim nächsten Mal bringst du deine Kinder mit, ja?“ „Das mache ich“ nickte er dankend, während er die Tasse auf den Tisch stellte und sich erhob. „Noch mal danke für den guten Tee.“ „Kein Problem. Wir freuen uns immer über nette Gesellschaft“ verabschiedete auch Gordon ihn, als Noah vorging und Yugi sich seine Jacke von der Stuhllehne nahm und überzog. „Wir bringen euch noch raus. Oder Schatz?“ „Dann aber schnell, es ist kalt draußen“ erwiderte Celine und schlang sich beim Heraustreten die Arme um den Körper. „Du musst ja nicht. War nur ne Frage. Kannst auch drin bleiben.“ „Unsinn. Jetzt will ich den Sportwagen auch sehen“ sagte sie und war sogar noch vor allen anderen nach draußen verschwunden. Gordon seufzte nur leise und folgte ihr dann, während Noah ihm gespannt nachkam und Yugi sich im Gehen noch seine Jacke zuzog. Draußen an der Straße angekommen, war es nicht schwer zu erkennen, dass dort nicht nur ein teures Automobil, sondern gleich zwei davon parkten. „Wow! Ein Phaeton!“ Und Gordon erkannte ihn gleich. Der Ferrari daneben, welcher im Übrigen zu den teuersten Sportwagen der Welt zählte, den beachtete er gar nicht weiter. Dafür lugte er gleich zum Beifahrerfenster hinein und staunte. „Deshalb bist du also nicht mit dem Hubschrauber gekommen.“ „Genau.“ Nur dass der Wagen ein Geschenk sein sollte, musste er noch beichten. „Da hast du ja was angerichtet“ seufzte Celine. „Jetzt muss ich mir wieder den ganzen Abend seine Schwärmereien anhören. Das ist nämlich sein Lieblingsauto.“ „Hat Paddy mir auch gesteckt“ erklärte Noah und überlegte, wie er das jetzt so präsentierte, dass der Wagen auch wirklich zum richtigen Besitzer kam und nicht sofort abgelegt wurde. „Mensch, ich beneide dich“ meinte Gordon und trat zurück, um sich das schöne Stück zu betrachten. „Die Nummernschilder sind aber welche vom Amt. Hast du dir den als Leihwagen genommen?“ „Nein, ich hab ihn gekauft“ erklärte er und stellte sich neben ihn. Er begann auch in der Innentasche seines Jackets zu kramen und die Unterlagen herauszuholen. „Deswegen nur die vorläufigen Schilder“ nickte er verständig. „Mensch Noah, da hast du dir mal was richtig Schönes gegönnt. Fährt er sich denn gut?“ „Nicht wirklich. Die Musikanlage hat die falschen Boxen. Ich wollte das Surround-System mit zehn Boxen, aber es wurden nur acht eingebaut.“ „Na ja, immer noch sechs mehr als unser Auto hat“ lachte er. „Sei nicht so wählerisch.“ „Ich höre nun mal gern gute Musik im Wagen. Besonders, wenn ich selbst fahre. Ich glaube, dieses Auto ist nichts für mich. Wenn ich Phaeton fahren will, nehme ich doch lieber den, den ich schon habe.“ „Du bist doch echt ein Original“ schmunzelte er. „Wenn du schon einen hast, warum kaufst du dir dann noch einen? Als hättet ihr nicht schon genug Autos.“ „Ich weiß auch nicht. War so eine spontane Entscheidung. Also, ich will ihn nicht behalten. Du?“ Während Celine und Yugi ahnten, worauf das hinauslief, blickte Gordon eher stutzend neben sich und in Noahs ernstes Gesicht. Das hatte er jetzt sicher falsch verstanden. Er musste das erst mal rekonstruieren, bevor er etwas antwortete. Doch so lange mochte Noah nicht warten. Er zog den Schlüssel aus der Tasche, nahm Gordons Hand und drückte ihm den auf. „Das ist der Schlüssel inklusive zwei Ersatzschlüssel. Und das hier sind die vorläufigen Papiere.“ Und auch die legte er ihm in einem kunstvoll gestalteten Etui in die Hand. „Die Versicherungen laufen auf meinen Namen, aber du bist als Halter eingetragen. Hier ist auch eine Tankkarte drin. Damit kannst du an allen größeren Tankstellen sämtliche Kosten bezahlen, die dann bei mir auflaufen und automatisch beglichen werden. Die Fernbedienung für die Sonderfunktionen, inklusive Betriebshandbuch und Bedienungsanleitungen liegen im Handschuhfach. Nächste Woche schicke ich dir jemanden vorbei, der die neuen Kennzeichen montiert und die endgültigen Versicherungsunterlagen bringt. Du brauchst weder irgendwelche Kosten zu tragen, noch dich um irgendwas kümmern. Ich hab nur eine einzige Bitte.“ „Ähm ... und welche?“ „Sag dazu jetzt einfach gar nichts.“ Noah senkte den Kopf und hoffte nur, dass er sein Geschenk freudig annahm und ihn nicht für arrogant hielt, ihm so etwas mitzubringen. Gordon selbst war völlig perplex und ließ keine Gefühlsregung erkennen. Das kam in etwa so erwartet wie ein Lottogewinn ohne gespielt zu haben. Ein angespanntes Schweigen entstand, bevor er tief seufzte und lächelnd seinen Kopf an Noahs legte. „Okay“ flüsterte er überglücklich. „Aber ich darf doch wenigstens danke sagen, oder?“ „Aber dann auch nicht mehr, ja?“ Er wollte einfach nur, dass er es annahm und nicht irgendwelche Dankesgesänge anstimmte oder Gründe suchte, warum er es doch nicht annehmen könnte. Er sollte es einfach nur nehmen und damit glücklich werden. „Danke, mein Sohn“ hauchte er sanft. „Ich bin sehr glücklich.“ „Ich auch, Papa“ erwiderte er und so standen sie da noch einen Moment, bevor sie sich voneinander lösten und Gordon breiter strahlte als Noah, dem das Ganze sichtlich peinlich war. „Komm, Yugi. Wir wollen nach Hause.“ „Jupp“ lächelte der und schüttelte Celine die Hand. „Dann einen schönen Abend noch euch dreien.“ „Mach’s gut, Yugi. Bis zum nächsten Mal“ lächelte sie zurück. Während der sich danach noch von dem leicht freudebebenden Gordon verabschiedete, küsste Noah dafür Celine und verabschiedete sich. „Sag Paddy noch einen lieben Gruß, wenn sie fertig telefoniert hat, ja?“ „Mache ich. Und noch mal danke Noah, dass du sie mitgenommen hast.“ „Hab ich doch gern gemacht“ meinte er und traf mit Yugi in der Mitte zusammen, schaute ihn an. „Fährst du?“ „Mir egal. Wenn du willst, kannst du fahren“ meinte der und holte den Schlüssel raus. „Wollen tue ich nicht unbedingt. Meinetwegen kannst du auch fahren. Bist ja auch hergekommen.“ „Ich dachte nur, wenn du lieber willst ...“ „Jungs“ lachte Celine sie an. „Knobelt doch drum. Der Verlierer muss fahren.“ Danach musste Celine ihren Mann erst mal am Arm nehmen, um ihn nicht vollends abheben zu lassen oder sich Noah doch noch an den Hals zu schmeißen. Der blickte Yugi an, dachte nach, sah dessen spielsicheres Grinsen und schnappte ihm die Schlüssel aus der Hand. „Ich fahre.“ Gegen einen Pharao zu knobeln, wäre sinnlos. Yugi würde so oder so gewinnen - da konnte er es auch gleich sein lassen und sich hinters Steuer klemmen. „Kommt gut nach Hause!“ wünschte Gordon noch und winkte ihnen, während Noah sich den Sitz zurückstellte und dann den Wagen ausparkte. Im Rückspiegel sah er seinen Vater auch noch so lange stehen bis sie außer Sichtweite waren. Dankbarkeit war nun wohl auf beiden Seiten mehr vorhanden als Worte, welche sie ausdrücken konnte. Während Noah so darüber nachgrübelte, was Gordon nun wohl mit seinem neuen Wagen tun würde, ob er sich nun gleich reingesetzt hatte und Celine auf eine Spritztour mitnahm oder ob er erst mal die ganzen Sonderfunktionen studierte oder Patrice befragte, wie er zu diesem überraschenden Geschenk gekommen war ... ja, während er so seinen Gedanken nachhing, fiel ihm irgendwann auf, dass Yugi bedächtig still war. Er blickte ganz kurz zu ihm rüber und sah ihn mit verschränkten Armen aus dem Fenster schauen. Eben war sein Gesicht noch so freundlich und unbeschwert gewesen, nun wirkte es nachdenklich, wie versteinert. Auch er hing seinen Gedanken nach und es schienen, im Gegensatz zu Noahs, keine zu sein, welche ihm ein Lächeln auf die Lippen legten. „Yugi?“ fragte er mit leiser Stimme. „Alles in Ordnung?“ „Ja, alles okay“ antwortete er ruhig und strich den Sicherheitsgurt von seinem Hals weg. Der war zwar runter gestellt, aber störte ihn wohl immer noch. „Na ja, du sahst gerade nicht so aus“ tastete er vorsichtig an. „Den Blick kennt man von dir gar nicht. Sorgen?“ „Ein paar“ erwiderte er schlicht. „Aber jetzt erzähl mal. Wie war der Tag mit deinem Schwesterchen? Sie schien ja sehr ausgelassen zu sein.“ „Yugi ...“ Er schenkte ihm einen kurzen, skeptischen Blick, der für sich sprach. Das war typisch für Yugi. Er wich aus, wenn er Sorgen hatte. Und wenn man ihn beim Grübeln ertappte, überspielte er das. „Ich glaube, ich kenne dich jetzt lang genug, um dir anzusehen, dass du jetzt ablenkst.“ „Ich will dir nicht deine gute Laune vermiesen. Lass nur, ist alles okay. Wirklich.“ „Und was außer ‚alles’ ist nicht okay?“ hakte er trotzdem noch mal nach und schaltete die Lichtstärke hoch, da die Landstraße doch jetzt arg dunkel und vollkommen unbeleuchtet war. „Wir sind unter uns. Also rede mit mir. Du hast doch bestimmt anderes zu tun als dich für Stunden von Zuhause abzusetzen und so weit rauszufahren, nur damit der Chauffeur rechtzeitig Feierabend bekommt.“ „Um ehrlich zu sein, war ich ganz froh, mal für kurz weg zu kommen“ sprach er mit einer Stimme, die ungewöhnlich sorgenbeladen klang. „Ich wollte einfach mal alleine sein und nachdenken. Da kam mir eine Stunde Autofahrt ganz gelegen.“ „Und worüber hast du nachgedacht?“ „Darüber wie ich das alles schaffen soll“ beichtete er und sah mit steinernem Ausdruck auf die nächtliche Straße. „Als ich heute Setos Blick gesehen habe, ist mir schlagartig klar geworden, dass mir die ganze Sache aus den Händen gleitet.“ „Was gleitet dir aus den Händen? Deine Ehe? Die Kinder?“ „Einfach alles“ seufzte er leise und lehnte seinen Kopf an die Wagentür. „Vorhin hab ich wie gesagt, Seto zufällig bei Opa getroffen. Eigentlich war alles wie immer. Du weißt, dass Opa es immer schafft, so eine geborgene, unbeschwerte Stimmung zu verbreiten.“ „Aber?“ Das hörte sich verdammt nach einem Aber an. „Aber ich hab Seto gesehen“ erzählte er bedrückt weiter. „Er stand an der Terrassentür und hat geraucht. Er war in Gedanken und hat nur in den Garten geschaut. Aber ich hab seinen Blick gesehen und dachte, ich breche zusammen. Noah, da war er wieder. Dieser Ausdruck in seinen Augen.“ „Welchen Ausdruck meinst du genau?“ Darunter konnte er sich nicht sofort etwas vorstellen. Sicher war nur, dass es Yugi Sorgen bereitete. „Wenn er an den letzten Tag im Haus seiner Mutter denkt“ sprach er leise. „Dann bekommt er diesen gebrochenen, harten Blick. Und genau den hatte er. Ich habe gespürt, dass böse Gedanken, schmerzhafte Erinnerungen in ihm hochgekommen sind.“ „Oh ...“ Das hatte Yugi nett umschrieben. Der letzte Tag bei seiner Mutter. „Meinst du, Seths Verschwinden wühlt auch noch andere Sachen wieder auf?“ „Dass es ihm zu schaffen macht, war klar. Aber ich wusste nicht, wie schlimm es wirklich ist. Bisher dachte ich, die Alpträume, die er nachts hat, wären das Einzige. Auf meine Fragen antwortet er aber nur, dass alles okay ist. Er steht dann früh auf und schläft nicht weiter. Bisher hab ich mir wenig dabei gedacht. Du weißt ja, dass er körperlich sehr belastbar ist und auch recht lange mit wenig Schlaf auskommt.“ „Deshalb arbeitet er in letzter Zeit schon so früh“ kombinierte Noah. „Er schläft nicht, weil er schlimm träumt. Das ist traurig.“ „Aber er spricht nicht darüber. Er sagt immer nur, es ist alles in bester Ordnung und ich soll mir keine Sorgen machen.“ „Vielleicht denkt er das ja auch“ beriet er mitfühlend. „Du weißt, dass Seto immer als Letzter mitbekommt, wie schlecht es ihm geht. Und Seth ist immerhin sein Yami. Ich glaube, niemand hätte sich vorstellen können, dass sich zwischen ausgerechnet den beiden solche Szenen abspielen.“ „Seth ist nicht mehr er selbst“ meinte Yugi traurig. „Er war immer einer der Hauptpfeiler unserer Familie. Sein Handeln wirkt sich auf alle von uns aus. Ich weiß aber nicht, wie ich es schaffen soll, das noch länger aufzufangen.“ „Gerade vorhin habe ich gedacht, mit welcher Leichtigkeit du das alles managst“ gestand er selbst etwas schuldbewusst. „Du passt auf, dass es Seto gut geht. Du kümmerst dich um die Kinder. Du baust Yami wieder auf. Du bist auf den Beinen, bevor überhaupt der Wecker klingelt und gehst erst zu Bett, wenn alle ihren Tag abgeschlossen haben. Und dabei wirkst du immer so ruhig und zuversichtlich. Als würde dir das alles gar nichts ausmachen.“ „Ja? Wirkt das so?“ lächelte er traurig. „Dabei ist mir so oft nach Heulen zumute. Wenn ich Yamis aufgesetzte Fröhlichkeit sehe. Wenn die Kleinen mich fragen, wann Sethi zurückkommt. Irgendwie muss das Leben ja weitergehen. Im Augenblick müssen wir abwarten, was Sethan überhaupt plant. Diese Ungewissheit ist erdrückend genug. Aber als ich vorhin Setos Blick gesehen habe ... Noah.“ Er legte sich die Hand über die Augen, als wolle er seine Tränen zurückhalten. „Ich war wie gelähmt. Und ich hab was ganz Schreckliches getan. Ich hab ihn nicht in den Arm genommen. Ich bin einfach weggegangen, ohne ihn anzusprechen. Ich hab ihn mit seinen Gedanken einfach allein gelassen. Wie konnte ich nur?“ „Yugi.“ Er griff über den Schalthebel herüber und legte ihm fest die Hand auf sein Knie. „Du bist auch nur ein Mensch. Auch du kommst irgendwann an dein Limit. Du bürdest dir die Sorgen aller auf, aber deine eigenen stellst du immer hinten an. Das ist es, was dich so wichtig und so unverzichtbar macht. Aber eben deswegen musst du dir auch deine Fehler verzeihen. Yugi, egal wie unverzichtbar du bist. Du kannst nur so viel tragen wie du nun mal tragen kannst.“ „Aber ich hab mich so vor mir selbst erschrocken. Ich hab solche Schuldgefühle“ sprach er und war den Tränen nahe. „Seto bedeutet mir alles. Aber in diesem Moment ... ich weiß nicht. Ich war so aufgewühlt. Ich konnte nur noch rückwärts den Raum verlassen. Ich ... ich konnte nicht mit ihm darüber sprechen. Ich hätte seinen Schmerz in dem Moment nicht ausgehalten. Ich hatte gerade kurz vorher mit Yami telefoniert, der sich auch so traurig anhörte. Ich war ... ich war einfach hilflos. Ganz plötzlich hatte ich das Gefühl, ich schaffe das alles nicht mehr.“ „Yugi. Entschuldige bitte, wenn das jetzt hart klingt.“ Er senkte seine Stimme und nahm aber doch seine Hand, um zu zeigen, dass er es nur gut meinte. „Du solltest nicht denken, dass du der Einzige bist, der das regeln kann. Du solltest uns allen wirklich mehr vertrauen. Ja, vielleicht konntest du Setos Schmerz gerade nicht ertragen. Aber Yugi, es war nur ein Blick. Er waren s e i n e Gedanken, nicht deine.“ „Aber ich ...“ „Lass mich bitte ausreden, ja? Ich will dir sagen, dass du nicht immer und überall im Mittelpunkt stehen musst. Seto ist nicht mehr so hilflos wie damals und du solltest ihm insofern vertrauen, dass er nicht gleich zusammenbricht, nur weil er mal einen eisigen Blick aufsetzt. Du solltest ihm mehr vertrauen, dass er zu dir kommt, wenn er Hilfe braucht. Gib ihm die Chance, es allein zu schaffen.“ „Aber ich möchte für ihn da sein, wenn es ihm schlecht geht. Ich w e i ß doch, dass es ihm zu schaffen macht. Er soll wissen, dass er nicht alleine ist.“ „Das weiß er, Yugi“ sagte Noah ihm ganz hart. „Ja, vielleicht geht es gerade etwas bergab mit ihm. Aber du hilfst ihm nicht, indem du ihn entmündigst und ihm seine Schwäche bewusst machst. Ich weiß, dass er dich liebt. Seths Verhalten wirft ihn aus der Bahn und es wird in nächster Zeit sicher noch viel schlimmer werden. Aber eben genau deswegen ist er doch dein Priester. Er wird dich über Seth stellen. Du solltest ihm zeigen, dass du ihn brauchst, dass du auf ihn angewiesen bist. DAS wird ihn stark machen. Lass ihn versuchen, stark zu sein. Er wird zu dir kommen, wenn er nicht weiter weiß. Davon bin ich überzeugt. Du solltest nicht alle Probleme, die so herumliegen immer gleich an dich reißen. Kümmere dich lieber mehr um deine eigenen Sachen.“ „Wow, das war hart“ lächelte er traurig. „Ich weiß. Aber wir sind alle erwachsene Menschen und wir können miteinander reden. Also lass uns mal versuchen, unsere Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Und auch Yami ist erwachsen und weiß, was er tut. Es ist gut, wenn du auf alle ein beobachtendes Auge hast. Aber vertraue darauf, dass wir auch nicht ganz dumm sind, ja?“ „Das wollte ich damit nicht sagen.“ „Ich weiß“ sprach er und legte einen liebevolleren Ton in die Stimme. Der Kern seiner Aussage war ja wohl angekommen. „Es ist gut, wenn wir aufeinander achten. Und besonders du bist jemand, der sehr für andere da ist. Ich weiß, dass du mit Seto viel durchgemacht hast und dass er besonders viel Betreuung von dir braucht. Aber gib ihm die Chance, sich um sich selbst zu kümmern. Ich weiß, dass ich dir nicht zu erzählen habe, wie du mit Seto umzugehen hast. Aber ich kann dir sagen, was ich denke. Und ich denke, dass er mittlerweile genug Vertrauen hat, dass er sich an dich oder an irgendjemanden von uns wenden wird - bevor er wieder abstürzt. Er schafft das. Vertraue ihm einfach, ja?“ „In jedem anderen Falle würde ich das auch“ entgegnete er traurig. „Aber hier handelt es sich um Seth. Wenn es wirklich zu einem Kampf zwischen den beiden kommt ... was soll ich ihm denn da sagen?“ „Das weiß ich leider auch nicht. Dass Seto sich ernsthaft mit Seth anlegt, kann ich mir nicht mal wirklich vorstellen. Dazu ist er viel zu unterwürfig ihm gegenüber. Aber erstens mal glaube ich, dass er sich im Zweifel absolut immer auf deine Seite stellen wird. Und zweitens glaube ich, dass wenn es zu einem Kampf kommt, dieser nicht zwischen Seto und Seth, sondern zwischen Yami und Seth stattfinden wird. Wenn überhaupt.“ „Wie ... wenn überhaupt?“ „Ich denke, der große Tato hat da auch noch ein Wort mitzureden. Und der macht mir nicht den Anschein, dass er vor irgendwem kuscht. Und darüber hinaus, kennen wir Sethan nicht. Ich vermute, dass er in der ganzen Sache viel mehr seine Finger drin hat, als wir wissen.“ „Du machst dir anscheinend ja auch viele Gedanken“ bemerkte Yugi und drückte dankend seine Hand. „Stell dir vor“ lächelte Noah ihn lieb an. „Du bist nicht der einzige, dem das Wohl der Familie am Herzen liegt.“ „Danke, Noah“ flüsterte er ein Stück erleichtert. „Danke, dass ich mit dir darüber sprechen konnte.“ „Schon gut. Lass uns versuchen, nicht zu sehr daran zu denken. Sonst machen wir uns kaputt, bevor überhaupt etwas passiert ist.“ Auch wenn er wusste, dass es nicht leicht war, das Leben ganz normal weitergehen zu lassen, wenn man solch einen Feind im Nacken hatte ... wobei ... es war schwer, Seth als Feind zu sehen. Vielleicht das Schwerste von allem. Kapitel 3: Kapitel 11 - 15 -------------------------- Chapter 11 „Oh Mann, hätte den nicht jemand mitnehmen können?“ Noah ging gleich auf dem Zahnfleisch, als er seinen Kopf entnervt in die Hand stützte. Wie sollte man anständig arbeiten, wenn einem ständig über die Schulter geguckt wurde? Da zwang Mokuba ihn, sich zu den anderen ins Wohnzimmer zu setzen und saß dann selbst nur mit Yugi, Narla, Tea, Mokeph und Nika beim Pokern. Und weil Yami erst zu spät, sprich genau dann als die Kinder alle im Bett waren, aus seinem viel zu langen Mittagsschlaf erwacht war, hatte er es weder zum Beginn der Pokerrunde, noch zum Abflug der anderen in die Disco geschafft. Der einzige, der gerade nicht nervte, war der große Tato, der still auf dem Sessel saß und sich in ein Buch vertieft hatte. Und Phoenix, der ebenso still danebensaß und in seinem Blockbuch herumstaffierte. Warum konnte Yami denn nicht auch ein bisschen so sein? „Was denn?“ Yami schaute ihn vollkommen unschuldig an und hörte auf, auf seiner Tastatur herumzuklickern. „Ich korrigiere nur deine Rechtschreibfehler.“ „Ich mache keine Rechtschreibfehler“ meinte Noah seufzend. „Kannst du dich nicht irgendwo anders nützlich machen? Geh die Welt regieren oder so was.“ „Aber wohl machst du Rechtschreibfehler“ betonte er und zeigte auf den Bildschirm des Laptop. „Hier. Du schreibst: For your comfirmation I will send you bla bla bla. Das heißt doch: For your Konfirmation I will send you und so weiter. Das schreibt sich doch mit K und groß.“ „Yami, das ist englisch. Verstehst du?“ War das soooo schwer? „Confirmation hat mit Konfirmation nichts zu tun.“ „Aha ...“ In dieser Schulstunde war wohl Yugi dran gewesen. Und das obwohl er vom Christentum nicht mehr verstand als das, was er Seth damals fürs Studium abgefragt hatte. „Wer hat denn Konfirmation?“ „Niemand. Absolut niemand. Lass mich bitte arbeiten.“ War das so viel verlangt, wenn er schon nicht im Büro bei Seto sitzen durfte? „Ich will dir doch nur helfen“ bettelte der alte Pharao mit hündchengroßen Augen. Er holte sogar die Schmolllippe **Tripple!** raus und bombardierte ihn mit seinem ‚Mir ist langweilig, beschäftige dich mit mir’-Blick. Fast wäre Noah nach Sekunden unter Beschuss dieser Attacke weich geworden als er ganz gemein „AAAAUUUUUAAAA!!!! SCHEISSE!!!!“ am Bein erwischt wurde. Er rutschte sofort mit dem Stuhl zurück und sah gerade noch ein dunkelbraunes Fellknäul in Richtung Sofa türmen, auf die Kopflehne springen und sich dort knurrend aufbauen. „Mokuba!“ „Was kann ich dafür?“ drehte dieser sich aus seiner Pokerrunde heraus und sah seinen Schatzi an, der sich ziemlich wütend seinen angekratzten Knöchel rieb. „Was du dafür kannst? Dein verflohter Kater hat mich schon wieder gekratzt.“ „Er hat keine Flöhe mehr.“ „Darum geht es doch gar nicht!“ „Ich hab dir gesagt, die Hose solltest du nicht anziehen“ nickte er auf ebendiese. Noahs neue, weiße Freizeithose trug nämlich kleine graue Kordeln mit Wollkügelchen am Saum, die für Katzen natürlich schrecklich reizvoll waren. „Ich kann doch mein Outfit nicht nach deinen Haustieren richten!“ So weit kam das noch, dass er nun auch noch Zuhause der Etikette unterlag. Wenigstens hier sollte er doch wohl seine neue Mode tragen dürfen. Haustiere hin oder her! „Ich hab dich aber gewarnt“ antwortete er ganz ruhig. „Wenn die Kleinen das erst sehen, werden die hinter so was her sein. Das ist ganz normaler Spieltrieb. Und Katzen sind nun mal Jäger.“ „Aber nicht die Jäger meiner Knöchel!“ „Grrrrruuuuuuuooooooommmmmmm“ knurrte obendrein auch noch das wuschelige Monster auf der Lehne. Er hatte sich eben erschrocken, dass an der Kordellust auch noch ein Bein dranhing und äußerte mit wildem Buckeln seinen Unmut. „Och, hat er dich erschreckt?“ schaute Mokuba ihn mitleidig an und erhöhte lockend seine Stimme. „Reg dich nicht auf, Kumpelchen. Ist doch alles gut. Hm? Alles gut.“ „Muuoow!“ jaulte er und sprang von der Lehne herunter, als von draußen ein noch lauteres Mauen zu hören war. Wenn das nicht sein Weib war, welches da nach ihm rief. „Na, geh hin, wenn sie dich ruft. Kusch!“ bestärkte Mokuba ihn, doch das wäre auch unnötig gewesen. Brav gegenüber der wahren Obrigkeit stellte er seinen buschigen Schwanz auf und trabte fröhlich und hoch erhobenen Kopfe ganz nach Katzenart zur Tür hinaus. Aller Ärger vergessen. „Du bist dran“ meinte Yugi, als Mokuba dann schon wieder an der Reihe war. „Ähm ja ... also ... ich gehe mit.“ „Hallo? Mokuba?“ weckte Noah ihn noch mal. „Wie wäre es, wenn wir das mal ausdiskutieren? Dieses Mistvieh birgt echte Verletzungsgefahr.“ „Unsinn. Den Kindern tut er ja nichts“ erwiderte der, ohne sich erneut umzudrehen. „Ja, vor denen hat Hello Angst“ meinte auch Yugi, ohne von seinem Blatt aufzublicken. „Er türmt vor allem, was kleiner ist als einen Meter. Heute Morgen war Tato hinter ihm her, aber hinter den Töpfen hat er ihn nicht gekriegt. Ich glaube, so aggressiv ist er gar nicht.“ „Nicht aggressiv? Siehst du das hier?“ schimpfte Noah und zeigte seinen leicht blutenden Knöchel. „Das war’s für mich mit kurzen Hosen. So kann ich mich doch nicht zeigen!“ „Wir haben ohnehin Winter, Onkel Noah.“ „Danke Tato“ nickte Onkel Mokuba zu diesem trockenen Kommentar. Sie hatten doch sowieso Winter und keine Zeit für kurze Hosen. Warum regte Noah sich so auf? Solange der Kater vor den Kindern weglief und nicht umgekehrt ... „Ich hab das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst, Mokuba.“ „Soll ich dich heilen?“ „NEIN! ES GEHT UMS PRINZIP!“ „Ich weiß, was ich mache! Ich verarzte dich!“ Jawoll! Der Pharao hatte eine neue Berufung gefunden! Wenn man die Welt retten wollte, konnte man doch mit Noah mal einen Anfang starten. Er lief aufgeregt zum Wohnzimmerschrank und wühlte nach dem Erste-Hilfe-Kasten. „Ich setze mich doch gleich zu Seto“ seufzte Noah als Yami schnellen Schrittes wieder zurückkam und nicht mal die Schranktür geschlossen hatte. So voller Elan wollte er unbedingt den armen Hasen vor dem Verbluten bewahren. „Du bleibst schön hier“ meinte Mokuba ganz nebenbei. „Sonst sehe ich dich ja gar nicht mehr.“ „Wie wäre es, wenn du dich dann mal um mich kümmern würdest?“ „Wie wäre es, wenn du mal aufhören würdest, zu arbeiten?“ „Ey ...“ Noah konnte nur genervt den Kopf schütteln. „Bin ich hier im Zirkus oder was? Ich gehe wirklich gleich zu Seto. Mit dem kann man sich wenigstens normal unterhalten.“ „Warum? Du kannst doch hier bleiben“ meinte Yami und fischte nicht etwa das Pflaster heraus, sondern nüdelte gleich den Mullverband auf. „Yami, ich bin nicht schwerverletzt“ bemerkte er leicht skeptisch. „Du musst mich nicht mumifizieren.“ „Das wäre doch auch mal lustig“ grinste er zu ihm rauf. „Soll ich dir mit kleinen Haken das Hirn zur Nase rausziehen?“ „Iiiieeeeeh.“ „Ihr Ägypter habt sie manchmal echt nicht alle“ schüttelte Narla den Kopf und warf ihre Spielchips in die Tischmitte. „Musst du gerade sagen. Du bist doch auch Ägypterin“ meinte Mokeph. „Deine Gene sind so alt wie unsere.“ „Ist das Setos Handy?“ Und schon hatte Yami ein neues Interessengebiet, nachdem Noah ihm den Verband weggenommen hatte, um sich selbst nur ein Pflaster zu geben. Er fischte sich den kleinen Superminicomputer vom Tisch und wischte jedes Mal aufs Neue wieder voll Bewunderung über das glänzende Silber. Er liebte elektronisches Spielzeug. Und Seto hatte da, wie er neulich feststellte, wirklich niedliche Kinderspielchen drauf. Um Nini während längeren Autofahrten zu beschäftigen - natürlich, schon klar. „Warum liegt das hier und nicht bei Seto?“ „Weil der vorhin Hals über Kopf vor Joey getürmt ist“ erklärte Nika. „Der wollte ihn mit den anderen in die Disco schleifen und da hat er sich schnell ins Büro verzogen.“ „Und warum seit ihr nicht mit?“ „Weil wir pokern wollten und die anderen nicht.“ „Euch meine ich doch gar nicht. Ihr seid ja eh Langweiler“ winkte er lässig ab. „Hey!“ Und Nika betrachtete sich nicht gerade als Langweilerin. „Ich meine euch“ schaute er zu Tato und Phoenix rüber. „Wenn alle abtanzen, hättet ihr doch mitgehen können. So ne Disco unserer Zeit ausprobieren.“ „Für den Quatsch bin ich zu alt“ antwortete Tato ganz ohne von seinem Buch aufzublicken. Da las er lieber Goethe, das war ein Evergreen. Und seine wilden Zeiten lagen weiß Gott hinter ihm. „Und du, Spatz?“ guckte er Phoenix an, der sogar aufschaute und ihm mit seinem silbergrauen Blick begegnete. „Willst du nicht mit? Du könntest ein Mädchen aufreißen. Oder auch zwei.“ „Ich ... ich gehe nicht so gern aus“ antwortete er mit seinem fast heiser hellen Stimmchen. „Außerdem bin ich noch nicht volljährig.“ „Balthasar hat doch aber auch eure Mama mitgenommen“ meinte Nika. „Du hättest ruhig mitgekonnt. Die Erwachsenen geben schon auf euch Acht. Und wenn du eine Visitenkarte von Seto hinlegst, kommst du überall rein.“ „Ich bleibe lieber bei Asato.“ Und er lächelte ganz glücklich, als der lobend sein Haar wuschelte. Zwar blickte der alte Drache nicht mal dafür auf, aber wenigstens einer seiner angenommenen Söhne, hörte mal auf ihn. „Ihr seid echt ein süßes Pärchen“ grinste Yami. „Ihr würdet gut zusammen WHUA!!!“ Da klingelte plötzlich Setos Handy und vibrierte so stark, dass Yami das Teil erst mal drei Meter weit wegschmiss und in die entgegengesetzte Richtung hopste. Da hatte er sich aber verjagt! „Du musst das nicht gleich wegwerfen“ lachte Noah und war am nächsten dran, das Teil aufzuheben. „Ist bestimmt für Seto“ atmete Yami und strich sich das Haar zurück. „Ich gehe ihn holen.“ „YAMI!“ Aber der war schon zur Tür raus, als Noah ihm das Ding hinhielt. „Nimm das Handy doch gleich mit.“ Aber der war durch den langen Schlaf viel zu aufgeweckt und überhaupt etwas hibbelig im Moment. Wahrscheinlich zu viel überschüssige Energie seit Seth ihn nicht mehr jede Nacht auspowerte. „Geh doch ran. Ist bestimmt geschäftlich“ meinte Mokuba gelangweilt. „Wer sollte ihn denn sonst anrufen? Oder steht da was, dass das schon wieder Joey ist?“ „Nein, Nummer ist unbekannt“ meinte Noah und klappte das Ding auf. Lieber selbst rangehen und den Telefondienst spielen, bevor derjenige nun doch noch gleich wieder auflegte. Könnte ja ein Kunde sein, der Geld loswerden wollte. „Kaiba?“ Aber am Telefon immer souverän, egal, ob er sich gerade hinsetzte und das Pflaster noch mal festdrückte. „Nein, Noah. Mein Bruder müsste gleich wieder zurück sein“ antwortete er wohl auf die Frage hin, welcher Kaiba jetzt am Telefon war. „Vielleicht ist unsere Meldung bei Ihnen noch nicht eingetroffen. Seto hat geheiratet und heißt jetzt Muto. Es würde ihn sicher freuen, wenn Sie das in Ihren Daten ändern könnten, Mr. Hamilton.“ Aber dann lachte er freundlich. „Nein, kein Problem. Sie sind nicht der einzige, der das verwechselt. Das passiert den meisten noch. Dauert wohl noch etwas bis das in den Köpfen angekommen ist. Aber wenn Sie das schon wissen ...“ Er wartete die Antwort ab und lehnte sich lächelnd zurück. „Nein, wirklich. Kein Problem. Viele nennen ihn noch Kaiba. Aber sie können sich denken, dass er Sie da etwas rüder korrigiert als ich. Korrekter Weise hätte ich auch sagen müssen ‚Kaiba am Apparat Muto’, da haben Sie Recht.“ Kurz wartete er, aber lachte dann wieder freundlich. „Nein, ich verrate es ihm nicht. Versprochen. Nun, Mr. Hamilton. Kann ich Ihnen vielleicht auch weiterhelfen?” Sein Lächeln wich nicht, aber er hörte doch schon kurz und ruhig zu, was der Fremde ihm sagte. „Nun gut. Er müsste gleich ...“ „Ich weiß selbst, wo das Wohnzimmer ist. Du musst mich nicht ziehen!“ ... um die Ecke kommen. Denn da sprang schon Yami herein und zog den grummelnden Drachen hinter sich her. „Er kommt gerade rein. Ich übergebe Sie mal. Schönen Abend noch.“ Noah hielt Seto das Handy hin und besänftigte ihn mit einem seiner strahlenden Lächeln. „Telefon für dich, Brüderchen.“ „Wer?“ brummte er und nahm das Teil erst mal entgegen. „Kenne ich nicht. Ein Mr. Hamilton?“ „Sagt mir nichts” meinte Seto, aber telefonierte trotzdem mit ihm. „Muto?“ Und ja, er meldete sich nicht mit Kaiba. Schon ewig nicht mehr. „Ja, Seto Muto. N’Abend. Was kann ich für Sie tun?” Hörte sich zwar eher an wie ‚Wie kann ich Sie wieder loswerden?’, aber Seto war nun mal kein kundenfreundlicher Mensch. Deshalb kümmerte er sich ja auch um Zahlen und Technik. Aber dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck vom kalt mürrischen Blick und wurde etwas blass. „Meine Mutter? Ist sie krank?“ Da hörten die anderen auf zu Pokern, selbst Tato blickte von seinem Schinken auf und beobachtete, wie sein Vater sich rückwärts wie paralysiert auf die Sofalehne neben Mokeph setzte. Ganz anscheinend musste er sich schnell mal irgendwo niederlassen, bevor er sich mitten im Raum noch verlorener vorkam. Schweigen breitete sich aus und sicher wünschte sich jeder, er würde mal die Lautsprecher anstellen. Aber das Gespräch blieb zur Hälfte geheim. Außer „Aha ...“ sagte er nämlich nicht viel mehr und lauschte einfach nur dem, was der Fremde am anderen Ende erzählte. Yugi legte seine Karten hin und ging zu ihm, stellte sich neben ihn und legte ihm seine warme Hand auf die hart angespannte Schulter, als sein Liebling wie eine Bombe hochschoss. „WAS HABEN SIE?“ schnauzte er in den Hörer. „MEIN ARZT UNTERLIEGT DER SCHWEIGEPFLICHT! ICH SCHWÖRE, EINER VON IHNEN HAT MORGEN EINE KLAGE AM HALS!!!“ „Liebling“ flüsterte Yugi und winkte seinen kalten Blick ihn mit senkenden Händen zur Ruhe. „Ganz ruhig bleiben. Immer cool.“ Als hätte das tatsächlich eine Wirkung, so setzte Seto sich wieder und lauschte der Stimme des Mannes. „Nein ... das ist schön für sie“ erwiderte er mit so glatter, kalter Stimme, dass es richtig kühl wurde im Raum. „Ist das so? Ich weiß nicht, ob ...“ Er sprach nicht aus, sondern musste zuhören. Ganz eindeutig wurde er da ziemlich gefordert. „Ich weiß. Meinen Sie wirklich, dass sie ... ruhig bleibt?“ Dann begann sein Ton zu zittern und dass Yugi an seiner Seite stand und seinen Kopf streichelte, schien auch eher wenig zu bringen, denn Seto drückte ihn respektvoll wieder fort und senkte seinen Blick auf den Boden. „Nein, ich werde es mir überlegen. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen.“ Er nickte leise, aber hob seinen Blick nicht erneut. „Nein. Kein Problem. Danke, für Ihren Anruf, Dr. Hamilton. Ich melde mich bei Ihnen.“ Ganz kurz noch, bevor er mit einem „Ihnen auch noch einen schönen Abend“ auflegte. Er behielt das Handy in der Hand und sah leer den Boden an. Irgendetwas musste ihn ziemlich aufgewühlt haben, dass er die fragenden Gesichter seine Freunde nicht einmal wahrnahm. Aber wenn es wirklich um seine Mutter ging, war klar, dass man ihm da in eine ganz weiche Stelle gebohrt hatte. „Liebling? Alles in Ordnung?“ Seto hob einen Blick und sah ihn an. In seinen Augen eine Mischung aus Traurigkeit, Verzweiflung und diesem giftigen bisschen Hoffnung, welches er noch immer an diese Frau heftete. Er liebte sie. Er konnte es nicht ändern. Sie war seine Mutter und er liebte sie, egal was sie ihm angetan hatte. Und er hoffte, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem sie seine Liebe erwidern konnte. „Komm her.“ Yugi stellte sich vor ihn, nahm seinen Kopf und legte ihn ohne Widerstand auf seine Schulter. Wenn Seto auf der Lehne saß, war er ja selbst fast so hoch wie Yugi, aber das war ihm gleich. Sein Yugi tröstete ihn und das war es, was er brauchte. „Was ist denn passiert, hm? Mon petit coeur?“ „Das war Dr. Hamilton“ antwortete er leise. Dann seufzte er tief und hob seinen Blick. Auch wenn es ihn im ersten Moment erschreckt hatte, war er mittlerweile stark genug, damit umzugehen. Und an Yugi gab es ohnehin kein Vorbeikommen. „Und was wollte er?“ fragte er weiter. „Hat er dich geärgert?“ „Nein, er war sehr freundlich“ meinte Seto und blickte seitlich zu Boden. „Er hat gefragt, ob Mama uns besuchen darf.“ „Dann kannst du ihn gleich noch mal anrufen und ihm sagen, dass er sich das in die Haare schmieren kann“ bestand Mokuba sofort mit wütendem Blick und zeigte bedrohlich auf das Handy. „Die sitzt im Gefängnis und das aus gutem Grund. Soll sie da verrecken.“ „Häschen“ bat Noah ihn mit ruhiger Stimme um ein wenig mehr Beherrschung. Seto sah das nämlich durchaus anders. „Seto, was hat Mr. Hamilton von dir gewollt?” „Dr. Hamilton“ korrigierte er. „Er ist ein Arzt aus den USA und hat sich auf Aggressionsstörungen spezialisiert. Er forscht und behandelt seit Jahren Leute wie ... meine Mama.“ „Aber deine Mutter hat doch schon einen Arzt.“ „Ja, aber der hat ihm den Fall vor einem halben Jahr übergeben“ erklärte er und sah ihn mit klarblauen Augen an. „Er hat mir gesagt, dass er sie seitdem mit Sprachsitzungen und Medikamenten therapiert. Er glaubt, er hat den Grund gefunden, der ihr gestörtes Verhalten erklärt. Er vermutet einen Defekt im Limbischen System, den er jetzt mit Hormonen behandelt ... er hat mir das erklärt“ wiegelte er mit winkender Hand ab. Das Wie war ihm wohl ein wenig egaler als das Was - nämlich die Auswirkungen, welche diese Therapie mit sich brachte. „Und was bedeutet das jetzt für dich?“ fragte Yugi vorsichtig. „Was wollte Dr. Hamilton von dir? Du sagtest so was von ... hat er mit deinem Arzt gesprochen?“ „Ja, sie haben telefoniert“ erklärte er. „Er wollte von Dr. Peran hören, ob ich gefestigt genug bin, dass er mich mit meiner Mutter belasten kann. Deshalb hat er angerufen. Er wollte fragen, ob sie uns demnächst besuchen kommen darf, um zu sehen, ob die Medikamentierung so gut anschlägt wie er vermutet. Und sie ... sie möchte mich auch sehen ... sagt er.“ „Und jetzt möchtest du sie einladen.“ „Ich weiß nicht.“ Er sah Yugi traurig an, aber auch so schrecklich hoffnungsvoll. „Darf sie uns besuchen kommen? Meinst du ... das wäre gut?“ „Das hast du doch für dich eigentlich schon entschieden“ seufzte er und streichelte ihm durch das seidige Haar. „Oder? Mein Liebling? Du weißt, ich unterstütze dich. Egal, was du dir vornimmst.“ „Das kommt gar nicht in die Tüte!“ Aber Mokuba war da ganz anderer Meinung als sein großer Bruder. Er stampfte ganz nahe vor ihn und sah ihn entschlossen an. „Seto, du weißt doch ganz genau, wo das endet. Sie wird wieder rumschreien und handgreiflich werden. Das solltest du dir wirklich nicht antun.“ „Sie möchte uns beide sehen“ war seine unschuldige Antwort. „Dich auch.“ „Quatsch. Sie weiß nicht mal, dass ich existiere.“ „Das stimmt nicht“ bat er lieb. „Du musst ihr doch auch eine Chance geben, sich zu ändern. Vielleicht hat Dr. Hamilton einen Weg gefunden, ihr zu helfen. Sie ist doch krank ... und wenn man ihr helfen kann und ...“ „Mit Tabletten! Toll, Seto! Ganz toll! Wenn sie nur normal sein kann, wenn sie unter Medikamenten steht, dann hat das keinerlei Wert. Das kannst du in die Tonne kloppen!“ „Aber ich nehme auch ... Tabletten“ antwortete er vorsichtig. Er musste auch Antidepressiva nehmen, um mit seinem Alltag klar zu kommen. Er war da nicht viel anders. „Willst du mich deswegen auch in die Tonne kloppen?“ „Deine Störungen sind aber ihre Schuld!“ rief er und wurde langsam richtig wütend, er stampfte wie ein kleines Kind. „Seto, vergisst du etwa, was sie dir angetan hat? Wie sie dich traumatisiert hat? Sie hat dich hungern und dursten lassen, sie hat dich ein- und ausgesperrt, sie hat dir die Haut verätzt! Verdammt, sie hat dich vergewaltigt! Du wärst fast verreckt und du tust immer noch als wäre das nur ein Versehen gewesen!“ „Schrei mich nicht an“ bat er mit leiser Stimme. Er mochte es nicht, wenn Mokuba laut wurde. „Sieh es doch endlich ein! Wir sind ohne sie besser dran! DU bist ohne sie besser dran! Diese Frau ist dein persönlicher Fluch! Sieh zu, dass du sie los wirst! Dieses Mal BEVOR sie dich wieder kaputt macht!“ „Rede nicht so über sie.“ Ihm stiegen die Tränen in die Augen, wenn er so schlecht über sie sprach. „Sie ist immerhin unsere Mama. Und wenn sie uns braucht, müssen wir ihr helfen.“ „Nein, Seto. Wir müssen gar nichts“ zischte er und beugte sich zu ihm herab, lehnte sich direkt vor sein Gesicht. Mokuba sah selbst aus, als würde er in seiner Wut irgendetwas Unbedachtes tun wollen. „Wir müssen gar nichts für sie tun. Ich rege mich für sie nicht ein Stück. Und ihr die Pest an den Hals wünschen, das ist es, was du tun solltest. Und wenn sie in der Gosse verreckt, das kümmert uns nicht. Wir werden auf ihrem Grab tanzen.“ „Tut mir leid“ sprach er gehaucht und sah fort von diesen funkelnden, schwarzen Augen. „Wenn du so redest, hörst du dich an wie sie.“ DAS hätte er jetzt vielleicht lieber nicht sagen sollen. Mokubas Lippen begannen zu beben und seine wütenden Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Aber wenigstens war er so vernünftig, zu sehen, dass jede weitere Diskussion nur in noch mehr Schmerz enden würde. Außerdem diskutierte er selten mit seinem großen Bruder. Deshalb verließ er den Raum ohne noch etwas entgegnet zu haben. Er wollte seiner Mutter nicht ähnlich sein. Wenn er jemanden hasste, dann sie. Und er brachte kein Verständnis dafür auf, dass Seto so an ihr hing. Und ihm dann auch noch vorzuwerfen, er wäre wie sie, war das aller letzte! Selbst wenn es stimmte, wollte er es nicht hören. Aber manchmal, wenn er wütend wurde, nahm er genau ihre Züge an. Es war nicht seine Schuld ... aber er wollte das nicht. Er hasste sie und das würde er immer tun. Sie hatte ihn nur benutzt um Seto zu quälen und das würde er ihr niemals verzeihen. Noah warf Yugi noch einen kurzen Blick zu und folgte seinem Häschen dann. Jetzt hatten sie erst mal damit zu tun, die beiden Brüder wieder zu beruhigen. „Ja, prima“ meinte Seto enttäuscht. „Nur ein Anruf und schon ist wieder alles durcheinander. Und jetzt ist Mokuba sauer auf mich.“ „Nein, der ist sauer auf andere Dinge. Das hat mit dir nichts zu tun“ tröstete Yugi und streichelte ihm unter den roten Augen entlang. Zwar weinte Seto nicht, aber allein die Aufregung war so viel, dass er leicht platzen konnte. „Vielleicht hat er Recht und wir sollten den Kontakt zu ihr ganz abbrechen. Ich will mich nicht mit Moki streiten.“ „Woher hatte dieser Dr. Hamilton überhaupt deine Nummer?“ fragte Nika. „Ich dachte, du gibst deine Privatnummer niemandem?“ „Ich hab sie für Notfälle im Gefängnis hinterlegt. Falls ihr etwas passiert“ antwortete er mit flacher Stimme und sah hilfesuchend zu Yugi auf. „Was soll ich denn machen?“ „Eigentlich weißt du das doch schon“ antwortete der voll Ehrlichkeit. „Du hast doch schon beschlossen, dass du sie treffen möchtest.“ „Aber wenn Mokuba Recht hat“ fürchtete er. „Dann schreit sie wieder und ... das alles. Es ist bisher nie gut gegangen. Sie hasst mich.“ „Aber du hast trotzdem noch Hoffnung.“ „Ja. Wenn ich sie nicht einlade ... sie hat doch selbst gesagt, dass sie kommen möchte.“ „Wenn du sie nicht triffst, wirst du dich ewig fragen, was gewesen wäre“ führte Yugi für ihn weiter. Er kannte ihn mittlerweile einfach zu gut. Er wusste, welche Angst Seto davor hatte, dass es wieder in einem Desaster endete. Aber ebenso wusste er auch, dass er seine Hoffnungen niemals aufgeben würde und sich dann ewig Vorwürfe machte. Er war da leider nicht wie Mokuba, der sich im Hass für eine feste Seite entschied. Seto war in dieser Beziehung sehr wankelmütig. „Liebling, wenn du möchtest, dass sie kommt, dann werden wir sie einladen. Wenn du dich aber nicht stark genug fühlst, dann solltest du es lassen. Oder dir zumindest Zeit lassen. Wie stark fühlst du dich denn?“ „Stark“ antwortete er schwach. „Ich bin stark. Ich hab eine eigene Familie. Ich habe dich. Eigentlich brauche ich sie nicht ... aber mein Herz ... ich wünschte, Seth wäre hier ...“ Er war stark genug, sich mit dem Gedanken, dass sie ihn niemals lieben würde, abzufinden, weil er mittlerweile eine eigene Familie gegründet hatte. Aber auf der anderen Seite ... das Kind ihm wünschte sich seine Mama. Das war nur natürlich. Jedes Kind liebte seine Mutter, egal wie gemein sie war. Deshalb konnte Mokuba erwachsen werden und sich von ihr lossagen - für ihn war Seto wie eine Mutter. Aber der brauchte seine Mama. Besonders jetzt wurde dieser Wunsch stärker, wo ihn sein Yami verlassen hatte, der ihn sonst wie eine Mutter beschützte. „Ich weiß, Liebling. Ich weiß“ seufzte er und nahm ihn in den Arm. Das war eine schwere Entscheidung für ihn. Er hielt ihn im Arm und legte den Kopf auf seinen. Armer Liebling. Dabei blickte er zur Seite und sah Tato an. Da kam ihm der Gedanke: „Tato, sag mal. Kennst du deine Großmutter eigentlich?“ „Ja, ihr kennt doch die Zukunft“ meinte auch Yami. „Sag du doch, was er tun soll.“ „Was Mama tun soll, kann ich ihm nicht vorschreiben. Ich bin in dieser Zeit noch zu klein, um alles zu verstehen“ meinte er ruhig. „Aber wenn ihr meine persönliche Meinung hören wollt, würde ich sagen, dass Mama damals die richtige Entscheidung getroffen hat. Ohne Zweifel.“ „Danke. Das ist nicht wirklich hilfreich“ seufzte Yami und sah den hoffnungsvoll nachdenklichen Drachen an. „Seto, was willst du denn tun? Ganz tief in deinem Herzen.“ „Weiß ich nicht. Ich weiß das nicht“ antwortete er und stand langsam aus Yugis Armen aus. „Ich will darüber jetzt auch nicht mehr sprechen. Ich hab noch zu tun.“ „Arbeite nicht mehr zu lange“ bat Yugi noch als er sich zurück in Büro trollte und das Nachdenklichsein erst mal auf unbestimmte Zeit verschob. Er brauchte jetzt erst mal Ablenkung, um festzustellen, was er tun wollte. Chapter 12 „Morgen, Yugi“ grüßte Balthasar freundlich und drehte sich um. „Möchtest du auch warme Brötchen?“ „Ihr habt ja schon Frühstück gemacht“ stellte der verwundert fest. Sonst war er doch derjenige, der das morgens immer erledigte. Und jetzt waren Balthasar und Tato schon wach und hatten sogar Kaffee gekocht. Noah war auch mit Tee und Körnerbrot versorgt und schmökerte in der Morgenzeitung. Yugi war somit arbeitslos. „Ihr seid ja toll. Wollt ihr nicht ganz hier bleiben?“ „Bei uns Zuhause macht Asato immer das Frühstück“ meinte er und stellte erst den Brötchenkorb auf den Tisch, bevor er ihn mit einem Bastdeckel belegte, damit der Inhalt möglichst lange warm blieb. „Ich meine, für irgendwas müssen alte Menschen ja auch nützlich sein.“ „Klappe, Grünschnabel“ brummte Tato und stellte die Kaffeekanne auf den Tisch. Der grummelte zwar wie Seto, aber so einige Qualitäten von Yugi schienen wohl doch in ihm zu schlummern. „Papa, möchtest du Tee oder Kakao?“ „Kakao. Danke“ lächelte er und setzte sich also ohne Arbeit auf seinen Stuhl. War doch sehr angenehm, wenn man morgens plötzlich mal selbst faul sein durfte. Wie schön es doch war, erwachsene Kinder zu haben. „Morgen, Noah.“ „Morgen“ antwortete der kurz und tonlos. Aber dann ließ er seine Zeitung sinken und sah ihn ratlos an. „Sorry, was hast du gesagt?“ „Nur guten Morgen“ schmunzelte er. „G u t e n M o r g e n, N o a h“ wiederholte er noch mal ganz langsam zum Mitschreiben. „Morgen, Yugi“ lächelte er zurück. „Entschuldige, ich war gerade abgelenkt.“ „Was steht denn so spannendes in der Zeitung?“ „Nichts. Ich hab nur wenig geschlafen letzte Nacht“ erzählte er und faltete die Zeitung zusammen, um sie neben seinen Teller zu legen. „Moki war unerträglich. Erst hat er nicht einen Ton gesagt und dann hat er herumgepoltert. Er ist so ein Sturkopf.“ „Wegen des Anrufs gestern?“ vermutete Balthasar und setzte sich neben ihn. „Asato hat erzählt, was passiert ist. Haben Moki und Seto gestritten?“ „Irgendwie schon“ antwortete er. „Moki ist ziemlich sauer, weil Seto gesagt hat, er würde sich anhören wie seine Mutter.“ „Ich glaube, die sind beide etwas dünnhäutig gerade“ ergänzte Yugi. „Seto ist erst heute morgen um eins ins Bett gekommen. Er wollte nicht mal kuscheln und ist wieder aufgestanden, bevor Nini zu uns gekrabbelt ist. Das war so gegen fünf.“ „Ziemlich schlaflos, was?“ seufzte Balthasar. „Aber falls es euch interessiert, wir zumindest hatten Spaß letzte Nacht.“ „Das ist doch was“ lächelte Yugi. „Wo seid ihr denn gewesen?“ „Im Green Leave“ erzählte er. „Mama hat da früher mal gearbeitet und Onkel Tristan hat erzählt, dass er Tante Nika dort kennen gelernt hat. In unserer Zeit steht der Schuppen gar nicht mehr. War aber ganz lustig, mal zu Oldies zu tanzen. Einer hat sogar gedacht, Mama wäre meine Freundin. Sie sieht ja noch so jung aus.“ „Ich denke eher, du siehst älter aus als du bist“ meinte Noah. „Wenn man dich sieht, würde man dich eher auf 25 schätzen und nicht auf 16.“ „Na, so lange ich nicht auf 40 geschätzt werde.“ „Klappe“ brummte Tato vom Herd aus. „Du bekommst keinen Kakao.“ „Ich trinke eh Kaffee“ meinte er locker. „Auf jeden Fall war es nett gestern. Ihr solltet das nächste Mal mitkommen, bevor ihr wieder so dumme Anrufe bekommt.“ „DUTEN MOOORGÄÄÄÄN ONKE NOAH!“ Na, wenn das nicht klein Tato war, der da fröhlich zur Tür hereinwatschelte. Man sah, dass er sich selbst angezogen hatte. Der kleine Pullover war nicht nur verkehrt herum, sondern er hatte auch den Ärmel auf dem Kopf und schaute zum Kragenloch heraus. Ein Arm war gut angezogen, der andere hing nackig heraus. Wenigstens ein Unterhemd trug er. Wie ein schiefer Zwerg kam er daher. „Guten Morgen, Tato“ antwortete Noah und konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. „GNUUUUUTS!“ „Knutsch“ lachte er nun doch und gab ihm erst mal einen Kuss, bevor er ihn belustig anlächelte. „Na, hast du dich selbst angezogen, du Räuber?“ „Ja“ strahlte er stolz. „Papa haddesaat, er maat alles, aber Pullover kann is selber vasuusen. Imma langsam lernen. Is hab den Pullover annezogen.“ „Ja, sieht man.“ Das sah man wirklich. „Ich hab ihn so weit angezogen“ erklärte Yugi schmunzelnd. „Aber Tato durfte heute Morgen den Pullover selbst versuchen und dann in die Küche gehen.“ „Is muss das mal lernen. Is bin soon groß“ ergänzte er ernst. „Aba is glaub, da is was fals.“ „Ja, ein bisschen falsch. Aber auch ein bisschen richtig“ lachte Balthasar und tippte dem kleinen Mann auf die Schulter. „Soll ich dir helfen, Mini?“ „Ja“ nickte er und hob sofort seine Hände hoch. Hilfe, bitte. Also bekam er mal ein bisschen Starthilfe. Er wurde von seiner Zipfelmütze befreit und kurz wieder ausgezogen. Dann bekam er den nackten Arm in den richtigen Ärmel durchgesteckt, womit dann auch sein Kopf zum richtigen Loch herauslugte. „So, jetzt ist gut. Sehr schick, Tato.“ „Dankesöön, Ballasa“ grinste er und streckte ihm die Arme entgegen. „Gibs ein Gnuuts, okee?“ „Okeeeeee“ grinste er und hielt ihm die Wange hin, wo er umgehend einen feuchten Knutscher sitzen hatte. „Ach, Asato. Du warst mal so niedlich.“ „Hm.“ Kein Kommentar. Das war lange, lange, laaaaaange her. „Komm schon. Du könntest ruhig mal was davon wiederbeleben.“ „Willst du ernsthaft, dass ich dich gnuutse?“ fragte er mit uneinladend tiefer, rauer Stimme. „Du machst mir Angst“ schaute er ihn scherzend an. „Doch, du hast mich mal geknutscht. Letztes Jahr als ich das Endspiel in der Jungendliga gewonnen habe. Da hast du mich vor Freude geknutscht.“ „Das war nichts. Die haben dich alle abgeknutscht“ murrte er. War doch klar. Wenn er Fußballmeister wurde, freuten sich natürlich alle. „Trotzdem hat mir das was bedeutet ...“ Tato sah ihn an, er sah Tato an und es war Ruhe. Das war trotz aller Scherze mal ernst gemeint. Der alte, grummelige Drache war für ihn wie ein Vater. Und wenn er ihn stolz machte, war das ein gutes Gefühl. Für beide Seiten. „Mir auch“ erwiderte der Große dann mit einem gütigen Lächeln. Und damit war das auch geklärt. Man war im Guten miteinander. „Auf welcher Position spielst du denn?“ fragte Noah neugierig. „Stürmer“ antwortete er. „In der Landesjugend. Eigentlich würde ich lieber Libero machen, aber der Trainer ist anderer Meinung. Doch als ich letztens zum Probetraining der Nationalmannschaft war, sagten sie, ich könnte irgendwann ein guter Libero werden und nächstes Jahr würden sie mich gern wiedersehen. Auch erst mal als Stürmer ... leider. Wie auch immer, wenn sie mich wirklich nehmen, muss ich mir was einfallen lassen. Entweder Karriere als Fußballer oder Schule fertig machen.“ „Schule wäre ja vielleicht besser“ meinte Noah. „Dann hast du etwas, wo du immer drauf zurückkommen kannst.“ „Ja, schon. Aber danach bin ich schon 21 und das ist schon bald wieder zu alt, um mit Profisport zu beginnen.“ „Nur wenn du dir dann die Hachsen brichst, ist das eine wie das andere gestorben“ meinte Tato so freundlich wie eh und je. „Aber den Schulabschluss kannst du jederzeit nachholen. Deine Jugend nicht“ meinte Yugi. „Ich wäre da grundsätzlich Noahs Meinung, Schule sollte vorgehen. Aber du hast den Vorteil zu einer reichen Familie zu gehören, die dir den Rücken stärkt. Hätte ich Seto nicht geheiratet, wäre ich auch kein Sportler geworden. Aber wenn mir was passiert und ich ein Krüppel werde, verhungert meine Familie nicht. Mit Geld kann man seinen persönlichen Neigungen viel eher nachgehen.“ „Eigentlich hat Papa Recht“ stimmte auch Tato zu. „Wenn es nichts wird mit der Karriere hast du noch immer uns. Aber du solltest daran denken, dass Träume manchmal sehr schnell zerplatzen können.“ „Meine Träume sind aus Leder. Nicht aus Seifenblasen“ antwortete er bitterlich und ernst. „Ich weiß, dass ich das Zeug zu einem guten Spieler habe. Ich male mir keine Traumschlösser aus, in die ich nicht einziehen kann. So gut solltest du mich kennen, Asato.“ „So war das nicht gemeint, Kleiner. Erst mal musst du hart arbeiten, um es in die Nationalmannschaft zu schaffen. Das wird nicht ganz leicht. Du hast gesehen, was die Jungs draufhaben. Allein an Kondition. Mach erst Pläne, wenn du was genaueres weißt. Die Konkurrenz ist groß.“ „Nicht groß genug für mich. Ich bin gut und das weiß ich auch. Dumm ist nur, dass ich dann lange Zeit von Zuhause fort muss.“ „Du vermisst doch nur deine Freundin“ meinte Tato trocken. „Stimmt, ihr fehlt mir nicht ein Stück“ grinste er und sah dann den Kleinen an, der noch immer neben ihm stand und ihn fasziniert ansah. „Und du?“ „Häh? Das heißt wie bitte, Tato“ guckte er aufgeschreckt. „Willsu was?“ „Du stehst da so und guckst mich an“ schmunzelte er. Da hatte er den kleinen Drachen doch beim Träumen ertappt. „Was willst du denn mal werden, wenn du groß bist?“ „Eine Wolke“ sagte er sofort ohne nachzudenken. „Wolken sind kuul. Die könn regnen machen und mansmal haben die eine lustige Farbe. Und könn ganz ho fliegen. Gaaaaanz ho.“ „Du willst also mal eine Wolke werden“ lachte er. „Dann streng dich mal an.“ „Ja“ nickte er entschlossen. Fragte sich, wer hier eher die Luftschlösser baute. „Als Papa sagte, du kannst alles werden, was du willst, hat er das bestimmt anders gemeint“ lachte Noah. „Wie willst du das denn machen, Tato? Eine Wolke werden.“ „Is geh innie Wolkensuule“ erklärte er. „Dann kann is fliegen lern und dann weiß anmalen und HO! Ganz weit ho! Dann kann is alle sehen und wenn is weggeh, is die Sonne da. Sonne is au kuul. Aber Nene will soon die Sonne sein. Dann bin is eine Wolke.“ „Und warum nicht der Mond?“ fragte Papa. „Du kannst auch der Mond sein.“ „Neeeee“ guckte er mit skeptischen Äuglein. „So lange daf is nis aufbleiben.“ War doch logisch! Waren die denn alle total doof hier? Im allgemeinen Lachen kam Nini rein und strahlte sofort wie die Sonne persönlich. Das war doch mal ne Begrüßung, wenn man aufstand und alle lachten einen an. „Guten Morgen, Onkel Noah“ lachte sie fröhlich und zog ihn sofort zu sich runter, um ihn zu küssen. Zuerst wurde immer Onkel Noah begrüßt. „Du siehst aber fröhlich aus.“ „Guten Morgen, Mäuschen“ lächelte er. „Du auch. Dein Kleid gefällt mir.“ „Ja, hat Marie gemacht“ erzählte sie stolz und drehte sich. Ein neues Winterkleid aus dunkelrosa Wolle bis über die Knie und mit weißem Kragen über die Schultern. Dazu eine weiße Wollstrumpfhose und sie war für das kalte Wetter draußen gerüstet. Gut, wenn man Modemacher direkt nebenan hatte, für die man als Modepüppchen aushelfen durfte. Dann wand sie sich Balthasar zu und gab auch ihm einen Kuss. „Guten Morgen!“ „Guten Morgen“ lachte er als sie auch den kleinen Tato nicht nur abknutschte, sondern auch gleich umarmte, der das ganz innig mit seinen kurzen Armen erwiderte. Und Yugi schmunzelte in sich hinein. Seine Kinder konnten so schrecklich süß sein, wenn sie sich lieb hatten. „Guten Morgen, Tato.“ „Morn, Nene“ grinste er und drückte sie ganz fest. „Du bis aber sick heute.“ „Findest du? Ich brauch noch Zöpfe. Lass mich mal los, ich muss dich mal in groß begrüßen.“ „Okee.“ Er ließ sie los und beobachtete neidisch wie sie sich seinem großen Ebenbild zuwandt und ihn lieb knutschte. „Guten Morgen, kleiner Bruder Tato.“ „Morgen Schwersterchen“ erwiderte er und kramte für sie ein Lächeln der liebevolleren Variante heraus. „Du bist wirklich schick heute Morgen.“ „Ja? Dankeschön.“ „Du bis is, nä?“ fragte der Kleine lauernd. Eben noch knuddelte seine große Schwester ihn und jetzt wurde er eifersüchtig auf sich selbst. Irgendwas passte ihm daran eindeutig nicht. „Hm“ schaute der große Tato wieder zurück. „Warum fragst du?“ „Hat Schoi desaat. Du bis is inner Sukunft, nä? Du weiß alles, nä?“ „Ja, ich weiß viel. Willst du was fragen?“ „Ja“ nickte er und trabte zu ihm rüber. Ärger vergessen, jetzt beschäftigte man sich ja wieder mit ihm. „Masst du au no innie Nindl?“ „Öhm ...“ Das war ja mal ne überraschende Frage. So überraschend, dass die anderen wieder belustigt lachten und der Große doch leichtes Schamgefühl entwickelte. „Nein, ich mache nicht mehr in die Windel.“ „Hm“ guckte der Kleine forschend an dem Großen hoch. „Wieso?“ „Weil ich ... ähm ...“ „Ah! Is weiß!“ Vollste Erleuchtung! „Du passt nis mehr auffen Wickeltis!“ LOGISCH! Der große Tato passte nicht mehr auf den Wickeltisch! Nini schüttelte nur den Kopf über ihren kleinen Bruder und gab ihrem Papa einen Knutscher. „Guten Morgen, Papa.“ „Wir haben uns doch schon gesehen“ lächelte er. „Trotzdem.“ Sie drückte ihn und sah ihn dann erwartungsvoll an. „Kannst du mir Zöpfe flechten?“ „Hast du denn eine Bürste und Zopfbänder?“ „Nein“ antwortete sie und senkte etwas betrübt den Blick. „Die hab ich vergessen. Papa hat nicht gesagt, dass ich die mitnehmen soll. Ich geh sie holen, okay?“ „Nee, halt. Warte mal.“ Er zog sie gleich wieder zurück und setzte seine Prinzessin auf einen Stuhl. „Erst wollen wir frühstücken. Sonst kommst du noch zu spät in den Kindergarten.“ „Ich geh doch nur ganz kurz.“ „Ja ja, dein ganz kurz kenne ich“ meinte er und nahm ein Brötchen aus dem abgedeckten Korb. „Komm, Tato. Du musst auch frühstücken.“ „Schschschoki“ meinte er. „Ja?“ „Nein“ antwortete Papa ohne nachzudenken. „Du kannst auch ein Brötchen haben. Oder Joghurt.“ „Nein. Schschschoki.“ „Asato.“ Yugi blickte ihn mit drohenden Augen an. „Nicht diskutieren.“ „Hmpf.“ Das passte dem kleinen Drachen ja nun weniger. Keine Schokolade zum Frühstück? Wie fies! „Dann geh is Mama fragen.“ „Asato ...“ zählte Yugi ihn warnend an. „Hier geblieben. Setz dich hin.“ „Grrrr.“ Der wurde mal ein guter Drache. „Na komm, Großer. Setz dich neben mich“ bat Balthasar und hob ihn auf den Stuhl neben sich. „Möchtest du einen Quark?“ „Nä! Momurt“ muckschte er und schlang seine kleinen Arme vor den Bauch. Sollten wahrscheinlich eher überkreuzt werden, aber dafür waren sie noch zu kurz. „Ist doch dasselbe“ meinte er. „Du merkst das doch gar nicht, ob ich dir Quark oder Joghurt gebe.“ Aber der Kleine sah ihn nur giftig an. Joghurt und nichts anderes! Verstanden? Und das am besten sofort, bevor er wirklich böse wurde. „Ja, ist ja gut“ seufzte er und stand also auf, um ihm Joghurt aus dem Kühlschrank zu holen. „Müsst ihr Drachen immer so anspruchsvoll sein?“ „Ja“ antworteten kleiner Tato und großer Tato aus einem Munde. Wenigstens darin waren sie sich gleich geblieben. „Ihr seid süß“ meinte Nini. Aber eine Reaktion bekam sie kaum. Der große Tato lugte nur skeptisch von seinem Kochtopf auf und der kleine warf ihr einen beleidigten Blick zu. So waren sie eben. „Hast du deinen Vater getroffen heute Morgen?“ fragte Yugi mal ganz unschuldig. Sie erwähnte doch eben etwas in dieser Art und er hatte Seto heute noch nicht sprechen können. Seit gestern Abend schon nicht. „Ja, im Bürozimmer“ erzählte sie. „Ich möchte Honig haben, ja?“ „Natürlich.“ Wie jeden Morgen. „Aber ich glaube, Papa hatte schlechte Laune. Noch schlechter als sonst morgens, glaub ich.“ „Tatsächlich?“ Sonst grummelte er Nini doch nie länger als nötig an. „Wie kommst du darauf?“ „Vielleicht hat Joey ihn geärgert“ überlegte sie. „Ich bin ins Bürozimmer gegangen und dann hat Papa gar nicht hallo gesagt. Vielleicht hat er geträumt. Das macht er ja manchmal. Ich hab guten Morgen gesagt und wollte ihm ein Küsschen geben, aber er hat sich gar nicht runter gebeugt. Das muss er doch aber, sonst komme ich gar nicht ran. Papa ist doch so groß“ erzählte sie ihrem Papa Yugi ein wenig geknickt. „Er hat dir kein Küsschen gegeben?“ Das wunderte jetzt auch Yugi. Waren das schlimme Anzeichen oder verdrehte Nini da nur wieder irgendwas? „Nee“ schaute sie ihn an. „Ich wollte, dass er mir Zöpfe flechtet, aber er hat gesagt, ich soll zu dir gehen. Er muss arbeiten. Hat er gesagt. Ich wollte ihm erzählen, dass mein neues Kleid ganz warm ist. Das ist es nämlich. Musst du mal anfassen.“ Sie nahm Yugis Hand und zwang ihn, ihren Rock zu befühlen. „Schön weich und warm, oder Papa?“ „Ja, ein tolles Kleid“ lächelte er und legte ihr das Brötchen hin. „Finde ich auch. Aber Papa findet das glaube ich nicht“ erzählte sie weiter und happste in ihre Honigstulle. „Dwer hat dweschaat ...“ „Erst kauen, dann sprechen“ bat Yugi. Typisch Papa. Immer irgendwas zu meckern. Also kaute sie schnell fertig und schluckte sogar runter, bevor sie weiter plappern konnte. „Ich wollte sagen: Papa hat gesagt, er muss arbeiten und ich soll zu dir gehen. Ich glaube, er hat schlechte Laune.“ „Ja, wahrscheinlich.“ Sie verstand das noch nicht, aber Yugi begann sich Sorgen zu machen. Nini kam sich weggeschickt vor. Noch war das nicht schlimm. Dass Seto mal grummelte war ihr ja nicht neu und dass er sie mal rauskomplimentierte, wenn er zu tun hatte auch nicht. Aber ... irgendwas roch daran schlecht. „Ich werde gleich mal nach ihm sehen.“ Am besten, bevor er die Kinder wegfuhr. Dann konnte er entscheiden, ob er danach zum Training wollte oder lieber zurück nach Hause kam. Bei Seto wusste man nie so genau ... „Seto hat um neun einen Termin. Wie jeden Donnerstag“ meinte Noah mit Blick auf die Uhr. „Eigentlich fahren wir in zehn Minuten zusammen in die Stadt. Wundert mich auch, dass Joey ...“ „Ich bin nicht zu spät“ redete der ihm gleich rein, als er aufs Stichwort genau in der Tür stand. Er hob seinen Finger und lächelte, aber ansonsten sah er zerstrubbelter aus als sonst. Da half auch sein schicker, dunkelgrüner Anzug nicht drüber hinweg. „Morgen“ grinste Balthasar. „Gut geschlafen, Joseph?“ „Ja, nur zu wenig“ seufzte er und lehnte sich an den Türrahmen. „Zu viel gesoffen. Hab ich doch gesagt.“ „Hat ja nicht jeder seine Mami im Schlepptau, die einen unter der Fuchtel hat.“ „Wer abends feiert, kann auch morgens arbeiten“ meinte Tato gnadenlos. „Selbst schuld.“ „Fiesling“ gab er deprimiert zurück. „Wer abends vögelt, kann morgens ja auch nicht fliegen.“ „Ich bezweifle, dass Narla dich gestern in diesem Zustand noch rangelassen hat.“ „Leute, bitte“ bat Noah ruhig. „Es sind kleine Ohren anwesend.“ „Dann zweifle. Solange ich das besser weiß“ setzte er noch schmunzelnd hinterher, bevor er ein anderes Thema beginnen konnte. „Wo ist mein Drache?“ „Üm Bwöroschimma“ antwortete Nini mit vollem Mund. „Lass ihn lieber in Frieden“ bat Yugi. „Hat dir niemand ...?“ „SÄÄÄÄÄÄTOOOOO!“ Guten Morgen, Joey. Zuhören war nie seine Stärke. So trabte er fröhlich den Flur entlang ... war nur zu hoffen, dass er nicht die nächste Eiszeit auslöste. Er steuerte den Fettnapf ja mal wieder an, als hätte er das studiert. „Na, prima“ zweifelte Yugi. „Wenn ich Joey jetzt nachlaufe, komme ich auch nicht mehr rechtzeitig, oder?“ „Das kannst du abzählen“ meinte Noah und sah auf die Wanduhr. „Ich gebe Joey zehn Sekunden. Entweder ist dann einer von beiden verletzt oder Seto türmt vor ihm und d a n n verletzt sich jemand.“ „RAUS!!!“ Das war sogar bis in die Küche zu hören. Es hatte also schon begonnen. „JAAAAAA!“ jubelte der kleine Tato und schmiss dabei fast seinen Joghurt um, mit dem Balthasar ihn zu füttern versuchte. „MAMA IS DAAA!“ Er liebte es laut. Alles, was laut war. „Tato, Mann“ meckerte Balthasar und wischte sich die Quarkspritzer vom Ärmel. Aber das interessierte den Terroristen nicht weiter. Er rutschte von seinem Stuhl, stand wieder auf und wackelte in Richtung Flur. Angezogen von dem lauten Gemecker. „Tato, du bleibst mal hier!“ Da sollte er nicht auch noch zwischenpringen. So sprang Yugi auf und erwischte ihn gerade kurz vor der Tür. So schrecklich schnell war der Kleine ja glücklicher Weise noch nicht. Da stand auch schon Seto vor ihm. In seinem Stampfen hatte er gerade noch realisiert, dass da was kleines den Weg versperrte. Und das waren sogar Yugi und Tato im Doppelpack. „Guten Morgen, Liebling.“ Aber Yugi lächelte, als wäre nichts gewesen. Als existiere dieser ungewohnt kalte Blick in seinen Augen gar nicht. „Möchtest du frühstücken?“ „Nein.“ Die zehn Sekunden hatte Noah ja gut abgeschätzt. „Mama!“ strahlte Tato und streckte seine Arme nach oben. „Guten Morgän! Gnuutsi für dis!“ „Mach dich lieber für den Kindergarten fertig“ sprach er und ging an ihm vorbei. Und ließ den Kleinen da stehen wie bestellt und nicht abgeholt. Der guckte auch wie ein Auto und verstand die Welt nicht mehr. Kein Knutschi? „Mama!“ Aber so leicht gab er nicht auf. Er entwischte Yugis verdutztem Griff und hing umgehend an Setos Bein, als der sich einen Becher aus dem Schrank nahm und die Kaffeekanne anvisierte. „Mama! Guten Morgän! Hassu gut geslaafen?“ „Asato, verdammt. Renn mir nicht hinterher.“ Er schrie zwar nicht, aber sein Ton war etwas angenervt. Ebenso wie sein Blick. Er sah den Kleinen an als hätte der den letzten Weltkrieg zu verantworten. „Ich hab gesagt, du sollst dich für den Kindergarten fertig machen.“ „Bin is do“ meinte er verwundert. „Mussu mir nur Suuhe anziehen.“ „Wird Zeit, dass du mal selbst lernst, Schuhe anzuziehen. Merk dir das.“ Er goss sich den Becher ein und verschwand dann mit einem „Noah, mach dich fertig. Ich will gleich los“ aus der Küche. Zurück ins Büro. Ließ dabei seine Kinder verständnislos zurück, ebenso wie alle anderen. Sogar Joey quetschte sich an die Wand, um ihn vorbeizulassen. „Der ist ja drauf“ meinte er als der Drache weg war. „Schlecht geschissen oder was?“ „Joey, bitte.“ Nicht vor den Kindern. „Papa?“ guckte Tato ihn fragend an. „Is Mama böse mit mis?“ „Nein, Mama ist nicht böse mit dir, Tatolino” tröstete er, ging zu ihm und nahm ihn auf den Arm. „Mama hat heute schlecht geschlafen. Weißt du noch neulich als du den Traum von der Kneifzange hattest?“ „Ja“ guckte er und schnappte sich erschrocken sein Hemd, um sich daran festzuhalten. „Das war gruselis. Die wollte mis kneifen!“ „Siehst du? Da hast du auch schlecht geschlafen. Und Mama hatte auch einen bösen Traum.“ „Aba dann kann Mama do su mir ins Bettsen komm“ bot er gleich an. Wenn er schlecht träumte, krabbelte er ja auch zu Mama und Papa ins Bettchen. Die durften doch natürlich dasselbe machen. „Nee, Mama steht dann auf und geht arbeiten“ lächelte er. „Aber lieb von dir. Ich gehe ihn mal trösten. Passt du solange auf Nini auf?“ „Ja“ nickte er, ließ sich runtersetzen und kletterte brav neben seine Schwester auf den Stuhl, wobei der große Tato ihm aber doch zur Hilfe kam. Für so kleine Menschen waren Stühle wie Berge. „Ich sag doch, Papa hat schlechte Laune“ meinte Nini. „Tato, willst du was von meinem Brot abhaben?“ „Nee“ schüttelte er den Kopf und flüsterte ihr geheim zu. „Wolln wir Schschschoki klaun? Wenn keina da is.“ Typisch Tato. „Ja“ flüsterte sie zurück. „Ich lenke sie ab und du krabbelst schnell in die Vorratskammer. Ich hab gesehen, dass Papa die hinter den grauen Karton gelegt hat. Die ist nicht mehr ganz oben. Die liegt jetzt ganz unten. Weißt du? Neben der Milch.“ Typisch Nini. Am besten malte sie ihm vorher noch ne Schatzkarte ... Yugi indessen ging ins Büro, um nach seinem Liebling zu sehen, der sich heute Morgen alles andere als normal benahm. Er erreichte das Ende des Flures, ging hinein und sah ihn tausend Blätter auf dem Schreibtisch durchwühlen. Er suchte wohl irgendwas, was in seinem geordneten Chaos verloren gegangen war ... vielleicht suchte er auch sein verlorenes Leben. Er schloss die Tür hinter sich und stellte ihn gleich zur Rede. „Okay“ sprach er ihn mit strenger Stimme an. „Was war das eben?“ „Ich weiß nicht, was du meinst“ murmelte er und blickte nicht mal auf. „Du weißt genau, was ich meine“ forderte er kräftig. „Du hast Tato viel zu hart zurechtgewiesen und Nini heute Morgen auch. Was sollte das?“ „Hast du nichts zu tun?“ „Nein. Und hör endlich auf, da zu wühlen. Ich spreche mit dir.“ Er ging zu ihm, nahm seine Hände, aber Seto riss sie gleich wieder los und baute sich vor ihm auf. Er hatte nun mal eine imposante Größe, aber vor Yugi stand er sonst nie so erhoben. Und diesen niederringenden Blick hatte er auch seit Jahren nicht mehr so extrem. „Was ist los, Liebling?“ „Nerv nicht, ja?“ antwortete er kalt. „Ich hab anderes zu tun, als mich mit euren Kindergartenspielchen zu beschäftigen.“ Er drehte sich um und nahm seine Aktentasche neben dem Schreibtisch weg. Wahrscheinlich wollte er jetzt gehen. Aber mit dem Kommentar „Ach. Ist das so, Kaiba?“ versetzte Yugi ihm einen Schrecken. Seto drehte sich um und sah ihn verständnislos an. Yugi nannte ihn seit Jahren nicht mehr Kaiba. Um genau zu sein, war das absolut inkorrekt. „Ich heiße nicht mehr Kaiba.“ „Schön, dass dir das noch mal wieder einfällt. Du benimmst dich aber so“ erwiderte Yugi alles andere als zärtlich. „Ich weiß nicht, was du meinst. Geh lieber zum Frisör und quatsch den voll.“ Er wollte erneut gehen, aber so leicht machte Yugi ihm das nicht. Im Gegensatz zu Seto fühlte er sich nicht Jahre zurückversetzt. „Du bist nicht mehr allein. Hast du das vergessen, Seto Pascal Eraesus Muto?“ hielt er ihn auch ein zweites Mal auf und ließ ihn aufhorchen. „Genau deswegen wollte ich keine Kinder, bevor du einigermaßen gesund bist. Sobald dir irgendwas querschießt, senken sich deine Scheuklappen und erkennst weder Freund noch Feind. Das geht nicht. Deine Kinder brauchen Stabilität. Es geht nicht, dass du sie unter deinen Launen leiden lässt.“ „Du laberst“ stellte er verstimmt fest. „Du kannst deine Tochter nicht einfach wegschicken, wenn sie dir nur einen Kuss geben will. Und du kannst von deinem einjährigen Sohn nicht verlangen, dass er sich allein die Schuhe anzieht. Sag mal, merkst du überhaupt noch was?“ „Ich mache keine Fehler“ erwiderte er harsch. „Doch, die machst du. Und im Moment ziemlich viele. Nur weil dich der Anruf gestern und der Streit mit deinem Bruder und dein verschwundener Yami beschäftigen, hast du noch lange keinen Grund, deine Kinder wegzustoßen. Wirklich. Das hätte ich vielleicht von Seto Kaiba erwartet. Aber nicht von meinem Liebling.“ Und Yugi klang nicht, als würde er ihm das so einfach verzeihen. „Entweder besinnst du dich jetzt mal und kommst wieder runter oder du kannst die nächste Nacht im Hotel verbringen.“ „Du schickst mich weg?“ DAS war jetzt das Letzte, was er erwartet hatte. Immerhin war das hier sein Haus! Aber Yugi ließ nicht mehr alles einfach so mit sich machen. Die Zeiten, wo Seto labil war und man ihn mit Samthandschuhen anfassen musste, waren vorbei. Und Yugi würde dorthin auch nicht mehr zurückkehren. Dafür hing er zu sehr an ihrem momentanen Leben. „Ja, das tue ich. Es tut mir leid, aber mein Liebling und ich haben uns einst das Versprechen gegeben, dass das Glück unserer Kinder immer über unserem eigenen steht. Und wenn die Kinder unter deinen Sorgen leiden, halte ich sie von dir fern.“ „Du nimmst mir meine Kinder weg? MIR?“ „Werde vernünftig und lass dich erst wieder blicken, wenn man normal mit dir reden kann. Ich helfe dir gern bei jedem Problem, aber so sehr ich dich auch liebe - die Kinder gehen jetzt einfach vor. Denk mal drüber nach.“ Das war sein letztes Wort. Er ging an ihm vorbei, öffnete die Tür und schloss sie auch wieder hinter sich. Darüber sollte er erst mal nachdenken. Für eine Zeit lang konnte er sein rüdes Verhalten bei den Kindern entschuldigen. Dafür hatten sie genug Urvertrauen in ihre Väter. Aber wenn Seto jetzt begann, merkwürdig zu werden und seine Sorgen an die Kleinen weiterzugeben, war das unakzeptabel. Das Problem bestand nicht darin, dass er es ein Mal tat. Das Problem bestand eher darin, dass er es dann immer wieder tun würde. Er konnte nicht jedes Mal, wenn ihm etwas zu schaffen machte und wenn ihm alles zu viel wurde, zurückmutieren. Das ging vielleicht, als er noch mit Yugi allein war. Mit Kindern war das unverantwortlich. Kinder brauchten durchgehende und beständige Liebe. Und wenn die ganze Welt zusammenbrach, mussten ihre Eltern sie noch lieben. In Ordnung, Yugi hatte auch Fehler gemacht und die Kinder belastet, damals als Seto gestorben war. Aber er hatte sie niemals an seiner Liebe zweifeln lassen. Und Seto durfte das genauso wenig. Das ging einfach nicht. Und so sehr er Seto auch liebte - er würde es niemals dulden, wenn seine Kinder belastet würden. Auf dem Weg zurück in die Küche, lief ihm dann auch noch der zweite Bruder über den Weg. Aber der war relativ unkompliziert. Mokuba sah Yugi aus seinen schwarzen Augen an, auch wenn darin noch immer ein Funken Wut blitzte. Dem lief ein Schauer über den Rücken. Wenn der richtig schlecht drauf war, konnte er erschreckend gefährlich aussehen. Wahrscheinlich war es die schwarze Kleidung, das tiefschwarz glatte und glänzende Haar, welches ihm in den leicht geneigten Kopf fiel. Und seine unbewegliche Miene. Mokuba war lange kein kleiner Junge mehr. Er war ein Mann, den man durchaus ernst nehmen musste. Zumal er eine wirklich verwöhnte Zicke war. „Morgen, Yugi“ sagte er mit flacher Stimme und sah ihn kalt an. „Guten Morgen, Moki“ erwiderte der und versuchte, sich seinen ersten Schrecken nicht sofort ansehen zu lassen. „Du trägst deine Uniform nicht. Ich gehe mal davon aus, dass du heute nicht in die Uni willst?“ „Nein. Will ich nicht“ bejahte er das. „Ist Mokeph schon weg?“ „Weiß ich nicht genau. Den hab ich heute noch nicht gesehen.“ Seit ihrem Streit fuhren sie nämlich nicht mehr gemeinsam zur Uni. Mokuba fuhr mit seinem eigenen Wagen und Mokeph fuhr entweder mit dem Chauffeur oder mit Roland. Umso erstaunlicher, dass er jetzt nach seinem Yami verlangte. „Ab und zu fährt er ja morgens mit den dreien in die Stadt und lässt sich dann absetzen. Vielleicht ist er ja noch drüben.“ „Hm. Danke.“ Das war ihm mehr als genug Information. So ließ er Yugi auf dem Gang stehen und verschwand mit weiten, langsamen Schritten zur Haustür hinaus. „Meine Güte“ seufzte Yugi schwer. Die waren ja schlecht drauf heute. Mokuba und Seto gleichermaßen. Was so ein schlichter Anruf doch auslösen konnte. Als hätten sie nicht genug Probleme ... „Du solltest mit Noah ne Selbsthilfegruppe gründen.“ „WHUA! YAMI!“ Schreck lass nach! „Sorry“ lachte er als sein geschockter Hikari sich zu ihm umdrehte und sich das Herz hielt. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Er zog sich sein Shirt endlich über den Kopf und legte aufheiternd seinen Kopf schräg. „Seit wann bist du so leise?“ „Seit du träumend auf dem Flur herumstehst“ lachte er und band sich sein Haar zum Zopf zurück, damit er nicht ganz so verschlafen aussah. „Ich hab noch mitgekriegt wie Moki verschwunden ist und du ihm seufzend nachsiehst. Ich dachte mir, du und Noah habt’s ja nicht leicht mit euren Ukebrüdern.“ „Woher weißt du, dass ich Probleme mit Seto habe?“ „So was sehe ich dir an. Du hast da ein Schild auf der Stirn“ lächelte liebevoll zu ihm hinunter. „Ist in Yamileuchtsprache geschrieben, weißt du?“ „Ach, Yami ...“ Ja. Er konnte verstehen, warum Seto so aufgewühlt war. Als Hikari sehnte man sich nach einem Yami, der einem beistand und immer dann stark war, wenn man selbst schwächelte. Ihm würde etwas fehlen, wenn sein Yami eines Tages nicht mehr überraschend hinter ihm stand und ihm seine Gedanken schon am Blick ansah. „Erst mal nur umarmen oder gleich Sex?“ Und seine üblichen Sprüche brachte, die nicht wirklich ernst gemein waren. „Ich muss gleich die Kinder in den Kindergarten fahren.“ „Also erst mal nur knuddeln. Schade, aber aufgeschoben ist ja nicht abgesagt.“ Er legte seine Arme um ihn und drückte ihn an sein Herz. So ein Yami war doch wirklich unbezahlbar. „Yami, weißt du was?“ fragte er leise. „Ich weiß viel. Was willst du denn wissen, was ich weiß?“ „Wir sind das einzige Yami-Hikari-Paar, was sich noch nie wirklich entzweit hat.“ „Stimmt“ fiel ihm da auf und er drückte ihn noch näher. „Marik und Malik hatten Probleme, Ryo und Bakura hatten schon Zoff. Mokuba und Mokeph haben immer noch Streit und von Seto und Seth wollen wir mal gar nicht reden. Meinst du, wir sollten uns auch mal gegenseitig Probleme machen?“ „Können wir uns nicht lieber als Traumpaar irgendwo bewerben?“ „Im nächsten Leben heiraten wir“ lächelte er ihn heiter an. „Dann haben wir weder Probleme mit dem Leben, noch mit dem Sex. Nur übers Essen müssen wir noch mal verhandeln.“ „Beißt du gern auf Granit?“ „Weiß nicht ... ist wohl nicht so gut für die Zähne.“ „Dann verhandle lieber nicht mit mir.“ Wenigstens dieses Traumpaar blieb dem Haus erhalten. Chapter 13 Die Türen waren hier nie abgeschlossen und so konnte Mokuba ohne Probleme in die Wohnung der Gardeners hinein. Er hatte zwar wenigstens angeklopft, aber die Chance, dass ihn jemand gehört hatte, war relativ gering. Nett war es hier. Ihm fiel auf, dass Tea neue Bilder im Flur aufgehängt hatte. Sie fand immer, dass die modernen, orangenen Bilder nie wirklich zur aprikotfarbenen Tapete passten. Jetzt hatte sie dunkelblaue aufgehängt. Immer noch modern, aber farblich war ihr das wohl lieber. Und die bisher offenen Borde waren hinter Türchen versteckt, die sogar ein Schloss hatten. Ja, Risa konnte schon lange krabbeln und bald wusste sie sicher auch, wie man Schränke öffnete. Was für ein Glück, dass Noah und er keine Kinder wollten. Aus der Küche kamen Stimmen, denen er folgte. Die dritte Tür rechts war weit offen und ließ die Morgensonne bis auf den Flur scheinen. Höflich klopfte er an den Türrahmen und lugte herein. „Guten Morgen?“ „Mokuba?“ Nicht nur Tea war verwundert, dass er hier auftauchte. Er ging Mokeph doch seit Wochen aus dem Weg. „Guten Morgen.“ Sie schaukelte gerade Theresa in ihrem Bettchen auf Rollen, während Risa in ihrem Hochstuhl saß und an einer Banane lutschte. Auch wenn die Hälfte davon sicher irgendwo an ihrem Kopf klebte. Mokeph saß Tea gegenüber am Tisch und hatte noch ein halbes Wurstbrötchen vor sich, während seine Frau nebenbei noch ihren Tee trank. Typisch familiäre Frühstücksatmosphäre. Doch seine Uniform verriet, dass er heute wohl durchaus in die Uni wollte. Obwohl er gestern lange gefeiert hatte. Sein Stil war an sich eher robust und nicht so eitel gepflegt wie Mokubas. Er glättete sich weder die Haare noch betonte er seine Augen. Aber trotzdem sah man ihm auch so nicht an, dass er erst heute Nacht zurückgekommen war. „Morgen“ antwortete er Tea kurz. „Mokeph ... störe ich dich gerade?“ „Nein, natürlich nicht.“ Er legte sein Brötchen hin und wischte sich die Hände in der Serviette ab. „Meine Bishandra legt bald Eier. Möchtest du sie sehen?“ „Hm.“ Eigentlich nicht, aber es war ein guter Grund, um nicht sagen zu müssen, dass er gern allein mit ihm sprechen wollte. Ein Yami spürte so etwas. „Genieß deinen Tee. Ich räume später ab, ja?“ lächelte er, gab seiner Frau einen kurzen Kuss und strich seiner schmatzenden Tochter über den Kopf, als er Mokuba hinausfolgte. „Bishandra wohnt jetzt im Wohnzimmer“ erzählte er, bevor Mokuba noch fälschlich in den Wohnungsteil mit den Terrarien vordrang, den Tea ihm schon erlaubt hatte. „Konntest du Tea also doch überreden?“ fragte er gedrückt. Es war komisch, nach Wochen ein einigermaßen normales Wort mit ihm zu wechseln. Eigentlich hasste er ihn noch immer für das, was er getan und niemals gestanden hatte. Aber er war in einer Notlage, die vielleicht nur ein Yami verstehen konnte. „Seit sie farblich zur Einrichtung passt, ja“ lachte er. „Sie hat eine Vorliebe für gelb und grün entwickelt und passt deshalb in ihrem Terrarium gut zu den grünen und gelben Bildern. Sie fällt gar nicht auf.“ Er schloss die Wohnzimmertür hinter ihnen und Mokuba stellte sich wirklich direkt ans Ende, wo in der Ecke das schmale, hohe Terrarium stand. Es war voll mit grünen Pflanzen und er musste sich anstrengend, um sie zu entdecken. Das war wirklich immer ein Suchspiel mit diesen Chamäleons. „Da“ zeigte Mokeph etwa auf Augenhöhe nach links. „Auf dem dicken Ast neben der Blüte.“ „Ah. Ja.“ Da saß sie. Eine Chamäleondame so knallgrün wie die Blätter um sie herum. Nur ihren Schwanz hatte sie gelb gefärbt, weil in der Nähe eine knallgelbe Blüte erstrahlte. Bei der Einrichtung machte Mokeph sich jedes Mal viel Mühe. Ob der Teppich zum Sofa oder die Socken zum Hemd passten, kratzte ihn nicht. Aber wenn es um seine Tiere ging, wurde er kleinlich. „Sie ist wirklich ziemlich fett.“ „Es kann jeden Tag so weit sein. Ich hab den Brutkasten schon fertig gemacht.“ „Wer ist denn der Vater?“ „Narpon.“ „Narpon? Lebt der überhaupt noch?“ „Gesund und potent wie immer“ lächelte er. Narpon war sein Vorzeigeobjekt und der Vater von hunderten kleiner Echsen. Selbst in seinem hohen Alter beglückte er die Frauen noch. Und es ließ sich gut mit ihm züchten. Andere Züchter würden große Summen für so ein kräftiges Tier bieten. Aber da war Mokeph durch und durch unbestechlich. „Möchtest du eines haben, wenn sie schlüpfen?“ „Ich glaube, da wird Noah was gegen haben“ meinte er. „Er ist ja schon abgenervt, weil die Kätzchen neben dem Bett schlafen und Hello ständig rein und raus will.“ „Noah mag keine Tiere, oder?“ „Er hasst sie nicht unbedingt, aber er würde sich nicht mutwillig welche anschaffen, weißt du?“ Er hielt den Blick auf das zitternde und wankende Tier geheftet, aber dachte dabei eigentlich an andere Dinge. „Mokeph ... ich ... ich hab ein Problem.“ „Ich weiß. Tea hat mir erzählt, was gestern Abend war. Du hast dich mit deinem Bruder gestritten?“ „Er hat was gesagt, was mich sehr verletzt hat“ gestand er und senkte seinen schwarzen Blick. „Er hat gesagt, ich wäre wie unsere Mutter.“ „Oh.“ Ja, da konnte er sich vorstellen, dass ihn das verletzt hatte. Er wusste, wie groß Mokubas Hass auf sie war. „Tea meinte, er hat nur gesagt, du hörst dich an wie sie, wenn du herumschreist. Ich glaube nicht, dass er damit meinte, du seiest generell wie sie.“ „Er hat mich nie mit ihr verglichen. Ich weiß, dass ich ihr äußerlich ähnlich sehe. Aber ... alles andere ... ich hab die ganze Nacht nachgedacht.“ Meckernder Weise, sodass Noah auch keinen Schlaf bekommen konnte. „Ich glaube, er hat Recht. Ich bin wie sie.“ „Bist du nicht.“ „Aber wie wer bin ich dann sonst?“ Er sah ihn an und suchte nach Antworten. Nach irgendeiner Antwort. „Mokeph, du kennst mich in- und auswendig. Du kanntest jahrelang jeden meiner kleinsten Gedanken. Bin ich wirklich wie sie?“ „Ich kenne sie ja nur aus deiner Erinnerung. Und ich hab sie nur so gesehen, wie du sie gesehen hast“ antwortete er ehrlich. „Es kann sein, dass es zwischen euch Parallelen gibt. Das wäre nicht ungewöhnlich, denn immerhin hat ihr Leib dich geboren.“ „Also doch.“ „Lass mich doch mal ausreden, ja?“ bat er und sah ihn ernst an. „Du bist ihr vielleicht ähnlich, aber du bist nicht wie sie. Du würdest niemals das tun, was sie getan hat.“ „Aber ... diese Gefühle“ versuchte er zu erklären. „Dieser Hass in mir drin. Dieser abgrundtiefe Hass. Sobald jemand nur das Wort Mutter sagt, stellen sich bei mir Mordgelüste ein. Ich würde sie am liebsten bei lebendigem Leibe häuten und das auf einem brennenden Scheiterhaufen. Mokeph! Das ist doch nicht normal, dass man seine eigene Mutter hasst! Ebenso wie es nicht normal ist, seinen eigenen Sohn zu hassen! Woher kommt dieser Hass, wenn nicht von ihr?“ „Hass kann man besiegen“ erwiderte er mit sanfter Stimme. „Ich habe meinen Bruder gehasst.“ „Aber dein Hass wurde dir eingeredet. Mein Hass ist ... richtig. Er fühlt sich so richtig an!“ „Wenn es sich für dich richtig anfühlt, dann ist es so“ sprach er mit ruhiger Stimme in diese verzweifelten Augen. „Deine Mutter hat dich nie geschlagen. Aber sie hat dich auch niemals in den Arm genommen. Niemals wirklich. Du hast niemals die Liebe bekommen, die einem Kind zusteht. Es ist nur natürlich, dass jemand, der keine Liebe bekommt, irgendwann den Hass sucht. Das liegt in der menschlichen Natur.“ „Aber ich will nicht hassen. Ich will nicht diesen Hass fühlen, den sie für Seto fühlt. Ich will es nicht. Aber es ... ich hasse sie so sehr. Ich kann nicht so sein wie Seto. Ich kann sie nicht trotzdem lieben. Ich will sie hassen und doch wieder nicht. Wie macht er das? Warum kann ich das nicht?“ „Seto ist mehr wie euer Vater. Meiner Meinung nach ist er dumm“ eröffnete er seinem Hikari diese gewagte Ansicht. „Er liebt sie, obwohl sie sein Herz zerstört hat. Seine Liebe zu ihr ist einfach Dummheit. Er hat vielleicht einen hohen IQ, aber emotional läuft er mit offenen Augen in sein Unglück. Wenn du wirklich Parallelen zwischen euren Eltern und euch ziehen willst, dann diese.“ „Ich ... meinen Vater hab ich auch verloren.“ Er sah schuldbewusst zur Seite und schlang seine Arme schützend um sich. „Er wollte sich mit mir aussöhnen, aber mein Hass hat ihn sterben lassen, ohne dass wir Frieden schließen konnten. Setos Liebe ist nicht dumm. Mein Hass ist es.“ „Hass ist auch nur ein Warnsignal der Angst. Du weißt, dass deine Mutter eine böse Frau ist und du hast Angst, dass sie dir das einzige zerstört, was dem Kind in dir Liebe gegeben hat. Nämlich Seto. Was glaubst du, warum Setos Angst so groß ist? Er kann seine Mutter nicht hassen, obwohl sie ihn und dich bedroht. Also empfindet er Angst. Und gegen diese Angst will er ankämpfen. Und das kann er nur, indem er sie liebt.“ „Du hast wohl ein magisches Psychologiebuch gelesen“ meinte er traurig. „Nein“ lächelte er sanft. „Ich mache mir nur viele Gedanken um dich.“ Genau wie Mokuba es eigentlich immer wusste. Mokeph kannte ihn besser als irgendwer sonst. Besser als Seto, besser als Noah. Er war sein Yami und er kannte auch den geheimstem Wunsch seiner Seele. Jedes leuchtende Gefühl und eben auch jedes dunkle. Wenn man eine Psychoanalyse bekommen wollte, die zu hundert Prozent stimmte, dann musste man einen Yami zu seinem Hikari befragen. „Dann sag mir, was ich tun soll“ flehte er ihn mit tränengefülltem Blick an. „Bitte, sag mir, was ich tun kann. Ich will nicht hassen, so wie sie. Aber ich kann sie nicht lieben. Was soll ich denn tun?“ „Dann muss sie dir egal werden. Aber das wird sie niemals“ antwortete er und sah ihn vertrauensvoll an. „Du kannst nicht vergessen, was sie dir mit ihrer falschen Liebe angetan hat. Es formt dich zu sehr. Aber wenn du nicht hassen willst, dann musst du lieben.“ „Aber ich kann sie doch nicht lieben! ICH KANN ES NICHT! UND ICH WILL ES AUCH GAR NICHT!!! VERSTEHST DU DAS NICHT?“ „Doch, ich verstehe dich. Sehr gut sogar. Auch ich habe ein Familienmitglied gehasst und es war schwer, das loszulassen. Nenn mich einen traditionsbehangenen Ägypter, aber ich denke, du solltest dir ein Beispiel am Lichte deines Pharaos nehmen. Folge seinem Beispiel und finde Rahs Licht.“ „Ich ... ich verstehe dich nicht.“ Yugis Licht sollte er folgen? Seinem Beispiel? Wie bitte sollte das aussehen? Und wie bitte sollte ihm das helfen, nicht noch mehr wie seine Mutter zu werden? „Liebe deinen Bruder“ riet sein Yami ihm. „Glaubst du nicht, dass auch Yugi sie hasst? Sie hat den Menschen verletzt, den er über alles liebt und allein der Gedanke an sie bedroht sicherlich derzeit seinen Familienfrieden. Aber folge dem Licht deines Pharaos. Hasse nicht, sondern liebe. Hasse nicht deine Mutter, sondern liebe deinen Bruder. Verhindere mit deiner Liebe, dass sie ihm wehtut. Und fühle deinen Hass gedämpft durch die Wohltat des Gedankens, alles zu Rahs Gefallen zu tun. Am Ende deines Lebens werden die Götter dein Herz mit einer Feder aufwiegen. Der Hass zu deiner Mutter wird dein Herz beschweren und deine Seele verdammen. Die Liebe zu deinem Bruder aber wird dein Herz erleichtern und die Feder des Schicksals in goldene Schwingen wandeln, welche dich hinauf in Rahs Reich tragen. Solange du mehr Liebe als Hass in dir trägst.“ „Du sprichst wirklich manchmal wie ein Ägypter.“ „Mach es mir nicht zum Vorwurf. Ich kann auch nicht aus meiner Haut“ lächelte er entschuldigend. „Aber ich denke, das ist etwas, was du kannst. Niemand sagt, dass du sie nicht hassen darfst. Es gibt keinen Menschen, der nicht hasst und Rah akzeptiert diese menschliche Natur. Solange die Liebe aber immer die stärkere Macht bleibt, kannst du trotz allen Hasses ein guter Mensch sein. Nur durch diese Erkenntnis und diesen Glauben, konnten Atemu und Yugi mich aus Seths Krallen befreien und mir ein neues Leben schenken. Das ist der Segen Rahs und seiner Kinder. Und wenn ich das kann, dann kannst du es auch.“ „Du meinst ... ich sollte lieber auf Seto aufpassen, anstatt nur an mich zu denken.“ „Aufpassen ist vielleicht zu viel gesagt. Aber denke mehr an ihn als an deine Mutter. Das wird deinen Charakter positiv formen. Ich weiß es. Ich bin dein Yami.“ Das war ein ganz neues Licht, das da auf seinen Standpunkt geworfen wurde. Bisher hatte Mokuba nur gewusst, dass er sie hasste. Seit er von ihr fort war, je älter er wurde, desto mehr spürte er, dass er sie niemals geliebt hatte. Sie hatte ihn enttäuscht und verletzt. Und nun hatte ihn diese Enttäuschung so weit getrieben, dass er begann, sie zu hassen. Er wollte es nicht und doch wollte er sie ebenso wenig lieben. Er konnte seinen Hass nicht loslassen. Aber wenn Mokephs Worte wirklich einen Funken Wahrheit in sich trugen, dann musste er das auch gar nicht ändern. Niemand verlangte von ihm, dass er seine Mutter lieben sollte. Aber seinen Bruder zu lieben, das war etwas, was er konnte. Und etwas, was er von sich selbst verlangen durfte. Wenn er seiner Bruderliebe den Vorzug gab, so konnte er noch immer ein guter Mensch sein. Auch mit einem dunklen Flecken auf dem Herzen. Solange er an Rahs Licht festhielt, musste er vor seinem eigenen Schatten keine Furcht haben. „Danke, Mokeph. Das ist ein guter Rat.“ Er blickte zurück ins Terrarium, wo sich das Echsentier noch nicht wirklich fortbewegt hatte. „Bitte. Gern geschehen.“ Stille breitete sich aus. Sie standen zwar nebeneinander, aber es fiel Mokuba schwer, ihm in die Augen zu sehen. Eigentlich war jetzt eine Entschuldigung fällig. Er kam her und sein Yami empfing ihn mit offenen Armen, gab ihm einen Rat, den ihm kein zweiter so geben konnte. Und das obwohl sie seit Wochen Streit hatten. Er wand seinen Kopf herum und betrachtete sein Profil. Trotz seines wilden Haares und seines ungeschminkten Gesichts sah er ihm so ähnlich. Mokeph hatte eine schöne Haut, wenn auch eine Nuance dunkler als seine. Er hatte eine hübsche Stupsnase und so klare Züge ums Kinn. Und er hatte tiefschwarze, funkelnde Augen. Wenn er so dastand und ohne eine Regung sein Tier betrachtete, schien er wie eine schlafende Schönheit. Man mochte nicht glauben, dass hinter diesem sanften Äußeren ein Mann wie ein Pascha steckte. Seit ihrer Trennung hatten sie sich nicht nur äußerlich voneinander weg entwickelt. Jeder war in seinem Charakter vorangekommen und extremer geworden. Aber musste das denn heißen, dass sie nun nicht mehr zusammengehörten? „Ich ... ähm ...“ Wie sollte er das formulieren? Er war noch immer nicht einverstanden mit dem, was Mokeph getan hatte. Aber wenn er ihn so betrachtete, stellte sich ein schlechtes Gewissen ein. Er durfte doch als sein Hikari nicht wegen so etwas Abstand von ihm nehmen. Er kannte seine Version der Geschichte überhaupt kein Stück. Er hätte ihm wenigstens zuhören sollen, aber stattdessen biss er ihn weg und beleidigte ihn vor versammelter Mannschaft. Lange hatte er es nicht wahrgenommen, aber wenn er jetzt hier mit ihm zusammen stand, sah er, dass er ihm mit so einem vehementen Urteil vielleicht Unrecht tat. „Ich hab dich ziemlich verletzt, oder?“ „Ja. Hast du“ antwortete er mit ruhiger Stimme. Mehr konnte er dazu auch nicht sagen. Ja, Mokuba hatte ihn verletzt. Dem gab es nichts hinzuzusetzen. „Das hat mich ziemlich geschockt“ gab er vorsichtig zu. „Dich da zu sehen mit diesem Mädchen. Das hätte ich nicht von dir gedacht. Ich meine ... ich hab ja auch schon mal fremdgeknutscht, aber ... ich weiß nicht.“ „Hast du?“ Das wunderte Mokeph nun auch. Er drehte den Kopf und sah seinen Hikari verwundert an. „Du hast fremdgeknutscht? Ausgerechnet du?“ „Ja“ gestand er. „Mit einem anderen Mann. Damals kurz nach Setos Tod. Ich war angetrunken und deprimiert. Ich hab’s Noah aber dann recht schnell gestanden und er war auch nicht böse. Mein schlechtes Gewissen hat ihm wohl gereicht.“ „Aha. War’s denn wenigstens gut?“ „Eigentlich nicht“ seufzte er. „Er schmeckte schrecklich nach Bier und ... nein, da hab ich gemerkt, dass Noah niemand das Wasser reichen kann. So was nennt man dann wohl einen heilsamen Schock. Und ... bei dir?“ „Bei mir?“ „Ja.“ Er blickte vorsichtig auf und sah ihm direkt in die Augen. Aber dieses mal ohne Vorwurf. Eher wollte er versuchen, es zu verstehen. „War’s bei dir wenigstens gut?“ „Ich wünschte, ich könnte nein sagen“ antwortete er ganz ehrlich. „Aber das wäre unwahr.“ „Dann ... war es gut?“ „Es war verdammt gut. So guten Sex hab ich noch nie gehabt.“ Und er war da grottenehrlich. Auch wenn seine Antwort ihn selbst nicht glücklich machte. „Ich wünschte, es wäre schlecht gewesen, aber das war es nicht.“ „Ich verstehe das nicht.“ Er hob seine Augenbraue und konnte nicht glauben, was er hörte. „Das war eine dreckige Toilettenkabine und dieses Mädchen war ne Schlampe, wie sie im Buche steht. Für so niveaulos hab ich dich nicht gehalten.“ „Das war es wohl, was mich gereizt hat. Das Schmutzige.“ Er entgegnete seinem Blick und war ehrlich zu ihm. Auch wenn es keine schöne Ehrlichkeit war. „Im ersten Moment war ich auch verunsichert, aber als sie sich an mich gedrückt hat ... sie hat sich angeboten. Sie roch nach billigem Parfüm und die Umgebung war denkbar unpassend. Aber genau das war es, was ich wollte. Im Nachhinein weiß ich, dass ich es wollte. Ich wollte diesen schmutzigen Sex. Ich weiß nicht ... sie hat meine Triebe angeregt.“ „Aber ... sie war eine Schlampe.“ „Ich hatte auch nicht vor, sie zu heiraten. Ich wollte einfach nur ran. Ich weiß, es klingt dreckig, aber dieses Mädchen hat gezielt meine niedersten Instinkte angerührt. Verstehst du? Ich hab mich gefühlt wie ein Tier. Wenn ein Männchen auf das Weibchen raufspringt, denkt er dabei nicht an die Erhaltung seiner Art. Er will sie einfach nur begatten. So ging es mir auch. Dabei habe ich nicht daran gedacht, ihr Lust zu bereiten, sondern einfach nur meinen eigenen Druck abzubauen. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes sagen, aber so war es. Das war einfach nur Sex, bei dem ich nicht nachdenken musste.“ „Dann würdest du es wieder tun?“ Das klang wirklich nicht nach dem Mokeph, den er kannte. Oder ... war das genau der Mokeph, den er kannte? Er war immerhin bei Apophis aufgewachsen und der hatte ihm sicher vorgelebt, auch die schmutzigsten Triebe anzunehmen. „Ich glaube nicht. Nein, ich würde es nicht noch mal tun.“ „Aber wenn du doch sagst, dass es gut war ...?“ „Das war es auch. Aber ich würde es kein zweites Mal machen“ antwortete er und seine schwarzen Augen waren so aufrichtig, so ehrlich. Er fühlte sich schuldig und auch wieder nicht. „Und weißt du auch, warum?“ „Wegen Tea?“ „Genau. Eben wegen Tea.“ „Dann hast du es ihr nicht gesagt?“ „Nein. Bis jetzt nicht.“ Er drehte sich herum und warf einen vorsichtigen Blick auf die Wohnzimmertür. „Die Tür hast du vorhin zugemacht, Mokeph.“ „Stimmt. Hab ich“ stellte er dann auch fest, bevor er erneut Mokuba ansah. „Hast du es jemandem gesagt?“ „Nein. Niemandem“ erwiderte er ernst. „Noah hab ich es gesagt. Sonst keinem.“ „Wirklich nicht?“ „Nein, wirklich nicht. Ich hab gehofft, du gestehst es irgendwann selbst. Tea hat ein Recht darauf, zu erfahren, dass du sie betrogen hast.“ „Vielleicht. Aber sie hat auch ein Recht darauf, glücklich zu sein“ seufzte er und sah zurück ins Terrarium. Es war schwer, Mokuba so lange in die Augen zu blicken. „Es wäre egoistisch, es ihr zu sagen. Damit würde ich nur mein eigenes Gewissen erleichtern, aber sie damit sehr verletzen.“ „Das klingt nicht nach deinen Worten.“ „Es sind die Worte meines Bruders. Ich war an dem Abend ziemlich fertig und er hat viele Dinge gesagt, die ich nicht einordnen konnte. Aber diesen Rat habe ich beherzigt. Tea ist die Frau, die ich liebe. Mit ihr will ich Kinder, Sicherheit und ein gemeinsames Leben. Mit ihr will ich mehr als nur Sex. Ich will eine Zukunft mir ihr. Wenn ich es ihr sage, würde sie das nur verletzen. Sie würde es nicht verstehen und sich vielleicht von mir trennen. Und das will ich nicht. Ich will sie nicht verlieren, nur weil ich einen Fehler gemacht habe.“ „Aber du lügst sie an.“ „Wenn ich ihr sage, dass ich sie liebe, ist das keine Lüge. Ich will, dass sie bei mir bleibt. Sie ist mir wichtig, unsere Töchter sind mir wichtig und mein ganzer Stolz. Das ist die Lehre, die ich daraus ziehe. Jetzt weiß ich, wie viel mir an ihr liegt. Dass ich es viel zu wenig schätze, eine so wundervolle, treue Frau zu haben. Und ich weiß jetzt, dass ich all das nicht aufs Spiel setzen darf, nur um meine Triebe zu befriedigen. Das war wahrscheinlich mein heilsamer Schock. Ich will nicht, dass dieser Fehler zwischen uns kommt. Lieber lebe ich mit dieser Lüge, als deshalb ein Leben ohne sie führen zu müssen. Und sie würde mich sonst verlassen. Ganz sicher.“ „Hm.“ Das war für jemanden wie Mokuba schwer zu verstehen. Fremdgehen war für ihn ein rotes Tuch, etwas was er niemals einfach so gutheißen konnte. „Tut es dir denn wenigstens leid?“ „Ja, wenigstens das“ lächelte Mokeph traurig seine grüne Echse an. „Was da passiert ist, tut mir sehr leid. Ich habe mein Treueversprechen gegenüber meiner Frau gebrochen und das verzeihe ich mir selbst nicht. Aber es war eine gute Erfahrung, die mein Leben verändert hat. Ich kann meine Familie jetzt mehr lieben und schätzen als vorher. Zumindest das kann ich daraus ziehen.“ „Du bist ziemlich ehrlich.“ „Dich anzulügen, würde auch wenig bringen“ meinte er ernst. „Noch verächtlicher kannst du ja nicht von mir denken. Da kann ich auch ehrlich sein.“ „Ich denke nicht verächtlich von dir.“ Er wand seinen Kopf herum und fühlte Reue darüber, dass sein Yami sich bei ihm nicht mehr geliebt fühlte. Er hatte Schuldgefühle, aber anstatt ihm zu helfen, riss er seine Wunden nur jeden Tag weiter auf. Er tat das, was ein Hikari eigentlich nicht tun sollte. „Es hat mich nur einfach erschrocken, dass du so etwas tun konntest. Dass du deine Triebe so schlecht unter Kontrolle hast. Das hätte ich nicht von dir gedacht.“ „Tja“ lächelte er aufgebend. „Ich von mir auch nicht. Aber was soll ich noch sagen? Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der Treue und Liebe nichts zählten. In dieser Sünde habe ich mich für einen Augenblick Zuhause gefühlt. Aber es war nur ein Augenblick. Ich weiß, wo mein Platz ist. Und wenn du das auch nicht akzeptieren kannst, dann lass bitte wenigstens meine Frau im Unklaren. Ich will nicht, dass meiner Familie ein Unglück geschieht und sie auseinander gerissen wird. Ich will nicht, dass meine Töchter ohne Vater aufwachsen.“ „Du verzeihst dir nicht, oder?“ „Nein.“ Er senkte seinen Kopf und seufzte tief. „Bei aller Aufrichtigkeit, das kann ich mir nicht verzeihen. Und es zerreißt mir das Herz.“ „Würde es dir denn helfen, wenn ich dir verzeihe?“ Mokeph blickte auf und sah keinen Vorwurf mehr in seinen Augen. „Ich verstehe nicht ...“ „Na ja, ich bin dein Hikari. Wenn ich dich nicht liebe ... wer soll es denn sonst tun? Du bist mein Yami und auch wenn du nicht perfekt bist ... wir gehören doch zusammen. Ich bin ja auch kein fehlerfreier Mensch. Ich kann es zwar nicht gutheißen, dass du fremdgegangen bist, aber ich bin ein Teil deiner Seele. Anstatt dich zu verurteilen und dich zu hassen, sollte ich dich lieben, so wie du mich liebst. Obwohl ich so gemein zu dir war, hast du dir anscheinend schon lange Gedanken um mich gemacht und du bist für mich da, obwohl ich mich nicht mal entschuldigt habe. Du hast deine Fehler, aber ein schlechter Mensch bist du nicht.“ „Dann ...“ „Tut mir leid“ eröffnete er schuldbewusst. „Ich hätte dich nicht so unfair behandeln dürfen. Tut mir leid.“ „Mokuba ...“ „Nimmst du mich in den Arm, du Pascha?“ „Komm her, du Ziege“ lächelte er und ließ sich fest drücken, genau wie er ihn auch umarmte. Es tat gut, sich mit ihm auszusöhnen. Wenigstens dieses Problem hatten sie damit weniger und konnten mit gestärktem Rücken das angehen, was ihnen noch bevorstand. Wenn wenigstens ein kleiner Teil der eigenen Seele einem die schlimmsten Fehler wie Hass und Untreue verzieh und die dunklen Seiten akzeptierte. „Ah, das war gut“ atmete Mokeph tief auf, als Mokuba ihn wieder losließ. „Willst du auch eine rauchen?“ „Gute Idee.“ Um nicht zu sagen, das war die Idee des Jahrhunderts! Sie setzten sich nebeneinander auf das dunkelgrüne Sofa und Mokeph hielt ihm erst die Zigarettenschachtel, dann das Feuerzeug hin, bevor er sich selbst eine anzündete und den ersten Zug tief in den Bronchien wirken ließ. „Du willst heute nicht zur Uni?“ fragte er dann frei heraus. Mokubas Kleidung sah nämlich eher nicht danach aus. „Nein“ lächelte ertappt. „Ich schwänze heute mal und werde mich wohl damit beschäftigen, meinen Bruder zu lieben.“ „Ein guter Vorsatz.“ Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und nahm den nächsten Zug, bevor Mokuba bemerkte, dass sich sein Blick veränderte. „Und du?“ fragte er vorsichtig. „Wie kommst du damit klar, dass Seth ... na ja ...?“ „Dass mein Bruder die Zivilisation auslöschen und ein neues Reich errichten will?“ ergänzte er deprimiert. „Es geht so. Auf der einen Seite weiß ich, dass ich nichts daran hätte ändern können, dass sich so ein Gedanke in seinem Kopf festsetzt. Auf der anderen Seite frage ich mich aber, ob ich die Anzeichen nicht schon viel früher hätte sehen müssen.“ „Was für Anzeichen denn?“ tröstete Mokuba. „Er hat doch nie darüber gesprochen. Wenn etwas gewesen wäre, hätten wir das doch bemerkt.“ „Aber er hat ja gesprochen. Nur eben nicht so deutlich“ antwortete er mit schwerer Stimme. „Damals als du einfach weggefahren bist, hat er mich abgeholt und da ist es mir das erste Mal wirklich aufgefallen. Meine Gewissensbisse gegenüber Tea haben ihn gar nicht interessiert. Für ihn war nur entscheidend, dass ich meine religiöse Enthaltsamkeit gebrochen habe. Das hat mich ziemlich verunsichert.“ „Hat er das wirklich gesagt?“ „Ja“ seufzte er. „Im Nachhinein weiß ich, dass er seine Pläne schon lange angekündigt hat. Wie oft hat er fallen lassen, dass früher alles anders war? Dass sein Pharao nicht die Hochachtung bekommt, die ihm gebührt? Dass er seine Religion nur hinter verschlossenen Türen ausüben kann. Und dann auch noch seine Eifersucht auf Seto. Mein Bruder ist Priester. Das ist das, was er gelernt hat, das was er immer wollte. Das Leben, was er sich aufgebaut hat, interessiert heute niemanden mehr. Früher war er ein Mann vor dem ein ganzes Reich niederkniete. Heute ist alles, was er verkörpert nur noch Vergangenheit. Er sieht, dass Seto es schafft, mit seinem Leben klarzukommen. Er hat als mächtiger Geschäftsmann angehend den Status, den mein Bruder früher hatte. Und wenn nicht mal sein eigener Hikari ihn braucht, wenn der sogar mehr Anerkennung bekommt als er selbst ... ich kann schon verstehen, dass sein Geist da offen ist, für die scheinbar heilsamen Worte eines dunklen Gottes.“ Und Mokuba verstand, dass Mokeph da anscheinend doch großen Gesprächsbedarf hatte. Er machte durch sein ruhiges Wesen nicht den Anschein danach, aber er beobachtete viel und machte sich zu vielen Dingen Gedanken. Und immerhin war es sein Bruder, der im Moment durch seine Abwesenheit sein Leben bestimmte. Und dann auch noch Stress mit dem Hikari, das war doch etwas viel. „Du hättest das nicht ändern können. Nicht mal dein Pharao konnte das ändern“ tröstete Mokuba ihn lieb. „Jetzt ist es nun mal so und wir müssen das Beste daraus machen. Bisher haben wir doch jedes Schäfchen zurück in die Herde geholt.“ „Nur dieses Mal stehen wir vor dem bösen Wolf“ meinte er und sah ihn demotiviert an. Eine Schäfchenherde war ja eine schöne Sache. Aber nicht, wenn der Gott Seth persönlich seine Finger im Spiel hatte und beabsichtigte, seinem Sohn ein Wolfsfell überzuwerfen. „Hey, nicht so negativ“ buffte Mokuba ihn am Arm. „Komm schon. Denk positiv. Finde das Licht deines Pharaos.“ „Verarschst du mich gerade?“ „Jupp“ grinste er frech. Er mochte es nicht, wenn sein Yami den Kopf hängen ließ. „Kümmere du dich lieber erst mal um dein eigenes Licht, Mokuba.“ „Ja, sollte ich vielleicht.“ Seufzend sank er gegen die Lehne zurück und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. „Ich weiß, ich soll meinen Bruder mehr lieben als ich meine Mutter hasse. Aber was soll ich denn jetzt machen? Seto scheint ja zu wollen, dass sie herkommt. Ich weiß nicht, ob ich ihm das ausreden kann.“ „Ich glaube, der lässt sich weder etwas aus- noch etwas einreden. Du kannst ja deine Bedenken äußern, aber musst ihn einfach bestärken, wenn es mal wieder nach hinten losgeht. Beim nächsten Mal hört er dann vielleicht auf dich.“ „Meinst du?“ „... nein. Wahrscheinlich nicht.“ Drachen hörten selten auf das, was man ihnen sagte. Da waren sie stur. Und das wussten die beiden kleinen Brüder leider viel zu gut. Chapter 14 So kam es dann auch, dass Mokuba nach fast zwei Stunden Erholungszeit bei seinem Yami zurück in die eigene Wohnung ging und schon beim Eintreten Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. Eine davon erkannte er sofort als Setos, dafür kannte er die zu gut. Neugierig ging er den Lauten nach und sah nicht nur ihn, sondern auch Yugi seitlich am Tisch sitzen und sich unterhalten. Zwischen ihnen nur das Handy und der Obstkorb. Anscheinend hatten die auch Krisensitzung. „Klopf klopf?“ fragte er vorsichtig beim Eintreten. „Störe ich euch?“ „Nein, wir sind gerade fertig“ lächelte Yugi und nickte ihn herein. „Fertig womit?“ Er folgte der Einladung und setzte sich gern zu den beiden dazu. Mutwillig gleich auf Setos Seite, der ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Zweifeln ansah. Der hatte wohl noch mehr zu kämpfen als sein kleiner Bruder. „Wir hatten einen kleinen Streit heute Morgen, aber wir haben alles ausgeräumt. Nicht wahr, Liebling?“ „Hm“ antwortete er nur kurz. So sah er nur aus, wenn er mal wieder Mist gemacht hatte und sich entschuldigen musste. Zumal sich das verliebte Hochzeitspärchen doch sonst nie stritt. „Hey, guck nicht so grimmig“ lächelte er und griff Setos Hände, die nervös am Handy herumfummelten. „Ist doch alles okay. Ich bin dir nicht böse, mein Herz.“ „Ich bin immer so ein Ekel.“ „Neeeeiiiiiin“ lächelte er lieb. „Nur manchmal.“ „Hm ...“ „Was ist denn passiert?“ wollte Mokuba wissen. Ein Streit zwischen Yugi und Seto war so was von selten. Und vor allem war dieser hier so kurz, dass er nicht mal mitbekommen hatte, dass es überhaupt einen gegeben hatte. „Nichts. Nur leichte Panik, die schnell verfliegt.“ Yugi musste ja nicht jedem von Setos Ausbruch erzählen. Das war dem schon peinlich genug. Reichte, wenn Seto Gewissensbisse hatte, das war als Strafe mehr als ausreichend. „Du hast dich anscheinend auch wieder abgeregt.“ „Ja“ gab er leise zu. „Ich war bei Mokeph und wir haben uns ausgesprochen. Und er meinte, ich soll mir mehr Mühe geben, meinen Bruder zu lieben.“ Das ließ Seto doch ziemlich überrasch herübersehen und Mokuba musste lachen. Er konnte so niedlich sein, wenn er diesen planlosen Blick aufsetzte. „Weißt du, Seto, ich kann unsere Mutter nicht so lieben wie du es tust. Wenn es nach mir geht, könnte sie auf der Stelle tot umfallen und ich freue mich noch drüber. Aber das werde ich dir zuliebe lassen.“ „Mir ... warum ...?“ „Weil du meine Mutter bist“ erwiderte er mit einem liebenden, tiefschwarzen Blick in seine blauen Augen. „Du hast mich aufgezogen, mich erzogen. Ich kann niemand anderen als dich akzeptieren. Ich hab keine anderen Eltern als dich. Aber gerade deswegen sollte ich mir ein Beispiel an dir nehmen und nicht an einer Mutter, die ich nicht habe. Ich weiß, ich bin ein schwieriger und sehr eigensinniger Mensch und weil ich erwachsen bin, schreibst du mir nichts mehr vor. Aber ich sollte dir mehr Respekt entgegenbringen. Den Respekt, den man normalerweise seinen Eltern entgegenbringt. Du warst für mich immer meine ganze Familie und das wirst du immer bleiben. Und wenn es dir wichtig ist, dass wir Mutter noch eine Chance geben, dann muss ich das vielleicht nicht gut finden, aber ich werde alles tun, damit du dir später nichts vorzuwerfen hast. Du hast immer zu meinem Wohle entschieden. Und ich vertraue darauf, dass das so bleibt.“ „Vertraue da nicht zu sehr drauf“ bat er verunsichert. „Du weißt, wie ich bin. Du weißt, dass ich ständig Fehler mache.“ Erst heute Morgen bei seinen Kindern, die er doch über alles liebte. Und den Kommentar gegenüber Mokuba gestern hätte er sich auch verkneifen können. „Wir sind alle etwas angespannt im Augenblick. Und dir fehlt dein Yami“ entschuldigte er das. „Umso wichtiger, dass wir gerade jetzt zusammenhalten. Oder was meinst du? Immerhin sind wir doch Brüder.“ „Siehst du, Liebling? Ich hab doch gesagt, das renkt sich alles von selbst wieder ein“ lächelte Yugi. „Jetzt nimm ihn in den Arm und vergesst die dumme Sache.“ Die beiden Brüder sahen sich erst ein wenig scheu, aber dann doch lächelnd an, bevor sie sich in den Arm nahmen. Ja, sie waren beide keine einfachen Charaktere und bissen sich eben manchmal. Aber so schlimm, dass man sich nicht mehr versöhnen konnte, war es ja nun auch wieder nicht. Zumal auch Mokuba langsam immer mehr Erfahrungen sammelte in Sachen Entschuldigen ... das tat er ja häufiger in letzter Zeit. „Du bist mir nicht mehr böse, oder?“ fragte Seto vorsichtig. „Quatsch. Nein. Eigentlich hattest du ja Recht“ meinte er. „Lass uns nicht mehr drüber reden, okay?“ „Aber ich glaube ... das müssen wir ...“ „Ähm ... warum?“ „...“ Seto traute sich gar nicht recht, ihm das zu sagen. Aber ... „Wir haben eben Dr. Hamilton angerufen“ erklärte Yugi zu seiner Erleichterung. Vielleicht würde er dann ja auch die Schuld auf sich nehmen, wenn Mokuba doch wieder böse wurde. „Eure Mutter kommt heute um drei zum Tee.“ „WAS?! SPINNT IHR?!“ Was für ein Glück, dass sie einen Sportraum hatten. Mokuba trieb selten Sport, aber heute dafür gleich zwei Stunden bis ihm vor Erschöpfung die Glieder schmerzten. Abregen war angesagt. Nicht rumschreien, lieben war die Devise. Aber sein neues Lebensmotto wurde umgehend auf den Prüfstand gestellt, als ihm der Besuch seiner Mutter eröffnet wurde. Sporten, lieben und die Klappe halten. Besser so als anders. Supersportler Yugi indessen beschäftigte sich eher damit, einen leckeren Kuchen zu backen, der sowohl Mokuba als auch Seto ruhig stimmen sollte und vielleicht sogar ihrer Mutter ein Kompliment abrang. Und Seto? Der hatte zwar eigentlich vor, sich die Fingernägel abzukauen, entschied sich dann aber doch dazu, mal seinen Schreibtisch aufzuräumen. Äußere Ordnung bedeutete innere Ordnung ... oder einfach nur weil Yugi gesagt hatte, er könne mal wieder aufräumen. Es war eine nicht eben leichte Entscheidung, sie empfangen zu wollen. Aber wenn man wirklich ihre Aggressionsstörung durch ein fehlendes Hormon im Hirn beheben konnte, war das eine ganz einmalige Chance. Und Seto wollte jede Chance greifen, die er hatte. Er würde seiner Mutter auch eine zehnte, elfte, zwölfte oder millionste Chance geben. Nicht allerdings, wenn sie das tat, was sie an diesem Tag tat. Denn das schmerzte Seto mehr als alles je Dagewesene. **Prophezeiung, lalala, Prophezeiung, lalala ...** Pünktlich um fünf Minuten vor drei läutete es an der großen Haustür. Doch schon zuvor war Seto aufgeregt zu Yugi gelaufen, um ihm zu erzählen, dass er ihr Auto schon vom Fenster aus gesehen hatte. „Yugi! Wir müssen aufmachen!“ bettelte er und zog ihn am Arm. „Komm, sonst denken sie, wir sind nicht Zuhause.“ „Ja, ist ja gut“ lächelte er und stellte als letzte Aktion die Zuckerdose auf den Tisch. Es hatte einen Grund, weshalb sie nicht in ihren Privatbereich gingen, sondern einen der kleinen Meetingräume für dieses Treffen wählten. Die Einrichtung war relativ schlicht aus hellem Holz und eigentlich gab es hier nicht mehr als ein großes Fenster mit kleiner Terrasse zum Garten hinaus und in der Mitte ein kleiner Besprechungstisch für etwa vier bis acht Personen. Die Präsentationsanlagen wie Beamer, Videokonferenzen oder Telefonsterne waren sicher in einem der hohen Schränke verstaut und anstatt Akten und Softdrinks auf dem Tisch gab es heute frische Obsttorte, Kaffee, Tee und ein paar Schokoladenkekse. War mal was anderes, aber dafür relativ anonymer Boden. Schließlich wussten sie nicht, inwiefern seine Mutter belastbar war und auf persönliche Gegenstände reagierte. Dr. Hamilton sagte zwar, sie sei ruhig gestellt und vernünftig, man sollte sie jedoch nicht überlasten mit zu vielen persönlichen Gesprächen. Vorerst jedenfalls nicht bis man die Grenzen der Hormontherapie absehen konnte. Endlich war Yugi fertig, hakte sich in Setos verspannten Arm und begleitete ihn in die Halle. Es hatte nicht ein zweites Mal gedongelt, also hatte man entweder schon geöffnet oder sie warteten geduldig. Dass sie einfach so wieder wegfahren würden, konnte Yugi sich nicht vorstellen. In der Halle angekommen, sahen sie eine ihrer Theorien bestätigt. Noah hatte die Tür geöffnet und begrüßte mit geübt neutraler Freundlichkeit drei Herrschaften. Der erste war ein Schrank von Mann mit dunklem Sacko und Bügelfaltenhose. Seine hohe, kräftige Gestalt und das kahlgeschorene Haupt mit Dreitagebart verriet ebenso wie das Label an seiner Hemdtasche, dass er Gefängnisangestellter war. Also hatten sie ihre Gefangene auch bei Freigang unter Aufsicht gestellt, was vielleicht für alle Seiten ganz gut so war. Der zweite Mann war ein mittelgroßer, älterer Herr. Sein dunkelgraues Haar ließ seine Kopfhaut durchscheinen und bildete einen Kranz um seine flaumbehangene Platte. Sein Gesicht war ein wenig wie das einer Dogge. Die Wangen hingen herab und er hatte Tränensäcke unter den Augen. Aber sein Lächeln war hell und freundlich. Sein freundliches Wesen wurde von seinem hellgrauen Stoffanzug und dem weißen Hemd noch unterstrichen. Das war sicher ihr behandelnder Psychiater. Und als letzte eine schlanke Frau mit heller Haut und glänzend schwarzem Haar. Ihr Kraushaar hatte sie in einem lockeren Pferdeschwanz gebändigt und trug zu Yugis Erstaunen keine Gefängniskluft. Sie zeigte ihre schönen Beine bis zu den Knien in durchsichtiger Strumpfhose, bevor sie einen schönen Zweiteiler trug. Einen schlicht schwarzen Rock mit weißer Bluse und einer schwarzen Wolljacke. Wenn ihr jemand ähnlich sah dann Mokuba. Sie war zwar nicht so groß wie er, aber wäre Mokuba eine Frau, würde er genau so aussehen. Als Yugi und Seto die Runde erreichten, schloss Noah eben die Tür und wollte sie nach vorn geleiten. Aber es wurde gestoppt, als ein unsicherer Augenkontakt zwischen Seto und seiner Mutter herrschte. „Guten Tag. Ich bin Ian Robert Hamilton“ begrüßte der freundliche Grauhaarige erst Yugi mit einem Handschlag und dann den verunsicherten Seto. „Sie haben wirklich ein schönes Haus und einen traumhaften Garten, Mr. Muto.“ „Ja ... danke ...“ erwiderte Seto mit tonloser Stimme und blickte zurück zu seiner Mutter, die wirklich erstaunlich ruhig war. Sie schaute nicht mal so funkelnd wie sonst, sondern ihre schwarzen Augen hatten einen sanften Schimmer, fast wie ein scheues Reh stand sie da, die Hände vor dem Schoß verschränkt und schien sich nicht recht zu trauen. „Und Sie sind?“ wollte Yugi von dem bulligen Mensch wissen, der so griesgrämig danebenstand. „Nur der Begleitschutz“ antwortete er dunkel. „Bemerken Sie mich bitte einfach nicht weiter, Mr. Muto.“ „Nun gut“ nickte er. Wenn es denn so sein sollte. „Ja, da sind wir nun“ seufzte Dr. Hamilton und wippte entspannt auf seinen Fußballen, bevor er seine Patientin ansah. „Akemi, möchten Sie Ihrem Sohn nicht auch guten Tag sagen?“ „Natürlich ...“ Ihre Stimme war hell und weich. Ganz anders als die, welche sie sonst von ihr gewohnt waren. Sie sah langsam an Seto hinauf, der um so vieles größer war als die anderen um sie herum. „Seto.“ „Mutter“ nickte er zurück. Es war merkwürdig. Wenn er von ihr sprach, nannte er sie Mama. Wenn er zu ihr sprach, nannte er sie Mutter. Er war sich wohl selbst nicht im Klaren in welchem Verhältnis er nun zu ihr stand. Er liebte und fürchtete sie. Seine Gefühle zu ihr waren sicher nicht nur für Außenstehende verwirrend, sondern auch für ihn selbst. „Wollen wir nicht reingehen?“ Noah bemühte sich, die angespannte Stimmung zu durchbrechen und wies nach links auf die entfernt offenstehende Tür. „Yugi hat gedeckt und einen wunderbaren Obstkuchen gebacken.“ „Oh, Kuchen“ lächelte Dr. Hamilton erfreut. „Na, wir können ja ein Glück haben.“ „Ich hoffe, Sie haben gut hergefunden?“ Noah und der Doktor begannen einfach ein wenig Smalltalk, während sie durch die warme Wüstenhalle schritten. Der Wärter immer dicht neben seinem Schützling und die ganz leise, während Seto sich an Yugis Außenseite in Sicherheit brachte. „Oh ja. Wir haben ja ein Navigationssystem“ erzählte er frei heraus. „Es hat uns zwar ein wenig im Kreis geschickt, aber gefunden haben wir Sie ja doch. Und das sogar pünktlich.“ „Ja, durchaus“ lachte Noah. „Warum? Sind Sie sonst nicht pünktlich?“ „Um ehrlich zu sein, koste ich das akademische Viertel gern aus“ scherzte er zurück. Mit den beiden würde sicher kein peinliches Schweigen aufkommen. „Ich weiß, das ist nicht unbedingt höflich, aber ich muss gestehen, Mr. Kaiba, ich habe einen furchtbaren Orientierungssinn.“ „Na, solange sie noch einen haben. Ein Bekannter von mir verläuft sich in der eigenen Wohnung. So schlimm wird es bei Ihnen doch wohl nicht sein.“ „In der eigenen Wohnung? Nein, da habe ich glücklicherweise meine Frau als Wegweiser. Aber wie kann man sich denn in der eigenen Wohnung verlaufen?“ Da kannte er Jimmy aber schlecht. „Es passiert ihm, dass er im halbschlafenden Zustand noch Dinge erledigen will. Und da schläft er schon mal in der Badewanne, anstatt im eigenen Bett.“ „Mit oder ohne Wasser?“ lachte er. „Meinen Sie das Bett oder die Wanne, Doktor?“ lachte Noah zurück. Ja, da hatten sich zwei Meister des sympathischen Talks gefunden. Nichts sagen, ohne schweigend zu werden. So hatten die anderen Zeit, sich zu beobachten und die Stimmung abzutasten. „Oh, was für ein hübscher Raum“ lobte Dr. Hamilton als er nach Noah in den Meetingraum trat und höflich vor dem Tisch stehen blieb. „Wir nutzen ihn gelegentlich für geschäftliche Besuche. Bitte setzen Sie sich doch.“ Um den runden Tisch hatte Yugi geschickt gedeckt. So setzten sich der Reihe nach die Menschen, die sich am wenigsten tun würden. Ringsum gesehen, setzten sich erst Dr. Hamilton, zu seiner rechten Seite dann Setos Mutter, neben ihr der Bodyguard, daneben Yugi, dann Seto, daneben blieb ein Platz frei, bevor Noah sich neben den Doktor setzte. So saßen sich Söhne und Mutter gegenüber und hatten trotzdem noch genügen Abstand zwischen sich. „Kommt Mokuba nicht?“ fragte seine Mutter leise und faltete erneut die ringenden Hände vor dem Schoß. „Er wusste es noch nicht, ob er kommen möchte“ antwortete Noah für ihn. „Er weiß aber, dass wir hier sind. Er wird kommen, wenn er es möchte.“ „Aha ... danke.“ Sie bedankte sich sogar. Das mussten die Drogen sein unter denen sie stand. Sie hatte bisher nicht einen giftigen Blick und nicht einen fiesen Kommentar verteilt. Vielleicht war Setos Entscheidung, sie willkommen zu heißen, ja doch der Anfang einer ganz neuen Beziehung. Wenn ihre Aggressivität wirklich auf einen Hirndefekt zurückzuführen war, den man mit Hormonen behandeln konnte ... es wäre nicht nur ihr zu wünschen. „Nun? Kaffee, Tee, Kuchen?“ Yugi bot einfach mal alles an und übernahm das Einschenken, die Kuchenausgabe und beteiligte sich mit der Zeit auch zunehmend an dem Smalltalk der beiden geschulten Unterhalter. So verstrichen etliche Minuten, in denen zwar fleißig geredet, aber letztlich rein gar nichts gesagt wurde. Unverfänglicher Smalltalk eben. Man sprach über das Wetter, über die Ergebnisse der letzten Lottoziehung, über das schlimme Unwetter der vergangenen Woche, über den harten Winter, über Mücken im Sommer und über das schöne Muster des Porzellangeschirrs. Das übliche eben, worüber man sich so unterhielt. Die anderen drei jedoch sagten bisher nicht einen Ton. Der Gefängniswärter an sich war ja ohnehin nicht zum Reden hier, ließ sich aber gern einen schwarzen Kaffee anbieten und knabberte höflich an einem Keks, mehr dann aber auch nicht. Setos Mutter hielt den Blick gesenkt, schaute ein wenig im Raum herum und senkte ihre Augen wieder. Ähnlich wie Seto, der seinen Kuchen nur zur Hälfte aufessen mochte und dessen zittrigen Hände sicher nicht vom starken Kaffee kamen. Zum Glück schmiegte Yugi sein Bein an ihn und beruhigte ihn wenigstens ein wenig durch unbemerkten Körperkontakt. Und Setos Gegendruck nach zu urteilen, nahm der die Nähe sehr gern an. „Ah, der Kuchen ist fantastisch“ schwärmte der Doktor und freute sich bester Laune. Er hielt Yugi sogar seinen Teller hin. „Wäre es unverschämt, nach einem dritten Stück zu fragen?“ „Nein, natürlich nicht“ lächelte der und hob noch ein Stück seines Meisterwerks, auf dass es seine Bestimmung finde. „Wissen Sie, Mr. Muto, Zuhause bekomme ich nie so gute Sachen. Meine Frau hält sämtliche Süßigkeiten von mir fern.“ „Das ist ja auch nicht nett“ lachte er. „Etwas Süßes braucht der Mensch doch.“ „Nicht, wenn man sich davon schon einen Vorrat angelegt hat“ meinte er und klopfte lachend auf seine kleine Wampe, die er wohl nicht ganz so ernst nahm. „Mr. Muto, Sie sind wirklich ein großartiger Konditor.“ „Vielen Dank“ nickte er fröhlich. „Das hört man immer gern.“ Es entstand ein ganz kurzer Moment Schweigen. Noah drückte mit dem Löffel seinen Teebeutel aus, Dr. Hamilton hatte den Mund voll und Yugi nahm sich die Serviette vom Schoß. Gelegenheit genug, auch endlich das Wort zu ergreifen. „Du hast wirklich ein schönes Haus.“ Sie sprach! Setos Mutter konnte tatsächlich sprechen! „Die hohen Fenster lassen viel Licht herein. Das ist schön.“ „Ja ...“ erwiderte er ebenso zurückhaltend. „Große Räume und hohe Fenster machen das Haus hell. Ein alter, architektonischer Trick.“ „Und ... das Bild ist auch sehr hübsch“ sprach sie weiter und sah auf das recht aussagenlose Bild im Silberrahmen an der seitlichen Wand. Es war nicht viel mehr als einige staffierte Farben von links oben nach rechts unten. Etwas, was in Arztpraxen hing, damit die Wände nicht so weiß waren. Wahrscheinlich wollte sie nur irgendetwas sagen. „Ja ...“ antwortete er wieder. „Ein Freund hat es bei Ikea gekauft. Er mochte die weiße Wand nicht.“ Die erste zaghafte Unterhaltung und innerlich betete man, dass das nun endlich gut gehen würde. „Verständlich. Kahle Wände wirken so kalt. Es ist schön, wenn etwas da hängt und ein wenig Wärme verbreitet.“ „Ähm ... ja. Irgendwann sieht man das Bild nicht mehr. Es sagt ja nichts aus.“ „Dann ... magst du lieber Bilder, die etwas zeigen?“ „Ja ... ich mag gern Bilder vom Meer“ sagte er und sah sie vorsichtig an. „Fotografien von Wellen oder Strandbilder. Ich finde, das Meer hat so etwas freies.“ „Du magst helle Räume und viel Freiheit ... oder?“ „Ja, tue ich.“ Es war ihm ja lang genug verwährt geblieben und sie wusste das auch. So hob auch sie ihre Augen und sah ihn traurig an. „Das tut mir leid, Seto.“ „Schon gut“ antwortete er fast zu schnell. Yugi sah das Zeichen, er wollte jetzt nicht darüber sprechen. Wenn er so schnell abwehrte, sollte man nicht weiter bohren. „Nein, wirklich“ wiederholte sie noch mal und schien das ganz ernst zu meinen. „Es tut mir sehr leid, dass ich ... dass ich dich und Mokuba von mir fortgetrieben habe.“ „Aber heute bist du ja hier.“ „Ja ...“ „...“ „Schmeckt Ihnen der Kuchen, Mrs. Nandare?“ rettete Yugi das Gespräch, bevor einer von beiden gleich wieder ins Schweigen oder Bohren verfiel. Eine oberflächliche, höfliche Konversation war wohl doch etwas viel verlangt. Zum jetzigen Zeitpunkt zumindest. „Ja. Danke, Mr. Muto. Er ist sehr gut.“ „Möchten Sie vielleicht noch etwas? Vielleicht noch einen Kaffee oder einen Keks?“ „Nein, vielen Dank.“ „Ach, wenn Sie nicht wollen“ lächelte Dr. Hamilton. „Ich nehme gern noch einen Keks. Oder auch zwei?“ „Tun Sie sich keinen Zwang an“ lachte Yugi angespannt und reichte ihm die Platte mit den Plätzchen. „Ihre Frau sieht Sie ja heute nicht.“ „Was für ein Glück. Sagen Sie, haben Sie noch ein Zimmer? Ich würde hier gern einziehen.“ „Sicher doch“ meinte Noah scherzend. „Wir können den Dachboden ausräumen.“ „Ach, nicht nötig. Eine Pritsche in der Küche reicht mir schon.“ „Mit Direktverbindung zum Kühlschrank?“ „Sie haben mich durchschaut, Mr. Kaiba“ schmunzelte er. „Ehrlich. Wie bleiben Sie so schlank mit so einem guten Bäcker im Haus?“ „Jeder hat sein kleines Schönheitsgeheimnis“ schmunzelte er und hob schweigend den Finger. Das würde er nicht verraten, wie er seinen Adoniskörper in Schwung hielt. Und noch bevor der schmatzende Dr. Hamilton ihn weiter ausfragen konnte, ging die Tür hinter ihm auf und Mokuba kam herein. Nachdem er nun fast eine Stunde zu spät war, hatte er sich wohl doch entschlossen, dem Beispiel seines Bruders zu folgen. „Hallo, Moki“ lächelte Noah. „Schön, dass du noch kommst.“ „Ja“ antwortete er mit dunkler Stimme und einem forschenden Blick zur Seite, wo sich eben seine Mutter nach ihm umdrehte. Dann wand er sich dem älteren Herrn neben ihr zu. „Sie sind Dr. Hamilton?“ „Dann sind Sie, Mr. Kaiba“ lächelte er und erhob sich, um dem etwas größeren Mokuba höflich die Hand zu schütteln. „Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ „Ebenso.“ Den Wärter begrüßte er auch nicht weiter, da der sich nicht erhob. Mokuba war da etwas merkwürdig eingestellt. Wer ihn nicht grüßte, den grüßte er auch nicht. Genau wie seine Katze es zu tun pflegte. Aber seine Mutter blickte ihn an und stand sogar von ihrem Stuhl auf, als er zurückblickte. Er kam ihr entgegen und sie streckte ihm beide Hände hin, um ihm gleich doppelt die Hand zu schütteln. „Mutter.“ Aber Mokuba ging eiskalt an ihr vorbei und hatte nicht mehr für sie übrig als ein Nicken. Was das anging, war er schlimmer als Seto. Wenn er Menschen nicht mochte, konnte es Jahre dauern bis er ein anständiges Wort mit ihnen sprach. Bei James waren es Jahre gewesen. Und der hatte ihm nicht mal sein Leben verpfuscht. Er setzte sich auf den Stuhl zwischen Seto und Noah und schenkte sich selbstständig einen Kaffee ein. Zu seiner rüden Art sagte niemand etwas, aber als anerkannter Psychiater legte Dr. Hamilton doch für einen Moment einen beschäftigten Blick auf, bevor er sich noch einen Keks nahm. „Wir sprachen eben darüber, wie ich mich besser in Form halten kann, wo ich doch so gern Süßes esse“ begann der Doktor ihn in ein Gespräch zu verwickeln. „Ihr Freund wollte mir doch tatsächlich nicht sein Schönheitsgeheimnis verraten. Können Sie mir da helfen?“ „Eher nicht“ lehnte Mokuba ab und pustete seinen Kaffee kalt. „Sie könnten sich ein paar schwule Freunde anschaffen. Das wirkt manchmal Wunder bei der Stilfindung.“ „Ich werde es in Betracht ziehen“ lächelte er gütig. „Sehr offen, finde ich. Es gibt durchaus Menschen, die Homosexuellen nur Schimpf und Schande nachrufen. Nicht wahr, Mutter?“ „Mokuba“ flüsterte Seto mahnend. Der Kleine war also nicht gekommen, um einer Versöhnung zuzustimmen, sondern um sie zu testen oder sie möglichst schnell zu vertreiben. „Was denn? Wir können die Karten doch mal auf den Tisch legen. Bei aller Höflichkeit“ meinte er ganz hart und sah sie an. „Hast du uns nichts zu sagen, Mutter? Oder bist du nur hergekommen, weil man dann deine Haft verkürzt?“ „Nein, Mr. Kaiba, das ist sie nicht“ ergriff Dr. Hamilton das Wort. „Es ist verständlich, dass Sie verletzt sind. Aber Ihr Ton hilft weder Ihrer Mutter noch Ihnen. Man kann über alles vernünftig sprechen. Vernünftig und nicht mit unterschwelligen Andeutungen oder offen harten Anklagen.“ „Sie haben ja auch leicht reden. Sie mussten nicht zusehen wie Ihr Bruder vergewaltigt wird.“ „MOKUBA! ES REICHT JETZT!“ schnauzte Seto ihn an und stand sogar wütend von seinem Stuhl auf. „Geh raus, wenn du hier nur Stunk machst und misch dich nicht in meine Sachen.“ „Nein. Ich werde gehen“ sprach seine Mutter und stand langsam ebenfalls auf, womit auch ihr Bodyguard sofort ins Stehen kam. Sie sah ihre Söhne an und legte ein bedauernden Ton in ihre Stimme. „Ich wollte keinen Streit zwischen euch provozieren. Es tut mir leid. Das alles war vielleicht doch keine so gute Idee.“ „Nein, Mokuba hat es nicht so gemeint.“ „Doch, hat er“ sprach genau der seinem großen Bruder rein. „Mutter, was denkst du dir? Denkst du, du kannst hier unter Drogeneinfluss einfach auftauchen und alles ist wieder wunderbar?“ „Nein, das denke ich nicht“ erwiderte sie mit Tränen in den Augen. „Aber ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Große Fehler, die ich nie wieder gut machen kann. Ich kann es verstehen, wenn ihr mir nicht verzeihen könnt. Aber ich dachte ...“ „Nein, Mutter. Weine nicht“ bat Seto, dem dabei selbst die Tränen in die Augen stiegen. Er ging zu ihr herum und nahm sogar ihre Hände. Bei Tränen wurde er immer ganz schnell weich. Er mochte es nicht, wenn jemand Tränen vergoss und traurig war. Tränen waren die Sprache des Herzens. „Du hast eine Medizin gefunden, die dir hilft. Das ist großartig.“ „Findest du?“ „Ja, finde ich“ sagte er ihr ehrlich. „Ich hab mir immer gewünscht, dass wir normal miteinander sprechen können. So wie heute.“ „Aber ich ...“ „Mach dir nichts draus. Ich muss auch Tabletten nehmen. Sonst bin ich nicht zu genießen“ lächelte er sie verzweifelt an. „Dann haben wir doch was gemeinsam. Mutter, wir haben endlich was gemeinsam ...“ >Mokeph hatte Recht. Seto ist dumm< war Mokubas einziger Gedanke dazu. Was Gefühle anging, war Seto ein Dummkopf. Er rannte mit offenen Augen in sein Unglück. Er glaubte tatsächlich noch an das Gute in seiner Mutter. Einen Glauben, den Mokuba schon lange begraben hatte. Entweder war Seto auf der vollkommen falschen Spur oder Mokuba sollte selbst ernsthaft über eine Therapie nachdenken. Aber wenn dieser Rat von Mokeph richtig war. Vielleicht war dann auch der andere richtig. Nämlich dass Mokuba seinem Hass nicht nachgeben durfte. Er musste seinen Bruder mehr lieben als er seine Mutter hasste. Das würde beiden mehr helfen, auch wenn es der schwerere Weg war. Er war hin und her gerissen zwischen seinen Gefühlen. Hassen oder lieben? Hassen oder lieben? Was sollte er tun? >Ach, Scheiße.< „Es tut mir leid, Mutter“ zwang er sich dann doch heraus. „Aber bitte versteh. Es dauert eine Weile bis ich dir vertrauen kann. Dein Auftauchen hier ist sehr überraschend.“ „Ihr hättet nicht so schnell zustimmen müssen“ antwortete sie und sah ihn sehnsüchtig an. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Ich weiß, dass ich krank bin, auch wenn ich dadurch die Verantwortung und die Schuld nicht abgeben kann. Ich kann nie wieder gutmachen, was geschehen ist ...“ „Lass uns nicht mehr darüber sprechen“ bat Seto und drückte ihre Hände. „Du kannst uns so oft besuchen wie du möchtest.“ „Nein, das kann ich nicht“ lächelte sie mit einem heiter versuchten Seufzen. „Ich hab nur ein Mal im Quartal Freigang.“ „Mutter ...“ Jetzt tat es ihm leid. Seto bereute viel zu schnell. „Es tut mir leid, dass du meinetwegen im Gefängnis sitzt.“ „Nein, das ist nicht deine Schuld“ tröstete sie. „Hätte ich damals nicht das Sorgerecht für Mokuba angefochten, wäre es nicht so weit gekommen.“ „Aber ich hätte nicht aussagen dürfen. Ich hätte ...“ „Nein, Seto. Es ist nicht deine Schuld.“ „Aber wenn ich vielleicht nicht ...“ „Seto, nein ... bitte lass das.“ „Aber wenn ich ...“ „ES IST NICHT DEINE SCHULD, DU SCHWANZLUTSCHER!“ schnauzte sie ihn laut und mit funkelnden Augen an. Seto war viel zu gelähmt, als dass er noch viel mehr tun konnte, als in sich zusammenzusinken und den Kopf wegzuducken. Eine ganz natürliche Reaktion. Seine Hände hatte sie fortgestoßen und damit war auch ihr Wärter gleich neben ihr und hielt sie kräftig am Arm. Sie setzte aber nicht nach, sondern sah ihren Sohn mit blitzendem Blick an. „Akemi, seien Sie ganz ruhig“ beschwichtigte Dr. Hamilton und stellte sich zwischen sie und den Wärter, womit der Bulle sie auch gleich los ließ. „Ruhig einatmen und bis fünf zählen. Wie wir es geübt haben.“ Sie senkte ihren Blick und atmete wirklich kurz ein. Anscheinend hatte Setos Gebettel ihr zugesetzt und sie auf die Palme getrieben. Es erinnerte sie an früher, wenn ständig ein kleines Kind herumstand und mit diesem stechend blauen Blick irgendwas von ihr wollte. Es nervte und brachte sie zur Weißglut, wenn er nicht parierte und so egoistisch war. Sie hatte keine Geduld mit ihm und seinem aufdringlichen Gebettel. Sie kam mit seinen Ansprüchen nicht zurecht. Sie hasste es, wenn er etwas von ihr forderte. Egal, ob es Essen oder Liebe war. Ihre Toleranzgrenze lag da sehr niedrig. „Tut mir leid“ entschuldigte sie und sah Seto bittend an. „Ich wollte dich nicht anschreien.“ Seto war im Augenblick noch viel zu erschrocken, als dass er ihr sofort antworten konnte. Er sah sie an und wusste nicht, was er tun sollte. Weglaufen wollte er nicht, auch wenn er das am liebsten tun würde. Es war schwer mit jemandem auszukommen, der bei für anderen klein scheinenden Reizen so leicht austickte ... genau wie er selbst. „Wir bekommen das in den Griff“ versprach Dr. Hamilton als Seto ihr nicht antwortete. „Bitte, Sie dürfen nicht so vehement auf eine Sache bestehen. Keine aufregenden Dinge, das strapaziert die Nerven zu sehr.“ „Ja.“ Auch wenn Seto das von sich selbst kannte, erschreckte es ihm. Ihm konnte man auch unberechenbare Reaktionen entlocken, wenn man ihm beispielsweise von hinten auf die Schulter klopfte oder im Fahrstuhl das Licht ausmachte. Er hatte Jahre gebraucht, um das richtige Entspannen in diesen Situationen zu lernen. Und seine Mutter stand noch ganz am Anfang ihrer Therapie. „Vielleicht sollten wir jetzt gehen, Akemi“ schlug der Doktor vor. „Sie haben das sehr gut gemacht. Sie sollten sich nicht überlasten. Verabschieden Sie sich von Ihren Söhnen und freuen Sie sich auf einen nächsten Besuch, ja?“ „Ja, Doktor“ seufzte sie und nickte Seto vorsichtig zu. „Es tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr erschreckt und diesen schönen Nachmittag kaputt gemacht.“ „Nein, alles okay“ atmete er. Und doch war er erschrocken. Und wie. Seine Euphorie war abgeflaut und hatte der anfänglichen Vorsicht wieder Platz gemacht. Auch wenn sie Medikamente nahm, war das noch lange kein Allheilmittel. Und an ihrer Beherrschung musste sie noch arbeiten. Die spontane Wunderliebe, die er sich erhoffte, konnte sie ihm nicht geben. Yugi hatte Jahre gebraucht, um Seto seine Liebe zu entlocken. Vielleicht musste er seiner Mutter jetzt dieselbe Zeit und Geduld entgegenbringen. Aber konnte er das? Konnte jemand, der selbst krank war, jemanden anderen heilen? „Es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst“ war auch Mokubas Meinung, als er sich neben Seto stellte und ihn vertraulich am Arm nahm. Er zeigte, dass sie zusammen gehörten und in diese Gemeinschaft reinzukommen, würde er ihr nicht leicht machen. Wenn es nach ihm ginge, sollte Seto das genauso sehen. Er sollte es ihr nicht zu leicht machen. Zu anderen war er ja auch nicht so offen. „Du kannst ja irgendwann mal wiederkommen.“ Irgendwann mal, aber bitte nicht zu bald. „Ja“ lächelte sie ihn traurig an. „Ich verstehe. Du bist wirklich ein starker und ansehnlicher Mann geworden, Mokuba.“ „Und das ist nicht dein Verdienst“ erwiderte er kühl. „Guten Tag, Mutter.“ „Ich bringe Sie hinaus.“ Die Stimme des Wärters war dunkel und bestimmend, als er den Arm über ihrer Schulter schweben ließ und zur Tür wies. Auch wenn sie nicht so aussah, als würde sie sich groß wehren wollen, Widerstand wäre ohnehin zwecklos. So ließ sie sich friedlich hinausbegleiten. Die anderen folgten ihr entweder aus Höflichkeit und Mokuba wohl, weil er mit eigenen Augen sehen wollte, dass sie zur Tür hinaus war. „Wir danken Ihnen für den schönen Aufenthalt“ sprach Dr. Hamilton zu Noah, der zufällig gerade neben ihm ging. „Sie sind doch sicher unter der Woche sonst sehr beschäftigt.“ „Nicht nur unter der Woche“ lächelte er. „Aber wir haben uns die Zeit gern genommen. Nicht wahr, Yugi?“ „Natürlich“ bestätigte der, obwohl er seinen noch leicht erschrockenen Liebling an der Seite führte und darauf achtete, dass er ihm nicht plötzlich zusammenklappte. Auch wenn Mokuba ihn fest am Arm hielt und so schnell wohl nicht loslassen würde. „Und der große Kuchen ist tatsächlich fast aufgegessen. Da wird das Resteessen wohl ein wenig kleiner ausfallen müssen.“ „Lassen Sie die Anspielungen, Mr. Muto“ lachte der rundgegessene Doktor. „Ich hoffe, ich schaffe noch das Abendessen. Sonst kommt meine Frau mir noch auf die Schliche.“ „Sie scheinen ja ziemlich unterm Pantoffel zu stehen, Doktor.“ „Ach, merkt man das so sehr?“ schmunzelte er. „Würden Sie meine Frau kennen, hätten sie auch Angst.“ „Oh je“ lachte Noah und Yugi mochte sich das auch gar nicht vorstellen. Entweder war seine Frau eine schlimme Furie oder er übertrieb mal wieder. Sie traten in die Halle hinein und hörten schon beim Öffnen der Tür lautes Lachen. Draußen hatte es vor einigen Minuten zu regnen begonnen und so nutzte der hauseigene Kindergarten die warme Wüstenhalle eben als großen Sandkasten. Tea und Nika hüteten die Kinder und sahen ihnen beim Spielen zu. Feli saß direkt neben ihrer Mama und schichtete mit ihren Händen langsam eine Zipfelmütze aus Sand auf den Boden. Tato fand es währenddessen lustiger, seiner großen Schwester hinterherzulaufen und wollte ihr eine handvoll Sand ins Hemd stecken. Risa saß neben Tea und ließ sich zeigen, wie man Zeichen in den glatt gestrichenen Sand malen konnte. Die Babys schienen sie wohl woanders gelassen zu haben, aber um diese Uhrzeit war auch Narla schon Zuhause und ließ die kleine Joey häufig mit Theresa zusammen ein Schläfchen machen, damit auch Tea mal beide Arme frei hatte, um sich um ihre Große zu kümmern. Anscheinend ahnten sie nicht, dass sie heute ungewöhnlichen Besuch im Hause hatten. Sonst würden sie hier nicht so frei die Halle in Beschlag nehmen. Aber Nika hatte sie entdeckt und tippte Tea an, um sie aufmerksam zu machen, dass dort Fremde waren. „BOAH! BESUCH!!!“ Doch da wurde auch Nini schon hellhörig und rannte auf die unbekannten Leute zu. Besuch bedeutete immer, dass sie jemanden zum Vollquatschen hatte, denn Besuch wehrte sich selten dagegen. Tato kam da auf seinen kleinen Füßen nicht ganz so schnell hinterher. Im Krabbeln war er irgendwie noch schneller, aber er hatte gelernt, dass das ja nur für Babys war. So musste er eben auf zwei speckigen Strampfern hetzen, um seiner großen Schwester folgen zu können. „Hallo!“ Da war Nini auch schon angekommen und grinste an den drei Besuchern hinauf. „Ich bin Nini. Wer seid ihr?“ „Quasi schon weg sind die“ meinte Mokuba und wollte die drei abschirmen und zur Tür drängeln, aber doch nicht mit Nini. „Wow! Du siehst aus wie Onkel Moki“ plapperte sie seine Mutter an und hielt sie am Rockzipfel fest. „Das ist aber ein schönes Kleid. Deine Frisur finde ich auch schön. Wenn ich alt bin, will ich auch mal schwarze Haare haben. Indianer haben schwarze Haare. Und Neger. Aber Neger darf man nicht sagen, sagt Onkel Noah. Das heißt gefärbte Nachbarn.“ „Nein, Nini. Farbige Mitbürger“ seufzte der. „Komm mal her.“ Er nahm sie zur Seite und auf seinen Arm. Musste ja nicht sein, dass sie hier ihre Oma begrabbelte, die sie nicht mal als solche kannte oder erkannte. „Meine Freundin Pana im Kindergarten ist auch eine gefärbte Mitbürgerin. Aber ihr macht das nichts aus, weil sie sagt ja selber, dass sie ein Neger ist. Ich finde das nicht schlimm. Sie hat gaaaaanz dunkle Haut, wo wir mit Creme draufgemalt haben. Ein Grinsegesicht haben wir gemalt. Das sah bei ihr viel besser aus als bei mir. Wir haben gesagt, wenn im Sommer die Sonne wieder scheint, dann setze ich mich in den Garten bis ich auch so eine schöne braune Haut habe. Dann bin ich auch eine Negerin. Dann sind wir zwei. Und wenn wir uns dann ein Küsschen geben, sind wir Negerküsse. Lustig, oder?“ „Ähm ...“ Was war denn das für ein Mädchen? Damit wusste ihre Großmutter spontan nichts mit anzufangen. Und sie erkannte sie auch nicht. Sie schaute einfach nur absolut überrascht über diesen Überfall. „Du bis neu.“ Und jetzt stand auch Tato vor ihr und sah an ihr hoch. Ganz aus der Puste, weil er sich so beeilt hatte. „Wie heiß du?“ Doch dann wurden seine Augen ganz groß und sein Mund öffnete sich zu einem Staunen. „Du siehs aus wie Onke Moke! Boah! Alter Swede!“ „Tato, drinnen steht noch Kuchen.“ Yugi kniete sich zu ihm herunter und legte seinen Arm um ihn. „Komm, wollen wir Resteschlemmen machen?“ „Speeta Resteslemm.“ Er konnte seinen Blick gerade nicht von dieser Frau lassen, die ihn so faszinierte. „Du bis ein hübses Mädsen. Wie heiß du? Wie alt bis du? Is bin soon eins. Ein Finger“ zeigte er stolz. „Wie viele Finger has du?“ „Warum darf Tato plappern und ich nicht?“ Nini war eingeschnappt als Onkel Noah sie in den Meetingraum schleppte. „Komm, Nini. Resteschlemmen.“ Sie wollten die Mutter doch nicht überfordern. Und für jemanden, der mit Kindern nicht zurechtkam, waren die beiden kleinen Mutos eine echt harte Prüfung. Denn die waren aufdringlich und neugierig, kannten keine Scheu vor Fremden. Wenigstens konnte man Nini noch wegschleppen. Tato begann dann immer zu schreien und schmollte für Stunden. Den musste man irgendwie ablenken und für etwas anderes begeistern, wenn man keinen Ärger provozieren wollte. Zumal man ihn nicht einfach wegtragen und sagen konnte, man wollte nicht, dass er seiner Oma begegnete. Das wäre für den Besuch erst recht beleidigend. Aber Yugi arbeitete ja schon dran. „Tato, schau doch mal“ versuchte er einen Blick zu catchen und zeigte zurück, wo Tea und Nika mit den kleinen saßen. „Feli macht eine ganz tolle Sandburg. Wollen wir mal gucken gehen?“ Da Tato sich an ihrem Rocksaum festgekrallt hatte, konnte Papa ihn auch nicht einfach so wegreißen. Das würde ziemlich rüde aussehen. „Nein.“ Er schaute weiter an der schwarzäugigen Schönheit hinauf. „Wie alt bis du? Sag do mal. Bitte.“ „Und wer ist dieses aufdringliche Kind?“ sah sie Seto missmutig an. „Das ist Asato. Setos und mein Sohn“ antwortete Yugi. „Er ist vielleicht aufdringlich, aber er meint es nicht so. Er ist nur interessiert an Menschen.“ „Nein, nis an Mensen. Mädsen“ grinste er sie an. „Du bis ein hübses Mädsen. Willsu mis heiraten, wenn is alt bin? Aba nur wenn du saast wie alt du bis.“ „Das geht dich nichts an. So etwas fragt man eine Frau nicht.“ „Nis?“ Komisch? Etwa nicht? Er wurde doch auch ständig gefragt, wie alt er war. Das war ihm jetzt neu, dass diese Frage verboten war. „Das hat mir no keina dessaat. Willsu nis saan wie alt du bis?“ „Nein.“ „Aba is hab au desaat. Du muss au.“ „Tato, es ist gut jetzt“ ermahnte Yugi und nahm ihn an der Hand. „Komm, wir gehen mal zu Nini, bevor sie den Kuchen aufisst. Du wolltest doch Kuchen haben vorhin.“ „Nis setz, Papa. Is will wissen wie alt das Mädsen is“ plädierte er und entkam mit einem flinken Stolpern Papas laschem Griff und umklammerte im Liegen das Bein seiner neuen Eroberung. „Wie alt bis du! Saaaag setz! Wie alt? Wie alt? Is sieh dir den Suuh aus, wenn du nis saast. Wie alt bissu? Wie alt? Wie ...?“ Yugi hatte sich gedacht, dass Tatos aufsässiges Gehabe vielleicht etwas reizend auf sie wirkte, aber nicht, dass sie so austickte. „HALT DIE SCHNAUZE, DU PISSBALG!!!“ keifte sie und trat Tato mit ihren harten Sohlen einen Meter weit von sich fort. „DU HAST KEINE MANIEREN, DU DRECKIGES ...“ Sie wollte ihm nachsetzen, aber da trat nicht nur Yugi dazwischen und fischte sich seinen geschockt weinenden Sohn auf den Arm, sondern das weckte auch den Mamadrachen. Bei Gewalt gegen Kindern, besonders wenn es die eigenen waren, sah Seto rot. Aber absolut. Und da war es ihm egal, ob das seine eigene Mutter oder sonst wer war. Sie hatte Tato getreten und das ließ er ihr nicht durchgehen. Er trat nur einen Schritt zur Seite und stand direkt vor ihr. Und schon hatte er ausgeholt und knallte ihr eine schallende Ohrfeige, die so schmerzlich widerhallte, dass es schon beim Hören wehtat. Doch damit nicht genug. Er packte sie am Kragen, wirbelte sie herum und knallte sie mit Kraft an die Wand, wo er sie gegendrückte und vom Boden auf seine Höhe abhob. Mit seinen blauen Augen spießte er sie auf und die Ader auf seiner Stirn drohte jeden Moment zu platzen. So schnell hatte noch niemand seinen Zorn geweckt. Keine Angst, sondern echten Zorn. Geistesgegenwärtig wollte der Wärter dazwischengehen und die beiden trennen, aber ein Ton ließ ihn stoppen. Ein dunkles Grollen, welches von Seto ausging und sich bedrohlich in die Luft legte. Ein tiefes Schnaufen und als sich seine Lippen einen Spalt öffneten, drang ein noch lauteres Grollen hervor, welches so unnatürlich klang, dass sich jedem die Nackenhaare aufstellen. Und diese bebenden Lefzen ließen den sonst so ruhigen Mann wie ein Monster scheinen, das seine Zähne zeigte. Das war doch nicht normal. Dieser Ton, der das Innerste einen Menschen aufrührte wie der Nachhall des Urknalls. Und so sah es auch seine Mutter. Mit geschockt aufgerissenen Augen erstarrte sie in ihrem Blick und begann sich an seinem Arm festzukrallen. Nicht nur, weil er sie an die Wand gedrückt hielt, sondern es gab auch kein Entkommen aus dieser schrecklichen Erfahrung. „Noch ein Mal“ fauchte Seto mit verzerrter Stimme. „Noch ein einziges Mal legst du Hand an meine Kinder und ich bringe dich um. Das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist. Ich bringe dich um.“ Auch wenn er häufig Dinge sagte, die ihm später leid taten - das hier meinte er ernst. An seine Kinder ließ er niemanden ran. „Du bist doch nicht normal“ flehte sie und das erste Mal im Leben bekam sie Angst vor ihrem Opfer. „Lass mich runter, du Freak. Du bist doch kein Mensch.“ Das tat ihm weh, aber er konnte es nicht ändern. Mit einem spitzen Schrei eines verletzten Drachen schmiss er sie meterweit gegen die Haustür und konnte trotz seine wachsenden Zornes die eisigen Tränen nicht zurückhalten. „Du hast mich das letzte Mal enttäuscht!“ schimpfte er verzweifelt. „Hau ab und lass dich nie wieder sehen! Ich will nie wieder was mit dir zu tun haben! Du bist ein schlechter Mensch! Du gehörst nicht in meine Familie! Ich hasse dich!“ „Seto, es ist gut jetzt.“ Mokuba trat an seine Seite und hielt ihn an Arm fest, bevor er noch irgendwelche weiteren Spirenzchen veranstaltete. Das ging jetzt selbst dem wirklich mutterhassenden Sohn zu weit. „Mein Mann ist ein Stimmkünstler und manchmal geht es mit ihm durch“ versuchte Yugi zu erklären, während er dem weinenden Tato das Köpfchen versteckte. „Aber Sie sollten jetzt wirklich gehen. Ich glaube, es war genug für heute.“ „Natürlich“ nickte der Doktor. So einen Ton hatte er noch nie gehört. Weder aus einer menschlichen Kehle noch aus der eines Tieres. Er war zwar erstaunt, aber er zwang sich, zum Tagesgeschäft überzugehen. Seto war nicht sein Patient - um den kümmerte sich ein Kollege bereits. „Bitte entschuldigen Sie, Mr. Muto. Das habe ich nicht kommen sehen.“ „Schon gut. Gehen Sie jetzt.“ Es war nicht seine Schuld. So eine heftige Reaktion hatte niemand absehen können. Aber ob nun Schuld oder Unschuld, sie sollten die Sache jetzt beenden. „Kommen Sie. Wir gehen.“ Der Doktor nahm auch den noch immer erschrockenen Wachmann am Arm und schob ihn mit sich zur Tür, wo beide der erschrocken atmenden Frau auf die Beine holfen und selbst die große Tür öffneten. „DAS WIRD DIR NOCH LEID TUN, DU TIER!!!“ schrie sie ihrem Sohn noch hinterher. „ICH VERFLUCHE DICH! DICH UND DEINE VERKOMMENE BRUT! DU FICKST DEINEN COUSIN, DU INZESTSCHWEIN! DU MIESER ...!!!“ Mokuba spürte wie Seto selbst nach Schließen der Tür noch am ganzen Leibe zitterte. In ihm mussten sich in diesem Augenblick millionen von Gefühlen mischen. Der Traum, dass man seiner Mutter noch helfen konnte, der Traum, dass es noch irgendeinen Weg gab, ihr Herz zu erwärmen, dieser Traum war jetzt für ihn gestorben. Er trug ihn vielleicht noch in sich, aber er wusste nun ganz sicher, dass anderes wichtiger für ihn war. Nämlich das Wohl seiner eigenen Familie. Und das durfte er sich von niemandem nehmen lassen. Ihn durfte sie vielleicht ungestraft schlagen und beschimpfen - nicht aber seine Kinder. „Das war’s. Jetzt hab ich’s gesagt“ weinte Seto und ließ seine Knie einknicken, womit er in dem weichen Sand sitzen blieb. „Ich hab ihr gesagt, ich will sie nicht mehr. Ich hab meine Stimme gezeigt ... jetzt wird sie niemals wieder zurückkommen. Ich hab keine Mama mehr ... sie hasst mich ... ich hab keine Mama mehr ...“ „Die hatten wir noch nie, Seto“ meinte Mokuba als auch schon Yugi neben ihm war und nicht nur den kleinen, sondern auch den großen Drachen in die Arme nahm. „Liebling, nicht weinen“ versuchte er den zu beruhigen. „Ist doch alles okay. Nicht weinen. Beruhige dich.“ „Yugi?“ Tea stellte sich neben ihn und legte ihre Hände an Tato. Er brauchte ihn nur loslassen, wenn er lieber Seto trösten wollte. Aber da tauchte eben der große Tato hinter ihr auf, nahm ganz selbstständig sein kleineres Windel-Ich auf den Arm und schuckelte ihn mit einem beruhigenden „Schschsch“ hin und her. Er war ja nun mal noch ein Baby. „Hat die Frau dir wehgetan, Großer? Nicht weinen.“ Der Kleine nickte und schluchzte leise. Aber er drückte seine kleine Nase an die große, starke Brust und krallte sich fest. „Wo denn?“ fragte er mitleidig. „Am Bauch?“ Wieder nickte der Mini und schniefte tief. Es war wohl nicht nur der schmerzende Tritt, sondern auch der Schrecken darüber, dass fremde Menschen so böse Sachen tun konnten. Er hatte noch nie schlechte Erfahrungen mit Fremden gemacht. „Tato? Wie soll das weitergehen?“ fragte Seto mit so deutlicher Verzweiflung im Ton und sah ihn verzagt an. „Du hast gesagt, ich hab die richtige Entscheidung getroffen. War’s das jetzt? War das alles, was mich noch mit ihr verbindet?“ „So weit ich es weiß“ antwortete er ruhig. „Ich hab sie niemals wiedergesehen. Ich weiß nur noch, dass wir den ganzen Abend zusammen Gundam Wing geguckt und Schokolade gegessen haben.“ „Sogolade“ schnupfte der kleine und hob sein rot geweintes Gesicht und sah seine Drachenmama mit so einem tieftraurigen Blick an. „Mama, Soki. Wowa gucke …“ „Schschschoki“ berichtigte der Große. „Schschschoki“ gab er sich Mühe und streckte seine kleinen Arme aus. „Nene holn und essen. Mama, bitte. Ja? Und Wowa gucke ...“ „Na gut. Schoki essen und Trowa gucken.“ Wenn er so sehnsüchtig fragte. Mama stand ihm zuliebe auf, wischte sich die salzigen Tränen fort und drückte dann seinen Sohn an sich. Jetzt war er selber Vater und er würde nicht dieselben Fehler machen. Er wusste, wie man seine Kinder liebte. Und er würde die Welt zu einem besseren Ort machen, ein Leben leben, welches ihn und seine Familie glücklich machte. Er konnte seinen Kindern all das geben, was ihm selbst fehlte. „Komm, Tatolino. Wollen wir Nini holen und uns vor die Glotze setzen?“ „Ja“ nickte er und streckte sich, um Yugis Ärmel zu fassen zu kriegen. „Tusseln, Papa. Gib’s ein Gnuuts? Is wein nis.“ „Nein, du weinst nicht. Du bist ein großer Junge“ lächelte Yugi und gab dem kleinen, liebesbedürftigen Drachen einen liebevollen Knutschi. „Ich hab dich lieb, Tato.“ „Is dis au, Papa.“ „Möchtest du mit?“ fragte Seto als sie aufbrachen, um Nini bei Onkel Noah abzuholen. Vielleicht wollte Mokuba auch ein wenig Nähe zu seinem großen Bruder. Er gehörte doch zu ihm und das Verhalten seiner Mutter musste auch ihn bewegen. Wieder ging es nur um Seto ... „Nein, geht ihr nur“ lächelte er traurig und steuerte selbst die Treppe an. „Ich werde gleich erst mal Mokeph ärgern. Oder Yami ...“ „Na gut.“ Wahrscheinlich wollte er nur gerade über etwas anderes sprechen. Heute mussten sie sich erst mal erholen, um dann morgen hoffentlich so tun zu können, als sei all das nie geschehen. Auch wenn es schwierig werden würde. „War es das jetzt wirklich?“ fragte Nika, als sie sich mit Feli auf dem Arm neben Tato stellte. „Werden die beiden ihre Mama wirklich nie wiedersehen?“ „Mir hat meine Großmutter nie gefehlt“ sprach er ehrlich und streichelte sanft über Felis Wange, weil die ihn so scheu anblickte. „Wir Kinder hatten immer liebevolle Eltern. Oder Feli? Hast du Mama lieb?“ „Feli ...“ antwortete sie leise. „Babbi hause?“ „Ja, Papi kommt ja bald nach Hause“ seufzte Nika. War wohl nicht das erste Mal, dass sie heute nach ihm fragte. „Feli Babbi hause?“ „Ja, Schatz.” „Babbi hause?” „Jaha, bahald“ schuckelte sie die Kleine. „Papi kommt ja bald nach Hause.“ Aber sie freute sich. Nach Tagen endlich blühte Feli auf. Obwohl alles um sie herum wild und chaotisch war, begann sie plötzlich schüchtern wieder zu sprechen und nach ihrem Papi zu fragen. Auch wenn es auf der einen Seite Dunkelheit gab, tat sich woanders gerade wieder ein kleines Lichtlein auf. „Wir waren immer glücklich“ versprach Tato auch als Tea einen besorgten Blick auf die Tür warf, zu der Seto und Yugi eben hinaus verschwunden waren. „Ihr werdet sehen. Morgen ist alles wieder im normalen Chaos. Ich glaube, heute war der Tag, an dem Mama mit seiner Mutter abgeschlossen hatte.“ Chapter 15 „Was wollt ihr denn schon wieder hier? Habt ihr keine eigenen Küchen?“ Seto war echt angefressen, als er mittags aufstand und die versammelte Mannschaft in seiner Küche antraf. Gestern wurde er von Yugi mitten in der Nacht vom Schreibtisch ins Bett geschleift und heute Morgen von einem kreischenden Kater geweckt, der sich wohl in sein Schlafzimmer verlaufen hatte und von einer ebenso kreischenden Falkendame verjagt werden sollte - was durch verschlossene Türen aber schlecht zu machen war. Und nach dem Trennen dieser beiden Streithähne wollte er nur in Ruhe einen Kaffee und die Morgenzeitung und was bekam stattdessen? Einen ganzen Haufen Leute, die ausgerechnet bei ihm saßen und auch noch den Brötchenkorb so gut wie geleert hatten. Und das auf einem Freitag!!! „Schon, aber bei dir ist schöner, Drache“ grinste Joey ihn frech an. „Was machst du überhaupt hier?“ nöhlte er mit Blick auf die Uhr. „Hast du nicht Meeting immer um zehn Uhr? Es ist jetzt halb zwölf, du Idiot!“ „Weiß ich. Aber ich werde woanders dringender gebraucht.“ „Narla hat Projekttag und die Kleine schnupft ein bisschen“ erklärte Noah, der sich gemeinerweise auch noch die Morgenzeitung unter den Nagel gerissen hatte. Und den anderen Teil hatte Tato in der Hand und war mit seiner Nase im Lokalteil versunken. Für Seto waren also weder viele Brötchen, noch irgendwelche Zeitungsteile übrig. „Und warum lässt du sie nicht vormittags von Tea sitten wie immer? Wegen dem bisschen Schnupfen!“ meckerte Seto. Als wolle er den jungen Papa hier unbedingt rausmobben. „Weil ich nicht will, dass Theresa sich bei Joey ansteckt“ meckerte er zurück. „Mann, komm mal runter. Ich arbeite von Zuhause heute.“ „Und du?“ stürzte er sich auf Noah. „Warum bist du nicht arbeiten?“ „Ebenfalls Haustag“ antwortete er schlicht. Einen flexiblen Tag in der Woche arbeitete er von Zuhause aus, um Mokuba zu besänftigen. Und dieser Tag war dann wohl heute. „Warum bist du nicht in der Uni?“ schimpfte er dann mit Mokuba. „Der Professor hat Schnupfen und ich hab keine Vorlesung“ guckte er ihn mit großen Augen an. „Seto, ich bin erwachsen. Ich schwänze schon nicht. Ein bisschen mehr Vertrauen, bitte.“ Er holte gerade Luft und sah Tristan an, aber der sagte nur schnell „Feli!“ und war fein raus. Und als er daraufhin Nika andonnern wollte, hob die auch nur schnell die Hände und rief „Ebenfalls!“ und zeigte demonstrativ auf das Kind auf Tristans Schoß. „Babbi ...“ Und Feli war auch der Meinung, dass Papi sie mal schön weiter kuscheln sollte. Also drehte er sich zu Yami und holte noch mal Luft, aber „Isch abe gar keine Küsche“ schmunzelte er. „Zum Glück klappt’s mit dem Nachbarn.“ Gut, das musste er gelten lassen. Das stimmte. Yami hatte keine Küche - aus gutem Grunde. „Okay, du gehörst ja hier hin. Auch wenn du zu viel Werbung siehst. Du musst ja leider hier sein“ winkte er dann gütig ab. „Aber DU nicht“ zeigte er auf Tea. „Warum sitzt du hier rum?“ Doch sie machte einfach nur große Augen und sah ihn fragend an. Als wolle sie sagen ‚Ist noch alles heile bei dir?’ Sie hatte ja zwei Kinder zu betreuen und war zentrale Anlaufstelle für sämtliche Babysitteraufgaben. Vormittags passte sie sogar zusätzlich auf Klein-Joey auf, wenn Narla mindestens von neun bis zwölf Uhr in der Schule sitzen musste, bevor sie den Rest Zuhause erarbeiten durfte. Und eigentlich saß sie ständig in Setos und Yugis Küche. „Ja, sorry“ grummelte er tief. Dass er da die Falsche anging, merkte er gerade noch. „Und uns musst du leider auch ne Weile aushalten“ lächelte Balthasar. „Wir haben auch keine eigene Küche.“ „Maaaaann“ heulte er und sank ein paar Zentimeter in sich zusammen. „Müsst ihr immer ausgerechnet hier rumhängen? Habt ihr nix anderes zu tun?“ Ein allgemeines Schmunzeln ging durch die Reihen. Der arme Seto. „Liebling!“ Yugi winkte ihm mit einer unteren Brötchenhälfte liebevoll zu. „Nutellabrot mit Liebesherzchen drauf? Eines ist noch da!“ „Du willst mich erpressen“ warf er ihm mit dunklem Grollen zu. „Stimmt“ schmunzelte er fröhlich. „Und? Klappt’s?“ „Jaaaaa ...“ grummelte er tief, senkte den Kopf und umrundete den Tisch, wo er sich dann mit einem Plumpsen auf seinen Stuhl fallen ließ. Gegen Yugis Argumente kam er nicht an. Und gegen die Übermacht an Leuten hier wohl auch nicht. Wirklich niemand nahm hier auf ihn Rücksicht! Kindergarten, echt!!! „Teto is da?“ Zwischen seinen Beinen tauchte ein kleiner Kopf mit brünetten Zöpfchen auf und große, schwarze Augen leuchteten ihn an. „Risa ist da?“ lächelte er zurück nach unten. „Guten Morgen, Mäuschen.“ „Mein Teto!“ Sie streckte ihre Arme hinauf und wurde auch sofort auf den Schoß genommen. Ja, sie würde der Drache sicher niemals mit einem Platzverweis bedrohen. „Und Feli?“ fragte er und blickte sie über den Tisch hinweg zu Tristan an. „Wo ist meine Feli? Hm? Wo ist Feli?“ Aber die reagierte nicht wirklich. Sie schaute gerade Papas Hände an, die ihre Knie streichelten. Sie war noch immer etwas in sich gekehrt, etwas geschockt. Es brauchte noch eine Weile bis sie wieder die Alte war und unter dem Tisch darauf lauerte anderen Leuten die Puschen auszuziehen und ihren Namen zu hören. Es reichte schon, dass sie ab und zu mal fragte, wo Mama und Papi waren. Unter den Tisch traute sie sich noch nicht wieder. Das war noch zu weit weg. „Flitzetässchen ... hey, Prinzessin“ sprach Tristan sie leise an. Sie hob auch ihren Blick und sah fragend zu ihm auf. „Seto hat dich gerufen“ lächelte er und zeigte mit dem Finger auf den. „Schau doch mal, wer da ist. Seto ist da.“ Aber sie guckte ihn nur weiter an. Er zeigte noch mal auf Seto, aber weiter als bis zu seiner Hand kam ihr Blick nicht. Für äußerliche Reize war sie noch nicht wirklich empfänglich und verstand nicht, was Papi da tat. „Babbi?“ Sie streckte ihre beiden Hände nach seinem ausgestreckten Finger aus und war beruhigt, als sie seine Hand wieder zurück hatte, um sie weiter anzusehen und zu betasten. Und Papi und Mama seufzten nur. Sie brauchte jetzt wirklich Zeit, um sich an alles Gelernte wieder zu erinnern. „Ach, Feli“ sah Seto sie traurig an. „Das wird schon werden, Schätzchen.“ „Teto?“ Aber Risa war da und schaute fragend an ihm hinauf. Warum sah er denn so traurig aus? „Ach, Risa. Du bist auch mein Schätzchen“ lächelte er und drückte sie an sich. „Seto hat dich lieb.“ „Mein Teto ...“ Und sie liebte es, bei ihm zu kuscheln. „Genieße es, solange es dauert, Große“ riet Papa Mokeph. „Wenn Nini und Tato aus dem Kindergarten zurück sind, musst du ihn wieder teilen.“ „Hääääääh?“ Sie sah auf und mit riesigen Babyaugen zu ihm rüber. „Wer hat ihr denn dieses Häh beigebracht?“ guckte Seto geschockt. „Wir versuchen die ganze Zeit, Tato das abzugewöhnen. Risa, das heißt wie bitte. Wer dreht dir solche Worte an, Prinzessin?“ „Na, wer wohl?“ verdrehte Tea die Augen und nickte auf Yami, der irgendwie gerade versuchte, unter Noahs Zeitung zu krabbeln und dort nur mit einem Klaps von Mokuba vertrieben wurde, der zufällig noch immer dazwischen saß und sich nicht wegdrängeln ließ. „Das verwächst sich wieder, wenn sie andere Worte lernt, Schatz“ tröstete Mokeph seine Frau und versuchte so wohl auch seinem Pharao ein bisschen Rückendeckung zu geben. „Genau! Sag es ihr, Giftzwerg!“ grinste Yami. „Trotzdem, Yami“ grummelte Seto. „Bring ihr lieber was Anständiges bei. Ewig lernen die Kinder von dir nur Quatsch. Nur deinetwegen, sagt Tato jetzt immer vor jedem Saft ‚Gut Schluck’.“ „Nein, er sagt ‚Duut Sluck!’“ lachte er. „Das verwächst sich alles wieder“ versicherte Mokeph überzeugt. „Guck ihn dir doch an, deinen Tato“ nickte er auf den Großen, der jetzt zum ersten Mal von seinem Teil der Zeitung aufsah. „Er trinkt schon den ganzen Morgen Kaffee und hat noch nicht ein Mal ‚Gut Schluck’ gesagt. Und genauso wird Risa später nicht ständig ‚Häh’ sagen. Klein Tato sagt ja immerhin schon ‚Häh, das heißt wie bitte, Tato’“ „Das stimmt aber nicht“ antwortete Tato mit einem kühlen Lächeln. „Sie hat ständig ‚Häh’ gesagt und alle Leute damit wahnsinnig gemacht. Es war ihr Markenzeichen. Anstatt ‚wie bitte’ oder ‚was’ hat sie immer nur ‚häh’ gesagt. Häh hier, Häh da, Häh überall. Ihr hättet sie mal hören sollen, wenn sie telefonierte. Man konnte Strichlisten machen, wie oft sie Häh sagte. Sie hat mal einen Sprachkurs gemacht, um sich das abzugewöhnen, aber es hat nichts gebracht. Immer und ständig hieß es: HÄÄÄH?“ „Hääääh?“ kam es passend dazu aus der hellen Mädchenkehle. „Siehst du? Also bring den Kindern keinen Mist bei. Du schädigst sie ja für ihr ganzes Leben“ drohte Seto ein Mal quer über den Tisch. „Reg dich nicht so auf, Liebling“ beruhigte Yugi und legte ihm sein fertiges Brötchen mit Zuckerherz auf den Teller. „Tato, darf ich dich was fragen?“ lächelte Tea ihn liebevoll an. „Ist die Zukunft denn so geblieben, dass du mit Risa zusammengekommen bist?“ „Warum?“ Sein Lächeln schwand langsam und seine Augen verloren ihr kurzes Aufleuchten. Als würde jemand das Licht abstellen. „Weil ...“ Das merkte sie sofort und fühlte sich schuldig, dass sie da wohl einen scheinbar wunden Punkt getroffen hatte. Aber jetzt kam sie da auch nicht elegant von zurück. „Weil du ... der Ring an deinem Finger. Ist das Ehering oder nur Schmuck? Ich meine ... damals in der Zukunft ...“ Sie wusste nicht, wie sie das noch anders formulieren sollte. Und dass die drei Jüngeren ihn so vorsichtig ansahen, als fragten sie sich, was er antworten würde ... irgendwie war es unangenehm. „Es ist dabei geblieben. Wir haben geheiratet“ antwortete er dann und blickte wehmütig auf seinen silbernen Ring herab. „Wir waren sehr verliebt. Sehr glücklich. Wir hatten das größte Glück, das Menschen nur haben können.“ „Ihr hattet?“ fragte Yugi vorsichtig weiter. Ganz ruhig. „Was ist denn heute? Liebt ihr euch nicht mehr?“ „Doch“ flüsterte er und senkte seinen Kopf so tief, dass man seine Augen nicht mehr sah. „Risa ist vor zehn Jahren gestorben. Zusammen mit unserem Sohn.“ Und fast unhörbar leise gehaucht, erklärte er: „Ich konnte sie nicht beschützen.“ Im ersten Moment herrschte nur erschrockenes Schweigen im Raum. Nicht mal ein Schlucken kam jemandem in den Sinn. Risa war tot? Das kleine Mädchen auf Setos Schoß sollte sterben? Und er? Trug Tato deshalb nur schwarz? Weil er um sie trauerte? Seit zehn Jahren? Und sie hatten einen gemeinsamen Sohn? Beide waren gestorben und er ... er war Witwer? Und anscheinend fühlte er noch immer den Schmerz ihres Verlustes. Er hatte Frau und Kind verloren. Deshalb wollte er nicht über sein eigenes Leben sprechen. Weil es ihm wehtat. Deshalb hatte sein Blick das Leuchten verloren. „Ihr hattet einen Sohn?“ brach Yugi sanft das Schweigen und reichte ihm die Hand herüber, legte sie auf seine totenstillen Hände. „Ja“ flüsterte er leise. „Tadashi Salomon. Er war sechs Jahre alt, als er ...“ „Als er was?“ Yugi versuchte, ihn anzusehen, aber er hielt den Kopf gesenkt. Er wollte nicht, dass man die Trauer in seinen Augen las und so tat er lieber, als würde er noch in die Zeitung sehen. „Tato, möchtest du darüber sprechen? Du musst nicht, Großer.“ Er atmete leise und hob dann doch seinen Kopf. Mit dem kleinen Finger wischte er sich eine entfleuchte Träne aus dem Auge, bevor sie noch ganz kullern konnte. Vielleicht hatte Yugis Stimme ihn beruhigt. Wenn er heulend rausgerannt wäre, hätte sich vielleicht niemand gewundert. Aber er stand zu seinem Wort, stand zu dem, was er sagte. Und er hätte es nicht gesagt, wenn er es nicht gewollt hätte. „Nein. Entschuldige“ versuchte er und setzte ein tapferes Lächeln auf. „Ich muss nur immer weinen.“ „Du musst dich nicht entschuldigen“ tröstete er und sah ihn aufbauend an. „Wir sprechen jetzt auch nicht weiter darüber. Okay?“ Nicht zu viel auf ein Mal. Tato war vielleicht seelisch stärker als Seto, aber überreizen sollte man ihn nicht. Wenn man ihn jetzt mit Fragen löcherte, würde er sich zurückziehen und gar nichts mehr sagen. So groß und grollend wie Drachen auch waren, in manchen Situationen waren sie nur allzu leicht zu verschrecken. Er würde mehr erzählen, wenn er bereit dazu war. Von Seto kam ein stoßweises Atmen und Tato sah ihn fragend an. „Mama!“ lächelte er ungläubig. „Nicht du auch noch heulen.“ „Tut mir leid.“ Er setzte ein Lächeln auf, welches dem von Tato haargenau glich. Dasselbe, traurige, aber kämpfende Lächeln. Er drückte die kleine Risa an sich und küsste sie auf den kleinen Kopf. Seine zukünftige Schwiegertochter. Die Mutter seines Enkels. „Aber die Zukunft muss nicht so sein“ beschloss Tea mit fester Stimme. Mit der Entschlossenheit einer Mutter. „Ihr seid doch hier, damit wir sie ändern können. Es muss nicht geschehen, dass sie ...“ „Eben, wir können die Zukunft ändern“ schloss sich auch Sharesa an. „Mama hat Recht. Wir haben die Macht, etwas zu ändern und das Recht dazu.“ „Genau.“ Ganz vorsichtig legte Phoenix seine Hand an Tatos Arm und blickte ihn mit seinen weichen, grauen Augen an. „Es ist nicht deine Schuld, Dicker. Sie wird weiterleben. Und Dashi auch. Ganz sicher. Und du musst dann nicht mehr weinen.“ „Und Seto dann auch nicht mehr“ versuchte Yami die angespannte Stimmung ein wenig aufzuhellen. „Aber Seto heult ja sowieso wegen jedem Kleinkram. Mit dem kann man echt keinen Film gucken!“ „Du hast aber auch geheult am Schluss neulich!“ meckerte er schniefend zurück. „Aber ich hab nach ner Minute wieder aufgehört. Du hast ja sogar mit Stimme geheult! Wusstet ihr eigentlich, dass es Männer gibt, die nach dem Orgasmus anfangen zu weinen?“ „DAZU GEHÖRE ICH ABER NICHT!“ „Stimmt“ schmunzelte Yami lustig. „Das kann ich bezeugen.“ „Dafür schläfst du immer schnell ein, Liebling.“ „YUGI!!!“ Waren denn hier alle gegen ihn? Aber wenigstens musste auch Tato erheitert aufseufzen, während andere schon wieder lachten. Yami war einfach Meister darin, Fröhlichkeit zu verbreiten. Und wenn Yugi auch noch mitzog, waren die Pharaonen nicht mehr zu stoppen. Sie trugen immerhin Rahs Licht in sich und wollten der Dunkelheit niemals die Übermacht lassen. Und ein wenig von dem Dunkel ablenken, welches über ihnen hing und sich gelegentlich herabsenkte. Aber durch den Lärm wachte dann die kleine Joey auf und plärrte los wie eine Sirene. Sie war eh schon verschnupft und dass es jetzt so laut war, passte der Dame gar nicht. „Oooooch, mein Krümelchen“ lächelte Joey und ging an den Rand, wo sie in ihrem rosa Stubenwagen lag. Er nahm sie heraus und mit ein bisschen Schuckeln und Küssen wurde sie auch schnell wieder leise. Bei ihrem Papa war es doch am Schönsten. „Was wird denn eigentlich aus meiner Tochter?“ wollte er von den anderen wissen, während er ihr schon seine ersten Haare aus den kleinen Greifern fummelte. „Sie wird bestimmt mal Modell oder Superwoman.“ „Nicht ganz“ schmunzelte Balthasar. „Sie wird Straßenkünstlerin.“ „Wie?“ staunte er und sah seine verschnupfte Maus an. „Du wirst mal eine berühmte Künstlerin, Krümel.“ „Nein, nicht ganz“ musste Balthasar berichtigen. „Sie arbeitet in einem Hilfsprojekt, wo sie dem Ordnungsdienst der Stadt helfen. Und was sie dadurch einnehmen, dürfen sie behalten.“ „Oh, sie ist sozial engagiert“ freute er sich und setzte sich stolz mit der Kleinen auf den Stuhl. „Hast du gehört, Krümel? Du arbeitest in einem Hilfsprojekt. Du tust einen Dienst an der Menschheit.“ „Ähm ... nicht so wie du jetzt glaubst“ musste Sharesa vorsichtig einwenden. „Sie arbeitet als Teilnehmer des Hilfsprojektes. Es ist ein Projekt für ... für geistig behinderte Menschen.“ „Für ...?“ Das schockte ihn doch im ersten Moment. Keine große Künstlerin mit sozialem Hintergrund, sondern eine Behinderte? Er blickte herunter auf das blonde Bündel in seinen Armen, welches ihn mit ihren zwei verschiedenfarbigen Augen und dem süßen Silberblick groß anschielte. „Sie ist ...? Meine Kleine?“ „Das hattet ihr doch schon vermutet“ versuchte Noah ein bisschen zu trösten. „Sie ist doch so früh geboren und durch den Sauerstoffmangel ... daran liegt es doch, oder?“ „Ja, ein Geburtsfehler“ nickte Balthasar. „Aber nicht soooo schlimm, dass sie nichts mehr rallt. Sie ist nur ein bisschen langsamer als andere und etwas verplant. Aber sie sitzt jetzt nicht sabbernd in einer Ecke. Sie hat ganz eigene Talente. Sie kann kaum lesen oder rechnen, aber sie hat ein sehr gutes Auge für Größen und deren Symmetrie, obwohl sie nicht mal zusammenhängende Sätze schreiben kann. Die Ärzte meinten, es sei ein leichter Autismus.“ „Sie ist ein ganz toller Mensch“ erklärte Tato. „Sie hat Spaß, sie hat Freunde und einen Job. Und sie macht ihren Job wirklich gut. Sie nimmt sich diese fahrbaren Geräte für die Straßenmarkierungen und hat Freude daran, die Farbe zentimetergenau aufzutragen. Besonders die Doppelstreifen oder die Abbiegerpfeile haben es ihr angetan. Sie liebt die Genauigkeit und die ewigen Wiederholungen und sie ist kein bisschen traurig dabei. Eher im Gegenteil. Wenn wir irgendwo langfahren, dann zeigt sie stolz, dass sie diese oder jene Zeichen auf die Straße gemalt hat. Deswegen sagen wir, sie ist eine Straßenkünstlerin. Und das macht sie mit viel Spaß bei Wind und Wetter. Es gibt kaum jemanden, der so fröhlich bei der Arbeit ist. Sie ist ein ganz tolles Mädchen.“ „Asato liebt sein Püdelchen“ schmunzelte Balthasar. „Ständig werden sie für ein Paar gehalten. Sie darf bei ihm echt alles. Die einzige Frau, die unvertrieben sein Bett teilen darf.“ „Du nennst sie Püdelchen?“ schmunzelte Joey. Zwar war das natürlich ein Schock, wenn man hörte, dass die eigene Tochter in einem Hilfsprojekt die Streifen auf die Straße malte. Aber es tröstete ihn, dass ihr das anscheinend viel Spaß bereitete und vor allem, dass sie Tato offensichtlich so nahe stand. „Nicht alles darf sie“ berichtigte Tato pikiert. „Eigentlich darf sie gar nichts.“ „Leidest du jetzt schon an Altersdemenz?“ lachte Balthasar. „Neulich hat sie dir Löckchen gemacht.“ „ALS ICH GESCHLAFEN HAB!“ „Das sah sooooo süß aus“ nahm er ihn weiter auf die Schippe. „Habt ihr schon mal einen Vierzigjährigen mit kleinen Löckchen ge ...?“ „ICH BIN 39! WANN KAPIERST DU ES ENDLICH?! 39!“ „Mach dir nichts draus“ lachte er. „Wir werden alle nicht jünger.“ „Und wenn du so weitermachst, wirst du nicht alt, Herr Pasrahcal-Taylor“ raunte er ihm dunkel zu. „Wenn du dein großes Ziel erreichst, wirklich nicht“ schmunzelte der. „Dein großes Ziel?“ fragte Phoenix erstaunt zu Tato hoch. „Davon hast du gar nichts erzählt, Asato. Du hast ein großes Ziel?“ „Ja! Und was für eines!“ prustete Balthasar. „Den Jungbrunnen finden.“ Einige lachten über den schlechten Witz, andere über Tatos Reaktion. Die bestand nämlich darin, dass man ihn fest schlucken hörte und sein Kopf hochrot wurde. Er hatte genau zwei Möglichkeiten. Schweigen oder ... etwas, was sehr schmerzhaft für einen von beiden werden würde. „Meine Güte, man hört euch ja über den ganzen Flur!“ lachte Narla, die eben reinkam und ihre Schultasche neben die Tür stellte. „Oh Gott!“ schmachtete Joey sie leuchtend an. Sah so aus, als würde er gleich zu sabbern anfangen. „Was?“ guckte sie verwirrt und ging keinen Schritt weiter. Was war denn mit dem los so plötzlich? „Oh je“ lächelte er sie an. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich es liebe, wenn du diesen Rock anhast?“ „Doch nur, weil der ne Nummer zu klein ist“ raunte sie und gab ihm erst mal ein Begrüßungsküsschen, bevor sie sich zu Klein-Joey wand. „Über Mamas Hose hat der Papa nämlich heute Morgen Saft gegossen. Der Blödel.“ Das interessierte die Kleine aber herzlich wenig. In dieser gebeugten Position griff sie lieber an Narlas Busen und spuckte ihren Schnuller aus. Wurde auch Zeit, dass Mama kam. Immerhin schob man hier Zuhause Kohldampf! „Das musst du von deinem Vater haben“ seufzte sie und nahm das Schätzchen auf den Arm. Und die ließ auch nicht von dieser einen Stelle ab. Hunger, bitte! „Woher willst du denn wissen, wie ich als Baby war?“ Ein lautes „Ach, Joey!“ ging durch den Raum und die einen klatschten sich an den Kopf, die anderen brachen über dem Tisch zusammen. Der rallte auch echt gar nichts. „Was denn?“ „Willst du gar nicht wissen, warum ich so früh Zuhause bin?“ fragte sie, hatte schon ihre Bluse geöffnet und das Baby an sich kleben, bevor sie sich überhaupt setzen konnte. „Oh, sorry“ fiel ihr da noch ein. „Isst noch wer?“ „Stört mich nicht“ nuschelte Seto mit einem Bissen im Hals. Eigentlich wurde nicht gestillt, wenn andere noch beim Essen waren. Aber Seto verdarb das eigentlich nicht den Appetit. Da wären andere Sachen ekliger ... aber er gab sich schon Mühe, nicht auf Yamis Teller zu sehen. Wo das Nutella herkam, wusste er ... jedoch die Herkunft der Heringe konnte er sich nicht spontan erklären. „Doch. Sag mal, Schatz“ meinte Joey und zog ihr mit dem Fuß einen Stuhl heran, damit sie sich auch neben ihn setzen konnte. „Na, dann denk mal scharf nach, Mister“ funkelte sie zurück. „Weil ...“ Und ihm wurde von diesem feurigen Funkeln ganz mulmig um den Magen herum. „Weil du mich liebst und mich vermisst hast?“ „Nope“ erwiderte sie und sah ihn weiter dunkel an. „Hast du daran gedacht, das Paket mit dem Mobile abzuholen?“ „Ähm ... jaaaaa“ log er. „Aber das ... ähm ...“ „Die haben mich nämlich auf dem Handy angerufen“ erzählte sie den anderen. „Und damit sie es nicht wieder zurückschicken, musste ich es selbst abholen. Was für ein Glück, dass ich nach der Stunde noch rechtzeitig die Bahn bekommen hab.“ „Aber die Kleine hat doch Schnupfen“ bat er um Vergebung. „Da muss ich sie doch nicht unbedingt mit in die Kälte schleifen.“ „Und deswegen MEIN Mobile zurückgehen lassen?“ raunte sie und irgendwie hörte sie sich doch ein bisschen an wie Seth, wenn der beleidigt war. „Das war das Letzte. Weißt du eigentlich, wie viel ich bei Ebay bezahlen musste, um das noch zu kriegen?“ „Ja, weiß ich“ lächelte er. „Ich hab’s ja schließlich bezahlt.“ „Soll das eine Anspielung sein, Joseph Jay?“ Konnte eine stillende Mutter ernsthaft so böse gucken? „Wenn du mir schon ein Baby machst, kannst du mir ruhig mal was Schönes kaufen und das dann auch von der Post abholen.“ „Du hättest es auch neu zustellen lassen können.“ „Muss ich denn alles selbst machen? Schule, Baby UND einkaufen, während der Herr seinen freien Tag genießt?“ Und beleidigt setzte sie sich dann auch endlich auf ihren Stuhl. „Vergebung, Meisterin“ heulte er und schmiegte seinen Kopf an ihren Arm. „Es wird nie wieder vorkommen.“ „Das hoffe ich doch“ murmelte sie und schubste ihn spielerisch weg. „Zur Entschuldigung könntest du mich wenigstens mal küssen.“ „Ich mache sogar noch viel mehr für dich, oh Herrin“ schmunzelte er und drückte ihr einen Kuss auf. Und noch einen. Und beim dritten waren sie dann auch untrennbar versöhnt. „Hast du das Paket denn jetzt abgeholt?“ wollte Yami dann trotzdem noch wissen. „Natürlich. Selbst ist die Frau“ meinte Narla, als sie Joey wieder aus seiner Buße entließ. „Außerdem war das Projekt eh langweilig.“ „Pflanzenkunde ist doch nicht langweilig“ verbat Noah sich diesen Kommentar und blickte von seiner Zeitung auf. „Ich wünschte, ich hätte das damals in der Schule als Projekt gehabt.“ „Ich wäre lieber zur Sport-AG gegangen“ war ihre Meinung. „Die haben Basketball gespielt.“ „Aber du darfst noch nicht wieder so viel Sport machen“ ermahnte Joey. „Das wäre kein wirklicher Sport gewesen, oder?“ lachte Sharesa. „Narla ist doch so groß, die braucht nicht mal springen, um den Korb zu erreichen.“ „Eben drum“ musste die ebenfalls lachend zustimmen. „Volleyball wäre auch noch okay gewesen.“ „Kannst ja mal mit Seto und Tato spielen“ schlug Nika vor. „Da hast du echte Gegner.“ Denn die waren mit Abstand noch größer. „Au ja! Wir machen ein Volleyball-Turnier!“ jubelte Yami. „Alle gegen alle!“ „Und Yugi passt dann auf die Kleinen auf“ lachte Joey ... aber als Einziger. Denn so lustig war das nicht, zumal Yugi einen etwas gekränkten Blick über den Tisch warf und Seto zwar zum Schimpfen angesetzt, aber einen großen Krümel aus dem Mund verloren hatte, den er erst mal aufsammeln musste, während Risa auf seinem Schoß den Finger in sein Nutellabrötchen bohrte und davon naschte. „Mach dir nichts draus, Yugi“ versuchte Phoenix mit leiser Stimme zu trösten. „Ich kann auch nicht so gut Sport machen. Wir können ja was anderes zusammen machen.“ „Ja, das machen wir.“ Yugi hätte Joey zwar lieber im Volleyball geschlagen, aber dieses vorsichtige Angebot war doch mehr wert. Auch, wenn das wohl eher nur ein Scherz mit dem Turnier war, bot der Spatz ihm doch seine Gesellschaft an. Und dass es bei ihm sonst wohl etwas dauerte bis er aus sich herauskam, ehrte Yugi damit umso mehr. Anscheinend hatte er mit dem kleinen Gespräch neulich doch ein wenig Vertrauen erreicht. „Zu was hättest du denn Lust?“ „Ich weiß nicht“ überlegte er und sah ihn scheu an. „Du kannst doch gut kochen und kennst dich mit Lebensmitteln aus, oder?“ „Ja?“ lächelte er sanft zurück. „Hast du da an was Bestimmtes gedacht?“ „Ich dachte mir ... vielleicht können wir ... wir könnten ... ach, vergiss es!“ Rückzug. Dazu hatte er keinen Mut. „Doch, sag es ihm, Spatz“ baute Balthasar ihn lieb auf. „Sag, was dein Traum ist.“ „Du hast einen Traum?“ wollte Yugi interessiert wissen. „Los, sag mal.“ „Aber nicht lachen“ bat er und sah scheu in die Runde, um sich zu versichern, dass auch bestimmt keiner lachte. „Erzähl es, Spatz“ drängelte sein Bruder. „Es ist ein schöner Traum.“ „Ich möchte mal ...“ sagte er leise. „Ich möchte mal Käsemacher werden.“ „Käsemacher?!“ Eigentlich wollte Joey sofort anfangen zu lachen, aber da er zeitgleich böse und mahnende Blicke von Seto UND Tato bekam, blieb ihm das im Halse stecken. „Das ist wirklich ein schöner Traum, Schatz“ bekräftigte Marie ihn und nickte auf seinen scheuen Blick hin. „Wirklich. Ich glaube, Käse herzustellen, ist gar nicht so einfach. Magst du denn gern Käse?“ „Ja“ erzählte er fast unhörbar. „Ich mag gern Käse. Ich möchte mal ... Ziegen und Schafe haben und aus der Milch Käse machen. Mit Bertas Milch hab ich es schon mal geschafft, aber ich muss noch üben, damit er gut wird.“ „Berta?“ fragte sie fröhlich. „Wer ist denn Berta?“ „Setos Kuh.“ „Nee, echt?“ Jetzt fiel Tristan aber gleich vom Stuhl. „Seto hat sich ne Kuh gekauft?“ „Berta ist schon die zweite“ erzählte Sharesa. „Sie ist das Kälbchen von Heidi gewesen und steht jetzt in unserem Garten.“ „Ich wollte schon immer ne Kuh haben!“ freute Seto sich und sah Yugi begeistert an. „Ich weiß“ schmunzelte der. Früher, als Seto noch klein war, hatte er häufig davon gesprochen, eine Kuh haben zu wollen. Aber er wollte ja auch eine hübsche Frau in einem tollen Kleid und ihr einen Kochtopf schenken. Doch die Kuh war damals kurz vor seiner Erkrankung noch mal aktuell geworden ... genauso wie seine Hochzeitspläne. Nur hatte er bis heute diesen Traum nicht so in die Tat umgesetzt wie den anderen. „Wollen wir nicht jetzt schon ...?“ „Nein, Seto!“ intervenierte Noah aber SOFORT! Am besten noch bevor Seto seinen Gedanken ganz zuende brachte. „Nicht solange ich meinen Rasen beschützen kann.“ „Lass dir keinen Deal mit ner Weide vorschlagen“ riet Sharesa. „Heidi hat damals immer den Zaun durchbrochen. Seto sperrt seine Kühe eher schlecht als recht ein.“ „Umso weniger kriegst du eine“ beschloss er fest. Seinen schönen, preisgekrönten Pflanzen zuliebe. „Yugi, sag ihm, dass er keine Kuh bekommt.“ „Sorry, mach das mit ihm selbst aus“ lachte der. Er würde sich Setos Träumen sicher nicht in den Weg stellen. „Wie wäre es mit einem Spiel?“ schlug Seto vor. „Wer im Volleyball gewinnt, darf ne Kuh haben.“ „Schlau, aber nicht schlau genug“ schüttelte Noah den Kopf. „Und wenn ich gewinne, kriege ich ne Kuh? Seto, ehrlich. Da müssen wir noch mal drüber sprechen. Ich bin nicht dafür, dass du ...“ Aber er stoppte. Nicht weil er nicht weiter seine Pflanzen verteidigen wollte, sondern weil er ebenso wie einige andere, Stimmen auf dem Flur hörte. „Was ist?“ fragte Mokuba, aber „Pscht“ machte Noah nur und spitzte mit den anderen zusammen seine Ohren. „Da war doch eben was oder hab ich mir das eingebildet?“ Sie warteten nur zwei Sekunden, da hörte man ein klares Lachen. „Ha, nein! Quatsch! Glaub ich nicht.“ „Wetten? Ich hab’s gesehen. In der Dose und zwar in der grünen.“ „Unsinn!“ „Doch, echt! Nando, Mann! Hast du da jemals reingeguckt? Die ist doch schon uralt.“ „Ja, aber doch nicht soooo alt.“ „Da unterhält sich jemand“ stellte Mokeph treffend fest. „Und die kommen her“ stimmte Mokuba zu. „Da laufen doch zwei Männer auf unserem Flur rum.“ „Ich glaube, die Stimmen kennen wir“ kündigte Balthasar mit einem erfreuten Lächeln an, auf welches die anderen nur ebenso schmunzelnd nickten. „Stimmt!“ Da waren sie auch schon da. Zwei Männer standen in der Tür. Der eine war etwas kleiner, hatte dunkel gebräunte Haut und schwarzes Haar. Seine Augen glänzten tiefbraun. Er war von schlanker, nicht gerade riesiger Statur und geschätzt etwa Ende 20, Anfang 30. Der andere neben ihm war ein paar Zentimeter größer und sah aus wie Joeys Doppelgänger. Nur, dass seine Nase ein Stück stupsiger war und seine Augen leicht grün. Aber selbst das strohblonde Strubbelhaar, das ungebügelte Shirt und die abgetragenen Turnschuhe waren gleich. Das könnte sein Zwilling sein. „Eure Taschen dürft ihr selbst hoch tragen.“ Hinter ihnen tauchte sogar noch ein dritter Mann auf. Der schien noch ein wenig älter als die beiden. Er war etwa so groß wie der zweite Joey, etwas größer vielleicht noch, trug langes, kohlrabenschwarzes Haar zu einem strengen Zopf gebunden, was seine katzenhaften, schwarzen Augen betonte und er war von sehr schlanker, hoher Statur. Fast ein bisschen arg schlank mit einem schmalen, blassen Gesicht. Doch diese Statur schien zu ihm zu gehören und nicht angehungert. Auch wenn ihm etwas mehr auf den Rippen sicher gut tun würde. Groß und dünn mit tiefen Augen ... obwohl er kein Schönling war, umgab ihn doch eine dunkle, geheimnisvolle Aura. Faszinierend und ein doch wenig schauderhaft. „Sag doch erst mal höflich hallo, bevor du hier rumstöhnst“ meinte der kleinere Dunkle. „Das muss ich mir nicht sagen lassen“ zeigte der geheimnisvolle Dünne auf die zwei und sah gezielt Tato an. „Wärst du so gut und bringst denen mal Respekt vor dem Alter bei?“ „Komm, so alt bist du doch auch nicht“ grummelte Tato. „Stimmt. Immerhin erst 37“ lachte Balthasar. „Dakar ist von den 40 noch weit entfernt. Was man von dir ja nicht ...“ „Und bevor die beiden sich schon wieder in die Haare kriegen, stellen wir uns kurz selbst vor, ja?“ lachte der Joey-Verschnitt die versammelte Runde an. „Jetzt erzähl mir nicht, du bist mein Yami“ guckte Joey ihn an. Woher denn sonst die Ähnlichkeit? „Höh?“ guckte der zurück. „Ähm, nee. Ich bin dein Sohn, Alter.“ „MEIN WAS?!“ Er hatte doch gerade mal eine Tochter! Ein frisches Baby. An ein zweites Kind hatte er noch lange nicht gedacht. „Das ist Jonny“ stellte Sharesa freundlich vor. „Joseph Jonathan Wheeler. Aber der Name Joey ist ja von seiner großen Schwester blockiert. Jonny eben.” „Krass! Du heißt genau wie mein Vater!“ „Ich hab mir das nicht ausgesucht“ lachte Jonny. „Ich hoffe, du freust dich, mich kennen zu lernen!“ „Ja, klar! Boah! Krass, Alter!“ Und einfach so sprang er auf, schloss seinen zukünftigen Sohn in die Arme und knuddelte ihn. Die zwei mussten jetzt wohl im gleichen Alter sein, was die Ähnlichkeit nur noch eher verblüffend werden ließ. Vom Sprachschatz mal ganz abzusehen. Hilfe, jetzt hatten sie zwei Joeys! „Guck mal, Schatz!“ strahlte er Narla an. „Wir haben plötzlich zwei Kinder.“ „Ähm ... nee“ versuchte Balthasar vorsichtig einzuwenden, bevor Narla ihm auch noch um den Hals fiel. „Jonny ist von dir und Sara.“ Während Narlas Mine versteinerte, fiel Joey alles auch dem Gesicht. Er und Sara? Aber er war doch schon seit Jahren nicht mehr mit ihr zusammen! Er liebte doch Narla! An Sara hatte er nicht mal mehr einen Gedanken vertan! Aber bei den grünen Augen hätte er eigentlich fast selbst drauf kommen müssen ... auf diese doch eher abwegig klingende Idee. „Hat eure veränderte Zukunft auch ne veränderte Vergangenheit?“ fragte Joey doch ziemlich verunsichert und ließ seinen Sohn auch vorsichtshalber aus seinem Schwitzkasten raus. „Nicht wirklich“ versuchte der behutsam zu erklären. „Du und Narla, ihr habt euch getrennt. Deshalb.“ „Aber ich bin schon ewig nicht mehr mit Sara zusammen!“ erklärte er und sah Narla mehr als flehend an. „Wirklich! Da läuft nichts.“ „Ja, jetzt noch nicht“ antwortete sie und nabelte lieber das Baby ab. Mit blanken Brüsten dem Sohn ihres Geliebten zu begegnen war doch etwas bloßstellend. „Sorry“ erbrachte Jonny mit leiserer Stimme. „Ich wollte hier jetzt nix kaputtmachen oder so.“ „Ach was, du machst nichts kaputt.“ Und Narla nahm es dann scheinbar doch ganz gefasst auf. Sie reichte ihm sogar die Hand. „Du kannst ja nichts dafür. Schon okay. Wer weiß, was die Zukunft bringt?“ „Na ja, wir zumindest wissen das“ lächelte er und nahm nicht die Hand, sondern gleich die ganze Narla, um sie zu knuddeln. Sie musste auch ein bisschen lachen als er sie so fest an sich drückte und dann dem Baby über die Nase strich. „Na, große Schwester? Was los bei dir? Schon komisch, dass du so klein bist.“ „Aaaaaaah!“ quietschte sie begeistert und schon hatte sie wundervolles, blondes Haar in den Krallen. Anscheinend verwechselte sie da ihren Bruder mit ihrem Papa. „Wie alt bist du denn jetzt?“ wollte Joey noch immer etwas blass erfahren. „27“ antwortete er fröhlich und half Narla, die kleinen Zangen zu lösen. „Soll ich dir noch erzählen, was ich so mache? Also ...“ „Bitte verschone uns“ seufzte Tato und sank sichtbar in sich zusammen. Wenn Jonny erst mal anfing zu reden ... „Hast du ihn schon wieder geärgert, Mann?“ grinste Jonny zu Balthasar rüber und konnte sich endlich wieder aufrichten, musste aber noch einen Moment das Patschehändchen seiner schielenden Schwester halten. „Ich wusste ja nicht, dass du das selbst machen willst“ scherzte der zurück. „Seid nicht immer so gemein zu Asato“ bat Phoenix mit trockenem Ernst. „Ihr wisst doch, dass er sonst brummig wird.“ „Ach, Phoenix!“ heulte Tato und sank gänzlich auf seinem Stuhl zusammen. Musste der jetzt auch noch auf ihm rumhacken? „Und ich hab dich für meinen einzigen Freund gehalten ...“ Aber bevor der seinen so niedlich verwirrten Gesichtsausdruck noch ganz abgewischt hatte, löcherte Yami schon weiter. „Und wer seid ihr?“ guckte er die beiden Schwarzhaarigen an. „Ich bin Fernando Taylor“ nickte der Kleinere von beiden. „Ich komme aus Spanien, bin 34 Jahre alt und Lehrer an einer Fremdsprachenschule.“ „Taylor? Dann gehörst du zu uns, oder?“ fragte Nika vorsichtig. „Bist du unser Sohn, oder ...?“ „Nicht direkt“ lächelte er. „Eher der Schwiegersohn. Ich bin der Ehemann von Feli.“ „Ja, dann willkommen“ lächelte Tristan sichtlich überrascht. „Schön, dich kennen zu lernen ... Schwiegersohn.“ „Ebenfalls“ lachte er und blieb aber erst mal an der Tür stehen, weil die zwei da hinten ziemlich verkeilt zwischen den anderen saßen und eine Knuddeltour ziemlich umständlich gewesen wäre. „Ich drücke euch dann später kräftig, okay?“ „Aber Moment mal“ bemerkte Mokuba. „Wenn du jetzt 34 bist und Feli ist heute fünf Jahre alt ... dann ist sie ... sieben oder acht Jahre älter als du, wenn ich jetzt richtig gerechnet habe.“ „Macht nichts“ lächelte er. „Ich mag Frauen, die älter sind als ich. Deshalb hab ich ja auch ihren Namen angenommen. Sie wollte nämlich nicht unbedingt Castraciatasso heißen.“ „Sag das noch mal!“ bat Yami mit erstaunt offenem Mund. „Castraciatasso“ lachte Fernando. „Ist ein Zungenbrecher, ich weiß.” „Für einen Spanier sprichst du aber ziemlich gut unsere Sprache. Fast ohne Akzent“ war das, was Nika bemerkte. „Wo habt ihr euch denn kennen gelernt?“ „In Spanien“ erzählte er. „Erklärt hört sich das kompliziert an, aber eigentlich ist es ganz einfach. Feli hat ja noch eine Cousine in Spanien und die hatte damals einen Freund. Und dieser Freund hatte einen Freund und von diesem Freund der kleine Bruder - das bin ich. Als Feli auf Besuch bei ihrer Tante war, habe ich sie kennen gelernt. Zuerst hat sie mich keines Blickes gewürdigt, aber ich hab mich nicht abwimmeln lassen. Ich hab angefangen, ihre Sprache zu lernen und hab dafür dann extra eine Umschulung und ein Auslandsrefendariat in Domino gemacht. Eigentlich bin ich Lehrer für Spanisch, Englisch und Latein an allgemeinbildenden Schulen. Ist ne lange Geschichte, aber letztlich hat sie mich doch endlich erhört und geheiratet, anstatt mich als Stalker zu verklagen.“ „Na“ lächelte Nika. „Hört sich ja an, als hättest du sie dir ausgesucht.“ „War ein ziemliches Stück Arbeit. Ich hab zwei Jahre an ihr rumgebaggert bis sie mit mir ausging. Aber sie ist nun mal nicht leicht zu haben“ strahlte er. „Und eigentlich will ich auch lieber wieder nach Hause. Wir haben nämlich vor drei Monaten eine kleine Tochter bekommen. Nikita Gracia Taylor.“ „Wir sind Großeltern!“ lachte Nika und sah Tristan freudestrahlend an. „Hör mal an, Opa! Nikita Gracia heißt sie!“ „Ich bin baff“ gab er zu und sah Feli stolz an, die noch immer nur mit seinen Händen beschäftigt war. „Du wirst mal eine Mama, Flitzetässchen.“ Aber sie flüsterte nur ... „Babbi“ und war ganz woanders. An Kinder konnte sie derzeit noch nicht denken. „Und du?“ wollte Noah von dem Letztverbliebenen wissen. Er schien mit 37, wie sie schon rausgefunden hatten, ebenso wie Tato wohl zu der etwas älteren Garde zu zählen, anstatt zu den jungen Wilden. „Rein rechnerisch, wenn du jetzt 37 bist, müsstest du bald gezeugt werden oder schon auf dem Weg sein.“ „Ich bin Dakar“ stellte er sich selbst mit ruhiger Stimme vor. „Ich hab den Namen Gardener angenommen.“ „Dann hast du eine meiner Töchter geheiratet?“ fragte Mokeph ins Blaue hinein. Auch wenn man schon raushörte, dass ihm was komisch vorkam. Diese schwarzen Augen ... dieser Dakar hatte kohlschwarze Augen. Auch wenn er sonst nicht so aussah wie ein Moki, hatte er schwarze Augen und eine helle, fast weiße Haut. Und dieses tiefschwarze Haar, auch wenn seines glatt war. „Nein“ antwortete er ruhig. „Tea ist meine Mama und ich liebe sie sehr. Sie hat mich adoptiert, als es mir schlecht ging. Ich habe ihr viel zu verdanken.“ „Und Mokeph?“ fragte Noah verwundert. „Hat er dich nicht adoptiert? Oder ist Tea mit jemand anderem zusammen?“ „Nein, sie ist noch immer mit Mokeph, meinem Papa, verheiratet“ nickte er. „Das ist alles eine sehr lange Geschichte. Wir können sie vielleicht später erzählen.“ „Na, dann aber auch erst mal willkommen, mein Kind“ lächelte Tea und sie brauchte nicht mal aufstehen, da beugte er sich zu ihr herab und nahm sie in den Arm. Er war zwar auch älter als sie, aber seine Umarmung sah schon so aus als würde sie ihm viel bedeuten. So voller Liebe und doch auch respektvoll. Er schien sie sehr zu schätzen. Auf Händen zu tragen fast. Mokeph wollte auch eben aufstehen und ihn persönlich begrüßen, als die Riege der Neuen offensichtlich noch nicht ausgeschöpft war. Mit einem gellenden Schrei schwirrte etwas knapp unter seiner Nase vorbei, so dicht, dass er noch den Luftzug spüren konnte. Es war blitzschnell und so laut, dass fast alle zusammenschraken. So ein spitzer Ton, dass es ein Wunder wäre, wenn kein Glas zu Bruch ginge. Ein kleiner, schneller Schatten tobte um die Lampe über dem Esstisch und landete dann mit einem lauten Flattern auf Tatos Schulter. Staunen! Ein kleiner Falke. Ein sehr kleiner, sah beinahe noch aus wie ein Jungtier. Er war dunkelbraun und trug Sprenkeln überall auf seinem Bauch. Seine Augen groß und dunkel, sein Schnabel etwas kleiner, aber seine Krallen waren nicht zu verachten. Ein kleiner Falke, ganz eindeutig. Auch wenn er fliegen konnte wie eine Schwalbe. „Muss der immer so schreien?“ stöhnte Jonny und fasst sich ans Herz. „Ich kriege jedes Mal einen Schock.“ „Du bist nur zu weich besaitet, du Memme“ murrte Tato und kraulte dem kleinen Federmann seinen hellbraunen Schnabel. „Ich hab mich aber auch erschrocken“ meinte Noah. „Ist das dein Falke?“ „Sieht so aus, oder?“ antwortete Tato. Natürlich war das seiner. Wessen denn sonst? Also wirklich blöde Frage. „Gott, ist der süß“ strahlte Marie den Kleinen an. „Wie alt ist er denn?“ „24.“ Und die Antwort war doch etwas erstaunlich. „Der Kleine da?“ zeigte Joey noch mal, um sicher zu gehen. „Der ist doch noch fast ein Baby!“ „Er ist vielleicht klein, aber er ist kein Baby mehr“ verteidigte Tato den armen Unterschätzten. „Ist das eine besondere Art? Vielleicht ein Zwergfalke?“ wollte Mokuba neugierig wissen. „Nein, er ist einfach nur klein“ erwiderte er ruhig. „Als ich 16 geworden bin, hat Mama mich zu einem Falkner mitgenommen. Eigentlich wollte ich keinen Falken haben, aber er hat darauf bestanden, dass ich wenigstens mal schauen gehe. Eigentlich fand ich die Vögel da alle doof, aber er hier war was Besonderes“ lächelte er stolz und kraulte dem Kleinen sein aufgeplustertes Brüstchen. „Ich hab ihn durch Zufall gesehen, als wir rausgingen. Er war in einer Transportbox eingesperrt, weil er an einen Zoo verkauft werden sollte. Zum Jagen taugte er nicht viel. Er saß immer nur da und hat sich nicht mal bewegt. Der Falkner konnte machen, was er wollte. Aber sobald man ihn losband, versuchte er so weit wegzufliegen wie möglich. Arbeiten konnte man mit ihm nicht. Und zum Züchten ist er zu klein.“ „Aber er scheint doch ganz gut zutraulich zu sein“ meinte Narla. „Wie der Priester so sein Falke“ schmunzelte Yami. „Tato macht ja auch nur, was ihm passt. Wie heißt er denn?“ „Laertes“ antwortete er. „Laertes“ lächelte Yugi. „Wie der Freund von Prinz Hamlet?“ „Ich fand schon immer, dass Laertes eine tragende Rolle im Stück zukommt“ war seine feste Antwort. „Letztlich ist er zwar demselben Unglück zugefallen, wie der Prinz, aber letztlich nur, weil er seine Schwester rächen wollte. Irgendwie konnte ich mich immer mit ihm identifizieren.“ **Ich kann es nur immer wieder empfehlen, Leute. Lest Hamlet oder schaut euch einen Film an. Das ist ein Meisterwerk!!! Obwohl ich Horatio immer am liebsten mochte. ^^** „Du hast die Hamlet-Sammlung von Seto und Yugi gefressen“ lachte Yami. „Jedes Kind ist das Produkt seiner Erziehung“ grummelte Tato. Was konnte er dafür, dass er vorgeprägt war? „Und Laertes ist gut erzogen?“ fragte Noah skeptisch. Wie der eben hier durch die Küche flitzte, machte einen eher wilden Eindruck. „Er weiß, was sich gehört“ versicherte Tato. „Er versucht zwar manchmal größer zu sein, als er ist, besonders wenn er andere Vögel sieht, aber er weiß auch, was er kann.“ „Nämlich?“ Über Laertes schien Prinz Asato ja gern zu sprechen. Ja, er schien direkt stolz auf ihn zu sein. „Er ist der beste Flieger“ erzählte Phoenix, als Tato nichts weiter sagte. „Er kann jeden Sturm durchfliegen und durch die engsten Spalten sausen. Weil er so klein ist, erreicht er viel höhere Geschwindigkeiten und der Wind trägt ihn leichter, reißt ihn aber nicht um. Manchmal nennen wir ihn Stormy, wenn er bei Orkanwarnung die ganze Nacht nicht nach Hause kommt.“ „Spatz ist vernarrt in Laertes“ erzählte Balthasar. „Er ist nicht so schwer und schön klein. Deshalb kann er gut auf seiner Schulter sitzen.“ „Und er gurgelt so niedlich. Als würde er singen“ lächelte er den kleinen Falkenmann an. „Laertes, sing doch mal.“ „Gurr?“ Der schaute zwar zu ihm auf, hatte aber gerade nicht zugehört. Wie denn auch, wenn man so schön gekrault wurde? „Brrr brrr brrr“ machte Phoenix mit seiner hellen Stimme. „Brrr brrr brrr“ machte Laertes es ihm nach. Er plusterte sich auf und plätscherte wie ein pfeifender Wasserhahn. „Brruurr brruurr rraaarrraaa rrraaaaaaaarrrrr brrrrrr ...“ Es klang wirklich als würde er singen. Obwohl Falken sonst eher kreischten oder pfiffen und manchmal vielleicht gurrähnliche Laute von sich gaben, konnte er richtig zwitschern. Vielleicht nicht unbedingt schön im Vergleich zu einer Nachtigall, aber es hörte sich niedlich an. „Bring ihm nicht so einen Quatsch bei“ grummelte Tato und hielt dem Kleinen seinen Schnabel zu. Sofort wurde er wieder ganz dünn und machte große Augen, sah seinen Herren fragend an. Nicht singen jetzt? „Genau. Leise sein“ erklärte er mahnend. „Brrrrrrrrrr ...“ „N e i n“ sprach er gaaaaanz langsam. „Laertes, leise.“ Da war der Kleine auch ruhig und schüttelte seinen Kopf frei. Echt, nichts durfte man hier! „Lass ihn doch“ lächelte Tea. „Klingt doch niedlich.“ „Nee, lass mal lieber, Mama“ meinte Sharesa. „Wenn er erst mal anfängt, singt er sich so fest, dass er nicht mehr aufhört. Dann kannst du ihn nur noch aus dem Fenster werfen.“ „Du bist immer so grausam, Shari“ lachte Jonny. „Na ja, deinen Vogel kann man ja leider gar nicht rauswerfen. Der ist festgewachsen.“ „Danke, Asato“ muckschte er sofort beleidigt. „Kannst du nicht e i n M a l was Nettes zu mir sagen?“ „Nein.“ Das war doch ne klare Antwort. „Immer diese altkluge Arroganz“ hackte Balthasar auch wieder rein. „Was man gut, dass wir noch nicht 40 sind. Was, Jonny?“ „Grrrrrrrr ...“ Sollte er dazu wirklich noch was sagen? „Grrrrrrrr ...“ machte Laertes ihn sofort nach. „Sei ruhig“ raunte Tato ihn an. „Du bist kein Papagei.“ „Ihr seid süß“ lächelte Yugi. „Ich mag Laertes. Er passt gut zu dir.“ „Der würde ja mehr zu dir passen“ lachte Joey. „Die richtige Größe hätte er ja.“ „Joseph“ sprach Seto ganz langsam und besonders klar mit seinem drohend vibrierenden Ton. „Noch einen Spruch und wir gehen vor die Tür.“ Das war schon Seitenhieb Nummer zwei heute Morgen. Bei sich selbst hatte Seto ja noch Geduld, aber wenn es um Yugi ging ... da war seine Toleranzschwelle sehr niedrig. „Ah, Gassi gehen“ lachte Jonny. „Was ist, Papa? Soll ich deine Leine holen?“ „Ich hab sogar eine“ meldete Yami sich. „Wollt ihr auch ein Geschirr dazu haben? Das ist feinstes Leder und kratzt kein bisschen auf der Haut.“ „Ich glaube, Jonny meinte da was anderes“ vermutete Noah. Yamis Fesselausstattung würde doch wohl hoffentlich nicht in aller Öffentlichkeit ausgepackt werden. „Also, wenn ihr eins braucht“ sagte er fest zu. „Dann fragt einfach. Aber Wiedersehen macht Freude.“ „Auch, wenn man sich noch gar nicht gesehen hat?“ fragte Fernando und war einen Schritt zurückgetreten, um auf den Flur zu sehen. „Ich glaube, jetzt sind wir komplett.“ „Oh je“ schaute Tristan beunruhigt. „Wie viele kommen denn noch von euch? Wir haben ja jetzt schon nicht mehr genug Stühle.“ „Nur noch zwei von uns“ gab er zur Antwort und winkte hinaus, um anzuzeigen, wo sie waren. „Hier sind wir. Kommst du heute noch an?“ „Oh Mann“ fasste Jonny sich an die Stirn. „Der ist so langsam.“ „Wer?“ wollte Mokuba wissen. „Na, Sethan“ antwortete er. „Mit dem irgendwo hingehen, macht keinen Spaß. Ständig bleibt er stehen und muss sich irgendwas angucken. Neulich hat er fünf Minuten lang einen Briefkasten angeguckt. Total gaga.“ „Er ist nun mal etwas anders“ meinte Sharesa. „Lass ihn doch.“ „Wir müssen ihn ja auch lassen“ gab Balthasar als Erklärung ab. „Zum Weiterschleifen ist er nämlich leider zu schwer. Du kannst ihn höchstens schubsen.“ War das wirklich der große König, der Herrscher über alle Macht, über welchen sie hier so flapsig sprachen? Er wurde als mächtigste Geburt aller Zeiten anorakelt und dann schubsten sie ihn? Wobei ... das war ebenso abwegig wie ein Pharao, der zum Frühstück Gewürzgurken mit Zimt aß. Nämlich leider gar absolut real. „Mann“ seufzte Joey. „Müssen denn immer alle mächtigen Leute eine Macke haben?“ „Nur Yugi nicht“ meinte Seto ernst. „Yugi ist perfekt.“ „Möchtest du diese Äußerung noch mal überdenken?“ grinste Yami. „Mir fallen da so einige Sachen bei Yugi ein, die man durchaus als Macke bezeichnen könnte.“ „Nein“ war seine feste Meinung. „Yugi ist nicht so ein Spinner wie du.“ „Und was ist hiermit?“ Yamis Gesicht wurde ganz traurig, seine Augen feucht und kurz kniff er sich noch in die Wangen, damit sie schön rot wurden. So sah er binnen Sekunden aus wie ein ausgesetztes Häschen. „Oh, Liebling ...“ „LASS DAS!“ schimpfte Seto, der aber ganz real rot im Gesicht wurde. Das war fies. Mit diesem Puppyblick würde Yugi alles von ihm kriegen. Er konnte so unschuldig aussehen ... mit Betonung auf ‚aussehen’, denn das kleine Monster war alles andere als unschuldig. „Okay, mein Hikari kann das besser“ lachte er. „Yugi, mach doch mal den Yu-chan.“ „Später vielleicht“ lachte er und musste Seto beruhigend das Händchen tätscheln, damit er nicht irgendwelche Sachen nach Yami warf. Ihn so auf die Schippe zu nehmen, war aber auch gemein. Seto hatte nun mal ein weicheres Herz als man es ihm zutraute. Und bei großen, feuchten Augen wurde er ganz schnell schwach. Ja, es stimmte also. Alle mächtigen Leute hatten eine Macke. Mindestens eine, meistens eher mehrere. Kapitel 4: Kapitel 16 - 20 -------------------------- Chapter 16 „Guten Tag?“ Höflich blieb er erst mal im Türrahmen stehen, um nicht sofort reinzustürmen wie alle anderen. Die anderen wandten sich um und eigentlich musste er sich nicht mal vorstellen. Man sah ihm an, dass er Ninis Sohn war. Sein Haar hatte dieselbe, goldene Farbe. Er trug es lang bis zu den Hüften und hatte sich nur den Pony zu einem kleinen Zopf nach hinten gebunden. Sein Gesicht war zwar männlich, aber seine weichen Wangenknochen, der große Mund und die schmale Nase gaben ihm einen Hauch Zartheit. Man sah ihm jedoch auch den Vater an. Er hatte schmale Hüften und einen kräftigen Oberkörper, lange Beine. Jedoch fehlte ihm die auffällig große Statur. Nini war ja auch nicht riesig und so schoss er ebenfalls nicht in die Höhe. Er wurde gezügelt zu einer normalen Größe. Er besaß Schönheit, ganz ohne Zweifel. Dennoch nicht so reiner Abstammung. Er war nicht nur der Sohn des Seth, sondern auch Ilanis Kind. Der erste, welcher Vater und Mutter gleichermaßen in sich vereinigte. Das Intensivste, Auffälligste an ihm blieben jedoch seine Augen. Sie waren blau, tiefblau. Aber als würde vor ihm ein violettes Licht leuchten, spiegelte sich diese Farbe in ihnen wieder. Es war nicht greifbar, eher wie ein Schein. Ein leichter Schleier, den man darüber gelegt hatte. So eine Augenfarbe war fast unnatürlich. Jedoch wurde sein glanzvolles Äußeres durch fast unpassend normale Kleidung gebändigt. Ein langärmliger, schwarzer Wollpullover mit breitem Kuschelkragen, eine hellgraue Jeans knapp über den weißen Turnschuhen. Ein ganz normaler, junger Mann. „Was ist denn?“ lachte er die anderen an, die ihn nur bestaunten. „Kommen wir so ungelegen? Frühstückszeit ist doch schon durch, oder?“ „Du bist Sethan, oder?“ Typisch Yami. Wenn er was wissen wollte, dann fragte er einfach. Egal, wie blöde es klingen konnte. „Und du bist Atemu“ lächelte er zurück. „Du hattest Recht. Du warst wirklich mal hübsch.“ „Warum? Bin ich später denn nicht mehr hübsch?“ „Doch, schon“ scherzte er im Gegenzug. „Aber nicht mehr so jung.“ „Ja ja“ grinste er. „Wie sagte Opa neulich so schön? Die Jugend ist an die Jungen verschwendet.“ „Irgendwas ist ja immer, oder?“ Ein wahres Wort. Er sah sich in der Runde um und schien wohl selbst nicht wirklich zu wissen, was er sagen konnte. Letztlich wussten alle, dass er nicht wegen eines kleinen Plausches zu Besuch gekommen war. Und dem mächtigsten aller jemals geborenen Wesen zu begegnen, war ja auch kein alltägliches Geschäft. Seine Aura war so verschlossen, dass man Angst hatte, wenn er sich erst öffnete. Wie ein Sturm, den man hinter Flüchen gebändigt hatte. Er schien so natürlich, dass man ihm diese Normalität nicht glauben konnte. Das war er also. Der mächtigste aller Könige. „Hast du jetzt alles geregelt, was du noch wolltest?“ wollte Tato nüchtern von ihm wissen. „Ja, hab ich“ entgegnete er mit einem harmonischen Ton. „Danke, dass ihr so lange gewartet habt.“ „Schon gut“ winkte Jonny ab. „Wir sind’s ja gewohnt, auf dich zu warten.“ „Ich meinte eigentlich die anderen, die schon länger hier sind“ berichtigte er. „Gab’s irgendwas Aufregendes, was wir wissen sollten?“ „Wir sind ja erst ein paar Tage jetzt hier“ antwortete Balthasar. „Wie hast du eigentlich entschieden, wen du mitnimmst und wen nicht?“ wollte Yugi von ihm wissen. „Das hab ich mich schon die ganze Zeit gefragt.“ „Ich hab alle mitgenommen, die uns helfen können und die wir in der Zukunft entbehren konnten“ war seine Antwort. „Die anderen sollten lieber Zuhause bleiben und sehen, dass die Welt nicht umkippt, während wir hier sind. Aber schön habt ihr es hier“ meinte er und blickte sich um. „Ich kenne das Haus sonst nur von Fotos. Schon merkwürdig durch die Räume zu laufen, die man sonst ganz anders kennt.“ „Man gewöhnt sich aber schnell daran“ tröstete Sharesa. „Also, ich fühle mich schon wie Zuhause.“ „Bist du ja auch“ lachte Jonny. „Wir sind alle Zuhause ... irgendwie.“ „Ja, schon merkwürdig“ lächelte Yugi. „Obwohl ich euch nicht alle kenne, kommt ihr mir persönlich gar nicht unbekannt vor. Als würden wir uns schon ewig kennen.“ „Ein schönes Gefühl, oder Opa?“ lächelte Sethan ebenso zurück. „Irgendwie beruhigend zu wissen, dass man über alle Zeiten hinweg zusammen gehört.“ „Moment mal!“ rief Yami aufgeregt. „Wie hast du ihn eben genannt?“ „Opa“ erwiderte Sethan belustigt. „Yugi und Seto sind für mich Opa und Oma.“ „OMA?!“ Seto kriegte gleich nen Koller. „Also ehrlich, das muss doch nicht sein! Müsst ihr mich immer ärgern?“ Und dass die anderen ihn auslachten, fand er auch nicht eben witzig. Mama war ja schon schlimm genug, aber dann auch noch Oma zu werden, sprengte doch den Rahmen. „Zukünftig wirst du da nichts gegen haben, denke ich“ versuchte er sein Lachen zu unterdrücken. „Aber wenn es dich stört, nenne ich dich Seto. Oder Eraseus. Oder Pascal. Ganz wie du möchtest.“ „Nein, es stört ihn nicht“ beschloss Yugi und griff sich Setos Hand, bevor der noch protestieren konnte. „Es ist schön, dich kennen zu lernen, Sethan. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal meinem Enkel so jung gegenüberstehe.“ „Ich glaube, das hier hätte niemals jemand so für möglich gehalten“ meinte Mokuba ernst. „Wirklich, wir sind doch ziemlich abgedreht, oder?“ „Wir sind die Herrscherfamilie, Onkel Moki. Was erwartest du?“ berichtigte Tato ebenso ernst. „Denkst du etwa, jemand wie wir könnte normal leben? Das ist uns leider nicht vergönnt.“ „Dafür sind andere Dinge wie in jeder anderen Familie auch“ meinte Sharesa. „Nur eben, dass unsere Familie sich nicht auseinander lebt, sondern immer größer wird.“ „Das ist doch etwas Gutes“ wand Seto ein. „Eine große Familie, welche einander liebt und annimmt, bietet Sicherheit für das ganzes Leben. Wenn aus vielen Individuen ein großes Ganzes wird. Das ist etwas Wertvolles.“ „Und wir halten es alle in Ehren, Mama“ versprach Tato. „Auch die Jungen, die sich lossagen wollen und auch dürfen, kehren irgendwann immer wieder zurück. Letztlich weiß jeder, was er daran hat.“ „Und so wird es hoffentlich immer sein“ nickte Sethan abschließend und griff vorsichtig hinter sich. „Aber ich wollte euch doch noch jemand vorstellen, der sich da hinten herumdrückt.“ „Noch jemand?“ guckte Marie. „Mensch, jetzt wird’s echt voll. Gut, dass wir so viel Platz haben.“ „Nur Stühle müssen wir wohl noch ein paar einkaufen“ meinte Noah ernst. Mittlerweile kamen sie wirklich ernsthaft in Platznöte. „Jetzt zeig dich doch“ ermutigte Sethan denjenigen, der hinter ihm stand. „Es beißt dich schon niemand, Schätzchen. Das sind doch dieselben Leute wie Zuhause.“ Etwas widerwillig weil zurückhaltend, kam hinter ihm ein junges Mädchen hervor. Und ihr sah man die Abstammung ebenfalls sofort an. Das konnte kein Irrtum sein. Sie hatte nussbraunes Haar und stechende, leuchtend blaue Augen. Ihre Haut war hell, ihre Wangen gerötet und auch wenn sie noch nicht ganz im Frauenalter war, sah man, dass sie einst sicher sehr hübsch werden würde. Sie war ja jetzt schon hübsch, auch wenn es eher eine niedliche Schönheit war. Ein wenig hatte sie Ähnlichkeit mit Narla, aber ihr fehlte das Wilde, das Ungestüme. Wenn Seto ein junges Mädchen gewesen wäre, hätte er sicher genau so ausgesehen. Sie war einfach zart. Wenn also nicht alles täuschte, hatte der dunkle Seth sich zusätzlich noch eine Tochter gezeugt. Vielleicht wollte er es Rah nachmachen und ebenfalls ein Mädchen sein Eigen nennen. Warum auch immer ... man sah es in ihren tiefen Augen. Sie war ein Drache. „Sag mal, spinnst du?“ Jetzt schrie Tato und stand so plötzlich auf, dass der kleine Laertes überrascht von seiner Schulter flatterte und sich bei Phoenix in Sicherheit brachte. „Ich hab dir gesagt, sie soll Zuhause bleiben!“ „Ich weiß“ antwortete Sethan selbst dann noch ruhig und gelassen als der viel größere Tatodrache schnaubend vor ihm stand. „Aber ich fand es wichtig, dass sie uns begleitet.“ „Das ist mir scheißegal! Treib es nicht zu weit, Sethan!“ „Ich ehre dich sehr. Das weißt du, Onkel Tato“ sprach er sanft. „Aber wer mit uns geht und wer nicht, entscheide ich. Du solltest sie nicht zu sehr einengen.“ „Du hast dich da rauszuhalten!“ Er war wirklich ernsthaft böse. Das hier war kein Spaß. Man hörte es in seiner Stimme, sah es in seinem wilden Blick. Er war anderer Meinung. Und Tato hasste es, wenn ihm was gegen den Strich ging. „Nein, das habe ich nicht“ entgegnete Sethan dafür umso standfester. „Sari ist wichtig für uns und unser Ziel. Sie hat zugestimmt, uns zu begleiten und deshalb wird sie bleiben. Frag sie selbst.“ „Du kannst vielleicht über die ganze Erde bestimmen, aber meine Tochter gehört immer noch mir“ drohte er ihm und stach mit seinen Fingerspitzen warnend in Sethans Schulter. „Du findest einen Weg, sie zurückzubringen oder wir beide geraten ernsthaft aneinander.“ „Das kann ich nicht“ sagte er ihm ernst. „Sie ist wichtig und das weißt du auch. Sei vernünftig, Asato.“ „Was vernünftig ist und was nicht, kannst du nicht beurteilen“ zischte er ihm stinksauer zu. „Bring sie zurück. Sofort.“ „Nein.“ Und Sethan rückte davon nicht ab. „Du hast das mit meiner Mutter bereits diskutiert. Es ist unfair mir gegenüber, wenn du das jetzt wieder infrage stellst, was sie mir gestattet und dir geboten hat. Das ist sehr unfair.“ „Du bist vielleicht mächtiger als ich“ fauchte er mit blitzenden Augen. „Aber du hast keine Ahnung, wie unfair das Leben wirklich ist. Bring sie zurück.“ Und damit ihm seine Worte niemand mehr abstreiten konnte, drängte er durch die Tür und verschwand. Während Tato sich wahrscheinlich erst mal irgendwo abregen musste, stand das junge Mädchen etwas unsicher da. Ihr Erscheinen hier war wohl schon länger umstritten. Und so knetete sie eher nervös den Saum ihres originellen Kleides als den Anschein zu machen, dass sie hier wichtig war. „Das müssen wir jetzt nicht verstehen, oder?“ zeigte Yami dem davongedonnerten Drachen hinterher. Da schien wohl schon länger ein Konflikt zu schwelen, jedenfalls roch es stark danach. „Dazu müsstet ihr erst Onkel Tatos Leben verstehen“ meinte Sethan. „Da liegt vieles, was er sich selbst nicht eingesteht.“ „Ich ... ich glaub ...“ Sie sprach ganz leise und zupfte zaghaft an Sethans Wollpullover. „Ich sollte lieber wieder nach Hause gehen.“ „Aber du bist doch Zuhause, Schätzchen“ tröstete er und sah zu ihr herunter. „Sieh mal, es sind alle da. Sogar Oma und Opa. Du hast doch gesagt, du wolltest sie so gern mal jung sehen.“ „Ich hab sie ja jetzt gesehen“ antwortete sie leise und sah schüchtern zu den beiden herüber, bevor sie ihren Blick senkte. „Jetzt muss ich lieber wieder nach Hause. Ich möchte Papa nicht traurig machen ... ich wusste, er wird böse, wenn ich hier bin ...“ „Unsinn, du weißt doch, wie er ist“ lächelte er sie fröhlich an. „Erst probt er einen riesigen Aufstand und hinterher redet er nicht mehr drüber. Tut er doch, oder? Erst der große Vulkanausbruch und dann Funkstille. Der ist doch’n Schizo.“ Da lächelte sie und hob schüchtern ihren Blick. Ja, ihren Papa kannte sie gut. Und sie wusste, dass er ziemlich aufbrausend sein konnte. „Außerdem ist Spatz doch auch hier“ tröstete er weiter. „Du hast ihm doch versprochen, dass du nachkommst.“ „Stimmt“ sprach auch der ihr ermutigend zu. „Du kannst mich hier doch nicht alleine lassen, Sari. Mit den ganzen Spinnern hier.“ „Wer ist hier ein Spinner, du Spinner?“ Anscheinend fühlte Jonny sich spontan angesprochen. „Außerdem wollen wir dich auch gern kennen lernen.“ Yugi war aufgestanden und zu ihr rübergegangen. Er brauchte sich nicht mal herunterknien, da er ihr auch so in die Augen sehen konnte. Sie hatten in etwa dieselbe Höhe. „Hab ich das richtig verstanden, dass du meine Enkelin bist?“ „Ja“ antwortete sie höflich und ließ Sethan los, um sich ihm ganz zuzuwenden. „Ich heiße Sareth Muto. Guten Tag.“ Sie hielt ihm die Hand hin, als wäre er ein Fremder. Anscheinend wusste sie nicht ganz, wie sie sich verhalten sollte. Genau dieselbe auf Höflichkeit bedachte Art wie sie Seto als Kind auch hatte. „Na, nicht so förmlich“ baute er sie auf und drückte ihr trotzdem die Hand, um sie nicht ganz dumm dastehen zu lassen. Jedoch nicht, ohne ihr einen kleinen Begrüßungskuss auf die Wange zu geben. „Und die anderen nennen dich, Sari? Ist das wegen deiner Kleidung?“ „Ja“ äußerte sie leise und strich sich vorsichtig über die Seiten. Das also war gar kein modischer Tick aus der Zukunft. Sie trug einen Sari wie die Frauen in Indien. Das Gewand war uralt, anstatt originell neu. Und die dunkelblaue Farbe stand ihr gut zu Gesicht, trotz der hellen Haut. „Onkel Noah mag das so gern. Ich wollte hübsch sein für ihn ...“ „Oh, du bist doch sehr hübsch“ lächelte Yugi und legte vorsichtig seinen Arm um das nervöse Mädchen. „Oder, Onkel Noah? Was meinst du? Ist sie hübsch?“ „Ja, natürlich. Wunderschön sogar“ strahlte er mit seinem verführerischsten Herzensbrecherlächeln. „Du hast das extra für mich angezogen?“ „Ja“ gestand sie leise. „Magst du es?“ „Natürlich.“ Das ehrte ihn doch sehr. Sie hatte sich also extra für ihn herausgeputzt? Anscheinend verstanden sie sich in der Zukunft wohl sehr gut miteinander. „Komm doch mal her, Liebes.“ Er streckte seine Arme aus und sie trat zaghaft an ihn heran. Aber sie sah, dass er sie wohl umarmen wollte und lächelte schüchtern zu Boden. Unangenehm würde ihr das also nicht sein. War es auch dann nicht, als er sie tatsächlich in die Arme schloss und liebevoll knuddelte. „Du hattest Recht“ erzählte sie leise und sah ihn mit roten Wangen an. „Was denn?“ lächelte er sanft zurück. „Du riechst gut.“ „Dankeschön“ freute er sich. „Du riechst aber auch gut. Ist das Parfüm?“ „Nein, Badeschaum“ kicherte sie verlegen. „Ich darf doch noch kein Parfüm benutzen, Onkel Noah.“ „Darfst du nicht?“ staunte er. „Aber wie alt bist du denn?“ „Elf“ antwortete sie ganz klar. „In drei Wochen werde ich aber schon zwölf. Und wie alt bist du?“ „29“ gab auch er preis. „Aber ich hatte schon Geburtstag dieses Jahr.“ „Ja, im Februar. Du bist Wassermann.“ Das wusste sie dafür ganz genau. „Ich bin Jungfrau. Meerjungfrau sagt Ati immer. Das passt gut zusammen, oder?“ „Ja, sehr gut“ nickte er. „Onkel Moki ist Fisch. Hast du das gewusst?“ „Ja, wusste ich.“ Sie sah Mokuba an und lächelte ich. „Dann können wir drei zusammen schwimmen gehen.“ „Das können wir wohl“ strahlte er. „Welchen Monat habt ihr denn bei euch, wenn du in drei Wochen Geburtstag hast?“ „Wir haben August“ erzählte sie weiter. Sie schien jetzt langsam wohl aufzutauen, wo sie merkte, dass das hier keine anderen Menschen waren, als die, welche sie von Zuhause kannte. Alle waren genauso lieb. Und sie schien schneller mit der Situation warm zu werden als Phoenix, der noch immer recht leise war. „Wir haben gerade Opas Geburtstag gefeiert. Opa ist 55 geworden. Das ist eine Schnapszahl, weißt du?“ „Ja, stimmt“ nickte Noah. „Da muss Yugi ja einen ausgegeben haben.“ „Ja, stimmt“ nickte sie genauso zurück. „Es gab uralten Whiskey, der war seeeehr teuer hat Joseph gesagt. Aber die Kinder und Oma und Phoenix, wir haben dafür einen bunten Fruchtcocktail in einem großen Glas mit Schirmchen bekommen. Das war viel besser.“ „Na“ lachte er. Das war wohl auch besser, wenn Kinder keinen Alkohol bekamen. Und Seto durfte ja so oder so nicht. „Weißt du auch, woher ich weiß, dass das besser war?“ flüsterte sie ihm verstohlen zu. „Nein“ hauchte er zurück. „Sagst du es mir?“ „Ati hat mir sein Glas gegeben. Da war noch ein bisschen was drin. Aber ich musste husten, so eklig war das. Deswegen weiß ich, dass Alkohol nicht schmeckt.“ „Sari“ schmunzelte Balthasar. „Das hat jetzt jeder hier mitbekommen.“ „Was?!“ So leise hatte sie dann wohl doch nicht gesprochen. Zumal sie im Smalltalk mit dem geliebten Onkel ganz ausgeblendet hatte, dass ihr jeder zuhörte. „Du hast also Schnaps getrunken, ja?“ grinste Jonny. „Soll ich mal bei Papa petzen gehen?“ „NEIN!“ winkte sie sofort hilflos. „Bloß nicht! Bitte nicht!“ „Ach, so schlimm wirst du schon keinen Ärger bekommen“ versuchte Mokuba sie zu beruhigen. „Aber wir sagen ihm auch nichts.“ „Ich glaube, du verstehst da was falsch“ lachte Balthasar. „Asato wird eher Ati zur Schnecke machen als seine Tochter. Der wird ihn wahrscheinlich durchs halbe Haus jagen.“ „Aber ich kann da doch gar nichts für“ meinte der verwundert. „Ich hab doch noch gar nichts getan. Außerdem ... nur mal nippen, kann doch nicht so schlimm sein. Außerdem HAB ich ja noch gar nichts gemacht!“ „Aber du wirst und das reicht schon“ schlussfolgerte auch Yugi. „Also beschließen wir, dass wir ihm nichts sagen, ja?“ „Besser ist das“ meinte Jonny. „Sonst kriegt er noch mit, dass Sari genau so’n Alki ist wie er selbst.“ „Jonathan“ warnte Sharesa ihn ernst und schüttelte den Kopf. „Warum?“ fragte Yugi, der da doch sofort was roch. Anscheinend hatte Jonny dasselbe Talent wie sein Vater - nämlich Geheimnisse unbemerkt auszuplaudern und damit trittsicher jeden Fettnapf zu treffen. „Tato hat doch hoffentlich keine Alkoholprobleme.“ „Sethan sagte es doch“ antwortete Sharesa ihm vorsichtig. „Es gibt da vieles, was er sich nicht eingestehen will.“ „Aber er ... er hat ...“ Yugi sah Seto an, dem bei dem Gedanken wohl auch so einiges im Halse stecken blieb. „Er hat doch gar nichts getrunken seit er hier ist.“ „Alkoholismus soll ja häufig ne Erbkrankheit sein“ bemerkte Mokuba vorsichtig. „Onkel Tato trinkt anders als Oma“ erklärte Sethan. „Er trinkt nicht jeden Tag. Aber er betrinkt sich regelmäßig. Sehr regelmäßig. Und das nicht zu knapp.“ „Vielleicht sollten wir darüber nicht sprechen“ wand Seto mit etwas gesenkter Stimme ein. Schließlich stand seine Tochter hier direkt daneben und musste nicht unbedingt alles mitbekommen. „Ich weiß das“ sagte sie dann von sich aus. „Ich mache mir dann Sorgen um Papa. Ich mag es nicht, wenn er Rotwein trinkt. Dann wird er immer so ... komisch.“ „Dann ...“ „Sprich ihn nicht gleich darauf an“ bat Sharesa sofort, denn sie wusste, was Seto denken würde. „Bei dem Thema kennt er weder Freund noch Feind.“ „Davon können wir ein Lied singen“ erzählte Balthasar. „Es ist gar nicht so lange her, da hat Yugi ihn darauf angesprochen und Asato ist in die Luft gegangen. Ein Wort hat das andere gegeben und Asato hat ihn angepöbelt und gedroht, mit Sari das Land zu verlassen. Er meint, er hat kein Problem und jeder, der ihm so was unterstellt ... nun ja. Selbst bei seinem Papa kennt er da nichts.“ „Umso mehr klingt das nach einem ernsthaften Problem“ sorgte Yugi sich natürlich. Er beobachtete das jetzt schon eine Weile und sein Gespür drängte ihm da auf, dass etwas nicht rund lief bei seinem Sohn. „Was zum Teufel ist mit ihm los? So langsam bekomme ich das Gefühl, dass er da so einiges nicht bewältigt.“ „Sari, mein Schätzchen.“ Sethan legte ihr seine Hand auf den Kopf und lächelte sie liebvoll an. „Geh doch zu Papa und bring ihm seinen Stock. Bevor er wieder Rückenschmerzen bekommt.“ „Du willst nur nicht, dass ich weiß, was du über ihn sagst“ warf sie ihm etwas beleidigt vor. „Unsinn“ versicherte er lieb. „Ich weiß doch, dass du das zu schnell spitz kriegen würdest. So groß ist dein Rücken nicht, dass man da was hinter machen könnte.“ „Hm ...“ Sie glaubte ihm das wohl nicht so ganz. Diesen Blick hatte sie mit allen Drachen gemeinsam. Sie roch, dass da was im Busch war und schätzte es nicht besonders, wenn man sie ausschloss. „Ich hab dir doch schon erzählt, was wir jetzt vorhaben“ betonte er. „Jetzt muss ich es nur noch den anderen stecken. Und in der Zwischenzeit kannst du mal deinen schmollenden Vater besänftigen. Keiner kann das so schön wie du.“ „Aber du denkst dran, was du mir versprochen hast.“ „Ja, natürlich“ lächelte er. „Vorher gehen wir noch Uropa besuchen.“ „Ururopa“ berichtigte sie. „Ich will ihn sehen, bevor wir wegreisen. Ich will seinen Schokoladenkuchen probieren und wissen, ob Opa ihn wirklich ganz genauso macht oder ob er mich verarscht.“ „Opa würde dich nie verarschen“ lachte er und auch die anderen mussten grinsen. Das war ein Wort, welches so gar nicht zu ihrer sonst höflichen Art passte. „Und was du für Wörter kennst, sagen wir Papi lieber auch nicht“ schmunzelte Jonny. „Sei lieb oder ich sag ihm mal, wer die Beule in sein weißes Auto gefahren hat“ drohte sie mal ganz nebenbei und ging zu Tatos leerem Stuhl, um sich seinen Stock zu holen, den er hatte stehen lassen. „Du bist fies, Sari“ zankte er eingeschnappt. „Du hast mich beim Ausparken abgelenkt mit deinem Gequengel.“ „Ist mir egal. Außerdem hab ich nicht gequengelt, sondern du hast am Radio gedreht.“ Aber wo sie gerade schon neben Seto stand, sah sie ihn ganz intensiv an. Schon komisch, wie er dasaß und sie etwas schüchtern vor ihm stand. Irgendwie waren sich die zwei von ihrer Art her so ähnlich. Häufig übersprangen charakteristische Merkmale ja eine Generation von den Großeltern auf die Enkel und bei den beiden war das wohl der Fall. Sareth war wie ihr Großvater Seto früher. „Kommst du mit, Oma?“ fragte sie ihn leise. „Oma“ grummelte er tief. „Muss das sein?“ Warum musste ausgerechnet er immer auf die weibliche Rolle gedrängt werden? Er sah nicht mal annähernd aus wie eine Frau!!! Und wie eine Oma schon gar nicht!!! Doch anstatt ihm etwas zu antworten, kramte Sari schnell unter ihrem Kleidstoff und hatte sich aus irgendeiner versteckten Tasche einen Stift gefischt. Jedenfalls sah es aus wie ein etwas dickerer Kugelschreiber, aber es war silbern und sicher nicht das, wonach es aussah. Sie drehte schnell zwei Rädchen daran und schon schallte eine männlich tiefe Stimme heraus. Ganz ruhig, sanft und liebevoll. Setos Stimme. „Und wenn ich dir sage, du sollst mich nicht Oma nennen ....“ Anscheinend eine Sprachaufzeichnung aus ihrer Zeit. Man erkannte Setos Stimme, aber sie war ein wenig tiefer. Älter eben. „... dann lächelst du einfach so hübsch wie jetzt und gibst mir einen Knutschi. Ich schwöre dir, ich kann dir garantiert nichts abschlagen. Wenn du mich abknutscht, werde ich immer ganz weich. Das weißt du doch.“ „Ist das etwa ein Tonbandgerät?“ zeigte Seto erstaunt auf das Hightechteil. Aber sie lächelte nur, kam ganz dicht und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange. Genau wie er es ihr gesagt hatte. Mit Küssen konnte man ihn bestechen. „Das Ding musst du mir bei Gelegenheit mal näher zeigen.“ Er legte seinen Arm um sie und drückte seine Enkelin, legte sogar seinen Kopf auf ihre Schulter. Und sie war wohl auch erleichtert, dass er sie sofort annahm, obwohl er sie nicht kannte. „Ach Mann, ihr seid so altmodisch“ seufzte Jonny und setzte sich neben Narla auf den Stuhl, der eigentlich noch Joey gehörte. „Wir hätten euch mal Werbung aus unserer Zeit mitbringen sollen. Dann seht ihr mal ...“ „Jetzt spiel dich nicht so auf“ argwöhnte Sharesa. „Das sind immerhin knapp 38 Jahre Unterschied. Und GZSZ läuft sogar hier schon seit Jahren. Also so ab vom Schuss sind wir auch nicht.“ „Was echt?“ staunte er. „Auf diesen alten Fernseherteilen?“ „Ich glaube, du bist derjenige, der nicht so ganz aktuell ist“ frotzelte Balthasar. „Du musst dich halt der Zeit hier angleichen.“ „Ey, wir haben schon extra Klamotten, die der Zeit hier angebracht sind“ betonte er doch sehr intensiv, während Seto und Sareth sich auf den Weg hinaus machten. Nicht nur um Tato seinen Stock zu bringen, sondern auch, um ihn wieder ein wenig gnädiger zu stimmen. „Kannst froh sein, dass die anderen uns alte Bilder gezeigt haben“ erinnerte Sharesa ihn streng. „Du und Balthasar, ihr wärt ja sonst total overdressed gekommen.“ „Ach, Jeans sind ein Evergreen“ winkte Balthasar ab. „War schon komisch, darauf zu achten, was man mitnimmt, aber ich hab mich echt schnell an die Sachen hier gewöhnt. Diese Videokassetten im Wohnzimmer! Ich hätte nicht gedacht, dass die wirklich mal jemand benutzt hat.“ „Na ja, wir steigen ja zunehmend auf DVD um“ meinte Marie. „Ach, Mama“ lächelte er sie mitleidig an. „DVD’s sind doch überholt.“ „Hier aber nicht. Ich finde DVD’s sehr praktisch.“ „Warum bist du überhaupt ausgerechnet in diese Zeit zurückgereist?“ wollte Yami von Sethan wissen, der nur mehr danebenstand und sich lächelnd die Jüngeren betrachtete. Fernando und Dakar schienen sich da wohl eher herauszuhalten. „Du meinst, wenn ich weiter zurückgekehrt wäre, hätte ich verhindern können, dass Seth diese radikalen Weltveränderungsanschauungen entwickelt?“ vermutete er ganz richtig auf Yamis Nicken. „Weißt du, Ati, Zeitreisen sind eine nicht einfache Sache. Selbst für mich. Für jeden Tag, den wir mehr zurückreisen und jeden Menschen, den ich mit mir nehme, verbrauche ich viel Kraft. Auch jetzt in diesem Moment muss ich uns alle hier festhalten.“ „Und nichts auf dieser Welt ist unendlich“ schlussfolgerte er. „Also kannst du nur soweit zurück?“ „Ich hätte auch noch weiter gekonnt“ erklärte er. „Aber ich möchte hier nicht nur die Vergangenheit verändern, sondern auch unsere eigene Zukunft. Und dafür brauche ich nicht nur Kraft, sondern auch Vertrauen in alle, die mir nahe stehen. Wenn ich hätte verhindern wollen, dass Aleseus Seth zum größten Feind der Gegenwart mutiert, hätte ich nur ein ganz bestimmtes Ereignis verhindern müssen. Das hätte zwar die Vergangenheit verändert, nicht aber unsere Zukunft.“ „Welches Ereignis wäre denn das gewesen?“ fragte Mokeph. „Dass er die Liebe zu Atemu verliert oder ...? Damals ging es ihm das erste Mal doch wirklich schlecht und er hat sich zurück nach Hause gesehnt. Wenn du das verhindern könntest ...“ „Nein, ein Ereignis. Kein Prozess“ erwiderte Sethan mit ruhiger Stimme. „Seine Liebe zu verlieren und wiederzufinden, ist ein Prozess. Ich denke, das war sogar wichtig, damit er sich darüber klar wird, an wessen Seite sein Platz ist. Aber letztlich war auch dies nur die Folge eines langen Prozesses.“ „Ich glaube, ich weiß, was du meinst“ vermutete Yugi. „Wir hätten uns nicht trennen dürfen.“ „Nein, nicht ihr“ berichtigte er freundlich. „Seth und Seto hätten sich nicht trennen dürfen.“ „Ähm ... wie jetzt?“ sah Mokeph ihn ratlos an. „Aber es sind doch keine Schäden entstanden oder sonst etwas. Seto geht es doch gut.“ „Darf ich?“ Sethan wies auf den Stuhl neben Yugi, der durch Setos Weggang eben freigeworden war. Im Gegensatz zu anderen war er so höflich, zu fragen, ob er sich setzen durfte. „Ja. Natürlich“ bat Yugi und zog ihm den Stuhl richtig hin, bevor er sich an die anderen wand. „Möchtet ihr euch nicht auch setzen? Wollt ihr vielleicht was trinken?“ „Gibt’ schon Cola?“ wollte Jonny wissen. „Ja, die gibt’s schon“ lachte Yugi und ging an den Kühlschrank, um die zusätzlichen Gäste mit Getränken zu versorgen. „Möchte sonst noch jemand etwas?“ „Nein, Cola ist super“ nickte Fernando, der sich dankend auf Mokubas Stuhl setzte. Der hatte den freigemacht und gab damit nicht nur einen Platz neben Tristan frei, sondern hatte auch mal wieder einen Grund, auf Noahs Schoß herumzuturnen. Einen Stuhl als Ersatz für Joeys geklauten fanden sie auch noch und als Dakar sich auf Phoenix’ Stuhl niederließ, war Yugi doch überrascht, als er sich wieder umdrehte und dem nachsah. „Spatz, wo willst du denn hin?“ fragte er, bevor er noch ganz an der Tür war. „Ich möchte zu Asato“ antwortete er folgsam. „Vielleicht kann ich Sari helfen, ihn ein bisschen zu beruhigen.“ „Ja, geh du nur. Tschüss“ winkte Jonny und mit einem kleinen Kopfschütteln war er dann auch verschwunden. „Das ist bestimmt gut, dass er mitgeht“ meinte er dann lächelnd. „Spatz hat so eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf Tato. Ein bisschen wie Valium.“ Doch über diesen Scherz konnte auch nur er selbst lachen und Joey. Obwohl der den Insider kaum verstand, lachte er trotzdem mit. Die beiden hatten denselben, eigensinnig flachen Humor. „Ist das so, ja?“ Yugi setzte sich zurück auf seinen Stuhl und stellte auch Sethan ein Glas hin. „Oder möchtest du etwas anderes als Cola?“ „Nö, danke“ lächelte der. „Ich bin pflegeleicht.“ „Und du?“ schaute Yugi rüber zu Dakar. „Cola?“ „Später vielleicht. Danke“ antwortete er knapp. „Habt ihr was dagegen, wenn ich rauche?“ „Nein, mach nur“ meinte Nika, griff hinter sich ins Regal und fischte ihm den Aschenbecher heraus. „Die anderen rauchen ja auch hier.“ „Danke.“ Er nahm den Aschenbecher entgegen und zückte seine Zigaretten heraus. „Du redest nicht viel, oder?“ fiel Marie auf. „Bist du auch schüchtern oder ...?“ „Nein, ich bin nicht schüchtern“ lachte der ungewöhnlich dünne Mann mit der dunklen Aura und zündete seinen Glimmstängel an. „Ich schwatze nur einfach nicht so gern. Ich sag was, wenn ich was zu sagen habe.“ „Deswegen hat er auch keine Frau“ frotzelte Jonny ihn. „Er ist zu schweigsam.“ „Stimmt doch gar nicht“ meinte Sharesa. „Wenn mein Herr Bruder erst mal anfängt zu reden, dann aber auch richtig. Nicht Quantität, sondern Qualität. Anders als du, der jedem sein sinnloses Gebrabbel aufdrängt. Dakar ist besser dran, denn wenn er was sagt, hat das Hand und Fuß.“ „Sag ich doch“ schnippte Jonny. „Deswegen hat er auch keine Frau.“ „Du doch auch nicht“ grinste Balthasar. „Seit wann bist du nicht mehr mit Taria zusammen? Drei Tage?“ „Sechs“ berichtigte er wissend. „Und die wievielte Freundin war das jetzt? Die achte?“ „Nein, die siebte“ wusste er genau und sah ihn forschend an. „Versuchst du, mir irgendwas zu sagen, Balti?“ „Ich meine ja nur. Wenn sich einer über gescheiterte Beziehungen nicht auslassen sollte, dann doch du.“ „Das ist nun mal schwer mit dem Job und so. War halt noch keine dabei, die richtig zu mir passte. Ist nun mal nicht jeder so ein Charmingboy wie du.“ „Warum? Was machst du denn beruflich?“ wollte Narla interessiert wissen. „Ich bin Parcour-Künstler“ erzählte er frei heraus. „Ich laufe vom Start an den direkten Weg quer durch die Stadt bis zum Ziel. Das beinhaltet den absolut direkten Weg. Das heißt, über Häuser klettert man rüber, über Mauern und Zäune springt man. Immer den direktesten und schnellsten Weg. Hindernisse sind egal. Und je graziler und komplizierter die Sprünge sind, desto mehr Punkte bekommt man. Ist eine Art zwischen Sport und Kunst.“ „Bei uns ist das ein Kultberuf“ erklärte Sharesa. „Vielleicht kennt ihr das hier in der Zeit schon? Früher hat das nur ne Hand voll Leute in Paris gemacht bis das um sich gegriffen hat und heute ist das ein anerkannter Kunstsport.“ „Hört sich aber gefährlich an“ meinte Tea. „Ich meine, wenn man über Häuser klettert und Mauern runterspringt. Ist das nicht ziemlich heftig?“ „Deswegen hab ich ja auch ne Menge Trophäen“ erzählte Jonny fröhlich und hob seinen Pullover hoch, um seinen blanken Rücken zu zeigen. Überall lauter kleinere Narben. Gut verheilt, aber schon auffällig, dass er sich wohl mehrmals etwas aufgerissen hatte. „Man muss gut sein, sonst bricht man sich was“ erzählt er, während er sich wieder bedeckte. „Aber mehr als nen verstauchten Knöchel hatte ich noch nicht. Ein paar Schürfwunden, aber daran gewöhnt man sich. Und wenn man richtig gut ist, verdient man viel Geld. Letztes Jahr bin ich immerhin zweiter in der Weltrangliste geworden. Ich hab ne Silbermedaille bekommen. Cool, was?“ „Nett“ meinte Yami, wollte dann aber langsam zurück auf anderes kommen. „Du sagtest, Seto und Seth hätten sich nicht trennen dürfen. Ist das der Grund, weshalb er so ... ist wie er ist?“ „Nicht der Grund, aber der Beginn von allem“ nickte Sethan und nippte an seinem Glas. „Kannst du das erklären?“ bat Noah. „Ich verstehe das nicht ganz. Seto hat das doch nicht geschadet. Warum dann Seth? Er war doch immer der Gefestigte von beiden.“ „Ja, er w a r“ erläuterte er ruhig. „Ich will versuchen, es dir zu verdeutlichen. Rah hat es ja nicht ohne Grund so eingerichtet, dass Yami und Hikari sich einen Körper teilen. Seth hat es ihm ja mehr aus Not nachgemacht, da er aus keinem Splitter seines Herzens einen neuen Sohn formen konnte. Ihm fehlte sein Herz zu dem Zeitpunkt. So hat er es getan wie Rah. Nämlich das Herz eines bereits geschaffenen Sohnes nehmen, aus seiner Seele ein Stück heraustrennen und daraus einen neuen Menschen schaffen. Zwei Menschen, die einen Teil ihres Ichs gemeinsam haben. Vielleicht ist das Leben zu zweit mit einem Körper manchmal hinderlich, aber es hat ja einen Sinn. Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt. Als beispielsweise Atemu in meinem Großvater wiedererwachte, fand er sich einem Kulturschock ausgesetzt. Die Menschen lebten anders, die Wissenschaft hatte sich verändert, die Landschaft, das Miteinander, alles. Angefangen darin, dass er eine neue Sprache lernen musste bis dahin, dass er nur noch einer von vielen war, anstatt eines Herrschers.“ „Das stelle ich mir ziemlich schockig vor“ mutmaßte Marie. „Wenn ich mir vorstelle, ich werde 5000 Jahre in die Zukunft katapultiert ...“ „Es reicht ja schon, 5000 Jahre in die Vergangenheit zu reisen. Das ist ebenso ein Kulturschock, obwohl man selbst viel aufgeklärter ist“ versuchte er zu sagen. „Und damit der Yami sich in seiner neuen Umwelt zurechtfindet, braucht er den Halt seines Hikaris. Indem er aus seinem großen Wissensfundus Erfahrungen und Lebenskraft weitergibt, teilt der Hikari seinen Körper leichter und zeigt ihm, wie man dieses veränderte Leben lebt.“ „Das ist wahr“ nickte Yami. „Als Yugi mich damals aus dem Puzzle befreit hat, war ich wirklich geschockt. Alles hatte sich verändert. Ich glaube, ich wäre planlos herumgelaufen, wenn Yugi mir nicht alles gezeigt hätte. Ich hätte ja nicht mal die Sprache verstanden, aber durch Yugi habe ich rasend schnell alles gelernt. Eben weil wir miteinander verwachsen sind. Wir spüren uns ja heute manchmal noch als wären wir eine einzige Person.“ „Aber was ich nicht verstehe“ versuchte Yugi zu formulieren. „Damals haben wir gut darüber nachgedacht und wir waren alle überzeugt, dass diese Trennung etwas Positives ist. So hatte jeder ein ganzes Leben und nicht nur ein halbes.“ „Das ist zu negativ gedacht“ verfocht Sethan. „Yami und Hikari haben nicht jeweils ein halbes Leben, sondern jeder zwei.“ „Das ist wie die halb voll oder halb leer Sache“ meinte Yami. „Du meinst, nach der Trennung hat Seth sich nicht mehr zurechtgefunden? Das sah für mich nicht so aus.“ „Vielleicht. Aber rückblickend gab es viele Faktoren, die zu seiner jetzigen Meinung geführt haben. Damals war Oma, also Seto“ lächelte er. Er musste sich abgewöhnen, ihn Oma zu nennen. So weit war der hier noch nicht. „Seto war damals noch sehr auf ihn angewiesen, trotz des getrennten Körpers. Aber je selbstständiger er wurde, desto weniger fühlte Seth sich gebraucht. Er musste seinem Hikari die Freiheit lassen, ihn sogar für einige Jahre allein in ein anderes Land gehen lassen, damit er sich entwickeln konnte. Aber das bedeutete auch, dass er auf sich selbst gestellt war. Und so etwas kann für einen Yami der K.O.-Schlag sein. Wenn er einsieht, dass der Hikari nicht länger auf ihn angewiesen ist und er somit für diese ganze, für ihn neue Welt unnütz wird. Seth ist Hohepriester mit seinem ganzen Herzen. Hier aber zählt das nicht viel. Er hätte sich durch die Verbundenheit zu Seto an das, ich nenne es mal das moderne Priestertum, daran hätte er sich gewöhnen müssen. Seto ist ein Priester der Moderne, Seth ist ein Priester der Zeit, in welcher die Wurzeln dazu lagen. Indem Seto sich ohne Seth weiterentwickelt hat, ist einer von beiden auf der Strecke geblieben.“ „Aber das ist noch lange kein Grund, die Weltbevölkerung zu reduzieren und den Fortschritt zurückzudrehen“ meinte Yami, der das etwas abgeklärter sah. „Für dich vielleicht nicht. Für ihn schon“ versuchte Sethan zu erklären. „Du bist anders. Obwohl du ebenfalls von deinem Hikari getrennt lebst, sogar drei Jahre davon völlig kontaktlos, hast du dich dennoch weiterentwickelt. Aber dein Geist ist ein anderer, ein übernatürlicher. Seth hat diese Göttlichkeit nicht. Er hängt an seinen alten Gebräuchen und Ansichten. Das ist es, was er als gut und richtig ansieht. Und je weniger das in dieser Welt zählt, umso mehr klammert er sich daran. Es muss ihm vorkommen, als hätte er nicht mehr als nur seine Erinnerungen. Seine Welt ist tot. Er hat keinen Hikari, der ihn aus diesen alten Werten herauslöst. Und er hat einen Eid geschworen, seinem Pharao zu dienen. Und nichts anderes tut er. Er sieht, was diese Welt verloren hat. Und um seinem Pharao ein neues Reich zu geben, lässt er das alte wiederauferstehen.“ „Das ist der Grund?“ schaute er ihn ungläubig an. „Nur, damit ich auf irgendeinem Thron sitze, läuft er Amok?“ „Im Grundsatz ja. Es ist eher ein kontrollierter Amoklauf“ nickte er. „Natürlich spielen noch viele andere Faktoren mit hinein. Ich war so frei, mir die Vergangenheit anzusehen und ich habe gesehen, dass er zunehmend eifersüchtig auf Seto wurde. Eifersucht gegen seinen Hikari ist eine schlimme Sache.“ „Du meinst diesen Kampf gegen den Zirkel“ schloss Yami. „Seto hat so gut wie alle besiegt. Sicher nicht ohne Seths Hilfe, aber ...“ „Seth hat sich zurückgesetzt gefühlt“ sprach Yugi. „Das hat man gemerkt. Während Seto seine Seele aufgeteilt hat, hatte er gar nichts zu bieten. Plötzlich drehte sich alles nur noch um Seto und nicht um ihn. Er hatte das Gefühl, dass er keine Aufmerksamkeit bekam. Er hat ebenfalls hart gekämpft und alles gegeben, aber letztlich bekam er das Gefühl, er wäre seinem Hikari nicht mehr gewachsen.“ „Ja, das hat man gemerkt“ meinte auch Yami. „Ich hab ihm mehrmals gesagt, dass er nicht versagt hat und dass auch er wichtig für den ganzen Kampf war. Aber letztlich hat Seto mehr Aufmerksamkeit bekommen, obwohl auch er alles gegeben hat. Es war doch früher schon so. Als beide wieder Kinder waren, da haben wir darauf geachtet, beiden dieselbe Aufmerksamkeit zu geben, weil sonst einer von ihnen eifersüchtig oder neidisch wurde.“ „Dann ist das auch der Grund, warum er auf ihn losgegangen ist“ meinte Joey. „Seth wollte zeigen, dass er immer noch stark ist. Stärker als Seto. Deshalb hat er sich auch mit Sethos angelegt. Okay, gegen den hat er nichts ausrichten können, aber er wollte einfach demonstrieren, dass er auch mächtig ist.“ „Es ist einfach alles zusammen“ seufzte Sethan und stützte nachdenklich sein Kinn auf die Hände. „Der Kulturschock, der verlorene Hikari und obendrein spricht ihm auch noch mein Vater ständig zu und bestärkt ihn in seinem falschen Weg.“ „Dann ist das der Grund für seine komischen Worte?“ fragte Yami. „Der dunkle Seth hat ihn auf den falschen Weg geführt? Nein, nicht geführt. Eher ihn darin bestätigt?“ „Hm“ nickte er traurig. „Indem er etwas sehr Intelligentes getan hat. Vater verbietet ihm sein Priestertum nicht, sondern nimmt genau das zum Anlass, ihn darin zu erbauen, dass sein Pharao sich ebenso unwohl fühlt wie er. Er bekämpft nicht die Liebe zwischen dir und Seth, sondern er baut auf Seths Versprechen, alles für dich zu tun. Er packt ihn bei seiner Treue. Und wenn ein Priester seinen Pharao unzureichend leben sieht, so wird er daran etwas ändern. Und mit göttlicher Hilfe ...“ „Entschuldigt, wenn ich das so sage“ sprach Noah ruhig. „Aber sind nicht eigentlich die Priester diejenigen, die dem Pharao ursprünglich am Meisten schaden sollen? Ihre natürlichen Feinde?“ „Auch das spielt da mit hinein“ bejahte Sethan. „Es ist so vieles, was seinen Geist beherrscht. Und deshalb ist es auch fast unmöglich, ihn von diesem Weg abzubringen. Selbst die Worte seines Pharaos haben fast keinen Einfluss mehr auf ihn.“ „Aber nur fast“ sprach Yami entschlossen nach. „Und was können wir tun, um ihn trotzdem auf den richtigen Weg zurückzuholen? Ich will Seth nicht so leicht verloren geben.“ „Das solltest du auch nicht“ antwortete Sethan ernst. „Wir sind hier, um die Erde zu retten und die Zukunft zu verändern. Aleseus aber ist dein Priester. Also hast nur du allein die Macht und ein Recht auf ihn. Du entscheidest, was mit ihm geschieht. Das kann dir niemand abnehmen. Und ich denke, du willst sein Schicksal auch nicht in die Hände eines anderen legen.“ „Also bist du nicht hier, um ihn zu töten“ schlussfolgerte er. „Nein. Du allein entscheidest, ob er lebt oder stirbt. Hindern will ich ihn, aber ich werde nicht über ihn richten. Das ist Aufgabe seines Pharaos. Zumal Rah mich um ebendies gebeten hat. Und ich werde seiner Bitte gern entsprechen. Du kennst ihn am besten. Aleseus gehört dir und keinem anderen. Nur du kannst sein Richter sein.“ Nebenbei waren Seto und Sareth unterwegs, um den wutschnaubenden Tato zu beruhigen. Erst gingen sie leise nebeneinander auf dem Flur her bis die Kleine vorsichtig fragte. „Oma?“ sprach sie leise. „Darf ich deine Hand halten?“ „Natürlich, mein Schatz“ antwortete er ebenso ruhig und streckte ihr seine große Hand hin, damit sie sie nehmen konnte. Sofort drückte sie ihn fest und blickte schüchtern zu Boden. Wahrscheinlich hatte sie für diese Frage viel Mut aufbringen müssen. „Darf ich dich auch etwas fragen?“ fragte er nun. „Wenn du willst.“ Sie blickte an ihm hinauf und war gespannt, was er wohl wollen könnte. „Bist du schüchtern oder nur verlegen?“ lächelte er sie lieb an. „Findest du es gruselig hier, weil wir so jung sind?“ „Nein ...“ antwortete sie leise. „Aber du kennst mich ja gar nicht. Keiner kennt mich. Und ich ... ich möchte, dass du mich magst. Ich will nichts falsch machen.“ „Aber in deiner Zeit mögen wir uns doch sehr, oder? Jedenfalls hörte sich das auf dem Tonband so an.“ „Ja“ schmunzelte sie verlegen. „Ich glaube, wir mögen uns. Wir wohnen ja zusammen und du sagst jeden Tag, wie lieb du mich hast. Und Opa Yugi auch.“ „Na siehst du? Dann mag ich dich doch auch jetzt, oder?“ „Ja?“ „Warum denn nicht?“ Er blieb stehen und kniete sich herunter, sodass er sogar noch ein Stück kleiner war als sie. „Ich finde, du bist ein höfliches und ein sehr hübsches Mädchen.“ „Findest du?“ Sie wurde ganz rot, wenn er sie so liebevoll ansah. „Ja, finde ich. Ich möchte dich gern noch ein bisschen mehr kennen lernen und ich bin froh, dass du hier bist. Oder magst du mich nicht so jung?“ „Nein!“ betonte sie sofort. „Du bist doch mein Großvater! Ich liebe dich!“ „Und ich liebe dich auch. Das spüre ich. In meinem Herzen“ lächelte er und streichelte zart ihre roten Wangen. „Und wenn du Probleme hast dann kommst du zu mir, damit ich dir helfen kann, ja?“ „Ja“ hauchte sie und ließ sich vorsichtig nach vorn kippen, damit er sie in den Arm schloss. Anscheinend hatten sich da zwei Kuscheldrachen gefunden. In einem gewissen Sinne, war sie ja nun das erste Weibchen im Rudel. „Und jetzt bringen wir deinem Papa seinen Gehstock, ja?“ „Ja“ antwortete sie sofort und blieb auch dann an seiner Hand, als sie weiter gingen. Sie wollte ihn am liebsten gar nicht mehr loslassen. Und Seto wollte ihr nicht zeigen, dass er sich nicht nur Sorgen um Tato, sondern auch um sie machte. Wenn es stimmte, dass sein Sohn Alkoholiker war, dann war auch sie unglücklich. Denn ganz anscheinend schien es viel zu geben, was sie belastete und worüber sie nicht sprach. Er wusste nicht, wie er es hätte erklären sollen, aber es war einfach so ein Gefühl. Die kleine Sareth war ihm vom Wesen her so ähnlich, genau wie er früher. Schüchtern, sehr höflich, unsicher und ständig liebesbedürftig. Doch Tato schien so sehr mit seiner Trauer beschäftigt zu sein ... er hatte ja nicht mal erzählt, dass er eine Tochter hatte, die noch lebte ... irgendwas lag da, was anders sein sollte. „Halt“ lachte Seto, als sie immer noch weiterlaufen wollte und er schon stehen geblieben war. „Schon da?“ guckte sie ihn verwundert an. „Ja, hier“ zeigte er auf die geschlossene Tür. „Wir haben ihn im alten Schlafzimmer von Yami und Seth einquartiert, weil wir keinen Gästeraum mehr haben. Wir wollten es demnächst wieder zu einem Wohnzimmer machen. Tato sagte aber, er hält es nicht noch eine Nacht mehr mit Balthasar in einem Zimmer aus. Deswegen bleibt er jetzt erst mal da.“ „Ach, das ist ein Wohnzimmer. Das alte Großyami-Schlafzimmer“ wiederholte sie einprägend. „In meiner Zeit ist da Sethans Zimmer drin.“ „Na ja, noch haben wir da fast ein Wohnzimmer. Wollen wir reingehen?“ „Klopfen ist besser“ meinte sie und klopfte vorsichtig an. Nicht laut, aber laut genug, dass er es hören musste. Seto wollte dann auch nicht mehr warten und öffnete die Tür. Wenn Tato eingeschnappt war, würde er wohl kaum antworten. Kaum war die Tür offen, sah er ihn auch schon. Er stand am Fenster und blickte hinaus. In seinen Gedanken versunken, drehte er sich trotzdem herum und blickte die beiden an. Erst Seto und dann etwas tiefer seine Tochter, die ihm seinen Stock hinterherschleppte. „Papa?“ fragte sie vorsichtig. „Du hast deinen Stock vergessen. Du bekommst doch Rückenschmerzen.“ „Ach, Sareth“ seufzte er und setzte sich auf den Sessel, der direkt neben ihm stand, bevor er seine Arme ausstreckte. „Komm mal her, mein Schatz.“ Sie trabte sofort zu ihm hin und ließ sich auf seinem Schoß nieder, schlang ihre Arme um ihn und kuschelte ebenso, wie er sie auch schmuste. Den Stock stellte er dabei erst mal achtlos zur Seite. Sie war jetzt wichtiger. „Tut mir leid, Süße“ entschuldigte er sich und drückte sie noch fester. „Ich hab schon wieder geschimpft.“ „Ist nicht schlimm“ tröstete sie ihn. „Du machst dir ja nur Sorgen um mich.“ „Das stimmt. Aber ich hab dich gar nicht richtig begrüßt. Ich bin doch froh, wenn du bei mir bist, mein Schatz. Tut mir leid, dass ich nur gemeckert habe.“ „Ist nicht schlimm“ wiederholte sie wieder und drückte sich so weit weg, dass sie ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen flüstern konnte. „Ich hab dich lieb, Papa.“ „Ich hab dich auch lieb, Mäuschen.“ Wieder drückte er sie, lehnte sich zurück und seufzte tief. Sie konnte ja nichts dafür, dass Sethan sie mitgenommen hatte. Er wollte sie nicht anschreien oder ihr das Gefühl geben, sie wäre ihm nicht willkommen. Sie war doch alles, was ihm noch geblieben war. Seto wollte die zwei nicht stören, aber dennoch kam er langsam herein. Um es ganz genau zu wissen, warf er einen Blick zur Seite. Tato hatte seine Reisetasche noch gar nicht richtig ausgepackt, da schien er ebenso unfähig wie Seto. Der wäre ohne Yugi, der immer seine Sachen wegpackte, auch aufgeschmissen. Aber das gab ihm Gelegenheit, mit einem magischen Blick, den Pullover ganz obenauf zur Seite zu schieben und er sah, was er lieber nicht gesehen hätte. Es stimmte. Darunter versteckt hatte er eine, dann zwei, ganze drei Flaschen Rotwein im Gepäck. Rotwein, sein Fluch. Seto hatte auch immer mit Vorliebe Wein getrunken, wenn es ihm schlecht ging. Und Tato tat es ebenso. Alkoholismus war also doch erblich. Willentlich rückte Seto das Kleidungsstück auch nicht wieder zurück. Tato sollte ruhig sehen, dass er es wusste. Vielleicht würde er dann ja von selbst das Gespräch suchen ... vielleicht ... aber wohl eher unwahrscheinlich. Er setzte sich zu den beiden neben den Sessel aufs Sofa und legte seine Hand auf Tatos Knie. Der öffnete die Augen und sah ihn an. Mit einem Blick aus Traurigkeit, Sorgen und Tapferkeit. Er wollte sich nicht unterkriegen lassen, aber es war schwer. So ganz allein mit einem abhängigen Kind und einem gebrochenen Herzen. Sein Blick war ähnlich dem von Yugi, als er plötzlich als Witwer dastand und weder ein noch aus wusste. „Du bist nicht mehr böse, oder?“ Sie lehnte sich zurück, um nicht mehr den Kopf auf seiner Schulter zu haben, sondern ihn ansehen zu können. „Nein, ich bin nicht böse“ versprach er sanft. „Mir wäre es nur lieber gewesen, wenn du Zuhause bei Oma und Opa geblieben wärst. Da, wo du sicher bist.“ „Aber Oma und Opa gibt’s doch auch hier. Ich bin lieber bei dir, weißt du? Vielleicht kann ich euch ja helfen. Vielleicht auch nicht, aber ... vielleicht doch. Ein bisschen. Ich hab ein bisschen geübt ... nur ein bisschen.“ „Du hältst dich erst mal bedeckt, Schatzi“ bat er. „Ich möchte nicht, dass dir was passiert. Also sei vorsichtig, dass du keinem Schatten begegnest, hörst du?“ „Und auf Sethan bist du auch nicht böse“ bat sie weiter. „Er muss das doch machen. Ich glaube, er möchte auch lieber Zuhause sein. Aber er muss doch die Welt retten. Und wir müssen ihm helfen. Wenn wir das nicht machen, wer soll denn sonst? Wir müssen furchtlos sein und intelligent. Damit alle Menschen eine schöne Welt haben und Seth nicht alles vernichtet. Und Sethan will, dass es allen gut geht. Er macht das nicht, weil er dich ärgern will.“ „Ich weiß, Schätzchen. Das weiß ich doch. Du hörst dich an wie Nini“ seufzte er resignierend. „Aber pass trotzdem auf dich auf und mach nichts Gefährliches. Wenn was ist, dann lass die großen Jungs kämpfen. Hörst du?“ „Ja“ versprach sie mit gesenkter Stimme. „Ich passe auf.“ „Asato?“ Phoenix steckte seinen Kopf durch die geöffnete Tür und sah ihn besorgt an. Ebenso wie der kleine Laertes, der auf seiner schmalen Schulter bequem Platz fand. „Ist alles in Ordnung?“ „Spatz!“ strahlte die Kleine ihn an. „Und Laertes!“ „Unser Dreamteam“ lächelte Tato und daraufhin kamen die zwei auch herein. Das war wohl als Einladung zu sehen. Zwar fiel auch der Blick von Phoenix kurz auf die Tasche, welche Seto geheim durchwühlt hatte, aber auch er tat als hätte er nichts gesehen. Ihm schien das nicht neu zu sein. „Du hast Sethan ja ziemlich angeraunzt“ sprach Phoenix erstaunlich offen, was Seto überraschte. Vor ihm und Sari schien er ein ganz anderer Mensch zu werden. Viel mutiger. Zwar noch immer sehr sanft und ruhig, aber viel mutiger. Vielleicht aus dem Grund, den Sharesa und Balthasar erzählt hatten. Für ihn hatte Tato eine Art Vaterrolle übernommen und Sareth wurde ihm damit eine Schwester. Und so ging er auch mit ihnen um. Wie mit einem Vater und einer kleinen Schwester. „Willst du mir das etwa vorhalten?“ fragte er beleidigt zurück. „Einfach Sari mitzuschleifen, obwohl sie noch viel zu jung und unerfahren ist.“ „Du weißt, er würde sie nicht mitnehmen, wenn es nicht wichtig wäre. Er würde niemanden von uns in Gefahr bringen“ antwortete er ernst und blieb vor ihm stehen, kraulte den zwergwüchsigen Vogel auf seiner Schulter. „Ich glaube, du tust ihm Unrecht, wenn du ihn so anmachst. Jetzt denken alle, wie skrupellos er ist. Keiner hat ihn richtig geknuddelt. Ich glaube, ihn macht das auch traurig, wenn sich alle von ihm distanzieren. Auch du.“ „Hör auf, so zu reden“ grummelte er und senkte ausweichend seinen Kopf. Für Seto taten sich hier ganz neue Seiten auf. Hatte dieser schwache Junge ihm etwa was zu sagen? Mit dem mächtigen Sethan legte er sich an wie eine Furie und vor diesem nicht mal magischen Jugendlichen senkte er den Kopf? Das tat ein Drache doch nur, wenn er seinen Frieden signalisieren wollte. Wenn er jemanden beschwichtigen und sich wörtlich wegducken wollte. Seto erkannte seine eigene Körpersprache. „Ich finde, du solltest dich bei ihm entschuldigen.“ „Ach, findest du, ja?“ Aber er wäre kein Drache, wenn nicht auch er seinen Stolz hätte. „Ja, finde ich“ verdeutlichte er nochmals. „Für ihn ist das hier sicher auch alles nicht leicht. Alle verlassen sich auf ihn und er braucht jeden Beistand. Besonders deinen. Du weißt, dass er große Stücke auf dich hält und dass du hier der erste Ansprechpartner für ihn bist. Mach es ihm doch nicht so schwer.“ „Du hast leicht reden“ warf er ihm vor. „Ach, hab ich das?“ schaute er dunkel zurück und schüttelte dann aufgebend seinen Kopf. „Ach, Asato. Warum bist du nur so ein Sturkopf?“ „Sag einfach, dass du mich lieb hast.“ „Ja, ich hab dich lieb. Sehr lieb sogar“ gestand er ihm zu und setzte sich zu den beiden auf die Lehne. Er legte seine Arme um Tatos breite Schultern und schmiegte seine Stirn an ihn. „Bitte sei nicht so aufbrausend, ja? Mein Dicker?“ „Ja“ versprach er leise. „Tut mir leid.“ Er drückte die zwei an sich und so saß er nun da. Mit seiner eigenen, jungen Tochter und dem angenommenen Sohn. Alles verließ sich auf ihn ... er hatte eigentlich gar keine Zeit für eigene Probleme. „Du bist nun mal ein kleiner Sturkopf, Papa“ lächelte Sareth und tippte ihm neckisch auf die Nase. „Das sagt ja die Richtige“ brummte er zurück. „Ach, ihr tut euch beide nicht viel“ meinte Phoenix dazu. „Wollen wir vielleicht mal zurückgehen? Sethan erzählt uns jetzt bestimmt, wie es weitergehen soll.“ „Darf ich vorher noch etwas fragen?“ warf Seto bedacht ein. „Ja, Mama. Natürlich“ antwortete Tato sofort. „Tut mir leid, dass ich so ...“ „Nicht deswegen. Ist schon okay“ beruhigte er ihn liebevoll. „Ich kenne das. Ich hab auch ständig so Ausraster, wo ich mich hinterher selbst frage, warum ich eigentlich gebrüllt habe.“ „Das stimmt“ meinte Sareth. „In meiner Zeit bist du auch ein bisschen wie mein Papa. Aber nicht soooo schlimm. Aber Opa sagt immer, das hat er von dir.“ „Den Schuh muss ich mir wohl anziehen“ gab er lächelnd zu. „Aber ich wollte eigentlich etwas anderes fragen. Wegen Sethan.“ „Sethan ist lieb.“ Da musste Sareth doch ein gutes Wort für ihn einlegen. „Er ist mein Cousin und auch dein Enkel. Er ist eigentlich nicht immer so ernst wie jetzt. Aber er weiß, dass es jetzt ganz wichtig ist. Er muss aufmerksam sein, hat er gesagt und aufpassen, dass möglichst viele wieder nach Hause kommen. Aber Zuhause ist er anders. Er lacht immer ganz viel und er kuschelt gerne. Er ist nicht immer so ernst. Ich hab ihn sehr lieb.“ „Er machte wirklich einen angespannten Eindruck“ musste Seto zugeben. „Aber er hat wundervoll klare Augen. Ich glaube auch, dass er ein guter Mensch ist.“ „Das ist er“ nickte Phoenix zustimmend. „Er ist im Augenblick wirklich angestrengt und vernünftiger als sonst. Er weiß, dass es jetzt auf ihn ankommt.“ „Ich an seiner Stelle wäre wohl auch etwas nüchtern“ gestand Seto. „Was mich aber eigentlich interessiert, ist, wie er entscheidet, wer mitkommt und wer nicht. Ich meine, woher weiß er, wen er braucht? Dass er Tato mitnimmt, weil er ein starker Magier ist, verstehe ich ja noch. Aber warum nimmt er einen Chaoten wie Jonny mit und lässt dafür eine starke Hexe wie Narla Zuhause? Sie hätte vielleicht sogar noch eher Einfluss auf Seth.“ „Jonny ist nicht wie Joseph“ erklärte Tato. „Sethan hat nur Menschen mitgenommen, die in einem magischen Kampf bestehen können. Dafür hat er einige Zuhause gelassen, die dort die Stellung halten und andere, vor allem die Jüngeren, ausgewählt, um ihn zu begleiten.“ „Du willst mir erzählen, dass Jonny ein Hexer ist?“ fragte Seto mit einem mehr als skeptischen Blick. Sogar die skeptische Augenbraue hatte sich erhoben. „Er hat doch gar keine Hexen in seiner Blutlinie.“ „Nein“ erzählte Sareth frei heraus. „Jonny ist ein Zauberer.“ „Ein Zauberer? Der?“ Seto fiel heute irgendwann noch ab vom Glauben. „Als Zauberer muss man alles hart erlernen. Wirklich gute Zauberer sind steinalt. Selbst Seth kannte nur eine Hand voll. Ich selbst kenne gar keinen. Und du meinst, ausgerechnet jemand wie er ist so strebsam, dass er Magie entwickelt?“ „Ich weiß. Es passt nicht zu ihm“ murrte Tato. „Jonny ist ein Idiot.“ „Gar nicht! Sag das nicht immer!“ schimpfte seine Tochter und haute ihn auf die Schulter. „Jonny ist sehr schlau und er lernt immer viel.“ „Während er zwischen seinen Rennen Pause macht“ erklärte Phoenix etwas ruhiger als die beiden Drachen. „Von Madesh bekommt er alte Schriften übersetzt, die er dann auswendig lernt. Er spricht es auf Tonband, wie du es nennst und hört es solange bis er es kann. Und dann arbeitet er sich in der Praxis heran, zumal er durch den Sport einen sehr belastbaren, flexiblen Körper hat und auch im Kopf ständig aufmerksam sein muss. Das macht er seit er zehn oder elf ist und er hat bis heute nicht aufgehört. Natürlich lernt er bei Weitem nicht so schnell wie ein Hexer, aber er hat sich einige Fähigkeiten hart erarbeitet.“ „Er kann sehen“ erzählte Sareth. „Er spürt manchmal, dass Sachen geschehen. Dafür guckt er in den Himmel oder auf den Boden. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber er kann das riechen, sagt er. Immer kurz vorher. Da kann er sagen, jetzt fliegt gleich ein Vogel vorbei und dann fliegt wirklich ein Vogel vorbei. Wahnsinn, was?“ „Wer ist Madesh?“ wollte Seto viel lieber wissen. „Madesh Ishtar“ erklärte Tato. „Das Oberhaupt der Grabwächter. Es ist übrigens in 5000 Jahren das erste Mal, dass eine Frau zum Oberhaupt wird.“ „Madesh Ishtar ist also eine Frau“ wiederholte er anerkennend. „Gleichberechtigung in allen Bereichen, was?“ „Sozusagen.“ „Ist sie Mariks eigene Tochter?“ „Das ist wieder eine andere Geschichte, in der Malik ziemlich tief drinsteckt“ wiegelte er ab. „Ich erzähle es dir dann ein anderes Mal.“ „Madesh ist lieb“ lächelte Sareth. „Und sie ist so hübsch. Sie hat ganz lange Haare und glitzernde Augen. Wenn wir sie das nächste Mal besuchen gehen, zeigt sie mir, wie sich eine Ägypterin schminkt.“ „Das sehen wir dann.“ Tato schien von der Idee nicht so angetan. Sie war erst elf und dachte schon ans Schminken ... „Das bedeutet dann aber auch, dass die anderen ebenfalls magische Fähigkeiten haben, oder?“ fragte Seto weiter. „Ja“ antwortete Phoenix. „Fernando ist ein Hexer. Er ist unser Spezialist, wenn’s um Fallen geht. Er kann die Magie eines Gegners für einen Moment anzapfen und sie ihm beim nächsten Angriff entgegenstellen oder daraus für ein bestimmtes Ziel einen Schutzbann errichten. Das kann er bei Schatten übrigens besonders gut.“ „Und Dakar?“ wollte er ebenfalls wissen. „Er hat irgendwas an sich, was ich nicht richtig benennen kann. Vielleicht ein Illusionist? Er ist so undurchsichtig.“ „Dakar“ versuchte Tato ihm dann nachdenklich zu antworten. Als wolle er ihm schonend etwas beibringen. „Aber versprich, dass du nicht ausflippst oder irgendein Wort zu jemand anderem sagst.“ „Okay“ versprach er beobachtend. „Was ist mit ihm? Er ist so ... einfach merkwürdig.“ „Er ist Giftmagier.“ „Ein Magier sogar“ nickte er. „Da lag ich mit Illusionen wohl etwas falsch. Aber er ist so ... ich weiß nicht. Irgendwie glatt.“ „Das ist er wirklich. Er hat seine eigene Geschichte.“ „Vielleicht in Kurzform?“ bat Seto. „Ich finde, man sollte sich kennen, wenn man miteinander arbeiten soll.“ „Er ist der Sohn von Apophis und Mokeph.“ Darauf wusste nicht mal Seto spontan etwas zu antworten. Er bekam ziemlich große Augen und seine Überraschtheit versperrte ihm die Lippen. Deshalb hatte er so rabenschwarze Augen - weil er Mokephs Sohn war. Und die hohe, hagere Gestalt musste er von Apophis haben. Deshalb war er auch so auffällig unscheinbar. „Aber er sagte, Tea hat ihn adoptiert“ kombinierte er zaghaft selbst. „Also hat sie ihn nicht geboren?“ „Mokeph hatte einen Seitensprung“ erklärte Tato. „Er hat Tea niemals etwas gesagt, aber eines Tages war Dakar plötzlich da. Im Alter von 15. Es gab ein großes Hin und Her, wobei Dakar fast auf der Strecke geblieben wäre. Er war über einen traurigen Weg in die Fänge des Zirkels geraten. Er wirkt heute noch manchmal etwas merkwürdig, aber das liegt daran, dass sie ihm die Stimmbänder gekürzt und seine Tränendrüsen verkümmert haben. Seine heisere Stimme und seine regungslosen Augen, dafür kann er nichts. Als er damals zu uns kam, war auf dem Aussteigerweg. Er war vor seinem Meister geflohen. Letztlich endete er in der Obdachlosigkeit. Er kannte die normale Welt außerhalb des Zirkels überhaupt nicht. Deshalb war er sehr orientierungslos. Außerdem hatte er Drogenprobleme, ziemlich schwere sogar. Mit einer Droge namens Dust, die in unserer Zeit zu vielen Todesfällen geführt hat und es noch immer tut. Und zudem wollte Tea ihn natürlich nicht akzeptieren, sich sogar von Mokeph scheiden lassen. Sie war schrecklich enttäuscht und sauer auf ihn und in Dakar sah sie nur Apophis und diese fremde Frau. Für ihn aber war das zuviel und er wollte sein Leben wohl gar nicht mehr. Er hatte ja nichts mehr.“ „Aber was war denn mit seiner Mutter?“ fragte Seto betroffen. „Hat sie sich nicht um ihn gekümmert?“ „Sie hat ihn weggegeben“ antwortete Tato hart. „Sie hat sich vor ihrem Baby geekelt und es einem Fremden gegeben, der Dakar dann als starken Magier im Namen des Zirkels erzogen hat. Sie wussten nämlich sehr wohl, wer ihn gezeugt hatte. Sie haben ihn von der Welt abgeschottet und seit Kindesbeinen an einer Art Hirnwäsche unterzogen. Er sollte das Aushängeschild des Zirkels werden, aber gleichzeitig vollkommen hörig. Aber er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Er versuchte, wegzukommen, aber auch bei Mokeph fand er erst keinen Schutz. Der hatte sich dafür entschieden, seine Ehe zu retten. Er wollte sich zwar um Dakar kümmern, aber ihn von seiner Familie erst mal fern halten. Verständlich, denn er war damals wirklich zum Fürchten. Natürlich fiel ihm das als Vater nicht leicht, aber er konnte ihn nicht ins Haus holen. Er wollte für ihn da sein und ihm helfen, aber was Dakar von ihm wollte, war eine Familie. Und die schien er nicht zu bekommen. Aber als er am Abgrund stand, hat Tea sich letztlich überwunden und ihn als Mokephs Sohn akzeptiert. Sie hat ihn nach Hause geholt und offiziell adoptiert. Sie hat ihm bei seinem Drogenproblem geholfen und ihn sogar in ihrem Bett schlafen lassen, wenn er nachts weinte. Seitdem weicht er nicht mehr von ihrer Seite. Er sieht in ihr die Mutter, die er niemals hatte. Manchmal scheint es, er liebt Tea viel mehr als Mokeph es tut. Er würde alles für sie tun. Sie ist für ihn eine Heilige.“ „Und meine Cousinen haben ihn auch sofort adoptiert“ lächelte Phoenix. „Die Mädchen lieben ihn wie einen großen Bruder.“ „Aber wenn er im Zirkel war“ meinte Seto. „Warum hat Seth sich nicht um ihn gekümmert? Als sein Onkel hätte er das tun müssen.“ „Zu diesem Zeitpunkt hatte Seth den Zirkel noch nicht übernommen“ erklärte Tato ihm geduldig. „Das hat er erst vor etwa zehn Jahren getan und Dakar ist schon vor über 20 Jahren ins Haus gekommen. Kurz bevor Sethan geboren wurde.“ „Mokeph hat also Tea mit einer anderen betrogen“ seufzte er und lehnte sich geschafft zurück. Das musste er erst mal verdauen und hätte Tato ihn nicht um Stillschweigen gebeten, hätte er sicher anders reagiert. „Ihr kommt 38 Jahre aus der Zukunft und Dakar ist jetzt 37. Das heißt, seine Mutter ist jetzt schwanger.“ „Tea weiß nichts davon“ bat er. „Bitte sag ihr nichts. Das sollten die Gardeners unter sich ausmachen.“ „Er hat sie wirklich betrogen“ wiederholte er ungläubig. „Ich hätte nie gedacht, dass Mokis Yami ein Fremdgeher ist. Hat Apophis ihn verführt?“ „Mehr oder weniger“ gestand er ihm zu. „Mama, bitte. Ich hab dir das im Vertrauen erzählt. Lass dir nicht anmerken, dass du es weißt. Ich weiß, dass du Tea liebst, aber trotzdem. Bitte.“ „Die Hoffnung auf ruhigere Zeiten kann ich mir dann wohl in die Haare schmieren“ meinte er und sah ihn enttäuscht an. „Und ich dachte, mit der Zeit wird das Leben ruhiger.“ „Bei allen, nur bei uns nicht“ lächelte Tato entschuldigend. „Du weißt ja.“ „Ja“ seufzte er. „Irgendwas ist ja immer ...“ Chapter 17 „Onkel Tato?“ Er blickt langsam auf, als er diese Stimme hörte. Gerade war er in einem Gespräch mit Seto vertieft und hatte keinen zusätzlichen Besuch erwartet. Und eigentlich war Seto froh, dass Sareth und Phoenix sich eben aus dem Staub gemacht hatten, um zu den anderen zurückzugehen. So wollte er die Gelegenheit nutzen und das ein oder andere Thema antasten, bei welchem er lieber keines der Kinder dabeihaben wollte. Aber mit Sethans Erscheinen musste er das wohl auf später verschieben. „Was?“ fragte Tato kalt zurück. „Im Moment wohne ich hier oder willst du jetzt plötzlich auch noch über mein Zimmer bestimmen?“ „Nein“ antwortete er und kam vorsichtig ganz herein. „Oma, bist du so lieb und lässt uns einen Moment allein?“ „Bleib ruhig sitzen“ sagte Tato sofort dagegen. „Wir haben uns gerade unterhalten. Kannst du nicht später wiederkommen?“ „Nein“ war wieder seine Antwort und sein leuchtend unnatürlicher Blick bekam einen besonderen Glanz. Einen traurigen. Ihm standen die Tränen in den Augen. „Ich möchte gern jetzt mit dir sprechen.“ „Was willst du denn?“ Das klang zwar schon ein wenig entschärft, aber noch lange nicht einladend. Eher als wüsste Tato, dass er gerade etwas harsch gewesen war, es aber nicht einsah, sich dafür zu entschuldigen. „Ich ... ich möchte dich bitten“ begann er vorsichtig und sah ihn verletzt an. „Bitte sei nicht so gemein zu mir.“ „Überleg mal, wer hier gemein ist“ warf er zurück. „Ich sage meiner Tochter, sie soll Zuhause bleiben und du nimmst sie einfach mit. Du stellst vor ihr meine Autorität infrage.“ „Aber es war mit Mama so abgesprochen“ verteidigte er sich schwach. „Warum änderst du so plötzlich deine Meinung?“ „Als ich gegangen bin, hab ich dir gesagt, ich will, dass sie Zuhause bleibt“ wiederholte er nur wieder. „Es ist nicht korrekt, wenn du mich vor ihr infrage stellst.“ „Es tut mir leid“ hauchte er und senkte seinen feuchten Blick. „Aber was soll ich denn machen?“ „Was ist denn los, Sethan?“ Seto war da etwas einfühlsamer, zumal er in diesem Zwist nicht wirklich drin steckte. Er konnte Tatos Sorge verstehen. Der wollte nur seine Tochter beschützen. Aber er meinte, auch Sethan verstehen zu können. Noch hatte er es nicht genau fragen können, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sareth große Magie besaß und er sie brauchte, war doch sehr wahrscheinlich. Und weil er hier dem scheinbar Schwächeren den Rücken stärken wollte, erhob er sich und ging zu ihm, legte ihm den Arm um die Hüfte. „Was willst du Tato denn sagen?“ „Ich will mich rechtfertigen“ antwortete er mit laut bebender Stimme und gestikulierte seinen Onkel wild an. „Warum willst du mich nicht verstehen? Warum bist du plötzlich gegen mich?“ „Ich bin nicht gegen dich. Aber ich muss ja nicht alles gutheißen, was du tust.“ „Ich hab doch keine Wahl! Was würdest du denn an meiner Stelle machen?“ „Ich bin ja nicht an deiner Stelle. Du bist doch viel toller als ich.“ „HÖR AUF!“ schrie er ihn verletzt an und sein Blick bettelte geradezu nach Verständnis. „Ich weiß, dass ich jünger bin als du. Verdammt, ich bin erst 23! Ich bin fast noch ein Kind! Kannst du dir nicht mal vorstellen, wie ich mich fühle?“ „Nein“ erwiderte er abweisend. „Du bist doch ein hochgeborenes Wesen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht in dich einfühlen.“ „Warum tust du das?“ Jetzt weinte er doch und Seto fühlte, wie er am ganzen Körper zu beben begann. Der mächtigste aller Könige hatte also auch eine menschliche Seele und fürchtete sich vor dem, was die Zukunft für ihn bereithielt. Er war gar nicht so cool wie er vorgab. „Ich hab noch lange nicht deine Reife, deine Erfahrung. Aber jeder erwartet, dass ich die Welt rette. Andere in meinem Alter gehen auf Partys und amüsieren sich und ich muss König spielen. Mich hat nie jemand gefragt, ob ich das machen will.“ „Du scheinst aber sehr darin aufzugehen“ gab er wertfrei zur Antwort. „Es ist doch super, wenn man so wichtig ist.“ „Ich finde das nicht super“ weinte er. „Ich hasse es. Viel lieber wäre ich ein Durchschnittjugendlicher mit einer Durchschnittfamilie und einem Durchschnittsjob. Mich hat nie jemand gefragt, ob ich ein göttergleiches Wesen sein will.“ „Kommt dir das nicht bekannt vor?“ versuchte Seto seinen Sohn zu erinnern. Auch Tato hatte geäußert, dass er viel lieber durchschnittlich und normal wäre. Konnte er sich denn nicht wenigstens da in den jungen Sethan einfühlen? Seto wusste nicht genau, weshalb der sonst so gelassene Tato plötzlich so aggressiv reagierte. Auf den Sohn seiner eigenen Schwester, seiner Pharaonin. Und auch nicht, warum der so abgeklärt und positiv scheinende Sethan plötzlich so verletzt war. Ganz anscheinend waren da wohl schon Sachen gelaufen, über die Seto einfach nichts wusste. „Sethan, du sollst die Welt retten. Nicht ich“ erklärte er trocken. „Mich hat auch niemand gefragt, ob ich hierauf Bock habe. Aber jeder hat nun mal seine Pflichten.“ „Ich weiß.“ Er versuchte seine Stimme zu beruhigen, aber wirklich gelingen, tat es ihm nicht. „Ich versuche auch, meine Pflicht wahrzunehmen. Aber ich brauche Hilfe. Die Hilfe von Sari. Die Hilfe von Nando. Die Hilfe von Narla, von allen. Und vor allem brauche ich deine Hilfe. Verdammt, ich bin doch gar nicht reif für so etwas. Ich habe riesige Angst vor dem, was kommen wird. Aber ich darf das niemandem zeigen. Ich bin der Stärkste von uns. Ich hab mir das nicht ausgesucht, aber wenn ich nicht zuversichtlich bin, wird es auch kein anderer sein. In mir drin, fühle ich mich nicht wie der größte Pharao, der mächtigste Gott aller Zeiten. Aber alle erwarten, dass ich mich so benehme. Was soll ich denn tun? Wenn wir hier scheitern, wird auch unsere Zukunft sterben. Dann ist es egal, wo Sari sich aufhält. Als Priester meiner Mutter warst du mir immer ein Vorbild. Aber jetzt, wo ich dich am meisten brauche, da machst du es mir so schwer. Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist, weil ich deine Autorität unterwandert habe. Ich kann auch verstehen, wenn es dir schwer fällt auf jemanden zu hören, der so viel jünger und unreifer ist als du. Aber was soll ich tun? Sag mir, was ich tun soll!“ „Sethan ...“ „Ich brauche dich, Onkel Tato“ schluchzte er. „Ich hab Angst, dass ich versage. Davor, dass mein Plan nicht aufgeht. Aber ich will die Welt beschützen, die Menschen darauf und alle, die ich liebe. Ich will Gutes tun, aber ich kann das nicht alleine. Ich brauche dich ... bitte sei für mich da. Ich weiß, du bist nicht mein Priester, aber auch ich brauche jemanden, der mir den Rücken stärkt. Mama kann nicht hier sein ... bitte steh du mir an ihrer statt bei.“ „Weiß deine Mutter, dass du mit so unsicheren Gefühlen aufgebrochen bist?“ Selbst Tato schien überrascht über diese emotionalen Worte zu sein. Auch wenn er es hinter einer tonlosen Maske verbarg, sah man doch ein wenig Verwirrung durchscheinen. „Nein“ antwortete er leise. „Ich hab doch keine andere Wahl. Wenn ich zeige, wie viel Angst ich habe ... du weißt, was ich für ein Schisser bin.“ „Du bist kein Schisser“ meinte er fest. „Du warst doch der Erste, der sich beim Bungee freiwillig gemeldet hat.“ „Das war kein Kunststück, sondern Vertrauen. Du hättest mich ja aufgefangen.“ „Hätte ich nicht“ sagte er kalt. „Du weißt, dass ich nicht fliegen kann.“ „Aber ich weiß, du hättest mich aufgefangen“ flüsterte er. „Bitte ... überwinde dich und lass mich dir vertrauen. Schluck runter, was dich stört und stärke mir den Rücken. Ich gebe mir Mühe, stärker zu sein als ich bin. Und vielleicht kannst du dir Mühe geben und ein bisschen von deinem Stolz ablegen.“ Und damit verlangte er wirklich viel. Tato war ein sehr stolzer, ein geradezu eingebildeter Mensch. Das abzulegen und einen Jungen als mächtiger anzuerkennen, sich von ihm etwas sagen zu lassen, fiel ihm sicher schwerer als jedem anderen. „Okay.“ Nach einem kurzen Überlegen stimmte er dennoch zu. Aber er wäre nicht Tato, wenn er nicht Gegenforderungen stellen würde. „Aber nur unter einer Bedingung.“ „Und welche?“ Seine Stimme war von Hoffnung erfüllt, aber auch von Unsicherheit, ob er dies Forderung erfüllen konnte. „Ich will, dass Sareth unverletzt nach Hause zurückgehen kann“ forderte er klar. „Ob unverletzt oder nicht, kann ich dir nicht garantieren“ erwiderte er. „Aber ich will versuchen, sie besonders zu beschützen. Ich weiß, wie wichtig sie dir ist.“ „Versprich es mir“ forderte er vehement. „Und wenn es Tote gibt. Selbst wenn ich sterbe. Ich will, dass du sie am Ende nach Hause bringst. Und wenn sie die Einzige ist, die zurückkehrt. Ich will, dass sie hier lebend rauskommt.“ „Ich verspreche es dir“ nickte er und wischte sich die Tränen fort. „Auch wenn es nicht viel bringt. Wenn wir hier scheitern, nützt ihr auch eine Rückkehr in die Zukunft nichts. Aber wenn das die Bedingung für deine Loyalität ist, dann werde ich sie erfüllen.“ „Gut dann.“ Tato erhob sich, stützte sich auf seinen Stock und kam langsam die wenigen Schritte auf ihn zu, um ihn ruhiger anzusehen. „Solange du mir versprichst, meine Tochter zu beschützen, kämpfe ich für dich wie für meine Schwester.“ „Ich beschütze sie“ versprach er deutlich. „Ich verspreche es dir.“ „In Ordnung. Komm her, du Schisser.“ Er breitete seine Arme aus und Sethan hatte sich schneller angeschmiegt, als er gucken konnte. „Wenn ihr was passiert, ist unser Pakt gestorben. Verstanden?“ „Ja“ hauchte er und drückte sich an ihn. „Danke, Onkel Tato.“ „Schon gut. Und ab jetzt keine Schwächeleien mehr.“ „Nein ...“ „Sei ein Mann.“ „Ja ... Onkel Tato ...“ Seto erkannte, dass sie vielleicht mit ganz falschen Erwartungen an Sethan gedacht hatten. Er war als so groß und mächtig prophezeit worden, dass man insgeheim glaubte, einen Übermenschen vor sich zu sehen. Vielleicht war er das sogar, aber nicht so, wie man es erwartet hatte. Er war selbst erst ein Jugendlicher und er hatte Angst davor, die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen. Er stand unter großem Druck. Er sollte die kleine Armee der Mächtigen in eine Schlacht gegen den dunkelsten aller Götter und seinen verblendeten Sohn führen und einen fast aussichtslosen Streit beenden, der seit Jahrmilliarden tobte. Dabei war er selbst erst 23 Jahre. Seine Zweifel waren vollkommen verständlich. Jeder hätte Zweifel, dieser Sache gewachsen zu sein. Und dann kam jemand wie Tato, der es verstand, anderen Leuten das Leben schwer zu machen. Jemand, der immer versuchte, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Man musste ihn nicht gegen sich haben, um in einem Kampf zu wanken. Schlimm genug war es schon, ihn nicht sicher auf seiner Seite zu wissen. Und bei Tato wusste man nie genau - der hatte seinen eigenen Kopf. Aber in einem solchen Kampf musste Sethan sich einfach auf ihn verlassen können. Es ging schlechter ohne ihn. Doch wenn Tato eines war, dann war er ein Mann der Ehre. Wenn er etwas versprach, dann hielt er sein Wort. Und er hielt sich an einen geschlossenen Pakt. Solange Sethan seine Tochter schützte, würde er die Priesterschaft für ihn übernehmen. Und das bedeutete, ihn und seine Entscheidungen vollkommen anzuerkennen und danach zu handeln. Für jemanden, der so viel jünger und unerfahrener war als er selbst. Am Ende fiel es beiden nicht leicht, einen solchen Pakt zu schließen. Aber es machte vieles einfacher. Seto seufzte schwer und stellte sich hinter Sethan, schlang seine Arme um ihn und umarmte ihn von der anderen Seite. Dieses junge Überwesen schien es wahrlich nicht leicht zu haben. Hierher zu gehen und einen Kampf zu kämpfen, den außer ihm niemand bestehen konnte, die Zeit zu beeinflussen und gleichzeitig allen etwas recht zu machen ... für einen jungen Menschen war das wirklich ein schweres Los. Das wäre es auch für jeden anderen. „GRUPPENKUSCHELN!“ Und als Yami das sah, hopste er sofort herein und quetschte sich irgendwo dazwischen. Ob er da reinpasste oder nicht, war ihm ziemlich egal. Wo gekuschelt wurde, wollte er mitmachen. „Wollen wir uns nicht lieber hinlegen? Auf Dauer wird das ungemütlich“ schlug er irgendwo zwischen Setos Ellenbogen, Sethans Knie und Tatos Kinn gedrückt vor. Nicht nur stören, sondern auch noch Ansprüche stellen! „Was willst du schon wieder?“ grummelte Seto und löste sich beleidigt. Und damit löste sich auch die gesamte Runde auf. Genug geschmust für den Moment. „Du kannst so nett sein, du Engel“ murrte Yami zurück. „Ich bin das hol-mal-die-anderen-Kommando. Wir warten alle, dass uns mal jemand erzählt, wie’s weitergeht.“ „Ich glaube, das weiß eh nur einer“ meinte Tato und sah Sethan mit offenen, geklärten Augen an. „Also, walte deines Amtes und führe uns.“ „Hör auf. Das hört sich komisch an, wenn du so redest“ sah er beunruhigt an ihm hinauf. „Dir kann man auch nichts recht machen. Da will ich mal nett sein und du ...“ „Also, ich hab irgendwie auch Angst vor dir, Tato“ gestand Yami und nahm Sethan scherzend in den Arm. „Er ist doch echt gruselig, oder?“ „Ach. Und warum?“ brummte Tato als sie sich gemeinsam auf den Weg hinaus machten. „Tja, einfach nur so“ lachte Yami. „Du bist noch viel unheimlicher als Seto manchmal.“ „War das ein Kompliment oder eine Beleidigung?“ brummte der dann von der anderen Seite. „Was wäre denn für mich vorteilhafter?“ überlegte Yami und sah nachdenklich die Decke an. „Was meinst du, Sethan? Wenn ich sage, das war ein Kompliment, dann nuschelt Seto wahrscheinlich irgendwas Unverständliches und redet die nächste Stunde gar nicht mehr mit mir. Und wenn ich sage, dass das eine Beleidigung war, dann wird er versuchen, mir irgendwelche schrecklichen Dinge anzutun. Wobei ...“ „Du stehst doch auch schreckliche Dinge“ schmunzelte Sethan. „Stimmt“ schmunzelte der zurück. „Du auch?“ „Na ja ... nicht so sehr, um ehrlich zu sein. Ich hab’s lieber friedlich.“ „Bist du schwul?“ „Öhm ...“ „YAMI!“ machte Seto ihn wütend an und griff ihn am Kragen, um ihn von dem armen Jungen wegzuziehen. „Was denn?“ quengelte der in diesem kalten Griff. „War doch ne ganz normale Frage.“ „Nein, das war eben keine normale Frage.“ „Also, ich bin bi“ erzählte er frei heraus. „Ich mag Männer und Frauen. Aber am meisten mag ich Seth. Seto ist aber auch geil. Und Yugi erst ... hmmmm. So, jetzt bist du dran.“ „Lass ihn in Ruhe damit“ schimpfte Seto und schubste ihn nach vorn. Er konnte ihn ja nicht ewig festhalten. „Also?“ Und schon klebte er wieder an Sethans Seite. „Bist du auch anders oder ganz normal hetero? Mit wem hast du schon alles und wann?“ „Noch gar nicht“ gab er freizügig zu. „Wie ... noch gar nicht?“ Das war eine Formulierung, die kannte Yami nicht. Man musste doch alles mal gemacht haben. „Na ja. Weißt du ... ich bin noch Jungfrau.“ „Buff“ uffte er dann und sah ihn planlos an. „Echt? Mit 23 noch? Noch nie Sex gehabt?“ „Nein, noch nie“ lächelte er sanft. „Noch nicht mal geknutscht?“ „Nein. Ich warte auf den richtigen Menschen. Auf denjenigen, der mir alles bedeutet.“ „Ach, so einer bist du“ stellte er enttäuscht fest. „So ein Romantiker.“ „Wenn du es so ausdrücken willst, Ati. Bist du sehr enttäuscht?“ „Na ja, ein bisschen schon“ gab er seufzend zu. „Ich dachte, du erzählst mir mal ein bisschen was nettes. Aber na gut ...“ Und da er jetzt Tato leuchtend ansah, zog der schon mal langsam den Kopf ein. „Und du, Tato? Wie ist es so mit deinem Sex?“ „Lass das“ raunzte Seto ihn von der Seite an. „Hör auf mit deinen Fragen.“ „Ach, sei ruhig. Du bist uninteressant“ lachte er. Was Seto so an Sex hatte, wusste er aus erster Hand. Da musste er nicht mal fragen, das erzählte Yugi ihm immer brühwarm. „Tato, erzähl mal. Was macht ein Mann wie du mit seiner ganzen Manneskraft?“ „Meinen Blick auf andere Dinge wenden als auf unnützes Rumhuren“ entgegnete er und sah ihn drohend an. „Zum Sexhaben ist die Jugend da. Irgendwann sollte man auch mal erwachsen werden, Atemu.“ „Ne ziemlich traurige Einstellung finde ich das“ antwortete er enttäuscht. „Hast du denn gar keinen Spaß mehr in deinem Leben?“ „Es gibt anderes als immer nur dem nächsten Fick hinterherzulaufen. Du solltest dich lieber auf Sachen konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Dann wäre Seth vielleicht jetzt woanders.“ „Tato. Bitte.“ Jetzt musste Seto ihn mal anmahnen. Yami war nun mal jemand, der seine Trauer hinter Scherzen verbarg. Der sich niemals in seinem Elend auflösen wollte. Aber ihm solche Vorwürfe zu machen, war gemein. Es war nicht seine Schuld, dass der größte und gefährlichste Feind aus ihren eigenen Reihen kam. „Schon gut. Danke, Seto“ dankte Yami und wand seinen Blick von Tato ab nach vorne. „Auch wenn es dich nicht interessiert, Asato. Ich habe seit über einem Jahr mit keinem anderen mehr als mit Seth geschlafen. Vielleicht ist er deshalb fortgegangen, weil ich ihn zu sehr eingeengt habe. Denn Treue definiert jeder anders. Und die eigene Definition von Zuneigung ist das Wichtigste im Leben. Denn Mut zum Individualismus ist, denke ich, einzig und allein wirklich erwachsen. Und man sollte sich immer treu bleiben, um jemand anderen im Herzen zu halten.“ Das nahm selbst ihm den Wind aus den Segeln. So fröhlich und herzlich und aufdringlich Yami sich auch gab, so tief und vernünftig waren auch seine Gedanken. Und ihm Gedankenlosigkeit vorzuwerfen, wurde seiner Art bei Weitem nicht gerecht. „Da seid ihr ja endlich!“ Gut, dass sie eben in die Küche zurückkamen und damit das alte Thema beendet war. Joey war schon ganz gespannt. „Und? Was sollen wir jetzt machen? Wen schlagen wir als nächstes in die Flucht?“ „Na, immer ruhig bleiben“ ermahnte Narla ihn und schubste ihn zurück auf seinen Stuhl. „Aber ich wüsste jetzt eigentlich auch gern wie es weitergeht“ gestand Sharesa. „Ich meine, wollen wir sitzenbleiben und warten bis Seth endlich kommt oder wie hast du dir das gedacht?“ „So ähnlich hatte ich das wirklich im Kopf“ gestand Sethan ehrlich. „Da kannst du aber wohl lange warten“ meinte Yami. „Der war schon zur letzten Mondphase nicht hier. Dann kommt er übermorgen auch nicht.“ „Das meinte ich auch nicht“ sprach er weiter und nahm sich sein angebrochenes Glas Cola vom Tisch. Wohl auch, um sich ein bisschen daran festzuhalten. „Egal, was passiert. Es wird da passieren, wo wir sind. Deshalb möchte ich, dass ihr eure Sachen packt und mit mir verreist.“ „Verreisen?“ hakte Noah nach. „Etwa sofort?“ „Ich weiß, dass du Termine hast, Onkel Noah“ erwiderte er mit offenem Blick. „Aber vielleicht kannst du es einrichten.“ „Ich weiß nicht. Wie lange sollen wir denn wegbleiben?“ „Ich weiß es nicht. So lange, wie es eben dauert.“ „Also ...“ „Noah“ unterbrach er ihn ruhig. „Du bist vielbeschäftigt, das weiß ich. Aber wir können niemanden zurücklassen. Es ist doch so: Egal, wo ein Kampf stattfindet, er geschieht immer dort, wo wir sind. Die Schatten suchen gezielt nach uns. Wenn ein oder zwei Leute allein zurückbleiben, wären sie leichte Opfer. Und die Schatten werden immer stärker, da die Engel immer weniger werden. Somit sind nicht nur wir, sondern auch unsere Umgebung betroffen. Deshalb sollten wir an einen Ort gehen, wo wenige Menschen sind und wo ein Kampf nicht so große Schäden anrichten würde. Nur dort können wir uns wappnen und die Pharaonen die nötige Kraft in der Abgeschiedenheit sammeln.“ „Und wo willst du hin?“ fragte Narla. „Es gibt doch auf der Erde kaum noch Orte, wo keine Menschen sind. Vielleicht noch in der Wüste, im Regenwald oder irgendwo in abgelegenen Bergen.“ „Nein, nicht an solch einen Ort“ verneinte er. „Ich weiß nicht, wie lange unser Aufenthalt dort dauern würde. Es könnte eine Woche sein, aber auch ein Jahrzehnt oder mehr. Wenn wir wirklich beispielsweise nur ein Jahr irgendwo im Urwald verbringen, sind wir viel zu geschwächt. Außerdem muss auch die Kaiba Corp. irgendwie weitergeführt werden. Ohne das Geld aus der KC werden uns viele Türen geschlossen, was nicht passieren darf. Wir brauchen die Macht, welche das Kapital mit sich bringt. Also brauchen wir mindestens einen Internetanschluss und den gibt es nun mal nur in besiedeltem Gebiet. Außerdem soll auch unsere Motivation durch eventuelle Menschenleere nicht gemindert werden, was höchstwahrscheinlich geschehen würde, wenn wir uns völlig zurückziehen.“ „Du hast dir darüber wohl schon viele Gedanken gemacht, was?“ stellte Marie fest. „Mehr als das“ lächelte er. „Ich habe uns bereits einen Ort ausgesucht. An einem abgeschiedenen Fjord in Norwegen. Die Temperaturen sind dort erträglich und es gibt in der Nähe nur ein kleines Dorf, welches man mit dem Boot erreicht. Außerdem ist die Natur einmalig schön. Ich bin mir sicher, ihr werdet es mögen. Auch wenn es sehr abgeschieden ist und wir absolut unter uns sein werden.“ „Und wie sollen wir da wohnen?“ wollte Tea vorsichtig wissen. „Ich will nicht meckern, aber diese Fjorde sind doch meistens unberührte Schutzgebiete. Mit Kleinkindern, Babys und einer Schwangeren in Zelten zu wohnen ... na ja, das wäre nicht so einfach.“ „Nein, wir werden nicht campen. Um Rahs Willen“ lachte er. „Ich habe ein paar Bungalows angefordert. Es gibt sogar die Möglichkeit, Wasser mit Solarkraft warm zu machen. Und Strom gibt es im Notfall auch aus dem Generator. Es lässt sich dort aushalten.“ „Und wie hast du das angemietet?“ fragte Tristan neugierig. „Du bist doch nicht mal ne Stunde hier.“ „Das Land gehört uns Mutos“ erklärte Sethan und sah Tato versichernd lieber noch mal an. „Tut es doch, oder?“ „Ja“ nickte der. „Ich habe es in Mamas Namen gekauft, sobald ich hier war. Gustav war sehr kooperativ und hat es sofort umgesetzt. Ursprünglich war es ein Privatbesitz im Naturschutzpark, aber jetzt gehört es uns und es ist sofort bezugsfertig.“ „Also, was du machst, das machst du richtig, Onkel Tato“ lächelte er beruhigt. „Dank dir.“ „Schon gut, Kleiner.“ Tja, ab und zu tat er eben doch mal, was man ihm sagte. Das sollte man sich im Kalender eintragen, damit man diesen denkwürdigen Tag nicht irgendwann wieder vergessen hatte. „Aber Sethan?“ fragte Sareth leise. „Ja, Schätzchen“ lächelte er zurück. „Ich hab’s nicht vergessen. Keine Sorge.“ „Warum? Was denn?“ fragte Joey interessiert. „Wir wollen noch zu Opa fahren“ erklärte sie schnell. „Das hat Sethan mir versprochen. Bevor wir kämpfen, gehen wir noch Opa besuchen. Also Ururopa.“ „Ach ja, du sagtest so was“ erinnerte Yugi sich. „Wann wolltest du denn aufbrechen, Sethan?“ „Am liebsten vorgestern?“ antwortete er vorsichtig. Auch wenn das jetzt etwas überstürzt kam, aber nun, wo sie komplett waren, gab es keine Zeit mehr zu verlieren. „Na ja, wir haben unsere Taschen ja noch nicht ausgepackt“ meinte Jonny. „Also kann’s gleich weitergehen. Aber den alten Opa Muto möchte ich irgendwie auch gern mal sehen. Seto erzählt ja immer so viel von ihm.“ „Aber nicht alle auf ein Mal“ bat Yugi. „Opa ist zwar noch ganz rüstig, aber das wäre vielleicht etwas viel Aufregung.“ „Dann machen wir es doch so“ schlug Seto vor. „Ich hole die Kinder aus dem Kindergarten ab und packe unsere Taschen. Und die anderen packen auch ihre Taschen. Unsere Gäste gehen in der Zwischenzeit Opa besuchen und heute Abend fahren wir dann los.“ „Möööp, ganz schlecht“ schmunzelte Yugi. „DU fährst mit zu Opa und ICH werde die Kinder abholen und die Taschen packen.“ Wobei die Betonung wahrscheinlich auf dem Taschenpacken lag. Denn wenn Seto packte, hatten sie hinterher das halbe Haus im Frachtraum und die Hemden waren trotzdem geknittert. Seto hatte viele Talente, aber Taschenpacken gehörte eindeutig nicht dazu. „Ich kann Opa ja aus dem Auto anrufen und ihn schonend vorwarnen, dass ihr kommt.“ Yugi hatte eben noch immer die Besten Ideen. UND er kannte seine Pappenheimer. Chapter 18 „ONKE NOOOOAAAAAH! IS WILL EIN GNUUUUUUUTS!“ Als Tato hereinstürmte, wusste jeder, dass der Rest der Truppe nun auch endlich eingetroffen war. Der kleine Drache war die Treppen zum Flugzeug noch gar nicht ganz hereingeklettert, da schrie er schon, dass er geknutscht werden wollte. Und Noah war da immer ein, seiner Meinung nach, dankbares Opfer. „Na, du Kuschelterrorist“ seufzte er und fing den Mini auf, setzte ihn auf seinen Arm, ließ sich von den kleinen Armen umfangen und seine frisch gepuderten Wangen küssen. Ohne ausreichend Kuscheln kam er ja doch nicht wieder weg. Selbst ein Onkel Noah war da lernfähig und begann irgendwann sich mit seinem Schicksal anzufreunden. Irgendwas würde ihm doch fehlen, wenn er das Kampfgnuutsgeschrei des Minidrachen nicht mehr hörte. „Wir waren Opa besuchen“ erzählte Nini als sie ihm direkt hinterherlief und bei Joey auf dem Schoß landete. „Er hat sogar Schokotorte gehabt. Eigentlich war die ja für Yoshimoto, weil der morgen Geburtstag hat, aber Opa sagte, dann muss er eben eine neue machen. Wir haben auch alles aufgegessen. Weißt du, dass Opas Schokotorte die beste der Welt ist? Keiner kann die so gut wie er. Papa vielleicht ein bisschen, aber irgendwas ist da anders. Papa sagt, in dem Rezept steht alles drin, aber Opa sagt, da steckt Liebe drin und die kann man nicht in Packungen kaufen. Papa macht ja auch seine Liebe in den Kuchen rein, aber das ist ja dann Liebe von Papa und nicht von Opa. Deswegen schmeckt Opas Torte ein ganz kleines bisschen anders. Ist doch eigentlich logisch, oder?“ „Guten Tag, Ilani“ nickte Joey ihr grinsend zu. „Bonjour, Joey“ lächelte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Erst erzählen, dann kuscheln. Das war bei Tato sonst andersrum. „Ihr habt also Opa die Torte weggefuttert, ja?“ fragte Tristan, als auch die anderen so nach und nach hereinkamen. „Habt ihr wenigstens was mitgebracht?“ „Nini hat’s doch schon erzählt“ meinte Yami und fläzte sich gemütlich auf den schönen Sessel. „Es ist nichts übrig geblieben.“ „Wenn du dabei warst, kein Wunder“ muckschte Mokuba und streckte Noah deprimiert über den Zweisitzer seine Füße entgegen. „Mokuba, setz dich anständig hin“ wies Seto ihn zurecht, als der hinter Tato in den Flieger stieg. „Wir wollen gleich starten.“ Aber er war ja auch der große Bruder. Also murrte Mokuba nicht mal, nahm die Beine herunter und setzte sich aufrecht hin. Den Gurt legte er sich auch schon zurecht. Tja, kleine Brüder blieben eben immer kleine Brüder. „War es denn schön?“ fragte Marie als Phoenix sich einen Platz direkt bei ihr suchte. „Ja“ lächelte er leise. „Opa Salomon ist wirklich ein lieber Mensch. Genau wie Seto immer erzählt.“ „Ja, Mama. Wirklich.“ Balthasar setzte sich zu ihrer anderen Seite und sah auch ganz glücklich aus. „Er meint es wirklich total gut mit allen. Die ganze Zeit war er am Herumlaufen und hat uns mit tausend Dingen versorgt, damit es uns bei ihm auch ja gut geht. Erst als Yugi kam, konnte der ihn zwingen, sich mal hinzusetzen. Und Seto hat bei ihm ja wohl gar keine Durchsetzungskraft.“ Der hörte das zwar, aber murmelte irgendwas in die andere Richtung. Es gab Dinge, da hatte er sich langsam seine Kommentare abgewöhnt. Wenn er sich aufregte, schaukelte das manchmal die Sache nur unnötig hinauf. Und dass er sich gegen Opa nicht durchsetzen konnte, war niemandem neu. „Und Asato auch“ erzählte Phoenix leise und wurde ganz rot auf den Wangen. „Opa hat ihn ständig abgeknutscht und er hat gar nichts dazu gesagt. Obwohl er das eigentlich nicht mag.“ „Schnall dich an, Phoenix. Wir starten gleich“ warf der ihm etwas dunkel herüber. Übersetzt sollte das wohl heißen, dass er sich jeden weiteren Kommentar verkneifen sollte. Tato war eben auch ein Opfer höherer Pädagogik. „Sind dann jetzt alle an Bord?“ fragte der Pilot, welcher als Letzter in die Maschine stieg. Ein freundlich aussehender, etwas älterer Herr. Eine kleine Wampe und einen dunkelgrauen Vollbart. Und in der hellgrauen Uniform, welche die Angestellten des Außendienstes der Kaiba Corp. in den letzten Jahren zunehmend trugen. „Ja, wir sind alle komplett, Captain“ lächelte Noah ihn an. „Und wir haben alles, was wir brauchen. „Sehr gut.“ Er schloss die schwere Tür hinter sich und verriegelte sie fachmännisch mit drei festen Hebeln. „Dann schnallen Sie sich doch bitte schon an. Wir werden unsere Starterlaubnis wohl sofort bekommen.“ „Na, dann komm mal her, du Räuber!“ Yugi fischte sich den kleinen Tato auf den Arm, der dann auch umgehend quengelte und sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlte. „Nein! NEEEIIIN! Papa! Manno! Bei Onke Noah bleiben! Bring mis wieder surück!“ „Nichts da. Du kommst jetzt in den Kindersitz, damit wir starten können.“ „Nein! Is will nis in Tinnasits! Das is doof! Is bin kein Kind mehr! Is bin soon awacksen! Is kann selba fliegen!” „Das dauert noch ein paar Jahre bis du selbst fliegen kannst, Minidrache“ belehrte Yugi und schnallte ihn trotz des Protestes in seinem Kindersitz fest. „Nein! Manno, Papa!“ schimpfte er und haute ihm auf den Fingern rum. „Lass das! Alter Swede, lass das do mal! Das is voll doof! Du masst mis peinlis!“ Yami fand das nur köstlich und amüsierte sich prächtig. „Hast du das gehört, Yugi? Du machst ihn peinlich, Mann!“ „Guck mal, Tato. So schlimm ist das gar nicht“ tröstete Nini und krabbelte ganz selbstständig in ihren eigenen Kindersitz, der direkt neben seinem stand. Sie war ja leider etwas klein für ihr Alter und da bestand Papa Yugi darauf, dass sie beim Starten und Landen im Kindersitz saß. „Du bis ja au ein Mädsen“ guckte er sie beleidigt an. „Mädsen sind soon peinlis geborn!“ „Selber peinlich.“ Jetzt war sie auch beleidigt. „Wenigstens kann ich meinen Kindersitz auch alleine zumachen. Guck?“ Klack und das Ding saß. War ja auch nicht schwer, denn im Gegensatz zu Tato, hatte sie nur einen Becken- und keinen Kreuzgurt. „Ich bin nicht peinlich.“ „Tato, bitte“ ermahnte Yugi, als der ihn wohl eben ziemlich fies gekniffen hatte und er kurz zurückzuckte. „Das tut doch weh. Nach dem Starten darfst du dich wieder abschnallen.“ „Manno! PAPA!“ Tato kriegte gleich nen Koller hier! Aber je fester er Papa auf die Finger haute, desto ungemütlicher wurde sein Gurt. Kleine Drachen ließen sich doch so leicht nicht zähmen! „Lass das, Mann! Geh ma weg! Is will in den dooßen Sitz ohne Fessel!“ „Das sind doch keine Fesseln, Tato.“ Endlich war auch Seto da und unterstützte seinen Mann mal beim Kinderzähmen. Er kniete sich zu ihm und hörte schon, wie die Triebwerke angelassen wurden. „Schau mal“ wies er nach hinten. „Der große Tato hat sich auch angeschnallt. Das ist cool.“ „Gar nis“ antwortete er und verschränkte skeptisch seine Arme vor dem Bauch. Irgendwann würde das Überkreuzen schon klappen. „Du weiß ja gaa nis, was kuhl is. Du bisja soon so lange unten, Mama.“ „Wie bitte?“ Da fiel ihm doch gleich alles aus dem Gesicht. „Tato, wer bringt dir so einen Quatsch bei?“ Und der Schuldfinger zeigte direkt auf ... „Y a m i !!!“ „Oh oh” guckte er der erschrocken zurück, griff ganz weit nach links und klaute dem überrumpelten Phoenix die Brille von der Nase. „Leute mit Brillen schlägt man nicht.“ „Und Leute mit Kindern verpfeift man nicht“ grummelte Seto zurück. „Wir sprechen uns noch.“ „Kann ich meine Brille wiederhaben? Bitte?“ Ohne konnte er ja so gut wie nichts sehen. **Gruß an meine Beta. Na, wo steht das Kamel auf dem Balkon? ^^** „Warte noch ...“ Yami beobachtete ganz genau wie Seto sich neben Yugi setzte und sich auch gleich anschnallte. „Jo, danke für den Schutz.“ Dann erst konnte er ruhigen Gewissens die Brille zurückgeben. Wenn Seto angekettet und sicher in Yugis Handgepäck verstaut war, war die größte Gefahr gebannt. Außerdem setzte sich der Flieger auch schon in Bewegung. „Bist du dir sicher, dass wir die Kinder mitnehmen sollten?“ bangte Joey, der seine Tochter lieber bei Narla in den Armen wusste. Für sie und Theresa war der sicherste Platz noch immer bei Mama, auch wenn sie hier in ihrem etwas überdimensionierten Hartschalensitzen steckten und pennten. „Seit wann hast du Angst vorm Fliegen?“ schaute Yugi ihn überrascht an. „Nein, nicht deswegen“ erklärte er. „Aber wenn es wirklich so gefährlich ist, wie Sethan sagt, dann sollten wir die Minis doch lieber irgendwo in Sicherheit bringen. Oder nicht?“ „Am sichersten sind Kinder immer bei ihren Eltern. In den meisten Fällen zumindest“ versuchte der zu rechtfertigen. „Und wenn wir wirklich etwas länger bleiben? Du möchtest doch sicher nicht, dass Joey dich nicht mehr erkennt, wenn du irgendwann zurück bist.“ „Kann is setz wieder raussteigen?“ wollte Tato quengelnd wissen. „Das Sitzen snürt meine Inttelens ein.“ „So ein Unsinn. Wer sagt denn, dass Sitzen deine Intelligenz einschnürt?“ meinte Seto und zeigte mal zum Fenster raus. „Guck mal, Tato. Wenn du rausguckst, siehst du gleich, wie der Boden weggeht.“ „Gaa nis“ guckte er ungläubig zurück. „Der Boden is immer da.“ „Na, dann lass dich mal überraschen. Guck.“ „Ich will auch gucken“ forderte Nini und lehnte sich zu Tato rüber, um mit ihm zusammen rauszusehen. „Das war damals auch so lustig. Das kribbelt im Bauch, wenn man fliegt.“ „Tato erinnert sich gar nicht mehr daran, wie fliegen ist. Damals als wir aus Paris kamen, war er noch viel zu klein“ lächelte Yugi, der seine kleine Familie einfach nur liebte. Seto war so süß mit den Kleinen. „Genau wie unser Tato.“ Als Jonny das sagte, hörten die anderen schon den nächsten Fettnapf heransausen. „Der hat auch vergessen, wie man fliegt.“ „Jonny“ sah Sharesa ihn mahnend an und schüttelte den Kopf, worauf der junge Wheeler dann auch etwas kleiner wurde. Tato sah zwar zum Fenster heraus und tat so als hätte er das nicht gehört. Aber wenn es nicht am veränderten Licht lag, dann waren seine Augen feucht. Das war ein Kommentar, der wehgetan hatte. „AAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHH!“ Dafür kreischte Risa ganz außer sich, als sie auch aus dem Fenster guckte und fasziniert war von dem Kribbeln im Bauch und dem Ausblick, dass der Boden tatsächlich verschwand. „Mama! Tuck! Da! Da! Tuck ma! Mama!” „Ja. Schön, mein Schatz“ lächelte sie und hielt ihr Haar zurück, wenn sie sich nach vorn lehnte. „Das ist fliegen, Mäuschen.“ „Das ist wie fliegen, dis einfa su lieben!“ sang der kleine Tato fröhlich drauf los. „Is spür dis su vermissen, dis einfa su güssen!“ Nicht schön, aber selten. „Ja. Super, Tato“ lachte Nini und wuschelte ihm fröhlich durchs Haar. „Du bist ein guter Sänger.“ „Is weiß“ brüstete er sich stolz. „Is bin eine Sahnpasta.“ „Nein, nicht Zahnpasta“ belehrte sie fachmännisch. „Ein Superstar.“ „Aso. Na gut. Das bin is au” meinte er nebenbei und guckte wieder nach draußen. Ob nun Zahnpasta oder Superstar - Tato fand sich immer toll. „Du? Großer Tato?“ guckte Nini ihn neugierig an. „Kannst du denn auch singen?“ „Nein“ meinte der und sah weiter teilnahmslos aus dem Fenster. „Doch, kannst du“ sprach Sareth und kuschelte sich an seinen Arm. „Immer wenn ich traurig bin, dann singst du mein Lieblingslied.“ „Ist das schlimm, wenn du jetzt mal ein bisschen traurig bist?“ fragte Nini schlau wie ein Fuchs. „Dann kann der große Tato auch mal was singen.“ „Ja, Tato“ meinte auch Yami interessiert. „Sing uns mal was vor.“ „Ich bin keine Jukebox, okay?“ giftete der zurück. „Macht doch ne CD an, aber lasst mich mit eurem Scheiß in Ruhe!“ „Is will raus, Mann!“ Und den kleinen Tato ließ das dann doch relativ unberührt. Singen war ihm egal, aber gefesselt sein nicht. Zumal Rausgucken jetzt auch schnell langweilig wurde, wenn man nur Wolken sah. Der zappelte in seinem Sitz und riss an dem festen Gurt. Auf Stillsitzen hatte er keinen Bock. „Manno, lass mis weg! Das is alles voll doof!“ „Weißt du, was wir jetzt machen, Tato?“ beschloss Yugi und pulte ihm die Schnalle auf. „Ich hole dich jetzt raus und dann gehen wir schön Heia machen, ja?“ „Neeeeeeiiiiiiiin“ jammerte er und bekam ganz feuchte Augen. „Nis Heia. Is will nis slaafen.“ „Aber du bist doch schon ganz müde, Schatzi“ meinte Papa und setzte ihn sich auf den Arm. Wenn er begann, so herumzuquengeln, war das ein eindeutiges Zeichen, dass er bettreif war. „Papa, is bin nis müde. Nene muss au nis innie Heia gehen.“ „Ja, Yugi. Lass ihn doch noch ein bisschen aufbleiben“ bat Jonny. „Ich finde den kleinen Tato echt knuffig.“ „Aber er ist ja schon ganz quengelig“ meinte auch Seto und übernahm den Kleinen, der eigentlich viel müder war, als er zugeben wollte. „Wir haben nebenan ein paar Ruheräume. Eigentlich für die Crew auf langen Flügen. Was meinst du, Tato? Hm? Wollen wir uns ins Bettchen legen und ein bisschen kuscheln?“ „Vielleist“ guckte er ihn skeptisch an. „Muss is Sääähne putsen?“ „Nein, heute ausnahmsweise mal nicht.“ „Dann will ich auch mitkommen und kuscheln“ beschloss Nini und heftete sich an seine Versen. „Willst du auch mitkommen, Risa? Mit Papa kuscheln?“ „Papa tusseln“ wiederholte sie und sah fragend an Mokeph hinauf. „Papa tusseln?“ „Nein, mit meinem Papa“ erklärte Nini, hoppelte zu ihr rüber und nahm sie an die Hand, womit Mokeph auch schon ihren Sitzgurt öffnete. „Schön kuscheln mit Tato und Papa Seto und mir?“ „Mit Nene tusseln. Nä, Papa?“ guckte sie weiter fragend an ihrem eigenen Papa hinauf. Es war ja auch nicht ganz leicht, wenn so viele Männer Papa hießen. „Ja. Geh mal mit, Schätzchen. Geh mit Nini kuscheln“ lächelte er und gab ihr einen kleinen Kuss. „Und schlaf gut, Prinzessin.“ „Slaaf duut, Sesse“ winkte sie mit ihren kleinen Händen und ließ sich von Nini mitziehen. An der Hand gehen konnte sie ja schon ganz gut. Nur allein klappte das noch nicht so gut. Aber man lernte ja noch. „Aber schlaf du nicht auch ein, Liebling“ lächelte Yugi. „Warum?“ guckte der zurück. „Weil du immer einschläfst beim Kuscheln. Und ich vermisse dich hier ja auch.“ „Ooooooh“ freute er sich und kam ganz schnell wieder zurück, um ihm einen Kuss zu geben. Er war doch so weichherzig und er wollte ja nicht, dass Yugi ihn vermisste. „Is will aba nis ins Bett. Is no nis sekks“ beschloss der kleine Tato. Noch versuchte er, sich irgendwie aus dieser Schose herauszumanövrieren. „Nein, es ist schon gleich halb neun“ belehrte Yugi. „Du bist doch schon ganz müde. Das sieht man in deinen Augen.“ „Dann mass is die Augen eben su. So“ beschloss er und kniff die Augen zusammen. Aber dann riss er sie wieder auf und starrte Papa böse an. „Du willst mis reinlegen. Is ma die Augen NIS su. So slau bin is au.“ „Tato, jetzt wird hier nicht diskutiert“ beschloss Seto und nahm Yugi mal den schwarzen Peter weg. Sonst war Yugi immer der Strengere von beiden, aber vielleicht sollten sie doch auch langsam anfangen, sich gegen Tato zu verschwören, bevor dessen Dickkopf noch schlimmer wurde. „Guck mal, Nini und Risa sind schon vorgegangen. Die kuscheln schon ohne dich.“ „Is geh nis ins Bett“ bekräftigte er und verschränkte böse seine kleinen Ärmchen. Jedenfalls versuchte er es, aber sie waren noch nicht lang genug, womit er doch eher lustig aussah, wenn er ständig seinen Bauch umarmte und Mama imitierte. „Der gooße Tato isja au nis innie Heia. Is bin au Tato, also muss is au nis ins Bett.“ „Ich bin aber auch müde“ eröffnete der, küsste seine Tochter und stützte sich auf seinen Stock, um sich zu erheben. „Lass mal, Mama. Ich bringe die Kinder ins Bett. Bleib du bei Papa.“ „Du bis ein Kolbenswein“ guckte der kleine Tato ihn böse an, als er langsam herüberkam. „Tato“ ermahnte Seto ihn jetzt ernsthaft. „Kollegenschwein sagt man nicht. Wo hast du so böse Worte her?“ „Is rede gar nis mehr mit dir, Mama“ muckschte er und guckte in die andere Richtung. „Immer muss is nur ins Bett dehn. Und der gooße Tato is setz au doof.“ „Ich weiß, Kleiner“ seufzte und ließ ihn sich auf den freien Arm geben. „Du musst aber jetzt wirklich nicht Babysitter spielen“ bat Seto. „Kein Problem. Wie gesagt, ich bin wirklich ein bisschen müde“ seufzte der große, doofe Tato. „Und hier passiert bis zur Landung in ein paar Stunden doch eh nichts.“ „Na ja, dann danke“ nickte er und nahm ihn kurz in den Arm. Irgendwie schien der große Tato nicht nur körperlich, sondern auch seelisch müde zu sein. Und das hier war doch ein guter Vorwand, sich ein wenig aufs Ohr zu legen. „Schlaf gut, Papa“ verabschiedete Sareth ihn lieb. „Ich darf noch aufbleiben?“ „Natürlich. Aber auch nicht mehr so lange“ lächelte er zurück. „Und irgendwer muss doch auf Laertes aufpassen, damit sein Abendgesang heute mal ausbleibt.“ „Hast du das gehört?“ tippte sie den Vogel an, der bis eben dösend auf ihrer Lehne gesessen hatte und jetzt verwirrt zu ihr aufsah. „Nicht singen heute Abend.“ Er gab einen gurrenden Ton von sich und ließ sich den Kopf kraulen. Mal sehen, ob er da noch Lust zum Singen bekam. Der große hatte sich inzwischen mit dem kleinen Tato darangemacht, den beiden Mädchen zu folgen und sich ein paar Stunden schlafen zu legen. Nur noch ein etwas wehleidiges „Tsössi und dute Nacht, alter Swede“ war noch zu hören, bevor sie sich in den Nebenraum flüchteten. „Hab dis do lieb, Mama ...“ Also doch. Tato hatte ihn eben doch lieb. Er war nun mal einfach etwas mürrisch, wenn er müde wurde. „Ich mache mir Sorgen um ihn“ gestand Seto, der sich selbst wieder zu Yugi kuschelte, wo er sofort in den Arm genommen wurde. „Tato ist so traurig und er versucht, es zu verstecken. Warum redet er denn nicht mit uns?“ „Würde mich wundern, wenn ihr den geknackt bekommt“ meinte Balthasar frei heraus. „Zuhause ist er auch so. Mal macht er den Dicken, an dem keiner vorbeikommt und dann ist er wieder total niedergeschlagen. Das sind Stimmungen, die kommen und gehen.“ „Trotzdem“ meinte er leise und lehnte sich betrübt an Yugis Schulter. „Er muss doch nicht alles in sich reinfressen. Das geht doch nicht ewig gut.“ „Er kann es aber nicht anders“ meinte Dakar, dessen Stimme so beruhigend gelassen war, als er sich schon die nächste Zigarette anzündete. „Das ist aber keine Entschuldigung“ war Setos Meinung. „Haben wir ihn denn so schlecht erzogen, dass er kein Vertrauen hat?“ „Nein, das hat mit Erziehung nichts zu tun, sondern mit Herz“ sprach er ruhig. „Sari kann euch ein Lied davon singen. Asato ist immer offenen Ohres für alle, aber wenn es um ihn selbst geht, ist er sehr verschlossen. So war er aber nicht immer. Als ich ihn damals kennenlernte, war er ein anderer Mensch. Erst nachdem seine Frau und sein Sohn gestorben sind, ist er so geworden. Er lastet sich selbst die Schuld für ihren Tod an und das hat sein Selbstbewusstsein erschüttert. Es fällt ihm schwer, darüber zu sprechen. Nicht, weil er uns nicht vertraut, sondern einfach, weil ihm dann seine eigene Schwäche bewusst wird. Und Schwäche ist etwas, was er sich nicht leisten will. Seine größte Angst ist es, dass jemand seiner Tochter etwas antun könnte. Er beschützt sie so sehr, dass er sie einengt. Aber das will er sich nicht klarmachen.“ „Dakar“ mahnte Sharesa leise. „Sari sitzt hier.“ „Ich sage ja nichts, was sie nicht auch weiß“ meinte er und sah sie mit seinen tiefschwarzen Augen an. „Oder, Prinzessin?“ „Ich möchte auch schlafen gehen“ beschloss sie daraufhin und nahm Laertes erst vom Sitz, bevor sie aufstand. „Hey“ bat Dakar leise und hielt sie sanft am Arm fest, als sie an ihm vorbeiging. „Ich wollte nichts sagen, was dich verletzt. Tut mir leid, Sari.“ „Ich will nur nicht hören, wie du über Papa redest. Das ist mir peinlich“ gestand sie und nahm ihn überraschend in den Arm. Sie schien ihn nicht als gruselig oder dunkel zu empfinden, obwohl er auf Fremde so wirkte. Für sie war er ein Freund. Er drückte sie zurück und ließ sie dann wieder los, damit sie gehen konnte. „Ich begleite dich“ bot Phoenix an und erhob sich ebenfalls. „Hier gibt es doch bestimmt mehrere Schlafräume, oder?“ „Klar“ zeigte Noah den Gang entlang. „Quasi jede Tür nach den ersten zweien. Da sind Badezimmer und Küche drin. Sucht euch was aus.“ „Danke, Spatz“ blickte sie traurig an ihm hinauf. „Na komm. Legen wir uns auch etwas hin. Gute Nacht, zusammen.“ Er legte ihr den Arm auf die Schulter und verschwand mit der Kleinen und den allgemein erwiderten „Schlaft gut“’s in der gegenüberliegenden Tür. Dort, wo noch ein leerer Raum war, denn zu Tato und den Kindern wollten sie sichtlich nicht. „Meine Güte“ sang Yami als die zwei dann weg waren. „Was ist denn nur bei euch los? Total gedrückte Stimmung.“ „Zuhause ist es sonst nicht so schlimm“ erklärte Sharesa. „Aber hier können wir uns nicht ausweichen. Und weil ihr ja wohl auch was über uns wissen wollt, kommt mit den Erzählungen eben auch der Schmerz wieder hoch. Und das verbreitet schlechtere Stimmung als eben Zuhause. Jetzt wird alles aufgewühlt, was wir eigentlich lieber vergessen würden.“ „Dann erzählt ihr uns doch etwas“ bat Yami neugierig. „Wir haben jetzt genug Zeit. Also klärt uns auf, damit wir nicht ständig im Dunkeln tappen.“ „Könnte etwas schwer werden, 38 Jahre in wenigen Minuten zu erzählen“ meinte Dakar mit dem nächsten Zigarettenzug. „Wir haben ja auch ein paar Stunden Zeit“ bat Seto trotzdem noch mal und hob seine Hand, an welche Lady sofort ihren Kopf schmiegte. Da wartete sie doch nur drauf, dass sie auch endlich gekrault wurde. „Bitte, erzählt uns, was Tato passiert ist. Mit dem fröhlichen Jungen, wie wir ihn kennen, hat er doch kaum noch etwas gemeinsam.“ „Du machst dir Sorgen“ stellte Dakar schlicht fest. „Merkwürdig. Erst wenn man den kleinen Tato sieht, erkennt man, wie schnell man sich an seine Lethargie doch gewöhnt.“ „Ich hab eher das Gefühl, dass Sari unter seiner Stimmung leidet“ meinte Yugi etwas vorsichtiger. „Ich will nicht sagen, dass er ein schlechter Vater ist, aber ... seine bedrückte Art, scheint sie zu verunsichern.“ „Es verunsichert sie nicht nur, sie leidet darunter ganz extrem“ erklärte Sethan. „Sie ist eine Tochter des Seth und besitzt große Macht. Aber sie kann sich selbst nicht entfalten, weil sie Angst hat, sie könnte etwas falsches tun und ihren Vater damit verletzen.“ „Erzähl uns davon“ bat Seto inniglich. „Sag uns, was wir verhindern können.“ „Auch wenn er mich dafür in Teufels Küche jagt“ seufzte Sethan mit einem verzweifelten Lächeln. „In Ordnung, ich versuche mal, das Leben meines Onkels in Kurzform zu bringen. Ihr gebt ja sonst keine Ruhe.“ Er nahm die Wasserflasche entgegen, die Sharesa ihm wie den anderen herüberreichte und erzählte langsam, während er sie aufschraubte. „Den Kleinen kennt ihr ja und er hat sich eigentlich gut entwickelt. Tato war schon immer ein Dickkopf und sehr von sich selbst überzeugt, fast egoistisch eitel. Er ist mit fünf Jahren in die Schule gekommen und hat mit elf seinen Abschluss an der Uni gemacht. Das ist ihm nicht ganz leicht gefallen, weil er trotz seiner hohen Begabung doch noch immer ein Kind war und auch eine kindliche Psyche besaß. Aber Gleichaltrige konnten mit ihm nie mithalten und er wusste das. Ihr habt ihm angeboten, dass er ganz normal zur Schule geht, auch um ihm keinen so großen Druck auszusetzen. Aber er hat sich gegen kindische Freunde und für seine eigene Förderung entschieden und ich glaube, er hat das nie bereut. Er hat auf Kontakt zu Gleichaltrigen nie viel Wert gelegt. Er hatte zwar einige Freunde, aber Bildung hat ihn mehr gereizt. Mit 13 hat er in Wirtschaftswissenschaften promoviert und mit 14 in Sozialwissenschaften.“ „Ein Doppel-Doktor“ staunte Mokuba. „Mit 14 war Tato schon zweifacher Doktor?“ „Sein Potential wurde eben anders erfasst und ausgebaut“ meinte Sethan dazu schlicht. „Das war vielleicht auch gar nicht so schlecht, denn später hat er die Berufslaufbahn relativ ruhen lassen. Nachdem er mit 14 zum zweiten Mal die Uni abgeschlossen hatte, wollte er in den Vorstand der KC, aber seine Eltern waren dagegen, ihn jetzt schon arbeiten zu lassen. Tato sollte nicht schon als Kind ins harte Business gehen, denn er hatte vielleicht die fachliche Reife, nicht aber auch die psychische. Das hat ihn natürlich ziemlich gewurmt und deshalb hat er angefangen, zu rebellieren. Das war schon immer so, dass er sehr empfindlich reagiert, wenn er nicht das bekommt, was er will. Er hat so gut wie jedes Verbot übertreten, was man ihm gestellt hat. Er hatte mit 14 geraucht und kurz vor seinem 15. Geburtstag ersten Sex mit Mädchen, obwohl es ihm verboten war. Grenzen waren ihm völlig schnurz, er wollte nur sein eigenes Ding machen. Dass er in seiner Magie ein Meister ist und schon immer war, brauche ich wohl nicht zu sagen. Aber auch seine übersinnlichen Fähigkeiten hat er zu seinem eigenen Vorteil genutzt. Er wollte einfach provozieren, um jeden Preis. Er hat es so weit getrieben, dass er mit 16 sturzbesoffen und mit ausgebreiteten Flügeln in einem Bordell gefunden wurde.“ „Bitte?“ Yugi und Seto machten wohl die größten Augen von allen. Ihr Tato? „Haben wir ihn so schlecht ...?“ „Nein, lass mich ausreden“ bat Sethan gleich und erzählte ruhig weiter. „Natürlich hat das einen Heidenärger gegeben. Seto hat die Erinnerungen aller gelöscht, welche ihn gesehen hatten. Die Polizei besaß ein Videoband, welches Onkel Noah inklusive Kopien zum Glück vernichten konnte. Mit viel Geld konnte einiges wiedergutgemacht werden. Aber Tato hat so viel Ärger bekommen wie noch nie zuvor. Immerhin war das Vertrauen zu ihm damit sehr angeschlagen. Es hat Zuhause einen riesigen Streit gegeben, seine Magie wurde geblockt und er hat Ausgehverbot bekommen. Das Schlimmste war aber wohl, dass seine Väter ihm gezeigt haben, wie enttäuscht sie von ihm waren, aber er hat es spontan nicht verstanden. Eine kleine Wendung brachte es erst, als er sich mit Seto gestritten hat. Er hat ihn beschimpft und einige verletzende Dinge gesagt. Dass ja nicht jeder so ein Psychopath sei, so ein schwuler Softie und weinerliches Weichei und was weiß ich noch alles. Er hat es so weit getrieben, dass sein Vater nicht mehr mit ihm gesprochen hat. Er hat geweint und ist ihm von da an tagelang aus dem Weg gegangen. Tato hatte es zu weit ausgereizt.“ „Und dazu gehört wohl einiges“ meinte Joey mit Seitenblick auf Seto. Tato musste wirklich ganz tief aus den Vollen geschöpft haben, wenn Seto die Kommunikation zu ihm abbrach. Da hatte ihn sein Sohn wohl extremst verletzt. „Aber du sagtest, es war eine Wendung“ hakte Noah nach. „Nur eine kleine, aber immerhin“ verdeutlichte er. „Opa Yugi hat mit ihm gesprochen und ihm erzählt, was mit ihm passiert ist ... von seiner Kindheit. Weshalb er eben auf bestimmte Dinge, anders reagiert. Und weshalb ihn seine harten Worte so verletzt haben.“ Welche er hier anscheinend nicht noch mal breittreten wollte. Seine Vergangenheit kannte Seto selbst gut genug. „Danach tat es Tato so leid, dass er wohl sogar laut geweint hat. Er ist zu ihm gegangen, hat sich entschuldigt und um Verzeihung für seine Taten und für seine harten Worte gebeten. Von da an, hat er sich mehr zusammen gerissen und sich an Absprachen gehalten. Aus Reue. Weil er wusste, dass er seinen Vätern Unrecht tat, wenn er sie beschimpfte. Das hat aber nichts daran geändert, dass er den Frauen hoffnungslos verfallen war und sich von niemandem verbiegen ließ. Seine Eltern behandelte er seitdem immer mit fast übertrieben großem Respekt, selbst heute noch. Aber sonst niemand anderen. Es hat nicht lang gedauert und er war wieder der alte Partygänger - nur mit dem Unterschied, dass er sich etwas bedeckter hielt, was gewisse Dinge anging. Er legte von da an mehr Schwerpunkt auf seine musischen Begabungen als auf seine intellektuellen Fähigkeiten. Er wurde professioneller Eiskunstläufer im Herreneinzel und ist insgesamt fünf mal in Folge Weltmeister geworden, zwei Male davon bei Olympia und später hat er noch drei mal Gold geholt, als schon seine Kinder geboren waren. Außerdem ist er Flötist geworden und hat als Teeniestar die klassische Musik zu einem neuen Trend gemacht. Aber viel lieber war er dann mit seiner Rockband unterwegs, in welche er seine Flöte eingebracht hat. Er hat ganze Stadien gefüllt und außerdem hat er sich als Bildhauer einen Namen gemacht. Ton, Stein, Holz, einfach alles hat er in Form gebracht. Sein größtes Meisterwerk steht in Eis gemeißelt mitten am Nordpol und ist das Bildnis eines weißen Drachen, der über zweihundert Meter hoch ist. Er war ein Künstler, der sämtliche Rekorde gebrochen hat. Inklusive seiner Anzahl an weiblichen Fans, die ihn auch ‚näher’ kennen gelernt haben ... wenn ihr versteht. Er wurde ein Verführer, ein Weiberheld und ein Künstler. Ein Leben, was sich wohl jeder wünscht.“ „Aber er hat Risa geheiratet“ warf Tea fragend ein. „Ja, das hat er“ nickte Sethan mit einem Lächeln. „Sie hat ihn vollkommen verändert. Trotz seiner steilen Kunstkarriere, welche so viel Feingefühl erforderte, war er ein schrecklich eingebildeter, selbstverliebter Kerl, der zu anderen immer herblassend und ungerecht sprach. Obwohl er damals wirklich ein großer Egoist war, hat sie ihm auf einer Feier ihre Liebe gestanden. Er aber hat sie vor allen Anwesenden laut ausgelacht und ist mit einem Fan abgezogen, hat sich lieber mit anderen Mädchen die Nacht vertrieben. Sie hat Monate mit gebrochenem Herzen Daheim gesessen bis sie irgendwann auf das Drängen der Mädchen Zuhause eingegangen ist, sich auch andere Männer anzusehen. Und das war der Knackpunkt“ schnippte er lachend. „Er ist so rasend eifersüchtig geworden, dass er ihr fast liebeskrank den Hof gemacht hat. Er hat sie mitten in der Schule mit Rosen überschüttet, hat ihr Liebeslieder geschrieben, ihr Gesicht in Übergröße an Hauswände gemeißelt, Radiodurchsagen gemacht, den Nachrichtensender gestürmt, er war total durchgeknallt. Die verrücktesten Sachen, ihr könnt es euch nicht vorstellen. Er hat sogar seine Fans dazu aufgefordert, Lichterketten zu bilden, damit sie ihn anhört. Er konnte es einfach nicht ertragen, dass sie sich einem anderen als ihm zuwenden wollte. Er schwor ihr die ewige Treue und überhaupt. Innerhalb von kurzer Zeit wandelte er sich komplett.“ „Schon komisch, oder?“ meinte Nika skeptisch. „Erst so ein selbstverliebter Weiberheld und dann die Essenz des Romeo?“ „Onkel Tato war schon immer ein extremer Charakter. Und ich sagte doch. Er konnte es noch nie haben, wenn er nicht das bekam, was er wollte“ lächelte Sethan, als ob ihn das entschuldigen könnte. „Es war ihm egal, ob er sich zum Affen machte. Wenn er etwas wollte, dann wollte er es. Und je weniger er es bekommen konnte, desto mehr wollte er es. Egal, was es war. Und er wechselt nun mal von einem Extrem zum anderen. Aber Risa hat ihn zappeln lassen. Und als sie sich endlich erweichte, stellte sie harte Bedingungen.“ „Na, das hoffe ich doch“ nickte Narla entschieden und wurde alsbald mit verdutzten Blicken bombardiert. „Was denn?“ guckte sie ebenso zurück. „Das steht ihr doch nur zu, was zu fordern. Er hat sie immerhin verletzt, wenn er sie ausgelacht und verspottet hat.“ „Ja ja“ meinte Joey und schüttelte den Kopf. „Und dann? Musste er sie heiraten?“ „Er musste ihr etwas versprechen“ erklärte Sethan. „Er hat immer nach dem Motto gehandelt, dass er nur ein Mal lebt und deshalb nichts versäumen will. Er wollte niemals etwas auslassen. Man lebt ja nur ein Mal. Das musste er für sie umformulieren. Er hat ihr das Versprechen gegeben, niemals wieder etwas zu tun, was ihm später leid tun könnte. Sonst ist er ja immer wie eine Dampfwalze überall durchgefegt, ohne Rücksicht auf Verluste. Für sie aber hat er darauf geachtet, was er tut, mit wem und weshalb. Er hat angefangen nachzudenken über sein Handeln“ erzählte er und das klang ganz logisch. „Das war die Reife, die seine Väter an ihm immer vermisst hatten. So begabt er auch war, er war ein Kindskopf. Aber für Risa ist er erwachsen geworden. Nicht seine Bildung musste erwachsen werden, sondern seine Gefühle. All die Schulbildung konnte bei ihm nicht das erreichen, was er wirklich brauchte. Und dazu brauchte er Risa.“ „Und zur Belohnung hat sie ihn geheiratet“ schwärmte Tea. „Was für eine schöne Liebesgeschichte.“ „Ja, sie hat den Drachen gezähmt“ lächelte Sethan zurück. „Nach einer kurzen Bewährungszeit hat sie sich heiraten lassen. Er war zwar noch immer ein Rebell, der sich nur schwer unterordnen konnte, aber seitdem machte er Unterschiede zwischen den Menschen. Seine Familie begann, einen fast heiligen Status für ihn zu bekommen. Es tat ihm leid, dass er die Menschen, welche ihm nahe standen, so verletzt hatte. Und er wurde dankbar für die Tatsache, dass er trotz seines teilweise sehr verletzlichen Benehmens mit offenen Armen nach Hause zurückkehren durfte und niemals ein anklagendes Wort hörte. Im Nachhinein war klar, dass diese Phase wichtig für ihn war, um sich selbst zu finden. Für jemanden, der alles kann und dem alle Wege offen stehen, kann auch das sehr erdrückend sein.“ „Inwiefern?“ fragte Tristan genauer. „Das finde ich nicht bedrückend, wenn man die Freiheit hat, alles zu tun, was man will. Wenn es weder an Bildung noch an Geld scheitert.“ „Doch, genau das stelle ich mir sehr beängstigend vor“ versuchte Noah seine Meinung zu erklären. „Stell es dir bildlich vor. Du hast sämtliche Waffen, sodass dir niemand jemals etwas antun kann. Du hast Unmengen an Geld und alle Wege stehen dir offen. Du kannst tun, was immer du willst. Die ganze große Welt gehört dir. Wohin willst du dann gehen? Es gibt nichts mehr, wofür du dich anstrengen musst, weil dir alles in den Schoß fällt. Und du hast niemals Angst, dass du die Menschen verlierst, die du liebst. Liebe ist für dich eine Selbstverständlichkeit. Für ihn muss es sich angefühlt haben, als wäre er ein Kind inmitten eines Süßigkeitenladens in Größe des Mount Everest. Du hast so viel, dass du gar nicht weißt, wo du anfangen sollst. Da ist es doch klar, dass er gewaltsam die wenigen Türen öffnet, die ihm Widerstand bieten. Einfach um zu sehen, wie stark er wirklich ist und wo die Grenzen sind. Was nützt dir die ganze Welt, wenn du keinen Stadtplan hast? Und inmitten dieses Süßigkeitenladens sieht er einen Korb Gemüse. Etwas, was er nicht kennt und niemals hatte. Etwas Ungewöhnliches in seiner Welt. Und dieser Korb steht unter Verschluss, als wäre er nicht für ihn bestimmt. Natürlich ist ihm da alles andere egal und er will nur noch das eine. Verstehst du, was ich meine?“ „Und Risa war so gesund für ihn wie nichts anderes“ nickte Sethan. „Er hat sie vergöttert und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sie war die erste Frau, die ihm Kontra gegeben hat, für die er sich anstrengen musste. Sie hat das Beste aus ihm herausgekitzelt und ihm gefiel das. Kurz nach der Hochzeit hatte er endlich die psychische Reife, dass er in die KC-Leitung geholt wurde und damit ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Damals war er knapp 24 Jahre alt. Seine Kunst wurde Hobby, andere Frauen und Partys interessierten ihn gar nicht mehr. Er lebte nur noch für seine Familie, seine Freunde und für seinen Beruf. Er ist vom Jungen zum Mann geworden und knapp ein Jahr nach seiner Hochzeit wurde er das erste Mal Vater. Als Tadashi Salomon Muto geboren wurde, hat er geweint vor Freude und Stolz. Endlich hatte er etwas gefunden, was ihn seelisch erfüllte und auslastete. Leisten konnte er vieles, aber wirklich ausgefüllt wurde er durch das, was ihn forderte. Und nichts fordert einen so sehr wie zwischenmenschliche Beziehungen und die Verantwortung für ein kleines Leben. Als sein Sohn ein Jahr alt wurde, zog Tato mit seiner kleinen Familie aus der Villa aus. Nicht weit weg, aber er wollte seine eigene Existenz gründen und sich als Familienvater beweisen. Er kaufte für Risa und Dashi ein Haus etwas außerhalb der Stadt, etwa eine Autostunde entfernt. Nicht zu weit weg von der Großfamilie, seinen Eltern und den anderen, aber genug Platz, um sich selbst zu entfalten. Nur Mama zog zu ihm, da sich beide gar nicht voneinander trennen mochten. Aber sonst war Tato wohl froh, sein eigenes Leben gründen zu können. Dort wurde drei Jahre später auch Sari geboren und Tato war auf dem Höhepunkt seines Lebens. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn niemals glücklicher gesehen habe. Ich bin eine Weile mit Dashi und Sari aufgewachsen, als wären wir richtige Geschwister. Und es war eine tolle Zeit. Mama und ich waren sehr glücklich und Risa auch. Und Tato damals auch. Er hat viel gelacht, war enthusiastisch und schrecklich verliebt. Er war zufrieden und wunschlos glücklich. Bis dann all sein Glück in sich zusammenbrach. Und das war das erste Mal, dass ich die Schattenseiten eines Lebens sah.“ „Und wie ist das passiert?“ fragte Yami besorgt. „Wenn er doch so stark und so glücklich und so vernünftig war ... warum sind Sari und er jetzt alleine?“ Sethan seufzte und nahm noch einen Schluck von seinem Wasser. Das Kommende stimmte ihn traurig, betrübt und wohl auch mitleidig. „Er machte Risa ein Geschenk“ begann er langsam. „Sie wünschte sich eine Ballonfahrt am Strand entlang. Also mietete er ihr einen riesigen Ballon mit Fahrer, fast so groß wie ein Zeppelin. Ein gigantisches Teil. Bei ihm musste immer alles überdimensioniert sein. Er überraschte sie mit seiner Idee und damit sie hinterher eine schöne Erinnerung hatte, wollte Joey mitkommen und einen Erinnerungsfilm machen. Einen ganz altmodischen mit richtigem Filmband in schwarzweiß, denn Risa liebte diese alten Filme vom Band. Aber wie Joey so war, kam sie zu spät. Risa und die Kinder waren schon eingestiegen und Tato half seinem Püdelchen mit der alten Videoausrüstung, die ja nun nicht eben so handlich war wie eine moderne. Während die beiden noch schleppten, startete der Ballon ohne sie. Tato ärgerte sich natürlich unbändig, zumal er nicht hinterherfliegen konnte, weil der Ballonfahrer kein Eingeweihter war. Aber er wollte zum Landeplatz fahren und seine Familie dort wieder in Empfang nehmen. Als er und Joey im Auto dem Ballon folgten, hörte er dann mit seinen feinen Drachenohren einen panischen Schrei und da hielt ihn nichts mehr. Er flog hinauf zum Ballon und ... sein Sohn war bereits tot.“ „Was?“ Das fragte zwar Yami, aber denken tat es jeder. „Warum?“ „Seitdem hat Onkel Tato einen unbändigen Hass auf Seth ... deinen Seth“ erzählte er mit gedämpfter Stimme. „Seth tötete einst einen Mann, der Kinder hatte. Dessen jüngster Sohn hatte seine Hexenkräfte geerbt und zog aus, sich an allen Hohepriestern zu rächen, sie auszulöschen. Er hatte lange gewartet und Tato war ihm in die Falle gegangen. Dieser Mann war ein Klingenhexer, er konnte alles mit seinen Gedanken wie mit Klingen durchstoßen. Angefangen hatte er bei seinem Sohn, um ihn hinauf zu locken und als Tato da war, hatte er schon Sari in seinen Fängen. Da sie auch ein Drache ist und somit eine potentielle Priesterin, wollte er sie als nächstes töten und dafür sorgen, dass der Vaterdrache es mit ansah. Es entbrannte ein kurzer Kampf, in welchem der Ballon Schaden nahm und abstürzte. Tato schaffte es, sich Risa und Sari zu greifen und den toten Körper seines Sohnes mitzunehmen. Den Attentäter ließ er oben zurück, während er seine Familie selbst herunterflog. Aber auf diesem Wege, schoss der Hexer seine Gedanken auf ihn und zerfetzte seinen linken Flügel. Tato stürzte kläglich ab.“ „Aber er hat es überlebt“ plädierte Mokuba. „Wie kann das sein? Wenn die Flügel Schaden nehmen, bedeutet das den sicheren Tod. Eigentlich dürfte er dann gar nicht mehr am Leben sein.“ „Du hast Recht“ erwiderte er ruhig. Auch wenn er wusste, dass er hier eine schreckliche Geschichte erzählte, musste er doch die Ruhe bewahren. „Als Tato auf dem Boden aufschlug, war er halb tot. Sein linker Flügel war bis auf einen kleinen Stumpf, ein paar Knochensplitter und Hautfetzen völlig abgerissen, aber er drehte sich mit letzter Kraft seines verbleibenden Flügels gen Boden, damit seine Frau und seine Tochter weicher landeten. Dort lag er dann im Sterben und konnte nicht mal mehr mit Risa sprechen. Er wäre auch ganz sicher qualvoll verendet, wenn Risa nicht ihr Leben gegen seines getauscht hätte.“ Er machte nur eine kleine Atempause, aber das war schon zu viel. „Wie soll das gehen?“ fragte Tea aufgewühlt. „Sie ist doch keine Hexe oder etwas ähnliches. Wie kann sie ihr Leben einfach so tauschen?“ „Durch ein Gebet“ erwiderte er selbst berührt. „Sie weinte und betete zu Rah. Mit ihrem ganzen Herzen flehte sie ihn an, ihren geliebten Mann nicht sterben zu lassen. Die Welt brauchte ihn, die junge Pharaonin brauchte ihn und ihre gemeinsame Tochter brauchte einen Vater, der sie besser verstehen konnte als eine unmagische Mutter es könnte. Risa sah sein Leben als bedeutsamer an. Rah sprach zu ihr und spendete ihr Trost. Zuerst war er dagegen, ihn zu retten, da dies ein tiefer Eingriff ins Schicksal gewesen wäre. Aber ihre Tränen und ihre Liebe rührten ihn und ließen ihn gegen seine eigenen Gesetze handeln. Er konnte Tato nicht selbstlos retten, da er diese starke Kraft nicht von der Erde abzweigen konnte. Aber er konnte sein verlöschendes Leben gegen etwas Gleichwertiges tauschen. Gegen das Leben einer liebenden Frau. So blieb das Gleichgewicht der Energien erhalten. Er nahm Risas Leben und gab es dem jungen Hohepriester. Er schenkte ihm einen Falkenflügel aus goldenen Lichtfedern als Ersatz für seine verlorene Drachenschwinge. Da Tato der seelische Sohn eines Pharaos war und kein gewöhnlicher Drache, half ihm das Gold, seine verlorene Seelenenergie mit Risas Lebensenergie auszugleichen und damit weiterzuleben. So starb Dashi durch einen Anschlag und Risa als Opfer für den Mann, den sie liebte. Doch Tato lebt seit dem Tag in dem Gedanken, seine Familie verraten zu haben. Er gibt sich selbst die Schuld dafür, dass es soweit gekommen ist und er leidet darunter, dass er selbst noch lebt. Und er hat sich geschworen, Rache zu nehmen.“ „Rache an Seth?“ fragte Yami besorgt. „Aber er kann doch nichts dafür, wenn ...“ „Dieser Hexer war wegen des Priesters Aleseus Halbwaise“ verdeutlichte Sethan ernst. „Tato gibt Seth die Schuld daran, dass sich dieser Sohn ungerechtfertigt an Unschuldigen rächt. Und er gibt sich die Schuld, dass er es nicht verhindern konnte. Er sucht Schuld, wo es nur geht.“ „Aber es macht ihn anscheinend nicht glücklicher“ seufzte Yugi, dem ganz schwer ums Herz wurde. Sein Tato ... sein süßer Sohn ... er konnte sich sein Leid vorstellen. Er wusste, was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren, allein für die gemeinsamen Kinder sorgen zu müssen und jemanden zu suchen, dem man die Schuld dafür geben konnte. Im Zweifel immer sich selbst. „Dann ist das also der Grund für das alles“ kombinierte Marie. „Deshalb humpelt er so schlimm. Er kann mit nur einem Flügel keine Balance halten.“ „Ja, der Lichtflügel hat kein Eigengewicht“ erklärte Sethan. „Sein Drachenflügel aber wiegt einige Kilo. Auch wenn diese Flügel nur in seiner Seele existieren, haben sie doch Auswirkungen auf seinen Körper. So wie jede Seele immer körperliche Auswirkungen hat. Deshalb braucht er seinen Stock, weil er auf Dauer einen Rückenschaden bekommen würde. Und seine Karriere als Eiskunstläufer ist damit auch beendet gewesen. Doch Freude an der Kunst findet er seit dem Tod der beiden eh nicht mehr. So wenig, wie er an allen anderen Dingen noch Freude empfindet.“ „Deshalb trägt er auch immer schwarz, oder?“ fiel Nika auf. „Das hab ich schon beobachtet. Er trägt nur schwarze Kleidung. Als würde er Trauer tragen.“ „Ja, das tut er. Er trauert nun seit mittlerweile seit fast zehn Jahren“ seufzte Sethan mit schwerem Kopf. „Er gibt sich Mühe, es zu verbergen, aber es ist zu stark. Jeder, der sich länger mit ihm unterhält, sieht seine Verzweiflung. Seine Familie war sein Leben, seine Erfüllung. Und nun ist Sari alles, was ihm noch geblieben ist.“ „Und ich hab mich schon gefragt, warum sie so verschlossen ist“ stellte Mokuba da fest. „Ist es, weil sie sich auch Vorwürfe macht?“ „So ähnlich“ erzählte Sethan weiter. „Sari ist eine starke Magierin und in ihr trägt sie die Macht von vier Drachen. Aber sie fürchtet sich davor, etwas zu tun, was ihren Vater verletzen könnte. Er passt fast übertrieben fürsorglich auf sie auf, er hat Probleme, sie loszulassen. In ihrem Alter von zwölf Jahren sollte sie eigentlich schon lange fliegen können, aber sie schafft es nicht mal, ihre Flügel auszubreiten. Auf der einen Seite will sie endlich erwachsen werden, aber auf der anderen Seite will sie ihren Vater nicht allein lassen. Sie ist im Zwiespalt mit sich selbst und Tato ist ihr keine große Hilfe. Wenn sie älter und stärker wird, wird sie irgendwann ihre Freiheit suchen und er befürchtet, dass sie ihm dann entgleitet und ebenfalls allein lässt. Die beiden verbindet ein so festes Band, dass es fast schon eine Fessel ist. Ihr habt doch gesehen, wie zornig er war, dass ich sie mit hergebracht habe. Sari ist eine starke Kämpferin und hat viele Fähigkeiten. Aber sie zögert davor, sich weiterzuentwickeln. Und er verteidigt sie wie ein Bluthund. Jeder, der es wagt, ihm reinzureden, verfeindet sich mit ihm.“ „Deshalb können wir da nur schwer eingreifen“ erzählte Sharesa. „Sobald wir ein falsches Wort sagen, droht er damit, fortzugehen. Es gab ein paar Mal einen Vorstoß von Seto und Yugi, mit ihm zu sprechen. Aber als es ernst wurde, packte er seine Taschen und war nur unter größten Anstrengungen vom Gehen abzuhalten. Er ist eben noch immer ein verbohrter Dickkopf.“ „Herrje ...“ Mit einem Seufzen lehnte Yugi sich zurück und atmete durch. „Das sind ja keine tollen Zukunftsaussichten.“ „Können wir nicht irgendwas machen?“ sorgte Seto sich und sah Yugi ratsuchend traurig an. „Wir können doch nicht zulassen, dass unser Tato ... dass er so traurig wird.“ „Ich glaube, auch Eltern stoßen irgendwann mal an ihre Grenzen, Liebling“ gestand er sich schweren Herzens ein. „Außerdem sind die anderen nicht hier, um Tato zu helfen, sondern um die Welt zu retten.“ „Dann willst du es nicht mal versuchen?“ warf er ihm enttäuscht vor und ließ zur Strafe seine warme Hand los. „Das habe ich nicht gesagt. Reg dich nicht gleich so auf“ bat er umso sanfter zurück und entgegnete seinem funkelnden Blick mit betonter Ruhe. Dass besonders Seto die Trauer seines Sohnes aufwühlte, war verständlich. „Aber auch ein Vater kann seine Kinder nicht rund um die Uhr beschützen. Und wenn doch, ist das auch nicht der richtige Weg. Dann würden wir mit ihm dasselbe tun wie er mit Sari. Wir können Tato nicht einsperren. Wir können nur für ihn da sein und ihn auffangen. Wir können ihn aber zu nichts zwingen.“ „Doch, das können wir“ bestand Seto darauf und ballte seine Fäuste. „Wir haben ihm was zu sagen und er soll gefälligst auf uns hören. Was er tut, ist doch nicht gut. Es ist in Ordnung, traurig zu sein, aber wenn er damit Sari auch noch schadet und sein eigenes Leben gefährdet, hört der Spaß auf.“ „Aber mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, ist nicht der richtige Weg, mein Herz“ sprach er und legte seine Hand zurück auf sein Knie, während er ihn liebevoll anblickte. „Du weißt doch selbst, wie es ist, wenn man in Trauer und Verzweiflung versinkt. Wenn das Leben fast sinnlos scheint. Was unseren Tato belastet, das sind schwere Depressionen. Da kannst du nicht mit Befehlen und Anweisungen gegen angehen. Was du dafür brauchst, sind warme Worte und viel Geduld. Wir müssen ihm erst zeigen, dass er es selbst wollen muss. Er muss sein Leben selbst ändern wollen und nur dann können wir ihn unterstützen. Genauso wie du damals erst einsehen musstest, dass auch dein Leben noch einen Wert hat. Genauso wie du muss Tato erst wieder Vertrauen fassen und den Willen zum Kämpfen finden. Er muss sich öffnen und bis er das tut, müssen wir ihm zeigen, dass wir da sind. Und bis er so weit ist, sehen wir, was wir für unsere Enkelin tun können. Ich denke, es ist noch nicht alles verloren. Er hat sich vielleicht aufgegeben, aber wir haben das nicht. Oder siehst du das anders?“ „Nein ...“ Er senkte seinen Kopf und es brauchte nur einen kleinen Zug, damit er niedersank und sich in den Arm nehmen ließ. Seto war nun mal leicht verletzlich und es war schwer für ihn, wenn er seinen Sohn so niedergeschlagen und ohne jede Hoffnung ansehen musste. Er wollte etwas dagegen tun. Am liebsten sofort. Aber er musste in dieser Situation mehr auf Yugis Spürsinn vertrauen, denn der hatte schon mehr als nur eine Seele gerettet. Und er wusste, wie man mit verletzten Drachen umgehen musste. Immerhin hatte er auch Setos Leben in den Griff bekommen, da wusste er sicher auch, was das Beste für seinen Sohn war. Aber wusste der Yugi in der Zukunft das denn nicht auch? Chapter 19 Als sie am Ende eines langen Fluges auf dem Boden aufsetzten und die Treppe aus dem Flugzeug hinunter auf den asphaltieren Platz stiegen, machte sich doch zusehends Verwirrung breit. Das Klima war warm, geradezu heiß. Der Himmel zeigte nicht eine Wolke und ein trockener Wind wehte an dem erschreckend kleinen Terminal vorbei, welcher mehr eine Holzhütte war. Der einzig sichtbare Flughafenangestellte war der, welcher die Treppe ans Flugzeug gebracht hatte und sich dann auch wortlos wieder von dannen machte. Rundherum keine anderen Menschen zu sehen, keine Fluggeräte oder sonstiges. Und um diesen verlassenen Flughafen herum nur trockener Sandboden mit verdorrtem Gestrüpp. Das hier war doch nie und nimmer der kühle, grüne Norden Europas! „Ich werde den Piloten feuern“ meinte Seto ganz definitiv. „Ja, der hat wohl die Karte nicht gelesen“ meinte auch Tristan, als der sich hier so umsah. „Wo sind wir gelandet?“ „Das kenne ich! Das kenne ich voll!“ jubelte Nini als sie Tristan sogleich auf die Schultern kletterte, um besser in die Ferne sehen zu können. „Das ist die große Sandkiste am Arsch der Welt. Nä, Joey?“ „Aas“ grinste der kleine Tato von Setos Armen aus. „Na“ mahnte der sofort und sah ihn dunkel an. „So was sagt man nicht, Asato.“ „Sag das nis immer!“ guckte er ebenso dunkel zurück. „Du solls nis Atato saagen.“ „Und du sollst nicht Arsch sagen.“ „Setz hassdu au Aas gesaagt“ grinste er triumphierend und schlug ihn mit einem frechen Griff an die Nase. Hatte er seine Mama doch beim Schimpfen ertappt. „Tja, wo könnten wir wohl sein?“ rätselte Jonny in weiser Ahnung. „Sand, Sonne, Hitze ... schwer zu erraten. Hundert Punkte sind zu angeln.“ „Wir sind in Ägypten“ sprach Tato und zog mit seinem dunklen Ton sämtliche fragende Blicke zurück auf sich. Zumal er mit seiner Ernsthaftigkeit dem fröhlichen Jonny ziemlich den Spaß verdarb. „In der Nähe von Gashe, um genau zu sein.“ „Gashe?“ fragte Yami überrumpelt und scharbte mit seinem Fuß forschend über den Boden. Das war gar kein richtiger Asphalt. Es war eher eine Art zementartige Lehmmischung und die Farbe war auch kein richtiges Grau, sondern eher sonnengeblichenes Gelb. „Ist das hier der Tempelboden vom Nut-Palast?“ „Du hast es erkannt“ nickte Sethan lächelnd. „Eigentlich werden diese Überreste erst in 20 Jahren entdeckt, aber wir haben Tato gebeten, dass er gleich bei seiner Ankunft den Sand fortblasen lässt und hier einen provisorischen Flugplatz einrichtet. Ich finde es faszinierend, dass ihr Ägypter damals schon einen Baustoff kanntet, der die Landung eines Großflugzeuges aushalten kann.“ „Viel eher finde ich es faszinierend, was du in der kurzen Zeit mit einem Laptop und ner Internetverbindung anstellen kannst“ meinte Noah bewundernden Blickes zu Tato hinauf. „Gibt es noch irgendwelche Überraschungen, die du geplant hast? Ich meine ... Yami?“ Er unterbrach seine Fragen, als Yami still und heimlich auf den Boden sank, seine Hände auf den geblichenen, flachen Boden legte und den Kopf senkte. „Ist dir nicht gut?“ „Der schöne Tempel“ flüsterte er traurig, als Yugi sich zu ihm kniete und ihn in den Arm nahm. „Früher war das hier ein Prachtbau. Und heute ist der Festplatz nur noch ein flaches Flughafengelände. Was ist aus den Türmen geworden? Aus der großen Halle? Aus den Ställen und wo ist die hohe Tempelmauer? Und der bunte Marktplatz? Wo sind all die Priester, die Händler und die Wüstenkinder? Es ist nichts mehr übrig ...“ „Es tut mir leid, dass wir den Tempel deiner Mutter auf diese Art nutzen“ entschuldigte Sethan, der das wahrhaft aufrichtig meinte. Es tat ihm wirklich leid, denn er wusste, wie wichtig einem Ägypter seine Tempel waren. Besonders ein solcher Gigantenbau, der heute unter dem Sand verschüttet nur noch in Ruinen lag. Und besonders Atemu, dessen Vater seiner Königin einst diesen heiligen Palast zum Zeichen seiner Liebe errichtete. Und heute war davon nur noch ein flaches Steinfeld geblieben, was früher ein Platz für rauschende Feste war. „Hier auf diesem Stein haben meine Eltern getanzt. Einst stand hier der zweitgrößte Palast im ganzen Reich ... das alles hat meiner Mutter gehört“ erzählte er mit bebender Stimme. „Ich weiß.“ Auch Sethan kniete sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Yami weinte nicht, aber seine Augen waren tränengefüllt. Es war aufwühlend an einen Platz zurückzukehren, welchen er früher ganz anders gekannt hatte. „Aber, Atemu, alles ist vergänglich. Der Bau existiert vielleicht nur noch als langes Feld unter dem Sand, aber deine Erinnerungen halten ihn lebendig. Er hat seinen Zweck erfüllt und musste dann gehen. So wie die Menschen, werden Bauten geboren und sterben. Sei nicht traurig.“ „Du kannst das nicht verstehen“ hauchte er und lehnte sich traurig gegen Yugi, der sich seine Trauer auch nur vorstellen konnte. Yami hatte in einer Welt gelebt, welche untergegangen war. Verschüttet unter Sand. „Doch, verstehen kann ich es“ tröstete Sethan und suchte seinen Blick, um ihn ein wenig zu trösten. „Ich kann verstehen, dass du Heimweh hast und dass es dich schmerzt, deine Paläste zerstört zu sehen. Aber du musst die Kraft finden, stark zu bleiben. Du darfst deinem Priester keine so starke Waffe in die Hand geben, für dich die Welt zurückzudrehen. Du musst ihm die Stirn bieten, damit die Welt deines Hikaris nicht untergeht und dieselbe Chance behält wie sie auch deine Welt hatte. Nämlich die Chance, sich weiterzuentwickeln und neue Welten hervorzubringen.“ „Aber ein bisschen traurig sein, darf er doch wohl“ bat Yugi und drückte seinen Yami tröstend an sich. „Warum hast du uns überhaupt hergebracht?“ fragte er dann schlicht weiter. „Doch sicher nicht, um Yami zu zeigen, dass sein prächtiger Festplatz nun als Landebahn dient.“ „Nein, sicher nicht“ schüttelte er den Kopf. „Es tut mir auch leid, dass wir genau hier Halt machen. Aber es ließ sich wegen der drängenden Zeit leider nicht verhindern.“ „Gashe ist der letzte Ort vor dem alten Grab“ versuchte Noah dem auf die Spur zu kommen. „Bis vor fünf Jahren war hier ein kleines Dorf in der Nähe, aber die letzten, wenigen Bewohner sind fortgezogen, da die Brunnen ausgetrocknet sind. Jetzt liegen hier nur noch ein paar verlassene Hütten.“ „Und woher weißt du das?“ staunte Joey. „Weil ich ab und zu mal mit Marik telefoniere“ antwortete er. „Er war ganz erleichtert, dass die Menschen gegangen sind, denn jetzt ist rund um das Grab rein gar nichts mehr. Erst in über 60 Kilometern gibt es das nächste Dorf. Aber Fahd Adh kennen wir ja schon. Ich denke mal, dass die Leute aus Gashe sich wohl dort angesiedelt haben.“ „Vielleicht“ brummte Seto, der sich jetzt schon den schnell trocknenden Schweiß aus der Stirn wischte. „Was wollen wir hier denn? Ins Grab oder nicht?“ Das hieß übersetzt wohl eher: ‚Scheiße, ist das warm hier. Ich hasse mein Leben.’ „Du hast es erfasst“ lächelte Sethan ihn beschwichtigend an. „Aber du kannst auch gern im klimatisierten Flugzeug bleiben. Es dauert nicht lange.“ „Was willst du denn da überhaupt? Ich dachte, du wolltest nach Norwegen, wo es schön kühl ist.“ „Nur ein ganz kurzer Besuch“ versprach er mit einem neckischen Zwinkern. Er wusste, dass es Seto hier viel zu warm war und er da immer etwas mürrischer wurde als sonst. „Ich hab noch etwas zu erledigen und dann können wir sofort weiter.“ „Ich find’s gut“ beschloss Balthasar frei heraus. „Ich bin gespannt, wie es dort wohl aussieht.“ „Ich glaube, in so einem Grab verändert sich nicht viel“ meinte Mokeph aus Erfahrung. „Dort hat sich seit 5000 Jahren nichts verändert.“ „Oh, das ist nicht ganz richtig“ musste Yami da doch berichtigen. „Es gibt einen Notstromgenerator und andere, kleine Hilfsmittel. Früher zum Beispiel gab es kein batteriebetriebenes Radio und einen Satteliten mit Internetverbindung hatten die Grabwächter auch nicht.“ „Aber sie müssen ja auch irgendwie mit euch in Kontakt bleiben“ meinte Fernando und sah mit vorgehaltener Hand in den Himmel. „Haben wir überhaupt Schutzkleidung gegen die Sonne mit?“ „Natürlich nicht“ schüttelte Sharesa ihren schwarzen Kopf. „Selbstverständlich hat Sethan uns ja nicht vorgewarnt, dass wir in die Wüste fliegen.“ „Wie gesagt, könnt ihr gern auch da bleiben“ betonte er nochmals. „Ich muss wirklich nur ganz kurz hin. Dauert nicht mal drei Minuten und zu Fuß ist man auch in vier Stunden am Grab.“ „Dann mal frohes Laufen“ meinte Jonny. Klang nicht so, als hätte er da große Lust zum Mitkommen. „Marik hat aber versprochen, uns Strandbuggys hinzustellen“ meinte Sethan und sah Tato fragend an. „Hat er doch, oder?“ „Ich denke mal, die stehen da hinten in der Hütte“ nickte er ein paar hundert Meter nach vorn, wo ein recht altes Holzhüttchen stand. „Mehr als sechs konnte er uns aber nicht anbieten.“ „Na, das reicht doch auch“ meine Sethan nickend. „Auf jedem Buggy können zwei mitfahren und alle müssen ja nicht mitkommen. Ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn jemand aufs Flugzeug und die Kinder aufpasst.“ „Is pass auf!“ meldete klein Tato sich sofort. „Is bin ein duuter Aufpasser. Nä, Mama?“ „Heißt aufpassen, dass wir hier bleiben müssen?“ war Ninis kleine Sorge. „Ich will aber Odions neue Freundin sehen, wenn wir ins Grab gehen. Die ist so lieb am Telefon. Und ich will Marik knuddeln. Marik ist ein hübscher Mann.“ „Ich glaube, Seto und die Kinder bleiben am besten hier“ vermutete Yugi, wenn er seinen Ehemann so ansah. Der stand gerade mal ein paar Minuten in der Sonne und schüttete bereits lauter Unglückshormone aus. Nicht nur, dass er keine passende Kleidung mit sich führte, sondern innerlich war er schon auf den kühlen Norden eingestellt. Sand und Hitze gehörten nicht zu seinen liebsten Hobbys. „Und wenn wir hier weiter rumstehen, schaffen wir gar nichts mehr“ murrte Tato von der anderen Seite. Er schien die Hitze etwas besser zu vertragen, auch wenn er nicht gerade begeistert aussah. „Ja, wie ist das denn eigentlich?“ fragte Joey und sah ihn rätselnd an. „Was?“ giftete Seto zurück. „Was soll wie sein? Drück dich klarer aus, wenn du schon quatschen musst.“ „Dass du dich hier unwohl fühlst, weiß ich ja“ winkte er den schimpfenden Drachen ab. „Aber Seth hat sich in so einer heißen Umgebung immer wohl gefühlt. Wie ist denn das beim Wind? Hat der auch so eine typische Landschaft?“ Als wäre er gar nicht angesprochen, antwortete Tato darauf nicht. Er setzte nur seinen Blick gegen Joeys und gab keinerlei Auskunft. Warum auch? Die Frage an sich war ihm schon zu blöd. „Am liebsten Städte und Menschen“ antwortete Dakar für ihn. „Der Wind hat keine Heimat, aber er braucht Bauten und Wesen, die er umwehen kann, ohne festgehalten zu werden. Aber gern mit Zugang zu freien Flächen, eben wie Wüsten aus Sand und Wasser. Der Wind ist heimatlos. Eher ein Träger für andere Elemente. Was wäre ein Sandsturm oder eine Sturmflut ohne Sturm? Deshalb sind Windmagier meistens flatterhafte, aufbrausende Männer, die aber eigentlich nie alleine sein mögen.“ „Sonst noch ein Horoskop?“ zischte Tato ihn an. „Sei doch nicht gleich so aufbrausend“ meinte Balthasar. „Dakar hat nur auf eine ganz normale Frage geantwortet. Reg dich ab, Alter.“ „Du ...“ Doch bevor Tato seinen alten Zwist mit dem Feuersohn aufnehmen konnte, quasselte Nini schon wieder dazwischen. „Du? Sari?“ fragte sie die von Tristans Schultern herunter. „Du bist doch auch so ein Drache, oder?“ „Dragge!“ rief Tato und zeigte auch noch auf sie. „Dragge. Weiß is. Nä? Mach ma GROOAAAARRRR! Du uns is, nä? Und Mama und Tethi. Und no ein Tethi. Gibs ganz viele, nä?“ Sie wusste darauf gar nichts zu sagen. Das Thema schien ihr peinlich zu sein und sie stand da etwas einsam zwischen Sharesa und Phoenix. Wäre ihr Papa neben ihr gewesen, hätte sie sich wohl versteckt. „Darüber habt ihr uns ja noch gar nichts erzählt“ bat Noah ganz lieb und trat ein paar Schritte zur Seite, um seinen Arm um sie zu legen. „Darf ich dich fragen, ob du auch ein Element hast?“ „Die Erde“ antwortete sie zaghaft und sah zu ihm hoch. „Die Erde ist wie das Eis. Aber dunkler, verschlossener, sagt Opa. Opa sagt auch, die Erde ist schwerer in Bewegung zu bringen. Aber wenn sie sich erst bewegt, dann sind das entfesselte Kräfte.“ Vor welchen sie anscheinend mehr Angst hegte, als ein eventueller Feind. Sie war also wirklich das letzte, ausstehende Element. Jetzt waren alle vier Elemente auf der Erde vertreten. Das Feuer, der Wind, die Erde und das Eis als Vertreter des Wassers. Alle vier ... ob das eine Bedeutung hatte oder nur zufällig so geschah? „So, genug geplauscht jetzt“ beschloss Tato, trat dazwischen und schirmte seine Tochter ab. Genau so wie die anderen es berichtet hatten. Er ließ nichts und niemanden an sie heran, was schädlich oder unruhig wäre. Er wollte nicht, dass sie ihre Kräfte fand und in einen gefährlichen Kampf zog. Er wollte sie nicht auch noch verlieren. „Du bleibst hier bei Oma und hilfst ihm bei den Babys, okay?“ „Aber ich wollte auch mit zum Grab“ bettelte sie mit großen, dunkelblauen Augen ihren großen Übervater an. „Ich wollte so gern sehen, wie Marik in jung aussah.“ „Ich bringe dir ein Foto mit. Wir sind doch gleich wieder zurück.“ „Lass sie doch mitgehen, Tato“ versuchte Yugi ihn zu überreden. „Es dauert doch nicht lange und ...“ „Und ich sage, sie bleibt hier“ unterbrach er ihn fest. In seiner Erziehung ließ er sich nicht reinreden, von niemandem. Und Yugi sah es auf sich zukommen. Das würde ein großes Stück Arbeit werden, seinen verängstigten Panzer zu knacken. Die sechs Strandbuggys bekamen sie schnell verteilt. Selbstverständlich bekam Sethan einen, den er sich jedoch von Yami fahren ließ, der immer vornan der Schnellste sein wollte. Selbst wenn Joey ihm immer wieder sagte, dass dies hier kein Rennen war und sich insgeheim eher darüber ärgerte, dass er und Jonny zusammen nicht mal halb so schnell fuhren und regelmäßig zusammen mangels gutem Fahrstil im Sand landeten. Balthasar wollte ja auch gern ein bisschen wilder fahren, aber da der seinen etwas ängstlicheren Bruder auf dem Rücksitz hatte, ließ er es mit den Rennen doch lieber ganz ausbleiben. Ebenso wie Dakar und Sharesa sich ein Gerät teilten. Sie hätte sich ja gern ein Wettrennen mit Yami geliefert, aber dann hätte Dakar seine Zigarette nicht in Ruhe rauchen können und daran zu denken, dass er das Steuer abgab, war auch nicht. Tato bestand da von Anfang an auf seinen eigenen Fahrerplatz und wollte auch niemanden hinten draufhaben. Einfach weil er es so wollte und Punkt. Den letzten Buggy verlosten dann die restlichen Willigen unter sich und das große Los zogen Mokeph und Tristan. Zwar wollte Fernando auch gern mit, Nika hätte nicht nein gesagt und Yugi hätte den Grabwächtern auch gern einen Besuch abgestattet. Aber das Los hatte entschieden und so mussten nur noch Tristan und Mokeph sich darum streiten, wer denn nun fahren durfte. Man einigte sich also darauf, dass Tristan hin und Mokeph zurückfahren durfte und das nächste Mal wurde der Besuch einfach nicht so spontan geplant, damit sie wieder den schönen Reisebus nutzen konnten. Auch wenn Sethan immer wieder betonte, dass so viel Begleitung nicht nötig war, weil er ja nur ganz kurz etwas erledigen wollte, aber der Weg nach Ägypten war ja leider so weit, dass sie ihre Freunde untertage nicht häufig zu Gesicht bekamen und entsprechend groß war damit auch der Ansturm. Kaum hatte Joey seine Wasserflasche leer gemacht und klagte im Minutentakt über Durst, hatten sie die Ruinen des Außengrabes auch schon erreicht. Außer den paar verfallenen Steinbauten mitten im Sand deutete nichts darauf hin, dass hier überhaupt etwas lag. Und da dieses Grundstück in mehreren Hektar ein altes Erbgut der Ishtars war, blieben sie glücklicherweise auch vor Forschern verschont. Denn die uralte Familie war zwar in den Akten eingetragen, aber es gab keine Kontaktdaten, sodass nicht mal eine Möglichkeit in Aussicht stand, eine Grabungserlaubnis zu bekommen. Und im Zweifelsfalle würde sich schon ein einflussreicher Freund finden, der seine schützende Hand über das unterirdische Geheimnis legte. So mächtig war der Name Kaiba allemal. Sie stellten ihre Buggys im Schatten einer sandumwehten Wand ab und streckten sich nach der holprigen Reise. „Boah, Alter ey“ schwitzte Jonny und rückte sich seine übertrieben große Sonnebrille zurecht. „Bin ich froh, wenn wir erst mal im Kühlen sind.“ „Glück, dass Seto nicht mit ist. Der hasst diese sonnigen Reisen und hätte uns nur die Ohren vollgequakt“ meinte auch Joey. „Aber Sonne bei Drachen ist doch was Schönes“ grinste Yami in zweideutiger Richtung auf Tato, um den mal etwas aus der Reserve zu locken. „Oder, Tato? Wollen wir uns ein bisschen zusammen sonnen und mal gucken, was passiert?“ „Reicht, wenn du mir sagst, wann ich dich wenden soll“ antwortete der trocken. Selbst wenn er den Spaß verstanden hatte, fand er die Idee jetzt weder lustig noch ansprechend. „Du bist humorlos“ warf er ihm beleidigt vor. Doch darauf bekam er dann gar keine Antwort mehr. Stattdessen zog der Griesgram sich lieber seine Schuhe aus, um besser stehen und laufen zu können. Nicht nur, dass es barfuß angenehmer war, sondern mit seinem Stock konnte er im Sand auch nicht wirklich gut laufen. Da brauchte er wohl mehr Bodenkontakt. „Aber wie es aussieht, werden wir schon erwartet“ wies Tristan sie auf die bereits geöffnete Bodenluke in der Nähe eines zerfallenen Unterschlupfes hin. Normalerweise war diese immer verschlossen und unter dem Sand versteckt, aber nun stand sie einladend offen. „Komisch“ fiel Mokeph da sofort auf. „Warum ist die denn offen, ohne dass Wachen hier oben sind?“ „Vielleicht lüften sie ja nur aus“ versuchte Balthasar zu beruhigen. „Wir sollten nicht gleich in Panik ausbrechen.“ „Trotzdem ist es ungewöhnlich“ meinte Yami. „Gehen wir mal rein und schauen, ob wir jemanden finden. Ich hab nämlich auch Durst.“ „Und wir gehen ein Foto von dem jungen Marik machen, was?“ zwinkerte Balthasar seinem Brüderchen zu. „Sonst macht Sari uns die Hölle heiß.“ „Na kommt, Jungs“ beschloss Sharesa und schritt mutig voran. Wie ein zerbrechliches Mädchen benahm sie sich nicht gerade, reiste sogar freiwillig in nur männlicher Begleitung durch die Wüste. Aus ihr hätte wirklich problemlos auch ein Junge werden können. Und die Jungs folgten ihr auch ebenso freiwillig. Aus dieser Hitze herauszukommen und sich für die Rückfahrt vielleicht etwas Wasser und Schutzkleidung geben zu lassen, war doch eine ebenso gute Aussicht wie endlich in die kühle Erde hinabzusteigen. Ausgerechnet zur Mittagshitze unvorbereitet durch die Wüste zu reisen, war eh eine Schnapsidee. Sie waren nur wenige Meter vor der Bodenluke, als sie jedoch vor Schrecken stoppten. Es kam ihnen jemand entgegen, den sie hier ums Verrecken nicht erwartet hätten. Seth. Er stieg ruhigen Schrittes hinaus in die brennende Sonne und wer vermutet hatte, ihn als nächstes geschwächt oder verzweifelt zu sehen, wurde eines Besseren belehrt. Das Gegenteil war der Fall. Er sah blendend aus. Kräftiger noch als das letzte Mal, er hatte seine Höchstform wiedergefunden. Auch seine pseudomoderne Kleidung hatte er abgelegt und trug wieder sein altes Priestergewand. Selbst seinen ursprünglichen Silberschmuck an den Armen und Beinen trug er wieder und sogar am Hals prangte ein glänzender Silberring, obwohl er es immer unangenehm fand, wenn ihn jemand oder etwas am Hals berührte. Doch er sah genau aus wie im alten Ägypten und damals gehörte dieser Schmuck zu seinem ehrenhaften Stand. Nur eben mit dem Unterschied, dass er nun erwachsener wirkte durch sein langes Haar und den feinen Bart. Und auch seine Augen hatten sich verändert, als er aufblickte und den unverhofften Besuch sah. Sein Blick war hart geworden, spitz funkelnd und unergründlich tief. Die Sanftheit und Besonnenheit war aus ihm gewichen und glichen nun eher denen eines Drachen auf Jagd. Er sah gesund aus aber nicht besonders fröhlich. „Atemu.“ Aber seine Lippen wandelten sich zu einem Lächeln, als er ihn erblickte. Den Rest würdigte er nicht mit Aufmerksamkeit. Yami hatte einen Moment gezögert, aber dann schritt er entschlossen auf ihn zu, ballte seine Fäuste und erdolchte ihn mit einem strafenden Blick noch beim Näherkommen. „Sag mal, was ist in dich gefahren?“ schimpfte er ihn an und blieb fest vor ihm stehen. „Du verschwindest einfach so und ich ...“ „Bitte sei nicht böse mit mir“ lächelte er ihn sanft an und legte seine heißen Hände an Atemus ohnehin schon roten Wangen. „Ich habe dich sehr vermisst, mein Pharao.“ „Das meine ich nicht!“ Er schob langsam seine Hände weg und musste sich zusammenreißen, um beherrscht zu bleiben. „Ich weiß mittlerweile, was deine kryptischen Worte zu bedeuten haben. Und ich verbiete dir, deine Pläne noch in irgendeiner Form weiter zu verfolgen. Ich will, dass du ab jetzt nicht mehr von mir weichst und mich bei allem was du tust um Erlaubnis bittest. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht mehr vertrauen, Aleseus.“ „Wenn das so ist“ sprach er mit sanfter Stimme weiter. „Ich bitte darum, meine Majestät küssen zu dürfen.“ „Nein! Ich will, dass du mich ernst nimmst!“ schimpfte er. „Verdammt, Seth! Warum benimmst du dich so? Wer hat dir ins Hirn gepustet?“ „Bitte sei ganz ruhig“ bat er, fasste ihn am Kinn und beugte sich langsam zu ihm herab. „Schimpf nicht mit mir. Ich liebe dich, Atemu.“ Und seinen Kuss bekam er doch. Er legte ihm seine Lippen auf, seinen Arm um die Schultern und zog ihn zu sich heran. Seine Zunge hatte noch immer dieselbe Hitze und Yami musste feststellen, dass Seth nicht fremdgesteuert wurde. Wäre er unter Hypnose oder besessen, hätte er es in seinem Kuss gespürt. Aber er war er selbst. Alles, was er tat, tat er aus freiem Willen heraus. Ebenso wie er ebenso nach einem Kuss verlangte wie früher. Und es war gemein. Yami liebte ihn und er wusste das. Er liebte es, ihn zu küssen, in seinen Armen zu liegen. Ihn zu schmecken, seine Hitze zu spüren und ihm einfach nahe zu sein. Die Zeit, in welcher sie nicht zusammen waren, wurde lang und lang und immer länger. Aber dieser neue Seth machte ihm auch Angst. Nein, Angst war das falsche Wort, denn wirklich fürchten tat er ihn nicht. Viel eher machte es ihn besorgt. Als wäre Seth vom Wahnsinn befallen. Nicht ein solch ‚harmloser’ Wahnsinn wie Yugi ihn aus Trauer empfunden hatte. Eher ein Gefühl, dass sein treuer Priester sich auf den Gedanken versteift hatte, sich an der ganzen Welt für seine verletzte Ehre rächen zu wollen. „Seth, bitte“ flüsterte Yami, als sie sich nach dem Kuss in den Armen lagen. Er an seine Brust geschmiegt, hörte sein schlagendes Herz und seinen tiefen Atem, spürte seine starken Arme um sich. Es könnte alles so schön sein. „Bitte komm endlich zur Vernunft. Komm mit nach Hause. Niemand wird dir Vorwürfe machen. Komm mit nach Hause und lass uns über alles in Ruhe sprechen. Lass mich dir helfen.“ „Nein, du hast schon genug getan, geliebter Pharao“ antwortete er ihm mit tiefer, rauchiger Stimme. „Jetzt werde ich dir ein Zuhause schaffen, in welchem wir beide glücklich leben werden. Du wirst sehen. Ich werde dir die Welt zu Füßen legen.“ „Ich will das alles nicht“ bat er, drückte sich ein paar Zentimeter fort und sah an ihm hinauf. „Bitte hör mir zu, Aleseus. Ich will, dass du mit mir kommst und deine Pläne ruhen lässt. Was du vorhast, will ich nicht. Verstehst du das? Ich w i l l es nicht.“ „Du wirst es wollen, das weiß ich. Wenn erst alles perfekt ist, wirst du mir dankbar sein. Ich weiß es.“ „Hör mir doch zu!“ versuchte er so deutlich wie möglich zu sagen. „Ich will es nicht.“ „Ich weiß, dass du jetzt im Augenblick dagegen bist, Atemu“ lächelte er ihn an als wäre er ein kleines, ahnungsloses Kind. „Aber dein Blick ist getrübt von dieser schmutzigen Zeit. Wenn ich erst alles neu geschaffen habe, wirst du es für gut befinden. Das weiß ich. Ich werde dir dein Leben zurückgeben.“ „Aleseus, hör mir doch zu! Versteh es endlich!“ Er fasste seine Handgelenke und war angehend verzweifelt. Was musste er denn noch tun, damit seine Worte ankamen? „Verzeih, ich habe nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen.“ Sein Lächeln wollte nicht weichen. Als sei alles in bester Ordnung so schien er guter Dinge zu sein. Erschreckend. Er war im Begriff, die ganze moderne Zivilisation zu vernichten und sprach darüber so beruhigend, fast schon vorfreudig. „Ich muss noch viel tun. Aber ich werde bald zu dir kommen und gemeinsam werden wir die Nacht zum Leben erwecken. Dann haben wir ausreichend Zeit, unsere Sehnsüchte zu stillen. Ich verspreche es dir, Atemu. Bald sehen wir uns wieder.“ „Du kannst jetzt nicht einfach gehen!“ Er hielt ihn gerade noch am Arm fest, bevor er sich ganz von ihm entfernt hatte. „Seth, bitte lass es nicht zu einem Kampf kommen! Sieh doch, wer gegen dich steht.“ Er wies auf die anderen, welche es bis jetzt nicht gewagt hatten, einzuschreiten. Selbst Sethan besah sich das alles von einer noch beobachtenden Position aus. „Es sind unsere Kinder aus der Zukunft. Sie sind gekommen, um deine Pläne zu vereiteln. Seth, wie soll das ausgehen? Willst du etwa gegen deine eigenen Söhne kämpfen? Lass es nicht so weit kommen! Bitte! Alle sind gekommen, um dich zu stoppen. Es wird einen Kampf geben, wenn du nicht zur Vernunft kommst!“ „Ich weiß, Atemu“ lächelte er ihn beruhigend an. Das alles schien ihm weder neu, noch schien es ihn zu erschrecken. Wenn er wirklich mit seinem dunklen Göttervater im Bunde stand, hatte der ihn sicher bereits eingeweiht über das, was vor sich ging und was ihm drohte. „Sei bitte unbesorgt. Es wird alles seinen besten Weg gehen. Wir werden wieder glücklich sein.“ „Ich bin glücklich, so wie es ist. Hörst du meine Worte? Ich will nicht, dass sich etwas ändert.“ „Und damit du eine unveränderte Welt vorfindest, werde ich für dich kämpfen. Ich werde dir ein Denkmal setzen, Atemu. Dir und meiner unendlichen Liebe zu dir. Hab noch ein wenig Geduld. Unser Reich ist ewig.“ Er schenkte ihm noch einen Kuss auf die Stirn und ließ ihn so stehen. Yami selbst war so perplex, dass er sich kaum bewegen konnte. DAS war nicht der Seth, den er kannte. Er war wahnsinnig! Er war besessen von dem Gedanken, für seinen Pharao etwas Gutes zu tun. Sein Seth hätte so etwas nie getan. Sein Seth war genügsam, vernünftig und besonnen. Ein bisschen wild war er immer schon, aber er stellte sein ruhiges Verständnis und seine Vernunft über alles. Aber was er nun plante, war ein verrücktes Unterfangen. Wer hätte geahnt, dass er als Hohepriester einst der stärkste Feind des Pharaos werden würde? „Vater, warte bitte.“ Balthasar fasste sich ein Herz und sprach ihn nicht nur an, sondern ging auf ihn zu, bevor er fortgehen konnte. Seth stoppte auch und blickte sich nach ihm um. Auf diesen jungen Mann, der ihm zum Verwechseln ähnlich sähe, hätte er nicht diese grauen Stahlaugen. Aber den Mut, den hatte er geerbt. Er war das Kind, welches er um jeden Preis nun früher hatte zeugen wollen. Auch wenn er es noch um Dunkeln ließ, wofür er ihn so nötig brauchte. „Du bist Balthasar, nicht wahr?“ fragte er als sein Sohn ihn erreichte und fest anblickte. „Ja“ nickte er. „Und das ist mein Bruder Phoenix.“ Obwohl er auf ihn wies, nahm Seth seinen Blick nicht von dem stärkeren, dem besseren Sohn. Genau wie die anderen es aus der Zukunft berichtet hatten. Phoenix existierte für ihn scheinbar gar nicht. Seth lächelte und strich ihm über die Wange. Fast eine liebevolle Geste, wenn auch etwas distanziert. „Bitte lass uns nicht gegeneinander kämpfen“ eröffnete Balthasar ihm mit entschlossener Stimme. Auch wenn er sich sicher gern in seine väterlichen Arme fallen lassen würde, so hielt er doch nur seine zaghafte Berührung aus. „Wir können deine Pläne nicht gutheißen und werden dich nicht unterstützen. Bitte tu, was Atemu dir sagt und mach nicht weiter. Bleib bei unserer Mutter und sei uns ein Vater. Wir brauchen dich mehr als die Welt es tut.“ „Sorge dich nicht“ tröstete er ihn beinahe väterlich. „Du wirst deinen Platz im neuen Reiche finden, mein Sohn. Noch bist du jung und naiv, aber du wirst verstehen lernen.“ „Wenn dich zu verstehen, bedeutet, dir zu folgen und die Menschheit auszulöschen, bleibe ich lieber naiv!“ Es war ihm egal, ob sein Vater stärker war oder leicht reizbar. Es war ihm auch gleich, ob er in einem Kampf gegen ihn bestehen konnte. Mut hatte er in jedem Falle und er würde für seine Ideale eintreten. Genau wie Seth änderte er seine Meinung nur schwer. Und in einer neuen alten Welt zu leben, konnte er sich kaum vorstellen und wollte es auch gar nicht. „Was wir brauchen, ist ein Vater. Du hast uns gezeugt, also steh auch zu deiner Verantwortung. Es ist grausam, wenn ein Vater seine Söhne ignoriert. Spatz und ich wollen keinen Vater, wie du ihn hattest.“ Doch da wandelte sich die streichelnde Hand und nach einem lauten Klatschen fiel Balthasar in den Wüstensand. Seth hatte ihn geschlagen für seine freche Äußerung. „Maße dir nicht an, über meinen Vater zu sprechen“ wies er ihn zurecht und sah auch dann auf ihn herab, als Phoenix zu ihm gelaufen kam und ihm auf die Beine helfen wollte, was sein Bruder aber auch ganz allein schaffte. „Balthasar hat aber Recht“ bat er mit seiner hellen, weichen Stimme und seine grauen Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte ignorier uns nicht. Die Welt braucht keine neue Ordnung, sondern wir brauchen einen Vater. I c h brauche einen Vater.“ „Was du brauchst, ist kein Vater, sondern jemanden, der sich erbarmt, dich von deinem Leiden zu erlösen“ entgegnete er kalt und spätestens da verstand Yami, dass sein Seth nicht mehr derselbe war. Seinem Sohn so etwas zu sagen. Ihm so das Herz zu zerstören und ihm zu zeigen, dass er ungewollt war. Auch wenn Seth von seinem eigenen Vater dasselbe erfahren hatte, durfte er es dennoch nicht an seine Söhne weitergeben. Der Seth, den er kannte, der hätte sich liebevoll um seine Kinder gekümmert. Doch aus dem weisen Priester war ein wahnsinniger Weltfeind geworden. „Jetzt reicht es! Was bist du nur für ein Vater?!“ Und das rief Tato auf den Plan. Für ihn waren die beiden wie seine eigenen Kinder. Sein Sohn war gestorben und er hatte in den Zwillingen einen Ersatz gefunden. Und als ein solcher Ersatzvater würde er nicht zulassen, dass ihnen jemand wehtat. Weder körperlich noch im Herzen. „Was willst du denn, Sato?“ lachte er ihn fast aus als der ohne Stock etwas schief auf ihn zukam. „Mach dich nicht lächerlich.“ „Wer sich hier lächerlich macht, bist ganz allein du“ erwiderte er und stellte sich schützend vor die beiden Jungs. „Im Gegensatz zu dir, sorge ich nämlich für deinen Nachwuchs, du Rabenvater.“ „Doch auch nur, weil du Ersatz für deinen toten Sohn suchst“ reizte er ihn ohne Skrupel. „Du konntest ihn nicht beschützen und suchst jetzt nach einer Buße. Was du hast, sind keine Vater- sondern Schuldgefühle. Mein Sohn hat eine große Zukunft vor sich im Gegensatz zu deinem.“ „Du hast zwei Söhne, du Arschloch“ zischte er. „Was ist nur aus dir geworden? Sieh dich doch mal an. Nichts bist du mehr. Du hinkst der Zeit hinterher und schaffst es nicht, dich anzupassen. Nichts außer bemitleidenswert bist du noch.“ „Sieh du dich doch an“ grinste er. „Für was hältst du dich? Du säufst, lässt deine Familie sterben und nimmst dir fremde Kinder als Ersatz. Wenn hier jemand bemitleidenswert ist, dann du. Du flügellahmer Möchtegern.“ Noch bevor jemand anderes sich einmischen konnte, trat Sethan dazwischen. Und sich zwischen zwei rivalisierende Drachen zu stellen, war nicht ungefährlich. Zumal Tato gerade drauf und dran war, einen echten Kampf anzuzetteln, wenn Phoenix sich nicht an ihm festkrallen würde. „Seth, bitte“ versuchte auch Tristan auf ihn einzureden. „Komm zur Vernunft. Warum redest du so, Mann? So bist du doch eigentlich gar nicht.“ „Wirklich, du bist nicht mehr derselbe“ meinte auch Mokeph, der sich sogar neben ihn stelle und ihn am Arm berührte. „Was ist aus meinem wunderbaren, großen Bruder geworden? Wo ist unser Sethi, der auf uns aufpasst und uns mit seinem vernünftigen, weisen Wissen zur Seite steht?“ „Da wende dich getrost an Seto, mein Bruder“ funkelte Seth zurück. „Seto kann dich aber nicht ersetzen“ argumentierte Tristan. „Ja, vielleicht kennt er die Götterwelt, aber er ist nicht du! Er ...“ „Lass es. Das hat keinen Sinn“ bat Sethan ruhig und blickte warnend mit seinen schimmernd surrealen Augen an Seth hinauf. „Ich warne dich nur dieses eine Mal, Aleseus. Nimm Abstand von deinen Plänen oder unser nächstes Treffen wird ein Kampf, den du nicht gewinnen kannst.“ „Und wenn du doch so stark bist, warum hältst du mich dann nicht jetzt auf?“ wollte er von ihm wissen. Auch wenn er nicht gerade so klang als würde er diesen gegen ihn schmächtigen Jungen als mächtiger ansehen. „Ich weiß, mein Vater hat dir viel Wissen gegeben“ antwortete er ruhig. „Aber es gibt Dinge, die weiß nur ich.“ „Na, wenn das so ist“ lächelte er spöttisch und trat ein paar Meter zurück, wand seinen heißblauen Blick dann zurück auf Atemu, der den Rest nur noch hilflos verfolgt hatte. Er konnte es einfach nicht fassen, was mit seinem treuen Priesterchen geschah. „Atemu“ sprach er in einem verliebt ruhigen Ton. „Ich komme bald zu dir. Du wirst sehen. Es wird sich alles zum Guten für uns wenden. Wir werden wieder zusammengehören. So wie früher.“ „Warum tust du uns das an?“ hauchte er mit aufsteigenden Tränen. „Ich liebe dich“ verabschiedete er sich, deutete eine Verneigung an und schon toste der Sand um ihn zu allen Seiten. Er schlug ein paar Mal kräftig mit seinen mattweißen Schwingen, erzeugte eine Menge Wind und verschwand dann in Richtung der Sonne. Fort, um weiter seine Pläne zu verfolgen und seinen Pharao so glücklich zu machen, wie er es früher war. „VERDAMMT! HÖR MIR DOCH ENDLICH ZU!“ schimpfte Yami, ließ sein Puzzle aufleuchten und schickte ihm wie Blitze so helle Lichtsäulen hinterher. Es sah aus als würde er ein Lasso nach ihm auswerfen. Er wollte nicht, dass er ging. Er wollte, dass er blieb und sich zur Vernunft bringen ließ. Für gewöhnlich war dies die einzige Macht, die einen so starken Magier augenblicklich niederringen konnte und es hatte bisher immer funktioniert. Nur dieses Mal nicht. Selbst geschockt, musste Yami beobachten wie seine Macht scheinbar an ihm abprallte, gen Boden fiel und noch in der Luft verglühte. Genau wie damals als er ihn nicht aufhalten konnte, vom Balkon zu fliehen. Als wäre es gar nichts. Diese Lichtfesseln hatten ihn bisher immer aufgehalten, waren etwas woraus er nicht entkommen konnte. Und nun? Nun war es als hätte es sie nie gegeben. Die ursprüngliche Kraft des Pharaos war wirkungslos. Mit einem Mal. „Ich konnte ihn nicht aufhalten“ klagte er, als er seine Freunde ansah. „Ich kann ihn einfach nicht aufhalten! Er ist wahnsinnig! Ich kann sagen, was ich will! Warum funktioniert es nicht? Was ist mit meiner Macht? Ich kann ihn nicht aufhalten!“ „Doch, das kannst du“ tröstete Sethan mit ruhiger Stimme. „Und du wirst auch bald wissen, wie.“ „Aber er ist wahnsinnig!“ rief er voller Tränen. „Aber du bist es nicht. Und das ist es, was zählt.“ „Ich bin völlig machtlos! Ich kann nicht ...“ „Hey, Alter.“ Joey legte ihm seine Hand auf die Schulter und nahm ihn dann tröstend in den Arm. „Ist doch alles okay. Wir schaffen das schon. Wir haben bisher doch immer alles geschafft.“ „Aber da hieß unser Gegner auch nicht Aleseus“ weinte Yami und nässte Joeys Schulter langsam ein. „Warum er? Warum ausgerechnet er? Hätte Seth sich nicht einen anderen suchen können, der gegen mich kämpfen soll? Warum er? Warum ausgerechnet er?“ „Weil die Hohepriester die natürlichen Feinde ihrer Pharaonen sind“ fand Sethan die passendste Erklärung. „Aber man muss seinen Gegner nicht töten, um ihn zu besiegen. Man muss ihn nur genug lieben.“ **Für die Detektive unter euch: Das war ein Hinweis. ^^** „Und warum hast du ihn jetzt einfach so gehen lassen?“ warf Jonny ihm vor. „Wir hätten uns ne Menge Arbeit gespart, wenn du die Sache jetzt beendet hättest.“ „Wie gesagt, es gibt Dinge, die weiß nur ich“ zwinkerte er froher Dinge aufgelegt. Aber dann sah er Tato an, der noch immer in den Himmel blickte und vor Wut leise schnaubte. „Und dir danke ich, Onkel Tato“ sagte er leise. „Du hast dich zurückgehalten. Ich weiß, dass dir das sehr schwer gefallen ist.“ „Das nächste Mal mache ich ihn kalt“ zischte er und drehte sich beleidigt um. Mit seinem einseitig belasteten Rücken humpelte er auf die noch immer geöffnete Luke zu und sonderte sich ein Stück von der Gruppe ab. Es war ihm wirklich schwer gefallen, nicht auf Seth loszugehen. Er gab ihm noch immer Mitschuld an dem Tod seiner Frau und seines Sohnes. Hätte Phoenix sich nicht an ihm festgehalten, wäre es sicher anders gekommen. „Ach, Mann. Da haben wir uns ja wen ausgesucht, was?“ seufzte Yami und legte dem armen Phoenix seinen Arm um die Hüfte. Der sah auch so aus als wolle er jeden Moment weinen. Immerhin hatte sein Vater ihn mit seinen Worten und seiner Ignoranz tief verletzt. Dabei sehnte er sich so sehr nach seiner Wertschätzung. „Ich hab ihn mir nicht ausgesucht“ flüsterte er mit bebender Stimme. „Warum kann er mich nicht lieben? Ich kann doch nichts dafür, dass ich so bin.“ „Hey, du bist gut so wie du bist, Spatz“ meinte Jonny. „Lass dir von ihm nichts einreden. Der hat doch keine Ahnung.“ „Eben“ tröstete ihn auch Balthasar. „Du bist ein topp Fighter, da kann sich so mancher noch ne Scheibe abschneiden. So don’t worry, Brother.“ „Du hast ja auch leicht reden ... du mit deiner Kraft“ flüsterte er zurück und trat lieber einen Schritt zur Seite, um sich an Sethans Arm zu hängen. „Na, dann kommt mal ins Kühle, ihr Hitzköpfe“ seufzte Sethan die anderen an und führte sie Tato hinterher hinab ins kühle, dunkle Grab. Balthasar seufzte nur tief und versuchte schon gar nicht mehr, seinen Bruder zu trösten. Egal, was er sagte, es würde immer das falsche sein ... Im Inneren der dunklen Katakomben war zuerst gar niemand zu sehen. Wahrscheinlich war alles noch in hellem Aufruhr und woanders unterwegs. Sicher hatte auch Seth hier mehr gewollt als nur kurz mal ein Teechen trinken. „Wow, es hat sich echt nichts verändert“ stellte Sharesa zuerst mal fest. „Aber leben will ich hier unten ja auch nicht“ meinte Jonny. „Echt mal. Grabwächter wäre kein Job für mich.“ „Dafür gibt es ja auch die Ishtars“ sprach Dakar ganz ruhig. „Also, Sethan. Was genau willst du hier?“ „Da entlang“ zeigte er und ging auch gleich voran. Er schien genau zu wissen, wo er hinwollte und wo es lag. Und das war wichtig. Immerhin war das hier ein großes Labyrinth, in welchem sich selbst Eingewiesene manchmal verliefen. Sie gingen die dunklen, leicht feuchten Gänge entlang, atmeten die kalte Luft und bogen mal hier und mal dort ab. Einige der Gänge waren kahl und schroff oder glatt geschliffen und mit Fackeln behängt. Nicht mal alle Fackeln waren angezündet. An manchen Ecken war es stockduster und umso anders fühlte man sich, wenn man plötzlich im die Ecke wieder ein paar prächtige Gänge hatte. Diese waren dann reich geschmückt mit Gold an den Wänden, feinen Zeichnungen in tausend Farben, mit gewebten Teppichen behangen oder kunstvoll mit Kerzen beschienen. „Für ein Grab ja nicht schlecht“ staunte Jonny mit großen Augen. „Ich meine, die Ägypter haben ja echt Sinn für Grabmähler was?“ „Die meisten Pharaonen haben ja mehr geprotzt“ erklärte Mokeph. „Ich meine, die Pyramiden sind ja wirklich reines Geprotze. Eigentlich sind die Gräber dafür gedacht, den Körper des Verstorbenen zu bewahren, damit er im Jenseits weiterleben kann. Und der viele Schmuck und die Kunst sind das, was man im Jenseits besitzen soll. Dies aber überall zur Schau zu stellen, ist Angeberei. Oder, Atemu?“ „Das war bei uns anders“ erinnerte er sich. „Meine Vorfahren haben alle unterirdische Gräber, um vor Grabräubern sicher zu sein. Ich weiß nicht mal, wo genau mein Großvater überhaupt begraben liegt. Als Kind war ich bei seiner Beisetzung und weiß, dass seine Grabkammer reich geschmückt war. Sie wurde nur geöffnet, um ihn zu Großmutter zu legen. Aber danach wurde alles zugeschüttet und es gab nur wenige Eingeweihte. Meist waren die Eingeweihten sehr alte Männer mit todbringenden Krankheiten, die mit ihrem Geheimnis bald verstarben und sich durch die Arbeit am Königsgrab einen Platz in Rahs Reich erhofften. Die Grabräuber waren schon damals die größte Gefahr für das jenseitige Leben. Deshalb sind die Pyramiden wohl auch alle geplündert. Aber diese Dinger wurden erst Jahrhunderte nach mir erbaut. Uns wäre es nie in den Sinn gekommen, ein so offensichtliches Grab zu bauen.“ „Aber das hier ist ja mehr als nur ein Grab“ sprach Mokeph. „Normale Gräber sind nicht so weit verzweigt und haben eigentlich auch keine Wächter, die über Generationen darin leben. Hier liegt doch noch etwas anderes als nur dein Körper.“ „Was heißt denn ‚nur’ mein Körper?“ schaute Yami ihn an. So war das zwar nicht gemeint, aber bevor Mokeph sich noch erklären konnte, huschte ein Gespenst vorbei. Sie waren gerade an einer Abzweigung angekommen, als direkt vor ihnen ein weißer Schein von links nach rechts wuselte. „Hey, Marik!“ rief Tristan, der ihn wohl gerade noch erkannt hatte. „WAS?!“ Okay, er hatte sie aber wohl nicht gesehen. So hörte man ein paar noch schnellere Schritte und gerade als sie um die Ecke biegen wollten, war er auch schon wieder zurück zu ihnen gekommen. Er war etwas aus der Puste, strich sich sein platinblondes Haar zurück und ordnete sein Grabgewand, welches nicht wirklich weiß, sondern eher beige war. „Was macht ihr denn schon hier? Ich dachte, ihr kommt erst morgen.“ Da fielen ihm auch die anderen ins Auge, die er nicht kannte. Und er zwinkerte doch ein paar Mal. „Und wer seid ihr alle?“ Speziell als er Tato anblickte, der seinem Vater ja nun zum Verwechseln ähnlich war, wenn auch ein paar Jahre älter. Aber er schüttelte erst mal den Kopf, verneigte sich und küsste Yami die Hand, wie es sich doch so gehörte. „Herzlich willkommen. Schön, dich gesund wiederzusehen, mein Pharao.“ „Hallo Marik“ lächelte Yami und damit waren die wichtigsten Formalitäten auch erst mal erledigt. „Darf ich dich vorstellen?“ „Ja, bitte“ nickte er und sah die anderen wieder fragend an. Er wusste zwar, dass einige vorbeikommen würden, aber auf das hier war er nicht gefasst gewesen. „Na gut. Also, das ist Besuch aus der Zukunft. Etwa 38 Jahre entfernt von hier.“ „Okay ...“ Das musste er erst mal so hinnehmen. Hörte sich zwar relativ abstrus an, aber wenn Yami ihm das so ehrlich sagte, hatte er daran nicht zu zweifeln. „Aber Seto hat in seiner Mail gar nichts davon erwähnt.“ „Das ist mein Verschulden“ outete Tato sich alsgleich. „Die Mail war von mir. Ich hab nur Mamas Account benutzt. Entschuldige, bitte.“ „Ähm ...“ „Das ist Tato“ half Yami dem überrumpelten Oberhaupt der Grabwächter lachend auf die Sprünge. „Und die beiden Wuschel dort sind Sharesa und Dakar. Die Kinder von Tea und Mokeph. Das dort ist Jonny, der Sohn von Joey und Sara. Die beiden Jungs da sind Balthasar und Phoenix, die Zwillinge von Seth und Marie. Und der hübsche Bursche hier“ zeigte Yami. „Das ist Sethan.“ „Herrje ... entschuldigt, aber ich ...“ Und vor Verlegenheit musste er sich doch mit einem Lachen entschuldigen. „Sorry, ich bin etwas überrascht.“ „So ging es uns auch“ meinte Joey. „Aber man gewöhnt sich ganz schnell daran.“ „In Ordnung. Darf ich?“ Er streckte Sethan respektvoll seine Hand entgegen und hauchte einen Kuss darauf, als er auch seine gereicht bekam. „Wie darf ich dich ansprechen? Prinz oder Pharao?“ „Korrekter Weise nur Prinz. Gekrönt bin ich nämlich nicht“ lächelte er als Marik sich wieder erhob. „Aber Sethan reicht. Bitte frei von Etikette, ja?“ „Danke“ lächelte er zurück und trat auch noch einen Schritt zur Seite, um sich ebenfalls vor Tato zu verneigen. Aber ihm hob er seine Hand nur entgegen, ohne ihn zu küssen. Musste wohl auch eine altägyptische Begrüßung sein. „Schön, dich zu sehen, Marik“ brummte auch Tato und legte ihm die Hand ans Kinn, um ihn wieder hinaufzuziehen. Manchmal waren solche Begrüßungen eben doch aufschlussreicher als ein Handschlag. „Und was kann ich für euch tun?“ fragte er dann frei heraus. „Wisst ihr ... wir hatten eben einen ebenfalls etwas überraschenden Besuch.“ „Ich weiß. Wir haben ihn draußen getroffen“ meinte Tristan, denn es war klar, von wem Marik sprach. „Hast du eine Ahnung, was er hier wollte? Ich meine ... er ist merkwürdig, oder?“ „Merkwürdig ist untertrieben“ war auch seine Meinung. „Ich weiß nicht, was er hier wollte. Natürlich ist uns jeder Hohepriester immer willkommen, aber so unangemeldet, waren wir doch etwas überrumpelt. Er hatte es auch ziemlich eilig. Er war nur kurz hier und hat nicht viel gesprochen. Zuerst war er in der Grabkammer und hat sich seinen alten Schmuck, sowie einige Kleidung zurückgeholt. Dann ist er in den Katakomben verschwunden und eben rief meine Schwester nach mir. Wir wissen nicht genau, was er getan hat.“ „Er hat sich Kleidung geholt?“ fragte Jonny skeptisch nach. „Ist denn die Kleidung, die seit 5000 Jahren in der Grabkammer liegt nicht schon lange unbrauchbar?“ „Nein, gar nicht“ schüttelte er den Kopf. „Wir tauschen sie alle zehn Jahre gegen neue aus. Ebenso wie wir alle zehn Tage frische Speisen in den Vorraum stellen.“ „Oh, das könnt ihr aber abstellen“ bat Yami. „Ich wusste nicht, dass ihr das immer noch macht. Seth und ich sind doch beide lebendig.“ „Ja, wissen wir“ lächelte er. „Aber es ist doch so üblich, um eure Seelen zu versorgen. Und ich will mir nicht vorhalten lassen, die alten Gebräuche nicht zu pflegen. Sonst hätte Aleseus mich wohl persönlich gerufen, wenn ihm etwas sauer aufgestoßen wäre. Aber er hat nichts gesagt. Die frische Kleidung war ja immerhin seinem jetzigen Körper angepasst. Aber ein Lob gab es nicht“ seufzte er und fuhr sich erneut das Haar aus dem Gesicht. „Aber wie gesagt, was ...“ „Marik!“ rief eine weibliche Stimme über den Flur. Ishizus Stimme. „Wo bist du denn? Wir brauchen dich, um ...“ „Halt doch mal die Klappe, du blöde Zicke!“ shoutete er zurück. Aber jeder, der sich im ersten Moment über den Ton wunderte, wunderte sich auf den zweiten Moment nicht mehr. Marik würde seine große Schwester niemals so anschreien. Malik hingegen schon. „Hallo, alte Krampfader“ lachte Joey. „Was geht ab?“ „Gar nichts“ kämpfte Marik ihn auch schon wieder zurück und atmete tief durch. „Och Mann“ grinste Yami. „Ich hätte mich gern ein bisschen mit ihm unterhalten.“ „Mit dem kannst du dich derzeit nicht unterhalten. Der hat seine Tage“ meinte Marik entnervt. „Es ist schrecklich. Er und Ishizu kotzen sich nur noch an, wenn Odion nicht ständig dazwischensteht. Wird Zeit, dass er bald wieder zurück ist.“ „Warum, wo ist er denn?“ wollte Yami wissen, als Marik nickte und sie gemeinsam seinen Weg weitergingen. „Einkäufe in Fahd Adh erledigen. Hätte ich gewusst, dass heute so viel los ist, hätte ich ihn nicht gehen lassen.“ „Und seine Freundin? Pama?“ „Pama ist natürlich mitgegangen“ schmunzelte er. „Die beiden sind doch unzertrennlich. So hab ich meinen Bruder noch nie erlebt. Seit sie hier ist, scheint er richtig zufrieden und ausgeglichen. Ich freue mich für ihn.“ „Und bei dir?“ wollte Joey neugierig wissen. „Irgendeine Frau in Aussicht?“ „Ich bin ja froh, wenn ich überhaupt mal Aussicht hätte. Eigentlich wollte ich demnächst für einige Wochen verreisen und verschiedene Ausgrabungsstellen besuchen, die das Forschungsministerium bewilligt hat. Um zu sehen, ob sie nicht irgendetwas mitnehmen, was uns gehört. Hauptsächlich Schriftrollen oder wichtige Gegenstände aus der goldenen Epoche. Die sollten lieber bei uns sein als in Besitz der Regierung. Aber ich werde wohl doch Odion schicken. Ich meine, derzeit kann ich hier schlecht weg.“ „Du bist aber sehr pflichtbewusst“ meinte Tristan. „Sei doch mal ehrlich. Ist es nicht etwas belastend, Tag um Tag hier zu sein und keine Möglichkeit zu haben, eine weibliche Bekanntschaft zu machen?“ „Es ist nicht ganz leicht, aber die Pflicht geht vor“ seufzte er doch ein wenig bedrückt. Immerhin war er auch ein junger Mann, der gern gewisse Erfahrungen machen würde. „Wenn es an der Zeit ist, wird Rah mich bedenken. Das hoffe ich zumindest.“ „Davon bin ich überzeugt“ tröstete Yami. „Das darfst du auch sein“ lächelte Sethan. „Marik, in unserer Zukunft hast du nämlich eine tolle Tochter, die deinen Platz einnimmt. Falls dir das ein Trost ist. Du sorgst also durchaus für einen Nachfolger.“ „Eine Tochter?“ schaute er überrascht auf. „Aber es ist unüblich, ein weibliches Oberhaupt zu haben.“ „Tja“ lachte er und zuckte mit den Schultern. „Ich kann dir nur sagen, dass du es so beschlossen hast und sich die Pharaonen damit einverstanden erklärten.“ „Marik!“ Da tauchte ein junges Mädchen mit tiefschwarzem Haar im schlichten Laken vor ihm auf, stutzte aber als sie den ungewöhnlichen Besuch sah. Sie machte ganz große Augen und ließ fast die Fackel fallen, welche sie mit sich trug. „Begrüße den Pharao“ flüsterte er ihr zu und sofort kniete sie sich ausgesprochen tief vor Yami. „Ich grüße den Pharao Atemu und sein Gefolge“ sagte sie folgsam, auch wenn ihre junge Stimme bente. „Sehr schön. Gut gemacht, Nirapai“ lobte er sie und hob sie vorsichtig wieder vom kalten Boden auf. „Was möchtest du denn von mir?“ „Ishizu sucht dich“ erzählte sie ihm aufgeregt. „Sie sucht dich in allen Gängen. Du sollst schnell in den Westkreis kommen.“ „Wenn du sie siehst, sag ihr, ich bin schon unterwegs“ bat er, klopfte ihr auf die Schulter und schon lief sie weiter ihrer Wege. „Sie ist die Nichte von Ephrat“ erklärte er gleich beim Weitergehen. „Ihre Eltern sind bei einem Erdbeben vor zwei Monaten umgekommen. Ephrat bat darum, sich um sie kümmern zu dürfen und da wir derzeit niemanden entbehren können, blieb ihm nur die Möglichkeit, sie hier herein zu holen oder in ein Waisenheim zu geben. Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, denn wenn sie erst hier ist, kann sie nicht so einfach wieder gehen. Aber nun ist sie hier und lebt sich langsam bei uns ein. Für sie tut es mir leid, aber für uns ist es gut, denn wir brauchen Kinder, die sich ans Grab binden lassen. Wir sollten uns rechtzeitig über die nächste Generation Gedanken machen.“ „Ephrat ist der Grabdiener mit der Narbe am Arm, oder?“ meinte Tristan sich zu erinnern. „Ein sehr zurückhaltender, aber freundlicher Mann“ nickte er. „Seine Mutter war schon damals im ... oh je.“ Da sah er die Bescherung, als er um die Ecke trat. Es war ein Gang, der auf den ersten Blick völlig verwüstet schien. Die Wände wie aufgebrochen und es waren überall Steinbrocken zu Boden gefallen. Als wäre hier jemand mit einem Presslufthammer durchgelaufen und hätte wahllos mal hier und mal dort etwas zerstört. Was den Blick des Familienoberhauptes aber am meisten fesselte, war die Tür ganz am Ende. Scheinbar hatten dort einst zwei Säulen gestanden, wovon aber eine umgestürzt und die andere stark beschädigt schien. Die überbreite, überhohe Tür stand weit offen und zeigte in ihrem Inneren nichts als schwarz. Es war aber kein Schatten, sondern schlicht unbewegliche Dunkelheit als würde darin eine sternenlose Nacht herrschen. Man konnte es nicht beschwören, aber es waberte ein dunkler Hauch am Stein entlang. Nicht sichtbar, aber wie ein Wind, wie eine Ahnung beschlich es einen, je näher man kam. „Jetzt wissen wir ja wohl, was Seth hier getrieben hat“ meinte Jonny. „Er ist hier durchgewütet.“ „Nein, das war nicht er. Jedenfalls nicht alles“ vermutete Marik und hielt Balthasar an der Schulter fest, damit er nicht weiterging, worauf auch die ganze Gruppe stehen blieb. „Er hat die Schattentore geöffnet“ stellte Yami fest, was aber eindeutig eher an Marik gerichtet war. „Dann sieht es im Ostgang sicher nicht anders aus“ befürchtete der. „Verdammt, warum tut es so was?“ „Viel eher wüsste ich gern, wo er diese Macht her hat“ fragte er sich. „Die Tore zu öffnen, vermag nur ein Pharao oder derjenige, der die Erlaubnis hat. Also nur Yugi, du und ich. Nicht mal unsere Hohepriester haben eine ausgesprochene Erlaubnis.“ „Aber weißt du, wer sie noch öffnen kann?“ schaute er ihn böser Ahnung an. „Jemand, der vom besitzenden Gott beauftragt ist“ antwortete Yami ihm ebenso unheimlich. „Dann hat er die Tore für den Gott Seth geöffnet. Wenn das so ist, lassen sie sich vor der nächsten Mondfinsternis nicht schließen. Wann ist denn die nächste?“ „In drei Jahren. So ungefähr, denke ich“ antwortete Marik. „Dann muss ich den Bereich solange absperren lassen bis ich einen Weg finde, sie wieder zu schließen. Bevor Mächte auf die Erde kommen, die hier nicht hingehören ... oder umgekehrt.“ „Wer sagt denn, dass du sie schließen musst?“ mischte Sethan sich ein und wurde nicht nur von Marik, sondern auch von Yami mit einem mehr als fragenden Blick bedacht. „Natürlich müssen wir die Schattentore wieder schließen“ argumentierte der alte Pharao. „So eine Verbindung sollte es nicht geben. Du weißt wohl nicht, was sonst passieren kann.“ „Was denn?“ fragte Jonny freimütig heraus. „Ich sehe da nur eine offene Tür.“ „Hier im Grab liegen mehr Geheimnisse als zu vermuten wäre“ erklärte Sethan und zeigte, dass er durchaus sehr wohl bescheid wusste. „Dieser Ort hier ist eine Verbindung zwischen der Erde und dem Götter-, sowie Totenreich. Genau deshalb liegt hier auch das Grab des goldenen Pharaos. Und dies dort“ nickte er wissend nach vorn. „Dies ist viel mehr als nur eine offene Tür. Dies ist die Tür des Westens und sie führt durch die Welt der Schatten hindurch und in die Unterwelt des Gottesreiches des Seth. Ebenso wie die Tür des Ostens durch das Schattenreich hindurch direkt in seinen Himmel führt. Wenn sie geöffnet bleibt, können die Götter des Seth leichter ihre Macht auf der Erde ausüben oder eventuell gar selbst in einem eigenen Körper niederfahren. Vorausgesetzt, dass genug Schattenübergewicht auf der Erde herrscht, was derzeit eindeutig der Fall ist.“ „Dann will der Gott Seth, dass unser Seth die Türen öffnet, damit seine Götter auf die Erde können?“ „Ich denke, das ist nur mehr ein Nebeneffekt“ vermutete Sethan. „Es geht um die Macht, die er dadurch ausüben kann. So können die Schatten leichter auf die Erde und wieder zurück. Es stärkt sie, ähnlich wie in ihrem eigenen Schattenreich. Denn Schattenreich und Erde nähern sich dadurch an. Er erreicht dadurch einfach mehr Einfluss und kann die Pläne seines Sohnes leichter unterstützen.“ „Dann war es gar nicht mein Fehler“ bemerkte Yami, der langsam nachkombinieren konnte. „Ich wollte ihn zurückhalten. Doch obwohl meine Fesseln ihn bisher immer seiner Kraft beraubt haben, konnte er sie einfach abschütteln als wären sie nichts. Es ist, weil das West- und das Osttor geöffnet sind. Es schwächt meine Macht und stärkt die des dunklen Seth.“ „Und der hält eine schützende Hand über seinen Sohn“ nickte Sethan. „Mit Kraft kannst du ihm derzeit nicht beikommen.“ „Aber wie denn dann?“ wollte er verzweifelt wissen. „Wenn er meine Worte nicht versteht und meine Macht ihn nicht übertrumpft? Wie soll ich ihn denn noch aufhalten, die Zivilisation zu vernichten? Wie soll ich das machen, wenn die Macht des Pharaos nichts mehr wert ist?“ „Das ist das Rätsel, welches du lösen musst“ antwortete Sethan gelassener als es der Situation entsprach. „Wir sind auch nicht hier, um gegen Seth zu kämpfen, sondern um die Zukunft zu verändern. Und deshalb möchte ich das Süd- und das Nordtor öffnen.“ „Das wird doch aber etwas viel“ gab Marik skeptisch zu bedenken. „Lass uns lieber noch warten und bei nächster Gelegenheit diese Tore wieder schließen. Das wird das Gleichgewicht auch wieder herstellen.“ „Ohne Engel können wir das Gleichgewicht niemals wirklich wieder herstellen. Deshalb müssen wir auch Atemu und Yugi in Sicherheit bringen“ argumentierte er dagegen. „Außerdem möchte ich dich bitten, die Tore nicht zu schließen. Ich möchte, dass alle vier Tore geöffnet bleiben.“ „Bitte, was?“ Marik war erschrocken. Alle vier Tore offen halten? Das wäre wie eine Verschmelzung von Götter- und Menschenwelt. Es hatte seinen Grund, weshalb die Tore seit ihrer Schaffung geschlossen blieben und streng bewacht, sowie geheim gehalten wurden. Sie alle vier zu öffnen, schien ihm unverantwortlich. „Ich denke, so langsam solltest du uns in deine Pläne einweihen“ bat Yami. „Alle vier Tore zu öffnen und offen zu halten, ist auf Dauer zu viel. Nicht nur für die Erde, sondern auch für uns Pharaonen. Wir sind ohne Engel eh schon schwer belastet, aber nun auch noch zusätzlich nicht nur die Energie der Erde, sondern auch noch die Ausläufe der beiden Gottesreiche zu lenken, das halten wir nicht lange durch.“ „Es soll ja auch nicht für lange sein“ beruhigte er und blickte ihn bittend an. „Bitte vertraue mir, Atemu. Wenn mein Plan aufgeht, wird die Erde durch mich eine Chance erhalten, wie es sie nie wieder so geben kann.“ „Und wenn dein Plan nicht aufgeht?“ fürchtete er. „Dann werden wir alle mit der modernen Welt kläglich zugrunde gehen“ lächelte er unpassend fröhlich. Das waren ja keine tollen Aussichten. Es breitete sich ein kurzes Schweigen aus nach dieser Äußerung. Anscheinend hatten nicht mal Sethans Begleiter eine Ahnung davon, was genau er plante. Und es war schwer, jemandem zu vertrauen, der so undurchsichtig war. Sicher, er war Ninis Sohn und insofern einer von ihnen. Aber er war auch der fleischliche Sohn des dunklen Seth und insofern ein begabter Verführer. Es war nicht sicher, ob er wirklich für oder gegen sie kämpfte und diese Ungewissheit und Verschwiegenheit machte es nicht leichter, ihm zu vertrauen. „Sethan“ sprach Yami mit fester Stimme. „Bitte schwöre mir, dass du nichts vorhast, was gegen unsere Interessen ist. Dass du nicht für deinen Vater arbeitest.“ „Ich arbeite weder für Vater, noch für Rah, noch für euch. Nur für das, was ich als richtig empfinde“ antwortete er. „Aber was ich dir versprechen kann, ist, dass ich die Opfer so gering wie möglich halten will. Ich will weder Menschen töten, noch Dunkelheit bringen. Was ich will, ist Frieden und euer Vertrauen.“ „Ich glaube ihm. Wenn dir das hilft“ meldete sich Tato nach langer Schweigsamkeit zugunsten seines Neffen. „Sethan ist vielleicht nicht gerade durchschaubar und noch sehr jung, aber ich glaube ihm seine Worte. Und deshalb bitte ich für ihn, dass auch ihr ihm glaubt und ihm vertraut.“ „Danke, Onkel Tato“ erwiderte er, fasste seinen Arm und lächelte an ihm hinauf. Diese Worte bedeuteten ihm viel. Tato ergriff selten für jemanden ein gutes Wort und es war eine große Wohltat, einen mächtigen Mann wie ihn auf seiner Seite zu haben. Zumal das Verhältnis zu ihm wegen der neuen Machtverhältnisse eh ein wenig angespannt war. Aber er gab sich alle Mühe, ihm ein guter Leih-Priester zu sein. „Na gut“ seufzte Yami besiegt. „Wenn Tato das sagt, dann lasse ich dich mal schalten und walten. Ich denke, das wird auch in Yugis Sinne sein.“ „Dank dir, Atemu“ nickte er und wand sich dann wieder an Marik. „Dann lass bitte die Tore offen, ja?“ „Natürlich. Wenn der Pharao es so möchte“ antwortete er mit Seitenblick auf Yami. Letztlich war er als Grabwächter ähnlich wie ein Hohepriester immer dem regierenden König unterwiesen. „Dann lasst uns rüber gehen und danach zurück zum Flugzeug, bevor die anderen uns als vermisst melden.“ „Und wohin rüber?“ wollte Jonny wissen und trabte Sethan fröhlich hinterher. „Rüber zum Nordtor und dann zum Südtor“ antwortete er. „Wenn du zum Nordtor gehst, gehe ich zum Südtor“ bot Yami an. „Wenn jeder eines öffnet, sind wir schneller durch.“ „Das ist eine gute Idee“ stimmte er dankbar zu. „Treffen wir uns dann gleich am Eingang wieder?“ „Jupp. Bis gleich!“ Und schon wanderte Yami in die entgegengesetzte Richtung. Tore öffnen konnte er auch locker. „Warte, ich komm mit dir!“ beschloss Joey und hoppelte ihm nach. „Du kannst auch gern mit den anderen gehen“ lachte Yami, als alle anderen in Richtung Norden davonzogen. „Ich möchte aber bei dir bleiben. Schließlich bist du ja irgendwie der Pharao zu dem ich eher gehöre. Oder was meinst du?“ „Sehe ich auch so“ schloss sich auch Mokeph an, der sich in letzter Sekunde auch eher dazu entschlossen hatte, mit Yami zu gehen und den beiden nachlief. „Du bist unser Pharao, also bleiben wir an deiner Seite. Sethan hat seine eigene Begleitung.“ „Ja, ist schon irgendwie komisch“ überlegte Joey mit nachdenklichem Blick auf den Boden. „Hättet ihr gedacht, dass wir mal unsere eigenen Kinder als Erwachsene treffen? Ich finde, das fühlt sich merkwürdig an. Aber das kann ich denen ja nicht so sagen.“ „Ich glaube, sie wissen schon, dass wir uns daran erst gewöhnen müssen“ meinte Mokeph. „Ich hab mich gestern ausgiebig mit Sharesa unterhalten und sie sagte, dass es natürlich auch für die anderen ungewohnt ist. Uns kennen sie nur als ältere Leute und sehen uns hier so jung. Ich glaube, die Situation ist für alle nicht leicht.“ „Zumal ihr ja beide ganz eigenartige Verstrickungen habt“ vermutete Yami. „Dass Joey noch mal wieder mit Sara zusammenkommt, lässt sich im Moment gar nicht denken und ... „Nein, gar nicht!“ betonte der noch mal emsig. „Ich liebe Narla total. Für Sara sind null Gefühle da. Also so Freundschaft schon, aber nicht s o l c h e Gefühle.“ „Solange Narla dir das glaubt, ist doch alles okay“ lächelte Yami. „Sie scheint damit ja ganz gut klarzukommen. Und Jonny ist dir wirklich ziemlich ähnlich. Ich mag ihn.“ „Ich mag ihn irgendwie auch“ kratzte er sich verlegen am Kopf. „Aber schon irgendwie komisch, dass wir im Moment ziemlich gleich alt sind.“ „Sie dir doch Tato an. Der ist sogar noch älter. Oder dein Dakar“ blickte er auf Mokeph. „Ich will dich nicht beleidigen, er ist wirklich okay, aber ... findest du nicht, dass er etwas merkwürdig ist?“ „Ich weiß nicht ...“ „Na ja, er hängt total an Tea dran“ war selbst Joey schon aufgefallen. „Außerdem hat er ganz merkwürdige Augen. Sie sind so schwarz wie deine, aber manchmal, wenn er so abwesend schaut, schimmern sie so leicht gelb. Mal ehrlich, glaubst du, dass der von Tea ist? Ich finde, er benimmt sich eigenartig. Nett, aber eigenartig.“ „Was ich merkwürdig finde, ist, dass er Magier zu sein vorgibt“ beteiligte sich auch Yami an der allgemeinen Mutmaßung. „Du bist doch Hexer, Mokeph. Es ist so gut wie unmöglich, als Hexer einen Magier zu zeugen können. Umgekehrt ist das eher der Fall, wenn überhaupt. Zumal du und Tea doch sonst nur sechs Mädchen zustande bekommen haben, wovon nur eine Hexe geworden ist. Dakar fällt aus dem Schema doch arg heraus.“ „Vielleicht hast du ja später mal was mit ner anderen Frau“ rätselte Joey. „Die muss dann aber Magierin sein. Oder, Yami?“ „So viel später kann das dann aber nicht sein“ meinte der. „Dakar ist 37. Haben die anderen doch erzählt. Wenn sie also 38 Jahre aus der Zukunft kommen, ist er bereits gezeugt oder wird es in Kürze sein. Tea hat aber gerade mal vor acht oder neun Wochen ihr Baby zur Welt gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt schon wieder schwanger wird, ist doch relativ gering. Also kann es sich nur um eine Magierin handeln. Aber wir kennen gar keine. Vielleicht aus dem Zirkel eine.“ „Entweder ein Seitensprung oder Samenraub“ schlug Joey vor. „Mokeph legt ne Magierin flach oder es wird wie bei Seth, dass ihm einer sein Sperma klaut.“ „Das funktioniert nicht“ schüttelte Yami seinen Kopf. „Das würde mit Seths Sperma auch kein zweites Mal klappen. Das ist nur der aller erste Erguss eines Magiers. Es sei denn, Mokephs Gift wirkt irgendwie konservierend. Aber so gut kenne ich mich da nicht aus.“ „Könnt ihr damit bitte mal aufhören“ schlug er dann doch mal dazwischen. „Ich liebe Tea und ein Kind mit einer anderen Frau kommt gar nicht infrage! Niemals! Ich würde niemals etwas tun, was sie verletzt!“ Auch wenn er genau wusste, dass es nur eine Möglichkeit geben konnte, wie er einen Sohn hätte zeugen können. Die Frau damals, sein Einmalfick. Ein einziges Mal nur und er wusste jetzt schon kaum noch wie sie aussah. Verdammt, aber er war nun mal fruchtbar und die Wahrscheinlichkeit, dass er sie zudem noch ohne Verhütung geschwängert hatte, war ziemlich hoch. Aber davon durfte Tea niemals etwas erfahren. Sie wäre verletzt und würde weinen und ihn zum Teufel jagen. Vielleicht war das der Grund, weshalb der große Dakar so sehr an ihr hing. Aber war diese Frau damals wirklich Magierin gewesen? Hätte er das nicht gespürt? Verdammt, wo kam dieser Mann mit den gelb schimmernden, schwarzen Augen her? „Ist ja gut, reg dich nicht gleich so auf“ beruhigte Joey, der eigentlich mehr Angst vor juckendem Ausschlag hatte, den man beim Mokephärgern gern mal bekam. „Wir überlegen doch nur. Wir fragen Dakar einfach nachher.“ „Das werdet ihr schön sein lassen!“ regte er sich nur noch weiter auf. Wenn sie ihn fragten und diese Sache an Teas Ohren drang. So einen Trubel wollte er nicht und konnte ihn derzeit auch nicht gerade gebrauchen. Sie würde sehr verletzt sein, wenn sie erfuhr, dass er eine andere Frau gepoppt hatte. „Ganz wie du willst“ beruhigte Yami ihn mit eindeutigen, geradezu blinkenden Fragezeichen im Gesicht. „Ist ja letztlich deine Sache. Aber früher oder später kommt Tea eh auf die Idee, ihn zu fragen.“ „Dann können wir ihn doch auch jetzt schon fragen.“ „Joseph! Nein!“ fauchte er jetzt ziemlich angefressen. „Du hältst dich da raus. Hast du mich verstanden?“ „Regt euch nicht auf, Jungs. Wir sind da“ sagte Yami, blieb stehen und wies auf eine Tür vor ihnen. „So schnell?“ war Joey doch überrascht. „Im Gegensatz zu dir kenne ich die kürzesten Wege hier“ schmunzelte er. Ja, Yami kannte sich hier unten aus. Man konnte stundenlang herumlaufen, ohne an einen Ort zwei Mal zu kommen. Aber man konnte auch in wenigen Minuten vom Einen Ende bis zum anderen gelangen. Man musste nur die richtigen Abbiegungen kennen. „Hey, das hier kenne ich!“ zeigte Joey verblüfft auf die einzige Tür, die hier noch vor ihnen war. **An alle, die mich gefragt haben, was das im letzten Teil für eine Tür war, die Joey entdeckt hat. Jetzt habt ihr die Lösung. ^^** Auch an dieser Tür waren zwei Säulen angebracht, wie bei der Tür des Seth. Nur im Gegensatz zu dem zerstörten Westgang konnte man hier noch die fein eingemeißelten Hieroglyphen erkennen und in der Mitte von allem das alles überragende Zeichen des Sonnengottes Rah. Ganz schlicht gehalten, aber kunstvoll mit viel Liebe in den Stein gehauen. Genau hier hatte er gestanden und versucht, sie zu öffnen. Aber er hatte es nicht geschafft und nun wusste er auch, weshalb. Normalsterbliche konnten ohne Erlaubnis solch eine Tür nicht öffnen. „Woher kennst du denn das hier?“ schaute Yami ihn an. „Ich bin hier mal irgendwann vorbeigekommen, als ich mich verlaufen hab“ erklärte er aufgeregt. „Die Tür hat mir einen ziemlich fiesen Blitz verpasst.“ „Dann hast du versucht, sie zu öffnen?“ „Na ja ...“ Er wusste ja, dass ungeöffnete Türen im Grab hier ein Tabu waren. Sollte er denn zugeben, dass er trotzdem versucht hatte, dahinter zu sehen? „Schon okay, du hättest sie eh nicht aufbekommen“ lachte Yami. Das war so typisch Joey. Allein sein Schweigen verriet ihn und mit seiner neugierigen Nase konnte er auch nirgends rausbleiben. Genau aus dieser Neugierde heraus besaß er ja eine Beobachtungsgabe, die manche Leute nur noch staunen ließ. Dass Dakars Augen in anderem Licht leicht gelblich schimmerten, war sicher noch niemandem aufgefallen. Aber eben weil er so neugierig war, stöberte er überall ein Geheimnis auf. Genau das war es ja, was Seto so nervte. „Was wäre denn passiert, wenn ich weiter gedrückt hätte?“ wollte er dennoch neugierig wissen. „An dieser Tür wahrscheinlich gar nichts“ lächelte Yami. „Ein paar Schmerzen vielleicht, aber nichts Bedrohliches. An Seths Tür hätte das anders ausgesehen. Kennst du die Geschichte des Grabwächters, der davon mal tot umgefallen ist?“ „Was? Nein!“ Schock! Tot umgefallen? Na, da hatte er ja Glück, dass er sich zu Rahs Tür verlaufen hatte und nicht woanders hin. „Das war Mariks Ururururururgroßonkel Phiachdemto.“ „Wie viele Urs waren das jetzt?“ „Etwa 280 Jahre ist das jetzt her“ erklärte Yami. „Also noch gar nicht mal so lange. Er war damals nicht selbst das Oberhaupt, sondern der Bruder der Frau des Oberhauptes. Er hat versucht, das Osttor zu öffnen. Beim ersten Mal brach er sich den Arm. Als er wütend gegen die Tür trat, vergiftete er sich und war tot, bevor er ganz auf den Boden fiel. Die Flüche, die darauf liegen, haben ihn getötet. Und der große Seth ist gütig, wenn er ein Mal warnt.“ „Aber das ist doch ziemlich gefährlich!“ argumentierte Joey. „Ich meine, wenn da ein Kind vorbeikommt und ...“ „Dann darf da eben kein Kind vorbeikommen“ sagte Yami ganz hart. „An den Wänden sind genügend Warnhinweise. Deshalb muss jedes Kind hier die alten Hieroglyphen lernen und wissen, wo es hindarf und wo nicht. Und sich vor allem daran halten, keine verschlossenen Türen zu öffnen. Absperren ist nicht drin, weil dann der Energiefluss verändert würde. Du kannst das Böse nicht wegsperren, sondern du musst es ebenso akzeptieren wie das Gute. Das muss jeder Grabdiener und jeder Grabwächter lernen.“ „Und wenn die Kinder das nicht lernen?“ „Dann gehören sie nicht hier her“ antwortet Mokeph für ihn. Als alter Ägypter war seine Toleranz da auch eingeschränkt. Wenn ein Kind an solch einem heiligen Ort nicht gehorchte, dann durfte es auch nicht hier sein. Da konnte ja jeder Dahergelaufene im alten Grab arbeiten - eben das durfte nicht sein. Für sozial eingestellte Menschen wie Joey durfte so etwas nicht sein. Für alte Ägypter jedoch war es eine Selbstverständlichkeit. Hart, aber so wurden die alten Mächte geschützt. „Ich finde das ungerecht“ meinte Joey persönlich beleidigt. „Man kann doch nichts dafür, wenn man neugierig ist.“ „Doch, leider schon. Wenn man’s nicht unter Kontrolle hat“ klopfte Yami ihm brüderlich auf die Schulter. Er war da ja auch so ein Kandidat, der Probleme mit Geheimnishaltung hatte. Nur mit dem Unterschied, dass das bei einem Pharao noch immer anders aussah. „Aber lass uns mal zur Tat schreiten, bevor Sethan noch schneller ist als wir. Wir alten Leute wollen uns doch nicht blamieren, oder?“ „Yami, aber eins noch“ hielt Joey ihn kurz auf, bevor er auf die Tür zuging. „Hier bricht doch gleich nicht auch alles zusammen, oder?“ „Rah ist nicht Seth“ lächelte er beruhigend und drehte sich nach vorn, um das Tor zu öffnen. Das war auch Antwort genug. Rah war zwar nicht weniger mächtig, aber wesentlich weniger furchteinflößend. Vor Rah brauchte man keine Angst haben und sicher auch nicht vor seinen Türen. Und das bestätigte sich auf eine Weise, die Joey fast schon wieder enttäuschte. Hatte er doch damals noch einen warnenden Blitz abbekommen, drückte Yami nur gegen die Tür und diese ließ sich anstandslos öffnen. Kein Leuchten, kein Knarren, nicht mal kräftiges Schieben. Gar nichts. Sie ließ sich einfach so ohne Widerstand aufmachen. Völlig unspektakulär. Er legte nur seine Hand darauf und schob ein bisschen und schon war alles vorbei. Unspannend. „Jetzt seid ihr enttäuscht, oder?“ lachte Yami die beiden glotzenden Gesichter an. „Na ja, ein bisschen schon“ gab Mokeph ehrlich zu. „Ich dachte, wir sehen vielleicht ein kleines Lichtschauspiel oder so was.“ „Ja, Mann. Drüben fegt voll die Lawine durch und hier nicht mal ein gruseliges Knarren. Was ne Verarsche“ meinte auch Joey. Er wurde von der Tür verkloppt und Yami bekam nicht mal nen Schrecken. War das ungerecht oder was? „Na ja“ schmunzelte er. „Ich darf das ja auch.“ „Und was ist da jetzt hinter? Auch das Schattenreich?“ fragte er frei heraus und hoppelte auf die offene Tür zu. Und was sah er da? Genau. Unerwarteter Weise rein gar nichts. „Ne Wand“ beantwortete er sich die Frage selbst. Direkt hinter der Tür war eine schlicht beige, flache Wand. Keine Bemalungen, keine Zeichen, kein Leuchten, gar nichts. „Wie langweilig.“ Tja, nicht alle weltbewegenden Dinge waren laut und spektakulär. Auf die kleinen, leisen Dinge kam es manchmal an. Chapter 20 Die zweite Landung jedoch brachte die Gruppe genau dorthin, wo sie auch tatsächlich planten, hinzugehen. Also keine weiteren Überraschungsbesuche in der Wüste. Der Flughafen jedoch war nicht wesentlich größer als der in Gashe. Jedoch war die Piste hier etwas befestigter, es gab mehr Mitarbeiter und sogar ein kleines Abfertigungsterminal. Zivilisation war also nicht ganz so fern. Etwas fern jedoch lag noch ihr Endziel. Vom Flugzeug aus ging es in zwei größeren Hubschraubern weiter. Sie flogen etwa drei Stunden über kleine Städte, über Meer, Küsten und Seen und sahen viel grün, grün, grün. Je länger sie flogen, desto grüner wurde die Landschaft. Bei ihrer Endlandung jedoch war die Sonne bereits untergegangen und so war von der Landschaft eher wenig zu sehen. Hauptsache die beiden Piloten in Form von Noah und Seto wussten, wo sie hinflogen und fanden auf ihren vorbereiteten Karten das richtige Ziel. Vom Flughafen aus war nämlich nach Verladen des Gepäcks auf Personal verzichtet worden. Man wollte ungestört sein und letztlich musste man sich immer vor bestimmen Leuten in Acht nehmen. Der Zirkel besaß ein unübersichtliches Netzwerk an Mitgliedern und wenn sie schon irgendwann aufflogen, so musste es ja nicht unbedingt sofort sein. Sie landeten die Hubschrauber etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang und segneten in Gedanken die moderne Technik. Ohne Nachtsichtgeräte und ein ausgeklügeltes Navigationssystem wären sie niemals so sicher am Boden angekommen. Reich sein hatte manchmal noch viel mehr Vorteile als man dachte. Jedoch so ganz unbeleuchtet landeten sie nicht. Auf dem kahlgeschorenen Grasfeld nahe eines kleinen Sees standen ein paar elektronisch betriebene Lampen und leuchteten ihnen das Feld. Ebenso wie eine Ansammlung von 15 bis 20 kleinen Häuschen aus schlichtem Ziegelstein, von welchen drei um diese Uhrzeit noch beleuchtet waren. Aus der Luft sah das nicht wie ein Dorf aus, eher wie eine Art Wohngemeinschaft. Nach der sicheren Landung öffneten sie die Türen und plumpsten nach und nach hinaus in die spärlich beleuchtete Nacht. Den Damen und den müden Kindern wurde etwas handfester geholfen und dann erst mal durchgeatmet. „Seht mal. Die Sterne!“ zeigte Tea fasziniert in den Himmel. Hier, wo die nächste Großstadt so weit weg lag, sah man noch richtige Sterne. Und zwar alle! Nicht nur die großen, sondern selbst die Milchstraße war klar zu erkennen. „Wie damals in Ägypten“ staunte auch Mokeph nach oben und hielt glücklich seine Frau im Arm. Trotz verstrichener Jahrtausende hatten sich nicht mal die Sternenbilder verändert. Als würde die Zeit am Himmel spurlos vorbeiziehen. „Papa, wo ist die Venus?“ wollte Nini neugierig wissen und zuppelte weniger müde an Yugis Arm. „Die Venus ist der Planet, wo die Liebe wohnt. Kann ich den sehen? Papa, wo denn?“ „Da, mein Schatz“ half Noah und zeigte weit nach links. „Siehst du die Sterne, die da aussehen wie ein Dreieck?“ „Nein ... wo ist denn ein Dreieck?“ „Dann vielleicht da. Den großen, der so stark leuchtet.“ „Ja ...“ Ja, den sah sie. Den großen. „Und wenn du jetzt daaaaa rüberguckst“ bewegte er mit der Hand ihren Blick noch weiter nach links. „Siehst du da zwischen den ganzen kleinen Sternen noch einen, der besonders hell und gelb ist?“ „Ja!“ staunte sie mit offenem Mund. „Ist das die Venus?“ „Ja, das ist die Venus.“ Tja, Onkel Noah wusste bescheid. „Das soll ein Planet sein?“ fragte sie dann doch etwas enttäuscht. „Die Venus ist aber klein. Viel kleiner als der Käsemond. Wo ist denn der Mars? Ist der besser?“ „Der ist genauso klein“ musste Noah sie lächelnd enttäuschen. „Den kann man auch erst nächstes Jahr wieder ein bisschen sehen. Der ist jetzt zu weit weg.“ „Dann gucken wir nächstes Jahr noch mal in den Himmel, nä?“ „Das können wir machen“ wuschelte er ihr übers Haar und nahm dann seine von Tristan aus dem Helikopter gehobene Tasche entgegen. „Bleiben wir denn lange hier?“ wollte Joey wissen, der ihm ausnahmsweise mal tatkräftig half. „Sind wir überhaupt schon da?“ „Packt nicht zu viel aus“ riet Tato und fischte sich seine Tasche selbst aus dem Lagerraum. „Wir bleiben hier nur eine Nacht und fahren dann morgen mit der Fähre rüber. Komm, Schatz. Ich helfe dir“ sagte er und nahm auch seiner Tochter die Tasche ab, weil die anscheinend selbst ziemlich müde war und sie nicht unbedingt selbst schleppen sollte. „Fähre? Was für eine Fähre?“ fragte Seto, der auch ganz gern wissen würde, was hier jetzt weiter vorging und wo sie überhaupt genau waren. Doch da wurde seine Antwort von einem alten Mann verwährt. Eine der Türen eines beleuchteten Hauses hatte sich geöffnet und er trat heraus. Beim Näherkommen sah man viel mehr als nur einen dunkelbraunen Wollmantel, sondern auch, dass er sich das weiße Haar auf seinem Haupt kürzer geschoren hatte, als sein Bart lang war. Er hielt seinen langen Mantel gegen die Nachtkälte fest geschlossen und lächelte breit, als er in seinen ausgetretenen Lederschlappen herüberkam. „Du musst Gustav sein“ begrüßte Sethan ihn gleich und ging ihm nur zwei Schritte entgegen, bevor der Alte ihn erreichte und ihm die Hand gab. „Dann seid Ihr Sethan“ lächelte er mit einnehmend großem Mund zurück. „Wir freuen uns, dass Ihr hier bei uns Unterschlupf sucht. Wir hoffen, Ihr hattet eine gute Reise ohne Komplikationen?“ „Ja, alles ist gut verlaufen“ nickte er und stellte ihn dann auch den anderen vor. „Ihr Lieben, dieser stattliche Herr ist Gustav. Er ist der Älteste hier in der Gemeinde und unser Ansprechpartner in allen Belangen. Außerdem ist er über alles eingeweiht und wir können ihm absolut vertrauen.“ „Es ist mir eine Ehre“ lächelte er und verbeugte sich ein Stück. Für seine tiefen Falten, die ein hohes Alter verrieten, schien er noch äußerst rüstig zu sein. Schwer zu schätzen, wie viele Jahre er wirklich auf dem Buckel hatte. „Du hast aber einen langen Mantel“ begrüßte Nini ihn auf ihre ganz eigene Art, hopste Yugi vom Arm und lief zu ihm hin. „So einen ähnlichen zieht mein Papa auch immer an. Aber der ist dann nicht so dick und so kuschelig. Wo hast du den gekauft? Bei einer Booti oder im Einkaufszentrum?“ „Wir haben hier leider weder eine Boutique noch ein Einkaufszentrum, Prinzessin Ilani“ lachte er sie mit seinen fast weißen Augen an. „Wir machen hier alles selbst. Diesen Mantel hat meine Tochter für mich gemacht.“ „Oh! Du hast eine Tochter?“ strahlte sie. „Wie alt ist die? Kann ich mit ihr spielen morgen? Vielleicht?“ „Meine jüngste Tochter ist 50 Jahre alt und selbst schon Oma.“ „Das ist aber alt ... werden alle Töchter mal so alt? Was meinst du? Ob ich auch mal so alt werde? Vielleicht kriege ich dann ja auch so einen Bart wie du. Mein Opa hat auch einen Bart. Aber dafür hat mein Opa auch noch mehr Haare. Aber du siehst gut aus mit so einer Glatze auf dem Kopf und noch Haare um die Ohren. Ich finde das gut. Wenn ich alt bin, will ich auch mal eine Glatze haben. Aber nur mal gucken, wie das aussieht. Danach kann ich meine Haare ja wieder wachsen lassen oder eine Perücke aufsetzen. Ich hab neulich eine Perücke gesehen mit blauen Haaren. Kannst du dir das vorstellen? BLAU! Das ist für ganz coole Mädchen, die in die Disco gehen. Zu meinem Geburtstag will ich auch mal eine Disco machen mit Musik. Willst du dann auch zu meiner Disco kommen? Du musst aber keine Perücke aufsetzen. Aber kannst du, wenn du willst. Musst du aber nicht. Das ist ja eigentlich auch nicht wichtig. Wichtig bei einer Disco ist aber, dass da ganz viel ...“ „Nini“ seufzte Yugi, war ihr nachgegangen und legte ihr freundlich die Hand auf den Kopf. Das reichte meist schon, um sie zum Schweigen zu bringen. „Fasse dich kurz“ wiederholte sie streng. „Genau. Entschuldigen Sie bitte“ bat er dann den alten Mann. „Sie ist etwas zu aufgeweckt. Vielleicht hätten wir sie an Bord lieber nicht schlafen lassen sollen.“ „Aber im Hubschrauber kann man ja nicht gut schlafen. Das ist ja so laut“ meinte Nini ganz logisch. „Aber Tato hat geschlafen. Und Thesi auch. Risa und Feli aber nicht und Joey hat geweint. Also die kleine Joey, nicht der große Joey. Das muss man immer sagen, weil sonst weiß man ja nicht, wer gemeint ist, weißt du? Also ...“ „Fasse dich kurz, Nini.“ „Ja, Papa.“ Und damit war sie dann auch wieder still. Wenn sie aufgeregt war, musste sie einfach reden und sich mitteilen. „Morgen können wir uns ja noch etwas mehr unterhalten, verehrte Prinzessin“ tröstete der alte Gustav und lächelte den Erwachsenen höflich zu. „Herzlich willkommen in unserem bescheidenen Dorf. Ihr seid sicher sehr müde von der Reise.“ „Ja, wirklich“ sprach Sethan wieder im Namen von allen. „Vielleicht können wir noch etwas essen und dann ins Bett?“ „Natürlich. Es ist bereits alles vorbereitet“ bestätigte der Alte. „Ich bitte schon im Vorwege um Entschuldigung, denn auf so große Gruppen sind wir eigentlich nicht eingestellt. Aber ich hoffe, wir konnten für diese eine Nacht eine Möglichkeit finden, welche Eure Zustimmung trifft.“ „Wir sind anspruchslos und danken dir und deinen Leuten für die kurzfristige Unterstützung und für dein Vertrauen“ gab er mit einer dankenden Verbeugung zurück. „Nicht doch. Wir sind dankbar, dass wir den Pharaonen und Euch einen Dienst erweisen dürfen. Leider sind derzeit alle für ein paar Nächte zu einer Geburt ausgereist, sodass Ihr mit meiner Frau, meiner Enkelin, mir und ein paar Kindern Vorlieb nehmen müsst. Es kreuzten sich da leider ein paar unserer Pläne.“ „Kein Problem. Wir freuen uns darauf, deine Familie bald kennen zu lernen und sind nicht böse über die Abwesenheit, Gustav. Ich kann nur wiederholen, wie verbunden ich dir bin, dass du mir sofort vertraut hast und uns zur Seite stehst.“ „Ich mische mich ja nur ungern in euren Austausch von Höflichkeiten ein“ mischte Tato sich dennoch ein und drückte seine kleine Tochter unter seinen wärmenden Mantel. „Einige von uns wären ganz froh, ein Bett zu sehen.“ „Natürlich, entschuldige“ besänftigte er ihn ruhig. „Gustav, bist du so nett und zeigst uns unser Quartier? Alles Weitere besprechen wir dann morgen.“ „Selbstverständlich. Es ist gleich hier hinten. Ich hoffe, wir haben die Betten gut abgezählt“ lachte er, drehte sich herum und führte die Gruppe über den Rand des Grasfeldes hin zu der kleinen Haussiedlung, von welcher im Augenblick nur drei Bauten beleuchtet waren. Das Haus, aus welchem er selbst eben gekommen war und zwei andere. Und zu dem Größten davon führte er sie hin. Beim Näherkommen schien es wie eine Scheune auszusehen, aber nicht ganz so heruntergekommen. Man erkannte in der Dunkelheit nicht viel, aber hier schien alles sehr gepflegt zu sein und so auch ihre Unterkunft. Beim Eintreten erkannte man mehr. Schlicht war es hier und bei Weitem kein Luxushotel. Trotzdem hatte es auf Anhieb einen ganz eigenen, einen ländlichen Charme. In dem großen Bau ohne Zwischenwände waren sehr weit oben ein paar Fenster eingelassen, welche aber durch Regen und Staub verschmutzt waren, sodass man nur schwerlich die Sterne erkennen konnte. Dafür aber den fast vollen Mond, welcher sein schummriges Licht durch die abwechselnd geöffneten Fensterchen warf. Dieses Licht vermischte sich mit dem Licht der Kerzen im Inneren. Im ganzen Raum standen Betten. An der Stirnseite zwei etwas größere Doppelbetten, ansonsten mehrere Hochbetten mit jeweils einem Schlafplatz oben und unten. Ein bisschen wie ein sehr ländliches Schullandheim aus dem beginnenden, letzten Jahrhundert. Aber die Matratzen sahen nicht aus wie aus Stroh, sondern wie gekauft und neu. Ebenso die Bettwäsche, welche durch den ganzen Raum nach Waschmittel duftete und mit seinem flauschigen Daunen hoch aufgeschlagen war. Mit den vielen Betten schien der Raum fast überladen, aber wie Gustav schon angedeutet hatte, war dieses Dörfchen nicht auf große Besuchergruppen ausgelegt. Dafür hatten sich die Bewohner aber viel Mühe mit den Schlafplätzen gegeben und auch mit dem Abendessen. In der Mitte standen zwei längliche Tische, auf welchem mehrere Laibe Brot aufgetischt waren. Dazu ein paar Platten mit Fleisch, Fisch und Früchten und kleinere Schälchen mit süß duftendem Kompott. In den runden Krügen waren sicher Getränke. Für so eine große Mannschaft war das natürlich viel Aufwand, aber in der Kürze der Zeit schienen sie ihr Bestes getan zu haben, um diese Scheune einigermaßen wohnlich zu machen. „Es ist vielleicht nicht das, was Ihr gewöhnt seid“ entschuldigte der Alte, als auch die Letzten nach und nach mit Staunen eintraten. „Aber Ihr müsst wissen, wir sind hier sehr abgeschieden und ...“ „Nein, es ist wunderbar“ unterbrach Sethan ihn dankbar. „Wir werden uns hier sehr wohl fühlen. Bitte richte deinen Leuten unseren Dank aus.“ „Das werde ich gern tun“ nickte er doch etwas erleichtert. „Habt Ihr noch einen Wunsch oder ein anderes Anliegen? Ich würde gern die Lampen draußen ausschalten, bevor unser Generator den Geist aufgibt.“ „Nein, geh nur“ lächelte er. „Wir sehen uns dann morgen früh. Und danke nochmals.“ „Sanitär- und Waschmöglichkeiten sind dort durch die Tür im Nebengebäude“ zeigte er noch kurz zu einer geschlossenen Holztür. „Wenn es irgendwelche Probleme gibt, bitte klopft einfach bei mir. Mein Haus ist das mit der grünen Tür und dem großen Giebel. Das vierte von links, wenn man davorsteht.“ „Wir werden schon alles hinkriegen. Danke, Gustav“ dankte er nochmals und begleitete ihn noch zur Tür. „Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht.“ „Dir auch. Danke.“ Und mit einem letzten Lächeln schloss der Alte die Tür hinter sich und ließ die Truppe allein. Jetzt hieß es erst mal sortieren und sich in der unbekannten Umgebung einfinden. „Woher wusste er, dass wir kommen?“ fragte Mokuba, als er seine Tasche auf dem Boden absetzte. „Ich habe ihm eine Vision geschickt, bevor die erste Gruppe bei euch eintraf“ antwortete Sethan. „Ich dachte, hier ist der beste Ort für uns. Morgen früh reisen wir noch ein kurzes Stück mit dem Boot und dann bleiben wir erst mal. Hier werden wir nur die Nacht überdauern.“ „Du sagtest, dieser Alte ist eingeweiht“ erinnerte Jonny sich. „Wie genau meinst du das? Ist er vom Zirkel, oder ...?“ „Um Himmels Willen, nein“ lachte er. „Gustav lebt seit Generationen hier mit seiner Familie für nur einen Zweck. Glaubt mir, wir können ihm vertrauen.“ „Für welchem Zweck?“ war selbst Tato etwas skeptisch. „Wäre nett, wenn du uns mal aufklären würdest.“ „Der Rest ist eine nette Überraschung“ zwinkerte er. „Aber die kommt später. Jetzt ruhen wir uns erst mal aus.“ „Ich will oben schlafen“ meldete Jonny sich sofort und schmiss seine Tasche aufs nächstbeste Etagenbett. Wer zuerst kam, schlief zuerst. „Ja, wie ist das überhaupt mit der Bettenverteilung?“ fragte Marie, die sich hier so umblickte. „Hast du da auch irgendwas geplant oder sucht sich jeder etwas?“ „Ich würde mal folgendes vorschlagen“ schmatzte Yami, der sich noch vor einem Bett lieber eine Schüssel mit Fruchtkompott geklaut hatte uns sie genüsslich mit dem Finger futterte. „Wir haben doch zwei große Betten“ zeigte er mit dem verschmierten Fingerchen. „Ich denke, die Paare mit den meisten Kindern sollten das große Bett bekommen. Der Rest sucht sich halt einen Einzelplatz. Das ist mit einem Kind doch auch zu schaffen, oder?“ „Die Idee finde ich auch gut“ meinte Nika. „Dann nehmen Seto und Yugi das eine und Tea und Mokeph das andere große Bett. Und die anderen, so wie ich, nehmen das eine Baby unter den Arm. Das geht schon. Oder, Feli?“ „Feli ...“ Die war schon halb wieder am Schlafen und hing eher müde auf ihrem Arm. Der war es wohl alles ziemlich egal, so lange es warm und in Mamas Nähe war. Die hatte sicher nichts gegen nächtliches Kuscheln. „Natürlich geht das“ meinte auch Narla und setzte sich auf das Bett, über welchem Jonny sich schon postiert hatte. „Zuhause schläft das Krümelchen ja auch bei uns im Bett. Nicht wahr, Schatz?“ „Und was ist mit mir?“ sorgte Joey sich und blickte seine Frau unverhohlen verzweifelt an. „Soll ich etwa alleine schlafen?“ „Sei nicht so selbstsüchtig. Sonst schläfst du bei mir im Bett“ grinste Yami und nach einem geschockten Block breitete Joey doch schnell seine eigene Tasche neben dem Bett von Narla aus. So wichtig war es ja nun auch wieder nicht. „Schlafen wir jetzt hier?“ wollte Nini neugierig wissen und krabbelte forschend auf eines der beiden großen Doppelbetten. „Sieht so aus. Gefällt’s dir?“ lächelte Seto und setzte sich zu ihr. Auch um den leise schnarchenden Tato vorsichtig hinzulegen und ihm die Schühchen auszuziehen, ohne dass er aufwachte. „Das ist kuschelig. Hier schlafen wir bestimmt gut“ freute sie sich und war auch flugs unter eine der dicken Daunendecken gekrabbelt. „Danke, Leute“ bedankte Yugi sich, als jeder so nach und nach in den Raum hineinging und sich ein anderes Bett suchte. „Wofür denn?“ lächelte Sethan. „Dass ich euch ins hinterletzte Eckchen der Welt ohne fließend Warmwasser schleife?“ „Nein. Dafür, dass wir das große Bett haben dürfen. Wir könnten auch ...“ „Jetzt tu mal nicht so“ meinte Yami und krabbelte in das Etagenbett über Tristan. „Zu meiner Zeit wäre es selbstverständlich gewesen, dass der Pharao selbst vor Großfamilien das komfortabelste Bett bekommt. Also bedank dich nicht. Das steht dir zu, Hikari.“ „Dann müssten wir uns ja bedanken“ lachte Tea und zog erst mal der kleinen Theresa ihr Mützchen vom Kopf. „Danke, dass du deinen Platz für uns räumst, Pharao Yami.“ „Aber falls irgendwem mal kalt wird“ grinste er gleich in die Runde. „Na ja, mit Heizung ist es hier ja eh nicht so weit her“ meinte Balthasar und nahm sich ebenfalls ein oberes Bett über seinem Bruder. Typisch Feuermensch, die mochten es nicht unbedingt gern kühl. „Soll ich dich wärmen kommen?“ lachte Yami. „Nur, wenn du dich mit meiner Freundin anlegen willst“ scherzte er zurück. „Och, jeder Mann sollte mal ein schwules Erlebnis haben. Du weißt gar nicht, was dir entgeht. Ich lasse dich auch oben liegen.“ „Das tue ich eh schon. Haaaaach ...“ seufzte er und machte sich auf seinem oberen Bett ganz lang. „Ist doch gemütlicher als es aussieht.“ „Ein bisschen wie Camping“ meinte Fernando und packte seine Klamotten aus. Mit einem leisen Knall gingen draußen dann mit einem Mal alle Lichter aus. Das war wahrscheinlich Gustav gewesen, der das elektrische Licht für die Hubschrauberlandung ausgeschaltet hatte. Jetzt gab es nur noch das Licht der Kerzen und das des hellen Mondes. „Mamaaaa?“ meldete sich der kleine Tato leise, als Seto gerade dabei war, ihm seinen Schlafanzug über den Kopf zu stülpen. Entweder davon oder von dem Knall machte er doch einen Spalt seiner Äuglein auf. „Was denn, Großer?“ flüsterte er und gab ihm einen lieben Kuss auf die Stirn. „Schlaf weiter, Knutschi.“ „Seehnsen pudsn?“ „Nein, heute brauchst du keine Zähnchen putzen. Dafür morgen zwei Mal“ versprach er. „Schlaf weiter, Tato. Papa passt auf dich auf, okay?“ „Okeee.“ Und damit war er auch so gut wie wieder eingeschlummert. „Ich mag unseren Urlaub“ beschloss Nini und nahm von Yugi ihr Nachthemd entgegen. „Wenn man keine Zähne putzen muss, finde ich das super.“ „Das wird aber nicht zur Gewohnheit“ stellte Yugi da gleich mal richtig. „Möchtest du noch was essen oder aufs Töpfchen, bevor wir schlafen gehen?“ „Nein, ich bin ohne Wunsch glücklich“ freute sie sich und zog sich auch schon ihr Kleidchen über den Kopf. „So schöne Kuscheldecken haben wir Zuhause nicht. Hier ist das zwar ein bisschen kälter, aber dafür wärmen wir uns wie die Pinguine. Nä, Papa? Wie die Pinguine, nä?“ „Genau, Mäuschen“ nickte Seto und deckte Tato mit der warmen Decke vorsichtig zu. Dem war der Tag wohl auch sehr lang geworden und so aufregend. „Pinguine wärmen sich nämlich gegenseitig“ erklärte Nini, während im Raum durcheinander alle verschiedene Sachen regelten. Mokuba ging noch mal raus, um nach den Waschmöglichkeiten zu schauen, Narla zog ihr Baby um, Yami plünderte das Büfett, andere packten ihre Sachen aus und zogen sich selbst um oder suchten sich auch noch etwas zu essen. Würde sicher nicht mehr lange dauern und jeder krabbelte müde in die Federn. Und Nini ersetzte das Abendprogramm. „Weil da, wo die Pinguine wohnen, da ist es auch immer kalt. Da schneit es die ganze Zeit und es ist immer Winter. Und deswegen stellen die sich alle immer ganz dicht zusammen. Das hat Papa mir erklärt. Weil dann bleiben immer alle gemütlich warm, auch wenn die ohne Schuhe auf dem Schneeboden stehen. Das macht denen gar nichts. Papa macht das ja auch nichts, aber der mag ja lieber keine kalten Füße. Deswegen ist er ja auch ein Drache und kein Pinguin.“ War doch logisch, oder? „Und die haben ihre Eier immer unter dem Bauch und passen mit den Füßen auf, dass das nicht auf dem Boden liegt und immer warm bleibt, weil sonst schlüpfen keine Babys. Pinguine sind sehr intellent und die sind ein Leben lang treu. Das heißt, die heiraten nur ein Mal im Leben. Süß, nä?“ „Ja, Schatz“ seufzte Yugi und half ihr, das Nachthemd richtig herum anzuziehen. So ein bisschen Hilfe brauchte sie dann eben doch noch. „So macht ihr das ja auch, nä?“ plapperte sie fröhlich weiter. „Ihr habt ja auch geheiratet und ihr heiratet nie wieder jemanden anderen. Nur ein Mal im Leben und immer treu. Nä, Papa?“ „Jupp“ lächelte Yugi und zupfte ihr die Spangen aus dem Haar. „Ich heirate nie wieder jemand anderen als deinen Vater. Ein Mal reicht mir.“ „Ein Mal reicht dir oder ein Mann reicht dir?“ frotzelte Joey. „Ich würde Seto ja eher nicht heiraten.“ „Dich hat ja auch keiner gefragt!“ meckerte eben der zurück. Jedoch in seiner Lautstärke etwas gedämpfter, damit er die Babys nicht weckte. „Außerdem würde ich dich auch nicht heiraten wollen. Du wärst mir zu anstrengend.“ „Ich glaube, ich bin pflegeleichter als du, Drache“ vermutete er und stopfte sich eine Hand voll Brot in den Mund, während er sich zu Narla aufs Bett kuschelte. „Du kannscht dasch beschtetigen. Ne Schatsch?“ „Wenn du nicht gerade alles vollkrümelst, ja“ warnte sie ihn mit heißem Blick. „Da ist mir Seto ganz lieb“ meinte Yugi. „Ist euch schon mal aufgefallen, dass er essen kann, ohne zu krümeln?“ „Nur weil er immer gleich alles quer in den Mund schiebt“ lachte Yami. „Großer Mann, großer Mund. Und noch einiges anderes, was groß ist.“ „Was denn?“ fragte Nini gleich neugierig. „Große Hände?“ „Die auch“ musste Yugi schmunzeln. Ja, so ein großer Mann hatte so manch einen Vorteil. Viel zum Lieben dran. Doch noch bevor die beiden weiter den armen Seto ärgern konnten, sprang Noah mit einem mehr als peinlich schwul kreischenden „AAAAAAHHHHHHHHH!“ sicher zwei Meter zurück und sah so aus als würde er ganz gern noch höher zu Phoenix aufs Bett hopsen. „Noah!“ atmete der Kleine und hatte sich selbst mindestens genauso erschrocken. „Was ist denn?“ schaute auch Sareth neugierig, die sich eben mit ihm ein Stück Käse teilte. „Eine Maus?“ „Nein, ne Katze.“ Es fehlte nur wenig und man hätte das Knirschen seiner Zähne bis nach draußen gehört. Dafür ging er aber dann selbst mit einem wütenden Stampfen zur Tür, riss sie auf und brüllte in die Nacht hinein. „MOOKUUBAA!“ „Wiiiiilmaaaa!“ lachte Joey. „Wo ist mein Dinoburger?“ „Halt die Klappe“ schimpfte er und wartete mit trommelnden Händen am Türrahmen. „Noah, mach die Tür zu“ bat Nika. „Es wird langsam kalt hier drin.“ „MOKUBA KAIBA! TRAB AN HIER! ABER S O F O R T!!!“ „Irks“ machte Seto nur leise und duckte schon mal seinen Kopf. Wenn der ruhige Noah wirklich mal ausflippte, wollte er das eigentlich gar nicht erleben. „Was denn, Hase?“ erschien Mokuba in der Tür, hatte ein Handtuch im Arm und seinen Bademantel an. „Ich wollte gerade unter die Dusche. Aber Wasser gibt’s nur lauwarm. Zum Glück funktioniert die Heizungstherme mit Holzscheiten. Du musst also nicht noch mal anfeuern, wenn du noch mal reinwillst. Ich bin froh, dass ich das hingekriegt habe. Hast du ...?“ „Komm mal mit, Freundchen.“ Er packte ihn am Arm und zog ihn bis zu dem Flecken, wo er eben meterweit fortgesprungen war. Nämlich zu seiner geöffneten Tasche und wies hinein. „Erklär mir das!“ „Was denn?“ guckte Balthasar von seinem Hochbett herunter. „Ui“ machte er dann doch etwas beeindruckt. „Katze?“ „Kater würde ich sagen“ mutmaßte Noah und strafte seinen Wuschel mit Todesblicken. „Wo ist das Vieh? Ich hab dir gesagt, ich will keine Viecher mitnehmen.“ „Du weißt, dass ich Happy und die Babys mitgenommen habe“ versuchte er sich herauszureden. „Die Kleinen sind doch noch so mini und Happy kann ich doch problemlos mitnehmen. Sie fährt doch sogar Auto mit mir, wenn sie nicht gerade Babys säugen muss. Wir haben doch zusammen ...“ „Ich meine das Monster“ knurrte er. „Wo ist er?“ „Hello?“ fragte er ganz unschuldig. „Wie kommst du darauf, dass ...?“ „Weil ich seine Kotze unter Millionen erkenne“ zeigte er in seine Tasche. „Lange, braune Haare. Die sind weder von Happy noch von den Babys. Wie zum Teufel kann das Vieh mir in die geschlossene Tasche kotzen?“ „Na ja, vielleicht hast du sie offen gelassen, als du dir im Flieger ein anderes Hemd angezogen hast?“ „Nein, ich hab sie zugemacht. Das weiß ich ganz sicher. Außerdem, was heißt hier im Flieger?“ „Ich hab vorhin unsere Taschen im Helikopter verwechselt“ meldete Tristan sich. „Ich wollte eigentlich eine Strumpfhose für Feli holen und hab in der Dunkelheit aus Versehen deine aufgemacht. Ich dachte, ich hätte sie geschlossen ... tut mir leid?“ „Es geht nicht um die Tasche, sondern um den Inhalt und wie der da reinkommt“ zischte er Mokuba giftig an. „Wie kann das Monster mir in die Tasche kotzen, wenn ich dir verboten habe, ihn mitzunehmen?“ „Du hast es nicht verboten“ erwiderte Mokuba leiser. „Du hast nur gesagt, ich soll ihn dir vom Leib halten.“ „Das ist doch identisch! Der Gremlin will mich wahnsinnig machen! Nicht nur, dass er mich ständig anfaucht und kratzt und mir in die Schuhe scheißt! Jetzt kotzt er auch noch meine Sachen voll! Warum immer ich?“ „Ich glaube, du riechst gut“ vermutete Mokuba. „Eigentlich mag er dich.“ „Das beruht aber nicht auf Gegenseitigkeit!“ Noah war echt verzweifelt. Von allen Menschen im Haus hasste Helloween ihn am meisten. Jeden Morgen hatte er neue Kratzer und wenn nicht morgens beim Aufwachen, dann spätestens beim Aufstehen, wenn er auf ihn drauftrat oder ihn irgendwo bei Sachzerstörung überraschte. Von den Kot- und Kotzangriffen mal ganz zu schweigen. Die Beziehung zwischen Noah und Helloween war als Kleinkrieg zu bezeichnen. „Aber Happy liebt ihn doch. Er ist der Vater ihrer Babys“ verteidigte er ihn zaghaft. Er wusste, dass Noah den Kater eigentlich schon lange im Tierheim wissen wollte. „Und außerdem ist er doch schon ganz zahm geworden. Und er hat kaum noch Flöhe. Ich hab ihn neulich gebadet und nicht einen einzigen Kratzer abbekommen.“ „Abreagiert hat er sich dann an meinen Seidenhemden“ schimpfte er. „Mokuba, ich will, dass du dieses Monster los wirst. Er stinkt, er kratzt, er faucht, er kotzt und er scheißt. Und er pisst in jede Ecke! Mal davon abgesehen, dass alle meine Klamotten voller Haare sind! Ich hasse dieses Tier!“ „Aber er kann doch auch ganz lieb sein“ versuchte er ganz kleinlaut. „Neulich lag er neben mir im Bett und hat sich sogar streicheln lassen. Er hat sogar geschnurrt.“ „Weißt du, was DAS ist?“ meckerte er und schob den Ärmel seines Hemdes hoch. Und dort prangte noch ein wunderbar roter Striemen. „DAS ist sein letzter Bettbesuch bei MIR heute morgen! Das Vieh will mich rausmobben!“ „Noah, das ist doch nur ein Tier“ versuchte Seto es leise. „Du halt dich da raus!“ schimpfte er und funkelte Mokuba wütend an. „Ich weiß nicht, wie du das Monster bis hier her geschmuggelt hast, aber ich will, dass du ihn mir ab jetzt vom Hals hältst. Inklusive meiner Sachen. Haben wir uns verstanden?“ „Jaaaa“ murrte er und senkte seinen Blick beleidigt auf den Boden. „Soll ich deinen Arm heilen oder ...?“ „Nein, das sind wichtige Beweisstücke“ schimpfte er, griff sich Mokubas Kosmetiktasche und auch das von ihm zur Benutzung gedachte Handtuch, da seine eigenen Sachen ja nun kaum noch zu gebrauchen waren und stampfte auf die Tür zu. „Und meine Sachen darfst du persönlich von Hand waschen, Herr Kaiba.“ Und damit war die Tür zu und Noah unter der kalten Dusche. „Oh oh“ sagte Yami vorsichtig. „Da hast du aber einen Einlauf bekommen.“ „Ach, der regt sich schon wieder ab“ lachte Mokuba und schien plötzlich gar nicht mehr so betroffen. „So sind Tiere nun mal. Er soll sich mal nicht so haben.“ „Na ja, in deine Tasche reihert der Kater ja auch nicht rein“ meinte Fernando. „Ich kann schon verstehen, dass er sich aufregt.“ „Ach, über sein zerfleddertes Rüschenhemd hat er sich mehr aufgeregt“ sang er fröhlich, schloss Noahs Tasche und schubste sie mit dem Fuß einfach unters Bett. Aus den Augen, aus dem Sinn. War ja nur Noah. „Aber jetzt mal wirklich, kleiner Bruder“ fragte Seto neugierig. „Wie hast du Hello bis hier her geschmuggelt, ohne dass jemand was merkt?“ „Ich bin doch gut, was?“ grinste er und griff in seine eigene Tasche nach der Haarbürste. „Jetzt ist er aber mit seiner Familie sicher verstaut. Ich hab extra die Heizung für die Babys angelassen.“ „Du weißt aber schon, dass die Batterie davon schnell leer geht und wir dann nicht mehr fliegen können?“ „Nein, nicht im Heli“ meinte er beiläufig. „Im Waschraum neben der Heizungstherme. Da hab ich bis morgen das Körbchen hingestellt. Was meinst du, warum ich als erstes wieder raus bin? Ich will doch nicht, dass die Kleinen sich einen Schnupfen holen und ...“ „MOOOOKUUUUBAAAA!“ Noahs Schreien war noch über Meilen zu hören. Sicher war er auf das Monster im Waschhäuschen gestoßen ... „Ich glaube, ich schlafe heute Nacht lieber getrennt“ lachte er und hüpfte auf das letzte, freie Hochbett. Er hatte da mehr Mitleid mit sich als mit dem armen Hasen ... Es dauerte noch eine knappe Stunde, aber dann waren alle im Bett verschwunden. Die Lichter wurden bis auf eine Notkerze gelöscht, der fast volle Mond schien romantisch durchs Zimmer herein und draußen war kaum mehr zu hören als das leise Säuseln des Windes durch die Baumkronen. So ließ es sich doch gemütlich einschlafen, selbst wenn es nicht ganz so komfortabel war wie Daheim. Und als dann noch das leise Schnorcheln von klein Tato dazukam, dämmerte jeder langsam mit einem Schmunzeln weg. Solange die Kinder gut schliefen, sollte es der Rest doch auch können. Nur als dann später mit einem Mal ein lautes Sägen einsetzte, trübte das die romantische Stimmung ein wenig bei denen, die noch nicht ganz schliefen. Während so kleine Atmer von Baby-Tato ganz süß klangen, war das ausgewachsene Schnarchen des großen Tato eine echte Qual. Tja, alle Kinder wurden eben irgendwann mal erwachsen. Damit musste man leben. Nur ein Kind hatte noch Probleme mit dem Erwachsenwerden. Es war am sehr frühen Morgen als sich der Himmel ein wenig bezog und das helle Licht des Mondes von der Nacht trennte. Eigentlich nicht weiter schlimm, aber da auch noch die Kerze im Zimmer zwischenzeitlich abgebrannt war ... Yugi wachte auf von irgendeinem komischen Gefühl. Er schlug vorsichtig die Augen auf und konnte es erst nicht einordnen. Was genau war es denn, was ihn geweckt hatte? Alles war ganz ruhig, der Morgen dämmerte noch lange nicht, der Wind hatte sich gelegt und Tato schnarchte, dass die Hütte bebte. Dieser Stein in seinem Bauch ... vielleicht war es doch das ungewohnte Hefebrot, das er zum Abendbrot hatte. Er wollte sich gerade wieder umdrehen, als er neben sich ein leises Keuchen hörte. Komisch? Seto schnarchte doch sonst auch nicht. Er lauschte noch einen Augenblick, aber es kam nichts. Alles wieder ruhig. Also kuschelte er sich vorsichtig an seinen Liebling heran, passte auf, dass er ihr Baby nicht zwischen ihnen zerquetschte und schmiegte sich an seinen Arm. Da vernahm er ein zweites Keuchen mit einer leisen Stimme gemischt. Das war ungewöhnlich, wenn nicht sogar besorgniserregend. Seto redete nachts nur im Schlaf, wenn er einen intensiven Traum hatte. Aber irgendwie ... es mischte sich mit diesem merkwürdigen Gefühl in ihm drin. Das waren nun bereits zwei Ungewöhnlichkeiten und damit zu viel. „Liebling?“ fragte er leise, richtete sich auf und suchte mit der Hand nach seinem Gesicht. „Alles okay bei dir?“ Als seine Antwort aber nicht mehr war als ein Wimmern, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die einzige Kerze im Zimmer war abgebrannt, der Mond schien nicht mehr und in ihrer Hütte war es stockdunkel. Das war kein Schnarchen, was ihn geweckt hatte. Seto war wach! „Ach, du Scheiße!“ Sofort nach seinem leisen Fluch sprang er auf, aus dem Bett heraus und suchte nach der Tasche des nächstbesten Rauchers. Mokuba schlief nur zwei Betten weiter und der hatte doch bestimmt ein Feuerzeug irgendwo. „Yugi?“ murmelte Yami verschlafen in die Dunkelheit hinein. Der hatte wohl einen leichten Schlaf heute. „Was machst du?“ „Ich suche ein Feuerzeug“ antwortete er möglichst leise, um nicht alle zu wecken. „Willst du rauchen?“ Auch Yami stieg nicht sofort dahinter. Yugi war doch sonst auch kein Nachtwandler. „Nein“ erwiderte er schnell als er Mokubas Tasche unter dem Bett herauszog und nur hoffte, dass es wirklich seine war und er nicht gleich in Noahs Katzentasche hinein langte. „Seto hat eine Attacke.“ „Hmwas?“ rieb Yami sich müde die Augen. „Was für ne Attacke?“ „Eine Panikattacke.“ Da sagte es auch bei ihm Klick. Natürlich! Es war stockdunkel und wenn Seto da wach wurde, bekam er natürlich Angst. Die Dunkelheit war etwas, womit er sich nie hatte anfreunden können. Er war ein starker Mann, aber hatte schreckliche Angst im Dunkeln. „Warte, ich helfe dir.“ Grundsätzlich ne gute Idee, Yami - nur an der Durchführung haperte es ein wenig. Er wollte aufstehen und herunterkrabbeln, verfehlte aber die einzige Sprosse des Bettes, plumpste herunter, stieß das wenige Geschirr vom Tisch und mit dem Scheppern war jetzt sicher auch der Letzte wach. Zumal sofort irgendein Baby abfing zu plärren und sein übriges zum nächtlichen Weckdienst tat. Sogar das laute Schnarchen endete, was garantierte, dass auch Tato wach war. „Was ist denn los?“ fragte Marie und hatte die zündende Idee. Sie nahm einfach ihr Handy, klappte es auf und hatte genug Licht, um die Szenerie zu beleuchten. „Super, gib mal her.“ Yugi kannte da auch kein Bitte mehr. Er schnappte ihr das Ding aus der Hand und fand so ein paar Zigaretten schon auf dem Tisch liegen. Wem auch immer sie gehörten, es war auf jeden Fall ein Feuerzeug da. Genau das nahm er sich, lief im Schein des Handys zurück und entzündete mit schnellen Händen die Petroleumlampe auf dem von Yami geräumten Tisch. Sofort wurde es hell im Zimmer und zeigte einen wachen Yami der im übrig gebliebenen Abendbrot auf dem Fußboden wühlte. „Mann, Yami ... Yugi“ rieb sich auch Tristan verschlafen über die Augen. „Was macht ihr denn für’n Terz hier?“ „Ja, Mann. Ist doch noch gar nicht morgens“ murmelte auch Joey müde und langte rüber ins andere Bett, wo Narla gerade seine schreiende Tochter beruhigte. „Yugi, weißt du eigentlich wie früh es ist, Alter? Mach das Licht aus.“ Aber dafür hatte der gerade gar keine Zeit. Er stellte die Lampe so hoch es ging und erhellte sogar willentlich den gesamten Raum mit vergleichsweise grellem Licht. Neben Yami, der sich den Po reibend vom Boden aufrappelte und sich den Arm mit irgendwelchen Resten übergossen hatte, sah man, wie Yugi sich sofort zurück aufs Bett setzte, an Setos Nacken griff und ihn mit einem kräftigen Ruck ein Stück höher legte. Unglaublich, dass er, obwohl er viel kleiner war, den Großen einfach so bewegen konnte. Er kannte einfach die richtigen Handgriffe. Und sein Liebling sah wirklich zum Fürchten aus. Seine Augen blutunterlaufen, seine Lippen schon bläulich und sein Gesicht so aschfahl wie Papier. Er starrte mit aufgerissenen Augen ins Nichts und tat außer einfach nur steif sein nicht viel. Nicht mal richtig atmen wie es schien. Er war völlig panisch und gelähmt vor Angst. So hatte man ihn seit Jahren nicht gesehen. „Liebling, ganz ruhig“ sprach er ihm zwar liebevoll, aber fest genug zu, um seiner Stimme Stärke zu verleihen. „Sieh mich an. Hörst du mich? Sieh mich an. Ganz ruhig, Liebling. Du bist nicht allein.“ Doch Seto reagierte kaum. Er starrte weiter ins Nichts mit einem Blick, in welchem schiere Panik herrschte. Seine blauen Augen vernebelt vor Angst in einer eigenen Welt. „Was ist denn los?“ wollte Nini durchgewuselt wissen. Das Problem war, dass eben auch die Kinder wach geworden waren und natürlich wissen wollten, was da vor sich ging. Doch wenn Nini und Tato ihren Papa so sahen, würden sie einen Schrecken fürs Leben bekommen. „Nichts.“ Yami machte seine lautstarke Attacke sofort wieder gut, indem er sich geistesgegenwärtig die beiden unter die Arme krallte und mit samt Bettdecke hinaus schleifte. „Wusstet ihr eigentlich, dass Graspflücken mitten in der Nacht großes Glück bringt?“ „Niiii~iiiissss!“ Tato wollte lieber im Bett bleiben, aber der wurde einfach mitgenommen. Sein Glück war ihm da ziemlich wurscht. Er wollte im warmen Bettchen bleiben und nicht spazieren getragen werden. „So ein Quatsch“ meinte Nini etwas verwirrt über den plötzlichen Weckruf und den nächtlichen Ausflug auf Yamis Armen. „Lass mich runter.“ „Nein, wirklich“ betonte der, während er beide gegen sämtlichen Widerstand mitnahm. „Aber nur, wenn man an einem fremden Ort ist. Das haben wir in Ägypten früher immer gemacht. Das bringt großes Glück in Liebe und Beruf.“ Und weg waren sie. Manchmal hatten Yamis bunte Einfälle eben doch was märchenhaft Gutes. „Was ist denn passiert?“ fragte Mokuba, der sich ganz schnell zu seinem großen Bruder aufs Bett setzte und ihm die Hand auf die Stirn legte. „Weil es so dunkel war?“ „Denke ich mal“ antwortete Yugi selbst etwas aufgewühlt. „Keine Ahnung, wie lange er schon so ist. Erst mal muss er wieder richtig atmen.“ Solch eine schlimme Attacke hatten sie lange nicht mehr gehabt. Aber Yugi wusste noch, wie er ihn wieder zurückbekam. Er schob seinem Liebling das Hemd hoch, legte ihm beide Hände auf die kalte Brust und versuchte, seine Energien zu spüren. Aber fließen tat da nicht mehr viel. Eher fühlte es sich an wie eingefroren, fest, geradezu hart. In solchen Momenten blieb sein ganzes Leben einfach stehen. „Ganz ruhig. Dir kann nichts passieren“ sprach er ihm weiter beruhigend zu. „Du bist in Sicherheit. Spürst du meine warmen Hände? Atme ganz leicht ein. Ganz vorsichtig. Hörst du meine Stimme?“ Aber noch tat sich da nichts. Er war völlig verkrampft, steif und regte sich nicht ein Stück. „Seto, hey“ sprach auch Mokuba leise und nahm sanft seine eiskalten Ohren, um sie zwischen seinen warmen Fingerspitzen zu stimulieren. „Ganz ruhig, Großer. Alles ist okay. Keine Sorge.“ Ein lauteres Wimmern war die erste Antwort und es bedeutete, dass immerhin genug Luft dafür da war. Im zweiten Zuge begann er langsam zu zittern, was noch mehr ein gutes Zeichen war, da sich dadurch seine Muskeln wieder regten. Wenigstens schien er ansprechbar, auch wenn er nicht antwortete. Yugis Energielösung zeigte ihre ersten Effekte. „Gut so. Ganz langsam“ bestärkte der ihn und drückte liebevoll seine warmen Hände auf die feste Haut. „Versuch zu atmen. Hörst du mich? Es ist alles in Ordnung. Alles in bester Ordnung. Du bist in Sicherheit. Ganz ruhig.“ „Her khommth nhichth whiedher ...“ keuchte Seto und sein Zittern steigerte sich schnell in ein krampfendes Beben. „Her khommth nhichth ... her khommth nhichth …” „Ganz ruhig bleiben, Liebling.“ Was auch immer gerade in seinen Kopf vorgehen mochte, es war auf jeden Fall nicht real. „Du bist in Sicherheit. Ganz ruhig. Sieh mich an, mein Herz. Sieh mich an ...“ „Aaahhh ... nheeiiihn ... nheeiiihn ...“ Er ließ sich einfach zur Seite fallen und entzog sich diesen Berührungen, er hustete und hustete und hustete seine verkrampften Lungen frei. Wenigstens sein Atem war wieder zurückgekehrt, aber er zitterte noch immer am ganzen Körper und sein Denken war auch noch irgendwo anders. „Können wir irgendwas tun?“ wollte Fernando vorsichtig wissen und war schon dabei, aufzustehen und herüberzukommen. „Nein, kommt bloß nicht alle her“ bat Yugi und winkte ihn gleich wieder zurück. Ebenso wie den großen Tato, der sicher auch gern irgendwas tun wollte. Doch wenn jetzt auch noch alle aufstanden und sich um ihn scharrten, würde Seto nur noch mehr Panik kriegen. Zwei Leute reichten doch. „Nein, wirklich“ betonte Mokuba noch mal, als Dakar trotzdem aufstand und sich anschickte, zu ihnen zu kommen. „Nicht alle rüberkommen jetzt.“ „Schon okay“ murmelte der nur und ließ sich nicht abhalten. Er stieg über die heruntergestoßenen Reste des Abendessens und kniete sich vor das Bett. „Er hat doch schon genug Angst“ bat Mokuba, als müsste er seinen hustenden, bebenden Bruder vor ihm beschützen. „Dakar. Wehe du tust Mama weh“ drohte Tato mit funkelnden Augen. „Pass auf oder wir kriegen tierisch Ärger miteinander.“ „Ich weiß“ beruhigte er und legte nur seine Hand an Setos freie Hüfte, welche in dem hellen Feuerlicht ein Stück seiner schönen Zeichnung, ein Stück des aufwändig gestalteten Falkenflügels zeigte. Mehr tat er zwar nicht, aber nach nur wenigen Sekunden wurde das Husten leiser und auch das Krampfen am ganzen Körper nahm langsam ab. „Nur ein leichtes Nervengift“ erklärte er, noch während Yugi seinen Mund öffnete. „Es senkt den Blutdruck und entkrampft die Muskeln. So fällt ihm wenigstens das Atmen leichter.“ Und mit Seitenblick auf den beobachtenden Sohn ergänzte er noch kurz: „Es tut ihm nicht weh.“ „Danke“ sagte Mokuba perplex, als Dakar seine Hand wieder fortnahm. „Warum bist du da nicht früher drauf gekommen?“ „Bei festgefahrenen Energien verteilt sich das leichte Gift nicht schmerzlos. Das ist der Nachteil bei Magiern“ meinte er und stand schon wieder auf, um selbst zurück ins Bett zu gehen. „Nur aufstehen sollte er jetzt für zwei oder drei Stunden lieber nicht. Könnte sein, dass seine Beine nachgeben.“ „Papa, ist alles okay mit ihm?“ wollte der große Tato lieber wissen und sah besorgt hinüber. Auch wenn er direkt daneben lag, konnte er ja leider nicht viel tun, wenn schon zwei an ihm dran waren. „Wird schon wieder“ beruhigte er und legte sich neben seinen Liebling, um einen Versuch zu starten, in seine Augen zu sehen. Mittlerweile lag der nämlich nur noch hechelnd da und tat nicht mal mehr ein Zucken. Vollkommen gelähmt von dem Gift und den schlimmen Gefühlen in sich drin. „Liebling, alles okay bei dir?“ sprach er ihn vorsichtig an. „Bleib ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Du musst keine Angst ...“ „Er khommt nhicht whieder ...“ keuchte er leise vor sich hin, hatte seine Augen aufgerissen und sah panisch in Yugis Gesicht, auch wenn er ihn wohl nicht wirklich sah. Dakar konnte vielleicht seinen Körper zur Ruhe zwingen, nicht aber seinen Geist. „Keine Angst, es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit“ sprach er ihm wieder gut zu, doch es war, als kämen seine Worte gar nicht an. „Mhir ist khalt“ atmete er und bewegte sich nicht ein Stück. „Es ihst khalt ... so khalt ... so khalt ... ich erfrhierhe ... ich stherbhe ...“ Doch wirklich gruselig war der panische Blick, den er Yugi entgegenbrachte. Er blickte ihn an, sah ihn aber nicht. Er sprach, ohne zu wissen, was er eigentlich sagte. „Nein, du stirbst nicht“ beruhigte er und strich ihm zärtlich durchs Haar, zog die Bettdecke sanft über seinen Körper. „Es ist alles in Ordnung. Es ist schön warm. Hörst du? Ich bin doch hier. Du frierst nicht. Es ist schön warm unter der Decke. Ich wärme dich.“ „Ich whill stherbhen ...“ bettelte er leise und schloss seine Augen, kniff sie schmerzhaft zusammen. „Bhitte, lhieber Ghott ... lhass mhich stherbhen ... ich whill stherbhen ... es isth so khalt ... er khmommth nhichth mher ... lhiebher Ghotth, pass auf Mhokhuba aufh ...“ „Was redest du denn da?“ schüttelte Yugi seinen Kopf und streichelte ihm warm über die Wange. „Komm zu dir, Liebling. Wir sind hier. Hörst du? Alles ist in Ordnung.“ „Mhokhuba ... pass aufh Mhokhuba aufh … pass aufh ihhhn aufh … lhiebher Ghott ... bhitte ... bhehüthe hihn ...” „Er halluziniert“ versuchte Mokuba zu erklären. „Früher, wenn Gozaburo ihn bestraft hat, hat er ihn eingesperrt. Manchmal im Kühlhaus, im Dunkeln, tagelang. Einige Male hatte ich auch Angst, dass er ihn da nie wieder rausholt. Wenn man tagelang im Dunkeln sitzt und friert, verliert man doch fast den Verstand. Deshalb hat er doch so Angst im Dunkeln. Das kommt nicht von unserer Mutter, sondern von Gozaburo.“ Ihm damals noch weitere Traumata mitzugeben, war nicht schwer. Gozaburo hatte ihn manchmal tagelang nicht nur im Kühlhaus eingesperrt, das war Seto gewohnt - nein, er hatte ihn von Mokuba getrennt und in ihm damit die schlimmste aller Ängste geweckt. Die Dunkelheit war ihm zuwider, weil er dann ganz allein war und niemanden bei sich hatte. Dunkelheit bedeutete Einsamkeit, Gefangenheit, Kälte und wahnsinnige Verlassensangst. „Das ist doch vorbei, Liebling“ versprach Yugi, legte sich ganz nahe an ihn heran und versteckte den ausgekühlten Kopf zwischen seinen Armen. Wenigstens war es gut zu wissen, dass er ihn anfassen konnte, ohne es schlimmer zu machen. Eigentlich war Seto nach jahrelanger Therapie und viel Liebe kein Nervenbündel mehr. Aber wenn seine weichen Stellen zu lange traktiert wurden, brach er zusammen. So eben, wenn er plötzlich im Dunkeln lag. Die Dunkelheit war eine Angst, die er bisher nicht besiegen konnte und die Wahrscheinlichkeit, dass er jemals so weit kam, war verschwindend gering. Hier würde er immer Hilfe brauchen. Jemanden, der ihm klar machte, dass ihm die Dunkelheit nicht alles wieder wegnahm. „Es ist alles in Ordnung, mein Herz. Du musst keine Angst mehr haben. Ich bin doch hier. Ich liebe dich.“ „Er khmommth nhichth mhehr ...“ „Wir beide bleiben für immer zusammen. Weißt du noch? Erinnerst du dich noch damals als wir im Sommer in Paris eine Rohrverstopfung hatten?“ Yugi redete einfach drauflos, einfach nur, um ihn seine Stimme hören zu lassen. „Weißt du noch, was wir gemacht haben, weil es so heiß war und am Sonntag keine Handwerker zu kriegen waren? Jean und Sylvie waren nicht da und wir konnten nicht duschen. Wir hatten kein Wasser. Erinnerst du dich, was wir da gemacht haben? Du und ich?“ „Es ihsth so khalth ... so khalth ... ich whill stherben ... lhieber Ghott ...“ „Es war schon morgens fast 30 Grad heiß und du konntest gar nicht so viel trinken, wie du geschwitzt hast“ redete er beruhigend weiter, legte so viel Sanftheit in seine Stimme und senkte sie, damit sie wohlig in Setos Ohren klingen möge. „Du warst die ganze Zeit am mosern und arbeiten wolltest du auch nicht. Du kannst dich bei Hitze ja nicht konzentrieren und es war so heiß. Du warst ungenießbar und das stundenlang. Wegen des fehlenden Wassers konnten wir nicht mal duschen. Das hat dich total aufgeregt. Es war so heiß. Ganz heiß war es. Erinnerst du dich, wie heiß es war? Weißt du noch, was wir gemacht haben? Na? Erinnerst du dich?“ „Sommher ...“ „Ja, im Sommer. In Paris. Unser erster Sommer, Liebling. Weißt du noch? Wie heiß es war und als wir kein Wasser mehr hatten? Was haben wir da gemacht?“ „Whir ...“ „Genau, wir beide. Wir zusammen“ lächelte er. So langsam schien sein Gerede ja Früchte zu tragen. „Wir sind raus gegangen. In den Park. Alles war grün und die Bäume haben ein bisschen Abkühlung im Schatten gebracht. Wir sind ein wenig gegangen. Wir haben einen Spaziergang gemacht. Hand in Hand. Und dann hatten wir großes Glück. Weißt du noch, warum?“ „So heiß ... khein Wasser ...“ „Es war so heiß und wir hatten kein Wasser. Genau. Du erinnerst dich. Wir sind rausgegangen in den Park und was stand da? Weißt du noch, was da stand?“ „Brunnhen ... ein Brunnhen ... schönhes Whasser ...“ „Ein Brunnen mit schönem Wasser. Genau“ lächelte er aufbauend und sprach weiter in einer ruhigen Tonlage mit ihm. „Und da sind wir baden gegangen. Das war schön, nicht wahr? Es war ganz heiß und das Wasser hat gut getan. Alle Leute haben geguckt, aber das war uns egal. Ein paar Leute sind sogar mit reingesprungen, weil es so heiß war. Und dann haben wir Brote gegessen und im Schatten gelegen. Und was haben wir gemacht? Weißt du das noch?“ „Nhein ... Küsschen ...“ „Ja, wir haben uns Küsschen gegeben“ lobte er und gab ihm ein ebensolches auf seine Stirn, welche mit kaltem Schweiß bedeckt war. „Whir haben gebadhet ... und dann ...“ „Und was dann?“ ermutigte er ihn weiter. „Was ist dann passiert, nachdem wir baden waren? Erinnerst du dich?“ „Es whar ... es hat gehregnet ... so einh Scheiß ...“ „Ja, so ein Scheiß“ lachte er. „Da geht man baden und was passiert? Es regnet. Mitten im Sommer. Wir können echt Pech haben, was?“ „Hich bhin ... ein Phechvogel ...“ „Ja, du bist ein Pechvogel“ seufzte er und kuschelte sich ganz dicht an ihn, womit auch die anderen, die alle wach waren, ein wenig aufatmen durften. Ja, ihr Seto war nun mal ein Pechvogel. Und eben auch alle anderen, die durch ihn eine ziemlich kurze Nacht hatten. „Aber ich liebe dich.“ „Yugi ...“ schluchzte er und begann leise zu weinen. Die aufgestauten Gefühle einer solchen Angstattacke mussten ja irgendwie raus und er war einfach zu aufgewühlt, um sie zurückhalten zu können. Aber er wusste, dass Yugi ihn liebte und er sich bei ihm ausweinen durfte, wenn er sich schlecht fühlte. „Dhu verlässth mich nhicht. Bhitte, du lässt mhich nicht allheine.“ „Nein, ich lasse dich nicht allein, Liebling. Ich liebe dich doch.“ Ja, aber lieben taten sie ihn trotzdem. Auch wenn er dieses Mal nicht nur Yugi den Schlaf raubte. Kapitel 5: Kapitel 21 - 25 -------------------------- Chapter 21 Als Seto am nächsten Morgen die Augen auftat, war er wohl der Letzte, der wach wurde. Aber bevor er sich an irgendwas erinnerte oder um sich herum wahrnahm, suchte er sofort nach dem wärmsten Punkt im Bett und fand ihn wie jedes Mal rechts neben sich. Es war schön, wenn Yugi sofort da war und er sich beschützt einkuscheln durfte, bevor er noch richtig klar im Kopf war. Yugi lag immer rechts. Das war etwas, worauf er sich blind verlassen konnte. „Na, bist du auch mal aufgewacht?“ neckte er und kraulte ihm durch das verklettete Haar. „Hast ja ganz schön lange geschlafen, Großer.“ „Hrm“ brummte er nur leise und sonst nichts weiter. So weit war er noch nicht. „Na gut. Komm, mein Engel“ lächelte Yugi, legte sich näher an ihn heran und schmuste mit ihm, wobei er ihm sanft den Bauch und die Hüfte streichelte. Sein Drache brauchte morgens nun mal zu aller erst seine Streicheleinheiten, besonders nach so einer Nacht. „Möchtest du was warmes trinken, Drache?“ bot Joey an und setzte sich hinter ihn aufs Bett, während er mit einer Hand den guten Duft von Kaffee herüberwedelte. Das hatte er sich aus der Werbung abgeguckt. „Was ist denn mit d i r los?“ grummelte Seto, hob seinen Kopf und wollte sich zu ihm drehen. Es kam doch sonst nie vor, dass Joey ihn morgens freundlich bewirtete, anstatt ihm irgendeine Gehässigkeit an den Kopf zu werfen. Aber sein Kopf meldete sich da ganz anders, ebenso wie sein Rücken, seine Arme - juhu, schönster Ganzkörpermuskelkater. Mit einem leisen Schmerzenslaut sank er auf seinem Rücken zurück in die Kissen und legte sich die Hand über die Augen. Wo kam denn dieser Kater jetzt her? Doch mit kurzem Überlegen, fiel er drüber, was in der letzten Nacht los gewesen war. Erst sagte ihm das sein Körper und dann auch seine Erinnerung. „Du hast Glück. Das Wasser im Waschraum ist noch warm“ meinte Yugi und streichelte seine Wange. „Kannst noch warm duschen, wenn du möchtest. Wenn du wach bist, natürlich.“ Seto öffnete seine Augen und sah ihn skeptisch an. Yugi verlor kein einziges Wort über die letzte Nacht. Er überging das einfach, ließ es auf sich beruhen und tat so, als sei nichts gewesen. „Möchtest du drüber reden?“ fragte er dann doch vorsichtig. Wenn sein Liebling den Kopf schüttelte, würden sie darüber nicht mehr sprechen und es vergessen. Vorausgesetzt, er hatte selbst nicht das Bedürfnis darüber zu sprechen. Eigentlich konnte Seto mit so was umgehen, aber letzte Nacht war er ja ziemlich ausgetickt. „Ich hab bestimmt alle geweckt ...“ >Typisch du< dachte er mit einem inneren Seufzen. Zuerst dachte er daran, was die anderen denken könnten, anstatt sich mit seinem Seelenleben auseinander zu setzen. „Ist nicht so schlimm“ spielte er es herunter. Sein Liebling konnte ja nichts dafür, dass er so reagierte. Ausgesucht hatte der sich das auch nicht. „Entspann dich und mach ganz ruhig. Wenn du nicht möchtest, sagt auch niemand etwas. Hauptsache du bist einigermaßen fitt und deinem Herzen geht es gut.“ „Ja, Mann“ meinte auch Joey und hielt ihm den Becher hin. „Ein Kaffee und die Welt ist Nebensache. Kannst ja mal gucken, ob dir der nicht zu stark ist. Selbst Tato hat gehustet, als er den probiert hat.“ „Tato ...?“ „Der Große natürlich“ lächelte Yugi. „Oder denkst du, ich gebe unserem Baby Kaffee zum Frühstück? Nein, der hat schön Joghurt und Tee bekommen.“ „Nein ... wo ist denn ... wo sind die Kinder?“ wollte er wissen als er sich so herumdrehte, dass er in den Raum hineinsehen konnte. Eigentlich waren recht viele Leute anwesend, die aber entweder absichtlich oder unabsichtlich nicht an ihrem Gespräch teilnahmen, sondern sich lieber mit ihrem eigenen Frühstück, mit ihren Klamotten, Kosmetik oder miteinander beschäftigten. Aber was fehlte, waren die Kleinen und noch einige andere. „Der große Tato ist mit den Kiddys spazieren gegangen“ erklärte Yugi. „Die waren schon so früh auf und um die anderen nicht zu wecken, haben sie sich Brot mitgenommen und sehen den Sonnenaufgang an.“ „Wer ist ... sie?“ wollte er genauer wissen. Schließlich wollte er doch genau wissen, wo und mit wem sich seine Kleinen herumtrieben. „Also, die beiden Tatos“ zählte Joey auf. „Zusammen mit Narla und dem Krümelchen, Nini, Feli und Nika, Sari, Risa, Spatz, Dakar und ... ähm ja, that’s it.“ „Na, wie geht’s dir, großer Bruder?“ Mokuba setzte sich zu ihm und sah ihn besorgt an. Er war nicht ganz so gut wie Yugi im Überspielen seiner Sorgen. „Tut mir leid, dass ich euch alle geweckt hab“ entschuldigte er sich mit sinkendem Blick. „Das ist mir so peinlich.“ „Hey, kein Problem. Deine Kinder haben es nicht wirklich mitbekommen und keiner hat sich auch nur im geringsten über nächtliche Ruhestörung beschwert“ baute er ihn auf. „Du kannst doch nichts dafür. Hauptsache, dir geht’s gut soweit. Eigentlich warst du ja auch ziemlich lange attackenfrei. Wie fühlst du dich denn? Tut dir was weh?“ „Ich bin total verkatert“ seufzte er und strich sich das Haar aus der Stirn. „So einen Kater hatte ich nicht mehr seit meinem letzten Suff.“ „Dafür hab ich einen Kater, den ich mir nicht mal schöntrinken kann“ murrte Noah und stellte sich vor dem Bett auf. „Seto, tu mir doch mal den Gefallen und hau auf den Tisch.“ „Warum? Die Tische ...“ Guck, guck, guck. „Ist einer kaputt?“ Uff, Seto kapierte auch gar nichts. Anstatt den abstrakten Unterton zu verstehen, blickte er an Noah vorbei auf den Tisch, wo Yami gerade dabei war, sich diverse Schüsselreste zusammenzukippen. Aber das war ja nun weder ungewohnt noch ungewöhnlich ... auch wenn man ihm beim anschließenden Verzehr nicht wirklich zusehen musste. „Ich meine, wegen dieses Monsters“ betonte Noah und zeigte ihm seinen Arm. Und die kurzen Kratzspuren waren garantiert ganz frisch. „Warum darf jeder die Babys streicheln nur ich nicht? Sag deinem kleinen Bruder mal, er soll das Vieh loswerden, bevor er mich loswird.“ „Stell dich nicht so an“ meinte Mokuba und sah beleidigt zu ihm hoch. „Du kannst nur nicht mit Tieren umgehen. Das ist alles.“ „Es reicht schon, dass Happy ständig auf mir rumhackt. Aber dieser Gremlin ist die Krönung. Mokuba, ich ...“ „Sag nicht immer Mokuba zu mir“ guckte er streng. Bei anderen bestand er ja auf seinen ganzen Namen, aber bei Noah hatte das immer so einen ernsten Unterton. „Ich nenne dich solange Mokuba, wie du dieses Monster beschützt“ zickte er genervt zurück. „Entscheide dich. Er oder ich.“ „Du bist eifersüchtig!“ Ein Strahlen breitete sich auf des Häschens Gesicht aus. Wie lange hatte er schon versucht, seinen Hasen eifersüchtig zu sehen? Noah wurde niemals eifersüchtig, aber vielleicht war es, weil Mokuba sich mittlerweile mehr um seine Katzen kümmerte und mit viel Liebe versuchte, die harte Schale des Straßenstreuners zu knacken. „Ich bin nicht eifersüchtig, ich bin schwer verletzt!“ schimpfte er und drehte sich beleidigt um, kümmerte sich lieber darum, seine Tasche zu packen. „Mokuba.“ „Er ist eifersüchtig.“ Egal, ob er sich das nun einredete oder nicht. Er war glücklich und grinste seinen großen Bruder an. „Helloween ist ein Segen für uns alle.“ „Ich geh duschen“ war alles, was Seto dazu zu sagen hatte. In den Streit seiner Brüder musste er sich nicht unbedingt reinstecken. Das sollten die mal unter sich klären. Stattdessen kramte er sich aus den dicken Daunen, warf sich die dünnere Wolldecke über und stand etwas wackelig auf. „Pass auf, dass du nicht umfällst“ bat Joey und wollte ihn stützen, aber Setos giftiger Blick ließ ihn stillstehen. Nicht anfassen! „Ich meine ja nur.“ „Ich meine auch gleich was“ grummelte er und ging ein paar Schritte. Etwas fahrig zwar, aber das leichte Gift schien ihm nicht weiter geschadet zu haben. Eher wirkte es wie ein leichtes Beruhigungsmittel. Aber dann drehte er sich noch mal um und sah Yugi an. Mit einem Bettelblick, den ein Drachenbaby nicht besser hätte hinbekommen können. „Ich bringe dir gleich Handtücher“ lächelte er lieb. „Waschsachen müssten da noch von gestern stehen.“ „Kommst du ... gleich?“ Yugi musste sich zurückhalten, um ihm nicht ein ‚Ach, bist du süüüüß!’ um die Ohren zu schmettern. Sein Liebling wollte nun mal einfach nicht alleine sein. Aber so öffentlich nach Kontakt suchen, war ihm wohl auch peinlich. „Ich komme schon“ schmunzelte er, griff noch schnell nach seiner Tasche und nahm zwei Handtücher weg, bevor er seinem Liebsten durch die Tür folgte und sie fest hinter sich schloss. „Boah, der ist sooooo süß!“ platzte Yami am Ende seine Beherrschung heraus. „Wie kulant, dass das so spät kommt“ lachte Marie. „Hast dich extra zurückgehalten, was? Braves Yamilein.“ „Man tut, was man kann“ lachte er zurück. „Oh, ich hätte ihn so gern geknuddelt. Aber ich glaube, Seto ist im Moment nicht so belastbar.“ „Gib ihm ein bisschen Zeit. Heute Abend knuddelt er dich bestimmt“ meinte sie. „Was isst du da eigentlich schon wieder?“ „Ich hab noch keinen Namen dafür. Willst du ihm einen geben?“ bot er an und hielt ihr eine Schüssel mit undefinierbar riechendem Kompottmix und Brotrinden hin. Es reichte, dass sie es roch, dafür musste sie es gar nicht sehen. „Danke, mir ist schon schlecht“ lehnte sie ab. „Bald sind wir die besten Freunde“ freute er sich breit und löffelte sich dieses namenlose Gericht rein. „Frag mal Tea. Wenn sie schwanger ist, essen wir mehrmals täglich zusammen. Die Mamas haben kulinarischen Geschmack. Das ist das Einzige, was ich den Babys abgewinnen kann.“ „Hast du das gehört?“ Und schon drückte Tea ihm ihre kleine, satte und frisch gewickelte Tochter in den Arm. „Zeig ihm mal deine Reize, Theresa. Mama will jetzt normal frühstücken.“ Mit ihren Reizen geizte die Kleine wirklich nicht. Mit ihren großen Augen strahlte sie an Yami hoch und sabberte ihm den Arm voll. Seto wurde da immer sofort schwach, aber Yami? „Meld dich in zwanzig Jahren noch mal“ seufzte er und legte sich das Baby über die Schulter und schon „Öööörks“ kam das Bäuerchen. „Zauberhaftes Mädchen“ lachte Yami laut. „Ich glaube, ich kann Babys doch was abgewinnen. Wir haben dieselben Tischmanieren.“ „Um uns hast du dich ja auch gekümmert“ meinte Balthasar und ließ sich endlich angezogen neben ihm nieder, während er sich die Hände eincremte. „Dabei wollte ich nie Kinder haben“ gestand er und streichelte der Kleinen den Rücken, anstatt sich um sein Frühstück zu kümmern. Zumindest hatte er mittlerweile Übung darin, in welchen Positionen sich kleine Menschen wohl fühlten. „Aber sag mal echt. Hab ich mich gut um euch gekümmert? Wie ein Papa? Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen. Obwohl ... wenn ihr Seths Söhne seid ...“ „Als ich noch Baby war, das weiß ich natürlich nicht mehr“ erzählte er. „Aber ich weiß, dass du auf jedem Elternabend warst, du bist sogar auf Schulausflüge mitgekommen. Du warst so beliebt bei meinen Kameraden in der Grundschule, dass mich alle um dich beneidet haben. Du hast viel für uns getan und warst immer da. Solange wie meine Erinnerung reicht, warst du immer ansprechbar und hast dich jedem noch so kleinen Problem angenommen. Dafür, dass du angeblich mit Kindern nichts anfangen kannst, hab ich mich bei dir immer sehr wohl gefühlt. Und ich glaube, Spatz geht es da nicht anders. Du warst immer so eine Art väterlicher Freund. Du hast mir Motorradfahren beigebracht.“ „Moment mal“ hakte Marie gleich nach. „Du bist doch erst 16.“ „Ich hab ja auch noch keinen Führerschein“ gab er zu. „Aber können tue ich das trotzdem. Mit Ati ist immer was los. Er nimmt mich ab und zu noch mal zum Motocross mit. Obwohl er wegen seines Alters mittlerweile nicht mehr aktiv fährt.“ „Dein Bruder scheint ja mehr auf Tato geprägt zu sein“ meinte Mokeph. „Wahrscheinlich weil Asato ruhiger ist“ vermutete er. „Ati hat zwar auch seine sanften Momente, aber er will immer trösten indem er aufmuntert. Asato macht das nicht so sehr. Er ist nicht so lebhaft, sondern tröstet anders. Nicht durch Aktivitäten, sondern irgendwie anders. Das ist schwer zu beschreiben. Spatz braucht eher so den Fels in der Brandung. Er braucht diese männliche, feste Vaterfigur. Ich hingegen bin ganz froh, wenn man mich mal rausreißt und auf andere Gedanken bringt.“ „Aber ihr sagtet, Tato sei so etwas wie ein Vater für euch beide“ erinnerte Yami sich. „Ist er ja auch“ nickte er. „Aber das heißt ja nicht, dass du nicht da warst. Ich jedenfalls wäre ohne dich nicht so glücklich aufgewachsen. Du hast mir die Schuldgefühle genommen, die ich wegen meines Bruders hatte.“ „Warum hast du denn Schuldgefühle?“ versuchte Marie ihn zu trösten und setzte sich zu den beiden auf den Boden. „Weil Vater doch eigentlich nur mich wollte“ erklärte er bedrückt und lehnte sich ein Stück bei ihr an. „Selbst die Ärzte sagten, dass Spatz eigentlich nur so ist, weil ich zu viel Mutterkraft für mich beansprucht habe. Ich war der stärkere Embryo und hab wohl versucht, ihn zu verdrängen.“ „Aber das ist doch nicht deine Schuld“ meinte Jonny, der den anderen zuhörte. „Das ist in jeder Entwicklung so. Das nennt sich natürliche Auslese. Spatz lebt doch nur, weil die Medizin so ausgereift ist. Es gibt viele Fälle davon, das ein Zwilling einfach verschwindet. Das ist natürlich.“ „Was würdet ihr denn fühlen, wenn ihr herausfindet, dass ihr versucht habt, euren eigenen Bruder umzubringen, bevor ihr überhaupt eine Persönlichkeit habt?“ „Aber Spatz lebt doch“ meinte Yami. „Das ist die Hauptsache. Du hast keine Schuld an seiner Entwicklung.“ „Das kann ich langsam auch akzeptieren“ versprach er. „Aber es hat lange gedauert. Erst als du mir erklärt hast, dass ich meine Stärke nicht als Sünde, sondern als Vorteil sehen soll. Weil ich kräftiger bin als er, kann ich ihn beschützen. Das versuche ich auch immer. Nur muss ihm jetzt noch jemand erklären, dass er sich auch beschützen lassen und nicht immer zu Asato rennen soll“ lachte er und überspielte das Problem, welches er schon mal angedeutet hatte. Er wollte seinen Bruder beschützen, aber der tat sich schwer damit, sich einzugestehen, dass er nun mal anders war. Sie waren leider keine typischen Zwillinge. Und je näher man sie kennen lernte, desto mehr zeigten sich die Defizite in dieser Bruderbeziehung. Balthasar versuchte immer, seinem Bruder näher zu kommen, aber Spatz flüchtete sich und zeigte ihm die kalte Schulter. Ob nun aus Eifersucht oder Selbstwertkomplexen oder sonst etwas. Er sprach auch nicht darüber. Aber Balthasar merkte man schnell an, dass er gern mehr tun würde, als sein Bruder ihn ließ. Er würde gern daran arbeiten, ihre Beziehung zu intensivieren und brüderlicher zu gestalten. Oberflächlich gesehen verstanden sie sich gut, aber in ihren Herzen waren sie nicht viel mehr als ein Magier und sein Medium. Balthasar wollte das ändern, aber sein Bruder ließ nichts von seinen brüderlichen Gefühlen an sich herankommen. Und darunter litten sie letztlich beide. „Wir haben ein Reh gesehen!“ Die Tür sprang plötzlich auf und Nini flog herein. Und hinter ihr trottete der ganze Rest der Spazierengeher. „Onkel Noah! Ein Reh! Es war braun!“ „Das ist ja toll“ seufzte Noah, als er mal wieder Opfer wurde und sie ihm auf den Schoß krabbelte. Kinder waren wie Katzen und liebten immer den, der am wenigsten mit ihnen anfangen konnte. „Es war braun und hatte eine schwarze Schnauze. Spatz sagt, alle Rehe haben eine schwarze Schnauze und eine nasse Nase. Er sagt auch, dass Rehe sich mit der Zunge in der Nase bohren können. Stimmt das?“ „Ich glaube schon“ überlegte er. „Kühe können das auch.“ „NEEEEE! ECHT?!“ Was für Erkenntnisse am frühen Morgen! „Hast du das schon mal gesehen?“ „Im Film, glaube ich. Aber ich denke schon, dass sie das können.“ „Die haben ja auch keinen Finger zum Popeln. Ist doch logisch.“ „Hast du ein Glück, dass Seto nicht hier ist“ lachte Joey Phoenix an, als der sich zurück auf sein Bett setzte und die Schuhe auszog. „Warum?“ schaute er besorgt zurück. „Hab ich ihn beleidigt?“ „Nein. Weil du seiner Tochter so komische Sachen beibringst“ grinste er. „Ich kriege jedes Mal einen Arsch voll Ärger.“ „Nini hat sich da was zurecht gedreht“ nahm Tato ihn in Schutz und stellte seinen Stock zur Seite, bevor er sich auf seinem eigenen Bett niederließ. „Wo ist Mama überhaupt? Und Papa?“ „Duschen“ zeigte Yami auf die Tür. „Wie geht’s Oma denn?“ sorgte Sareth sich und kuschelte sich zu ihrem Papa. „Er hat noch geweint letzte Nacht. Habt ihr das gehört?“ „Bist du deswegen zu mir ins Bett gekrochen?“ fragte Tato sie ganz lieb. „Mir war ein bisschen gruselig“ gab sie leise zu. „Ich hab ihn noch nie weinen sehen. Das ist ein komisches Gefühl. Ich konnte gar nichts tun ...“ „Mach dir deshalb keine Sorgen“ tröstete er und legte seine starken Arme um seine junge Tochter. „Das geht wieder vorbei. Er verkraftet so etwas ganz gut. Dein Großvater ist stark, weißt du? Viel stärker als wir beide zusammen. Ich wette mit dir, wenn du ihm ein Brot machst, ist er überglücklich.“ „Meinst du?“ „Bestimmt!“ lächelte er. Er schien nach diesem kleinen Morgenspaziergang ein wenig entspannter als gestern noch. Oder lag es einfach daran, dass er sie trösten wollte? Warum auch immer, er war gut darin. „Du weißt doch, was er gern mag.“ „Genau das Gleiche wie du?“ riet sie ziemlich sicher. „Nutella mit Zucker? Mag er das jetzt schon?“ „Sari mag das nämlich nicht“ erklärte Balthasar. „Sie mag kein Nutella.“ „Was?! Es gibt Drachen, die kein Nutella mögen?!“ Das schockte Joey doch jetzt zutiefst. So was war doch ein Naturgesetz! Sari sank etwas in sich zusammen, als wäre es ihr peinlich, aber Balthasar ließ keine Scham aufkommen. „Dafür stopft sie sich mit deftigen Sachen voll“ grinste er. „Chips, Steaks, Nüsse, Salami, nichts ist vor ihr sicher. Ein Wunder, dass sie so schlank ist.“ „Das ist aber vielleicht ganz normal“ meinte Narla. „Bei vielen Drachenarten ist es so, dass die Weibchen eher Fleisch essen. Sie müssen ja die Babys mit versorgen und brauchen mehr Energie. Die Männchen essen häufig deshalb weniger Fleisch und dafür mehr Früchte, also süße Sachen, die weniger schwer sind, aber trotzdem genug Nährwert haben. Die Weibchen aber brauchen das viele Eisen und Calcium im Fleisch.“ „Es gibt auch einfach Menschen, die lieber salzig als süß essen“ erwiderte Tato in einem überraschend harschen Ton. „Ich meine ja nur ...“ „Ich meine auch gleich was. Wir sind Menschen, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest“ unterband er diese Gleichnisse. Anscheinend war er Seto da sehr ähnlich. Der mochte es auch nicht, wenn er ständig mit irgendwelchen animalischen Thesen behangen wurde. Und Sari war nun mal etwas anders als ihre männlichen Artgenossen. „Streitet euch nicht, sondern packt lieber eure Sachen“ schlichtete Sethan mit einem viel ruhigeren Ton. „Wir wollen bald los, damit wir noch was vom Tag haben.“ Und weiter ging die Reise an den Busen der Natur ... welchen andere eher als Arsch der Welt bezeichnen würden. Mit gepackten Koffern ging es ein Stück durch Feld und Wiesen bis hinter den Bäumen urplötzlich ein riesiger Fjord auftauchte. **masus kleines Lexikon: Fjorde sind eine Art riesige Buchten, die sich manchmal wie Flüsse ins Land fressen, wie ‚Seearme’. Ich war noch nie an einem, würde aber gern mal hin. ^^** Den hatte man gestern in der Nacht von so hoch oben nicht erkennen können, aber jetzt, wo sie vor ihm standen, breitete sich ein unglaubliches Gefühl aus. Die Landenden lagen so weit auseinander, dass man das andere Ufer nicht erkennen konnte und wären nicht die Wellen so hoch gewesen, hätte man denken können, man stünde am Meer. Die Natur hier schien noch so unberührt, als wäre niemals ein Mensch hier gewesen. Ein Gefühl der Freiheit herrschte hier, der Unschuld und der Ruhe. Ein traumhafter Ort und das Wetter spielte auch noch mit. Zwar war es kühl, aber durchaus sonnig und der Wind trug den guten Duft von Salz und Gras mit sich. Da kam man in Versuchung den ernsten Hintergrund ihres Besuches hier zu vergessen. Sie wurden mit samt Gepäck in ein Boot gesetzte und auf den letzten Teil ihrer Reise geschickt. Das Boot war nicht wirklich komfortabel, sondern eher praktisch. Das kleine Häuschen mit den Holzbänken gab Schutz vor Nässe und Wind, während die Fläche draußen eher zum Transport auch größerer Frachten geeignet war. Was sollte man hier draußen auch mit teuren Yachten, wenn man eher auch mal Holz transportieren musste? Doch bei diesem Wetter war es eine Wohltat, an der Reling zu stehen und in die Ferne zu blicken, die Vögel zu beobachten oder sich einfach nur die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Bis auf Phoenix, der ein wenig seekrank wurde und das Ende ihrer etwa einstündigen Fahrt mit blasserem Gesicht als sonst herbeisehnte. Am gegenüberliegenden Ufer angekommen, verabschiedete sich der alte Gustav und doch waren sie auch noch nicht immer nicht vollständig an ihrem Endziel angekommen. Mit samt den schweren Taschen ging es mit Sethan als Führer weiter durch scheinbar unberührte Natur und je länger sie gingen, durch ein weites Feld mit kniehohem Gras, durch ein Waldstück, durch wieder eine hochbewachsene Wiese und wieder zurück in dichtstehende Bäume, desto mehr zweifelten sie daran, ob er überhaupt wusste, wo er sie eigentlich hinführte. Denn Zelte hatten sie nicht dabei, nicht einmal Schlafsäcke. Umso erstaunter waren sie als sie aus dem Waldstück heraustraten und sich am wohl wunderbarsten Ort der Erde befanden. Vor ihnen standen mehrere gemütliche Holzhütten, die in einem beschützend wirkenden Kreis dicht nebeneinander aufgebaut waren. In der Mitte befand sich ein Sandplatz mit Feuerstelle, aber das Beste war die Aussicht. Sie befanden sich mitten auf der Höhe eines großen Hügels an dessen Tal sich ein romantischer See gelegt hatte. Die Ufer waren an einigen Stellen mit Schilf bewachsen und eine kleine Schar Enten flatterten aufgeregt von A nach B. Der blaue Himmel über allem, die unberührte Natur um sie herum und der traumhafte Blick in die Ferne der weiten Felder, verlieh ihrem Hiersein eine unendlich wirkende Ruhe. Allein für den Besuch dieses Ortes hatte sich die weite Reise mehrfach gelohnt. Chapter 22 Da das Wetter schön war und ein wenig wärmer als gestern, machte es richtig Spaß, direkt nach der Hausverteilung durch die Gegend zu streifen und sich in kleineren Gruppen verteilt umzusehen. Aber als die Sonne langsam tiefer hing, wurden sie entweder durch den nahenden Abend zusammengetrieben oder vom Hunger gelockt. Gegen den Abend konnte Yugi nicht viel machen, aber gegen den Hunger. Und was wäre für das Einstandsessen einer so großen Gruppe einfacher als ein kräftiger Eintopf, der über offenem Feuer in einem Hexenkessel zubereitet wurde? „Habt ihr das gesehen? Es gibt hier sogar Pferde“ erzählte Jonny, als er sich zusammen mit Joey zu den anderen auf den Feuerplatz setzte. „Ja, da hinten auf der Koppel“ zeigte Nika in Richtung des Waldes. „Aber Wildpferde sind das nicht. Die sind ganz zahm und laufen nicht mal weit weg.“ „Ich glaube, das sind Nutztiere“ vermutete Seto und nahm schon seine zweite Portion von Yugi entgegen. Aber dafür teilte er ja auch mit dem kleinen Tato, dem er das heiße Essen schnellstmöglich herunterkühlte „In der Hütte neben der Koppel sind nämlich einige Reitutensilien und es steht sogar ein Heuwagen da.“ „Was? Echt?“ staunte Joey. „Hab ich gar nicht gesehen.“ „Wundert mich nicht“ grummelte er und gab dem schmatzenden Kleinen noch einen Löffel von dem guten Eintopf, den sein Papa so liebevoll zusammengebraut hatte. „Ach, heute Abend hab ich keine Lust auf deine Spitzen. Dafür bin ich viel zu entspannt“ lachte er und roch den guten Duft, der aus dem Kessel stieg. „Kriege ich auch was davon?“ „Hier, ein Teller!“ Nini bot sich sofort an und drückte ihm einen Teller aus Eisen in die Hand. „Das ist lecker. Besonders die Erbsen. Die machen ein Grinsen, nä Joey?“ „Genau. Erbsen, Bohnen, Linsen, bringen den Arsch zum Grinsen.“ „Ginsen“ grinste Tato ihn an. „Legga Subbe.“ „Ja, Yugi hat sich mal wieder selbst übertroffen“ schmatzte auch Mokuba zufrieden. „Danke für die Blumen“ lächelte er und aß selbst aus seinem Schüsselchen das Gekochte. „Aber nicht, dass das jetzt zur Gewohnheit wird. Bei so vielen Leuten wäre es ganz nett, beim Kochen etwas Hilfe zu bekommen.“ „Ich helfe dir!“ jubelte Yami. „Ich koche für alle freiwillig!“ „Wir machen Kochdienst pro Haus“ intervenierte Noah SOFORT. „Immer zwei Häuser zusammen im Uhrzeigersinn.“ „Okay, aber wo kriegen wir das Essen her?“ fragte Joey ernsthaft. „Ich meine, hier sind keine Läden zum Einkaufen und zum Jagen melde ich mich nicht freiwillig.“ „Wärt ihr nicht vorhin gleich abgehauen, hättet ihr noch die Erklärungen von Anna mitbekommen“ meinte Narla. „Anna?“ guckte er sie an. „Wer ist Anna?“ „Anna hat hier auf uns gewartet und uns alles gezeigt und erklärt. Aber die meisten waren ja schon auf Erkundungstour.“ „Dann erzähl doch mal, Schwesterchen“ bat Balthasar. „Dann erzählen wir dir, was wir im Wald gesehen haben.“ „Sollten wir nicht erst noch auf Tato warten?“ bat Yugi. „Den hab ich seit vorhin auch schon nicht mehr gesehen. Genau wie Spatz und Sari.“ „Die haben sich hingelegt oder lesen“ erklärte Seto. „Tato hat sich allein hingepackt und Sari und Spatz lesen in der Hütte daneben und machen Hausaufgaben.“ „Immer strebsam“ seufzte Balthasar. „Echt, das ist typisch mein Bruder.“ „So was“ rätselte Noah. „Ich dachte, Sari und Tato teilen sich die kleine Hütte.“ „Tun sie ja auch. Aber jetzt im Moment schläft Tato und da will sie ihn wohl nicht stören.“ „Dann schläft er aber schon ziemlich lange“ bemerkte Yugi. „Ich hab ihn seit der Ankunft nicht mehr gesehen. Sari und Phoenix hab ich wenigstens vorhin im Stall gesehen. Vielleicht sollte ihn mal jemand wecken.“ „Vielleicht ...“ meinte Sethan leise. Ziemlich leise. „Ich geh“ bot Seto sich an, aber Yugi drückte ihn gleich wieder auf seine Sitzbank herunter, damit er gar nicht erst aufstand. „Ich gehe schon“ lächelte und gab ihm einen kleinen Kuss. „Du iss mal in Ruhe auf und lass Tato noch Karotten übrig.“ „Tatotten“ nickte er emsig und strahlte zu ihm rauf. „Legga Tatotten. Is gut. Gib’s einen Gnuuts, Papa.“ „Ja, das gibt einen Knutsch“ lachte er und gab seinem Kleinen einen dicken, lauten Knutsch. „Schön alles aufessen, Großer.“ „Ja. Gib’s mir mehr, Mama“ bettelte er und griff die Hand mit dem Löffel. So flüssige Sachen alleine essen gäbe eine ziemliche Sauerei, wenn denn überhaupt was im Mund ankommen würde. Außerdem war es doch nett, mal gefüttert zu werden. Während Seto also weiter den kleinen Gierschlund fütterte, machte Papa Yugi sich auf den Weg, um den großen Gierschlund zu wecken, bevor der nachher noch die ganze Nacht durchwachte. Als er in der Hütte ankam, sah er seinen Sohn auch tatsächlich ohne Decke und noch in Kleidung langgestreckt auf dem Bett liegen. Seinen Rücken zur Tür gewand und ohne Schuhe. Aber das schwere Atmen kam ihm etwas zu tief vor, als dass es zu einem Schlafenden hätte passen können. Ein kurzer Rundblick ergab, dass Tato weder seine Sachen, noch die Sachen seiner Tochter ausgepackt oder weggeräumt hatte. Das Einzige, was er ausgepackt hatte, waren zwei Weinflaschen, die geleert neben dem Bett lagen. >Super< dachte er sich insgeheim. Er hatte sich also nicht zum Schlafen, sondern zum Saufen zurückgezogen. Vorsichtig setzte er sich zu ihm auf das harte Bett und strich über seine Schulter. „Hey, Großer“ flüsterte er. „Aufwachen. Wir wollen zu Abend essen. Du solltest auch noch was zu dir nehmen.“ „Nein“ zischte er leise, ohne sich zu bewegen. Aber er lallte ein wenig und schien abgekämpft. „Geh weg und lass mich schlafen.“ „Du schläfst doch gar nicht“ beruhigte er in einem sanften Ton. „Steh auf und setz dich etwas zu uns.“ Und seinen nächsten Satz überlegte er sich doch einen Moment, bevor er ihn dann doch brachte. „Oder bist du zu betrunken?“ „Schön wär’s“ flüsterte er leise zurück. „Lass mich allein, Papa. Ich will niemanden sehen.“ „Was ist los, Asato?“ fragte er ihn auf den Kopf zu. „Warum verkriechst du dich hier?“ „Hast du mal in den Himmel geguckt?“ „Das hat mit dem Himmel nichts zu tun, warum du dich zurückziehst und trinkst und hier jetzt so rumliegst.“ „Doch, hat es. Und jetzt geh.“ „Ich werde nicht gehen, Großer“ versprach er und legte sich einfach zu ihm. Er war gerade dabei, sich an seinen Rücken zu kuscheln und ihm nahe zu kommen, da rutschte er demonstrativ ein Stück nach vorn und wollte keinen Kontakt. Doch Yugi hatte gespürt, dass er ganz warm war, fast verschwitzt. Und überhaupt ging ein merkwürdiges Gefühl von ihm aus, was nicht unbedingt etwas mit dem Alkohol zu tun haben musste. Vielleicht doch mit dem Himmel? Natürlich! Es war fast Vollmond und er trug ein männliches Element. Umso ungewohnter aber, dass er sich zurückzog, anstatt nach Nähe zu suchen. Das war doch nicht gesund. „Liegt es am Vollmond?“ fragte er ihn mit ruhiger Stimme. „Ja“ brummte er beleidigt. „Und jetzt geh, bitte.“ „Aber Tato. Großer. Du bist doch nicht der Erste, der seine Mondphase hat. Möchtest du ein wenig kuscheln?“ „NEIN!“ schrie er sauer gegen die Wand. „LASS MICH ENDLICH ALLEINE!“ „Aber du solltest jetzt nicht alleine sein. Es macht mir nichts aus, hier bei dir zu bleiben. Ich hab schon gegessen und ich bleibe gern hier bis zu eingeschlafen bist. Oder wer bleibt sonst bei dir, wenn ihr Zuhause seid?“ „Niemand.“ „Wie? Niemand?“ Das wäre aber ungewöhnlich. Und ziemlich traurig. „Das glaube ich dir nicht“ lächelte er und streichelte beruhigend seinen Nacken. „Oder ist dir Kuscheln mit Papa nicht gut genug? Wen möchtest du jetzt gern hier haben, hm? Ich weiß ja nicht, wie ich in der Zukunft bin, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dich da allein lasse. Also kannst du ruhig ...“ „Hör doch auf zu reden“ bettelte er mit aufgehellter, bebender Stimme. „Geh einfach weg. Ich komme allein klar.“ „Junge, weinst du?“ Yugi wurde hier von einem Gefühl ins nächste gerissen. Sollte er nun böse sein, weil Tato getrunken und ihn angeschnauzt hatte oder sollte er ihn trösten, weil er einsam war und weinte? Auf jeden Fall stand er auf, ging ums Bett herum und sah ihn von der anderen Seite aus an. Und in dem Blick seines Sohnes lag so viel Elend. Seine Wangen waren ganz rot, seine Lippen blass und aufgekaut und in seinen blauen Augen glänzten Tränen, bevor er sie schloss, um es zu verstecken. Es ging ihm schlecht. Nicht nur, weil seine Energien auf ihrem Höhepunkt waren, sondern weil auch sein seelisches Leiden unerträglich war. Und es schien immer schlimmer zu werden, je länger er hier war. Ob es daran lag, dass Risa hier noch lebte oder überforderte ihn die ganze Situation? Er war der Älteste seiner Truppe und alle verließen sich mehr oder weniger auf ihn. Sethan war der mit der Macht, aber Tato war der mit der Erfahrung und er trug als Priester seiner Schwester für alles die Verantwortung. Was auch immer es war, was ihn so quälte, für Yugi war es seine Pflicht als Vater, ihm zu helfen und ihm beizustehen. „Tato, was auch immer mit dir los ist“ sprach er leise und streichelte ihm über den heißen Kopf. „Ich liebe dich. Das weißt du doch, oder?“ „Aber alles hat seine Grenzen. Auch Liebe muss Grenzen haben“ hauchte er kaum hörbar. Seine Stimme gehorchte ihm nicht mehr und er hatte die Wahl zwischen flüstern oder schreien. „Nein, meine Liebe hat keine Grenzen“ versprach er ihm liebevoll. „Du bist mein Sohn und das wirst du immer bleiben. Du bist unser Wunschkind. Dein Vater und ich haben uns einst geschworen, dass vor unserem eigenen Glück immer das Glück unserer Kinder steht. Und das gilt auch, wenn ihr schon erwachsen seid. Was auch immer es ist, wir sind für dich da. Ich bin für dich da.“ „Aber ich war nicht da“ weinte er und schlug schamhaft die Hände vors Gesicht. „Ich konnte sie nicht retten. Ich hab alle im Stich gelassen. Ich hab meine Kinder im Stich gelassen. Ich bin ein scheußlicher Mensch.“ „Nein. Nein, das bist du nicht“ beschwor er ihn und legte sich schnell zu ihm aufs Bett, um ihn in den Arm zu nehmen. „Ach, Tato. Du hast niemanden im Stich gelassen. Du bist kein scheußlicher Mensch.“ „Du hast doch gar keine Ahnung“ schluchzte er und drehte sich auf die andere Seite. Er konnte ihn nicht ansehen. Sein Vater hatte keine Ahnung, wie scheußlich er wirklich war. Wenn er es wüsste ... er würde sich genauso vor ihm ekeln wie er vor sich selbst. „Tato, nicht doch. Du hast ...“ Doch er hatte keine Gelegenheit mehr, seine tröstenden Worte auszusprechen, da klopfte es an der Tür, welche danach sofort aufging. Phoenix kam einen Schritt herein und schaute ein wenig besorgt aufs Bett. „Entschuldigt. Störe ich?“ fragte er zaghaft. „Ich wollte nur Saris Kopfkissen und ...“ Aber da erhob Tato nicht nur seinen Oberkörper, sondern auch seine Stimme, welche zu einem wandbebenden Brüllen mutierte. „VERSCHWINDE!“ donnerte er ihn böse an. „ICH WILL DICH HIER NICHT SEHEN! VERPISS DICH! S O F O R T!” „Asato, ich wollte nur kurz Saris Tasche für heute Nacht holen“ sagte er schnell und wollte hereinhuschen, aber einen eh schon gereizten Drachen noch weiter zu reizen, war eine selten schlechte Idee. „ICH HAB GESAGT V E R S C H W I N D E !!!“ brüllte er und mit einer Handbewegung wurde der schmächtige Junge von den Füßen gefegt und die bereits getanen Schritte rückwärts hinausbefördert, bevor die Tür hinter ihm zugeknallt wurde. „Sag mal, Asato. Spinnst du?“ schimpfte Yugi und griff um ihn herum, um ihn irgendwie bei Sinnen zu halten. Nicht, dass er hier noch das ganze Dörfchen in Trümmer legte, wenn er schon den armen Phoenix anging, der nur ganz kurz nicht mal etwas von ihm direkt wollte. Er wollte doch nur ganz kurz eine Tasche holen und ihn dann wieder allein lassen. Auch wenn es wohl wenig bringen würde, fiel Yugi nichts anderes ein, als ihn einfach festzuhalten. Wie in Kinderjahren, wenn er zur Strafe fünf Minuten auf Papas Schoß stillsitzen musste. Doch, was er dabei eher zufällig erfühlte, glich keiner Kinderreaktion. Er hatte ihn um den Bauch gepackt, aber seine harte Männlichkeit, drückte sich durch den Stoff der Hose und ließ Yugi im ersten Moment zwar nicht erschrecken, aber es durchaus bemerken. „LASS MICH!“ schluchzte er, aber so schnell ließ Papa ihn nicht los. Er umarmte seinen Bauch, störte sich an nichts, drückte sich an ihn und auch wenn er weniger Masse hatte, schien das dem Großen Respekt einzuflößen. Oder er war einfach viel zu geschafft, um sich noch weiter zu wehren und seinen Vater schlagen, das könnte er niemals. Viel eher brachen seine letzten Dämme und er weinte leidlich auf. Er drehte sich vor Scham auf den Bauch und ließ den Tränen freien Lauf. Jetzt war es eh zu spät. „Ich bin so scheußlich!“ verdammte er sich selbst und schluchzte laut. „Ich bin so abartig! So scheußlich!“ Er krallte sich mit seinen Händen in Yugis Arme und weinte, weinte, weinte. „Ich bin so abartig ... scheußlich. So scheußlich ...“ **Hey, Nekoi! Meine treueste Kommischreiberin. Zugegeben, du hattest Recht mit deiner wünschenden Vermutung. Tato und Phoenix ... ts ts ts. XD** Ein paar Stunden später, als es draußen bereits dunkle Nacht war, ging die Tür erneut auf. Aber dieses Mal konnte Tato nicht losbrüllen, da er bereits schlief und er hätte es wohl auch nicht gewagt, denn es war Seto, der seinen Kopf hereinsteckte. Und der sah auch nur ein warmes Feuer im Kamin brennen und hörte das Schnarchen seines Sohnes, der dort in Yugis Armen lag und im Schlaf seinen Kopf gestreichelt bekam. Trotz dieses lieblichen Scheins, schien es ein sehr einsames Bild zu sein, da auch in Yugis Blick Sorge lag. „Hallo, Liebling“ flüsterte er als Seto leise eintrat und die Tür hinter sich mit einem kleinen Klicken schloss. „Schläft er?“ nickte er auf das schnarchende Etwas. War wohl eher eine rhetorische Frage. „Tief und fest. Komm, setz dich“ nickte er und ließ ihn langsam zu ihm herüberkommen. „Er hat sich in den Schlaf geweint. Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.“ „Das glaube ich auch“ erwiderte Seto und gab doch zuerst Yugi einen kleinen Kuss, bevor er sich neben ihn auf das recht breite Bett setzte. „Sari schläft jetzt bei uns. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil sie gar nicht mehr gehen zu wollen schien. Und da hat sie mir erzählt, dass Tato zu jeder Mondphase allein sein will. Und ich traf eben draußen Sethan und er hat das bestätigt. Er schien auch zu wissen, weshalb das so ist, aber er wollte es mir nicht sagen.“ „Ich glaube, Sethan weiß sehr viel mehr als er uns sagen wird. Er deutet es viel mehr an, indem er sich bei einigen Themen einfach herauszieht. Aber ich glaube, ich komme dem langsam auf die Spur, weshalb unser Sohn so depressiv ist.“ „Spurenleser Yugi“ meinte Seto zynisch. „Schwer zu erraten ist es ja nun wirklich nicht. Er ist in Trauer und gibt sich die Schuld für den Tod von Frau und Kind. Und ich kann ihn sogar verstehen. Wenn du und Nini sterben würdet, obwohl ich in der Nähe bin ... ich wäre wahrscheinlich nicht mal so stark wie er.“ „Doch, das wärst du. Solange noch ein Kind da wäre, würdest du zögern mir zu folgen“ war er fest überzeugt und nahm lächelnd seine Hand. „Erst kommen unsere Kinder, dann wir. Und ich würde dir eine Möglichkeit geben wollen, dich ein zweites Mal zu verlieben.“ „Ich könnte niemals jemand anderen lieben als dich“ schwor er mit traurigem Blick. „Ich liebe auch nur dich in meinem Leben bis in den Tod“ lächelte er. „Als du gestorben bist, hast du mir gewünscht, dass ich mich eines Tages glücklich in eine Frau verliebe und nicht ewig trauere. Obwohl ich nur leben wollte bis die Kinder selbstständig sind. Dennoch fühle ich genau wie du. Ebenso würde ich es mir für dich wünschen, dass du eine Frau findest, die du lieben kannst und die dich liebt. Die wahre Liebe erfüllt sich nur darin, wenn auch der andere glücklich ist.“ „Ich finde, es stirbt einfach keiner von uns mehr“ beschloss Seto. „Ich will nicht ohne dich leben und ich will auch nicht, dass du jemand anderen als mich liebst ... solange ich am Leben bin oder du eine gewisse Trauerzeit eingehalten hast zumindest. Oder ist das zu selbstsüchtig?“ „Nein, bestimmt nicht“ beruhigte er und drückte seine Hand. „Am besten bleiben wir zwei einfach zusammen, hm?“ „Okay“ lächelte er und bekam plötzlich ganz rote Wangen und einen verträumt verliebten Blick. „Bleiben wir zusammen.“ „Die beste Idee des laufenden Jahrtausends“ schmunzelte er. „Ich hab bestimmt den süßesten Ehemann der Welt.“ „Ich bin nicht süß“ murrte er und ließ beschämt seine Hand los. „Ganz wie du meinst, Süßer“ neckte er noch ein Mal, bevor er dann wieder einen etwas ernsteren Ton in die Stimme legte. „Du sagtest, Tato wäre zu jeder Mondphase allein?“ „Hm, stimmt“ nickte er und sah ihn besorgt an. „Aber Sari sagte auch, dass das nicht immer so war.“ „Vielleicht seit Risas Tod?“ „Nein. Das dachte ich auch, aber das ist erst seit ungefähr ein oder zwei Jahren so. Von einem Monat auf den anderen hat er angefangen, sich zurückzuziehen und verbannt jeden, der zu ihm will.“ „Das glaube ich nicht mal ganz so, dass er gar keinen bei sich haben möchte. Dafür hat er sich zu sehr an mich gekrallt“ mutmaßte Yugi. „Ich glaube, er will nur Spatz nicht bei sich haben.“ „Aha“ schaute er ihn überrascht an. „Und was lässt dich das glauben?“ „Mich hat er nicht sofort rausgeworfen“ erzählte er. „Aber als Spatz reinkam, ist er vollkommen ausgeflippt. Er hat ihn sogar mutwillig vor die Tür gepustet, obwohl er nur schnell eine Tasche holen wollte. Und ich hab gemerkt, dass er auf ihn ... na ja, dass er auf ihn reagiert hat.“ Setos Blick nach zu urteilen, verstand er den Unterton da nicht so ganz. Seine Augen sprachen manchmal ganze Sätze. Und in diesem Moment sagten sie, dass er den Worten nicht folgen konnte. „Du weißt schon“ versuchte er zu umschreiben. „Es war alles in Ordnung, er war nur niedergeschlagen und ein wenig angetrunken. Aber als Spatz reinkam, hat er ihn möglichst schnell vertrieben und er ist ...“ Er lehnte sich zu ihm herüber, denn obwohl Tato laut schnarchte, musste er es ja doch kulanter Weise nicht überall herum brüllen. „Er ist hart geworden. Da unten.“ Seto lehnte sich wieder zurück und blickte Yugi einen Augenblick sehr viel undeutbarer an. Überrascht war er in jedem Falle und vielleicht auch peinlich berührt. „Aber Yugi“ flüsterte er leise zurück. „Das passiert doch nur, wenn ... du weißt schon.“ „Wenn man jemanden leidenschaftlich liebt. Ich weiß“ ergänzte er wissend. „Bei dir und Seth ist das ja eh gleich, weil ihr euch von unseren Energien angezogen fühlt. Würdet ihr uns aber nicht begehren, würde euch schlichtes Kuscheln auch reichen. Diese sexuelle Seite hat nur etwas mit der Energie der leidenschaftlichen Liebe zu tun. Sethos kann man da nicht wirklich vergleichen, weil er damals Rah in uns gespürt hat. Seine Gefühle und sein Körper ticken da wohl anders. Aber bei Tato liegt da die Vermutung doch sehr nahe, dass diese herbe Reaktion doch einen Grund hat.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen“ meinte Seto und blickte auf seinen schlafenden Sohn herab. „Aber überleg doch mal, Liebling. Risa ist jetzt seit über zehn Jahren tot und in Spatz hat er den Ersatz für seinen eigenen Sohn gefunden. Jemanden, den er anstatt von Dashi mit seiner Liebe verwöhnen kann. Es kann doch sein, dass je älter Spatz wird, dass er damit auch zu einem Ersatz für Risa wird. Nein, Ersatz klingt so hart und trifft es auch nicht ganz. Im Grundsatz ist es doch nicht ungewöhnlich, sich nach einer langen Trauerzeit neu zu verlieben.“ „Aber Spatz ist ... warte, er ist jetzt 16 und Tato 39. Das sind 23 Jahre Unterschied. Ich hab ja nichts gegen Altersunterschiede, aber meinst du nicht, dass das etwas sehr viel ist?“ „Was meinst du, weshalb er sich so verhält?“ fragte Yugi zurück. „Spatz hat doch Narrenfreiheit bei ihm. Er hat ihm sogar auf eine gewisse Art etwas zu sagen, worauf er hört. Er will zur Mondphase allein sein, aber er kann schlecht sagen, dass er nur Spatz nicht bei sich haben will, wo er doch sonst alles darf. Also klammert er sich an seine Trauer, daran, dass er verheiratet ist und ein Kind hat. Der Altersunterschied tut da sein Übriges und er flüchtet sich in Depressionen.“ „Du spinnst dir da was zurecht“ meinte Seto. „Ich kann mir das nicht vorstellen. Tato liebt Risa. Er trägt sogar seinen Ehering noch.“ „Das heißt ja auch nicht, dass er aufhört, sie zu lieben. Aber es kann doch sein, dass sein Herz sich nun jemand anderem öffnen möchte. Er kämpft zwischen Liebe, Treue und Vernunft.“ „Yugi ...“ schüttelte er den Kopf. „Du siehst Gespenster.“ „Und wie erklärst du dir seine körperliche Reaktion auf nur den Anblick? Seto, da steckt irgendwas, was an ihm frisst und was er sich nicht eingestehen will. Und ich werde versuchen, herauszufinden, was das ist.“ „Ich möchte das ja auch, aber ...“ „Kein Aber“ bat er und sah ihn bittend an. „Tato ist unser Sohn und er braucht uns jetzt. Es ist unsere Pflicht, ihm zu helfen. Ich weiß nicht, warum wir ihm in der Zukunft nicht helfen können, aber da er jetzt hier ist, haben wir doch ganz andere Möglichkeiten. Wir müssen hier keine Angst haben, es uns mit ihm zu verderben. Wir beide haben hier eine gewisse Distanz zu ihm und das gibt uns die Möglichkeit durchzugreifen.“ „Das hört sich an, als ob du ihn ins Gefängnis sperren willst.“ „Das nicht, aber ich werde ihn zur Rede stellen“ beschloss er und griff nach Setos kalter Hand. „Und ich hoffe, dass du mit mir am selben Strang ziehst. Es gibt so vieles, was wir noch nicht über unseren Sohn wissen, aber ...“ „Aber vielleicht kann Nini uns das sagen.“ Jetzt war es an Yugi, mal merkwürdig zu schauen. „Wie?“ „Ich hab Sethan getroffen und er hat mir das hier gegeben. Warte.“ Er stand kurz auf, griff in seine Gesäßtasche und setzte sich wieder, während er Yugi einen gefalteten Brief hin hielt, der den auch gleich an sich nahm. „Er sagte, wir sollen ihn lesen, wenn wir in Ruhe unter uns sind. Er ist von Nini aus der Zukunft.“ „Wir sind ja jetzt mehr oder weniger unter uns“ meinte er und öffnete den Umschlag, um zwei beschriebene Seiten aus Büttenpapier zu entfalten. „Yugi, aber Tato ...“ „Solange der schnarcht, hört er uns nicht zu. Das ist bei dir auch so.“ „Yugi!“ „Ja ja, ich weiß“ lachte er und schenkte ihm einen kurzen Blick. „Soll ich vorlesen?“ „Hm“ brummte er leise, was einfach mal als Zustimmung zu interpretieren war. „Also“ räusperte er sich und begann dann mit ruhiger Stimme zu lesen. „Geliebter Papa Yugi, geliebter Papa Seto. Sicher wundert ihr euch, dass ihr einen Brief von mir bekommt. Aber wunderlich ist im Augenblick ja ohnehin vieles. Ich wünschte, ich hätte selbst mit den anderen gehen können, um euch nochmals ganz jung zu sehen, aber es ist besser, wenn ich hier bleibe und wir drei Pharaonen versuchen, die Energien im Gleichgewicht zu halten. Was im Augenblick sehr schwer ist. Tod und Seuchen ziehen sich über die Erde und die Angst der Menschen ist groß. Unsere einzige Chance sehen wir darin, die Vergangenheit zu verändern. Bevor Seth zu so großer Macht kommt. Mein Sohn hat euch sicher schon einige Rätsel aufgegeben, die ich euch leider auch nicht auflösen kann. Wie sein Vater gibt er mir jeden Tag mehr Rätsel auf. Aber ich vertraue ihm und weiß, dass er seine scheinbar grenzenlose Macht im Sinne des Guten einsetzen wird. Ich schreibe euch auch nicht, um über Sethan zu sprechen, sondern wegen meines Bruder Priesters. Wenn mein Sohn mich richtig verstanden hat, sind nun schon einige Tage ins Land gezogen, an welchen ihr den alten Tato kennen lernen konntet. Und ich bin mir sicher, dass mit diesem Kennenlernen auch gewisse Sorgen einhergehen. Um ehrlich zu sein, habt ihr auch überlegt, euch selbst einen Brief zu schreiben und um Hilfe zu bitten. Dadurch, dass ihr weniger auf Tatos Wohlwollen angewiesen seid als wir hier, habt ihr ganz andere Möglichkeiten. Es hört sich gemein an, aber ihr könnt es riskieren, dass er sich von euch abwendet. Wir hingegen nicht, denn wir brauchen ihn. Ich brauche ihn, um meinen Sohn zu schützen und muss ihn daher ein wenig gnädig stimmen. Obwohl er mir seit Jahren ein treuer Priester ist, hat er eine gewisse Eigenwilligkeit nie aufgegeben, was mir in vielen Momenten sehr geholfen, aber in manchen Situationen auch einiges erschwert hat. In erster Linie erschwert er es sich selbst am meisten und ihn so zu sehen, bereitet uns allen große Sorgen. Die Wenigsten wissen, was wirklich in ihm liegt, aber wir wissen es. Er hat es uns niemals gesagt, aber wir wissen es und können es ihm doch nicht sagen, weil er sich aus lauter Angst vor unserer Ablehnung, selbst von uns abwenden würde. Seufz, ihr kennt ja sein verqueres Denken. Und doch weiß ich, dass auch ihr es allzu schnell herausfinden werdet, denn Drachen sind schlechte Geheimnishüter. Aber auch seinetwegen schreibe ich euch nicht direkt, sondern letztlich wegen Sareth, unserer kleinen Sari. Sie leidet nach Tato am meisten unter seiner Unzufriedenheit und für sie möchte ich euch um Hilfe bitten. In ihr steckt mehr, als sie selbst weiß. Sie spürt es, aber sie fürchtet sich davor, ihre Grenzen auszutesten. Sie ist erst zwölf und hängt sehr an ihrem Vater. Sie würde niemals etwas tun, was ihn verletzen würde. Und am schwersten würde es ihn verletzen, wenn sie sich von ihm entfernt. Aber genau das muss sie tun, um selbstständig zu werden und ihre Macht zu entdecken. Und Tato macht leider den Fehler, sie zu sehr beschützen zu wollen. Der Verlust von Risa und Dashi lässt ihn Sari nicht loslassen und das ist falsch. Sie ist eine Magierin und wenn sie ihre Magie nicht auslebt, wird es sie irgendwann krank machen. Und sie ist ein Drache, jedoch hat sie ihre drakonische Seite noch immer nicht angenommen, geschweige denn sie entfaltet. Wir in unserer Zeit kommen an dem Patriarchen Asato leider nur schwer vorbei, ohne dass es in Streit ausartet. Ihr aber habt mehr Handlungsraum. Deshalb unsere Bitte. Nehmt euch eurer Enkelin, meiner Neffin an und stärkt sie für kommende Kämpfe. Zeigt ihr, dass Magie nichts Böses ist und dass sie den Drachen in sich akzeptieren lernen muss, dass sie daraus nur Stärke ziehen kann. Löst sie aus Tatos krallendem Griff und gebt ihr ein eigenes Stück Selbstständigkeit. Ich habe größtes Vertrauen in euch, dass ihr den richtigen Weg finden werdet. Lasst mich euch zuletzt noch sagen, wie sehr ich euch liebe und wie dankbar ich für alles bin, was ihr für mich und Sethan tun werdet. Ihr seid mir und Tato immer gute Eltern gewesen und seid es noch. Ich danke Rah dafür, dass ich euch finden durfte und dass ihr mir und jetzt auch meinem Sohn ein warmes, beschütztes Zuhause und eure eigenen Werte gebt. Ich danke und ich liebe euch. Tausend Küsse, eure Nini. P.S. Hey, Yugi! Hier ist Yami! Mir geht’s trotz allem gut. Lass es krachen, Mann!“ las er dann mit einem überraschen Lachen vor. „Ja, das ist typisch Yami.“ „Nini hat eine schöne Schrift“ meinte Seto und sah verträumt diesen Brief an. „Sie sagt, dass sie uns liebt.“ „Sie sagt schöne und traurige Dinge“ seufzte er und faltete den Brief sorgsam zusammen, um ihn in seiner Hemdtasche verschwinden zu lassen. „Was meinst du? Wollen wir versuchen, Sari und Tato zu helfen? Ich meine so ganz nebenbei zur Weltenrettung?“ „Und zur Rettung von Seth“ erinnerte er etwas bedrückt. „Warum läuft nur wieder alles schief? Mein Yami dreht völlig durch, mein Sohn trinkt und verhält sich sonderbar, meine Enkelin hat kein Selbstbewusstsein und überhaupt. Warum immer wir?“ „Weil du ein Pechvogel bist“ tröstete er ihn mit einem aufbauenden Lächeln. „Aber wir haben uns. Wir sind verheiratet und glücklich verliebt. Und wir sind alle gesund. Das ist doch eine gute Grundlage, oder?“ „Ich liebe dich so sehr“ antwortete er mit einem eisblauen Blick. „Wirklich, Yugi. Du bist mein Leben.“ „Das hört sich doch gut an.“ Er beugte sich zu ihm herüber und ließ sich einen kühlen Kuss auf die Lippen hauchen. „Und morgen suchen wir uns eine ungestörte Stunde und haben uns mal wieder lieb, ja?“ „Yugi“ grummelte er und strafte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. Musste er denn immer sofort an das Eine denken? Grrr, das war so typisch! Chapter 23 **Okay, ich war lang am Überlegen, ob ich das hier wirklich schreiben soll, denn ich persönlich finde das schon zu extrem. Aber ich bin noch jemanden beim Thema „Buch“ etwas schuldig. Und ich bin mir sicher, die betreffende Person, weiß, wem das hier gewidmet ist. Die alte Lemon-Sau. ^^ Und für alle anderen ist das nur was für zwischendurch, was man sonst auch überspringen kann. Ich empfehle sogar, es zu überspringen ...** Seto wusste ja gar nicht wie ernst es Yugi damit war, sich ein wenig Zeit zu zweit zu nehmen und sich lieb zu haben. Noch saß er ganz ahnungslos in dem Haus, welches sie zum Gemeinschaftshaus erklärt hatten. Bei offener Tür und offenen Fenstern ließ er die kühle Luft herein und Marie, welche neben ihm mit einem MP3-Hörbuch in den Ohren saß, hatte sich vorsorglich eine Decke genommen, um nicht auszukühlen. Alle anderen waren draußen irgendwo zugange, jagten Vögel, gingen fischen, hackten Holz, gingen spazieren oder machten sonst was, was man bei schönem Frühlingswetter eben im Freien tun konnte. Bis jetzt war es ja fast ein bisschen wie Urlaub. Aber Seto und Mie war das zu viel Gehampel und so suchten sie eben Ruhe. War ja auch mal gut. Na ja, bis Yami hereintanzte und mit zwei stampfenden Schritten geschockt in der Tür Halt machte. „SETO!“ „Schrei nicht so.“ Der dösende Drache öffnete seine tiefblauen Augen und blickte ihn mürrisch an. „Hier ist Ruhezone.“ „Was machst du hier?“ „Mein Abitur, siehst du doch“ erwiderte er platt. „Verzieh dich.“ „Sei mal nicht so. Ich freue mich ja, dich zu sehen.“ Er kam trotzdem herein, setzte sich neben Mie auf die Couch und lehnte sich wärmesuchend an sie, wurde sogar müde in den Arm genommen. Sie hörte ihn ja eh nicht, aber Yami zu kuscheln war immer ne gute Wahl. „Seto, warum bist du nicht bei Yugi?“ „Dasselbe könnte ich dich fragen.“ Eigentlich war Kuscheln mit Yugi ne schöne Sache. Aber der wollte doch lieber mit Nini Blumenkränze flechten. Oder nicht? „Ich war bis eben bei Yugi“ antwortete er und auf seinem Gesicht breitete sich ein freches Grinsen aus. „Wir haben uns ein Buch angesehen und dabei ist er auf Ideen gekommen.“ „Buch“ wiederholte er wertungsfrei und musste noch mal seine Augen öffnen um seine mürrische Ader zu unterstreichen. „Was für ein Buch?“ „M e i n Buch“ antwortete Yami voller Freude. „Es wird bereits gedruckt und ab dem nächsten Monat in den Läden zu finden sein. Aber mit Yugi hab ich schon mal den Vorabdruck begutachtet und wir sind sehr zufrieden. Und auf Seite 84 war er dann am Überlegen, ob du das nicht auch gut finden würdest.“ „Seite 84.“ Ihm war spontan entfallen, um welches Buch es sich hier überhaupt drehte. Was wollte Yami überhaupt von ihm? „Oh ja. Seite 84“ grinste er. „Ich hab es ‚Die Passion des Uke’ genannt. Yugi zweifelte erst ein wenig, aber ich hab gesagt, du findest es sicher gut. Tja, und jetzt sucht er dich.“ „Seite 84 ...“ Obwohl er gerade dösig war, musste er nun doch sein Köpfchen mal anstrengen. Yamis Buch ... Yamis Buch ... Yamis Buch ... Yamis Buch ... OH GOTT! YAMIS BUCH!!! Dieses Werk der Unterwelt! Die Bibel der Wahnsinnigen! Das Inhaltsverzeichnis des Index für jugendgefährdende Schriften. Yamis Buch!!! „Ich sehe, du weißt, was ich meine“ lächelte er. „Hab keine Angst. Ist alles von mir persönlich getestet und für gut befunden. Stiftung Ati-Test sozusagen. Du wirst es lieben.“ „Du hast Yugi nicht auf irgendwelche Ideen gebracht!“ „Och, ich glaube, er brauchte nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung“ griente er fröhlich. „YUUUUUGIIIIIIII! ER IST HIIIIEEEEHIIIIIIEEEER!“ „Pscht! Willst du wohl ruhig sein?“ Oh je! Wenn Yami und Yugi zu lange zusammengehockt hatten, ging das meistens sehr anstrengend für ihn aus. Das musste ja nun wirklich nicht sein, dass er heute noch gequält wurde. Also jumpte er zu Yami auf die Couch, drückte ihn runter und hielt ihm den Mund zu. Hoffentlich hatte Yugi noch nichts gehört! Während Marie nur überrascht schaute und sich die Stöpsel aus den Ohren nahm. „Was ist denn mit euch schon wieder?“ Also wirklich. Ewig diese Kabbeleien zwischen ihnen. War ja schlimmer als mit Seth. Yami räkelte sich genüsslich unter ihm und seine Augen bekam ein kleines Blitzen, genau wie Seto an seiner Handfläche ein dreckiges Grinsen spürte. Unglaublich. Selbst in dieser Situation bekam er noch schmutzige Gedanken. Und als Yami begann, sein Becken kreisen zu lassen, sprang Seto dann doch wieder auf und brachte sich erschrocken in Sicherheit. Als Yamis Mittagessen wollte er wirklich nicht enden. „Na?“ grinste der ihn an. „Keine Lust mehr, mich zu besteigen?“ „Lass mich!“ Er wollte sich umdrehen und hinausstampfen, als er auf halbem Wege Yugi fast umrann, der ihm durch die Tür entgegenkam und überrascht zurücktaumelte, nachdem sie zusammenstießen. „Du auch noch!“ rief Seto verzweifelt. „Seid ihr denn überall?“ „Hallo erst mal“ schaute der etwas planlos. „Was ist denn mit euch schon wieder?“ „Gefunden“ grinste Yami. „Ich hab ihn gefunden. Kannst ihn jetzt abschleppen. Den süßen Uke.“ „Ach so. Ja“ schaute Yugi an ihm hinauf und setzte sein unschuldigstes Lächeln auf. So unschuldig, dass Seto monströse Angst bekam. Diese süßen, großen Augen verbargen ein Ungeheuer. „Kommst du mal kurz mit, Liebling?“ „Ah! Ich hab Angst!“ quietschte er und wurde ganz blass. „Bitte nicht flachlegen.“ „Hat Yami dir Angst gemacht? Oh, mein Süßer“ lächelte er ihn mit einem mitleidigen Schmunzeln an. „Brauchst du nicht. Ich hab da was entdeckt, was ich dir gern zeigen würde.“ „Ich will nichts sehen. Nie wieder.“ „Ach, Seto“ seufzte Yugi und stützte die Hände in die Hüften. „Muss ich jetzt wirklich meine ‚Du kannst mir vertrauen’- und ‚Hab ich dir jemals wehgetan’-Leier loslassen oder kommst du freiwillig mit?“ Da war was Wahres dran. Yugi hatte ihn nie enttäuscht, ihm niemals wehgetan. Egal wie groß seine Angst schon gewesen war, egal wie viel Respekt er vor unbekannten Dingen hatte - bei ihm war er immer sicher aufgehoben gewesen. Und letztlich war er immer zufrieden eingeschlafen. Trotzdem machten ihm diese unschuldigen Augen Angst. Er wollte doch nur in Frieden dösen und nicht ... so was. „Freiwillig“ antwortete er dann gezwungen. Wenn Yugi erst begann, ihn mit seinem Vertrauensgequatsche dicht zu labern, würde sonst noch all seine Vorsicht hinwegfahren. Und das wollte er gerade nicht riskieren. Denn er wüsste, ihm stand kein Blümchensex bevor. Nicht bei diesem unschuldigen Blick. Das Beste war es, ganz brav zu sein - dann bekam er schneller seine Ruhe. Sich zu zieren, machte Yugi nur noch wilder. „Sehr schön.“ Er nahm seine Hand und zog ihn hinaus. „Danke fürs Lautgeben, Yami.“ „Lass es krachen!“ feuerte er ihn an als sie entschwanden. „Und wenn’s ihm gefällt, will ich das nächste Mal zugucken.“ Zugucken? Äh ... Hilfe? Nur eine Viertelstunde später fand Seto seine letzte Hoffnung auf Flucht vereitelt. Nein, er war nicht gefesselt. Er wurde auch nicht festgehalten. Und die Tür war auch nicht abgeschlossen. Das Problem war, dass er sich sehr wohl fühlte. Wo seine Kleidung lag, wusste er nicht genau, denn er hatte genug damit zu tun, seinen Kopf festzuhalten, damit der nicht in die Wolken entschwebte. Denn er musste feststellen, dass er sich gefährlich leicht hatte auf dem Laken drapieren lassen, während Yugi sich nur sein eigenes Hemd ausgezogen hatte. Das Bett war frisch bezogen und roch so gut nach dem Waschmittel Daheim. Außerdem lag ein frühlingsguter Duft in der Luft, die sich in diesem recht kleinen Raum langsam aufwärmte. Ihre Hütte war wirklich nicht so schrecklich groß. Es reichte gerade mal für ein großes Bett, in dem die Kinder mitschlafen konnten, ein kleines Sofa mit einem Sessel und einem niedrigen Holztisch. Der Kamin war nicht angefeuert, aber Yugi hatte die Duftlampe angemacht, um dem krassen Geruch des Holzes entgegenzuwirken, welches ihn hier mehr störte als Zuhause. Und vor allem hatte er sich seinen Liebling schön hingelegt, als wäre er ein lecker Nachtisch. Er trug schon keinen Stoff mehr am Leib, lag unter ihm auf dem harten Bett und seine Brust hob sich so verführerisch beim tiefen Atmen. Langsam erhob Yugi sich und blickte auf ihn nieder. Was für ein hübscher Mann er doch war, sein Körper geradezu perfekt. Seine Haut war hell und darauf schimmerte ein zarter Glanz von Schweiß, obwohl es noch gar nicht so schrecklich warm war. Aber seine Wangen waren schon dunkelrot von der aufsteigenden Erregung, seine Lippen feucht und sie bebten. Er hatte seine Arme ausgestreckt und streichelte das weiße Laken unter ihm, welches seine rosige Haut noch unterstrich. Yugi konnte nicht anders und legte seine Fingerspitzen an die zitternden Lippen und ließ sie sich küssen. Wie wunderbar hart sein Mund war, wie heiß sein Atem, wenn seine Zunge gierig die Spitzen seiner Finger hereinlockte. Eigentlich war er schon so weit, alles für ihn zu tun. Die Scham war von ihm abgefallen und der Drache wusste, wenn er lieb war, bekam er schneller, was er wollte. Aber heute hatte Yugi beschlossen, ihn mehr zu fordern als sonst. Das Vorspiel war ne schöne Sache und für Yugi eigentlich immer das schönste am Sex. Dann konnte er beobachten, wie sein Liebling den Widerstand aufgab und sich ihm irgendwann bedingungslos hingab. Dieser besondere Moment war unbezahlbar. Seto persönlich mochte den Hauptakt lieber, weil er dann nicht mehr viel aufgeben musste und sich in die Ekstase fallen ließ. Dann war ihm eh alles egal. Schämen tat er sich immer erst hinterher. Aber nun wollte Yugi sehen, ob er auch einen etwas speziellen Hauptakt als angenehm empfand oder ob noch irgendwo eine Grenze lag, die er sich bewahren wollte. War er ihm wirklich ganz und gar verfallen oder wurde es ihm irgendwann doch zu viel? Hatte sein Liebling noch irgendwo eine natürliche Barriere oder konnte er alles als schön empfinden, wenn es nur von Yugi kam? Wobei ... wenn Yugi bedachte, dass er selbst Schmerz als natürlich empfinden konnte, tippte er doch eher auf die ‚Ganz und gar verfallen’-Theorie. Auch wenn er irgendwo noch hoffte, dass es ihm irgendwann zu viel wurde. Das wäre nämlich eigentlich nur normal. Umso mehr war das heute ein Experiment, welches sich beiderseitig lohnte. „Yhu-chan ... nhicht“ hauchte er leise als Yugi ihm seine feucht geleckten Fingerspitzen entzog und langsam sein Brustbein hinabfuhr, seine Hand an die rechte Seite seiner breiten Brust legte und mit Genuss über die bebenden Muskeln strich. „Schschd. Noch nicht“ lächelte er und blickte in seine lustgetränkten Augen. Er sah einen Schleier darüberliegen, der wie Schneeflocken über dem Winterhimmel glänzte. Er war so schön und er gehörte ihm ganz allein. Das größte Geschenk, welches ihm das Leben jemals machen konnte. „Bhitte ... Yhu-chan“ bettelte er mit hauchender Stimme, legte seinen Kopf zurück und winkelte seine Beine zitternd an. Er war erregt. Genug, dass Yugi endlich loslegen konnte. Aber warum zögerte er dann noch? „Bhitte ... whillst du nhicht ...?“ „Doch, ich möchte sehr“ lächelte er und kreiste mit seinem feuchten Zeigefinger um die harte Knospe, rang seinem Liebling ein helles Stöhnen ab. „Aber heute möchte ich etwas anderes ausprobieren. Und ich will dich dabei sehen ...“ Das wollte er wirklich. Er wusste, dass es vielleicht etwas heftig war, aber er wollte einfach seine Reaktion sehen. Am liebsten natürlich positiver Art. „Bhitte ... nhimm mhich ... thief ...“ flehte er mit glänzenden Augen. „Wharum ...?“ „Nicht fragen. Vertrau mir einfach“ lächelte er, beugte sich herab und beruhigte ihn mit einem tiefen Kuss. Auch wenn ihn die warme Zunge in seinem Mund nicht wirklich ruhiger werden ließ, sondern eher das Gegenteil provozierte. Er massierte seine Brustwarzen und als sein Liebling den Kuss zu fest ansaugte, kniff er kurz hinein, um ihn keuchen zu lassen. So wurde er ihn auch wieder los. Er atmete schwer und sah ihn schuldzuweisend an. Er verstand einfach nicht, was noch von ihm erwartet wurde. Er war doch schon brav, legte sich widerstandslos aufs Laken und gab sich hin. Was sollte er denn noch tun? „Schau mich nicht so an“ schmunzelte er. Ja, auch Yugi hatte eine kleine, sadistische Ader. Er strich ihm durchs Haar und kraulte ein wenig hinter seinem Ohr. Er wusste, dass sein Liebster das gern hatte. „Sag, Liebling. Vertraust du mir?“ „Ja ...“ antwortete er etwas zögerlich. „Whas hast du vhor?“ „Ich habe vor, dass du dich sehr gut fühlst“ lächelte er und strich liebevoll über seine Wangen. „Hab keine Angst. Ich bin ganz vorsichtig.“ „Seite 84 ...“ fiel ihm mit großen Augen ein. Verdammt noch mal! Das war doch alles auf Yamis Mist gewachsen! „Genau. Seite 84.“ Yugi freute sich und noch bevor Seto großen Protest anmelden konnte, wurden ihm die Worte in einem Kuss gestohlen. Jetzt beugte Yugi sich weiter über ihn, kletterte ganz aufs Bett und schlug sein Bein herüber, sodass er fast auf seinem Bauch saß und ihn doch nur mit den Lippen berührte. Zumindest so lang bis Seto seine Arme griff und ihm mit dem Kopf folgte, als er sich losreißen wollte. Früher war er süchtig nach vielen Dingen. Jetzt war er nur noch süchtig nach Yugis Küssen. Er konnte nicht aufhören und wollte immer nur mehr davon. Selbst stundenlanges Küssen reichte ihm nicht aus. Er könnte tausend Jahre lang seine Lippen berühren und es wäre noch nicht genug. Dafür war seine Süße einfach zu zuckersüß. Doch Yugi ließ sich die Führung hier nicht nehmen. Jetzt musste er sehen, wie unterwürfig sein Drache wirklich war. Deshalb hatte Yami diese Seite ‚Die Passion des Uke’ genannt. Seiner Meinung nach waren die beiden das perfekte Paar dafür. Seto liebte es, den passiven Part zu übernehmen und Yugi hatte schmale, grazile Hände und die nötigen Führungsqualitäten. Außerdem vertrauten sich beide bis ins allerletzte Gefühl. Beste Vorraussetzungen. Und er irrte sich selten in solchen Dingen. Auch wenn Yugi dabei ein wenig mulmig wurde, da vertraute er auf das Urteil seines Yamis. Er legte seine Hände an Setos Brust und drückte ihn sanft herunter, während er sich selbst aufrichtete. Diese Küsse zu beenden, war nicht immer leicht. Aber er entschädigte ihn alsgleich dafür mit feuchten Zungenspielen um seine zarten Nippel, saugte daran und hörte das süße Stöhnen seines Lieblings. Seine dunkle Stimme konnte so wunderbar hell werden. „Wenn es dir zu viel wird, sagst du es, ja?“ bat er und blickte ihn liebevoll an. Auch wenn er das Gefühl hatte, dass er ihm gerade nicht wirklich zuhören konnte. „Tu es wirklich. Wenn du nicht mehr willst, sag es sofort. Okay?“ „Okhay ...“ Aber in diesem Augenblick konnte er sich nicht vorstellen, dass er irgendwas nicht wollte. Er ließ sich seine Beine bereitwillig spreizen als Yugi tiefer glitt und über die feuchte Spitze seiner Männlichkeit leckte. „YHU-CHAN!“ keuchte er, sank mit dem Kopf zurück und atmete tief. Er fühlte seinen Anus pochen und wollte nur noch das Eine. Nur noch die totale Vereinigung mit ihm. Die Lust, die sie brachte und endlich dieses Hoch der Gefühle, wenn er Yugis Kraft spürte, die ihn beschützte, die ihn lustvoll bedrängte und in seinem Fall sanft einbettete. Doch was er bekam, war nicht seine erwünschte Zweisamkeit, sondern noch mehr hinhaltenden Druck. Anstatt endlich in ihn einzudringen, tauchte Yugi ganz ab, drückte seine Pobacken bestimmt auseinander und leckte mit spitzer Zunge über seinen zuckenden Muskelring. „Aaaahhhh ... hhaahh ... hhhaaa~aaahhh ...“ Es fühlte sich merkwürdig schön an, wenn Yugi das tat. Er tat es zwar nicht oft, denn er wusste, wie sein Liebling danach abging, wie wahnsinnig ihn das machte ... aber manchmal machte er es eben doch, wenn er ihm besondere Freude bereiten wollte. Er hielt seine festen Backen mit einer Hand gespreizt und schlängelte seine Zunge ein wenig in die pulsierende Enge, während er mit der anderen Hand in seine Hosentasche griff und die angewärmte Tube mit Gel herausholte. Er schaffte es irgendwie, sie aufzuschrauben, während sein Liebster sich auf dem Bett wand, seinen Unterleib anhob, gierig zuckte und keuchte. Es war schön, wenn er so außer sich geriet, doch mit dieser Beweglichkeit etwas schwieriger. Aber er liebte eben keine Puppe, sondern einen Körper mit Empfindungen, der sich nun mal bewegte. Und besonders empfindsam stöhnte sein Liebster auf, als Yugi einen reichlich eingegelten Finger in ihn stieß und ihn feucht schmatzen ließ. „Aaaahhhhh“ sang Seto wohlig, schloss die Augen, knetete das Laken unter ihm und bewegte seinen Körper diesen schönen Bewegungen entgegen. „Yhu-chan ... mhehr ... mmhheehhrr ... hhmmmmm ...“ „Das magst du, hm?“ lächelte er und kehrte mit zwei Fingern zurück. Das war schon ganz ordentlich eng, aber er spürte schnell, wie sein Liebling locker wurde und sich entspannte. Zumindest im unteren Bereich. Während seine Beckengegend ganz weich und entspannt wurde, spannte sich seine Brust an und hob sich gequält auf und ab. Er verlagerte seine Erregung einfach in die richtigen Richtungen. Dafür hatten Yugi und er ihren Sex einfach zu gut im Griff, als dass noch viel schief gehen konnte. Als Yugi aber drei Finger tief in ihn drückte, keuchte Seto erschrocken auf, öffnete die Augen und stöhnte aus dem Stoß heraus. „Yhughi! AH!“ „Schön?“ lächelte er ihn sanft an und bewegte seine Finger behutsam ein und aus, ein wenig zur Seite, um ihn immer mehr zu dehnen. Obwohl Seto so gewöhnt an die kleinen Ukequalen war, hatte er doch mit diesem etwas schmerzlichen Gefühl einen Augenblick zu kämpfen. Was aber nicht heißen musste, dass er diesen kleinen Kampf nicht doch genoss. „Bitthe! Mhach!“ flehte er, krallte sich ins Laken und versuchte ihn verschwommen anzusehen. „Yhu-chan ... fhass mhich an ... mhach … bhitthe …” „Du bist so schön. Weißt du das eigentlich?“ Er liebte es, seinen Mann in so hoher Erregung zu sehen. Seinen feuchten Blick, seinen aufgewärmten Körper und die Schwere in seinem Atem. Er wusste, um was er bettelte, aber heute stand Yamis Seite 84 auf dem Plan. „Komm noch mal so schön hoch, ja?“ bat er und drückte seinen bebenden Unterleib ein Stück weiter nach oben. Seto ließ sich alles gefallen, ließ sich dirigieren und lenken. Er fühlte sich wohl, wenn es doch auch nach seinem Geschmack langsam mal zum eigentlichen Kern der Sache gehen durfte. „Jha ... ghut“ atmete er als Yugi ihm erst ein, dann ein zweites Kissen unter den Rücken schob und sein Becken ein Stück höher bettete. Meistens nahmen sie sich dafür gar keine Zeit, aber eigentlich mochte Seto es, wenn er bequem liegen konnte und nur noch bedient wurde. So ließ er sich seufzend herab und schloss sehnsüchtig die Augen, genoss das warme, harte Gefühl in sich. „Du bist ja ein Genießer“ schmunzelte Yugi und weil er so brav war, massierte er die harte Spitze, welche nach und nach immer heißere Tropfen herauslaufen ließ. Ganz zärtlich bewegte er die weiche Haut und spürte die pulsierende Härte darunter. Was für ein schönes Gefühl, ihn so intim anfassen zu dürfen. Und sein Liebling genoss es auch sichtlich. Er lag so gemütlich da, den Kopf weit unten, die Augen genüsslich geschlossen und mit der einen Hand knetete er das Bettkissen über sich, während er mit der anderen glatt über seine Brust fuhr. Er genoss diese zarte Gangart, ging vollkommen darin auf und empfand erstaunlich wenig Scham dabei. In einer Seelenruhe sank er in die Kissen, entspannte sich und saugte die Zärtlichkeiten in sich auf. Auch die groben Zärtlichkeiten, als Yugi seine Finger erhärtete und ihn tiefer berührte. So tief bis er das erste Mal einen kleinen Muskelwiderstand im Inneren spürte. „Hah!“ quietschte der arme Drache auf, zuckte zusammen und begann zu zittern. Absolut gut getroffen. „Thiefer“ quetschte er sich dann gepresst heraus. „Thiefer ... Yhu-chan ... thiefer … mhehr!“ „Alles, was du dir wünschst, mein Herz.“ Das lief doch perfekt. Setos Körper verlangte nach mehr, seine Erregung war auf dem bestmöglichen Stand, bevor ihm der Höhepunkt drohte. In dieser Verfassung konnte er alles mit ihm machen. Alles. Er nahm noch einige dicke Tropfen von dem kristallklaren Gleitgel, benetzte damit den bis zum Anschlag gespannten Muskelring und drückte auch ein wenig aus der Tube direkt in ihn hinein. „Haaaaahhhhhhhhh ...“ Willig drängte sein Liebster ihm seinen Körper entgegen und als er seine Augen öffnete, waren nicht nur seine Wangen dunkelrot gefärbt vor Hitze und Lust, sondern auch sein Blau ertränkt in purem Verlangen. Yugi kannte all seine Begierden, die er in den letzten Jahren entwickelt hatte. Viele Paare hatten angeblich das Problem, dass der Sex mit den Jahren langweilig wurde, weil sie sich zu gut kannten. Bei ihnen war es eher das Gegenteil. Ihr Liebesleben wurde von Mal zu Mal besser, eben weil sie sich so genau kannten. Und Yugi wusste genau, welche Schwächen sein Ehemann hatte. Eben die Schwäche, dass er es feucht mochte und einen sehr sensiblen Körper hatte. Sensibler als andere Männer. Je zarter man ihn anfasste, umso mehr ließ er sich fallen. „Okay“ lächelte er ihn verliebt an und auch er konnte nicht abstreiten, dass er durchaus erregt war. Seine Hose spannte und die Wärme stieg ihm den Rücken hinauf auf die Wangen. Aber heute wollte er seinen süßen Uke in all seiner Schönheit sehen. „Liebling, du vertraust mir. Oder?“ „Jhaaahhh“ hauchte er und sank schwer hinab. „Bhitthe ... mhach ... thiefer ... hich whill … aahh bhitte … thiefer … aaaaahhhhhh …” Yugi schluckte noch mal und hakte die Checkliste ab, die Yami ihm mitgegeben hatte. Seto war hoch erregt, lag komfortabel und fest, er war weites gehend gedehnt und gut eingegelt, vielleicht etwas viel, aber es konnte kaum zu viel sein. Der Zeitpunkt und der Ort waren perfekt. Ganz langsam streckte er seine Finger, nahm alle vier und fuhr weiter in ihn ein. Behutsam genug, dass sein Uke noch alles mitverfolgen konnte und dabei noch immer Lust empfand. Damit seine Erregung durch den Schmerz nicht ganz abebbte, sondern sich gut einfügte, massierte er seine harte Länge und hörte an dem ergebenen Stöhnen, das alles in Ordnung und gut so war. Das Betteln hatte nicht aufgehört und er spreizte sogar seine Beine noch ein Stück mehr. Also mehr nun. Und Yugi wusste genau, dass er da eine Schwelle übertrat, die er sogar selbst als anstößig empfand. **Letzte Gelegenheit, Leute. Schaltet weiter, bevor es eklig wird. Das ist mal ganz ernst gemeint!** Er drückte den letzten Rest aus der Tube auf den Teil seiner Hand, der noch nicht ganz verschwunden war. Um ihm einen kleinen Schub zu versetzten, rieb er die heiße Härte bis er ein langgezogenes Stöhnen bekam. „Aaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhaaaaaaaaaaaaaaaaa ...“ Seto schien es noch zu genießen, aber er krallte sich ins Laken, als er ihn immer tiefer spürte. Das waren jetzt eindeutig nicht mehr ‚nur’ Yugis Finger, wie er es gewohnt war. Das war mehr. Er fand die feuchten Zungenspiele dann und wann bereits grenzwertig und über die Scham half ihm dann nur noch die Lust hinweg, welches diese anrüchige Intimität in ihm entfachte. Aber das hier war neu. Und es schoss ihm durch den Kopf. >Seite 84.< Yugi beobachtete ihn genau, achtete auf seine Reaktion aus welcher er erkennen wollte, ob seinem Liebsten noch wohl zumute war. Doch im ersten Augenblick gab er nicht viel zu erkennen. Er erstarrte geradezu. Er krallte sich zitternd ins Laken und Yugi fühlte, wie er sich verengte, was aber auch daran liegen könnte, weil er nicht wirklich wusste, wie es sich anfühlen würde. Yami hatte es ihm beschrieben, aber letztlich war es doch eine Erfahrung, die man selbst machen musste, um eine Ahnung zu bekommen. Er war erstaunt wie leicht sich der pochende Muskelring um sein Handgelenk legte und wie aufgewühlt es in ihm rumohrte. Zuerst kam es ihm eng vor, aber nach und nach fühlte er, wie warm und empfindlich weich alles war. Wenn er daran dachte, dass Yami sich Seth auch schon so ausgeliefert hatte ... nein, da musste er gedanklich passen. Seths Hände waren genauso groß wie Setos und Yugi traute sich auch nur, weil er wusste, dass seine eigenen Hände zwar kräftig, aber eben auch relativ zierlich waren. Und ob Seto das hier als angenehm empfand, ließ er noch immer nicht erkennen. Sein Atem ging flach, seine Augen blieben geschlossen, aber seine Männlichkeit schmiegte sich noch immer heiß an die leicht massierende Hand. Wahrscheinlich musste er selbst überlegen, was er davon nun halten sollte. „Liebling? Alles in Ordnung?“ fragte er vorsichtig und zog seine Hand vorsichtig ein paar Millimeter zurück. Damit verursachte er einen Lustschrei, der ihn selbst überraschte. „AAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHH!“ Seto bäumte sich auf und sank dann zitternd zurück. Das war Wahnsinn! >Wow!< Also das war diese besonders weiche Stelle, die er an seinem Daumenrücken fühlte. Er bewegte sich nur ganz wenig dagegen und bekam erneut dieselbe Reaktion. So hörte er Seto sonst nur bei seinem Höhepunkt, wenn er vollkommen die Kontrolle verlor. Diese Stimme und dieser Körper waren einfach übernatürlich schön. Das war die ihm von Yami ans Herz gelegte Prostatamassage. Aber die Auswirkungen waren enormer als Yugi glauben wollte. „Hier?“ Er strich seine Männlichkeit fester und drehte seine Hand ganz langsam in der weichen Enge. „Ooooohhhhh Ghoooott ...“ stöhnte Seto, drückte seinen Kopf herunter und schmiss die Hände über seinen Kopf. Das machte ihn echt fertig. Zwar hatte Yami auch noch empfohlen, eine Faust zu ballen, aber das fand Yugi dann doch etwas viel des Guten. Stattdessen wollte er es genug sein lassen. Er hatte doch etwas mehr Respekt davor und wenn sein Liebling jetzt den Höhepunkt erreichte, wollte er ihm nicht zu arg wehtun. Also zog er seine Hand behutsam langsam heraus und löste mit dieser fließenden Bewegung den lang überfälligen Luststurz aus. Er verwöhnte mit festem Griff die sich entladende Männlichkeit seines Liebsten und belohnte sich selbst mit dem Blick in sein lustentglittenes Gesicht. Das war wirklich ein Ausdruck, den außer Yugi niemand von ihm bekommen würde. Wenn er sich wand, seinen Mund öffnete und seine Lust durch alle seine Poren nach außen drang. Er war einfach das schönste Wesen dieser Erde. Und noch tausend Mal schöner, wenn ein Engel wie er sich der Verführung nicht entziehen konnte. Nach der Linderung der Lust, küsste Yugi seinen Uke ganz sanft auf die müden Lippen und entzog ihm nicht die so sehnsüchtig geatmete Luft. „Alles okay?“ Er wollte einfach hören, ob noch alles in Ordnung war oder ob ihn das nun doch zu sehr geschockt hatte. Seto nickte ein wenig, noch ganz überrannt und ließ seine Stimme atemgefüllt flüstern. „Seite 84.“ „Genau“ lächelte er und gab ihm noch einen zarten Knutsch auf beide glühenden Wangen. „Ich bin gleich wieder bei dir.“ Er stand kurz auf und wusch die Hände in der bereitgestellten Schüssel. Fließendes Wasser hatten sie hier oben ebenso wenig wie stetigen Strom. Es gab hier zwar einen Generator, der sie im Notfall mit dem Nötigsten versorgte, aber im allgemeinen war hier doch alles sehr ursprünglich. Nun ja, sie waren ja auch weit abgeschieden von der Zivilisation und die nächsten Menschen waren einige hundert Kilometer entfernt in einem kleinen Dorf, wo ein Besuch auch eine ganze Tagesreise bedeuten würde. Für eine gewisse Zeit ließ es sich hier gut aushalten, aber wenn Yugi daran dachte, hier den Winter zu verbringen, wurde ihm Bange. Hoffentlich dauerte das alles hier nicht so lange wie Sethan in Eventualität gestellt hatte. Im Augenblick hatten sie ja gerade schönsten Frühling, aber die Winter waren hier sicher ziemlich hart. Wobei ... Seto würde in einem nordisch kalten Winter nur aufblühen. Ihm wäre es zu gönnen, in meterhohem Schnee herumzutollen. Der Winter Zuhause war ja wirklich auch ganz zauberhaft und hatte sogar richtig ungewohnt hohen Schnee gebracht, aber Domino war mit ... ja, wo genau waren sie eigentlich? Na ja, auf jeden Fall war das nicht zu vergleichen. „Du, Liebling. Sag mal, weißt du eigentlich wo genau ...?“ Aber als Yugi sich zu ihm herumdrehte und mit einem feuchtgemachten Tuch zu ihm zurückkam, fand er ihn nicht gerade ansprechbar vor. Er hatte sich noch immer nicht bewegt, lag ausgestreckt und verschmiert auf dem Bett und atmete mit halb geschlossenen Augen langsam die Luft in seine Lungen. >Herrje, der ist ja total fertig.< „Na komm, ich mach dich mal sauber, ja?“ lächelte er und setzte sich zu ihm aufs Bett. Erst wischte er ihm seinen benetzten Bauch sauber, bevor er dann auch das ganze Gel an den Innenseiten seiner Schenkel beseitigte. Das war ja nur höflich, seinen Uke hinterher schön sauberzumachen, nachdem man sich an ihm verlustiert hatte. Und Seto ließ das einfach über sich ergehen, ohne einen Kommentar zu bringen. Anscheinend war er noch immer mit Denken beschäftigt und ließ Yugi ganz frei an sich herumputzen. Erst als er spürte, wie ihm behutsam die Kissen unter seinem Rücken herausgezogen wurden und sich dann die weiche Decke über ihm ausbreitete, da erst schien er in die Realität zurückzufinden. Auf jeden Fall nahm er wahr, wie Yugi sich neben ihn legte und ihm durch das verschwitzte Haar kraulte. „Komm kuscheln, Liebling“ bot er an, streckte seinen Arm aus und ziemlich geschafft, nahm Seto die Anstrengung auf sich, sich auf die Seite zu drehen und sich an ihn anzuschmiegen. Auch wenn er dabei nicht auf der Seite liegen blieb, sondern noch ein Stück weiter auf den Bauch fiel und sich ziemlich schwer auf Yugis Schulter ausbreitete. Aber dem machte das nicht viel, er kuschelte sogar zurück und küsste seine heiße Stirn. Und dann endlich konnte er sich auch ein wenig entspannen. Yugi roch so gut, er war so angenehm warm und seine Haut war so weich, so fest die trainierten Muskeln darunter. Es war schön, sich an ihn zu schmiegen. Da fühlte er sich wohlig beschützt, auch wenn Yugi eben gerade nicht besonders nett gewesen war. „Liebling, ich weiß, das klingt jetzt doof“ fragte er ihn leise. „Aber war’s schön für dich?“ „Ich ... ich weiß nicht“ antwortete er leise und war froh, dass er so dicht an seinem Körper lag. Da musste er ihn nicht direkt ansehen. „Das stand also auf ... Seite 84.“ „Ja“ stutzte er doch kurz. „Aber das hast du doch gewusst. Oder etwa ... nicht?“ „Wie kommst du darauf, dass ich so was weiß?“ warf er ihm bitter vor. Er wusste ja viel, sehr viel. Er konnte ganze Universitäten mit seinem Wissen füllen. Aber zu wissen, was auf dieser schmutzigen Seite 84 stand, konnte niemand von ihm erwarten. „Hast du denn noch nie Yamis Buch gelesen?“ „Nein“ knurrte er und strich ärgerlich über Yugis Bauch. „Wenn der mir noch mal unter die Augen kommt ...“ „Herrje. Ich dachte wirklich, du wusstest das. Er hat sein Werk doch quasi jedem aufgedrängt ...“ Das dachte er wirklich! Sonst hätte er ihn doch aufgeklärt, anstatt ihn zu überraschen. „Du hast dich ... gar nicht gewehrt.“ „Warum sollte ich? Ich ... du hast mich ja nicht gelassen.“ „Oh je.“ >Ich glaube, jetzt haben wir Klärungsbedarf.< „Hör mal, Liebling.“ Er drehte sich ein Stück unter ihm heraus, aber nur, um wenige Zentimeter zurückzurutschen und sich dann so neben ihn zu legen, dass er ihm ins Gesicht sehen konnte. „Ich dachte, du hast Yamis Vorabdruck auch gelesen und ... du merkst dir ja sogar die Seitenzahlen im Lexikon. Ich dachte, wenn ich sage, wir machen jetzt Seite 84, dann weißt du bescheid. Sonst hätte ich doch vorher mit dir darüber gesprochen. Wenn ich dich jetzt überrumpelt habe, tut mir das schrecklich leid. Ich wollte nur, dass ...“ „Hör doch mal auf zu reden“ murmelte er und rutschte ihm hinterher, um seine Stirn an ihn zu schmiegen und ihm ganz nahe zu sein. „Ich bin nicht böse.“ „Aber ... hast du dich ... schlecht gefühlt?“ „Nein“ antwortete er leise. „Aber das war ... heftig. Und eklig.“ „Findest? Also, ich ... ich fand’s okay. Aber wenn du ... war’s schlimm?“ „Nein, es war gut“ beruhigte er und glitt mit seinen Händen verliebt Yugis Seiten entlang. Es war schön, ihn ein bisschen anzufassen und seinen festen Körper zu spüren. Ihm war angenehm, wenn er an Yugi herumstreicheln konnte. „Sei beruhigt. Es war gut.“ „Dann bin ich wirklich beruhigt“ seufzte er und stahl sich einen kleinen Kuss von seinen sich nur langsam abkühlenden Lippen. „Ich wusste nicht genau, ob du dich vielleicht nicht doch wehrst. Aber wenn du es schön, fandest ... weißt du, Liebling. Ich würde alles für dich tun. Wirklich. Und wenn du das jetzt ab und zu haben möchtest, lass uns darüber reden, ja?“ „Aber ich ... darf ich dir was sagen?“ „Ja, natürlich darfst du mir was sagen“ lachte er und kraulte seinen süßen Schatz. Er konnte so niedlich reden, wenn er versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Möchtest du das jetzt öfter? Hat dir das gefallen?“ „Um ehrlich zu sein ... nein“ sagte er und zog allmählich seine Beine an, machte sich klein, weil er sich schämte. „Ich ... ich ... müssen wir das machen?“ „Nein, wir müssen gar nichts. Aber ich dachte, das ist vielleicht was, was du mögen könntest. Aber wenn es dir nicht gefällt ...“ „Das ist es nicht. Wie soll ich das sagen?“ Er suchte nach Worten, aber es fielen ihm nicht die richtigen ein. „Ich will dich nicht verletzen.“ „Du verletzt mich schon nicht. Ich bin doch froh, wenn du mir sagst, wie du dich fühlst“ versprach er und hob sein Kinn, um ihn liebevoll anzusehen. „Wie war es wirklich für dich, hm?“ „Gut ... ich fand’s gut. Ich bin ... gekommen. Sehr sogar“ gab er zu und wurde hochrot vor Scham. „Aber ich ... ich will das nicht mehr machen. Schlimm?“ „Nein, das ist nicht schlimm“ lächelte Yugi. „Aber wenn du es mochtest, warum willst du das dann nicht mehr machen? Ich meine, wir sind doch unter uns. Vor mir brauchst du dich nicht zu schämen, das weißt du doch.“ „Ich schäme mich ja auch nicht ... nur ein bisschen“ gestand er und wand seinen blauen Blick beschämt zur Seite. „Aber ich ... ich finde das eklig. Es hat wehgetan, aber es war auch gut und ... aber ich finde den Gedanken eklig, was du da machst. Und ich glaube, der Ekel ist größer als die Lust. Weißt du ... was ich meine?“ „Ja. Ich glaube, ich weiß, was du meinst.“ Er konnte es sich wirklich vorstellen. Sein Körper fühlte sich vielleicht gut dabei, aber sein Kopf rebellierte zu sehr. Er konnte und wollte das nicht vor sich selbst vertreten. Er fand den Gedanken abstoßend und da konnte ihn auch die körperliche Lust nicht überzeugen. Vielleicht war es gut, alles mal ausprobiert zu haben, aber nicht alles, was sich gut anfühlte, musste auch schön sein. Wenn Setos Kopf nicht wollte, dann wollte er nun mal nicht. Das war nur normal. „Wenn du es nicht möchtest, dann lassen wir es, okay?“ beschloss er und streichelte ihn sanft hinter dem Ohr. „Es ist okay. Ich bin froh, wenn du es mir sagst, wenn du etwas nicht möchtest. Aber du wusstest doch irgendwann, was ich da tue. Warum hast du mich denn einfach machen lassen? Du hättest doch sagen können, dass ich aufhören soll.“ „Ich .. ich ... ich wollte ja nicht ... dass du aufhörst“ beichtete er flüsternd. „Aber ich ... kannst du das nächste Mal wieder sagen, was du willst, bevor du ... du ...“ „Bevor ich was?“ hakte er vorsichtig nach. „Bevor ich einfach weitermache?“ „Nein, bevor du ... mich ausschaltest.“ Seine Stimme war so klein und gesenkt, dass Yugi sich schon anstrengen musste, um ihn zu hören. „Wenn du mich berührst, dann ... dann kann ich mich nicht wehren. Du erregst mich und ... und dann will ich alles. Egal, was. Aber ich ... vielleicht kannst du ja vorher sagen, was wir machen. Ich meine, solange ... solange ich noch einen Kopf habe.“ „Okay. Das nächste Mal bin ich wieder lieb“ versprach er scherzhaft. Scherzhaft deshalb, um ihm mal die aufkommende Scham zu nehmen. Er wusste genau, was sein Liebling ihm sagen wollte. Irgendwann war er einfach an einem Punkt angekommen, an dem Yugi alles mit ihm machen konnte. Wirklich alles. Dann empfand er solche Lust, dass er sich nicht mehr kontrollieren konnte. Er konnte dann alles erregend finden. Selbst wenn Yugi im die Fingernägel einzeln ausriss, würde ihn das noch erregen. Das war vielleicht eine Eigenschaft, die in seinem ungewöhnlichen Wesen verankert lag. Er war ihm nun mal ganz und gar verfallen und empfand Schmerz als eine unausweichliche Gegebenheit. Seto war der beste Kandidat für die schmerzhaftesten SM-Spielchen. Aber er hatte durchaus noch eine eigene Meinung, bevor Yugi seinen Kopf abschaltete und dem Körper die Macht über ihn gab. Bevor er nur noch nach dem Einen strebte. Trotzdem verständlich, dass er gern vorher gefragt wurde, bevor er ihm vollkommen hörig wurde. Nicht nur die körperliche Lust konnte er empfinden, sondern auch die mentale. Und sein Kopf musste ebenso befriedigt werden. Und wirklich befriedigen tat ihn nur sanfte Zärtlichkeit. Yugi durfte seine Macht über diese kranke Lust nicht missbrauchen, sondern musste auch seine Gedanken in Einklang bringen. Setos Körper handelte manchmal in andere Richtungen als sein Geist. „Also, ich weiß jetzt, dass das keine neue Vorliebe von dir ist, ja?“ Er antwortete zwar nicht, aber er nickte. Schön, dass Yugi das richtig aufgefasst hatte und nicht beleidigt war. „Aber du weißt, wenn du irgendwas irgendwann doch mal tun möchtest, kannst du das genauso sagen. In Ordnung?“ „In Ordnung“ nickte er rotwangig und hob schüchtern seinen Blick. „Darf ich dir jetzt schon ... was sagen?“ „Etwas, was du machen möchtest? Natürlich“ strahlte er und streichelte ihm sofort alle Strähnen aus seinem roten Gesicht. „Los, sag es. Was möchtest du machen?“ „Ich möchte ... ich ...“ Er schaute wieder zur Seite und traute sich mit einem verlegenen Lächeln dann endlich. „Ich möchte gern ... ein Picknick machen. Nur wir beide. Draußen auf der Wiese am Waldrand und dann ... wir nehmen eine Wolldecke mit. Und wenn die Sonne scheint, dann ... dann können wir den Picknickkorb mitnehmen und ... und nach dem Essen können wir dann ... du weißt schon. Und dann ... dann ist über uns nur der blaue Himmel.“ „Du möchtest, dass wir uns im Freien lieben?“ lächelte er ganz bezaubert. War klar, dass solche romantischen Sachen eher seinem Geschmack entsprach. Bei all dem schmerzlichen Lustempfinden, zu dem er fähig war, bevorzugte er aber eher die zärtliche, kitschige Variante. „Ja, das letzte Mal ist lange her. Wenn du das gern möchtest, dann machen wir das.“ „Wirklich?“ Er sah ihn hoffnungsvoll an und bekam ganz glänzende Augen. „Ja. Wirklich. Das ist ein Versprechen. Und ich werde ganz zärtlich zu dir sein. So zärtlich, dass du da noch lange etwas von hast. Versprochen.“ „Versprochen ...“ „Ja. Ganz fest.“ Und er besiegelte dieses Versprechen mit einem süßen Kuss, bevor sie sich zusammenkuschelten und Seto sich ein wenig ausruhen konnte. Wahrscheinlich dauerte es jetzt gar nicht lange und er würde einpennen. Wie immer nachdem sie Liebe gemacht hatten. Zwar hatte Yugi heute Abend keine neue Vorliebe bei seinem Liebling entdeckt, aber trotzdem war er jetzt schon ein großes Stück schlauer. Er musste einfach noch besser auf ihn Acht geben. Wenn er Seto erst in Ekstase versetzt hatte, konnte er sich gar nicht mehr melden, wenn er etwas nicht wollte. Er musste ihm die Gelegenheit zur Intervention früher geben. Das hatte er noch mal gelernt und verinnerlicht. Schließlich musste man auf so einen verfallenen Uke doch bestens Acht geben, bevor man ihn unglücklich machte. Und auf der anderen Seite hatte er aus seinem Süßen auch ein kleines Geständnis herausbekommen. Er wollte also Liebe unter freiem Himmel mit Picknickromantik? Alles klar. Das konnte er haben. **XD** Chapter 24 Die Möglichkeit, seiner Enkelin zu helfen, nahm Seto dann aber gleich am nächsten Tag wahr. Aber natürlich erst, nachdem er anständig ausgeschlafen und sich von Yugi zum Frühstück hatte im Bett bedienen lassen. Das war ja wohl das mindeste! Der große Tato schlief am Morgen ohnehin noch seinen Mondrausch aus und wurde frühestens zum Mittag erwartet, also konnte der Übervater wenigstens nicht dazwischenfunken, zumal Yugi nicht länger als nötig von seiner Seite weichen würde, sobald er wieder fitt war. So lieferte Seto um die Mittagszeit seine beiden Kinder bei Tea ab und ging auf die Suche nach der kleinen Sari, wobei er dabei immer seinem Gefühl nach lief. Im Vorbeigehen schüttelte er den Kopf über eine Truppe, bestehend aus Joey, Jonny, Yami und Mokuba, die versuchten, die Pferde von der Koppel einzufangen. Doch so wirklich gut im Lassowerfen war niemand und Balthasar und Fernando, sowie Narla amüsierten sich auf einem alten Baum sitzend, köstlich über diese ungeschickte Meute und bemerkten dabei gar nicht, wie Seto am anderen Ende auf die Scheune zuging. Es war merkwürdig, aber sein Gefühl führte ihn genau dort hin. Es war als könne er seine Enkelin riechen. Sie hatte einen leichten Duft nach feuchter Muttererde, aber gleichzeitig auch Rosen und einer frischen Morgenbrise. Alle Menschen hatten einen eigenen Geruch, aber so deutlich wie bei ihr hatte er das noch nie wahrgenommen. Obwohl er auch Yugi ganz gut ‚riechen’ konnte. Das lag sicher nur an der guten Luft hier, dass es ihm so vorkam, als würden sich seine Sinne schärfen. Vielleicht war es aber auch sein Federchen, welche wenige Meter über ihm flog, sich dann auf dem spitzen Dach der Scheune niederließ und fleißig krächzte. Entweder, weil sie Seto rufen wollte oder weil Laertes ihr auf die Nerven ging. Der ließ sich nämlich schon seit dem frühen Morgen nicht abschütteln und hatte es sich auch recht schnell mit ihr verdorben. Er dachte wohl, es wäre eine gute Idee, der Dame ein Eichhörnchen zum Frühstück vorzusetzen, aber da hatte er sich getäuscht. Die wählerische Lady fraß nämlich keine roten Tiere und strafte jeden mit Ignoranz, der es wagte, ihr so etwas vorzulegen. Da war sie ne echte Prinzessin, das hatte Seto selbst schmerzhaft lernen müssen. Und dass der Kleine ihr jetzt mit einem rotbäuchigen Vogel ankam, fand sie auch nicht so besonders beeindruckend und krächzte ihn ziemlich vorwurfsvoll an, während er versuchte, sich und seine Beute auf dem Dach der Scheune mit schönstem Plustern in Szene zu setzen. Vielleicht sollte jemand dem Kleinen mal nen Tipp geben. Das war ja schon direkt traurig, wie er versuchte, sich bei ihr einzuschmeicheln. Aber da hatte sich schon ein Riese wie Leikos dran versucht und es auch nicht geschafft. Sie war wählerisch und kein Partner konnte so tolle Beute machen wie Seto. Wie der immer den Kühlschrank aufmachte ... hmmmmm - echt ein prima Typ. Mit einem kleinen Lachen schlängelte er sich durch die leicht geöffnete Scheunentür und schüttelte den Kopf. „Was lachst du so?“ lachte Sethan, der mit Phoenix zusammen da auf einem Heuballen niedergelassen hatte und beobachtete, sie Sareth sich mit der Kuh in ihrer Box abkämpfte. „Nichts. Nur die Vögel auf dem Dach“ schmunzelte er und sah die drei an. „Und was macht ihr hier?“ „Sari probiert sich daran, die Kuh zu putzen“ erzählte er und nickte nach vorn, wo sie stand und eine Bürste in der Hand hatte, aber die dicke Kuh nervös von einem Bein aufs andere trat und die Idee anscheinend nicht so toll fand. „Du bist ja mutig“ meinte Seto und lehnte sich auf die Absperrung, um sie genauer sehen zu können. „Hast du keine Angst, dass sie dich ans Gatter quetscht?“ „Kann sie das denn?“ Oh, da machte sie aber große Augen. Daran hatte sie anscheinend noch gar nicht gedacht, dass so ein großes Tier sie einquetschten könnte. „Ich glaube, sie ist wohl nur nervös“ überlegte er und sah sich das weißbraun gescheckte Tier näher an. „Hast du mal versucht, sie zu melken, um sie ruhiger zu kriegen?“ „Ich will sie ja melken, aber dafür will ich sie erst sauber machen“ versuchte sie zu erklären, während sie der nächsten Kuhbewegung auswich. „Ich finde das eklig, wenn da hinten so viel hängt und ich da anfassen soll.“ „Kann ich verstehen“ nickte er und sah zurück zu den beiden. „Und die Jungs denken nicht daran, dir mal zu helfen?“ „Ich bin nicht so scharf auf Kuhmilch“ meinte Sethan. „Und Spatz trinkt auch lieber Ziegenmilch. Ziegen sind nicht so verschmiert.“ „Ziegenmilch ist fetter und viel cremiger“ meinte der. „Trotzdem muss die Kuh gemolken werden“ bestand sie streng darauf. „Sie hat doch Schmerzen mit so einem dicken Euter. Ihr seid so gefühllos.“ „Die Kuh hat Nando heute Morgen doch schon gemolken“ meinte Sethan. „Der Euter ist nicht so dick wie du denkst.“ „Aber er hat sie nicht sauber gemacht!“ „Ein bisschen wie Ferien auf dem Bauernhof hier“ grinste er fröhlich und schien die Besorgnis seiner Cousine nicht besonders zu teilen. „War ne gute Idee, Gustav nach den Tieren zu fragen.“ „Dann sind die extra für uns hier?“ schaute Phoenix. „Ja, natürlich“ lächelte er. „Wir kriegen unsere Lebensmittel ja alle drei Tage geliefert. Aber so ein paar schicke Tiere sind doch was Schönes, nicht wahr?“ „Und wenn ich erst frische Kuhmilch habe, bekommst du nichts ab!“ muckschte sie und putzte weiter den Schwanz der Kuh, da sie jetzt mal kurz ruhig stand. „Das ist so typisch für euch Jungs. Ich finde, wenn ihr nicht helfen wollt, könnt ihr auch gehen. Euer Gelache geht mir eh auf den Senkel.“ „Oh oh oh, jetzt ist sie angefressen“ lachte Sethan und stand auf, nahm Phoenix am Arm um ihn hochzuziehen. „Komm, wir gehen lieber.“ „Ich finde, wir können Sari auch helfen“ meinte er. „Sie hat Recht. Ein bisschen dick ist der Euter schon wieder. Oder weißt du ganz genau, wie oft so eine Milchkuh gemolken werden muss?“ „Ja, das ist ja nicht wie bei Berta“ meinte auch sie. „Das hier ist eine richtige Milchkuh. Die muss bestimmt öfter gemolken werden.“ „Aber Berta hat auch nicht so ekligen Dünnschiss“ meinte Sethan. „Also, ich hab keine Lust, fremde Kühe zu putzen. Oma, mach du das mal.“ „Warum ich?“ guckte er ihn pikiert an. „Und hör auf, mich Oma zu nennen.“ „Weil du so tierlieb bist und gern frische Milch trinkst. Ich finde, du kümmerst dich doch gern um unsere kleine Farm, nicht wahr?“ „Und ihr liegt auf der faulen Haut? Na, so hab ich das gern“ grummelte er. „Das ist nur, weil Papa schläft. Sethan is’n Sprücheklopfer.“ Sareth kannte ihre Pappenheimer wohl auch schon ganz gut. Wäre ihr Papa hier, wäre auch der Ton ein anderer. „Weißt du was, Schätzchen?“ lächelte Seto sie an. „Ich finde, wir überlassen die Tierpflege mal den beiden Jungs und machen einen Ausritt. Du kannst doch reiten, oder?“ „Opa hat’s mir mal gezeigt“ antwortete sie und bekam plötzlich ganz rote Wangen und ein schüchternes Lächeln. „Und? War’s schön?“ bohrte er weiter. Da schien er ja auf der richtigen Spur zu sein. „Papa meint, reiten sei viel zu gefährlich. Wenn man runter fällt und die Pferde sind so ungestüm und ...“ „Ich übernehme die Verantwortung“ beruhigte er und schenkte ihr einen liebevollen Saphirblick. Die Kleine wollte wohl gern, aber Tato bewachte sie fast krankhaft. Doch sie bekam so ein aufgeregtes Leuchten in den Augen, dass es doch schade wäre, wenn nicht auch sie ein wenig Spaß haben sollte. Es war zwar nicht richtig, Tatos Verbot einfach so zu übergehen, aber deshalb hatte Nini ja geschrieben, sie sollten sich etwas um Sareth kümmern. Immerhin war sie schon zwölf und man sollte ihr ruhig etwas zutrauen. In ihrem Alter hatte Tato schon die Uni abgeschlossen und sie durfte nicht mal ihre Freizeit selbst gestalten? Das war doch unfair. „Wir gehen reiten?“ fragte sie aufgeregt. „Wirklich?“ „Wenn du möchtest“ lächelte er. „Ich passe schon auf, dass du nicht runterfällst und deinem Papa sagen wir auch nichts. Wie wär’s mit uns beiden?“ „Und Papa sagen wir nichts?“ „Nein, gar nichts. Nicht ein Sterbenswörtchen“ flüsterte er mit einem Schmunzeln. „Komm schon“ baute auch Sethan sie auf. „Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Wir sagen ihm auch nichts. Nicht wahr, Spatz?“ „Natürlich nicht“ lächelte er sie lieb an. „Und deine Kuh putzen wir auch.“ „Irgendwie traue ich euch nicht“ erwiderte sie mit einem überaus skeptischen Seitenblick. „Warum seid ihr plötzlich so nett?“ „Weil wir Angst vor Oma haben“ scherzte Sethan und hopste über die Absperrung zu ihr in die Box. „Na los, geh schon. Wir kümmern uns um den Rest.“ „Aber melken will ich. Ihr putzt nur“ wiederholte sie noch mal, als sie sich mit Setos Hilfe über die Holzlatte hangelte. Sie war da nicht ganz so sportlich. Aber Sethan sagte dazu nichts mehr, kam nur näher und schmatzte ihr einen neckischen Kuss auf die Wange. Manchmal war das die einfachste Methode, die Leute ruhig zu bekommen. Und sicher tat er das auch nicht ganz ohne den Hintergedanken, dass sie ruhig mal ein wenig aufmüpfiger sein durfte, um sich gegen ihren Vater durchzusetzen. Und sich gegen Tato durchzusetzen, war weiß Gott nicht einfach. „Jetzt geh schon, bevor wir es uns anders überlegen.“ „Das lassen wir uns doch nicht zwei Mal sagen“ meinte Seto, nahm sie an der Hand, fischte sich auf dem Weg noch schnell zwei lange Lederseile von der Wand und zog seine Enkelin mit sich hinaus, wo ihnen gleich die schönste Sonne entgegen strahlte. Es war zwar kühl, aber nicht kalt. Ein wirklich schönes Wetter. „Jetzt müssen wir uns nur was einfallen lassen, wie wir uns ein Pferd einfangen“ überlegte er, denn die wurden noch immer fleißig von der Chaostruppe von einer Richtung in die andere gescheucht. „Da gibt es einen ganz einfachen Trick“ erzählte sie stolz. „Den hat Anna mir gestern noch gezeigt. Sie hat die Pferde nämlich dressiert und sie kommen, wenn man pfeift.“ „Kannst du denn pfeifen?“ Sie strahlte nur und Seto hatte keine andere Wahl als sich noch mehr in sie zu verlieben. Sie war so süß und offensichtlich geehrt, wenn sich jemand mal nur um sie allein kümmerte. Noch etwas befangen, aber man sah ihr an, wie gut es ihr tat, dass ihr Großvater sich mit ihr beschäftigte. Sie steckte sich die Finger in den Mund und pfiff so laut sie konnte. Und es funktionierte. Die Pferdchen blickten auf und trabten gemächlich zu ihr herüber. Die anderen schauten doch ziemlich dumm herüber, während die Zaungäste sie damit ziemlich schallend auslachten. So lange hatten sie schon probiert, sich eines zu fangen und dann reagierten die so einfach auf nur einen Pfiff? Das war doch fies! Aber auch Laertes fühlte sich angesprochen, landete vor ihr auf dem Zaum und sah sie mit seinen großen Augen an. Man konnte richtig darin lesen. Könnte er sprechen, hätte er gefragt, warum sie ihn jetzt gerufen hatte. „Nicht du!“ lachte sie und kraulte seine kleine Brust. „Ich meinte die Pferde.“ Er gab ein helles Fiepen von sich und plusterte sich zur Antwort kurz auf. So was auch. „Na los. Flieg weiter, Vogel“ stupste sie ihn an, er guckte noch kurz, aber war dann auch schon auf dem Weg zurück aufs Scheunendach, wo Lady saß und sich ihr strahlendes Gefieder putzte. „Meinst du, er hat sich verliebt?“ fragte sie, als sie dem Kleinen nachsah. „Wer weiß“ lächelte Seto. „Wenn ich ein Falke wäre, fände ich sie auch gut. Auf jeden Fall ist es schön, wenn sie wieder Gesellschaft hat. Seit Lela fort ist, machte sie einen etwas einsamen Eindruck. Aber euer Laertes bemüht sich ja rührend um sie.“ „Laertes ist ein Süßer“ meinte sie und streichelte der bunt gescheckten Stute über die weiche Schnauze, als sie ihr den Kopf hinstreckte. „Du, wir haben gar keinen Sattel.“ „Brauchen wir den denn?“ fragte er frei zurück und bastelte dem ausgesuchten Pferdchen auch recht schnell eine Trense ans Maul, die eigentlich nur aus dem langen Lederseil bestand, das er mitgenommen hatte. Richtig um den großen Kopf gewunden und verknotet, sah es richtig fachmännisch aus. „Das kannst du aber schnell“ staunte sie. So schnell hätte sie das nicht hinbekommen und immerhin waren so Pferdemäuler nichts, wo man gern hineinlangte. Die Zähne waren bestimmt sehr schmerzhaft. „Das hab ich mal üben müssen“ erklärte er, während er das ganze noch mal schön festzog. „Als Yugi mal eine Woche im Trainingscamp war, konnte er Falsetto nicht mitnehmen. Aber der wollte ja trotzdem bewegt werden.“ „Und dann hast du dich um das Rennpferd gekümmert? Falsetto war doch Opas Rennpferd, oder?“ „Ist es in dieser Zeit noch immer“ antwortete er. „Aber als er wieder da war, hat er mich nicht mehr an sein Pferdchen rangelassen. Er hat sich beschwert, dass er total verritten ist. Aber ich bin nun mal kein Fachmann. Was soll ich machen?“ „Opa hat mal gesagt, Pferde sind wie Schuhe“ erzählte sie. „Sie müssen einem zuerst passen und gefallen und dann muss man sie einlaufen. Und wenn mal jemand anderes ne Woche darin gelaufen ist, muss man sie noch mal einlaufen.“ „Ich hab nun mal große Füße“ grummelte er und drückte ihr die Zügel in die Hand, schwang sich über den Holzzaun und fühlte sich von dem roten Hengst zu seiner Rechten spontan angesprochen. Der war jetzt seiner, zumal er ziemlich groß war. Auf so einer vergleichsweise kleinen Stute würde er eine recht dumme Figur machen. Zumal sich das Tier wohl auch beschweren würde. „Und was machen wir mit den anderen Pferden?“ schaute sie ratlos zu den anderen, die noch immer um sie herumstanden und auf irgendwas warteten. „Wegjagen oder stehen lassen“ meinte er und zog dem roten Riesen vorsichtig die Riemen fest. „Die werden schon abhauen, wenn sie merken, dass wir nichts von ihnen wollen.“ „Was macht ihr?“ fragte Joey neugierig und tauchte zwischen den Pferdchen auf, die sich wiehernd vor ihm in Sicherheit brachten. Nur die zwei, die sie sich ausgesucht hatten, blieben brav stehen, während die anderen aufschreckten und sofort von dannen galoppierten. Mit dem Typen hatten sie noch ne Rechnung offen. „Ich glaube, die mögen dich nicht“ vermutete Sareth. „Kann ich verstehen“ meinte Seto und schwang sich zum Erstaunen der beiden ziemlich elegant hinauf auf den hohen Rücken. „Wow!“ staunte Joey von unten. „Übung macht den Meister, kann man wohl nicht sagen, oder?“ „Warum?“ guckte er ratlos hinunter. War doch nicht das erste Mal, dass er auf einem Pferd ritt. „Na, weil Yugi ja nicht ganz so groß ist, wenn du den reitest. Ich meine... A a a h! AUA! AU! SETO!” Da zog ihm ein böser Schauer den Rücken hinauf und ließ ihn frösteln, wenn nicht sogar frostbeulend schütteln. „Böser Köter“ brummte er, haute ihm warnend auf den Kopf und nahm dann Sareth ihre Zügel aus der Hand. „Kommst du selbst rauf?“ „Ich weiß nicht“ schaute sie unsicher zu dem Pferd rauf. „Ist ja doch ein bisschen hoch.“ „Du kannst auf den Zaun klettern“ zeigte er. „Und wenn ich runter falle?“ „Du fällst nicht, mein Lieb“ lächelte er sie besonders sanft an. „Ich achte schon auf dich, Schätzchen.“ Sie schluckte zwar ein Mal kurz, aber wollte sich vor den beiden Jungs wohl keine Blöße geben. So bestieg sie etwas wackelig den Zaun, hielt sich an Setos ausgestreckter Hand fest und nahm auch gern die Räuberleiter von Joey an, die er ihr spontan anbot. So fand sie sich mit etwas Hieven und einem verlegenen Kichern hoch auf dem Pferderücken. „So, Vorsicht. Es geht los.“ Sanft zog Seto an ihrem Zügel, gab seinem Hengst einen kleinen Impuls und führte seine Enkelin über die Wiese. Jedenfalls hätte er es, wenn ihm nicht Joey vor die Flinte gesprungen wäre. „Nimmst du mich mit, Drache?“ strahlte er zu ihm rauf. „Fang dir Pferd oder leck mich“ grummelte er und wollte an ihm vorbeireiten. „Sag mir nur, wo. Oder soll ich raten?“ Mit einem erst fragenden, dann erschrockenen, dann ärgerlichen Blick strafte er ihn, drehte sich herum und zog ohne ihn von dannen. „Hey! Warte doch!“ Er wollte ihm ja nachlaufen, aber er klebte am Boden fest. Er ruckte nach links, nach rechts, aber nichts bewegte sich. Seine Füße wollten sich einfach nicht bewegen. Festgefroren. „Na, super!“ Das konnte ja ewig dauern bis das alles geschmolzen war. Und bis dahin waren ihm die Zehen abgefroren und der Drache über alle Hügel. Seto und Sareth unterdessen machten sich eine schöne Zeit zu zweit. Je weiter sie kamen, desto sicherer saß die Kleine im Sattel und schien nach einiger Zeit zunehmend Spaß daran zu finden. Sie streichelte ihre brave Stute, genoss die Sonne auf ihrem Kopf und die sichere Führung ihres Großvaters. Seto sah deutlich, wie sie sich entspannte und ein wenig Abstand zwischen sich und dem Alltag brachte. Auch wenn sie eher ruhig und zurückhaltend war, hieß das lange nicht, dass sie diese ganze Situation nicht belastete. Mit Sicherheit sorgte sie sich um ihre Familie und hatte Angst vor den nahenden Kämpfen. Aber sie gab sich tapfer, beschwerte sich über nichts und hielt alles geduldig aus. Irgendwie sah Seto ein Stück von sich selbst in ihr. Immerhin war sie die Tochter seines Wunschkindes. Und eben deswegen ahnte er auch, dass sie sich mehr Gedanken machte, als sie es sagte. Und unausgesprochene Gedanken entwickelten sich manchmal in die falsche Richtung bis Ängste daraus wurden. Und Seto wollte nicht, dass es ihr so erging, nur weil sie nicht sprach. „Und? Gefällt es dir?“ begann er ein kleines, entspanntes Gespräch, während sie sich langsam dem Waldende näherten. „Ja“ antwortete sie kurz und sah ihn dann mit leuchtend blauen Augen an. Es kam ihm vor, als würde er in einen Spiegel blicken. Nicht mal Seths Augen waren den seinen so ähnlich wie ihre. „Du, sag mal ... warum machst du das jetzt?“ „Warum? Was mache ich denn?“ „Du ...“ Sie schien sich einen kleinen Ruck zur Überwindung geben zu müssen. Aber merkwürdig kam ihr diese Sache doch vor. „Ich meine ... hast du nichts besseres zu tun, als mit mir zu reiten?“ „Was anderes vielleicht, aber im Moment nichts besseres. Nein, hab ich nicht“ antwortete er und setzte sein wärmstes Lächeln auf. „Warum fragst du? Ist es dir unangenehm, wenn ich dich näher kennen lernen will?“ „Nein. Aber sonst ... ich weiß nicht. Das ist komisch. Das alles.“ „Du bist es nicht gewohnt, dass sich andere um dich kümmern, oder?“ „Doch! Doch sehr!“ beteuerte sie. „Zuhause sind auch alle ganz lieb. Und Papa passt immer auf mich auf. Alle kümmern sich um mich! Wir machen auch viel zusammen ... also in der Zukunft. Aber jetzt ja noch nicht.“ „Ich meine Menschen, die dich nicht so gut kennen“ erklärte er. „Wir sind hier zwar auch alle deine Familie, aber wir kennen uns noch nicht so gut. Und du scheinst ja doch eher ein ruhiger Vertreter zu sein. Deswegen frage ich mich, was so in dir steckt. Was du für eine Persönlichkeit bist.“ „Aber Nando ist auch ruhig und du fragst ihn nicht“ meinte sie. „Aber Fernando ist nicht meine Enkelin“ zwinkerte er. „Außerdem ist er wohl deshalb ruhig, weil er sich höflich zurückhält und lieber in zweiter Reihe steht. Aber du bist eine von uns aus der ersten Reihe. Ich glaube, du weißt viel mehr als du sagst.“ „Papa meint ... ich soll mich lieber raushalten.“ „Musst du nicht. Steck dich ruhig in alles rein“ beruhigte er und führte sie mit neugierigem Blick aus dem Wald hinaus über eine riesige Wildwiese. „Erzähl mir was von dir. Was machst du so?“ „Na ja ... so normale Sachen.“ „Was ist denn normal?“ bohrte er. „Gehst du noch zur Schule? Mit zwölf Jahren wäre die sechste Klasse normal, oder?“ **Keine Ahnung ... ich hab mal die deutsche Variante vom Schulsystem genommen.** „Ich bin in der achten“ erzählte sie zaghaft. „Die ersten Jahre hat Papa mich Zuhause unterrichtet. Aber ich wollte so gern in eine richtige Schule.“ „Und das hat er dir erlaubt?“ „Nein. Opa hat gesagt, ich soll das machen“ lächelte sie versteckt. „Papa war dagegen, aber manchmal hat Opa ihm was zu sagen. Er hat mit Papa geredet, immer wieder bis er es erlaubt hat. Ich bin Opa sehr dankbar, dass er Papa zu solchen Sachen überredet.“ „Und? Gefällt es dir auf der Schule?“ „Ja“ nickte sie. „In meiner Klasse sind alle ein bisschen älter, aber sie sagen, das fällt gar nicht so auf, weil ich ja auch ein bisschen größer bin.“ „Und Freunde?“ „Catherine ist meine Freundin, sie ist drei Jahre älter als ich. Sie ist die Tochter von dem Sohn von Jimmys Bruder. Du kennst doch James, oder?“ „James? Du meinst den Jimmy von Enrico?“ „Hm. Sie hat mal bei uns Ferien gemacht und wir haben uns gut angefreundet. Und deshalb darf sie jetzt für ein Jahr bei uns zur Schule gehen. Sie hatte nämlich Ärger auf ihrer Schule in England und musste die Klasse wiederholen. Das macht sie jetzt bei uns. Sie ist meine erste, beste Freundin. Manchmal machen wir Scherzanrufe, aber nicht Papa sagen, ja?“ „Ich kann schweigen“ versprach er. „Was für Scherzanrufe macht ihr denn?“ „Ich höre eigentlich nur zu“ erzählte sie. „Cathy macht das eigentlich immer. Sie ruft irgendwo an und erzählt dann, dass die einen Teppich bestellt haben und der muss noch bezahlt werden oder so. Sie veräppelt die Leute und sie kann total ernst bleiben. Mit Cathy ist es immer lustig.“ „Na, das hört sich ja wirklich lustig an“ lachte er. „Und was machst du sonst noch gern, wenn du nicht gerade fremde Leute veräppelst? Spielst du auch ein Instrument oder hast eine schöne Begabung?“ „Ich kann Klavier spielen“ erzählte sie stolz. „Onkel Noah bringt es mir bei. Zuerst jedenfalls. Aber jetzt bringen wir uns gegenseitig was bei, sagt er. Er braucht immer ein bisschen länger bis er ein Stück auswendig kennt. Aber er muss ja auch mehr arbeiten den ganzen Tag.“ Und höchst wahrscheinlich verstand sie die Dinge einfach schneller. Sie sagte es nur nicht, um sich nicht aufzuspielen. Doch dass sie ein ebenso gutes Gedächtnis wie alle anderen Drachen hatte, ließ sich denken. Nur wollte sie sich lediglich nicht aufspielen und hob ihre hohe Intelligenz nicht heraus. Deshalb ging sie wohl auch noch immer auf eine normale Schule. Sie machte den Eindruck, als sei ihr ganz normale Harmonie wichtiger als berufliche Karriere. Hätte Seto es gekonnt, hätte er es wohl ähnlich gehalten. „Klavier also“ lächelte er. „Möchtest du damit mal was beruflich machen?“ „Ich weiß noch nicht. Ich ... nein, wahrscheinlich nicht.“ „Was?“ bohrte er noch tiefer rein. „Du wolltest doch was sagen, Kleines? Was?“ „Ich würde gern ... nein, das ist mir peinlich.“ „Was denn?“ wollte er wissen und ritt ganz nahe neben ihr, um sie lieb von oben anzusehen. „Sag, was möchtest du später mal machen?“ „Dichten“ sagte sie leise und senkte beschämt ihren Blick. „Ich möchte Dichterin werden.“ „Das ist ja wirklich mal was Ausgefallenes“ meinte auch er, aber er freute sich. Ausgefallene Wünsche waren doch was Schönes. „Hast du denn schon mal was gedichtet?“ „Nur wenig ... ich sag’s auch keinem. Nur dir. Bitte sag’s nicht weiter, ja? Ich hab mal was in der Schule vorgelesen, aber die haben entweder gelacht oder gesagt, es hört sich schief an. Besser ist, wenn niemand so viel davon weiß bis ich gut genug bin.“ „Wenn du nicht willst, verrate ich es keinem“ lächelte er. „Magst du mir was vortragen? Dann kann ich selbst sagen, ob es schief ist oder nicht.“ „Du kannst das doch auch gut, oder?“ schaute sie verlegen zu ihm auf. „In der Zukunft schreibst du ja auch Texte für Musicals und so.“ „Aber Dichtung ist ja ein bisschen was anderes. Poesie ohne Musik. Sich nur mit Worten auszudrücken, ohne eine Melodie darunter zu mischen, ist sehr schwer. Dazu braucht man viel Feingefühl für versteckte Wahrheiten und einen großen Wortschatz. Das Meiste darin wird ja symbolisch ausgedrückt, ohne es direkt zu sagen. Mit Worten Stimmung herzustellen, ist schwerer als mit Melodien. Weil du dann den Verstand anregst und erst in zweiter Linie das Gefühl.“ „Ja, genau! Deswegen mag ich das ja so“ erzählte sie aufgeregt. „Etwas zu sagen, ohne es direkt zu sagen. Das ist Dichtung. Gute Dichtung zumindest.“ „Das klingt, als hättest du schon Dichtungen im Kopf“ meinte er. „Magst du mir was aufsagen oder ist dir das zu peinlich?“ „Nur wenn du im Gegenzug auch was dichtest, okay?“ „Okay, ich probiere es. Ich hab’s noch nie versucht, aber ich traue mich mal“ versprach er und nickte sie an. „Du zuerst.“ „Aber nicht lachen.“ „Ich lache schon nicht.“ „Okay.“ Sie atmete kurz durch und konnte ihn auch nicht ansehen. Häufig hatte sie wohl noch nie jemandem etwas vorgetragen. Aber dann fasste sie genug Mut und ließ die Worte mit sanfter Stimme in der kühlen Luft forttragen. „Wer vernimmt mich? Ach, wem soll ich’s klagen? Wer’s vernähme, würd’ er mich bedauern? Ach, die Lippe, die so manche Freude sonst genossen hat und sonst gegeben, ist gespalten, und sie schmerzt erbärmlich. Und sie ist nicht etwa wund geworden, weil die Liebste mich zu wild ergriffen, hold mich angebissen, dass sie fester sich des Freunds versichernd ihn genösse. Nein, das zarte Lippchen ist gesprungen, weil nun über Reif und Frost die Winde spitz und scharf und lieblos mir begegnen. Und nun soll mir Saft der edlen Traube, mit dem Saft der Bienen bei dem Feuer meines Herds vereinigt, Lindrung schaffen. Ach, was will das helfen, mischt die Liebe nicht ein Tröpfchen ihres Balsams drunter?“ Seto ließ das in sich einen Moment nachhallen und war doch offen erstaunt. Dass ein so junges Mädchen einen so ausgesuchten Wortschatz besaß, dass sie über Probleme sprach, ohne sie auszusprechen. Anscheinend gab es da Dinge, die sie nicht aussprechen wollte, welche sie aber doch bedrückten. Sie war die geborene Dichterin. Sie hatte die Intelligenz und das bodenständige Gefühl dafür. In ihrem Herzen waren keine Melodien, es waren Worte, die sie nicht sprach. Und ihre ungehörten Worte waren so wundervoll ausgesucht und erwählt. Ein ganz besonderes Talent. „Wow, das war echt gut“ lobte er erstaunt. „Ich bin begeistert.“ „Danke“ lächelte sie verlegen und wurde hochrot, senkte ihren Blick und wusste dazu nichts zu sagen. Ein Lob war ein Lob. „Darf ich dich fragen, ob ich die Botschaft dahinter richtig verstanden habe?“ „Das war eben das Erste, was mir einfiel“ entschuldigte sie beschämt. „Machst du denn viele Gedichte über deinen Vater?“ Seto wusste, dass die Frage vielleicht ein wenig herbe war, aber eine solche Reaktion wollte er weder provozieren, noch hatte er sie erwartet. Sie hob ihren Blick nicht, aber begann tonlos zu weinen. Dicke Tränen quollen aus ihren tiefblauen Augen und die Scham darüber hinderte sie daran, sich übers Gesicht zu wischen. Vielleicht in der Hoffnung, er würde es nicht bemerken, wenn sie einfach nicht antwortete. „Ach, Kleines. Entschuldige. Ich wollte dich nicht treffen“ bat er und lehnte sich herüber, legte seinen Arm um sie hob sie zu sich herüber, als die Kleine ihm schwer entgegenfiel. Schräg setzte er sie sich auf den Schoß und hielt sie ganz fest, als sie ein leises Schluchzen fahren ließ und in seinen Armen einsank. „Tut mir leid“ entschuldigte er sich erneut und drückte sie. „Hat dich meine Frage verletzt?“ Sie schüttelte den Kopf und sprudelte einfach drauf los. „Ich kann doch nichts dafür“ weinte sie gegen seine Schulter. „Ich kann nichts dafür, dass ich nicht wie Mama bin. Ich will so gern wie sie sein, aber ich weiß gar nichts von ihr. Ich kann mich gar nicht richtig erinnern. Ich kann doch nichts dafür.“ „Schätzchen, natürlich nicht“ tröstete er liebevoll. „Aber du bist doch ein tolles Mädchen. Warum willst du denn anders sein?“ „Damit Papa nicht mehr so traurig ist“ schluchzte sie. „Wäre ich wie Mama, dann hätte er was, woran er sich freuen könnte. Aber so ... er hat immer Angst, dass mir was passiert.“ „Aber er hat dich doch lieb, so wie du bist. Papa will doch nicht, dass du anders bist. Du bist doch stark und kannst dich selbst beschützen. Du musst nicht anders sein. Oder hat er dir so was mal gesagt?“ „Nein. Nein, hat er nicht. Aber wenn ich ganz normal wäre, so wie Mama. Dann wäre es gut, wenn er mich beschützt.“ „Also empfindest du es so, dass er dich zu viel beschützt, obwohl du gar nicht beschützt werden willst?“ „Ich will so sein wie Papa“ weinte sie mit bitterer Stimme. „Aber er sagt, ich soll keine Versagerin werden. Ich soll werden wie Mama. Weil Mama stark war und wunderschön. Aber ich bin doch nicht wie Mama. Ich kann doch nichts dafür!“ „Ach, Kleines.“ Was sollte er mehr tun, als sie an dich drücken und ihr ein wenig Trost spenden? Um ihr zu helfen, dafür wusste er noch zu wenig. Sie war ja selbst völlig verwirrt. Sie wollte werden wie Tato, weil sie ihn bewunderte, weil sie ihre eigene Kraft entfalten wollte, weil sie selbstständig und stolz sein wollte. Aber Tato sah sich selbst als Versager, der seine Familie im Stich gelassen hatte. Er trauerte Risa nach, die für ihn die Welt gewesen war. Auch wenn er so etwas nie sagte, so empfand seine Tochter es so, als müsse sie ihre Mutter ersetzen. Sie wusste, dass sie es nicht konnte, aber woran sollte sie sich orientieren? Ihrem Vater, dem sie ähnlicher war als ihrer Mutter, durfte sie nicht nacheifern. Und ihrer Mutter konnte sie nicht nacheifern, weil sie kein Bild von ihr vor Augen hatte. Was sollte ein junges Mädchen machen, wenn sie keinen Weg fand und sich schuldig fühlte, weil sie den Schmerz ihres Vaters nicht lindern konnte? Was sollte sie mehr tun, als sich hinter Dichtungen zu verstecken? „Ich bin doch noch dran mit dichten. Mal sehen, ob ich es auch kann“ flüsterte er ihr tröstend zu. „Willst du dir ein hübsch Leben zimmern, musst dich ums Vergangne nicht bekümmern. Das Wenigste muss dich verdrießen, musst stets die Gegenwart genießen. Besonders keinen Menschen hassen und die Zukunft Gott überlassen.“ Sie war einen Augenblick ruhig, ließ seine Worte sacken und versuchte, sich zu beruhigen. „Du sagst Papa nicht, dass ich geweint habe, oder?“ bat sie und traute sich nicht, ihr Gesicht von seiner Schulter zu nehmen. „Wenn du es nicht möchtest, sage ich nichts“ versprach er und streichelte über ihr seidiges, nussbraunes Haar. „Aber ich mache mir Sorgen um dich. Ich glaube, du bist sehr traurig. Tief in deinem Herzen. Spricht denn niemand mir dir darüber?“ „Doch“ antwortete sie leise. „Darf ich noch ein bisschen so sitzen bleiben?“ „Wenn das für dich gemütlich ist und dir vom Rückwärtsreiten nicht schlecht wird“ lächelte er und rutschte ein Stück weiter zurück, damit sie sich noch ein wenig lockerer hinsetzen konnte. Aber eigentlich fühlte er nur, dass sie ihm nahe sein wollte. Egal wie ungemütlich es war. „Du darfst nicht denken, dass sich keiner um mich kümmert“ bat sie und lehnte sich liebesuchend an ihn. „Ich bin traurig. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber ich weiß, dass ich ein gutes Leben habe. Zuhause reden wir viel darüber wie ich mich fühle. Manchmal ein bisschen zu viel.“ „Du und dein Papa?“ „Nein. Du und ich“ antwortete sie leise. „Wir sind im Herzen gleich, sagst du immer. Aber jetzt bin ich hier und so weit weg von dir.“ „Ich bin doch hier, Schätzchen“ tröstete er. „Oder denkst du, ich bin hier jemand anderes?“ „Ich wünsche mir, dass wir gute Freunde sein können“ sprach sie offen heraus. „So gute Freunde wie Zuhause. Meinst du, wir können das?“ „Natürlich können wir das“ schwor er und schaute zu ihr herunter, wovon auch sie schüchtern ihren Blick hob. „Ich glaube, ich kann dich verstehen. Du befürchtest, dass wir dich hier für fremd und klein halten, weil wir dich nicht so gut kennen.“ „Jha ...“ „Aber das ist nicht so“ tröstete er und streichelte ihr windzerzaustes Haar nach hinten, wo er ihr einen kleinen Pferdeschwanz formte. „Ich habe dich sehr lieb. Gleich als ich dich gesehen habe, wusste ich, dass du was Besonderes bist. Und ich möchte dir gern helfen, glücklicher zu werden. Auch mit deinem Papa.“ „Mein Papa ist ein guter Vater“ erwiderte sie aufrichtig. „Er liebt mich, das weiß ich. Und ich liebe ihn. Er redet immer über alle meine Probleme und manchmal streiten wir uns auch. Aber das mag ich nicht so gern und manchmal entschuldige ich mich oder er entschuldigt sich. Ich weiß, dass Papa viele Sorgen hat und traurig ist. Ich will ihm helfen. Er sagt, es ist alles in Ordnung und ich muss ihm nicht helfen, aber ich fühle mich so. Er hat Mama sehr geliebt, deswegen ist er ja so traurig. Und Dashi hat er auch geliebt. Aber manchmal ... ich glaube manchmal, seine Traurigkeit ist viel größer als seine Liebe für mich. Und das muss ihm wehtun, denn er liebt mich unendlich. Das weiß ich. Ich bin ja nur noch eine, die lebt. Aber tot sind zwei.“ „Aber die Gefühle deines Papas sind nicht deine Schuld“ betonte er sanft. „Ich kann verstehen, dass dich das bedrückt. Aber du darfst dich davon nicht niederdrücken lassen. Das würde ihn nur noch trauriger machen.“ „Ich kenne ihn gar nicht anders“ erzählte sie und lehnte ihren Kopf zurück an seine breite Brust. „Manchmal gucke ich mir Videos und Fotos von früher an. Auf den Bildern mit Mama lacht er immer. Aber ich hab Papa noch nie lachen sehen. Also er lacht natürlich schon mal über einen Witz oder so. Aber ich meine ... so ein Lächeln. So ein Lächeln das sagt, wie glücklich und zufrieden er ist. Er guckt nie so wie auf den Fotos. Als wäre eine dunkle Wolke über ihm. Darf ich dir was erzählen?“ „Bei Nini kriege ich ja immer Angst, wenn sie das fragt“ lächelte er und sie gluckste dann doch leise. „Ja, Tante Nini kann ganz schön viel reden“ lächelte auch sie verlegen. Aber ein wenig aufgeheitert. Chapter 25 Für Seto stellte sich langsam ein sonderbar neues Gefühl ein. Sonst fühlte er sich häufig in der schwächeren Position. Er war sonst selbst häufig gehemmt, ein wenig schüchtern oder verschlossen und musste lange forschen bis er sich entschloss, etwas von sich preiszugeben. Aber hier bei seiner Enkelin fühlte er sich das erste Mal wirklich stark. Es war anders als bei seinen kleinen Kindern, die er noch mit einer lustigen Grimasse trösten konnte. Mit Sareth konnte man anders reden als mit einem Kleinkind, sie war schon eine junge Frau. Und er fühlte sich doch, als wäre er der Stärkere. Und er hatte noch niemals das Gefühl gehabt, als könne er jemandem helfen, der schon so selbstständig war. Obwohl sie seine Schwächen kennen musste, gab sie ihm nicht das Gefühl, kleiner zu sein. Er fühlte sich als könne er ihr wirklich helfen, als wäre er verantwortlich für sie. Verantwortlich dafür, ihr zuzuhören, ihr zu antworten und sie aufzuheitern, um ihr ein sicheres Gefühl zu geben. Als könne er ihr das geben, was er selbst bei Yugi erfuhr. Das erste Mal fühlte er sich stark genug. Anders noch als bei Mokuba damals, anders als er Noah rettete, anders als bei allen anderen. Er fühlte sich wie ein Großvater, wie der Beschützer im Hintergrund, der immer da war und zuhörte. So wie sein Opa für ihn immer da war und ihm half und ihn aufmunterte. Vielleicht wäre das ein gutes Lebensziel für die Zukunft. Ein so guter Opa Muto zu sein wie er selbst einen hatte. „Na, erzähl“ forderte er sie lieb auf. „Rede so viel du möchtest.“ „Ich hab mal versucht, für Papa eine neue Frau zu finden“ erzählte sie. „Ich hab ihn im Internet angemeldet und geguckt, welche Frauen zu ihm passen. Und da gab es welche. Ich wollte, dass er mit ein paar von ihnen ausgeht und vielleicht dann auch eine mag. Aber als ich ihm davon erzählt habe ... das war das erste und das einzige Mal, dass er mich laut angeschrieen hat.“ „Er hat dich angeschrieen?“ Tato machte eigentlich nicht den Eindruck, ein lauter Vater zu sein. Eher als würde er durch seine liebevolle Art und sein stolzes Sprechen genug Respekt erzielen, dass es zum Gehorsam seiner Tochter reichte. Zu schreien passte auf den ersten Blick nicht in sein Erziehungskonzept. Und er hatte bei Seto und Yugi sicher auch anderes als laute Worte gelernt. „Er schreit sonst nie. Aber da hat er mich angeschimpft. Er hat gesagt, er verliebt sich nie wieder. Dass Mama die Einzige für ihn war. Und ich soll nie wieder versuchen, eine andere Mutter zu finden, weil das ihr Grab schändet.“ „Aber du hast es doch nur gut gemeint.“ „Aber ich hab ihm damit wehgetan“ gestand sie und versteckte sich bei ihm, um eventuellen Blicken zu entgehen. „Ich hätte das nicht tun dürfen. Er war sehr böse. Er hat gesagt, ich darf nicht versuchen, Mama zu vergessen. Aber ich erinnere mich gar nicht richtig an sie. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn er sich verliebt und wieder glücklich ist. Ich glaube, er war so böse, dass er mich weggeschickt und dann geweint hat. Ich hab ihn zum Weinen gebracht.“ „So dumm war deine Idee gar nicht“ tröstete er und streichelte ihren zarten, geraden Rücken. „Soll ich dir mal erzählen, dass ich was Ähnliches gemacht hab?“ Sie hob vorsichtig ihren Kopf und sah ihn unverständig an. „Hast du auch versucht, eine neue Frau für Papa zu finden?“ „Nein, das nicht. Ich war viel frecher als du“ erzählte er zur Beruhigung. „Du weißt doch, dass ich mal gestorben bin.“ „Ja ... du hattest Krebs. Von der Medizin, die du nehmen musstest.“ Was für eine schöne Umschreibung für seine Antidepressiva. „Genau. Und ich wusste, dass ich sterben würde. Ich saß schon im Rollstuhl und ich merkte, wie ich jeden Tag schwächer wurde. Und ich wollte nicht, dass dein Opa ohne mich dann einsam ist.“ „Dann hast du einen neuen Mann für ihn gesucht?“ staunte sie. „Wirklich?“ „Nein, ich hab eine Frau gesucht“ berichtigte er. „Sie sollte schön sein und intelligent und gesund. Eine gute Mutter für meine Kinder und eine treue Frau für Yugi. Ich hab Profile von den Bewerberinnen angelegt und einige davon ausgewählt.“ „Und hast du Opa was davon gesagt?“ „Ich war nicht so höflich wie du“ schmunzelte er. „Ich hab die Damen einfach eingeladen und ihn in die Falle gelockt. Ich hab ihm erzählt, er hätte ein Date mit mir und bin einfach nicht hingegangen. Er sollte ja allein mit ihnen sprechen und entscheiden, welche er am liebsten mag.“ „Und? Fand er eine gut?“ „Natürlich nicht“ seufzte in kopfschüttelnder Erinnerung. „Ich hab ganz schön Ärger bekommen. Von Seth UND von Yugi. Er hat mich ganz schön zur Schnecke gemacht.“ „Echt?“ lachte sie. Sie kannte die beiden wohl auch nur als Traumpaar und konnte sich kaum vorstellen, dass die eben auch mal Ärger hatten. „Du siehst, wir sind ziemlich gleichdumm. Du und ich“ tippte er ihr auf die Nase. „Also mach dir nichts draus. Ich bin ein Pechvogel und vielleicht bist du auch einer.“ „Ich möchte gern so sein wie du“ lächelte sie ihn an. „Ich mag dich sehr gern.“ „Ich hab dich auch lieb, mein Engelkind.“ „Das hast du früher auch immer zu mir gesagt“ strahlte sie. „Was? Engelkind?“ „Hm!“ nickte sie schnell. „Na, wir machen wohl viel zusammen, was?“ „Ja, wir ... OH! GUCK MAL!“ rief sie und zeigte in den Himmel. Dort war gerade noch zu sehen, wie Lady aus dem blendenden Sonnelicht herausstieß und sich eine Möwe aus dem am Himmel kreischenden Schwarm schnappte. Erst im Sturzflug gezielt mitten in die Menge der lärmenden Vögel und als die Gruppe weiterzog, sank sie irgendwo auf der Wiese herab und war mit ihrer Beute verschwunden. „Boah!“ staunte sie. „Das hab ich noch nie gesehen.“ „Das Federchen ist eine gute Jägerin“ erzählte er stolz. „Wollen wir mal schauen, wo sie ist? So weit kann sie ja nicht sein.“ Er gab seinem Hengst einen Stoß, hielt mit einem Arm sein Engelkind an sich gedrückt und mit der anderen Hand beide Pferde an den Zügeln, während er im leichten Galopp in die Richtung trieb, in welcher er seine Falkendame vermutete. „Ich sehe so was gern im Fernsehen“ erzählte sie. „Neulich hab ich gesehen, wie Forscher mitgeflogen sind und das aus der Luft gefilmt haben. Weißt du eigentlich, warum die Falken Rahs Lieblingstiere sind?“ „Ja, weiß ich“ lächelte er. „Aber erzähl mal, was du meinst.“ „Im alten Ägypten hieß es, dass er die Falken am meisten liebt. Die fliegen nämlich so, dass sie im Schutz der Sonne sind, damit die Beutetiere sie nicht erkennen können und geblendet sind. Dann plötzlich tauchen sie hervor, voller Kraft, wie neu geboren. Deshalb heißt es, dass der Sonnengott sie gebärt. Das machen viele Greifvögel so. Fischadler auch. Deshalb sind die Greifvögel Rahs liebste Gefährten.“ „Das ist richtig“ lobte er. „Sethos hat mir mal davon erzählt. Als Rah bemerkt hat, dass sich die Raubvögel sein Sonnenlicht zugute machen, da hat er sie zu seinem Wappentier erklärt. Schön, nicht? Aber es gibt auch noch einen zweiten Grund, den nicht jeder kennt.“ „Einen zweiten?“ fragte sie und sah ihn neugierig an. „Welchen denn?“ „Damals“ antwortete er ruhig und lächelte zu ihr herab. „Damals als Rah und Seth noch Menschen waren, lebten sie friedlich zusammen. Seth war eher häuslich und kümmerte sich um das gemeinsame Land, während Rah sich mit anderen Menschen traf und viel auf Besuchen war. Es kam nicht selten vor, dass er sich dabei verirrte und durch den dichten Wald nicht wieder zurück fand. Jedes Mal, wenn Seth das Gefühl hatte, dass Rah mal wieder herumirrte, schickte er seinem Bruder einen Falken, der ihn fand und nach Hause leitete.“ „Was für eine schöne Geschichte“ lächelte sie verlegen. „Ist das auch wirklich wahr?“ „Ja“ lächelte er zurück. „Rah hat es mir selbst erzählt. Deshalb liebt er Greifvögel. Weil sie ihn an die Liebe seines Bruders erinnern.“ „Dann ist das mit den Falken aus dem alten Ägypten ja Quatsch“ stellte sie heiter fest. Es war eben nicht alles wahr, was man im Fernsehen erzählt bekam. Seinem Großvater zu glauben, damit war man auf der sichereren Seite. „Es gibt auch noch eine zweite, lustige Geschichte, die dann ja auch nicht stimmt“ glänzte sie mit ihrem historischen Wissen. „Früher haben in vielen Tempeln Rahs Kinder gelebt. Das waren Mantelpaviane. Sie sind morgens mit den ersten Sonnenstrahlen auf die Mauern geklettert, um sich zu wärmen. Deshalb sagte man, sie wären Rahs Kinder.“ „Das lass mal nicht die Pharaonen hören, dass sie mit den Pavianen verwandt sind“ lachte er. „Wobei der Gedanke bei Yami gar nicht so fern liegt.“ „Der bekommt beim Anblick von Bananen doch ganz andere Gedanken als kulinarische.“ „Sareth Muto!“ schallte er vor Lachen heraus. Die Kleine wurde ja echt locker hier. Und anscheinend war sie geistig sehr viel weiter als man es ihr zutraute. Wie denn aber auch anders, wenn man mit einem Pharao unter einem Dach wohnte? Speziell mit welchen, die wie Yami waren. Da musste man ja notgedrungen recht früh aufgeklärt werden. „Ist doch wahr!“ lachte sie mit ihm. Endlich etwas, worüber sie gemeinsam lachen konnten. Und um über Yami zu lästern, da fand sich immer Stoff. Aber da hatte Seto sein Federchen auch schon ausgemacht. „Da. Ich hab sie“ zeigte er nach vorn zu einem Baum. Dort hatte sie sich mittlerweile raufgeschwungen und rupfte ihre frische Möwe, sodass um den ganzen Baum überall Federn flogen und ihr schöner Schnabel rundum etwas rot war. Aber so ganz unblutig ging es nun mal nicht. Und ihr kleiner Verehrer war auch dazugekommen. Laertes saß etwas am Rande auf einem Ast und gluckste zu ihr herüber. Entweder wollte er auch etwas abhaben oder ausmachen, was denn an dieser Beute besser war, als an der, die er ihr anschleppte. Auf jeden Fall belohnte sie ihn mit der kalten Schulter. „Das ist aber ein fetter Vogel“ staunte sie, als sie die weiße Dame beim Rupfen beobachtete. Die hatte sich wohl wirklich die dickste Möwe ausgesucht. „Tja, Laertes. Da kannst du nicht mithalten!“ lachte sie und wand sich zu Seto. „So dicke Vögel kann er nämlich gar nicht tragen. Er ist ja nicht so groß wie Lady.“ „Dabei ist sie selbst schon kein Riese“ meinte er. „Du hättest mal Leikos sehen sollen. Den Adler von Sethos. Der war so riesig, der hat mal ein kleines Reh bis in unseren Garten getragen.“ „Echt?“ „Ja, echt. Der Gärtner hat sich ganz schön erschrocken, sag ich dir. Aber Leikos war schon ein Brocken von Vogel. Der hat so einige Kilo Fleisch weggehauen. So viel frisst Lady im ganzen Jahr nicht.“ „Ich glaube, von einem Reh kann Laertes nur träumen“ gab sie mit kleinem Beschauen auf den Zwerg seufzend zu. „Der kann ja gerade mal ne große Ratte tragen. Aber ich meine, richtige Ratten werden ja auch so groß wie Katzen. Ich finde, für seine Größe ist er ziemlich kräftig.“ „Und er scheint ganz lieb zu sein“ vermutete Seto. „Nur an Lady könnte er sich die Zähne ausbeißen. Die verschmäht die Herren.“ „Da kann Lady sich aber auch die Zähne ausbeißen“ meinte sie ernst. „Laertes ist nämlich ganz schön hartnäckig. Wenn er was will, dann gibt es so schnell nicht auf. Er nervt so lange bis er hat, was er will. Nur bei Papa, da hört er aufs Wort.“ „Nur nicht immer auf’s erste, was?“ „Häh?“ guckte sie ihn an. Wie jetzt? „Na, nicht aufs erste, aber aufs zweite oder dritte oder vierte.“ „Ach so. Ja“ lachte sie. „Wenn er gerade nicht selbst redet. Er ist ein Stimmkünstler. Ich glaube, er versucht immer noch, sprechen zu lernen. Aber er hat ja nicht so gute Stimmbänder wie ein Papagei oder ein Beo. Hat Papa dir mal von dem Raben erzählt, der uns genervt hat?“ „Nein“ lächelte er. „Wollen wir absteigen und uns ein bisschen hinsetzen? Dann können wir in Ruhe aufs Meer schauen.“ „Ja. Hilfst du mir?“ Sie hielt sich an ihm fest und rutschte vorsichtig zu einer Seite hinunter, während er sie oben noch ein wenig stützte. Als sie dann mehr oder weniger elegant auf dem festen Boden angekommen war, schwang er sich etwas gekonnter herunter. Er hatte da ja nun etwas mehr Übung. Sie suchten sich einen schönen Platz auf einer großen Steingruppe in der Nähe, welche durch ihre dunkle Farbe von der Sonne ein wenig angewärmt waren. Die Pferde durften fortlaufen und sie selbst ließen sich nieder, setzten sich in das vom Sommer noch trockene Gras, lehnten sich gegen die warmen Steine und genossen nicht nur die schöne Sonne, sondern auch den unschlagbar schönen Blick. Ein paar hundert Meter ging diese Wiese noch nach hinten bis sie dann relativ steil abfiel und erst an einem sehr schmalen Strand Halt machte. So bekamen sie eine Übersicht über den breiten Fjord, dessen anderes Ufer heute bei klarer Sicht sogar zu erahnen war. Der Wind trug einen salzigen bis fischigen Duft herüber, aber durchaus nicht unangenehm. Frisch und natürlich roch es hier und überhaupt. Man merkte, dass Menschen hier nicht oft weilten. Immerhin hatte Tato hier ein Naturschutzgebiet gekauft, in welchem so viel wie möglich unberührt geblieben war. „Du wolltest mir von dem Raben erzählen“ fragte Seto noch mal und fischte ihr eine Daune von der Schulter, die der Wind vom Baum zu ihr geweht hatte. „Ach ja. Der Rabe“ fiel ihr wieder ein. „Vor einiger Zeit hatten wir einen nervigen Raben bei uns. Er hat uns immer attackiert, wenn wir rausgegangen sind. Er wollte wohl was zu fressen haben und war an Menschen gewöhnt. Fettes Stadtviech hat Onkel Noah immer zu ihm gesagt. Ein paar Mal kam er sogar durchs Fenster hereingeflogen und ist mitten auf dem Tisch gelandet. Das war ein riesiges Vieh. Also keine Krähe, sondern ein richtiger Rabe. Aber Laertes hat sich mit ihm angelegt. Papa hat ihn immer wieder gerufen, aber er hat echt nicht gehört. Er war total sauer auf den Raben. Das hättest du sehen müssen. Die beiden haben sich ziemlich schlimm gekabbelt, überall flogen Federn und dann sind sie irgendwo im Garten verschwunden. Wir haben uns Sorgen gemacht, weil Laertes ja ziemlich viel kleiner ist. Aber er hat den blöden Raben echt besiegt. Zwei Stunden später kam er ins Wohnzimmer geflattert und sah total gerupft aus. Am Kopf hatte er eine kahle, blutende Stelle. Aber der Rabe war tot. Er hat ihn reingeschleppt und Papa auf den Schoß geschmissen. So nach dem Motto, dass jetzt keiner mehr behaupten kann, er wäre zu klein, um sein Revier zu verteidigen.“ „Wow, ganz schön mutig für so einen kleinen Falken“ ließ Seto seine ehrliche Anerkennung hören. „Mit richtigen Raben ist nicht zu spaßen. Die können sogar für Menschen gefährlich werden.“ „Aber Laertes ist topp“ lächelte sie zu dem Kleinen hoch, der eigentlich mehr auf Ladys Beute schielte. „Er hat scharfe Krallen und einen scharfen Schnabel. Und scharfe Augen und er ist ein super Flieger. Ich kann gar nicht verstehen, warum der Falkner ihn nicht zur Zucht haben wollte. Ich meine, er ist vielleicht klein, aber fitter als manch anderer Vogel.“ „Du liebst ihn sehr, oder?“ „Ja“ lächelte sie verlegen. „Er ist mein bester Freund.“ „Hast du dir nicht mal überlegt, ob du einen eigenen Falken haben möchtest?“ „Ich glaube, das kann ich nicht“ lehnte sie mit gesenkter Stimme ab. „Aber warum denn nicht?“ versuchte er sie jedoch aufzuheitern. „Du bist doch sehr intelligent und kommst mit Laertes gut klar. Was hindert dich daran, dir einen heiligen Partner zu suchen, der dich mit Rahs Segen verbindet?“ „Eben genau das. Falken sind doch heilige Tiere“ erklärte sie nervös. „Ich bin nicht heilig. Ich bin kein Priester und ich werde auch nie einer sein. Ich kann keinen Falken haben. Laertes ist doch nur so speziell, weil er durch Papas Magie beeinflusst wird. Mein Falke würde wegfliegen und nicht aufs Wort gehorchen. Er wäre nur ein ganz normaler Vogel. Es muss ja nicht jeder gleich sehen, dass ich anders bin.“ „Du bist ein Mädchen, aber du bist doch trotzdem stark“ meinte er. „Ich weiß nicht, ob ... wie sage ich das am besten ... wie viel ... also wie viel weißt du denn über uns?“ Er wollte das nicht so direkt fragen, aber wenn er sie ansah, sie beobachtete und sich ein Urteil bilden müsste, so würde er tippen, dass sie so mächtig, intelligent und sensibel war wie alle männlichen Wesen ihrer Linie. Nur wusste er nicht genau, in wie fern man sie über dieses empfindliche Thema aufgeklärt hatte. „Papa hat mir alles gesagt“ gab sie ziemlich abgeklärt ihr Wissen preis. „Dass wir Kinder des Gottes Seth sind. Aber wir sind anders als Sethan, weil er uns aus seinem Herzen durch ausgewählte Menschen geschaffen hat und nicht durch seinen eigenen Leib. Aber wir besitzen mächtige Magien, die durch unsere Elemente verstärkt werden. Und wir haben alle vier weiße Drachen in unserer Seele. Und damit wir unsere große Magie aushalten, müssen wir mit unseren Seelenwächtern verwachsen sein. Deshalb haben wir animalische Instinkte. Je älter wir werden, desto stärker werden unsere Drachensinne. Wir hören, riechen, fühlen, schmecken und sehen anders als normale Menschen. Für gewöhnlich schärft sich zuerst der Geruchssinn im Alter von Mitte 20 bis dann innerhalb von weiteren 20 Jahren die anderen Sinne nach und nach ausreifen, je nach dem wie weit die Magie trainiert ist früher oder später. Diese Instinkte haben aber auch zur Folge, dass unser Sozialleben verändert ist. Drachen brauchen Familienanschluss und viel Körperkontakt. Wir reagieren sensibel auf Veränderungen im sozialen Umfeld und werden verstört, wenn sich jemand für unsere Begriffe abnormal verhält. Wir brauchen stets jemanden, der als Rudelführer agiert, um Streitigkeiten vorzubeugen und unser Handeln zu beschneiden. Jedoch muss ein gewisser, persönlicher Freiraum gelassen werden, da das Wichtigste für einen Drachen sein Stolz ist. Wir sind deshalb so geschaffen, da der Gott Seth sich in der Gegenwart von Drachen am wohlsten fühlt. Sethos wurde als Erster von uns aus den Seelen toter Drachen und einem Teil von Gott Seths Herzen geschaffen. Seth der Zweite wurde durch Menschen geboren und ebenfalls aus einem Herzenssplitter gezeugt. Seto wurde aus einem Herzensteil von Seth dem Zweiten geschaffen und durch Menschen geboren und Sato aus einem Wunsch von Seto und seinem Pharao Aitemu, wobei jedoch die sogenannten drakonischen Gene überwiegen und von den biologischen Eltern nur noch die schlichte Geburt erforderlich war. Sethan jedoch ist anders. Ob er drakonische oder pharaonische Fähigkeiten hat, weiß niemand. Ebenso wenig, ob er auch aktiv magische Kräfte hat oder nur passive. Sicher ist nur, dass er als leiblicher Sohn anders ist und schwerlich in die Reihe der Drachen einzugruppieren. Da jedoch Falken als heilige Tiere dem Rah verbunden sind, ist die Falknerei traditionell den Priestern vorbehalten. Ein Drache als sogenanntes unheiliges Wesen würde den Falken stets fressen. Und deshalb ist es besser, wenn ich keinen Falken habe.“ „So viel hast du in den letzten Tagen zusammen kaum gesagt“ meinte er in einem durchaus ruhigen, aber skeptischen Ton. „Hört sich an als würdest du einen Aufsatz vorlesen. Verbindest du damit keine Emotionen oder willst du das nur nicht?“ „Ich will es nicht“ antwortete sie und sah beschämt zur Seite. „Ich bin nicht so wie du.“ „Ich glaube, du bist sehr viel mehr wie ich als sonst jemand.“ Er legte einen vertrauten Ton in seine Stimme und wollte sie trösten, ihr helfen. Darüber zu sprechen fiel ihr sichtlich schwer, aber das Thema ganz abzublocken, wäre ihr ebenso peinlich. Sie war nicht feige, aber wirklich befassen wollte sie sich damit nicht. Und Seto verstand das. Er selbst vermied dieses Thema gern, jedoch nicht, wenn er ihr als gutes Vorbild helfen konnte. „Ich kann es dir nachempfinden, Sari. Ich weiß, wie du dich fühlst“ erzählte er und wand seinen Blick ebenso wie sie hinaus auf die kleinen Wellen, deren Plätschern bis hier oben kaum zu hören war. „Damals habe ich große Angst bekommen, als diese Kräfte in mir erwachten. Mit diesen übergroßen Flügeln habe ich mich gefühlt als wäre ich ein Monster, ein Mutant, etwas in dieser Art. Etwas in mir zu haben, was so absolut unmenschlich ist, hat mich beschämt und geängstigt zugleich. Mehr noch als die Magie. Diese Mondphasen sind echt das Letzte und schränken einen unnormal ein. Und als ich damals erfuhr, dass es zwar nur wenigen, aber immerhin auch anderen übermächtigen Magiern so geht, hat mich das auch nur wenig getröstet. Und diese von dir beschriebenen Verhaltensweisen beschämen mich noch heute. Ich würde sie gern vermeiden, aber ich kann es nicht. Jedenfalls nicht, ohne mich kaputt zu machen. Diese Scham wird eigentlich nur dadurch gelindert, dass meine Familie mich so akzeptiert wie ich bin und mir nicht das Gefühl gibt, kein Mensch zu sein. Verstehst du?“ Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. Ansehen jedoch wollte er sie jetzt nicht, um sie nicht in die Enge zu treiben. „Weißt du, es ist mir peinlich, wenn die anderen darüber philosophieren, was denn nun für Drachen normal ist oder nicht. Ich fühle mich dann ein wenig wie ein Forschungsobjekt, ein Sonderling. Aber letztlich tun sie das nicht, um mich bloßzustellen, sondern um mir zu helfen. Um mein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Und ich glaube, ein wenig Bewunderung haben sie vielleicht auch übrig. Ich ... ich erzähle dir jetzt etwas, was ich noch kaum jemandem erzählt habe“ sagte er mit gesenkter Stimme und wusste, dass sie ihren Ohren durchaus gespitzt hatte, auch wenn sie scheinbar abwesend aufs Meer hinaus blickte. „Joey und ich, also Joseph wie du ihn nennst ... wir hatten vor ein paar Jahren einen Streit. Er hat einen Gegenstand zerbrochen, der mir sehr wichtig war und ich bin völlig ausgerastet. Ich hab ihm die Knochen gebrochen und seinen Körper zerfetzt. Ich war außer mir vor Zorn. Hätte Moki ihn nicht geheilt, hätte er das wohl nicht überlebt.“ Er spürte, wie ihre Hand zuckte, sich verspannte, aber er fuhr trotzdem ganz ruhig fort. Zumindest er hatte mit dieser Sache für sich abgeschlossen, mit Joeys Hilfe. „Joey war immer einer der Letzten, die vor mir Angst hatten, die mich am meisten bewunderten. Aber dieses Mal ist er auf Abstand gegangen und hat sogar das Haus verlassen. Ich bin ihm einige Zeit später nachgegangen, um mich zu entschuldigen, auch wenn ich dafür niemals genug büßen kann. Ich hätte ihn beinahe umgebracht, obwohl ich ihn liebe. Ich habe mit ihm gesprochen und gefühlt, wie verletzt er ist. Innerlich verletzt, in seinem Herzen. Er hat mir vertraut und ich habe sein Vertrauen missbraucht. Aber er hat mir ein zweite Chance gegeben, seine Freundschaft zu erhalten. Ich war so bewegt, dass er sich für mich überwindet und mir nicht mal diesen quasi Totschlag nachtragen möchte. Das hat irgendwas in mir angerührt, was ich bis dahin nicht kannte. Es ist mir peinlich, aber ich erzähle es dir trotzdem. Nur bitte erzähle es nicht jedem weiter, ja?“ bat er und drückte nochmals ihre Hand, um zu sehen, ob sie denn noch da war. „Wir lagen auf dem Bett und es war eine sehr vertraute Atmosphäre. Wir hatten uns gerade versöhnt, aber ich spürte, dass er noch immer ein wenig verängstigt und verletzt war. Ich wollte ihn beruhigen, der Drache in mir wollte ihn beruhigen. Ich habe ihn angegrummelt und ihn geleckt wie eine Mutter es bei einem Drachenjungen tun würde. Ich habe ihn festgehalten und gestreichelt. Für mich war da nichts Anstößiges, aber Joey empfand es anders. Er empfand es als etwas Sexuelles, aber weder er noch ich haben dabei Scham empfunden. Erst als es zu spät war, wurde uns klar, was da passiert war. Ich war vollkommen verunsichert, was ich da getan hatte und er muss sich wohl schrecklich peinlich gefühlt haben. Und dann hat er etwas gesagt, was ich nie vergessen werde. Er sagte, ich soll ihn nicht loslassen“ gestand er und blickte sie mit sanften, väterlichen Augen an. „Und jetzt fragst du dich, warum ich dir das erzähle.“ Sie nickte, aber konnte ihn nicht ansehen. Wahrscheinlich fühlte sie sich selbst ein wenig peinlich berührt. „Ich hätte es verstanden, wenn er mich fortjagt, wenn er noch mehr Angst vor mir hat, wenn er niemals mehr etwas mit mir zu tun haben will. Aber stattdessen hat er sich an mir festgehalten und sich den Rücken streicheln lassen. Er hat verstanden, dass wir da wohl unterschiedliche Empfindungen hatten und sagte, dass das nicht zwischen uns kommen soll. Er ist nun mal ein Mensch und ich ein Drache. Und er hat es akzeptiert, heute macht er manchmal sogar Scherze darüber. Er hat mir niemals Vorwürfe gemacht und seitdem küsst er mich manchmal mit Zunge.“ „Ich weiß. Ihr seid nur Freunde“ sagte sie leise. Das kannte sie von Zuhause und wunderte sich bei den beiden über gar nichts mehr. „Das war für mich ein Meilenstein, der mich gefestigt hat. Jedes Mal wenn Joey mich küsst, weiß ich, dass er die menschlichen Normen außen vor lässt und nicht den Menschen Seto, sondern den Drachen Seto meint. Er akzeptiert mit Leichtigkeit das, was ich selbst niemals akzeptiert hätte. Und das gibt mir Sicherheit. Die Sicherheit, dass ich so angenommen werde, wie ich zwar nicht sein will, aber trotzdem bin. Und deshalb brauchst auch du keine Angst zu haben, dass man dich wegen irgendetwas ablehnt. Zumindest nicht innerhalb der Familie“ versprach er und endlich sah sie ihn an. Mit ihren tiefblauen Augen, die noch so unerfahren waren und nach etwas suchten, woran sie sich halten konnte. „Als Seth noch bei uns war, haben wir uns häufig geküsst. Manchmal hat sogar Tristan sich von ihm küssen lassen. Nicht oft, aber so ganz ab und zu“ lächelte er. „Willst du mir etwa sagen, ich soll mir jemanden zum Küssen suchen?“ patzte sie peinlich berührt heraus. „Um Himmels Willen, nein“ lachte er. „Später vielleicht, wenn du älter bist. Jetzt bestimmt nicht. Du bist ja noch ein Drachenbaby.“ „Und warum erzählst du mir das dann?“ „Um dir zu zeigen, dass es nicht schlimm ist, anders zu sein“ erklärte er sanft. „Ich möchte dich nicht wie ein Kind behandeln. Du bist zwar erst zwölf, aber geistig bist du viel weiter. Ich weiß, dass man mit dir auf einem höheren Niveau sprechen kann. Und aus noch einem Grunde erzähle ich dir so persönliche Dinge. Nämlich um dir zu zeigen, dass ich dir vertraue“ versprach er und streichelte ihre kleinere Hand. „Denn ich hoffe, wenn du weißt, dass ich dir etwas Persönliches anvertraue, dass du mir dann auch etwas anvertraust, was für dich persönlich ist. Ich habe das Selbe durchgemacht, was du jetzt auch durchmachst. Ich war ein wenig älter, als ich meine Magie und mich als Drachen kennen gelernt habe. Du bist jünger, aber genauso verunsichert wie ich. Und ich möchte für dich da sein und dir zeigen, dass ich Verständnis für dich habe. Egal wie peinlich dir manche Dinge erscheinen mögen, ich verstehe dich vielleicht besser als du denkst. Ich habe auch viele Dinge getan, die mir sehr peinlich sind oder mir Angst machen. Du musst aber nicht versuchen, deine Gefühle hinter Fakten zu betäuben und so zu tun als sei das für dich normal. Denn was mit uns passiert, ist nicht normal. Wenn dich deine Entwicklung verunsichert, dann hab keine Scheu, darüber zu sprechen. Ich bin immer für dich da. Egal, worum es geht.“ „Es gibt aber nichts zu reden“ meinte sie härter zu sich als zu ihm. „Du bist genau wie ich damals. Du versuchst, es zu ignorieren und zu unterdrücken“ tröstete er und strich ihr sanft über den Rücken. „Und weil ich das selbst kenne, kann ich dir raten, genau das nicht zu tun. Damals war Seth für mich da und hat mich getriezt. Er hat verlangt, dass wir magische Übungen machen. Ja, sogar eine Art Flugunterricht hat er mir gegeben. Heute ahne ich, dass es ihm wohl auch etwas peinlich war, aber er hat seine Scham außen vor gelassen, um mir ein Gefühl von Normalität zu geben. Und wenn ich dich ansehe, möchte ich dasselbe für dich tun.“ „Ich hab meine Magie aber schon im Griff“ meinte sie tonlos. „Ich muss das nicht mehr üben. Ich übe mit Papa seit ich klein bin. Ich darf ja niemandem schaden, also hab ich gelernt, es zu kontrollieren. Du musst mir nichts beibringen.“ „Der Magierin vielleicht nicht, aber wie ist es mit dir als Drachen?“ fragte er lieb und ließ seine Hand genau da liegen, wo sie gerade blieb. Nämlich etwas unterhalb ihrer Schulterblätter. „Dein Rücken fühlt sich nicht so an als hättest du deine Flügel schon mal benutzt.“ „Ich möchte nicht, dass du mich da anfasst. Bitte nimm deine Hand weg.“ „Okay“ antwortete er leise und entfernte die Hand von ihrem Rücken. Wenn sie nicht angefasst werden wollte, würde er das auch nicht tun. Immerhin waren die Flügel etwas sehr Intimes. „Ich möchte dich auch zu nichts drängen, Kleines. Aber es wäre kein Nachteil wenn du lernen würdest, dir auch diese Kraft zunutze zu machen.“ „Ich will das aber nicht und Papa will das auch nicht“ erwiderte sie flach, scheinbar ohne Emotionen. „Mama musste sterben, weil Papas Flügel zerfetzt wurde. Und heute hat Papa keine Träume mehr. Er wollte immer Eiskunstläufer sein und jetzt kann er nicht mal gerade laufen, geschweige denn auf Kufen stehen. Es ist besser, wenn der Drache gar nicht erst rauskommt.“ „Ich kann das verstehen“ meinte Seto. „Ich wollte immer Violinist werden. Aber das geht nicht, weil meine linke Hand kaputt ist. Seelisch kaputt, sodass man sie nicht heilen kann. Zerplatzte Träume können sehr schmerzen. Aber nur weil dein Papa seine Träume nicht verwirklichen kann, muss das nicht für dich gelten. Nur weil sein Flügel kaputt ist, muss das nicht heißen, dass du niemals fliegen wirst.“ „Ich bin die Erde. Ich hab in der Luft nichts zu suchen.“ „Ich bin das Eis und komme am Sommer trotzdem nicht vorbei“ antwortete er fest, aber noch immer ausgesucht liebevoll. „Nur weil dein Vater, der Wind, nicht mehr fliegen kann, musst du nicht aus Kulanz am Boden bleiben. Er wäre dir sicher nicht böse. Eher wäre er traurig, wenn er erfährt, wie sehr du dich aus Rücksicht auf ihn selbst züchtigst.“ „Ich züchtige mich nicht. Ich will nur einfach nicht fliegen.“ „Wobei die Flügel viel mehr bedeuten als nur fliegen“ versuchte er ihr sanft verständlich zu machen. „Sie sind ein Teil deiner Seele. Entfaltest du deine Flügel entfaltest du auch dich, deine Träume, deine Sehnsüchtige, deine Wünsche. Wenn du sie ewig unterdrückst, so unterdrückst du auch deine Seele. Und so wirst du früher oder später verkümmern. Würdest du deine Magie unterdrücken, so würdest du irgendwann daran Schaden nehmen. Und dasselbe gilt für den Drachen in dir. Wenn du diesen Teil nicht akzeptierst, wird er eingehen und deine Seele mit sich reißen. Du würdest niemals zufrieden sein mit dir und dich niemals selbst kennen.“ „Ich kenne mich doch so auch nicht“ meinte sie und ließ ihren Blick auf den Boden hängen. „Ich weiß gar nicht, warum Gott Seth mich geschaffen hat. Warum muss ich ein Mädchen sein? Wenn ich ein Junge wäre, dann wäre alles anders.“ „Warum denn? Was wäre denn anders?“ „Dann müsste ich nicht sein wie Mama. Dann könnte ich wenigstens Dashi ersetzen und Papa wäre nicht so traurig. Dann wäre ich auch stärker. Als Junge wäre ich besser und Papa hätte keine Angst, dass mir was passiert.“ „Ich glaube nicht, dass er dich so sehr behütet, weil du ein Mädchen bist“ meinte er ruhig. „Er beschützt dich, weil er dich liebt. Er will sicher nicht, dass du deine Mutter oder deinen Bruder ersetzt. Warum unser Gottvater dich geschaffen hat, kann ich dir auch nicht sagen. Aber ich weiß, dass ich froh bin, dass er es getan hat.“ „Ich bin nicht so froh“ gab sie bedrückt zur Antwort. „Warum kann ich nicht ein ganz normaler Junge sein? Ich kann kein Priester werden, ich hab keinen Pharao. Ich hab gar kein Ziel im Leben, keine Bestimmung. Jeder hat einen Pharao nur ich nicht. Und Sethan braucht mich nicht als Priesterin, das hat er gesagt. Keiner würde mich vermissen, wenn ich nicht da wäre.“ „Doch, ich würde dich vermissen und das weißt du auch“ versuchte er zu trösten. „Ich weiß nicht, wo deine Bestimmung liegt. Aber vielleicht hast du ja auch nicht die Bestimmung, Priesterin zu werden“ heiterte er sie auf. „Du bist ein wunderhübsches und ein starkes Mädchen. Eben genau, weil du ein Mädchen bist. Du bist wie ein Schmuckstück. Wozu brauchen Frauen denn schöne Ringe, Ketten, die ganzen Edelsteine? Eigentlich zu gar nichts. Aber ohne sie wäre ihre Schönheit nicht perfekt, es würde etwas fehlen. Du bist wie ein Saphir in der Krone einer Königin. Je heller und reiner du leuchtest, desto schöner und mächtiger wird alles um dich herum. Du bist wie das Schmuckstück der Drachen.“ „Meinst du?“ sah sie ihn traurig an. „Ja, vielleicht“ lächelte er. „Halte dein Strahlen nicht zurück. Entfalte dich, zeige allen, dass du da bist. Wie ein Edelstein. Vielleicht hast du keine Bestimmung, aber du bist trotzdem wunderschön. Du bist wie ein Schatz. Unser Schätzchen.“ Kapitel 6: Kapitel 26 - 30 -------------------------- Chapter 26 Die Sonne färbte den Himmel bereits rot und legte sich lautlos in den Horizont zur Ruhe, als Seto auch endlich zurück in seine Hütte kam. Er war noch lange mit Sareth durch die Landschaft geritten und hatte sie näher kennen gelernt. Nach den ernsten Dingen tauschten sie danach eigentlich mehr nur noch alltägliche Erlebnisse aus, erzählten sich Geschichten aus der Schulzeit und Anekdoten ihrer Freunde und zimmerten ein paar Gedichte gemeinsam. Alles in allem war es ein schöner Tag gewesen und er entließ Seto mit der Zuversicht, dass er sie schon noch aus ihrer zarten Schale herauskitzeln würde. Doch nun war er auch ganz glücklich, sich endlich zu seinem Mann ins Bett kuscheln zu dürfen. Den blonden Schopf zumindest sah er schon unter der Bettdecke hervorlugen und freute sich darauf, ihn gleich zu schnuffeln. Wenigstens hatten sie das Bett heute Nacht für sich. Nini hatte sich schon morgens die Erlaubnis geholt, bei ihrem neuen Freund Balthasar zu übernachten und Tato ließ sich von seinem neuen Chaotenfreund Jonny auch nicht trennen. Umso besser, blieben die Papis eben unter sich. Das hieß, die ganze Nacht hemmungs- und hindernisloses Kuscheln und volle Aufmerksamkeit nur für ihn alleine. Ja, ab und zu war auch Seto mal anspruchsvoll. Schnell zog er sich seine Sachen aus und tapste leise durchs Zimmer, hinüber zu dem kleinen Anbau, der ein wenig fließendes Wasser aus einer Pumpe versprach. Es war zwar kalt, aber das machte ihm wenig, solange es gleich im Bett schön warm sein würde. Er putzte sich die Zähne, absolvierte seine Katzenwäsche, ließ das Handtuch in dem Korb bei den anderen benutzten Dingen liegen und kuschelte sich gleich darauf leise ins Bett. Wenn keine Kinder da waren, durfte auch mal nackt geschmust werden. So groß wie Zuhause war ihr Schlafplatz hier nicht und leider betrug das Bett auch nur eine Standardlänge von zwei Metern, womit seine Füße notgedrungen raushängen würden, aber am liebsten wickelte er sich ohnehin um Yugis Bauch. Viel Platz brauchte er zum Schlafen nie. Um ihn nicht zu wecken, schmiegte er sich nur ganz behutsam an seinen Rücken, behielt seine Hände bei sich, schnuffelte das goldene Nackenhaar ein wenig zur Seite und hauchte einen kühlen Kuss auf die warme Haut. „Schlaf gut, Yu-chan“ flüsterte er und legte nicht nur seinen Kopf ganz dicht neben seinen aufs Kopfkissen, sondern auch seine Arme um den geliebten Körper. Bis ihn dann gleich der doppelte Schrecken traf. Nicht nur, dass ihm Yugi plötzlich irgendwie gewaltiger vorkam. Sein Liebster drehte sich langsam herum, schlang seine Beine um ihn und die frechen Augen schauerten ihm eine Gänsehaut über den Rücken. „Schlafen, mein Liebling?“ grinste Yami ihn an. „Die Nacht ist doch noch jung. Und nenn mich Ya-chan, okay?“ Seto wusste nicht, ob er schreien, weglaufen oder sich tot stellen sollte. Hatte er versehentlich die falsche Hütte genommen oder war er Yami in die Falle getappt? Und dass er nackt war, besserte die Ausgangslage nicht wirklich. „Wo ist Yugi?“ grummelte er, bevor er ihn gleich im hohen Bogen rausschmeißen würde. Auch wenn jegliche Drohung wahrscheinlich im Nirgendwo verhallte. „Den hat der böse Wolf gefressen“ glitzerte er mit seinen großen Augen. „Und jetzt hole ich mir das Rotkäppchen.“ „Nur Mist, dass ich nicht Rotkäppchen, sondern der Jäger bin“ meinte er und wollte beleidigt aufstehen, als der böse Wolf ihn aber nicht gehen ließ und sich nur fester um seinen Körper schlang. „YAMI! Lass mich los! Das ist nicht lustig!“ „Finde ich schon!“ lachte er und mit einer Todesrolle riss er den Drachen herum, setzte sich auf seinen Bauch und grinste ihn von oben herab an. „Sei ein bisschen lieb zu mir und ich spucke deinen Miniwolf vielleicht wieder aus.“ „Bisher hab ich Märchen eigentlich gemocht“ brummte Seto. Er konnte Yami schlecht runterwerfen, ohne ihm wehzutun. „Lass mich los.“ „Nein. Äh äh. Spiel mit mir, Liebling.“ „Nenn mich nicht Liebling.“ Aber Yami war komisch drauf heute. Er seufzte, strich Seto sein Haar aus dem Gesicht und betrachtete ihn eingehend, befühlte seine Wangen, seine Lippen, seine Stirn, sein Kinn und bekam einen tiefen Glanz in den Augen. Er erforschte ihn in mit den Augen und schien etwas zu suchen. Doch was immer es war, Seto wusste, dass er es nicht finden würde. Er würde nicht mit ihm spielen. Er würde Seth nicht ersetzen. Er würde ihn niemals ersetzen können. „Tut mir leid, Yami. Komm her“ hauchte er, legte seine kalten Hände an die warmen Wangen und zog ihn zu einem Kuss herunter. Es tat ihm ja auch leid, aber er konnte es nicht. Selbst wenn er wollte, könnte er Seth nicht nachspielen. Die heile Welt, die Yami so gern hätte, gab es nicht mehr. Er wirkte wie verloren zwischen zwei Fronten und wusste nicht, wohin er sollte. Der alte Seth fehlte einfach. Nicht nur ihm. Nach einem kurzen Lippenkuss legte Yami sich auf ihm nieder und schmiegte den Kopf an die breite Brust. Seto spürte, wie schwer er im Gegensatz zu Yugi war. Yugi war ein Fliegengewicht, aber Yami wog schwer wie ein Sack Backsteine. Schon komisch, wie sehr ihm das jetzt auffiel. Und Yami? Der spürte einfach nur, dass Seto nicht warm war. Keine Wärme für einen hitzeliebenden Menschen. Die Form war gleich, aber alles andere ... es war zur Hälfte Seths alter Körper, aber gefüllt mit Setos kalter Asche. Von dem damaligen Priester war kaum mehr ein Schein übrig, weniger noch als eine Ahnung. „Darf ich noch ein wenig so liegen?“ fragte er leise. Trotz allem wollte er sich an Seths alten Körper schmiegen. Sich vielleicht nur vorstellen, er wäre hier. „Seth hätte gestern Mondphase gehabt“ antwortete Seto indirekt und streichelte ihm durch sein helles, seidiges Haar. Als würde er ahnen, woran Yami dachte, wenn er ihn so tief anblickte. „Yami, möchtest du wirklich ... Sex?“ „Nein“ erwiderte er in einem Flüstern. „Ich möchte spielen. Seth ... spielt mit mir. Das kannst du nicht. Tut mir leid, dass ... ich meine es nicht persönlich. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe, dass ich einfach hergekommen bin.“ Seto verstand das nicht ganz. Er wusste, dass Yami und Seth manchmal ein wenig eigenartige Spielchen trieben. Er brauchte da nur an Seite 84 zu denken. Vielleicht lag er hier in seinem Bett, weil er sich etwas Bestimmtes versprochen hatte und nun feststellen musste, dass sein Opfer die Spielregeln nicht kannte. „Yami, ich hab dich wirklich lieb“ versuchte er ihn irgendwie zu trösten. Er konnte sich nur vorstellen, wie schwer es für ihn sein musste, den Vollmond zu sehen und seinen Liebsten nicht hier zu haben. „Wenn du irgendwie ... also ... ich meine ...“ Wie sollte er das kulant sagen? Ihm fiel so schlecht eine Umschreibung ein. „Wenn du Druck hast und ... also, wenn ich irgendwas für dich tun kann, was Yugi nicht kann, dann ... also ... du weißt schon.“ „Danke, Seto“ erwiderte er mit tränendunkler Stimme, hob seinen Kopf und lächelte ihn traurig an. „Ich weiß das zu würdigen, dass du so was sagst.“ „Ich sage das nicht nur, ich meine das auch“ versprach er und legte ihm die Hand an die Wange, strich ihm mit den Daumen die erste, ungeweinte Träne vom Lid. „Ich würde gern Yugi vorher fragen, aber wenn du ... wenn ich ...“ „Du kannst nichts tun. Tut mir leid, aber wir spielen nicht dasselbe“ schüttelte er dankend lächelnd den Kopf. „Du bist nicht Seth.“ „Aber ich ... wenn du mir sagst, was du willst. Vielleicht können wir ... kann ich ...“ „Nein, du kannst eben nicht. Du hast nicht sein Feingefühl.“ Er nahm Setos Hand und führte sie an seinen Hinterkopf. Sorgte für einen festen Griff in seinem goldblonden Haar. „Weißt du, was ich meine?“ „Ich ... nein.“ Er wusste wirklich nicht, was er meinte. „Was meinst du?“ „Greif meinen Nacken, mein Haar“ sprach er zu ihm hinunter. „Zwing mich auf die Matratze. Mach mich an, leg mich flach, tu mir weh - aber liebe mich. Zeig dem bösen Wolf, dass er nur ein Dackel ist.“ „Ich weiß nicht, was ... ich verstehe dich nicht.“ „Ich weiß“ lächelte er traurig, griff in Setos Haar, krallte seinen Hinterkopf und zog ihn vorsichtig nach unten, sodass er notgedrungen seine Brust herausdrücken musste. Und Seto sah nicht aus, als fände er das besonders toll. Hätte Yami ihn schneller gepackt, wäre er wahrscheinlich geflüchtet. Aber so hart festgehalten zu werden, war nicht gerade angenehm. „Das gefällt dir nicht, oder?“ „Nein ...“ gab er leise zu. Er fand das wirklich nicht außerordentlich anregend. Da ließ Yami ihn auch wieder los, gab ihm die Möglichkeit, sich wieder gerade entspannt hinzulegen und blickte ihn traurig an. „Weil du nicht Seth bist. Du kannst mich nicht so anpacken wie er es tut. Du machst Liebe. Seth spielt. Das ist der Unterschied. Tut mir leid. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, mich hier herzulegen. Ich ... jetzt hab ich dich gekränkt.“ „Nein“ antwortete er beruhigend. „Ich verstehe dich. Ich weiß, was du meinst. Er fehlt mir auch.“ „Ich will, dass er zurückkommt“ bat er und sank auf ihn nieder, schmiegte sich an ihn und ließ sich festhalten. „Er fehlt mir so sehr.“ „Er fehlt uns beiden“ erwiderte er ebenso sehnsüchtig. „Es ist das erste Mal, dass ich ohne Yami bin. Es ängstigt mich ein wenig.“ „Den Anschein machst du gar nicht.“ „Ich versuche das Selbe wie du. Ich versuche, stark zu sein“ vertraute er ihm mit gedämpfter Stimme an. „Ich hab’s bei dir gesehen und gebe dir Recht. Wenn wir in Selbstmitleid versinken, bekommen wir ihn nicht zurück. Wir müssen stark und zuversichtlich bleiben.“ „Obwohl es schwer ist.“ „Sogar sehr schwer“ pflichtete er ihm traurig bei. „Aber wir halten uns gegenseitig aufrecht, okay?“ „Ja“ hauchte er und drückte sich an ihn. Die Schwere auf sich empfand Seto in diesem Moment gar nicht mehr negativ, sondern innerlich fast erleichternd. Er und Yami hatten doch eine Gemeinsamkeit. Sie beide waren diejenigen, die unter Seths Verhalten und seiner Abwesenheit gleichermaßen zu leiden hatten. Seto vermisste seinen Yami, seinen Seelenpartner. Yami vermisste seinen Geliebten, seinen Priester. Sie beide hatten sich immer auf seine feurige Stärke, auf seine Weisheit und seine unverwüstliche Art verlassen und nun an ihm zweifeln zu müssen, war, als verlöre man den Boden unter den Füßen. Aber wenn man schon in der Luft hing, so war es gut, einen Leidensgenossen zu haben, der neben einem baumelte. So lagen sie da und hielten sich ein wenig in den Armen. Seto empfand es angenehm, Yami war schön warm und roch nach Seife. Aber seiner schweren Wärmequelle wurde es langsam zu kalt ohne Decke auf einem Eisblock und zog sich die Decke über den Rücken, womit er an Setos Seite rutschte und der sich wärmesuchend gleich wieder einkuschelte. Tja, er war eben eine Nehmernatur. Wie schaffte Yugi das nur immer, ihn mit so viel Geduld durchzufüttern? Seth war da anders. Seto war ein Mensch, der sehr anhänglich war, harmoniesüchtig und fest an einem klammerte. Seth war seine Harmonie auch wichtig, aber den musste man ja geradezu festketten, um ihm mal was Gutes tun zu können, bevor er weitertobte. Seto kuschelte sich von selbst an, an Seth musste man sich anhängen. Einen Ersatz für ihn in seinem Hikari zu finden, könnte schwer werden. Umso bedenklicher wurde der Gedanke, wie abgeklärt Seto das sah. Für gewöhnlich machte er sich um alles Sorgen und fraß es in sich hinein bis er irgendwann unter der Last seiner Gefühle zusammenbrach. Eigentlich sorgte Yugi für sein seelisches Gleichgewicht, aber wenn er gerade nicht hier war, wollte Yami doch wenigstens fragen. „Du, sag mal“ bat er leise. „Kann ich dich was fragen?“ „Kannst es ja mal versuchen“ murmelte er müde. Er genoss das Kuscheln ganz eindeutig sehr und entspannte sich mehr und mehr. „Nimm das bitte nicht persönlich, ja?“ fragte er zaghaft. „Aber du hängst ja doch sehr an Seth und ... ich meine ... hast du irgendwie das Bedürfnis einen zu heben oder dir vielleicht Schmerzen zuzufügen oder ... so?“ „Manchmal“ gab er vertrauensvoll zu. „Heute Morgen hab ich an meinem Mückenstich gekratzt und ich dachte ... jetzt ein wenig mehr noch ... nur noch ein bisschen mehr ... ein bisschen nur ... aber ...“ „Aber du hast es nicht getan?“ „Nein“ hauchte er. „Ich hab’s nicht getan. Heute Morgen war ein schwerer Moment. Aber solche Momente müssen vorbeigehen. Ich weiß, ich muss stark bleiben. Ich darf auch den Wein nicht trinken, den Noah sich mitgebracht hat. Ich muss es beherrschen. Auch in schweren Augenblicken.“ „Und hast du denn viele schwere Augenblicke in letzter Zeit?“ „Je länger Seth fort ist ...“ gab er zu und drückte sich wohl unbewusst ein wenig näher in Yamis Arm. „Aber es wird vorbeigehen. Ganz sicher. Ich will nicht wieder schwach werden. Ich will es kontrollieren. Ich hab eine Familie für die ich sorgen muss. Ich darf nicht immer nur an mich denken.“ „Hast du Yugi erzählt, dass du dich so fühlst? Wenn nicht ... vielleicht solltest du es.“ „Er weiß es. Er weiß es bestimmt“ antwortete er leise. „Als ich heute Morgen den schweren Moment hatte, da hat er mir in die Augen gesehen und gefragt, was los ist. Ich hab ihm den Arm mit dem aufgekratzten Stich gezeigt und ich glaube, er hat es gewusst. Er hat den Schmerz weggeküsst und mir eine Salbe und ein Pflaster gegeben. Er hat gesagt, der Stich wird abheilen und dann tut es weniger weh. Und so wird es sein. Es verheilt alles und irgendwann tut es weniger weh. Er weiß alles, was in mir vorgeht. Er sieht es.“ „Meinst du, ich hätte es in Seth auch sehen müssen?“ wollte er wissen. „Dass ihm sein Herz wehtut? Glaubst du, ich hätte es sehen müssen?“ „Nein, das konntest du nicht“ war seine ehrliche Antwort. „Du hast nichts falsch gemacht. Ich habe auch nichts gesehen. Wir haben alle gedacht, dass er sich merkwürdig verhält, aber wir konnten es nicht verhindern. Nicht du, nicht ich, niemand. Der dunkle Seth hat ihn verführt, ihn herausgefordert. Seine Pläne kann man erst vereiteln, wenn sie bereits in Kraft treten. Wie oft bin ich zusammengebrochen und niemand konnte es vorher absehen? Und es ist niemand Schuld daran. Und an Seths Wahnsinn sind wir auch nicht schuld. Wir sind nur schuldig, wenn wir nichts dagegen tun.“ „Siehst du das wirklich so? Gibst du mir keine Schuld daran, dass ich ihn so frei habe gewähren lassen? Er sagte mir noch, ich soll ihm nicht zu viel Leine lassen, ich soll ihn mehr befehligen. Er hat es mir gesagt und ich ...“ „Es ist nicht deine Schuld“ sprach er klar und deutlich, zog seinen Blick zu sich um ihn fest anzusehen. „Hör zu, Yami. Du bist nicht schuld und niemand macht dir einen Vorwurf. Nicht mal ich. Ich weiß, wir haben ständig irgendwelche Differenzen, aber jetzt müssen wir zusammenhalten. Wir können ihn zurückholen, wenn wir stark sind. Ich klage dich wegen nichts an, ebenso wie du mich wegen nichts anklagst. Wir holen uns unseren Sethi zurück. Okay?“ „Okay“ lächelte er zwar niedergeschlagen, aber um ein ganz großes Stück getrösteter. „Aktion ‚Rettet Sethi’ tritt ab sofort in Kraft, Liebling.“ „Nenn mich nicht Liebling“ grummelte er und rollte sich beleidigt auf die andere Seite. „Och, komm schon“ heiterte er sie beide auf und klemmte sich an seine breite Rückseite, wenn ihm die schon so freundlich hingehalten wurde. „Nein, ich komme nicht“ brummte er. „Erst nennst du mich ständig Uke und jetzt Liebling. Das passt mir nicht. Merk dir das.“ „Okay, Süßer.“ „Und Süßer ist auch tabu.“ „Darf ich dann Sahneschnittchen zu dir sagen?“ „Nein.“ „Herzilein?“ „Nein.“ „Mäuscheschwänzchen?“ „Nein, verdammt. Nein, nein, nein.“ „Brummelchen?“ „Nein, lass es.“ „Dann nenne ich dich Horst.“ „A u f k e i n e n F a l l, A t e m u!“ „Dann bleibt es bei Süßer” beschloss er und umarmte ihn. „Ich hab dich sehr lieb, mein süßes Engelchen.“ „Ich dich auch ... v i e l l e i c h t.“ „Das ist doch mal ne Aussicht” lächelte er zufrieden und seufzte wohlig durch. Zumal er gerade etwas sehr schönes entdeckte. Er klebte Seto direkt am Rücken und dem schien das gar nichts auszumachen. Sonst drehte er ihm niemals so bedenkenlos seine Rückseite zu. Und das war es, was ihn wahrlich tröstete. „Hab Dank für das Gespräch. Ich fühle mich jetzt etwas besser.“ „Das ist schön“ maulte er leise und grummelte vor sich hin. „Und Yami ... eines noch.“ „Ja? Was denn, Süßer?“ fragte er und Seto hörte das Schmunzeln in seiner Stimme. „Danke“ antwortete er leise. „Dass du nichts gesagt hast.“ „Dass ich nichts wozu gesagt habe?“ „Als ich heute Morgen nicht zum Frühstück gekommen bin und ... vorhin, als wir uns kurz getroffen haben. Du hast ... du hast nichts fallen lassen.“ „Nichts fallen lassen?“ Denk, denk, denk. „Ach, du meinst wegen Seite 84?“ „Grrrrr. Ja.“ Genau das. Sonst brachte Yami immer einen dummen Kommentar. Besonders wenn er mal bescheid wusste. Wahrscheinlich hatte Yugi ihm sogar alles brühwarm aufgetischt. Aber er hatte nichts gesagt. Keine eine Bemerkung, nicht mal eine Andeutung. Yami tat so als wisse er von nichts. Ein Wunder, dass das nicht schon per Dorffunk die Runde gemacht hatte. „Schon gut“ lächelte er und streichelte seine schönen Schultern. „Ich hab dir doch versprochen, dass ich mich etwas zurückhalte. Das ist deine Privatsphäre und das akzeptiere ich. Zumindest gebe ich mir Mühe. Merkst du das?“ „Ja, das merke ich. Deswegen ja ... danke.“ Das fiel ihm sicher nicht leicht. Yami fiel es nie leicht, seine vorlaute Klappe zu halten. Aber er bemühte sich, Setos und Yugis Liebesleben für sich zu behalten. Und das war wirklich ein großes Stück. Vielleicht hatte das Problem Seth wenigstens diesen einen Vorteil. Nämlich dass sein Hikari und sein Pharao sich zusammenrauften und einen Schulterschluss wagten. „Aber sag mal, Süßer. Stimmt es, dass du danach wie paralysiert für Minuten auf dem Bett gelegen hast?“ Na super. Also richtig vermutet. Yugi hatte ihm alles aus seinem kleinen Nähkästchen geplaudert. Yugi war fast so eine Tratschtante wie Yami - in manchen Dingen zumindest. Aber was sollte es? Wäre Seth da, hätte Seto ihm vielleicht auch was erzählt. Wobei ... vielleicht lieber nicht. Wie auch immer. Yugi, das alte Plappermaul! „Aber jetzt sag mal ernsthaft: Wo ist Yugi? Immer noch bei Tato?“ „Nee, bei Sethan drüben“ meinte er. „Er wollte noch mal genauer wegen Tato irgendwie fragen, weil der ja auch ganz schön Probleme mit sich rumschleppt. Er sagte, du kümmerst dich ein bisschen um Sari und er wollte mal wegen Tato nachhorchen.“ „Was soll das denn?“ Seto richtete sich plötzlich auf und saß senkrecht im Bett. Aufgeschreckt, verärgert, wachsam. „Ist doch nicht so schlimm“ stutzte er. „Tato ist doch auch sein Sohn. Ist doch logisch, dass er sich Sorgen macht, auch wenn ...“ „Nein, das meine ich nicht“ sah er ihn geschockt an. „Hörst du das?“ „Wieso? Was soll ich denn hören?“ lauschte er in die Stille hinein. „Da ist nichts.“ „Eben“ antwortete er ernst. „Es ist verdammt still. Keine Grillen zirpen, keine Vögel singen, nicht mal der Wind säuselt. Da stimmt was nicht.“ „Meinst du, da ist irgendwas?“ „Das meine ich nicht, das weiß ich“ beschloss er und stand sofort aus dem Bett auf. Yami kam nur kurz dazu, sein wunderbares Tatoo im Abendlicht zu bewundern, während Seto sich seine bereits ausgezogene Jeans schnappte und sie sich wieder überzog. Wow, der Kerl hatte einen Körper wie aus dem Katalog für Adonisse. So ein schönes V im Rücken. Wenn Yami so aussehen würde, würde er sich ständig selbst befummeln wollen. Wie hielt Seto das nur aus, wenn er in den Spiegel sah? „Wisch dir die Gedanken aus dem Kopf und zieh dich an“ weckte Seto ihn und schmiss ihm eine Hose rüber, von der er ahnte, dass es nicht Yugis war. „Ich denke, du liest keine Gedanken“ meinte er, als er sich dann doch anziehen musste. „Ich kann nicht anders, wenn ich meine Sinne schärfe“ entschuldigte er eher wenig schuldbewusst, während er Yami auch noch ein Shirt von sich rüberwarf und dann die Tür öffnete, um hinauszusehen. Da kam ihm auch schon Tato entgegengehumpelt, stützte sich noch etwas müde auf seinen Stock und schien mit diesem verwuschelten Haar wohl gerade erst aus seinem Mondschlaf erwacht zu sein. Wow, da hatte er aber wirklich lange geschlafen dieses Mal. So wie es aussah, spürte er auch irgendwas und wollte nachsehen. „Tato“ sah Seto ihn an und öffnete den Mund, um ihn zu fragen. „Ich weiß, es ist verdächtig still“ antwortete er unaufgefordert. „Wir sollten die Leute zusammenpferchen, bevor jemand verloren geht. Wir stellen Nando, Narla und Sharesa als Schutz für die nicht-magischen Leute ab. Und dann will ich wissen, wo Jonny sich rumtreibt. Der soll mir erklären, was hier los ist.“ Tato hatte wohl den totalen Plan von allem. So wie es aussah, hatte er sich für alle Notfälle bereits etwas zurechtgelegt, wer für welche Aufgabe am besten geeignet war. „Phoenix!“ rief er als der gerade hinten aus einer Hütte kam. „Wo ist Jonny?“ „Asato“ schaute er überrascht herüber. „Warum bist du jetzt erst wach? Wir haben uns schon fast Sorgen gemacht.“ „Wach kann man das nicht wirklich nennen“ murmelte er und humpelte ihm auf halbem Wege entgegen. „Weißt du, wo Jonny ist?“ „Der spielt mit Joseph Karten, so weit ich weiß. Sie wollten im Duo gegen Tristan und Nando pokern ... glaube ich. Warum, ist was passiert?“ „Was wollt ihr denn von Jonny?“ mischte Yami sich ein, der mehr oder weniger verknittert in Setos viel zu großem Shirt angezogen dazustieß. Er hatte zwar auch einen recht kräftigen Körperbau mittlerweile, aber so ein breites Kreuz besaß er noch lange nicht. „Hat er was mit dieser Stille zu tun?“ „Jonny ist ein Seher“ erklärte Phoenix kurz. „Er kann Dinge vorausahnen. Er ist zwar nur Zauberer, aber er hat ein gutes Frühwarnsystem.“ „Sein Frühwarnsystem hat ja wohl nicht angeschlagen, wenn er sich nicht bei mir meldet. Dieser Vollidiot hat ...“ „Es hat sehr wohl angeschlagen, mein Frühwarnsystem“ meinte eben Jonny, der hinter der Hütte vorbeikam und es gar nicht nett fand, wenn man ungerecht über ihn redete. „Aber wenn Herr Dr. Dr. Muto nicht mal ruhig liegen bleiben kann und ich ihn extra suchen muss? Was hampelst du hier rum, häh?“ „Ich hab dich gesucht, du Spinner.“ „Gefunden hab ich aber dich. Deine Stimme ist ja wohl kaum zu überhören, Alter.“ „Wenn ihr uns dann mal sagen würdet, was hier vor sich geht?“ mischte Yami sich freundlich ein. Die beiden waren ja mindestens so schlimm wie Seto und Joey. „Die anderen sind schon vorgegangen“ zeigte er irgendwo auf den Wald, der sich mit schwindendem Sonnenlicht in zunehmende Dunkelheit hüllte. „Dann los. Und weiter?“ forderte Tato, trieb die Gruppe dazu an, sich in Bewegung zu setzen und wollte gleichzeitig auch noch alles andere hören. „Genaues wissen wir auch noch nicht“ erzählte Jonny weiter. „Ich sehe Dunkelheit am Horizont und darin drei graue Punkte. Ich tippe auf Schatten mit drei Führern.“ „Ich sehe da nichts“ meinte Yami und konnte gerade noch über die Baumwipfel schielen, bevor er mit den anderen im Wald verschwand. „Ich meine, mit dem inneren Auge sehen“ definierte er das genauer. „Was genau dahintersteckt, weiß ich auch noch nicht. Aber ich denke, dass irgendwas auf dem Weg hier her ist und das wird höchstwahrscheinlich auf der Wiese hinter dem Wald anlanden. Geister oder Seelen sind es nicht, sonst hätte Narla das gespürt. Also muss es jemand Lebendiges sein.“ „Und wer genau das ist, kannst du nicht sagen?“ hakte er nach. „Sorry, ich bin ja nur Zauberer und noch ziemlich jung“ entschuldigte er das mit einem charmanten Lächeln. Die Magie erwachte bei ihm eben nur mit Training und wirklich mächtig wurden Zauberer somit erst mit fortschreitendem Alter und er war ja gerade mal Ende 20. „Und wer genau ist jetzt dort hingegangen?“ wollte Tato hören. „Tea und meine schwangere Mama sind bei den kleinen Kindern geblieben“ berichtete Phoenix. „Nando und Sharesa sind vorsichtshalber bei ihnen. Ach ja, und Nika wegen Feli. Die mag ja nicht alleine sein. Die anderen sind aber schon mal hin, um nachzusehen.“ „Wer hat das denn so beschlossen? Das ist unverantwortlich“ schimpfte Tato. „Das sind viel zu viele Leute an einem Platz. Außerdem stehen die ohne Magie immer in der Schusslinie. Wir hatten das anders besprochen!“ „Ja, aber sie ließen sich nicht abhalten. Wenn Seth vielleicht auf einen ...“ „Was Seth vielleicht tun könnte, ist mir egal“ blaffte er ihn an. „Dem ist eh nicht mehr zu helfen, also ...“ „Sag das nicht“ bat Seto, der um einiges ruhiger neben ihm herschritt. „Wenn Seth wirklich hier auftaucht, können wir noch immer versuchen, mit ihm zu sprechen. Tristan zum Beispiel hat keine Magie, aber trotzdem Einfluss auf ihn. Und vor Noah hat er auch Respekt. Nur weil einige Leute nicht magisch sind, sind sie noch lange nicht unnütz. So haben wir schon manchen Kampf zusammen zum Guten gewendet.“ „Hier liegt die Sache aber etwas anders, Mama. Ihr habt gar keine Ahnung, was ...“ „Asato, jetzt hör mir mal zu“ beschloss er in einem für ihn ungewöhnlich strengen Ton. „Ihr könnt nicht einfach herkommen und das Kommando übernehmen. Das ist immer noch unsere Zeit und da handeln wir g e m e i n s a m wie wir es für richtig halten. Ich weiß, dass du lediglich alle beschützen willst, aber du solltest bedenken, dass Schutz ganz schnell umschlagen kann. Dass die Kinder außen vor bleiben sollten, ist gerechtfertigt. Aber jeder andere, der sich einem Kampf stellen will, soll das tun. Weil in einer Gemeinschaft alle wichtig sind. Ob magisch oder nicht, ist dabei nebensächlich.“ „Ich sehe das anders“ argumentierte er. „Wenn du in einen Kampf verwickelt bist und Joseph dir vor die Flinte rennt, bist du benachteiligt. Weil du nämlich Rücksicht nimmst und deine Gegner nicht. Es ist besser, wenn sich nur ausgesuchte Personen einmischen.“ „Du vergisst, dass Seth unser Gegner ist“ antwortete er ernst. „Und den wollen wir nicht besiegen, sondern zurückholen. Und zweitens, wenn Joey mir vor die Flinte rennt, ist das vielleicht dumm, aber er hat eine eigene, wichtige Aufgabe. Wenn ich am Boden liege und nicht aufstehen kann, dann zieht er mich hoch und schimpft, dass ich mich nicht hängen lassen soll. Er ist kein Klotz am Bein.“ „Seine Motivation kann man auch anders finden als durch Cheerleader.“ „Ich will mich nicht mit dir streiten. Aber du solltest im Kopf behalten, dass du nicht Feldherr bist, sondern Priester. Das Sagen haben andere als du. Selbst wenn deine Pharaonin nicht hier ist, hast du Sethan zu folgen. Und zu guter letzt bin ich dein Vater, also bevormunde mich nicht“ schloss Seto bestimmt das Thema und bekam ihn tatsächlich ruhig. Es mochte ja sein, dass Tato ein erfahrener Kämpfer war, der aus eigenem Schmerz möglichst viele, in seinen Augen wehrlose, Menschen beschützen wollte. Aber er sollte sich nicht versteifen, denn das hatte Seto selbst schwerlich gelernt. Im Kampf hatte er nicht zu bestimmen, wer sich wo einfinden sollte. Er war Priester und hatte in erster Linie auf Yugi und sein Wort zu hören. Und das galt auch für Tato, der jetzt Sethan unterstellt war. Und wenn Sethan das Okay gab, dass die anderen mit ihm gingen, dann war es okay. Und ein Priester hatte da nicht endlos zu diskutieren. Punkt. Sie gingen durch den Wald hindurch und lauschten. In der Ferne konnten sie bereits Stimmen hören, welche sich abwechselnd in Ton und Lautstärke unterschieden. Wahrscheinlich ihre Freunde, welche beratschlagend ganz in der Nähe weilten. Es würde kein weites Wegstück mehr sein bis sie ans Ende des kleinen Wäldchens kamen und dort lag eine große Wiese von diesen hohen Mischbäumen umrandet. Doch bevor sie noch ganz aus der letzten Reihe des Waldes herauswaren, griff Jonny Yami am Arm und hielt ihn zurück. „Ati, halt. Warte mal kurz.“ „Was denn?“ sah Yami ihn an. „Schnürsenkel offen?“ „Sehr lustig“ murrte er und sah hinaus. „Irgendwas ist da. Ich glaube da ...“ Er brauchte gar nicht weiterzusprechen, da knackte es leise und rummste ohrenbetäubend laut. Der dicke, scheinbar unbewegliche Baum neben ihnen brach ohne Vorwarnung mitten hindurch. Der Länge nach spaltete sich der gewaltige Stamm als hätte ein Blitz eingeschlagen, doch von Gewitter war weit und breit nichts zu sehen. Nur wenige Meter vor ihnen krachte der Stamm herunter, die Äste brachen und knackten ein Stück weiter links von ihnen. Erschreckend. Wären sie weitergelaufen, hätte der Baum sie erwischt und zerdrückt. „Frühwarnsystem?“ schauderte Yami und sah Jonny entrückt an. „Genau das“ nickte er und kletterte schon über den Stamm rüber. „Kommt. Vielleicht haben die anderen Probleme.“ Das musste man ihnen nicht doppelt sagen. Wenn sie selbst schon auf so merkwürdige Weise von umkippenden Naturriesen bedroht wurden, machten die anderen wahrscheinlich ähnliches durch. Gegenseitig halfen sie sich beim Steigen über den gesplitterten Stamm und schritten lauschend still den Rest des Weges durch das hohe Gras, durch die Nadeln der dicken Tannen und verwachsene Büsche bis sie schlussendlich die Lichtung erreichten und vor ihnen die große Wiese. Die Sonne neigte sich noch immer, aber im Restlicht des Tages konnte man sehr gut zwei Dinge erkennen. Erstens stand der Rest der Gruppe gar nicht weit entfernt auf einem kleinen Hügel des Feldes und zweitens bezog sich der Himmel. Nicht mit dunklen Gewitterwolken, sondern mit einem wabernden, geifernden Etwas. Eine Wolke mit derartigem Eigenleben und einer so dunklen Aura war erfahrungsgemäß keine Wolke, sondern eine Schar von Schatten, die aus ihrem Reich entkommen waren. Ja, wahrscheinlich sogar gerufen wurden. Und je näher sie kamen, desto lauter wurde es. Das Zischen und Grimmen lud sich in der kühlen Abendluft immer mehr auf und verdeckte den roten Himmel mehr und mehr. Gut, dass sie nicht inmitten der Großstadt waren, denn das hätte sicher wieder viele meteorologische Rätsel aufgegeben. „Hey, was ist hier los?“ wollte Yami wissen, als sie die anderen erreichten und sich in ihre Mitte einreihten. „Wir warten“ erklärte Sethan mit gelassener Stimme. „Schön. Und wo ist der Würstchenstand?“ fragte Jonny nervös und zeigte auf den einschwärzenden Himmel. „Warum habt ihr die Viecher noch nicht weggepustet?“ „Sind die anderen in Sicherheit?“ „Ja, sind sie.“ Auf seine Frage konnte Jonny sich heute wohl keine Antwort mehr erhoffen. „Sie sind in Narlas Haus und Nando hat einen Schutzkreis gezeichnet. Wenn der durchbrochen wird, spüren wir das. Hat er versprochen.“ „Gut“ nickte er. „Ich möchte nicht, dass meiner Mutter etwas passiert. Und den anderen natürlich auch nicht.“ „Und worauf genau warten wir jetzt?“ forderte Tato zu wissen. „Je stärker die Schatten werden, desto mehr Probleme bekommen wir.“ „Wir warten nicht auf die Schatten, sondern auf den, den sie begleiten“ erklärte Sethan ganz ruhig. „Sie bringen uns drei Magier mit. Ich bitte Euch, sie nicht sofort besiegen zu wollen, sondern sie ein wenig zu reizen. Sie sollen so viele Schatten mobilisieren wie möglich.“ „Und warum das alles?“ fragte Yugi. „Warum wollen wir die Schatten herausfordern? Ist das nicht sehr gefährlich?“ „Das ist sogar sehr gefährlich“ lächelte er, als würde er sich darüber freuen. „Ich weiß, ich soll dich nicht kritisieren, aber deine Taktik gefällt mir nicht“ musste Tato dann doch mürrisch zum Besten geben. „Ich vertraue auf die Kraft unserer Magier und Hexen. Und ihr vertraut darauf, dass ich weiß, was ich tue. In Ordnung?“ bat er lieb. „Wenn alles gut läuft, kann ich vielleicht die Engel befreien und die Pharaonen entlasten. Das habe ich Rah im Gegenzug für seine Hilfe versprochen. Aber dafür muss genug Schattenkraft aufgebaut werden. Und die bekommen wir nur, wenn wir diese Magier reizen.“ „Was sind das für Magier?“ fragte Seto und legte seinen Arm schützend um Yugi, drückte ihn an seinen Bauch. Nicht weil Yugi Angst hätte, sondern wohl eher weil er selbst befürchtete, seinem Liebsten könne etwas passieren. „Die Schatten werden allein von Seth befehligt. Undenkbar, dass fremde Magier ohne Millenniumsgegenstände mit ihnen umgehen können.“ „Nicht, wenn sie seinen Segen haben und ich denke mal, dass genau das der Fall ist. Da in dieser Zeit alles ein wenig schneller stattfindet, können wir uns ganz gut darauf einrichten.“ „Okay, dann lass mich raten“ sagte Balthasar und blickte zu Sethan herunter, der ein Stück kleiner war. „Das sind die drei Hauptmagier vom Zirkel?“ „Gut geraten. Du darfst dir ne Waschmaschine mitnehmen.“ „Moment! Das sind die Zirkelmagier?“ rief Joey, der allein beim Wort Zirkel einen äußerst bösen Ausschlag befürchtete. „Scheiße, die sind immer so gefährlich.“ „Die Hauptmagier sind sogar noch gefährlicher“ erklärte Balthasar noch obendrauf, so als Sahnehäubchen. „Das sind die Männer, die den ganzen Verein leiten. Die Mächtigsten der Mächtigsten.“ „Ich erinnere mich“ sprach Yami und blickte besorgt in die aufziehende Schattenwand, welche mittlerweile schon den halben Himmel in Dunkelheit hüllte und irgendwie einen kalten Hauch herübertrug. „Enrico hat uns von ihnen erzählt. Der eine beherrscht Hypnose und Illusionen. Der zweite ist ein Windmagier, aber wohl nicht so mächtig. Das wirklich Gefährliche soll seine Intelligenz sein. Und der dritte soll ein Medium sein, der die Wärme anderer in Feuer umwandelt.“ „Wow, hast du ein gutes Gedächtnis“ staunte Tristan. „Ich hatte das schon wieder verdrängt.“ „Ich denke, wirklich gefährlich sind nur zwei von ihnen“ meinte Sethan und sah langsam auch etwas kritischer den Himmel an, der sich zunehmend nachtschwarz färbte. „Einen intelligenten Windmagier haben wir selbst. Zumal sein Element nicht so schrecklich ausgeprägt ist und seine Intelligenz eher bei der Führung des Zirkels gefürchtet wird. Deswegen sollten wir uns den bis zum Schluss aufsparen. Ich denke, er weiß, dass er das schwächste Glied in der Kette ist und wird somit die meisten Schatten beanspruchen. Und wir selbst haben fünf mächtige Magier. Das sind gute Ausgangschancen.“ „Fünf?“ missmutete Joey. „Ich zähle ja nur zwei. Seto und Tato.“ „Nein, fünf“ berichtigte Jonny. „Dakar, Sari und Balthasar solltest du nicht vergessen.“ „Ja, aber Seto und Tato sind doch viel mächtiger.“ „Wie dem auch sei. Wir müssen zwei besiegen und den Letzten ein wenig hinhalten“ wiederholte Sethan. „Das müsstet ihr doch schaffen, oder? Ich bin da überzeugt.“ „Wie du meinst“ nickte Tato. „Dann schalten wir die anderen beiden so schnell wie möglich aus und reizen den Schwächsten von ihnen.“ „Stell dir das nicht zu leicht vor“ warnte er aber dennoch. „Die zwei anderen sind mit Vorsicht zu genießen. Ganz wichtig ist, dass wir uns vertrauen und uns von ihren Illusionen nicht täuschen lassen. Besonders die, welche ein schwaches Selbstbewusstsein haben, wird er zuerst angehen.“ „Also Seto.“ „Danke, Joey!“ schimpfte der sofort. „Vielen Dank für dein Vertrauen.“ „Ey, ich sag’s doch nur“ guckte der treudoof. „Dein Selbstbewusstsein ist ja nun echt nicht das beste. Du hast ein mega Ego, aber kein Selbstbewusstsein.“ „Mit dem Selbstbewusstsein ist es bei allen drei Drachen nicht so toll bestellt“ sprach Sethan, als sich langsam ein leises Donnern über den Himmel legte. Doch davon ließ er sich nicht beirren. „Deshalb möchte ich, dass Sari hier bei uns bleibt und den direkten Schutz übernimmt. Dakar, du hast von allen Magiern die meiste Selbstsicherheit und du kennst die Kollegen von früher“ schaute er den an. „Sobald du einen in die Finger kriegst ...“ „Schon klar“ nickte er und verstand das schnell. Sobald ihm einer zu nahe kam, wäre es um den geschehen. „Sehr schön. Mokeph, du hältst dich am besten an Dakar. Oma, du hältst dich von dem Illusionisten fern“ bat er ernst. „Wäre nett, wenn du nicht Oma zu mir sagst. Ehrlich jetzt.“ Er meinte das ernst. So alt fühlte er sich wirklich noch nicht. Und es war merkwürdig, zumal für ihn eine Oma eine kleine, süße, alte Dame mit weißen Haaren und dicker Perlenkette war. Und damit konnte er sich nicht identifizieren. „Bitte sei nicht böse, aber irgendwie ... ich weiß nicht. Ich fühle mich nicht angesprochen. Wäre das okay für dich? Für jetzt?“ „Gut, in Ordnung“ lächelte er. „Dann sage ich Seto. Ist das okay?“ „Sorry, ist nichts persönliches und nicht böse gemeint“ bat er ehrlich. „Schon okay. Ich kann das verstehen“ meinte Sari, die in Tatos Arm beschützt ganz dicht bei Papa stand. „Ich finde das auch besser. Ich finde, du siehst nicht so alt aus.“ „Und ganz kurz noch“ sprach Sethan weiter und sah ihren Vater ernst an. „Ich möchte nicht, dass du drauflos stürmst, Onkel Tato.“ „Ach, das tut er doch niiiiiieeeee!“ winkte Jonny lachend ab. „Nein, ganz ernsthaft.“ Jetzt war es ihm wirklich wichtig. Das Donnern wurde lauter und es ließ sich absehen, dass ihnen gleich ein ziemliches Chaos bevorstehen würde. Doch über all das sah er seinen Onkel an und senkte seine Stimme. „Ich will Sato hier sehen.“ „Nein.“ Tatos Antwort kam viel zu schnell und ließ nichts anderes gelten. „Asato, bitte. Das hier sind keine kleinen Spinner. Das ist die Spitze des Zirkels. Du solltest dir das nicht zu leicht vorstellen und dein ganzes ...“ „Ich sagte nein“ zischte er warnend. „Meine Seele gehört immer noch mir.“ Leider konnten sie ihre Diskussion weder zuende bringen, noch Rückfragen zulassen, da senkte sich die lärmende Schattenmeute auf sie nieder und rollte grollend wie eine Lawine aus schwarzem Nebel heran. Das fiese Zischen und feuchte Lechzen schnitt in den Ohren als würden die toten Seelen von Kannibalen blutrünstig herangaloppieren. „Jonny!“ rief Sethan laut genug, um über diesen Lärm noch Gehör zu finden. Er drückte ihm etwas in die Hand, was ähnlich aussah, wie ein Tischtennisball in mattem Gold. „Lauf!“ „Yes, Sir.“ Er raffte das Ding an sich, hielt es fest in der Faust, um es nicht zu verlieren. Mit zwei Fingern salutierte er kurz zum Scherz und ließ wohl sämtliche Gedanken fahren. Wie ein Irrwisch rannte er mit kräftigen Beinen direkt den Schatten entgegen. Dass sich einzelne von der Gruppe absetzten und ihm entgegenspieen, schien er zu sehen, aber es schien ihn nicht zu ängstigen. Wie eine Gazelle sprang er hoch über sie hinweg, landete sicher wie eine Katze und rollte sich unter dem nächsten Angriff durch. So schnell, dass die gierigen Schatten ihn nicht mal berühren konnten. „Spinnt der?!“ Joey konnte es nicht glauben, als er sah, wie sein Sohn gleich drei spitzen Schatten gleichzeitig auswich, indem er mit nur zwei Sprüngen mitten in einem Baum verschwand. Mit wenigen Hüpfern bewegte er sich von einem Ast zum anderen und als sie ihn dort oben greifen wollten, sprang er einfach herunter, federte sich bis zu den Knien ab, schlug einen ausweichenden Rechtshaken und verschwand im dunklen Nebel. Todesmutig könnte man sagen. „Keine Sorge, Jonny ist Parcour-Läufer“ rief Balthasar mit kräftiger Stimme. „Er nimmt immer den direkten Weg zum Ziel.“ „Aber die Schatten können seine Seele fressen!“ schrie Yugi gegen den Lärm an. „Unsinn! Seine Seele spucken die drei Mal wieder aus!“ Sollte wohl ein Scherz sein, aber so wirklich lustig fand das keiner. Es war verdammt gefährlich, ungeschützt mitten in diese besonders aggressiven Schatten hineinzulaufen. Herkömmliche Schatten waren schon gefährlich, aber diese Schatten aus einer Zukunft, die es niemals geben sollte, waren an Schadhaftigkeit unübertroffen. Wie der Schatten eines gebrochenen Herzens voller Leid. Yugis und Setos Herzen hatten diese Kehrseite des Lebens geschaffen, nur weil sie sich so unabdingbar liebten. Es war schmerzhaft, zu sehen, dass eine so tiefe Liebe so schreckliche Gestalten hervorbringen konnte. „Mach dir um deinen Sohn keine Sorgen, Joseph“ rief Sethan laut. „Wir warten nur bis er ...“ Genau das tat, was er dann tat. Aus dem Zentrum der Wolke drang ein hell goldenes Licht und es breitete sich aus wie die Wellen eines Tropfens, der auf einen See herabfiel. Mit der ersten Welle glätteten sich die umhertobenden Schatten zu einer einzigen, zähen Masse. Wie paralysiert standen die Schatten still und sanken matt zu Boden. Mit der zweiten Welle wurde diese Brühe durchruckt und etwa einen Meter vom Boden abgehoben, wo sie dann leblos schweben blieben. Mit der dritten Welle breitete sich ein langsamer Ring aus, welcher die Schatten zurück an den Himmel schickte, wo immer er sie berührte. So war binnen Sekunden die Luft reiner, ruhiger und der Blick frei auf das, was sie zu verbergen versuchten. Am Himmel weilte dunkle, leise Schwärze und nur der große Ring aus goldenem Licht folgte ihnen hinauf, betäubte sie und strahlte ein warmes Licht herab, erhellte den Kampfplatz. In einiger Entfernung sah man Jonny erschöpft am Boden sitzen und tief atmen. Aber der stolz erhobene Daumen zeigte, dass er seine Mission erfolgreich erfüllt hatte. Etwas ab von ihnen standen drei Männer zusammen und besprachen sich, während sie ihre Blicke nicht von der Gruppe abwanden. Mit so etwas hatten sie wohl nicht gerechnet, dass sie ihre Schatten so schnell loswurden. „Okay! Kommen wir zur üblichen Warnung.“ Tato war vollkommen unbeeindruckt und behandelte diese Sache wie jeden anderen Kampf auch. Ohne Furcht, Respekt oder Friedfertigkeit zu zeigen. Er schritt nach vorn und sprach seine Feinde einfach direkt an. Er war eben ein wenig ungestüm. „Verzieht euch oder wir machen euch platt. Und wenn ihr schon kämpfen wollt, dann stellt euch gefälligst vor.“ „Der große Enaseus, wie er leibt und lebt. Oder leben wird.“ Ebenso unbeeindruckt oder zumindest mit einem Stärke betonenden Lächeln schritten die drei näher. Wären sie nicht in Begleitung dieser dunklen Schar gekommen, könne man in Versuchung geraten, sie als friedvollen Besuch anzusehen. Allen drei schien es zumindest finanziell nicht schlecht zu gehen, denn sie trugen saubere, ordentliche und sicher auch teure Kleidung. Zwei davon traten tatsächlich in feinem Anzug und Krawatte auf, während der dritte eher Freizeitkleidung trug, hieß dunkelblaue Stoffhose und schlicht weißem Hemd ohne Schmuck. „Sehr schön, ihr kennt uns also“ meinte Tato ohne besondere Anerkennung. „Wie ist es? Wollt ihr euch vorstellen oder gleich zum eigentlichen Thema übergehen?“ „Wir haben weder Eile noch Angst“ lächelte der Mann in der Mitte. Sein Anzug war in einem dunklen Rot, seine blau karierte Krawatte locker geöffnet. Sein dunkles Haar kurz rasiert, fast Glatze. Sein Teint war südländisch und sein Akzent musste entweder spanisch oder italienisch oder etwas in dieser Richtung sein. Der Magier neben ihm im zweiten Anzug trug helle Farben, pastellenes Ocker mit weißem Lederschlips. Mit seiner ebenfalls dunklen Haut, dem schwarzen Haar und der gedrungenen Gestalt, sah er zwar ein bisschen eigen aus, aber durchaus seriös. Immerhin waren das hier keine Freaks, sondern Anführer, die wussten, was sie taten und was sie wollten. Der Dritte machte nicht nur durch seine freizeitliche Kleidung, sondern auch durch seine Statur einen sportlichen Eindruck. Er war recht groß, kräftig, hellblond und dafür unnatürlich braun gebrannt. Und ein paar Jahre jünger als die anderen, die sicher jenseits der 40 wanderten. Wäre er nicht hauptberuflich Magier, hätte er ebenso gut Surflehrer sein können. Eine merkwürdige Truppe, die sich da zusammengerauft hatte. „Wollen wir doch versuchen, eine freundliche Stimmung aufkommen zu lassen, ja?“ Mit einem eindeutig gefälschten Lächeln sprach der Mann im gedämpft gelben Anzug mit seinem südischen Akzent zu ihnen und stoppte gemeinsam mit seinen Begleitern in einem ausreichenden Sicherheitsabstand. „Mein Name ist Mattia und ich leite die europäische und afrikanische Sektion. Dies ist mein Freund Logan“ wies er auf den jüngeren, blonden Surflehrer zu seiner Rechten. „Er leitet den nord- und südamerikanischen Teil, sowie Australien. Und dies hier ist Mendo, Leiter des eurasischen und asiatischen Bezirks“ stellte er auch den Menschen im dunkelroten Anzug vor. „Interessiert niemanden“ meinte Tato trocken. „Verpisst euch.“ „Na na, warum so harsch?“ lachte er fröhlich. „Weil ich euch nicht leiden kann.“ „Dabei haben wir doch noch gar nichts gemacht.“ „Ihr schleppt hier so ne Horde Schatten an“ meinte Jonny von seinem schönen Plätzchen auf der Wiese. „Ich kann schon verstehen, dass er ein bisschen angepisst ist. Obwohl ... eigentlich ist er immer angepisst. Unser Asato.“ „Wollt ihr euch denn nicht vorstellen?“ fragte der Magier mit dem wasserstoffblonden Haar. Logan, der Leiter von Nord- und Südamerika. Und in Australien gab es anscheinend wohl auch magisches Gesindel. Die ließen auch wirklich kein Fleckchen Erde unbekehrt. „Das wäre doch ziemlich unhöflich, denkt ihr nicht? Dabei kommen wir in guter Absicht.“ „Mit euren Absichten wische ich mir den Arsch ab.“ Tato kochte, obwohl er seine Stimme noch in Zaum hielt. Aber seine Faust ballte sich um seinen Gehstock und seine Augen glühten. „Wo ist Jonny?“ „Hier bin ich doch“ winkte der lustig aus dem hohen, zerstürmten Gras herüber. „Du solltest nicht so leicht nervös werden, Mann.“ Doch so leicht ließ er sich nicht kriegen. Mit einer überraschend schnellen Bewegung, griff seinen Gehstock und warf ihn wie einen Pfeil mit der Spitze zuerst zu ihm herüber. Der guckte erst ziemlich erschrocken, aber dann sprang er auf und wollte wegrennen. „Sag mal, spinnst du?“ rief Joey und war wohl nicht der Einzige, den das schockte. Ein entsetzter Ruck ging durch die Reihen, als der Stock Jonnys Rückseite durchbohrte. Der schrie leidlich auf, so schmerzerfüllt, dass es am eigenen Leibe wehtat und brach auf dem Boden zusammen, blieb blutüberströmt im Gras liegen, welches ihn beinahe ganz verdeckte. Direkt ins Herz getroffen. Von hinten. Ganz linke Sache. „Bist du wahnsinnig geworden?“ schrie Joey erneut und wollte auf ihn zulaufen, doch Balthasar griff ihn am Arm und hielt ihn fest. „Lass mich los! Er ist verletzt!“ „Du solltest ihm mehr vertrauen“ riet der und zeigte auf die Stelle, wo sein Sohn lag. Genau von dort waberten langsame Schatten herauf und umgaben den toten Körper, der eben noch quietschfidel herumgehüpft war. „Du bist gut, aber du unterschätzt uns“ sprach Tato die drei Magier an und legte einen dunklen Ausdruck in seine Mimik. „Jonny nennt mich niemals Asato. Also, wo ist er?“ „HIER!“ Im selben Moment wie die drei Magier sich in zischende Schatten auflösten, sprang genau der von hinten an Tato heran. Während Tatos Aufmerksamkeit noch mit den drei Gegnern vor ihm beschäftigt war, reagierte er zu langsam auf den Angriff aus dem Hinterhalt. Mit schnellen Schritten raste Jonny heran, Tato drehte sich gerade um und wurde zu Boden geworfen. Mit einem kräftigen Bodycheck rammte sein Freund ihn in die Seite und beförderte ihn zu Boden. Dann zog er plötzlich ein Messer aus seinem Stiefel, hob seinen Arm und wollte ihm den Rücken zerstechen. Tato war zu langsam, war nur einen Moment unaufmerksam. „Sorry, Jonny.“ Fast zu leicht war es für Mokeph, sein Handgelenk zu umklammern. Da der seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf Tato gelenkt hatte, unterschätzte er wohl die Gefahr, die auch von anderen ausging. So erstarrte er in der Bewegung, ließ sein Sprungmesser fallen und kippte mit einem gequälten Keuchen zu Boden. Von Mokephs schnellem Gift gelähmt blieb er liegen und krallte sich zitternd ins Gras. Schön war so ein spontaner Giftschock sicher nicht. „Was ist denn in dich gefahren, Mann?“ Joey kniete sich zu ihm, nahm seinen Kopf auf den Schoß und strich ihm die störenden Haare aus dem Gesicht, wobei er sich seine Frage mit einem schlichten „Scheiße“ selbst beantwortete. Jonnys sonst so leuchtend grünen Augen waren angefüllt mit einem wabernden Schwarz. „Er ist besessen“ stellte Mokuba erschrocken fest. „Aber wie ...?“ Tato rappelte sich gerade wieder auf die Beine, da schnellte ein schwarzes Etwas an ihm vorbei und riss ihn mit sich. Wie ein Blitz aus schwarzem Nebel erfasste es seine Seite, holte ihn erneut von den Beinen und schleuderte ihn einige Meter von der schützenden Gruppe weg. „Linke Seite, schwache Seite. Was?“ Vor ihm erschien eine Schar Schatten, welche ihn jedoch nicht angriff, sondern einen der drei Magier preisgaben. Den so ruhig wirkenden Herren im roten Anzug. „Wir kennen all eure Schwachpunkte. Also mach dir nichts vor, Enaseus. Dein Schwachpunkt ist, dass du linksseitig langsam bist.“ „Ihr Feiglinge.“ Aber Tato ließ sich so leicht nicht beeindrucken. Selbst wenn er am Boden lag, grinste er noch seinem Feind ins Gesicht. „Deine Windmagie ist gegen meine nur ne laue Brise.“ „Trotzdem hab ich dich zu Boden gestreckt. Du parierst meinen Angriff ja nicht mal.“ „Warum sollte ich auch ein Trugbild angreifen? Du bist nicht echt, sondern nur eine Illusion. Wenn du was von mir willst, musst du schon persönlich kommen.“ „Trotzdem ist euer Kampfstil ziemlich unfair. Der arme Jonny.“ Dass Phoenix sich plötzlich mit kräftiger Stimme auf die Hinterbeine stellte und zu dem Schattenabbild des Magiers herüberschritt, überraschte im ersten Moment. Doch im zweiten erklärte es sich. Es war lediglich sein Körper, der sich bewegte. Die Stimme und die Kraft in ihm waren jedoch die seines Bruders. Balthasar hielt den leuchtenden Stab fest in beiden Händen und die Augen geschlossen. Er hatte sich zum Kampf fertig gemacht und den Körper seines Bruders übernommen, um durch ihn seine Magie zu entfalten. Und so geschah es, dass dieses Trugbild von Tato schnell erkannt und von dem Zwillingsduo erledigt wurde. Phoenix streckte nur seine Hand aus und schon ging der schwächere Windmagier mit vielen, durcheinanderschreienden Schmerzlauten in meterhohen Flammen auf und wurde nur von einigen der umherfleuchenden Schatten vor dem heißen Feuertod bewahrt. Bevor diese schützenden Schatten um ihn herum noch zu den anderen zurückkehren konnten, verbrannten sie wie trockenes Stroh und würden niemanden weiter bedrohen. Doch mit ihnen hatte man nur einen Bruchteil von allen vernichtet, es war nur ein kleiner Anfang. Und nur eine Kostprobe dessen, zu was Seths Söhne wirklich im Stande waren. „Okay, das könnte schwierig werden“ meinte Yami und sah sich beobachtend in der Gegend um. „Wir wissen nicht, aus welcher Richtung sie angreifen und ob sie es dann wirklich selbst sind. Tato kann die Schatten vielleicht noch spüren, aber alle anderen können das nicht so schnell. Und wenn wir nicht aufpassen, enden wir so besessen wie Jonny.“ Der lag nämlich noch immer am Boden in den Armen seines Vaters, aber mittlerweile kämpfte er gegen das Gift nicht mehr allein an. Mokuba war bereits bei ihm und linderte seine Lähmungen, während Yugi seine Hände an Jonnys Schläfen gelegt hatte und einen Schatten nach dem anderen aus ihm herausholte, der sich mit einem leisen Zischen auf den Rückweg in seine schwarze Wolke machte. Den hatten ihre Feinde wirklich schlimm erwischt und es könnte jedem anderen genauso ergehen, wenn er die Gefahr falsch einschätzte. „Du hast Recht, wir wissen nicht, wo genau sie sind“ nickte Sethan und schaute sich ebenfalls um. Aber links von ihnen befand sich nach einigen hundert Metern Wiese nur der Abhang, der zum breiten Fjord hinabführte. Und rechts von ihnen war der dunkle Wald. „Sie könnten sich überall verstecken und jetzt, wo Jonny außer Gefecht ist, haben wir keinen schnellen Mann mehr.“ „Dann gehe ich mich mal umsehen“ sprach Dakar und wand sich um. „Bis später.“ „Pass auf dich auf“ bat Mokeph ihm noch hinterher, aber da war er schon verschwunden. Der Wald war ein ganzes Stück weg und das Gras war nur etwa kniehoch, sodass er sich kaum hingelegt haben konnte. Er war einfach verschwunden wie Rauch, den man fortpustete. „Wie macht er das?“ „Er kann es eben“ meinte Sethan und verteilte darauf keine Aufmerksamkeit mehr. Für ihn war Dakars geheimnisvoller Magiestil nicht neu. „Aber es ist mir zu ruhig.“ „Hast du denn gar keine Magie?“ fragte Noah ihn vorsichtig. „Ich meine ...“ „Ich hab mehr Überblick als Magie“ war seine tonlose Antwort. „Plant mich lieber für keinen Kampf ein. Vielleicht sollten wir ...“ So weit kam er mit seiner nächsten Planführung gar nicht, da schossen wilde Flammen in ihre Richtung und man hörte Tatos laute Stimme: „Mama! Pass auf!“ Sicher waren es nicht die Flammen, vor denen er warnen wollte, sondern das, worauf sie wirklich abzielten. So fragte Seto auch weiter gar nicht und riss seine Hände an sich, überkreuzte seine Arme über der Brust, womit aus dem Boden heraus ein fester Eispanzer in die Höhe spross und sie wie in einem Iglu vor der Außenwelt schützte. Kaum zwei Sekunden später stand der schützende Bau und das scheinbar im letzten Moment. Von außen gab es einen dumpfen Knall und ein riesiger, schwarzer Schatten prallte an dem milchigen Eis ab, konnte nicht zu ihnen durchdringen und wurde im nächsten Augenblick von Balthasars mächtigen Flammen erwischt. Man hörte nur noch das spitze Schreien der dunklen Biester und darin gemischt das Rufen einer männlichen Stimme. Was genau dort draußen vor sich ging, konnten sie von innen nicht genau sagen, aber zumindest innen waren sie sicher vor Angriffen. Solange Setos Eis sie schützte, konnte draußen die Welt untergehen, ohne dass es sie kümmern musste. „Schaffen sie das alleine?“ besorgte Tristan sich als von draußen immer wieder der helle Schein von Flammen und Rufen, sowie das zischende Geifern von Schatten ertönte, welche auch gegen die Eiswand klopften. „Sie scheinen Probleme zu haben.“ „Zu dritt ist das draußen wirklich etwas mau“ meinte auch Sethan. „Seto, würdest du mit rausgehen und Unterstützung leisten?“ „Das wäre doch denkbar dumm, oder?“ meinte Mokuba. „Wer soll uns denn verteidigen, wenn nicht Setos Eis?“ „Wir haben hier noch ein schützendes Element“ widersprach er und blickte hinunter zu Sari, welche sich wohl eher unbewusst an seinem Ärmel festhielt und ihn in diesem Moment erschrocken ansah. „Ich hab noch nie gekämpft“ bettelte sie mit ängstlichen Augen. „Das sind erwachsene Magier und ...“ „Niemand sagt, dass du kämpfen musst, mein Schatz“ beruhigte er und streichelte ihr sanft über ihr seidiges Haar. „Du sollst uns nur beschützen. Seto hat Erfahrung und weiß, wie er seine Kräfte auch zum Angriff nutzt. Ihn hier nur rumstehen zu lassen, wäre Verschwendung. Aber deine Schutzkräfte sind fast so stark wie seine. Das hast du doch schon mal geübt, nicht wahr?“ „Aber ... ich weiß nicht.“ Sie zweifelte da noch stark an ihren Kräften und blickte besorgt die dicke Eiswand an. „Ganz alleine?“ „Sari, das ist nicht so schwer. Von draußen kommen doch im Moment keine direkten Angriffe. Das wuppst du schon“ sprach auch Seto ihr beruhigend zu. „Du hast doch die Kraft der Erde. So einen Schutz zu errichten, ist das Einfachste vom Einfachen. Ich glaube daran, dass du das kannst.“ „Ja, ich auch. Ich glaube, du kannst sehr stark sein, wenn du jemanden beschützen willst“ bestärkte auch Noah sie und legte ihr liebvoll den Arm auf die Schulter. „Ich glaube an dich. Ich lasse mich gern von dir beschützen.“ „Sari, du kannst das. Ich kenne dich und ich weiß, dass du mehr drauf hast, als du denkst. Sonst hätte ich dich nicht mitgenommen“ versprach Sethan. Sie war ebenso ein Kind des dunklen Seth und ebenso ein Drache wie die anderen. Nur weil sie ein Mädchen war, hieß das nicht, dass sie schwach war. Sie glaubte nur selbst zu wenig an ihre Kraft. „Und jetzt brauchen wir dich. Wie würde Joey sagen? Stemm den Arsch in die Hose, Baby.“ „Aber wie soll ich denn wissen, wann ich euch wieder reinlassen kann?“ „Das sage ich dir schon.“ Balthasars Stimme war leise, nur ein Flüstern. Er hörte durchaus, was hier gesprochen wurde, aber seine Aufmerksamkeit galt eher dem, was draußen geschah. Schließlich war er mehr mit dem Angriff beschäftigt und damit, seine Magie durch den Körper seines Bruders fließen zu lassen. „Meinst du wirklich, dass ich das kann?“ „Du m u s s t das können“ lächelte Sethan. „Ohne dich sind wir aufgeschmissen, Cousinchen. Also los.“ Er blickte Seto an und nickte entschlossen. „Geh den anderen helfen und lass dich nicht in eine Illusion ziehen. Sari sorgt dafür, dass wir hier sicher sind. Und erinnere Tato daran, dass wir was besprochen haben.“ „Na gut“ seufzte er und lächelte Sari lieb an. „Ich lasse dir meinen Yugi hier. Also pass gut auf ihn auf, ja?“ „Ich versuch’s ...“ „Pass du mal lieber auf dich selbst auf, Liebling“ meinte der berührt. „Und komm in einem Stück wieder zurück.“ „Das war jetzt wunderbar zweideutig“ grinste Yami. Es konnte ja durchaus passieren, dass Seto aus Not heraus in mehrere Teile zerfiel und Yugi ihn dann wieder zusammensetzen musste. Nur war hier leider nicht das Schattenreich, womit so eine Seelenspaltung für Seto um einiges gefährlicher werden konnte. „Red nicht, Yami“ murrte der und löste sich aus seiner Schutzpose. Schon beim nächsten Feuerleuchten begann das Eis zu schmelzen und litt mit dicken Tropfen darunter, dass es nicht weiter gestärkt wurde. Balthasars Feuer war ebenso stark wie Seths und das bedeutete, dass seine Hitze das Eis in nur wenigen Minuten schmelzen konnte, selbst wenn er nicht direkt darauf zielte. „Pass auf dich auf, Liebling“ bat Yugi noch, als Seto tief durchatmete, dann seine Hand hob und das Eis ohne erkennbare Gewalteinwirkung zum Brechen brachte. In dicken Scherben fiel es zu Boden und gab den Blick frei auf die Außenwelt, welche sich sehr verändert hatte in den wenigen Momenten. Das hohe Gras war in weiten Streifen bis zum Boden abgebrannt und an vielen Stellen auf der Wiese und auch am Waldrand stiegen hohe Rauchschwaden empor. Außerdem herrschte ein steifer, schneidend heißer Wind, welcher sogar Flammen wie Wetterleuchten über den Himmel trug und immer wieder Löcher in die Kuppel der Schatten brannte. Sie konnten Phoenix in einiger Entfernung sehen, wie er eine Feuersalve nach der nächsten abschickte und damit auf den einzigen Feind richtete, den man im Eifer erkennen konnte. Er behakte sich noch immer mit dem Windmagier im roten Anzug. Von Tato und Dakar war keine Spur zu sehen, aber da Dakar sich gut tarnen konnte, war der vielleicht noch wohlauf. Und dass ein starker Wind umherfegte, war ein gutes Zeichen, dass auch Tato noch stand. Ohne noch große Worte zu sprechen, ließ Seto eine Eissäule aus dem Boden schießen und schickte sie in den Himmel, wo ein dickes Knäuel kreischender Schatten sofort auseinander hetzte und einen Menschen fallen ließ, der dem Boden entgegenschnellte und von dem überlegenen Eismagier geradezu erwartet wurde. „Sari!“ rief Sethan sie laut an. „Mach zu, bevor uns irgendwas trifft!“ Etwas unsicher war sie noch, aber sie gehorchte. Sie machte es ihrem Großvater nach, verschränkte die Arme vor der Brust und hob einen Iglu aus dem Boden empor. Jedoch war dieser nicht aus Eis, sondern aus dunkelbraunem, festen Stein. Da Erde nicht so durchsichtig war wie Eis, schloss sie damit auch das Licht des hellen Ringes am Himmel aus und hüllte das Innere ihres magischen Baus fast in völlige Dunkelheit, wenn nicht der aktive Stab in Balthasars Händen geglüht hätte. Auch drangen von außen nur noch dumpfe, verschleierte Töne herein. Ihr Erdenschutz stand wirklich fest und als an der Außenwand ein lautes Pochen, gefolgt von einem unnatürlich spitzen Schrei zu hören war, gab das die Sicherheit, dass sie hier ebenso sicher sein würden, als würde Seto sie schützen. „Ganz schön duster hier“ meinte Joey und strich seinem geschwächten Sohn das Haar aus der Stirn, als der sich keuchend aufseufzte. „Wie geht’s dir, Mann?“ „Geht so“ lächelte er tapfer zurück. „Ist ganz schön unangenehm, wenn die deine Seele anknabbern und deinen Körper übernehmen. Scheiß Viecher. Ob sich ein Yami auch so anfühlt? Hoffentlich nicht ...“ „Ja, die Schatten sind nicht so nett wie ein Yami“ meinte Yugi und lächelte ihn lieb an. „Aber jetzt bist du ja wieder du selbst.“ „Da bin ich auch ganz glücklich drüber. Danke Yugi“ seufzte er und ließ seinen Hinterkopf noch einen Moment auf Joeys Schoß liegen. „Boah, bin ich fertig, Mann.“ „Nur ist zum Ausruhen jetzt wohl der falsche Moment“ warnte Mokeph. „Irgendwie gefällt mir der Gedanke nicht, dass die da draußen jetzt zu viert sind und wir weder was sehen, noch was machen können.“ „Wie sieht’s denn draußen aus, Balthasar?“ fragte Jonny den. Der stand ja relativ abwesend am Rande und war dennoch der Einzige, der beim Geschehen draußen aktiv dabei war. „Einen haben wir schon geschafft“ sprach er langsam, sehr langsam. Er musst ja schließlich aufpassen, dass er seine Konzentration für den Kampf nicht verlor. „Gut. Welchen denn?“ wollte Yami wissen. „Den parasitären Magier. Er hat meine Kraft genutzt, um Asato mit Feuer zu bekämpfen“ berichtete er mit abwesender Stimme. „Aber Seto hat sich um ihn gekümmert.“ „Ich glaube, es war wohl gut, dass er doch draußen ist“ überlegte Noah. „Wenn dieser Magier die Wärme von anderen in Feuer umwandelt, ist er mit Seto schlecht bedient. Der entzieht ihm eher noch Wärme.“ „Zumal es schwer ist, an unseren Magiern vorbeizukommen“ meinte Jonny, der das trotz seiner unangenehmen Schattenbesetztheit ganz zuversichtlich sah. Der hatte wohl großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. „Die trotteln zwar immer ein bisschen treudoof durch die Gegend, aber wenn die mal ernst machen, sind das echte Kampfmaschinen. Und mit Dakar würde ich mich auch nicht anlegen.“ „Lass sie das mal nicht hören“ meinte Mokuba. „Wenn du Seto sagst, er trottelt herum, dann reißt er dir den Kopf ab.“ „Und wir warten jetzt bis der Kampf draußen vorbei ist?“ fragte Joey. „Können wir nicht irgendwas tun?“ „Dir ist schon wieder langweilig, was?“ schaute Tristan ihn skeptisch an. „Misch dich da lieber nicht ein. Du stehst denen garantiert nur im Weg rum.“ „Ja, Seto! Ist ja gut!“ meckerte er. „Man wird doch wohl noch laut denken dürfen.“ „Dann denk leiser“ bat Mokeph. „Vielleicht können wir ja hören, was draußen ...“ Doch da hatten sie drinnen auch eine Überraschung als plötzlich das Licht ausging. Mit einem gefluchten „Verdammt!“ erlosch der Schein des Stabes und es war stockdunkel. Von draußen hörte man nur weiter das verschwommene Zischen der Schatten und ab und zu mal einen dumpfen Knall. „Balthasar, was ist?“ fragte Mokuba besorgt, als gleich die nächste Überraschung kam. „Warum kämpfst du nicht mehr?“ Es wurde wieder heller, angenehm hell. Wie goldenes Tageslicht glühte erst Yamis Puzzle auf, dann erschien das Zeichen des Rah auf seiner Stirn, bevor der goldene Schein langsam über seinen ganzen Körper wanderte und ihn einhüllte wie einen Zauber. Wenn man mal bedachte, dass es ansonsten nachtschwarz war, war Yami eine verunsichernd schöne Gestalt, wie er plötzlich begann zu leuchten und sich ein sanfter Schein in seine Augen legte. Ein angenehmes, warmes Licht. Wie der letzte Strahl der untergehenden Sonne an einem heißen Sommertag. Ein Licht, welches sich so seidig weich über die Haut legte, dass man die Augen schließen und dieses schöne Gefühl genießen wollte. „Was denn?“ grinste er in die überraschten Gesichter. „Im nächsten Leben werde ich ne Stehlampe.“ „Wie auch immer“ meinte Yugi ganz unbeeindruckt über Yamis süße Idee. War zwar nett, aber Glühwürmchen spielen, konnte er auch. Der Schein des Puzzles wäre auch genug gewesen, aber er übertrieb es nun mal gern. „Was ist da draußen los? Warum verlierst du die Verbindung?“ „Mein Bruder ist zu schwach“ erklärte Balthsasar und sah besorgt an die feste Steinwand, die sie von den anderen trennte. „Er hat hart und schnell gekämpft, aber wenn ich ihn jetzt weiter belaste, bringt ihn das um. Das kann ich nicht riskieren. Außerdem habe ich einen Sog gespürt. Irgendjemand hat unsere Verbindung angezapft und jetzt ist er zu schwach, als dass ich noch in seinen Körper kann. Für gewöhnlich halten wir länger durch, aber wenn jemand seine wenige Eigenenergie anfasst, schwächt ihn das noch mehr, als wenn ich das tue.“ „Scheint ja ganz schön abzugehen da draußen“ meinte Joey. „Wenn die nach so kurzer Zeit schon Probleme kriegen.“ „Na ja, wenn sie auch mit den mächtigsten Magiern der Welt kämpfen?“ meinte Tristan. „Vielleicht wollen sie den Kampf kurz halten und schnell beenden.“ „Wie auch immer, ich muss meinen Bruder suchen“ beschloss Balthasar. „Sari, lass mich hier raus.“ „Du kannst da nicht rausgehen, Mann“ war Jonnys besorgte Meinung. „Ohne Medium bist du fast vollkommen machtlos.“ „Jetzt hör mir mal zu“ zischte er und in seine stahlgrauen Augen legte sich ein bedrohliches Funkeln. Ein Funkeln, welches dem seines Vaters absolut gleichkam. Vielleicht brauchte Balthasar ein Medium, aber er war dennoch ein mächtiger Magier und ein stolzer Mann. Genau wie Seth. Und auch er würde bis aufs Blut alle verteidigen, die er liebte. „Mein Bruder liegt irgendwo da draußen auf dem Schlachtfeld und ist völlig erschöpft. Ich will es nicht verantworten, wenn er Schaden nimmt. Er ist mehr als nur mein Medium!“ „Tato wird schon auf ihn aufpassen“ meinte Sharesa. „Tato hat aber andere Sachen zu tun als kleine, mediale Jungs zu hüten“ stimmte Sethan dann letztlich Balthasar zu. „Sari, lass den Schutz fallen. Wir wollen sehen, was sich da draußen so schnell ereignet hat.“ Sie öffnete langsam ihre blauen Augen und sah ihn unsicher an. Aber dann löste sie sich aus ihrer Schutzhaltung und atmete tief ein. Zauberbann gelöst. „Und jetzt?“ klopfte Joey etwas ratlos gegen die feste Erdenkuppel. „Eis schmilzt ja, aber wie kriegen wir das hier kaputt?“ „Joseph, sei e i n M a l ein Mann“ meinte Sharesa, holte aus und trat mit einem dumpfen Ton so fest gegen den Stein, dass es von oben herab leicht rieselte. „Kraaaass!“ staunte der mit großen Augen. „Hast du ne Kraft! Und das bei einem Mädchen!“ „Soll ich dir mal sagen, dass ich zweifache Landesmeisterin im Thaiboxen bin?“ grinste sie neckisch, bevor sie zielsicher ein zweites Mal genau dieselbe Stelle traf. Sie war eben alles andere als ein mädchenhaftes Mädchen. „Und Balthasar wird mal Profifußballer“ ergänzte sie als der danach ebenfalls mit einem steinerieselnden Tritt gegen die Mauer donnerte. So heftig, dass der Boden vibrierte. Er wollte eben auch hier raus und wenn er dafür was kaputtmachen musste - bitte! „Sari, sei so gut und hilf den beiden Hitzköpfen, ja?“ lächelte Sethan sie ruhig an. „Bis die alleine da durch sind, sind wir Fossilien.“ „Was soll das denn heißen?“ grummelte Balthasar ihn beleidigt an. „Sei du mal ganz ruhig. Du machst ja auch keinen Finger krumm, Eure Göttlichkeit.“ „Ich bin zu Höherem berufen als dazu, Steinmauern einzutreten“ erwiderte er mit einem freundlichen Scherz und klopfte Sareth auf die Schulter. „Na los, bei dir geht’s schneller.“ „Ich bin gleich durch“ knirschte Sharesa mit den Zähnen und trat noch mal kräftig gegen die Stelle, wo sich langsam ein tiefer Riss durch die feste Erde zog. Aber mit einem aufmunternden Nicken von Sethan, ging es mit Sareths Hilfe eben doch schneller. Sie musste nur ein wenig ermutigt werden. So streckte sie in vollster Konzentration beide Hände aus, fixierte einen Punkt, den Sharesa und Balthasar nicht ständig kickten und schickte dann eine Schockwelle durch die Luft. Im Inneren des Erdschutzes taumelten alle ein Stück zurück, als ein Teil dieser Energie von der Wand zurückgeworfen wurde, aber die größte Masse schoss, wenn auch etwas grob dosiert, durch den mehrere Zentimeter dicken Schutzwall und ließ etwa ein Drittel des kleinen Baus in splitternden oder groben Brocken zu Boden fallen. Ein erster Blick durch den feinen Staub zeigte ein wahres Schlachtfeld auf. Am Himmel die dunkel zischenden Schatten, die nur noch notdürftig von dem langsam erlöschenden Goldring festgehalten wurden. Und am Boden grausig verkohltes Gras, welches seinen beißenden Geruch aufsteigen ließ. Nur wenig von dem kniehohen Gras war noch vorhanden. Hier und dort waren ein paar Stellen unberührt geblieben, aber von einer abendlichen Frühjahrswiese war kaum noch etwas zu erkennen. Zwischen diesen wenigen Stellen, kahl rasierte Erde von Asche bedeckt und hier und dort brannte noch ein qualmender Busch aus. Sah so aus als wäre der Teufel persönlich über den Kriegsschauplatz getobt und hatte alles mitgerissen, was sich ihm in den Weg stellte. Das musste man Balthasar und Phoenix lassen, die besaßen Hitze, die einem Feuermagier wie ihrem Vater gleichkam. Doch im ersten Moment war ringsum nichts zu erkennen. Keine Kämpfe, nur ein verkokeltes Schlachtfeld. Gut, dass sie aus der Stadt geflüchtet waren. Diese Art von Kämpfen hätte vielleicht Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen. Wenn nicht sogar jetzt schon Beteiligte. „Und wo sind sie?“ fragte Sareth mit bangem Blick über das qualmende Feld. Aber das war eine Frage, die man niemals fragen durfte, denn man könnte eine Antwort bekommen. „Hier“ zischte eine leise Stimme aus dem Hintergrund wallte ein Sturm aus Qualm heran. So schnell wie ein Taifun und dann auch noch von hinten, sodass der Angriff treffen würde, bevor der Erste sich noch ganz umgedreht hatte. Meterhoch türmte sich diese hellgraue Rauchschwade vor ihnen auf und die Angst lähmte den Gedanken daran, was geschehen würde, wenn der Sturm sie binnen Sekunden erreicht hatte. Doch wo Feinde waren, waren auch Verbündete. So spürte die Gruppe von der anderen Seite einen scharfen Wind, der eine Druckwelle mit sich trug und dieses qualmende Gewoge in alle Richtungen zerstob, außer in die, in welche sie zielte. Ein spitzes Reißen ging durch die Luft. So hörte es sich also an, wenn zwei mächtige Windmagier aufeinander trafen. Eine verschwommene Gestalt vor ihnen verschwand im Dunkel der vorbeihuschenden Schatten, aber auf der anderen Seite blieb Tato, der sie vor diesem sicher schmerzhaften Angriff verteidigt hatte. „Papa!“ Sareth lief die wenigen Meter zu ihm und legte vorsichtig ihre Hände an seine Seite. Tato sah schlecht aus. Sein Hemd war zerrissen, seine Hosenbeine verschlissen und seinen linken Arm lief ein dunkler Strom Blut entlang. Außerdem war seine linke Gesichtshälfte schwarz von Ruß. So wie es aussah, griffen ihre Gegner gezielt seine Schwachstellen an. Und das war nun mal die linke Seite, auf welcher ihm ein Flügel fehlte und welche ihn auch jetzt leicht schief stehen ließ. Dort war er verletzlich und das wussten sie. „Meine Fresse, was ist denn mit dir passiert?“ fragte Jonny ihn erschrocken. „Kleine Beulerei“ tat er das desinteressiert ab. „Warum verbergt ihr euch nicht mehr? Ihr stört hier nur.“ „Asato, wo ist Spatz?“ wollte Balthasar sofort wissen und trat auf ihn zu. „Ich dachte, der wäre bei dir“ antwortete er mit großen Augen. „Erzähl mir nicht, du hast ihn verloren.“ „Ich fürchte doch ...“ Im ersten Moment sprach Tatos Blick, dass er Balthasar für diesen Fehler am liebsten köpfen wollte. Aber dann patschte er ihm mit seiner rußigen Hand an die Wange. „Das hab ich auch schon schöner von dir gesehen. Mach dir keine Sorgen, wir finden ihn schon.“ Auch wenn er sich selbst gerade millionen Szenarien ausmalte, mit wem oder was er wo sein könnte und was ihm gerade wiederfuhr. Aber Balthasar Vorwürfe zu machen, wäre ungerecht. Und es nutzte ihm nichts. „Und wo sind die anderen?“ wollte Yugi wissen. „Wo sind Seto und Dakar?“ „RUNTER!“ Ein plötzlicher Sturm riss sie alle zu Boden, keiner blieb aufrecht stehen und landete auf den Brocken des zerstörten Erdbaus. Aber das war noch das kleinere Übel, welches Tato ihnen verpasst hatte. Das größere Übel wäre die Schar von Schatten gewesen, welche wie eine Klinge so dünn und scharf über sie hinwegschwang und aus jedem Körper zwei Hälften gemacht hätte. Den dicken Baum zumindest, der etwa 50 Meter weiter stand, zerschnitt es und teilte ihn mittendurch, ließen ihn krachend zu Boden gehen. Hier lauerten wirklich ständig Angriffe auf unkonzentrierte Momente. „Um Dakar braucht man sich keine Sorgen machen“ antwortete Tato, der aber sofort wieder aufstand. „Und Mama hat den Illusionisten gesehen und jagt ihm hinterher. Ich weiß nicht, ob der ihn noch kriegt.“ „Bestimmt. Seto ist schneller als man denkt“ meinte Joey. „Aber diese Magier hier sind nicht mehr natürlich“ versuchte Tato zu erklären. „Die haben mehr Kraft als wir.“ „Aber das geht nicht“ sprach Sareth leise. „Ihr seid doch die Stärksten.“ „Diese Magier haben sich mit der Macht der Schatten verbunden“ erklärte Yami. „Das steigert ihre Kraft über natürliche Grenzen hinaus und gibt ihnen ganz neue Möglichkeiten. Das geht aber nur, wenn sie einen Pakt mit ihrem Eigentümer eingegangen sind.“ „Und der Eigentümer dieser Schatten ist der dunkle Seth“ ergänzte Yugi. „Dann kämpfen unsere Priester auf verlorenem Posten.“ „Quatsch“ schimpfte Tato ihn eingeschnappt an. „WIR sind die mächtigsten Magier. Wer sich Hilfe bei den Schatten sucht, ist nicht mehr als ein schwacher Feigling.“ „Denke ich auch.“ Sethan hatte seine Stimme gesenkt und sah Tato mit einem wissenden, fast gruseligen Blick an. „Besser ist es, man bittet die Schatten nicht um Hilfe, sondern befehligt sie.“ Tato hielt seinem Blick zwar stand, aber schien so als würde er ihm viel lieber eine Ohrfeige geben. „Ich hab dir gesagt, schlag es dir aus dem Kopf.“ „Ich weiß, dass du Probleme hast, ihn wieder wegzusperren. Aber ohne Sato als Schattenherren kämpfen wir wirklich auf verlorenem Posten. Du solltest ihn jetzt kontrollieren, bevor er dich kontrolliert.“ „Du bist nicht meine Schwester! Du hast kein Recht, über mich zu bestimmen!“ Jetzt erhob Tato seine Stimme und wurde wütend, wurde laut. Die meisten standen zwar etwas verwirrt daneben und wussten nicht richtig, worüber die beiden überhaupt sprachen. Aber sicher war, dass es hier eine grundlegende Meinungsverschiedenheit gab. „Aber ich spreche das Wort meiner Mutter“ erwiderte er und steckte sich betont ruhig die Hände in die Taschen seiner knielangen Jacke. „Onkel Tato, ich will nicht mit deinem Stolz kämpfen. Bitte.“ „Dann überlass mir meinen Stolz und mach das, was du sonst auch machst. Rumstehen!“ „Gut“ flüsterte er und lächelte ein wenig traurig. „Dann bleibt unser Vertrauen wohl weiter einseitig.“ „Ähm ...“ warf Tristan mal vorsichtig ein, als Tato nichts mehr erwiderte, sondern nur noch funkelnd wütend dreinblickte. „Dürfen wir auch wissen, worüber ...?“ Doch die Frage, welche mehreren auf der Zunge brannte, wurde unterbrochen durch eine dicke Eiswand, welche sich an ihrer Seite auftürmte. Wie eine breite Sichel schoss sie aus dem verkohlten Boden und bog sich nach innen. Bevor Seto selbst auftauchte, glitten kreischende Schatten über diesen halbmondförmigen Sichelwall hinweg wie auf einer Skirampe. Ganz sicher wollten sie eigentlich die Gruppe angreifen, doch anstatt sich mittenrein zu fressen, glitschten sie an dem Eis ab und wurden über ihre Opfer hinüber geleitet. Es sah gruselig aus wie diese fast menschenähnlichen Schattenwesen sich dehnten und mit gierenden Schreien über ihre Köpfe tosten. Alptraum pur. Bis endlich nach Ende dieses plötzlichen Angriffs auch Seto bei ihnen landete. Sein Hemd trug er schon gar nicht mehr und auch seine Schuhe schien er verloren zu haben. Mit einigem Wind und einem etwas unbeholfen wirkenden Taumeln zog er wenige Meter über dem Boden seine riesigen Schwingen ein, bevor sie bei seiner Bruchlandung Schaden erlitten. Er rollte sich einigermaßen sicher am Boden ab und kam direkt zu Sharesas Füßen zu liegen, die versuchte, den Schwung seines Aufpralls wenigstens ein bisschen abzubremsen. „Seto! Alter, bin ich froh, dass du da bist!“ Durchatmen konnte der Arme gar nicht, da hing schon Joey an ihm und drückte ihn. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht.“ „Runter“ brummelte er nur dunkel. Auf Kuscheln hatte er verständlicher Weise gerade relativ wenig Lust. „Danke, das wäre knapp geworden“ sprach Sharesa und half ihm auf die Beine. Er war zwar außer Atem aber auf den ersten Blick unverletzter als Tato. Ein bisschen verrußt war er, wohl vom Kampf mit dem parasitären Feuermagier, aber bluten tat er offenscheinlich nicht. Höchstwahrscheinlich stürzte er sich auch nicht ganz so aggressiv ins Gefecht wie Tato das wohl tat. „Und? Hast du ihn erwischt, Großer?“ fragte Yugi ihn lieb und nahm die Hand seines atmenden Lieblings, blickte ihn erleichtert an. „Den Illisionisten meine ich. Tato sagte, dass du ...“ „Ich bin ... wohl der falsche für den Job.“ Sollte wohl ein Nein sein. Sethan hatte ja gewarnt, dass Seto dem Illusionisten nicht zu nahe kommen sollte. Wenn der sein Handwerk verstand, konnte der den unsicheren Drachen ganz schön in die Irre führen. „Warum?“ wollte Yugi sorgenvoll erfahren. „War was mit ihm?“ „Du liebst mich doch ... oder?“ Er blickte zu ihm hinunter und schien sich da mit einem Mal gar nicht mehr so sicher zu sein. Obwohl es doch das war, woran er sich in jedem Kampf klammerte. In Yugis Liebe schöpfte er seine Kraft. „Natürlich liebe ich dich“ beruhigte der ihn mit sanftem Blick. „Das weißt du doch, mein Herz.“ „Ja, weiß ich auch“ meinte er und sah verlegen in die andere Richtung. Er musste das einfach nur noch mal hören und sich sicher werden, dass er da wirklich nicht geirrt hatte. Wer wusste, was der Illusionist ihm erzählt hatte? „Verzeiht mal bitte, aber ich will jetzt wirklich meinen Bruder finden“ sprach Balthasar lauter hinein. „Ich ebenfalls“ stimmte Tato mit ein. „Mama, hast du von oben irgendwas gesehen?“ „Ich war froh, dass ich euch gesehen hab“ meinte der. „Warum? Was ist denn mit ihm?“ „Dann gehe ich ihn eben alleine suchen. Dieses Rumstehen macht mich fertig“ beschloss sein Bruder, krallte den Millenniumsstab fest in seinen Händen und wollte losstapfen. „Eile mit Weile, Balthasar“ bat Sethan und fasste ihn am Arm. „Ich gehe mal davon aus, dass ...“ „Dass wir ihn haben“ ergänzte eine entferntere Stimme seinen Satz. Sie mussten nur die Köpfe nach rechts wenden und erblickten einen ihrer Feinde. Dieses Mal nicht zwischen Schatten verborgen, also musste er ziemlichen Mut haben. Es war der Windmagier, dessen roter Anzug im Kampf ebenfalls etwas gelitten hatte, aber mit etwas Ruß und einem angesengten Hemdsärmel hatte er wesentlich weniger Schäden davon getragen. Selbst seine blaue Krawatte war noch dran, zwar etwas locker, aber er trug sie noch. Und in seinen Fängen befand sich ihr vermisstes Schäfchen. Der Schwächste unter ihnen war ihm zum Opfer gefallen und befand sich in seinem Griff. Deshalb war er so mutig, sich jetzt ungeschützt zu stellen. Phoenix war so schwach, dass er schwer keuchend zu den Füßen seines Geiselnehmers saß und nur noch durch den festen Griff an seinem Handgelenk oben gehalten wurde. Wie eine Beute wurde er präsentiert und konnte nicht viel mehr tun als hilfesuchend zu seinen Freunden zu blicken und zu hoffen, dass er hier lebendig wieder rauskam. „DU FEIGLING!“ keifte Balthasar den Magier wütend an. „SICH EINFACH HINTER DEN KLEINEN VERSTECKEN! LASS IHN SOFORT LOS! KÄMPFE MIT UNS, DU WEICHEI!!!“ „Erst hast du ihn losgelassen, jetzt halte ich ihn fest“ grinste er ihn stolz an. Balthasar musste ihn freigeben, weil er Phoenix sonst geschadet hätte. Jemand hatte ihre Verbindung zueinander geschwächt und ihn mit Gewalt festhalten, das konnte er nicht. Es war klar, dass Phoenix als Medium die meisten Wunden davontrug, aber wehtun wollte sein Bruder ihm nicht. Und genau diese Liebe zu ihm hatten die Magier attackiert. So gemein sie auch waren, das hier war die Elite der Magie und gerade in Verbindung mit den Schatten gestaltete es sich als fast hoffnungsloses Unterfangen, sie fair besiegen zu wollen. Doch wenn man jemanden reizte, der Fairness nicht immer berücksichtigte, sollte man sich das besser zwei Mal überlegen. Es gab durchaus auch eine andere Seite, als immer nur die faire - selbst bei den ‚Guten’ ... Chapter 27 „Möchtet ihr ihn wiederhaben?“ fragte der Windmagier provokativ freundlich. „Was genau wollt ihr von uns?“ fragte Tato und ergriff noch relativ beherrscht das Wort. Vielleicht ließ sich Phoenix da irgendwie heraushandeln. Wenn sie jetzt auf ihn zustürmten, würde das letztlich nur für den Kleinen böse ausgehen. „Weshalb kämpft ihr gegen uns? Ihr habt überhaupt kein Motiv.“ „Die Sache ist leicht erklärt“ antwortete der Magier gelassen. „Ich will meinen Zirkel zurück. Euer Freund Aleseus ist einfach bei uns eingefallen und hat die Kontrolle an sich gerissen, welche ICH über Jahrzehnte hinweg aufgebaut habe. Das kann und werde ich nicht akzeptieren.“ „Du bist echt nicht der Hellste, was?“ Tato kniff die Augen zusammen und blickte ihn beobachtend an. „Seth steht unter dem Schutz seines göttlichen Vaters. Du glaubst doch nicht ernsthaft, wenn du dir die Unterstützung des Urseth holst, dass er dir dann beim Kampf gegen seinen eigenen Sohn wirklich behilflich sein wird. Wenn du so dumm bist, hast du die Leitung eines so mächtigen Vereins auch nicht verdient.“ „Du solltest nicht so arrogant sprechen“ warnte er. Denn wenn ihm etwas missfiel, rächte er sich auch gern indirekt. Nämlich indem er den fliegengewichtigen Phoenix ein Stück hochwuppte und seinen schmalen Rücken gegen den abgetrennten Baumstamm hinter sich knallte. Er wog ja nichts und hatte seinem Angreifer absolut keine Kraft entgegenzusetzen. Der Kleine schrie auf vor Schmerz, aber konnte sich kaum wehren. Er hatte eh Atemprobleme, geschweige denn, dass er in der Lage war, sich gegen einen viel stärkeren Mann zu stellen. Und auch der zweiten Attacke konnte er nicht entkommen, als der noch mal nachtrat. Im wahrsten Sinne des Wortes trat er ihn in die Seite und ließ ihn atemlos aufjaulen. „HÖR SOFORT AUF DAMIT!“ Balthasar hielt es nicht aus und wollte auf ihn zustürmen, seinen Bruder da rausholen, aber überraschender Weise war es der Hitzkopf Tato, der ihn festhielt und entgegen seines sonst so stürmischen Temperaments ruhig blieb. Auch wenn diese Ruhe mit Bestimmtheit nur äußerlich war. Jeder wusste, wie sehr Tato seinen Ersatzsohn liebte und es fiel ihm auch sicher nicht leicht, stehenzubleiben. „Es bringt euch nichts, wenn ihr gegen uns kämpft“ meinte der. „Wir haben mit eurem Zirkel nichts zu schaffen.“ „Aber wir wissen alles über euch. Wir wissen, dass Aleseus seine zukünftige Macht auf diese Jungen baut“ eröffnete er und zeigte Phoenix wie ein Demonstrationsstück vor. Erschreckend zu sehen, wie leicht er ihn in seinen Krallen heben konnte. Sein Opfer war einfach zu schmächtig, um sich zu wehren. „Wenn wir seine Kinder und all seine Verbündeten töten, wird er nie die Macht bekommen, die ihm prophezeit ist.“ „Dann solltest du viel eher mit uns zusammenarbeiten“ meinte Tato ungewöhnlich diplomatisch. „Wir wollen ebenfalls nicht, dass Seth sich mit dem Zirkel abgibt. Sei klug und kämpfe nicht gegen den Sohn des Gottes, der dir falsche Hilfe verspricht. Das wird nur Unglück für dich bringen. Verbünde dich mit uns und lass uns ... hhaahh ... verdhammt ...“ Er keuchte und seine ruhige, herrische Stimme veränderte sich. War plötzlich tief und rauchig. „Schweig, Asato“ sprach er zu sich selbst und senkte zitternd seinen Kopf. „Ich lasse mich nicht von dir hindern, meinen ...“ Er keuchte und fiel auf die Knie, umklammerte seine Brust, als würde ein Monster daraus hervorbrechen wollen. Yugi lief herbei, nahm seinen Kopf und lehnte seinen bebenden Körper an sich. „Sei klug!“ Tatos Stimme versuchte ruhig zu wirken, aber irgendwie verzerrte sie sich, klang in sich wie gehallt, wenn er zu sich selbst sprach. Er blickte auf und schien es wirklich ehrlich zu meinen. Als würde er den feindlichen Magier schützen wollen. „Kämpfe nicht gegen uns. Lass Phoenix gehen und werde unser Verbündeter. Ein Pakt mit dem Gott Seth hat noch jeden ins Verderben gerissen.“ „Nett gemeint, aber nein danke“ lächelte er über diese merkwürdige Truppe, über diesen epileptischen Windmagier, der ihm nicht das Wasser reichen konnte. „Ich halte alle Trümpfe in meiner Hand. Ihr solltet meinen Rat befolgen, nicht ich euren. Sag es ihnen, Kleiner.“ Er lachte und schmetterte Phoenix ein zweites Mal gegen den Stamm wie einen nassen Teppich. Dieses Mal jaulte er lauter, man hörte seine Knochen knacken und sein Hemd riss, womit er schwach auf dem Boden liegen blieb. Fast leblos bis auf seinen keuchenden Atem, in welche sich eine schmerzgetriebene Stimme mischte. Als wäre ihm das nicht genug, richtete der Magier sein etwas verschmutztes Jackett und trat nahe an den verletzten Jungen heran, tippelte herausfordernd seine Schulter mit der Schuhspitze, als wäre er ein Kadaver. „Wenn ich dich verschonen soll, Sohn des Aleseus“ grinste er geblendet von seiner eigenen Überheblichkeit, „dann leck meine Schuhe.“ „G e n u g ...“ Aus Tatos Mund hallte eine tiefe Stimme hervor und sein leidliches Zittern stoppte. Er hob seinen Kopf und ließ selbst Yugi vorsichtig ein Stück zurückweichen. Seine Augen glühten in einem so unendlich tiefen Blau, als würde der volle Mond durch einen Saphir brechen. Er stützte sich auf und kam in den aufrechten Stand. Keine Spur mehr von Schmerzen, selbst seinen verletzten, linken Arm schien er nicht mehr zu spüren. „Ich warne dich nur ein Mal, Mendo Apiana“ drohte er und zeigte direkt mit dem Finger auf ihn. „Lass sofort meinen Kleinen los oder ich werde dich lehren, was mit Menschen geschieht, die sich an meinem Eigentum vergreifen.“ „Du siehst, ich schlottere vor Angst“ erwiderte er unbeängstigt. Er erlag noch immer dem Gedanken, dass Tato zu geschwächt war, um ihm gefährlich zu werden. „Wenn du denkst, deine leuchtenden Augen beeindrucken mich, dann solltest du dir lieber was anderes einfallen lassen.“ „Du möchtest beeindruckt werden?“ lächelte er und irgendwie war sein Lächeln dasselbe wie das eines grausamen, sehr boshaften Menschen. Als würde er selbst zur Gegenseite tendieren. „Du wirst dir wünschen, du hättest mich niemals getroffen.“ „Genau das wollte ich verhindern.“ Jetzt schien selbst Sethan einen Hauch von Besorgnis zu zeigen, als Tato seinen rechten Arm in den Himmel hob und die Hand öffnete. Wie auf einen stillen Befehl, wurden die Schatten leise. Einen Augenblick wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Die schwarzen Wesen stoppten ihr sinnloses Umherirren über die Weiten des Himmels, um sich über seiner Hand zu sammeln. Selbst der von Sethan gesponnene und langsam auslöschende Bannring verglühte, als wäre er ein Funken im Schnee. „Tu das nicht“ bat der mit fester Stimme, fast wie ein Befehl. „Treib es nicht zu weit, Sato. Ich warne dich ...“ „Gedulde dich“ lächelte Tato ihn an als er seinen Kopf herumdrehte und seinen blau glühenden Blick auf ihm liegen ließ. „Um dich kümmere ich mich im Anschluss ... Gottkönig.“ „Tato, was hast ...?“ Aber weder Seto noch jemand anderes konnte die Frage aussprechen. Die gesammelten Schatten, welche stumm am Himmel standen, brachen auf einen ungeäußerten Befehl hin auf die Erde herab. Wie in einem riesigen Trichter schraubten sie sich in einer donnernden Geschwindigkeit herab, während der gruselige Tato in einem kalten, weißen Licht erstrahlte. Die dunklen Wesen hüllten ihn und dieses überraschende, frierende Licht ein und trugen ihn mit sich einige Meter in die Höhe hinauf. Man konnte ihn durchscheinen sehen. Wie eine Kerze durch ein dunkles Stück Stoff. Es schien nicht als würden die Schatten ihn gefangen nehmen. Viel eher, als würde er sie willentlich um sich scharen. Das hatte sich in der Zukunft also nicht geändert. Tato war ein Magier, der sich mit den Schatten verbünden konnte - weil er selbst die Bosheit eines Schattens zu überbieten vermochte und weil er diese Bosheit in sich nicht ablehnte. „Ich halte nicht viel von Höflichkeit.“ Da war sie wieder. Aus den dunklen Schatten heraus sprach diese tiefe, rauchige Stimme, welche eben leicht hallend aus Tatos Munde hervorgebrochen war. Doch nun ohne Hall, ganz allein. Klar und fest. „Ich möchte nur, dass du weißt, wer dich ins Verderben stürzt.“ Die Schatten stoben beiseite und gaben den Blick frei auf einen Mann, der zwar Ähnlichkeit mit Tato hatte, aber nicht wirklich er selbst schien. Seine Haut glimmte unnatürlich weiß, hell wie die eines Albinos. Aber seine Augen waren von einer so kräftigen, blauen Farbe, dass er wirkte wie ein Kunstwerk aus Gips. Seine Kleidung hatte sich ebenfalls verändert. An seinem kräftigen, muskulösen Körper trug er ein hautenges, ärmelloses Oberteil wie ein Unterhemd. Es verhüllte nicht, wie viel Kraft in ihm stecken musste. Seine weiße Hose aber war nur an den Oberschenkeln eng und breitete sich zu seinen Knien ein klein wenig aus. Das einzige, was nicht zu dieser männlich betonten Art passte, war ein langes, breites Band aus weißer Seide, welches sich um seinen Hals schlang und locker seine Arme umwund. Haar trug er so gut wie keines. Es war stoppelig kurz und lenkte den Blick nicht ab, sodass seine ausdrucksstarken Augen nur noch mehr an Präsenz gewannen. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt schien er. Oder wie ein Wesen aus einer gespaltenen Seele. „Deshalb darf ich mich vorstellen“ lächelte er mit einem spitzen Ausdruck den nun doch leicht verunsicherten Magier an. „Ich bin Sato. Der Herr der Schatten.“ „Ha! Du kannst mir nicht drohen!“ zeigte er mit dem Mut der Verzweiflung auf diese weiße Gestalt, welche inmitten der Schatten hoch erhoben wie auf einem Obelisken thronte. „Du hast niemanden, der dich wieder zusammenfügt! Als Seelenspalter wirst du hier sterben!“ „Armes, unwissendes Menschenwesen“ erwiderte er und streichelte sein breites Seidenband zwischen den Fingern. „Wie kannst du nur so dumm sein?“ Die Schatten waberten leicht um ihn auf, versuchten, ihm nahe zu kommen, aber wichen respektvoll wieder zurück. Schatten waren instinktgetriebene Unterwesen. Sie akzeptierten nur jemanden, der sie selbst übertraf. In allem. Kein Sohn des Seth hatte die Macht, Schatten zu befehligen. Bis auf Sato. Den, welcher der Bosheit in sich selbst ohne Reue nachgab. „Und da ich keine Warnung ein zweites Mal spreche, nimm nun in Demut meinen Zorn entgegen.“ Auch wenn seine Stimme so ruhig wirkte, dass darin nicht ein Funken Zorn mitschwang, brach dennoch ein Sturm über den Magier herein, den dieser kaum parieren konnte. Er ließ Phoenix unbeachtet liegen und streckte beide Hände der heranrasenden Schattenschar entgegen, welche sich ihm mit gierigen Mäulern näherten. Doch der Sturm, den er dadurch entfachte, brachte kaum Satos Seidenband in Bewegung, als dieser mit einer Handbewegung die Schatten vor sich wie einen Vorhang schloss. „Ich töte ihn!“ schrie der Magier nun ängstlich, griff nun doch den halb bewusstlosen Jungen und hielt ihn vor sich wie einen Schutz. „Ich töte ihn, wenn du mich angreifst. DEINE SCHATTEN REISSEN IHN IN STÜCKE!“ Die Schatten stoppten kurz vor ihm, stoben zur Seite und der mächtige, muskulöse Sato stand uneingeschüchtert direkt vor ihm, lächelte sein Opfer überlegen an. „Nicht, solange er besitzt, was dir fehlt“ sprach er mit dunkler Stimme und streckte die Arme nach seinem selbst ernannten Eigentum aus. „Nämlich meine Liebe.“ Ohne Widerstand konnte er den Jungen aus den Fängen des angstgelähmten Magiers befreien und ihn wie ein Baby an seine Schulter legen. Es war für ihn so leicht, Phoenix dort hinauszuholen. Allein seine Präsenz ließ den feindlichen Magier erstarren. „Aber das sind meine Schatten“ behauptete er schwach im Angesicht dieses so einschüchternden Feindes. „Sie sollten mir dienen. Nicht dir. Sie sind mir von dem mächtigen Gott Seth selbst versprochen.“ „Du wolltest doch beeindruckt werden“ schaute er ihn beinahe gütig an. Fast mitleidig klang seine schneidende Stimme. „Und? Bist du nun beeindruckt?“ Mit offenem Mund stand nun der von sich so überzeugte Magier da und sah an diesem weißen, kräftigen Mann hinauf, der nicht von dieser Welt sein konnte. Er wurde blass und Tränen traten in seine Augen, er konnte sich nicht bewegen in diesem blauen Blick, welcher dem des Urseths entsprang. Das rührte die tiefsten Existenzängste in einem Menschen an. Wie ein Reh vor dem Jaguar. „Möchtest du nicht laufen?“ fragte Sato, streckte seine Hand aus und streichelte in überheblicher Fürsorge seine blasse Wange. „Lauf um dein Leben, Mendo. Rette deine Seele vor meinen Schatten.“ Es dauerte eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Dann drehte der Magier sich herum, lief an dem abgetrennten Baumstamm entlang und rannte in Todesangst auf den noch verbliebenen Wald zu. Sato war eine Gestalt, der eines Gottes so ähnlich, dass es jedem Menschen Angst machen konnte. So suchte er sein Heil im Rückzug. Macht, Zirkel und Schatten mussten ihm egal sein. Nur den Zorn dieses weißen Gottessohnes wollte er nicht spüren. „Bemitleidenswert wie feige er doch ist, nicht wahr? Mein Kleiner?“ Er streichelte dem noch immer um Atem kämpfenden Phoenix über sein zerzaustes, schmutziges Haar und setzte seinen sanften Kuss hinein. „Hab keine Angst mehr. Du gehörst nur mir allein. Niemand vergreift sich an dir. Und jeder, der es wagt, wird es hoch bezahlen.“ Dann tat er nur einen kurzen Fingerzeig und binnen Sekunden verdammte er den ängstlich fliehenden Mann zum Ende. Auf seinen gütigen Befehl hin schrieen die Schatten exstatisch und flitzten dem im Wald verschwindenden Opfer nach. Irgendwo zwischen den Bäumen hörte man ihn aufschreien und wusste ... nun besaß der Gott Seth noch eine verzweifelte Seele mehr, welche die Schatten ihm opferten. Damit war dieses Thema dann auch gegessen. Phoenix war gerettet und Sato hatte einen überragenden Sieg davongetragen. Was wollte man mehr? „Mensch, warum denn nicht gleich so?“ freute Joey sich. „Der ist zwar gruselig, aber das ist Seto ja auch.“ „Klappe, Köter!“ „Ich würde ihn nicht mit Seto vergleichen“ riet Balthasar, dessen Stimme sagte, dass er sich über Tatos Verwandlung nicht überschwänglich freute. „Sato ist ein echt unangenehmer Kerl.“ „Aber er hat gewonnen“ versuchte Joey ihn zu überzeugen. „Hätte er das früher gemacht, hätten wir uns die ganze Schose sparen können.“ „Mein Reden“ meinte Sethan, der ebenfalls seine Stimme senkte. „Nur jetzt haben wir ein Problem. Wenn Sato gerufen wird, kann Asato ihn noch unter Kontrolle halten. Wenn Sato jedoch hervorbricht, lässt er sich nicht so leicht wieder vertreiben. Er kann sehr ... besitzergreifend werden.“ „Und von dir lasse ich mich ganz sicher nicht vertreiben“ sprach genau der und war bereits auf dem Wege zu der Gruppe herüber. Aber dieses Mal ging er mit seinen langen Beinen und fließendem Schritt auf nackten Füßen über den verkohlten Boden und hielt Phoenix schützend in seinen Armen. Auch wenn sein Blick alles andere als freundlich gesonnen war. „Sato, bitte. Mach uns keine Probleme, ja?“ „Du warst doch derjenige, der mich unbedingt sehen wollte“ lächelte er als er langsam in Greifweite kam und die letzten Meter mit betont ruhigen Schritten überwand und provokativ nahe vor Sethan stehen blieb. „Und nun, wo ich etwas für dich getan habe, bist du mir etwas schuldig.“ „Nicht doch. Das drehst du dir hin“ antwortete er und hielt Seto am Arm zurück, als der auf seinen Sohn zugehen wollte. Aber Sethan war anscheinend der Meinung, es sei besser, ihm nicht in die Quere zu kommen. „Du hast den Magier nicht für mich besiegt, sondern um deinen Phoenix zu retten. Ich bin dir nichts schuldig.“ „Das sehe ich anders“ meinte er, beugte sich zu ihm und blickte provozierend von oben auf ihn herab. „Ich habe noch eine Revanche von dir zu bekommen.“ „Ich sagte bereits, wir werden nicht kämpfen“ verneinte Sethan und entgegnete seinem schneidend blauen Blick mit festem Selbstvertrauen. „Ich habe dich ein Mal besiegt. Lass es damit genug sein.“ „Das ist Jahre her. Ich bin stärker geworden und habe es verdient, meinen Triumph über dich zu genießen.“ „Du hast Recht, es ist Jahre her“ stimmte er ihm zwar zu, aber ... „Damals war ich zehn Jahre alt. Auch ich bin stärker geworden. Du hast ...“ „Wir beide“ drohte er, langte mit seinem freien Arm nach Sethans Kragen und zog ihn wütend zu sich heran. So nahe, dass er seinen Atem spüren konnte. „Wir beide haben noch eine Rechnung offen, Gottkönig.“ „Leg Spatz zur Seite. Dann zeige ich dir meine Überlegenheit“ forderte der im Gegenzug. Auch wenn einem mächtigen Magier bei dem Blick in Satos Augen das Blut in den Adern stoppte, er stellte sich ihm entgegen. „Ihr wollt euch jetzt nicht wirklich kloppen“ meinte Jonny. „Ey, da läuft noch irgendwo Magier Nummer drei rum. Den müssen wir auch noch ...“ „Um den kümmern wir uns später.“ Sethan wurde frei gelassen und rieb sich seinen schmerzenden Hals. Er musste wirklich von seiner Kraft überzeugt sein, wenn er sich von dem dunklen Sato herausfordern ließ. „Und du sei ganz lieb, ja? Gedulde dich noch einen Moment.“ Zu Phoenix sprach Sato jedoch ganz anders. Nicht annähernd hart, sondern liebevoll und sanft, ganz gedämpft. Er nahm vorsichtig seinen Kopf, stützte seinen geschundenen Rücken mit dem Unterarm und strich ihm mit der anderen Hand das Haar aus seinem blassen Gesicht. „Hab keine Angst mehr. Wenn wir Zuhause sind, werde ich dich betten und deine Wunden pflegen. Es dauert nicht lang.“ Er küsste seine dünnen Lippen, ohne ihm das Atmen zu beschweren und gab ihn dann behutsam fort. Er nahm langsam seine Arme von ihm und legte den verletzten Jungen auf einen weichen Windhauch, der ihn sanft zu Boden senkte. Sato also besaß die Energie des Windes. Und dies so fein, dass er einen Körper damit wie auf Watte betten konnte. Auch wenn er übermäßig kräftig war, berührte er den Jungen als sei er aus feinstem Porzellan gegossen. Auch wenn seine liebevolle Behandlung einen dunklen, bitteren Beigeschmack hatten bei denen, die es sahen. „So, nun.“ Und nun schien er außer Sethan niemanden mehr zu sehen. Er strich sein weißes Seidenband ein wenig lockerer und grinste den jungen Pharao überheblich an. „Jetzt wirst du lernen, was Demut bedeutet. Halbbruder.“ „Ich weiß, was Demut bedeutet“ erwiderte er sicher. „Ich lebe in Demut seit ich geboren wurde. In Demut vor dem Leben, in Demut vor den Menschen und in Demut vor allem, was die Sonne je beschienen hat. Du jedoch kennst nichts von Demut oder Respekt. Du siehst nur dich selbst und dein eigenes Ich.“ „Sei unbesorgt. Im Augenblick sind meine Augen ganz auf dich gerichtet.“ Was sicher keine Lüge war, denn außer Sethan und Phoenix sah er niemanden. Er grüßte nicht, er schenkte nicht mal seinen Vätern einen Blick. Er wusste, was er wollte und alles andere war Nebensache. „OH NEIN!“ schrie Sethan und machte ganz große Augen, schlug sich die Hände an die Wangen und blickte an Sato vorbei über dessen Schulter. „WAS IST DAS DENN? OH SHIT! VERDAMMT!“ „Hm?“ Sato drehte sich überrascht um, um zu sehen, was den Blick des Gottkönigs so in Gefangenschaft nahm, dass er selbst und ihr Kampf darüber ganz vergessen wurde. „Sorry, Sato“ entschuldigte Sethan und tat nur eine schnelle Handbewegung. Er schien etwas wegzuwischen, als würde ihm eine Mücke vor den Augen schweben und noch bevor sein Herausforderer zurückblicken konnte, legte man ihm die Hand in den Nacken und zwang ihn mit scheinbarer Leichtigkeit zu Boden. „Ich sagte dir, ich kämpfe keinen Kampf zwei Mal.“ Und damit war sein Urteil gefallen. „Du mieser ...“ keuchte seine Stimme noch, bevor er zurückgedrängt wurde. Sein kräftiger Körper wurde von einem goldenen Licht umfangen. So warm, so seidig und so ruhig, dass es dem eines Pharaos gleichkam. So kalt wie das weiße Licht seiner Seele war, so warm dieses dunklere Gold. Es war nicht so mitreißend, legte das Herz nicht in sanfte Federn wie das eines Sonnensohnes, aber es war angenehm. Wie ein Kaminfeuer im Winter oder das Licht einer Kerze am Abend. Es schmeichelte die Augen und strahlte wohlige Wärme aus. Dann war es gegangen. Sethan ließ ihn frei und zur Verwunderung der meisten anderen hatte sich seine Gestalt erneut verändert. Er trug dieselbe Kleidung, nur dass sie sich nun von weiß in dunkles, fast schwarzes Violett gefärbt hatte. Sein Haar war nun auch nicht mehr stoppelig kurz, sondern wallte über seine Schultern den Rücken entlang. Es war nicht besonders dicht, aber es war in glänzende Wellen gelegt. Er strich seinen langen Pony zurück als er sich erhob und das schöne Gold seiner Strähnen auf der leicht gebräunten Haut schimmerte. Im Gegensatz zu Sato wirkte er nun friedlicher, ungefährlicher. Er war auch ein Stück kleiner und schmaler, zierlicher. Obwohl er durchaus kräftig schien. Nur eben im Vergleich unscheinbarer. Ein Wesen, an welches man sich anlehnen wollte, mit ihm sprechen und in seine sanft blauen Augen sehen. Er war wie ein schönes Geheimnis mit Herzklopfen. Wie ein Gedicht, der Sonne zu Ehren. Ein Fabelwesen. „Danke“ sprach er mit ruhiger Stimme. Nun war sie etwas höher, sanfter. Er klang nicht so bedrohlich und hinterhältig wie eben noch. „Nichts für ungut“ lächelte Sethan zurück und ließ sich von dieser sanften Gestalt kurz in den Arm nehmen und drücken. „Ich wusste, du greifst nach meiner Hand.“ „Okay, ich finde, das reicht nun“ beschloss Yami mal ganz eigensinnig. „Werden wir jetzt mal aufgeklärt?“ „Jetzt bleibt uns ja nichts anderes übrig“ lachte Sethan und ließ diesen schönen, sanften Tato los. „Magst du?“ „Natürlich. Entschuldigt, dass Tato euch nichts gesagt hat“ bat er und sah dabei etwas gezielter seine Eltern an, bevor er auch den Rest kurz mit seinen sanften Augen anblickte. „Ich bin Asato. Satos Gegenstück.“ „Das ist jetzt eine ziemliche Nuss“ sprach Yugi frei heraus. „Hast du auch verschiedene Seelenteile?“ „Wenn du meinst, ob das erblich ist. Nein, dann nicht, Papa“ lächelte er ihn lieb an und trat zu ihm, um seine Hand zu nehmen. Er schenkte ihm einen tiefen Blick und ein liebes Lächeln, bevor er auch Seto anblickte und ihm die andere Hand gab. So hielt er sie beide fest und genoss diese Berührung einen Augenblick. Eigentlich wollte er sie dann wieder loslassen, aber Seto wurde hingerissen und nahm ihn überraschend fest in den Arm. Asato blickte Yugi an und musste lachen, als der dramatisch die Augen rollte. Das war so typisch Seto. Immer gleich knuddeln, wenn ihm nichts anderes außer das oder meckern einfiel. „Aber was ist denn mit dir?“ wollte genau der wissen und schob ihn weg, um ihn genauer anzusehen. „Ist dein Leben so schlimm, dass es dich auseinander gerissen hat?“ „Nein, es ist anders als bei dir“ versicherte er und drehte sich zwischen seine Väter, um nicht so ungünstig in der Mitte zu stehen und auch die anderen ansehen zu können. „Sato und ich sind zwei Teile derselben Seele. Seit Geburt an. Der Teil des Rah, den ich von Papa Yugi geerbt habe und der Teil des Seth, den ich von Papa Seto bekommen habe, sie können sich nicht miteinander verbinden. Deshalb bin ich ein Geschöpf, welches wir selbst als Seelenmorph bezeichnen.“ „Seelenmorph“ wiederholte Joey und man hörte schon den nächsten, blöden Kommentar nahen. „Hört sich an wie ne eklige Froschart.“ „Danke, Joseph“ seufzte Asato schwer. „Nein, es bedeutet Morphose. Wir haben es selbst so genannt, weil uns sonst kein Begriff einfiel. Anders als mein Vater Seto, welcher seine Seele ständig verändert und spaltet, wechsle ich lediglich zwischen meinen angeborenen Seelenteilen. Eigentlich wäre er eher der morphisch begabte, da sich meine Seele nicht verändert. Aber im Gegensatz zu ihm, spalte ich mich nicht auseinander, sondern verändere meinen Körper. Wie Yami und Hikari wechseln wir uns im Kampf ab. Ich durchlebe in jedem Moment eine Morphose. Die meisten sieht man nicht. Nur, wenn einer von uns beiden die totale Überhand gewinnt, bemerkt man die Morphose.“ „Und du erwartest jetzt, dass wir das kapieren“ unterstellte Joey etwas schwerbegrifflich. „Das ist nur die Oberfläche. Um das wirklich zu verstehen, müsste ich euch mehr erzählen. Aber ich denke, das lernt ihr kennen, wenn ich in eurer Zeit älter werde.“. „Aber es geht dir gut damit, oder?“ fragte Mokuba, welcher seine Hände unter Phoenix’ zerrissenes Shirt geschoben hatte und vorsichtig seinen Rücken abtastete. Der lag da regungslos in den Armen seines Bruders und hatte nun doch zu seiner eigenen Erleichterung die Ohnmacht gefunden. „Na ja, wie man es nimmt, Onkel Moki“ lächelte er resigniert. „Sato und ich haben gewisse ... Meinungsverschiedenheiten“ suchte er das richtige Wort. „Ich mag es nicht, wenn er Tato bestimmt. Aber das tut er derzeit wieder sehr stark. Ich kann nicht immer so agieren wie ich es gern würde, weil er sonst Rache anstrebt. Und das würde Tato letztlich noch kranker machen als er ohnehin schon ist. Aber Sato ist nun mal so. Er sieht nur sich selbst und seine eigenen Wünsche. Ob er sich damit selbst zerstört, ist ihm egal. Er ist da etwas kopflos. Und wie geht es Phoenix?“ „Er kommt schon wieder auf die Beine“ diagnostizierte er und strich langsam seine Rippen entlang. „Dafür, dass er so schwach ist, ist er ganz schön zäh.“ „Dann seid ihr zu dritt?“ versuchte Yugi das Leiden seines Sohnes zu erkunden. „Nein, nur zu zweit“ erklärte der genauer. „Sato als der eine und ich als der andere Teil. Tato ist die Person, welche wir zusammen bilden. Unser Bewusstsein, unser Geist sozusagen. Auf Dauer können weder er noch ich diesen Körper halten, da wir gemeinsam als Wunschkind geboren wurden. Die Wünsche unserer Väter waren beide gleich stark, sodass niemand von uns den anderen völlig verdrängen kann. Tato ist sozusagen der Kompromiss, den wir notgedrungen schließen müssen, um überlebensfähig zu sein.“ „Sorry“ sprach Yami dazwischen. „Hast du ein Beispiel? Ich verstehe das noch nicht richtig. Was hat denn das jetzt mit dieser Morphose zu tun?“ Und wenn man was nicht verstand, musste man fragen. Egal, wie dumm es war. Wer nicht fragte, blieb dumm. „Ein Beispiel. Natürlich“ erklärte er geduldig. „Wir haben unser Leben gemeinsam begonnen. Bis zu einem gewissen Alter wussten wir gar nicht, dass wir eigentlich getrennte Persönlichkeiten sind. Als Sato dann dahinterkam, entfernte er sich von mir und dominierte unser Leben. Er lernte, wie er unseren gemeinsamen Geist durch Persönlichkeitsmorphose überwiegend bestimmen kann. Dabei kam heraus, dass Tato in seiner Jugend durch seinen starken Einfluss ein schrecklicher Partygänger wurde. Er trank, rauchte und hurte. Ein unausstehlicher Kerl. Ich war von Satos Handeln teilweise ziemlich überrannt und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Als ich aber meine Gefühle für Risa wachsen fühlte, hat mir das die Kraft gegeben, ihn zurückzudrängen. Von da an habe ich unseren Geist dominiert und die täglichen Morphosen wurden eher zu meinem Willen bestimmt. Ich habe als Tato Kinder gezeugt, die Kunst geliebt und meine Arbeit genossen. Und ich glaube, Sato mochte den neuen Tato auch in einem gewissen Sinne. Er hat natürlich ab und zu mal seinen Anspruch geltend gemacht, aber wir hatten durch Risa einen guten Kompromiss miteinander gefunden und waren irgendwann angenehm gleichberechtigt. Als Tato konnten wir in Frieden miteinander leben. Einige Jahre haben wir es gut zusammen hinbekommen und hatten ein erfülltes Leben. Als uns jedoch Risa und unser Sohn fortgenommen wurden, hat ihn das so sehr gekränkt, dass er meinte, ich würde eh alles falsch machen und seitdem versucht er, mir immer mehr den Zugang zu entziehen. Sobald ich es wage, ihn in Schach zu halten, stößt er die wildesten Drohungen aus.“ „Zum Beispiel?“ fragte Yami noch mal nach. „Alkohol zum Beispiel“ sprach der goldene Asato traurig. „Er droht damit, sich tot zu trinken oder sich sonst Schaden zuzufügen. Er erpresst mich. Er droht damit, die Kaiba Corp. zu zerstören oder anderen Menschen wehzutun. Er bedroht das, was noch von unserer Familie übrig ist. Ihm ist unsere Gesundheit und unser Glück egal, solange er nur seinen Willen bekommt. Ich habe ziemlich zu kämpfen mit ihm. Besonders seit er sich in ...“ Aber er stoppte, sprach es nicht aus. Besser jetzt noch nicht. „Wir kämpfen derzeit. Und dieser Stress macht es mir nicht leicht, uns im Gleichgewicht zu halten. Deshalb ist Tato im Augenblick sehr Sato-lastig. Er stellt Bedingungen, auf die ich derzeit noch nicht eingehen kann. Ich brauche noch etwas Zeit, um mir etwas auszudenken. Und Rat ...“ „Und der Drache?“ fragte Joey neugierig. „Habt ihr keinen Drachen?“ „Drachen sind Satos Metier“ lachte er belustigt. „Er hat die Instinkte. Ich bin da eher wie Papa Yugi. Mit Drachen habe ich wenig am Hut.“ „Aber Sato ist irgendwie ... gruselig.“ „Keiner hat gesagt, dass er friedlich und handzahm ist. Wenn du ihn als Drachen sehen willst, wende dich getrost an ihn. Aber ich glaube, seine Antwort willst du nicht wirklich wissen.“ So wie es schien, war das Tatos größtes Geheimnis. Er war Seto so ähnlich, dass er zwar nicht mehrere, aber immerhin zwei verschiedene Seelenteile brauchte, um klar denken zu können. Er spaltete sich nicht auf, sondern wechselte vom einen zum nächsten, blieb damit unveränderlich und doch ständig in Morphose, in jedem Moment. Nur sein Bewusstsein, sein Geist wurde von beiden geprägt. Der Mensch, den man sah, war eine Mischung aus zwei Seelenhälften, die einander nicht verstanden. Deshalb hatte er so große Probleme. Der Sato in ihm kämpfte um die Alleinherrschaft, aber das würde bedeuten, dass er sich dem Bösen verschrieb. Und das konnte sein Gegenstück nicht zulassen und versuchte, das Böse in ihm in Zaum zu halten. Dennoch waren seine derzeitigen Probleme wohl darin zu suchen, dass einer seiner Seelenteile unzufrieden war. Wie hatte Risa es nur geschafft, beide zufrieden auf eine gemeinsame Höhe zu stellen? „Dennoch sollten wir hier nicht mehr so lang herumstehen“ meinte Sethan und nickte Asato mit einer freundlichen Weisung zu. „Du findest später sicher noch Gelegenheit, dir den Rat deiner Väter zu holen.“ „Natürlich. Du hast Recht“ nickte der wissend zurück. „Bereiten wir dem Spuk ein Ende. Alles weitere kann man später klären. Und du, mein Schatz?“ fragte er ganz lieb und wandte seine sanften Augen auf Sareth, welche sich an Noahs Seite etwas zurückhielt. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ „Ja, Papa“ antwortete sie leise. „Alles in Ordnung.“ „Ich liebe dich und ich bin sehr stolz auf dich. Das weißt du doch, nicht wahr?“ „Ja, weiß ich.“ Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie Noahs Hand drückte. Für sie war es sicher auch nicht leicht mit so einem Vater. Aber er hatte ja auch seine sanften Seiten, damit sie ihn lieben konnte. „Ich lieb dich auch, Papa.“ „Das wollte ich doch nur hören“ zwinkerte er ihr liebevoll zu. „Und jetzt machen wir hier endlich mal langsam Feierabend, oder?“ Sie nickte und er schien damit auch zufrieden. Er wusste, dass ihr Leben nicht einfach war. Aber er wusste auch, dass hinter seiner so weich und verletzlich scheinenden Tochter ein steinharter Kern steckte. Sie war wesentlich unverwüstlicher als man es ihr zutraute. Im Gegensatz zu Sato war er nämlich durchaus dafür, sie erwachsen werden zu lassen und dafür musste sie sich ihren harten Kern erhalten. Kurz nachdem Asato wortlos seine Augen schloss, veränderte sich seine Aura, wurde still und kleiner bis sie fast zu verschwinden schien. Sein inneres Leuchten wurde weniger und allmählich begann auch die Wunde an seiner linken Schulter wieder stärker zu bluten, während sein goldenes Haar kürzer wurde. Bis er seine Augen einen Spalt wieder öffnete und zitternd mit beschwertem Atem in die Knie ging. „Tato? Alles okay?“ Seto fasste ihn um den Rücken, um ihn am Fallen zu hindern. Wenn weder der eine noch der andere Seelenteil seine Macht voll ausübte, schien er wieder menschlichen Bedingungen ausgesetzt zu sein. Und der Kampf hatte ihm bereits einiges abverlangt. „Ja ... geht schon“ keuchte er, aber viel Zeit zum Ausruhen bekam er nicht. „Ich hasse das ...“ „Kann ich verstehen“ meine Joey ziemlich mitleidig. „Du bist ganz schön schizo, was?“ „Klappe.“ Es gab noch den dritten und letzten Magier, welchen sie sich bis zum Schluss aufgespart hatten. Den Illusionisten. Er war zwar vielleicht der schwächste der dreien, aber das hieß nicht, dass er schwach war und man ihn unterschätzen sollte. Er nutzte genau diesen unbeobachteten Moment, um aus seinem Versteck heraus einen Angriff zu beginnen, der ihm hoffentlich einen Vorteil sicherte, nachdem seine zwei Verbündeten bereits ausgefallen waren. Da sie ihm mit Satos Abwesenheit nun wieder allein gehorchten, mobilisierte er die Schatten erneut und schickte sie auf die Gruppe. Genau in dem Moment als alle Augen auf Tato gerichtet waren, erhoffte er sich den Nutzen der Überraschung und damit den Sieg für sich selbst. Wie ein schwarzer Blitz ging ein Zucken durch die scheinbar locker umherwabernde Menge und zog sich dann rechts von ihnen zusammen, türmte sich auf und würde sie überrollen, sich durch ihre Körper bis auf die Seele fressen. Sich einem zusammengeschlossenen Angriff entgegenzustellen, war nicht nur ein Risiko, sondern in einem so unerwarteten Moment auch fast zu schwierig. Zwar streckte Seto seinen Arm aus, ließ eine Eiswand aus dem Boden wachsen, aber konnte die Welle damit nicht brechen. Die Masse schwabbte einfach hinüber bevor seine Wand richtig stand. Auch ihn hatte der Kampf bereits geschwächt und er war nicht mehr der Schnellste. Als dann plötzlich unerwartete Hilfe kam. Obwohl Phoenix ohne Bewusstsein am Boden lag, schoss eine Feuersbrunst über ihre Köpfe hinweg und traf auf die Spitze der Schattenwelle. Als die dunklen Wesen aufschrieen und ungebremst ihrem Feuertod entgegenschossen, trafen die Flammen bereits auf Setos Eis und ließen es mit einem Knall in heißen Wasserdampf aufgehen, der die Umgebung in eine regelrechte Sauna verwandelte. Halb gekocht kam sich die Gruppe vor, aber wenigstens brachen die Schatten ihren Blitzangriff ab und stoben in alle Himmelsrichtungen davon. Erst als sie ihre Formation auflösten und der Wasserdampf sich langsam legte, konnte man wieder an Sicht gewinnen. Allmählich lichtete sich der Nebel und gab eine Gestalt frei, die sie schnell wiedererkannten. „Narla!“ Ob Joey sich jetzt freute oder sorgte, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall war nicht nur er überrascht, sie und ihr Feuer hier zu sehen. „Wow, das hatte ja einen Wumms!“ staunte sie selbst, aber ihre Stimme war merkwürdig tief, fast ein wenig verzerrt als sei sie heiser. Sie sah ihre Hände an und fuhr sich dann fragend über die Hüften, bevor sie beide Hände fest auf ihre Brust legte. „Krass, so fühlt sich also ein Frauenkörper an. Irgendwie ziemlich weich. Hm ... Kimis sind kleiner, wenn ich die ... was ist das? Körbchen C?“ „Balthasar!“ lachte Sharesa und klopfte dem stumm neben ihr sitzenden Körper auf die Schulter. „Hör auf, die Körbchen deiner Schwester zu begrapschen.“ „Ey! Geh sofort aus meiner Freundin raus!“ schimpfte Joey, sobald er das realisiert hatte. Er fand das nicht nett, wenn fremde Männer in ihr drin waren. Medialmagier oder Halbbruder hin oder her. Er wollte ihm den Stab wegnehmen, aber den hielt er gar nicht in der Hand. Wie bitte kam er in ihren Körper, ohne den Millenniumsstab zu verwenden? Verwirrt blickte er zu Narla zurück und dann wieder zu dem stumm dasitzenden Balthasar. „Wie bitte machst du das ohne Stab?“ „Du wirst lachen, aber der ist mir vor Schreck runtergefallen. Nicht besonders vorbildlich, oder?“ lächelte er aus Narlas Körper heraus und kam langsam auf ihn zu. „Beantworte gefälligst meine Frage, Mann!“ „Balthasar ist Magier“ meinte Jonny, der das weiter nicht so schlimm fand. „Er braucht keinen Stab, um fremde Körper zu übernehmen. Es kostet ihn dann nur einfach mehr Kraft.“ Er bückte sich und hob den Stab auf, der direkt neben seinem verlassenen Körper lag. Er wippte das heilige Relikt provokativ in seinen Händen, während er den verlassenen Körper anblickte. „Und? Willst du den wiederhaben? Was kriege ich dafür?“ „Einen Arschtritt“ meinte der und trat ihm spaßhaft von hinten mit dem Knie in seinen Allerwertesten, bevor er um ihn herumgriff und sich seinen Stab nahm. „Wenn du mit mir redest, sieh mich an und nicht meinen Körper.“ „Du verwirrst mich. Lass das“ schimpfte er und rieb sich seinen Hintern, als er sich umdrehte und Narla ansah ... oder doch ihn ... also ihn in Narlas Körper. Hach, solche Magier waren echt scheiße. „Narla, wie kommst du hier her?“ forderte Joey verärgert zu erfahren. „Du solltest bei den anderen bleiben!“ „Zu Fuß kommt sie hier her. Was denkst du denn?“ verdrehte Balthasar die Augen. „Aber du solltest bei den anderen bleiben! Du kannst doch das Krümelchen nicht unbeaufsichtigt lassen!“ „Oder ist euch was passiert?“ fragte Yami wesentlich besorgter. „Nein, alles okay“ antwortete Balthasar aus ihrem Körper. „Sie ist nur hier, weil sie nicht stillsitzen kann. Umso besser. So habe ich ein geeignetes Zweitmedium.“ „Trotzdem ist das gefährlich“ meinte Yugi und trat einen Schritt zurück als Tato gerade selbst wieder auf die Beine kam. „Du solltest lieber die Kleinen beschützen.“ „Aber es ist gut, dass sie hier ist“ sprach Tato und gab sich Mühe, auf den eigenen Beinen dann auch stehen zu bleiben. Auch wenn er ähnlich sicher aussah wie ein Giraffenjunges auf viel zu großen Stelzen. „So kann er wenigstens wieder kämpfen.“ „Schade, dass es erst so weit kommen musste“ erwiderte Yugi und legte einen dunklen Blick in seine Mimik, als er Tato so wackelig sah. „Wir sind in der Überzahl und schaffen es nicht mal, drei Magier auszuschalten. Ich hätte von unseren Priestern wirklich mehr erwartet.“ „Aber das ist schwerer als es aussieht“ rechtfertigte Seto sich. War da etwa sein gutes Image bei Yugi in Gefahr? Das wäre nicht gut. „Wir geben uns schon Mühe und ...“ „Mühe allein reicht aber nicht. Nicht hier. Bei solchen Typen. Wirklich, ich hatte gedacht, du könntest das“ warf er ihm vor und blickte nun ihn verärgert an. „Da kommt so eine Schattenhorde auf uns zu und du schaffst es nicht mal, die zu stoppen. Du hattest doch genug Zeit zum Reagieren. Deine Eiswand hab ich schon mal schneller gesehen. Vielleicht sollte ich mich nicht zu sehr auf dich verlassen.“ „Aber ich hab Tato festgehalten und ...“ „Lass es einfach“ wiegelte er ihn ab und verschränkte die Arme. „Ich weiß schon, du bist erschöpft. Wenn du alles getan hast, was du kannst, ist es ja okay ... Liebling.“ „Aber Yugi!“ Er ging zu ihm herum, nahm seine Hände und blickte leicht verzweifelt zu ihm hinunter. „Entschuldige, ich war abgelenkt. Das nächste Mal, mache ich es besser. Ich verspreche es.“ „Auf dein nächstes Mal kannst du aber lange warten.“ Er hob seine Hand und schien dem verunsicherten Seto eine Ohrfeige hauen zu wollen. Aber ... „Halt! Nichts da!“ Yami sprang auf ihn zu und riss Yugi herunter, bevor der seinen Plan ganz vervollständigen konnte. Er kniete sich mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Körper und hielt ihn unten. „Yami! Du tust ihm weh!“ Seto wollte ihn von ihm runter holen, als Mokeph neben ihm stand und ihn festhielt. „Seto, bleib cool“ sprach der so fest er konnte. „Aber Yami tut ihm ...!“ „Hey. Mal im Ernst!“ Er zog ihn kräftig einen Schritt zurück und entgegnete seinem Blick mit großem Ernst. „Yugi würde dich niemals so zur Schnecke machen. Das weiß sogar ich. Wie kannst du das nur denken?“ In genau diesem Moment löste Yugis Körper sich auf und ging in einer kleinen Schar von Schatten auf, welche schnell zurück in die Menge flohen. Das war nicht Yugi gewesen. Das war nur eine Illusion von ihm. Und bis auf Seto waren scheinbar auch alle dahinter gestiegen. „Aber ... wenn das nicht Yugi war ...“ fragte Seto und die Tränen stiegen in seine Augen. Aber keine Tränen aus Angst oder Trauer. Tränen aus Wut! Er drehte sich herum und suchte den letzten Magier. „WENN YUGI WAS PASSIERT, TUE ICH DIR WEH, DU ARSCH!“ Nicht nur, dass man ihm seinen Yugi unter der Nase weggeklaut hatte. Nein! Irgendwer hatte ihn einfach weggenommen. Und da war er Kind genug, dass er sein liebstes Ding nicht einfach hergab. Er hing an ihm! Ihn erst zu verarschen und dann Yugi wegzunehmen - da konnte er sehr überstürzt handeln. „Deinen Pharao wirst du nicht befreien können.“ Ein verzerrter Schatten in langer Gestalt mit leeren Löchern anstatt Augen tauchte vor ihm auf, sprach in einer fremden Stimme. „Er leidet viel zu sehr in seiner alten Furcht. Für ihn gibt es kein Entkommen. Jeder trägt an vergangenen Lasten.“ „WAS HAST DU MIT IHM GEMACHT?!“ Seto schlug nach dem Schatten, aber der löste sich nur mit einem Kreischen auf und machte sich davon. „Jeder hat einen schwachen Punkt, Priester. Auch dein Pharao.“ Chapter 28 Yugis Herz wurde ein wenig schwer als er durch das Tor schritt und eine lärmende Meute Jugendlicher an ihm vorbeilief, sich mit lauten Anfeuerungsrufen einen alten Fußball zupasste. Sie liefen einfach an ihm vorbei als würden sie ihn nicht sehen. Dass einer von ihnen den kleinen Schuljungen dabei anrempelte, quittierte nur einer. Nämlich Yugi mit einem leisen Seufzen. Er war das gewohnt. Die Leute liefen an ihm vorbei und übersahen ihn. Und selbst wenn ihr Blick mal über ihn streifte, wurden sie gleich wieder abgelenkt. Er war nun mal niemand besonderes. Nicht besonders groß, auffällig, schlau, charismatisch ... er hatte eigentlich gar nichts weiter, was an einer Persönlichkeit reizvoll wäre. Also machte er sich nichts daraus, raffte seinen Rucksack gerade und lief weiter über den Schulhof, der sich so früh am Morgen langsam belebte. >Aber heute< baute er sich auf, so wie er sich jeden Morgen aufbaute. >Aber heute wird ein schöner Tag. Jeder Tag ist eine neue Chance. Und wenn ich das Puzzle erst gelöst habe, weiß ich, was ich mir wünsche.< Und das ließ ihn wieder lächeln. Ja, das alte Puzzle, welches Opa vor Jahrzehnten aus Ägypten mitgebrachte. Wenn er das alte Rätsel erst gelöst hatte, würde er sich etwas wünschen dürfen. Sobald er hinter das Geheimnis gekommen war, würde sich sein Leben ändern. Dann ging sein Wunsch in Erfüllung. Freunde würde er sich wünschen ... jemanden, der zu ihm stand ... und ihn, den einen Einzigen ... >Seto.< Da kam er. Er kam durchs Seitentor. Jeden Morgen um dieselbe Uhrzeit, dass man den Big Ben danach stellen könnte, so genau war er. Yugi blieb stehen und beobachtete ihn. Er stieg aus seiner weißen Limousine, als der Chauffeur ihm die Tür aufhielt. Und er sah so gut aus wie jeden Morgen. Die dunkelblaue Uniform der Mittelstufe betonte seine helle Haut und hatte fast die gleiche Farbe wie seine märchenhaften Augen. Er hatte so wunderschöne Beine, fast weiblich, aber dafür zu kräftig. Und dieser wunderschöne, breite Rücken. In seiner körperlichen Entwicklung schien er viel weiter zu sein als Gleichaltrige. Er könnte Modell sein mit so einem Aussehen. Überhaupt war er nicht wie alle anderen. Er war anders. Besser. Er war das, was Yugi immer sein wollte. Er schien immer so kalt, aber wenn Yugi ihn nur sah, wurde ihm ganz warm. Er sah ihm zu, wie er seine schwarze Ledertasche unter den Arm klemmte, den Gurt seiner Laptoptasche über seine starke Schulter legte und mit großen, zielgerichteten Schritten über den freien Platz ging. Er schien immer zu wissen, wo er hinwollte. Jeden Tag. Seinen Chauffeur hatte er ebenso wenig eines Blickes gewürdigt wie die Mitschüler, an denen er katzenhaft vorbeizubalancieren schien. Seto war ein so schöner Mann. Warum nur war er so unnahbar? So distanziert? Er musste doch keine Angst haben, dass man ihn verspottete. Das würde niemand wagen! Yugi würde sich gern mal mit ihm unterhalten oder ihn fragen, ob sie vielleicht mal zusammen lernen wollten. >Ja, die Idee ist gut! Sehr gut!< Sein Herz klopfte so heftig, dass es in seiner Brust wehtat. >Heute frage ich ihn etwas. Irgendwas. Ich sage, ich hab was nicht verstanden und dann wird er mich ansehen müssen. Vielleicht erklärt er mir was und vielleicht schlage ich ihm dann vor, dass wir zusammen lernen. Vielleicht hat er Zeit oder ... oder auch nicht. Aber einen Versuch ist es wert! Ich könnte seine Stimme hören ...< Mit beschwingten Schritten trabte er über den Hof und reihte sich in die Menge der Schüler ein, die alle in das mittlere Gebäude wollten. Seto hatte das schlau gemacht. Er kam immer genau in dem Moment zwischen Bus und Bahn. Jeden Tag um dieselbe Uhrzeit. Dann kamen abwechselnd zwei Ströme an Menschenmassen, die hereindrängelten. Yugi war aufgefallen, dass er immer genau dann reinging, wenn es leer war. Wahrscheinlich hatte er einfach keine Lust zu warten. Das würde zu ihm passen. Einen Kaiba ließ man nicht warten. Dafür war sein Terminplan zu strikt. Yugi ließ sich von der Masse durch die enge Doppeltür schieben. Etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig. Mit so vielen Leuten vor und hinter sich konnte er eh nicht sehen, wohin er lief. Also ließ er sich treiben bis die Masse nach der Tür ein wenig locker wurde und er gleich nach rechts hielt. Die erste Stunde Englisch hatte er im unteren Stockwerk, bevor es den Rest des Tages in die oberen Stockwerke ging. Während also die meisten Schüler die Treppen erklommen, konnte er schon in den Klassenraum gehen. Und ihn sehen. Seto war schon da, hatte seinen Laptop gerade ausgepackt und tippte sicher hoch wichtige Dinge. Er nahm um sich herum gar nichts wahr. Aber um zu seinem Platz zu kommen, musste Yugi an ihm vorbei. Also straffte er seine Schultern, schob seine Jacke glatt und ging aufrecht auf ihn zu. Nur Mut und sich nicht peinlich machen. „Guten Morgen, Kaiba“ grüßte er ihn besonders höflich. Aber eine Reaktion bekam er nicht. Sein Angebeteter grüßte nicht einmal zurück. Wäre auch eine Überraschung gewesen. „Hast du die Englischaufgaben alle gemacht? War ganz schön viel, oder?“ „Geh weiter, Yugi.“ Seine Stimme war so kalt und sein Blick löste sich nicht vom Bildschirm, seine grazilen Finger hörten nicht mal das Tippen auf. Er war niemals an einer Unterhaltung interessiert. Weder mit Yugi noch mit sonst wem. Noch bevor Yugi sich entschuldigen konnte oder etwas weiteres fragte, wurde er von hinten angerempelt und beinahe umgeschmissen, hätte er sich nicht am Tisch festgehalten. „Mann! Steh hier nicht rum!“ Joseph Wheeler, lieber Joey genannt. Ein etwas ungeschickter, lauter Schulschläger. Mit dem legte sich keiner an. Der hatte ne Gang und war der Polizei auch nicht unbekannt. Yugi war nur froh, dass er ihn bisher in Ruhe gelassen hatte. Dafür gab es genug andere Leute, die ihm das Leben schwer machten. Und auch heute Morgen schubste man ihn einfach zur Seite und drängelte sich vor. Joey saß ganz hinten in der Ecke am Fenster. Zwar wurde er fast jede Stunde an den Tisch vor dem Lehrerpult beordert, aber er versuchte es immer wieder. Yugi seufzte leise. Selbst jemand wie Joey war angesehener als er. Er kam nur in den Raum hinein und schon scharten sich drei Jungs um ihn, klatschten ihm auf die Schulter und wie er sich da mit dem halben Arsch auf die Fensterbank setzte, sah irgendwie auch cool aus. Yugi war ja schon froh, wenn seine Füße bei einem normalen Stuhl den Boden berührten. Um auf die Fensterbank zu kommen, müsste er ganz schön klettern. Kein Wunder, dass Joey cooler war als er. „Guten Morgen, Yugi.“ Tea kam rein, lächelte ihm zu. Wenigstens eine, die ihn wahrnahm. „Guten Morgen, Tea!“ freute Yugi sich und strahlte sie an. „Bist du gestern noch trocken nach Hause gekommen? Ich meine mit dem Regen und ...?“ „Hey! Tea!“ Aber Yugi bekam gar keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Schon wurde sie von ihren Freundinnen herangerufen und der kleine, uninteressante Schuljunge verlor alsbald seine winzige Wichtigkeit. Er hatte sich bisher nur ein paar mal mit ihr unterhalten und sie war immer nett zu ihm, weswegen er sie mochte. Aber sie hatte schon Freunde. Sie brauchte Yugi auch nicht in ihrer Damenriege. Die Mädchen waren nicht unhöflich zu ihm, aber interessieren taten sie sich für Jungs, die einen Kopf größer und cooler waren. Yugi suchte sich seinen Tisch und kramte seine Sachen heraus. Englischbuch, Heft, Schreiber, alles da. Sogar die vielen Hausaufgaben, die sie heute abgeben sollten, hatte er gemacht. Fein säuberlich hatte er sie zusammengeheftet und würde dafür bestimmt eine Note bekommen, die seinen schlechten Test letzte Woche ausglich. Immerhin hatte er sie extra für den Lehrer noch mal auf Opas alter Schreibmaschine abgetippt. Nun musste er gleich nur noch handschriftlich seinen Namen drunter schreiben. Er stellte seinen Rucksack herunter und sah das kleine, goldene Kästchen darin blitzen, welches ihm mit einer funkelnden Vorfreude erfüllte. >Um dich kümmere ich mich in der Pause.< „Ey, sind das die Hausaufgaben?“ Yugi blickte auf und sah Bronko vor sich stehen. Eigentlich hieß er Matsumoto, aber er verhaute jeden, der ihn nicht Bronko nannte. Bronko war in Joeys Gang und hielt sich für sehr cool. Er war dick, laut, hatte ne Menge Pickeln im Gesicht, aber prahlte damit, dass ihn wer weiß wie viele Mädchen haben wollten. Nur weil er ein Jahr älter war und diese Klasse schon zum zweiten Mal machte. „Ähm ... ja“ antwortete Yugi und sah ihn vorsichtig an. Vor zwei Wochen hatte er Bronko mal nach der Schule auf dem Nachhauseweg getroffen. Seitdem war er um zehn Mäuse ärmer und der große, blaue Fleck an der Hüfte tat auch noch weh. „Okay. Dann mal danke, ne?“ Er grinste ihn an, fächerte sich mit dem Papierstapel Luft zu und verzog sich wieder. „Nicht! Das sind meine!“ Yugi sprang auf, um ihm nachzulaufen. Wenn er die Aufgaben nicht abgab, würde er seine schlechte Note nicht aufbessern können. Und er hatte sich doch solche Mühe gegeben! Aber als er Bronko erreichte, setzte der sich gerade genüsslich auf seinen Tisch und direkt auf den dünnen Stapel, der ihm nicht gehörte. „Bitte gib sie mir zurück“ bettelte Yugi und sah ihn leidlich an. „Das sind meine.“ „Deine was?“ schaute er ihn mit großen Augen an. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Meine Hausaufgaben. Bitte gib sie mir zurück.“ „Ich hab deine Hausaufgaben nicht. Oder Leute? Seht ihr Yugis Hausaufgaben?“ Er streckte unschuldig die Arme von sich und lachte. Mit dem Kleinen konnte man es ja machen. „Das ist gemein. Bitte gib sie mir zurück. Ich hab sonst ...“ „Lass es, Yugi“ meinte Joey desinteressiert und ließ seine zischende Coladose aufgehen. „Bronko hat gute Laune heute. Vermies ihm die nicht. Außerdem geht unter dem fetten Arsch so einiges verloren.“ „Also wirklich. Mich einfach so verdächtigten, nur weil du deine Hausaufgaben nicht machst“ grinste genau der und rutschte unschuldig mit dem benannt fetten Arsch auf Yugis Aufgaben rum, bevor er einen gepfefferten Furz abfeuerte. Ein allgemeines „Puuuuh“ und Luftzufächeln ging durch die Reihen. Die Jungs fanden es geil und lachten. Die Mädchen wandten sich angewidert ab. Und Yugi standen die Tränen in den Augen. Warum waren nur immer alle so gemein zu ihm? Er hatte doch niemandem was getan. „Wheeler, runter vom Fenstersims und nach vorn kommen.“ Der kahlköpfige, dünne Englischlehrer kam herein und gab seine Anweisung fast ohne richtig hingesehen zu haben. „Matsumoto setz dich anständig hin. Hinato steck den Lippenstift weg. Muto auch hinsetzen. Wir wollen anfangen.“ Mit einem leisen Fluchen packte Joey seine Sachen zusammen und trottete nach vorn zum Lehrertisch, wo er sich direkt davor setzen musste, was er protestierend lautstark tat. Bronko grinste Yugi an und ließ die Aufgaben in seiner eigenen Tasche verschwinden. Es war sinnlos. Gegen so einen Brocken kam er nicht an. Und ihn zu verpetzen hatte wenig Sinn. Erstens hatte er noch keine Gelegenheit, seinen Namen unter die Aufgaben zu schreiben und zweitens würde er als Petze nur noch mehr Probleme kriegen. Also setzte er sich betrübt auf seinen Stuhl und überlegte eine gute Ausrede für den Lehrer. Er tat noch einen Seitenblick auf Kaiba, aber dem war Yugis Misere entweder entgangen oder es interessierte ihn nicht weiter. Er hatte seinen Laptop zusammengeklappt, schlug seine Beine übereinander und würde diese Unterrichtsstunde wie jede über sich ergehen lassen. Soweit Yugi wusste, hatte er einen Deal mit der Lehrerschaft. Solange er in der Stunde nicht arbeitete, musste er sich auch nicht melden und bekam trotzdem eine gute, mündliche Note. Dass er den Stoff beherrschte, wusste jeder und es reichte, wenn er das dadurch bewies, dass er wenigstens so tat als würde er aufpassen. Für Leute wie Yugi war das schwieriger. Er traute sich eh schon kaum, etwas zu sagen und dann auch noch eine gute Note im Mündlichen zu erreichen ... im Reden vor Leuten war er nie besonders gut gewesen. Er stotterte herum und wurde dann mit Gelächter entlassen. Drei Kreuze, wenn er diesen Schultag hoffentlich ohne Gruppenarbeit hinter sich hatte. Die Pause war wie jede andere. Er suchte sich einen vermeintlich stillen Platz am Rande des Schulhofes, packte sein Brot aus und beobachtete Kaiba dabei, wie der etwas mit einem kleinen, silbernen Teil hantierte. Eigentlich wollte er sich ja noch mal ans Puzzle setzen, aber wenn er die Wahl zwischen Kaibabeobachtung und Puzzeln hatte, war das nicht schwer. Und andere Pausen ohne Kaibasicht gab es noch viele. Der verzog sich nämlich auch lieber in die ruhigen Ecken und beschäftigte sich mit sich selbst. Manchmal telefonierte er, manchmal tippte er und manchmal, so wie heute, machte er Dinge von denen Yugi nur raten konnte, was es sein sollte. Aber ihn aus der Ferne zu beobachten, war das Schönste an der sonst so bitteren Schule. Eigentlich war er der Grund, weshalb er nicht schon lange die Schule gewechselt hatte. Wenn Opa wüsste, dass sein Enkel hier regelmäßig abgezogen und gedisst wurde, würde der nicht fackeln und ihn ummelden. Aber erstens wollte Yugi nicht aufgeben und hoffte, dass er hier vielleicht doch noch Freunde fand. Und zweitens würde er sonst Kaiba nicht mehr sehen können. Und das würde ihm fehlen. Er würde nicht mehr seine schöne Stimme hören und den leicht herben Duft vernehmen, wenn er an ihm vorbeiging. Ob er sich schon rasierte? Oder ob er das Aftershave nur so benutzte? Während Typen wie Joey sich über jedes einzelne, tolle Brusthaar ausließen, sprach Kaiba nie über solche Dinge. Wahrscheinlich war er im Denken auch schon viel weiter, als dass er sich mit so einem pubertären Gehabe abgab. Bestimmt hatte er mindestens eine super hübsche Freundin und tat Dinge, von denen andere bisher nur redeten. Er war schon so erwachsen. Sein Leben musste sicher sehr interessant sein. So als wichtiger Unternehmensführer. Seto Kaiba lebte in der Welt der Erwachsenen. Yugi lebte ja nicht mal in dieser Welt. Er wusste ja nicht mal, was das da für ein kleines, silbernes Teil war, auf welchem Kaiba so emsig herumdrückte. >Ich frage ihn einfach, was das ist. Oder ... nee, das ist doof. Aber ich muss ihn irgendwas fragen. Vielleicht ob er ... ich frage ihn einfach, wie er Vokabeln lernt. Vielleicht kann er mir ja einen Tipp geben. Ja, das ist gut.< Als er sein Brotpapier in den Mülleimer warf, klopfte sein Herz schon laut in den Ohren. Kaiba war gerade allein und es stand auch niemand um ihn rum. Eine bessere Gelegenheit, ihn anzusprechen, gab es nicht. Jetzt oder nie! Er nahm seinen Rucksack, machte sich gerade und versuchte möglichst locker zu wirken, als er auf ihn zuging. Er legte sich in Gedanken schon die Worte zurecht, die sie wechseln würden. Sicher war Kaiba viel netter, wenn man ihn in einem ruhigen Moment erwischte und nicht mitten im lauten Klassenzimmer. „Kaiba? Hast du einen Mome...?“ Aber bevor Yugi ihn noch richtig fragen konnte, wurde er schon wieder umgerannt. Er knallte auf den Boden und fühlte einen stechen Schmerz durch seinen Ellenbogen fahren, als er sich vor dem Boden damit abfing. Und irgendwer landete auf ihm drauf. „Aua ...“ klagte er leise und versuchte sich seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. Musste ja nicht sein, dass Kaiba ihn auch noch für eine Heulsuse hielt, wenn er sich schon hinmaulte. „Mann, pass doch auf, wo du hinläufst.“ Als Yugi fühlte wie sich das Gewicht von ihm entfernte, konnte er aufblicken und sah Tristan. Tristan Taylor war auch einer aus Joeys Gang. Er war eigentlich eher ruhig und hatte Yugi auch noch nie verprügelt. Eigentlich war er ganz nett, denn er zog ihn nicht ab. Aber das lag wohl eher daran, dass das schon andere erledigten. Tristan hatte auch ne Akte bei der Polizei liegen. Das war wohl Bedingung dafür, wenn man Joeys Kumpel sein wollte. Die beiden waren schon seit der Unterstufe ständig zusammen und mischten alles auf. Besonders seit sich auf der anderen Hälfte des Schulhofes die Schlägertypen aus den oberen Klassen zusammengeschlossen hatten und die beiden vom Thron stürzen wollten. Ein Wunder, dass weder Tristan noch Joey Schiss davor hatten, sich mit Kerlen anzulegen, die drei Jahre älter waren. So einen Mut hätte Yugi auch gern. „Mann ey. Jetzt hat meine Hose einen Fleck“ schimpfte Tristan und betrachtete seine schöne Schuluniform, die jetzt eine Schürfspur am Knie trug. Er legte nämlich, anders als Joey, sehr viel Wert auf sein Aussehen. Und auf seine geliebte Gelfrisur ließ er ebenso wenig etwas kommen wie auf seine sauberen Klamotten. „Kannst du nicht aufpassen, Yugi?“ „Tschuldigung“ nuschelte er und kniete sich hin, nahm seinen Rucksack und kämpfte sich auf die Beine. Sein Ellenbogen schmerzte so sehr, dass ihm die Tränen in den Augen standen, aber das wollte er nicht so zeigen. Nicht vor Kaiba. „Hach! Mann ey!“ meckerte Tristan und versuchte den Fleck abzureiben. „Das geht nie wieder raus! Musste das jetzt sein?“ „Tut mir leid. Ich wollte ...“ Traurig nahm er zur Notiz, dass Kaiba seine Tasche und seinen Laptop nahm und sich ohne Kommentar verzog. Eindeutig konnte er nicht arbeiten, wenn man um ihn herum quatschte. „Auf deine Entschuldigung pfeif ich. Pass das nächste Mal besser auf oder ich will mehr als nur ne Entschuldigung, Zwerg.“ Und Tristan verzog sich dann auch. War ja schon nett, dass er ihm keine knallte. Yugi hatte mal gesehen, wie Tristan einem schulfremden Jungen auf der Straße eine Faust verpasst hatte. Der Kerl hatte einen ganz schönen Wumms drauf. Da war er mit einem geprellten Ellenbogen noch ganz gut weggekommen. Und Kaiba war jetzt leider auch weg. Noch eine verpasste Chance. >Warum immer ich? Warum kann denn nie was klappen? ... Irgendwann bekomme ich Kaiba dazu, dass er mal einen Satz zu mir sagt, der mehr als vier Worte hat. Ganz bestimmt ...< Es wurde aber auch nicht besser. In der darauffolgenden Stunde stand Mathe an. Nicht nur, dass Yugi in Mathe nicht der Beste war, es wurde auch noch Gruppenarbeit zu fünft angesagt. Yugi hasste Gruppenarbeit und betete jeden Morgen, dass es doch bitte bitte bitte keine geben würde! Wenn man Freunde hatte, war das ja vielleicht ne schöne Sache, aber nicht, wenn man von allen geschnitten wurde. So wurden die Schüler von der Lehrerin gleich in der ersten Minute angehalten, sich in Gruppen zusammenzusetzen und wer blieb übrig? Bingo! Alle setzten sich mit ihren Freunden zusammen und Yugi stand etwas doof daneben. Wie peinlich, wenn alle jemanden hatten nur er nicht. Also griff er den letzten Strohhalm und ging zu Tea. Vielleicht durfte er sich ja wenigstens zu ihrer Gruppe dazusetzen. „Entschuldigung“ fragte er höflich. Sofort hörten die Mädchen auf zu kichern und sahen ihn an, was ihn ganz nervös machte. So was war immer peinlich. „Tea, darf ich mich zu ...?“ „Sorry, Yugi. Wir sind sogar schon sechs“ antwortete Nora. Die Mädchen hatten ja nichts gegen Yugi, aber sie hatten eben auch nichts für ihn. Er war kein Junge, der ein Mädchen sonderlich interessierte. „Wir sind einer zu viel. Aber da hinten ist noch Platz“ zeigte sie auf eine andere Gruppe. Da saßen Tom, Bronko und Tristan zusammen und ... KAIBA! Der saß da auch am Rande und schrieb seine Aufgaben wie auswendig herunter. Der hielt wohl auch nicht viel von Gruppenarbeit und die anderen drei ließen ihn ebenfalls links liegen. Die schienen sowieso nicht unbedingt zu lernen, sondern redeten über irgendwas, was Yugi durch das Gelächter nicht richtig verstehen konnte. „Okay. Danke“ nickte er die Mädchen an und ging auf die Vierergruppe zu. „Sorry, kann ich mich zu euch setzen?“ Aber die drei unterbrachen ihr Gespräch gar nicht, beachteten ihn nicht weiter. Yugi seufzte zwar innerlich, aber vielleicht war das wenigstens die Möglichkeit, sich irgendwo dazuzusetzen und es zu machen wie Kaiba. Nämlich die Aufgaben für sich selbst zu lösen. Also setzte er sich an den freien Platz gegenüber von Kaiba und wurde allein dadurch etwas aufgeregt. Jetzt saß er ihm direkt gegenüber! Es waren zwar noch zwei Tische dazwischen, aber sie waren ganz frontal. Yugi konnte ihn ansehen, bewundern wie seine tiefblauen Augen über das Papier huschten und musste sich abwenden, um seine eigenen Lösungen rauszukriegen. Auch wenn das nicht ganz einfach war, wenn das Herz bis zum Hals klopfte. Irgendwann wurde der Drang so schlimm, dass die Buchstaben und Zahlen vor seinen Augen verschwammen und er nochmals hochsehen musste, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Und als er seinen Blick hob, traf ihn der Blitz. Kaiba sah ihn an! Er sah ihn wirklich an. Er hatte sich zwar noch immer über seine Aufgaben gebeugt, aber das Blau seiner Saphire war auf ihn gerichtet. Sein Herz setzte aus und automatisch legte sich ein schüchternes Lächeln auf seine Lippen. Und dann geschah das unglaublichste! Kaiba lächelte zurück! Einfach so! Wie ein Schock ließ es Yugis Herz rummsen und er schlug beschämt seinen Blick nieder. Kaiba konnte ja lächeln! >Mein Gott ... ist das schön ... er sieht so gut aus ... hat er wirklich zurückgelächelt? Zu mir? Vielleicht hat er auch gar nicht mich gemeint. Er lächelt ja sonst nie. Aber er sah so hübsch aus. Er hat so schöne Lippen. Er ...< Es ging nicht anders! Er blickte nochmals vorsichtig auf und Kaiba sah ihn noch immer an. Nervös huschten Yugis Augen über sein Gesicht und er musste erneut lächeln. Und jetzt war er sich sicher. Kaiba lächelte zurück. Er sah ihn an und lächelte. >Soll ich jetzt irgendwas zu ihm sagen? Ich ...< Sein Kopf war wie leergepustet. Selbst seinen schmerzen Ellenbogen fühlte er kaum noch pochen. Damit hatte er nicht gerechnet. Er wusste, er hatte heute noch irgendwas vor ... aber nur was? Dass er heute zum ersten Mal ein so schönes Lächeln sah ... dabei hatte er doch gar nichts getan! Er war durcheinander. Was tat man denn in so einem Moment, um sich nicht dumm anzustellen? Aber Kaiba nahm ihm das ab. Mit Schrecken sah Yugi, wie er seinen Stift und seinen Block nahm und um den Tisch herumging. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich direkt neben ihn. So nahe war Yugi ihm noch nie gewesen. Er konnte ihn riechen. Sein schweres, dunkles Parfüm. Es war wie ... es war unbeschreiblich. >Das passiert jetzt nicht wirklich ... ich träume ...< „Alles okay, Yugi?“ >Das ist nicht wahr! Er redet mit mir? MIT MIR?!< Und seine Stimme war so schön. Gar nicht so hart, sondern ganz weich und tief. So hatte er noch nie gesprochen. In so einem schönen Ton ... so ein wunderschöner Ton. Yugi zwang sich, irgendwas zu sagen, aber er musste den Kopf senken. Darauf war er nicht vorbereitet. „Ja“ flüsterte er und spürte, wie ihm die Hitze über den Rücken hinaufkroch. Das war unglaublich. Kaiba redete mit ihm! MIT IHM! „Yugi, darf ich dir eine Frage stellen?“ „Natürlich“ erwiderte er leise und traute sich nicht, ihn anzusehen. „Frag alles, was du willst. Wenn ich dir helfen kann ... Kaiba ...“ „Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?“ Was für eine ungewöhnliche Frage. Yugi blickte nun doch auf, um sicherzustellen, dass er nicht verarscht wurde. Jahrelang redete Kaiba kein Wort mit ihm und nun ganz plötzlich fragte er so komische Dinge ... „Ich weiß, es kommt dir merkwürdig vor, Yugi“ sprach er leise und beugte sich ein Stück zu ihm herunter. „Aber es ist wichtig. Woran erinnerst du dich als letztes? War heute irgendwas, wo du das Gefühl hattest, es stimmt was nicht?“ „Ich ... nein“ antwortete er verunsichert. Was wollten diese schönen, blauen Augen denn nur von ihm hören? „Alles wie immer.“ „Okay“ hauchte Kaiba und sah nachdenklich auf den Tisch. „Ich verstehe ... er hält dich hier gefangen ... du bist in deinen Erinnerungen gefangen ... ohne Yami ...“ „Wer hält mich gefangen? Was für ein Jam ...?“ fragte Yugi, dem langsam ganz anders zumute wurde. Ob Kaiba auf Drogen war? Das kam ja angeblich nicht selten vor in so höheren Kreisen. Vielleicht knallte bei ihm gerade irgendeine Sicherung durch oder ... „Das einzig Merkwürdige heute in meinem Leben, bist du, Kaiba.“ „Das wird sich in deinem Leben wohl auch nicht mehr ändern.“ Er legte ein sanftes Lächeln auf und Yugi durchfuhr ein Schock als er seine Hand nahm. Er legte seine große Hand neben seine auf den Tisch und drückte sie. >Unglaublich ... er nimmt meine Hand. Mein Gott, hat der kalte Hände. Eiskalt. Er hat so schöne Hände. So ... wunderschön.< „Du hast ganz kalte Hände.“ „Ich weiß“ hauchte er und sah ihn verträumt an. „Ich hab dich immer ignoriert, oder?“ „Ähm ... macht nichts.“ Yugi versuchte sich an einem Lächeln aber er konnte nichts dagegen tun, dass er anfing zu zittern. Vor Aufregung. Sein Herz wummerte, sein Kopf schwirrte. Er spürte diese kalte Hand, sah diesen seichten Blick und hörte diese zärtliche Stimme. Irgendwas passierte hier. „Das ist jetzt vorbei“ versprach Kaiba in einer gedämpften Stimme. „Yugi, was wünschst du dir am meisten?“ „Freunde“ kam es ganz automatisch aus seinem Munde. „Jemanden, der zu mir steht und mich gern hat. Ich ... Freunde. Die hätte ich gern. Und ... das kann ich jetzt nicht sagen ...“ „Ich verstehe“ nickte er und lächelte ihn liebevoll an. „Yugi, bitte entschuldige die direkte Frage. Aber magst du mich?“ „Ich ... ja.“ Sein Gesicht wurde heiß und seine Hand begann noch stärker zu zittern. Was war denn los heute? Warum beschäftigte Kaiba sich so plötzlich mit ihm? Mit ihm! Ausgerechnet mit ihm! „Ich mag dich sehr ... Kaiba.“ „Ich mag dich auch, Yugi“ versprach er und drückte seine bebende Hand. „Ich mag dich sehr. Von allen Menschen auf der Welt mag ich dich am meisten. Entschuldige, dass ich gemein zu dir war. Kannst du mir verzeihen?“ „Ich ... du warst nicht gemein zu mir.“ Er senkte seinen Blick und atmete stockend ein. Verdammt, ihm wurde ganz heiß und schwindelig bei dieser schönen Stimme. „So, wenn ihr dann bitte zum Ende kommt.“ Die Lehrerin mit der strengen Brille klopfte in die Hände und das laute Klassenzimmer beruhigte sich ein wenig. Gruppenarbeit war immer so laut, aber ab einer gewissen Lautstärke schienen die Lehrer zu wissen, dass man nichts mehr zu tun hatte. Seto ließ Yugis Hand nicht los. Zwar hatten schon die ersten Schüler bemerkt, dass sie mitten auf dem Tisch Händchen hielten, aber die Situation war einfach zu abstrakt, als dass jemandem spontan ein Kommentar dazu einfiel. Zumal die Lehrerin dafür bekannt war, einen schnell zu bestrafen. „So, dann gehen wir im Uhrzeigersinn vor. Es reicht, wenn ein oder zwei aus der Gruppe ihre Ergebnisse an der Tafel präsentieren“ beschloss sie ernst und lugte über ihre strenge Brille hinweg auf die Gruppe, welche ganz am Rande auch noch außen saßen. „Kaiba und Muto. Nehmt ihr bitte den ersten Block bis Aufgabe E?“ Yugi hasste es, an die Tafel zu müssen. Da fing er sich immer mehr als nur einen Scherz auf seine Kosten ein. Zumal er gerade nicht in der Verfassung war, überhaupt etwas vorzuweisen. Er hatte die erste Aufgabe zwar immerhin angefangen, aber zu mehr war er nicht in der Lage. Außerdem zitterten seine Knie. „Komm. Wir machen das zusammen.“ Aber Kaiba stärkte ihm den Rücken. Er zog ihn hoch und ließ dann erst seine Hand los, um zur Tafel zu gehen. Wie in Trance wankte Yugi hinter ihm her und hörte am Rande schon den ersten Witz. „Sie sollten Yugi zuletzt drannehmen. So tief kann man die Tafel doch gar nicht runterholen, dass er oben als erster schreiben kann.“ „Ruhe“ rief sie mehr oder weniger elanvoll die lachende Klasse zur Raison, bevor sie sich den beiden Opferlämmern zuwand. „Nun. Was habt ihr herausgefunden?“ Kaiba hatte sich keine Unterlagen mitgenommen. Yugi hatte sich zwar noch das Buch gegriffen, aber eine Lösung hatte er auch nicht. Wahrscheinlich würde er gleich ziemlich untergehen und sich hoffnungslos blamieren. „Ich habe herausgefunden, dass Yugi Muto ein wundervoller Mensch ist. Mit dem größten Herzen, das man nur haben kann und einem sanften Wesen, welches jeder Seele das Gefühl gibt, geliebt zu werden.“ Yugi fiel gleich um. Was redete Kaiba denn da? Drehte der jetzt völlig durch? Das war doch wohl ein wirrer Traum, oder? Und die Klasse schien das ähnlich zu sehen. Alle sahen ihn perplex an und konnten mit seinen Worten spontan nichts anfangen. „Ich liebe ihn mehr als alles andere und ich stehe zu ihm. Weil er einer von den besten Menschen ist, die jemals geboren wurden. Mit einem Herzen aus Gold.“ Aber er sprach unbeeindruckt weiter mit fester Stimme, als wäre ihm das gar nicht peinlich. Er verschärfte seinen Ton sogar noch. „Und wenn ich mitbekomme, dass ihn irgendjemand ungerecht oder ruppig behandelt, der kriegt mit mir persönlich gewaltigen Ärger. Und das gilt von jetzt an bis in alle Ewigkeit. Yugi Muto steht unter meinem persönlichen Schutz.“ Dann wand er sich herum und sah Yugi liebevoll an, mit seinen wundervollen, blauen Augen. „Ich mag dich von allen am meisten. Und ich stehe zu dir. Was auch immer sei. Ich werde dich nie wieder ignorieren. Denn du bist der Herr über mein Herz.“ „Kaiba ...“ Das war ein Traum. Das MUSSTE ein Traum sein. Anders war das hier nicht zu erklären. „Hörst du zu?!“ Der Drache rief an die Decke und haute auf den Tisch. „Du wirst ihn mir nicht wegnehmen! Nicht solange wir uns lieben! Nicht solange ich sein Priester und sein Ehemann bin! Ich beschütze ihn! Auch vor seinen eigenen Ängsten! Du wirst uns nicht trennen! Unsere Liebe kennt keine Grenze!“ „Kaiba, was redest du denn da?“ Die Lehrerin sah ihn argwöhnisch an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Tut mir leid. Dafür muss ich euch beiden eine Sechs geben. Und den Rest der Stunde verbringt ihr vor der Tür. Ich finde euer Theater nicht komisch.“ Ganz im Gegensatz zu allen anderen, die schallend lachten und ich amüsierten. Wirklich ernst nahm ihn niemand. Und Yugi wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Seine Welt geriet gerade völlig aus der Bahn. Ihm wurde schwindelig, er zitterte ... was war hier los? Spinnten denn jetzt alle? Bis vor wenigen Minuten war er noch der gewesen, den niemand haben wollte und nun gestand ihm Kaiba vor aller Augen seine Freundschaft, seine Liebe? Dass er zu ihm stand? Zu dem kleinen, doofen Yugi? Das war nicht wahr ... das war einfach nicht wahr ... das war nicht real ... Als er seine Augen wieder auftat, sah er an die kaltweiße Decke, an welcher ein belaubter Baum die Schatten seiner Blätter warf. Ein leichtes Brummen ging durch seinen Kopf, aber gleich spürte er eine angenehme Kühle auf seiner tauben Stirn. „Yugi. Wie fühlst du dich?“ Da war sie wieder. Kaibas Stimme. Seine kalten Hände fühlten sich so gut an. Aber damit kamen auch die dumpfen Erinnerungen zurück. „Was ist denn passiert?“ fragte er schwach. Er erinnerte sich nur noch verschwommen an eine surreale Szene mitten im Klassenzimmer. Es ging alles so schnell ... und nun fand er sich im Krankenzimmer wieder, auf dieser ungemütlich harten Liege. Er spürte einen Verband um seinen Arm, der seinen jetzt noch verstärkt schmerzenden Ellenbogen einschnürte. „Du bist in Ohnmacht gefallen und hast dir den Ellenbogen geprellt. Aber hab keine Angst, es kommt alles wieder in Ordnung.“ Yugi blickte zur Seite und sah ihn dort sitzen. Er war noch immer so schön wie ein Traum. Das alles musste ein Traum sein. Er war bei ihm, hielt seine Hand. Er war doch der kleine, dumme Yugi, den keiner ernst nahm und jeder verspottete. Was hatte ein edler Mann wie Kaiba in seiner Nähe zu suchen? „Du fragst dich, warum ich hier bin“ lächelte der ihn liebevoll an und streichelte seinen angeditschten Kopf. „Ich weiß, das alles muss dir merkwürdig vorkommen.“ „Ja“ hauchte er und blickte ihn feucht an, seine Stimme wurde brüchig. „Was du da vorhin gesagt hast ... war das ein Witz? Bitte mach dich nicht über mich lustig ... nicht du ...“ „Nein, das war kein Witz“ versprach er. „Ich liebe dich, Yugi. Mehr als alles andere auf der Welt. Und ich werde immer zu dir stehen.“ „Aber warum?“ Ihm liefen Tränen aus den Augen. Nicht unbedingt aus Trauer, sondern einfach weil ein Gemisch aus hundert Gefühlen in ihm tobte. Er war aufgeregt, verwirrt, verliebt, verzweifelt, unsicher und so voller Hoffnung. „Du hast nie mit mir geredet. Ich bin nichts besonderes. Nicht so wie du.“ „Doch, du bist etwas besonderes. Etwas ganz besonderes“ betonte er und rückte noch ein Stück näher, um ihm in die Augen zu sehen und seine Wangen zu streicheln. Der arme Yugi war völlig verwirrt. Seto hätte niemals gedacht, dass es ihm damals wirklich so schlecht ging. Er hatte keine Freunde, aber tausend Hoffnungen. Er hatte keinerlei Selbstvertrauen, aber eine große Liebe im Herzen. Wie alt mochte er hier sein? Er sah so jung aus. Von dem Mann, den er geheiratet hatte, war er hier weit entfernt. Er war hager, fast zu dünn, obwohl sein Gesicht noch ganz babyspeckig war. Er hatte kaum richtige Schultern, keine Muskeln. Seine Augen waren wie die einer Maus, nicht die eines goldenen Löwen. Das war die Zeit, bevor Yami auf ihn Einfluss genommen hatte. Erst als Yami kam, hatte sich etwas in ihm getan. Yugi hatte damals eine schwere, einsame Zeit. Und Seto machte sich nun Vorwürfe. Er hatte es niemals bemerkt. Jahrelang hatten sie sich fast täglich gesehen und er hatte seine vorsichtigen Annäherungen niemals gewürdigt. Wie war Yugi nur ein so starker Mann geworden, wie er es heute war? Das klärte das, was Seth ihm einst gesagt hatte. Nicht nur Seto war durch Yugis Einfluss gereift. Nein. Auch Yugi war an Seto gereift. Für ihn hatte er angefangen zu kämpfen. Um Seto nicht untergehen zu lassen, war er stärker geworden als sein Liebster. Nur aus seiner Liebe heraus war er erwachsen geworden. Er hatte seine Ängste und seine schlechten Erfahrungen zur Seite geschoben und um Setos Leben gekämpft, weil er das Wort Aufgeben nicht kannte. Allein aus Liebe war er von einem schüchternen Jungen zum fast unbesiegbaren Mann geworden. Doch die Ängste der Erinnerungen waren noch in ihm, wie jeder Mensch böse Erinnerungen in sich trug. Er konnte sie wegschieben, aber niemals loswerden. Und nun war er gefangen in seinen eigenen Erinnerungen und würde hier untergehen. In einer Zeit ohne Freunde und voll unerwiderter Liebe. Der schwache Yugi von damals, ganz ohne Yami ... er konnte sich hier nicht selbst herausholen. Wenn er nicht einen Priester hätte, der ihm in treuer Liebe und unendlicher Dankbarkeit überall hin folgte und ihn beschützte. Das gebrochene sterbende Herz, welches Yugi einst rettete und belebte, war nun stark und würde ihm ewig treu dienen. Setos Herz war auf ewig seines. Er hatte es stark gemacht. Und nun bekam er diese Stärke in Dienste gestellt. Er hatte ihn stark genug gemacht, um selbst beschützt zu werden. „Yugi, ich liebe dich“ sprach er und sah ihm sanft in die nassen Augen. „Ich weiß, das alles kommt sehr plötzlich für dich. Ist es dir unangenehm, wenn ich dir sage, wie sehr ich dich liebe?“ „Nein“ weinte er und sah ihn verwirrt an. „Aber ich ... warum? Warum jetzt? So plötzlich ...“ „Yugi, wie alt bist du?“ „Ich bin vor zwei Wochen 15 geworden“ antwortete er und war im Herzen völlig durcheinander. „Ich bin genauso alt wie du.“ Obwohl Yugi nie und nimmer wie 15 aussah. Eher 12 oder 13. Das kam wohl daher, dass er so klein und schmal war. Die Mädchen interessierten sich nicht für ihn und die Jungs nahmen ihn nicht in ihre Reihen auf. Armer, einsamer Yugi. „Nein, das stimmt nicht“ tadelte er und streichelte sein Nasenbein. „Ich bin drei Monate jünger als du. Ich bin also erst 14.“ „Wirklich?“ Jetzt machte er aber große Augen. „Aber du hast doch im Frühling ...“ „Nein, das ist nur das Datum von meinem Ausweis. Du hast im August Geburtstag und ich im November. In Wirklichkeit bin ich jünger als du. Kannst du dir das vorstellen?“ „Nein“ meinte er baff. „Du bist so ... so groß und so ... so weit entwickelt. So männlich.“ „Herrje“ lachte er. Wie ungeschickt und kindisch Yugi sich ausdrückte. Seto war doch eigentlich seelisch um viele Jahre zurück. „Wenn du wüsstest, wie unterentwickelt ich hier eigentlich bin. Erst du wirst mich zum Mann machen.“ Er hatte ja damals keine Ahnung, dass Seto gar nicht so ein starker und erfahrener Mann war, wie er vorgab. Er war da einer Annahme aufgesessen. „Aber wenn du schon 15 bist ... hast du etwas dagegen, wenn wir uns küssen?“ „Du ... aber ich dachte, du ...“ „Was dachtest du? Hm?“ lächelte er und streichelte seine Haare zurück. „Sprich dich aus. Was dachtest du?“ „Ich dachte, du hast eine Freundin. Mindestens eine. Und sie ist wunderschön.“ „DAS dachtest du?“ fragte er und musste einfach lachen. Das war so lächerlich! Yugi hatte ihm nie erzählt, dass er das damals angenommen hatte! Er hatte ein völlig falsches Bild von ihm gehabt. Deshalb hatte er sich auch niemals getraut. „Du dachtest, ich hab ne Freundin? Mindestens eine? Vielleicht sogar mehrere?“ „Ja, du ... du bist doch ... viel erwachsener.“ „Yugi“ seufzte er und beugte sich zu ihm herab, sah ihm intensiv und ganz ehrlich in seine großen Augen. „Ich glaube, du weißt gar nicht, wer von uns beiden wirklich der Erwachsene ist. Du bist der erste und einzige Mensch, den ich liebe. Du bist es, an den ich mich anlehne. Du bist der Stärkere von uns. Du bist der Mann, der mein Leben bestimmt. Du bist der einzige Mann, dem ich mich völlig ergeben kann.“ „Aber du ... bist du ... etwa ... schwul?“ Es war ihm sichtlich peinlich, das zu fragen. Aber es hörte sich wohl für ihn so an. Wenn Seto keine Freundin hatte, dann musste er logischer Weise schwul sein. „Nein, ich bin nicht schwul. Ich liebe nur dich. Nur dich allein“ versprach er und küsste zum Anfang ganz sanft seine heiße Stirn. „Es klingt für dich sicher unglaublich. Aber kannst du dir vorstellen, dass wir in etwa 15 Jahren glücklich verheiratet sein werden und zwei wundervolle Kinder haben?“ „Verheiratet? Kinder?“ Das klang absolut absurd! „Aber das ...“ „Glaubst du nicht?“ lächelte er und hörte nicht auf, ihn sanft zu streicheln und ihn mit seinem kühlen Blau zu berühren. „In 15 Jahren kann viel geschehen. Durch dich. Wir werden uns ein Leben aufbauen. Du bist stärker als du glaubst. Und irgendwie muss ich dir diese Stärke zeigen, wenn dein Yamigeist nicht bei dir ist. Du wirst viele, treue Freunde haben, mit welchen du friedlich zusammen lebst. Du wirst ein erfolgreicher Sportler sein, ein hervorragender Koch, ein liebevoller Vater ... und ein, wenn ich das sagen darf, ein sehr zärtlicher Liebhaber.“ „Ein ...“ Jetzt war es sicher. Kaiba war auf einem Tripp. Er redete Dinge, die Yugi sich in seinen wildesten Träumen nicht ausmalen konnte. In seinen Hoffnungen ganz vielleicht. Aber selbst die Hoffnungen waren fast zu unwahrscheinlich, um sie sich zuzutrauen. Er und ein Liebhaber? Ein Vater? SPORTLER? Er als Chibiausgabe eines Mannes? „Du und ich, Yugi. Wir werden heiraten und unendlich glücklich sein.“ „Heiraten“ wiederholte er und schien ihm das nicht zu glauben. Aber langsam legte sich ein Lächeln auf seine Lippen und brachte seinen Wangen Farbe. „Yugi Kaiba ... hört sich doch komisch an, oder?“ „Oh, nein. Ich werde deinen Namen annehmen. Seto Eraseus Pascal Muto. Wie klingt das?” „Du hast so viele Zweitnamen?“ „Es gibt so vieles, was du von mir noch nicht weißt. Und ich sehe, es gibt noch immer so vieles, was ich von dir noch erfahren möchte. Mehr über die Zeit vor uns“ sprach er und sah ihn verliebt an. „Yugi, bitte antworte mir nur, wenn du ganz überzeugt bist. Glaubst du, dass wir beide gemeinsam alles durchstehen können? Dass unsere Liebe stärker ist als alle Mächte der Erde? Dass ich zur dir stehe? Zu dir und nur zu dir? Dass wir füreinander alles bedeuten können?“ „Ich hoffe es“ antwortete er und begann wieder zu weinen. Dicke Tränen liefen aus seinen Augen und troffen auf das helle Leder der Krankenliege. „Ich wünsche es mir so sehr. Aber ich bin so klein und du bist ...“ „Nein. Nein, sag das nicht. Nie wieder“ bat er und legte ihm seine kühlen Fingerspitzen auf die Lippen. „Yugi, glaubst du daran? Nicht hoffen und wünschen. Glaubst du es? Glaubst du tief in deinem Herzen, dass wir zusammengehören? Dass du und ich zusammengehören?“ „Ja“ hauchte er verzweifelt. „Ich glaube es. Ich glaube daran.“ „Dann glaubst du an unsere Liebe? An uns?“ „Ja ... ich glaube an uns.“ Seto lächelte und beugte sich langsam herab. „Wenn du an uns glaubst. Dann küss mich, so wie du es für den Rest deines Lebens tun willst. Bitte, verliere nicht den Glauben daran, dass du und ich ein Wir sind.“ „Ein ... Wir ...“ Das war die Antwort, die er brauchte. Solange Yugi an Seto und seine Liebe glaubte, würde sie nichts und niemand auseinander reißen können. Niemals. Auch kein Leiden aus der Vergangenheit. Denn sie gehörten zusammen. Chapter 29 Als Seto die Augen wieder auftat, wurde er noch immer gespannt angesehen. Tato nahm die Hände von seinen Schultern und hatte ihn bei seiner gedanklichen Aktivität unterstützt. Nun war seine Mama zurück und er trat um ihn herum, um zu erfahren, ob er etwas bewirken, ob er seinen Papa finden konnte. „Und?“ fragte er besorgt. „Hast du ihn gefunden?“ „Er war in einer Erinnerung gefangen. Eine schwere Erinnerung“ antwortete er und sah ihn traurig an. „Er hat gesagt, er hatte es schwer, aber ... ich hatte nie ein Bild vor Augen, wie traurig er wirklich war. Damals.“ „Wie auch immer. Wo ist er?“ wollte Yami dringender wissen. Wie es Yugi früher ging, wusste er doch am Besten. Er war derjenige, der Yugi damals verändert, ihn lange in die richtige Richtung geschubst und ihn aus seiner schwachen Position herausgelöst hatte. „Er muss hier irgendwo sein.“ Seto blickte sich um, aber durch den hohen Flammenkreis, der sie schützend umgab, konnte er in der Weite nicht viel erkennen. „Er kann nicht weit entfernt sein. Sonst hätte ich nicht so leicht in seine Gedanken eindringen können.“ „Na ja, leicht war das ja wohl nicht“ meinte Joey. „Wenn du Tato als Unterstützung brauchst. Ausgerechnet du ... so als ...“ „Er ist nun mal hier der älteste Magier“ grinste Balthasar, der mittlerweile aus Narlas Körper wieder rausgegangen war, um Joeys Gemotze zu stoppen. „Lass das. Wir müssen jetzt Papa finden“ meinte der ernst. „Dieser Kerl hat ihn noch immer und ... MAMA!“ Seto konnte nicht mehr warten und ließ die Flammen durch den entstehenden Wind seiner Schwingen auseinander wehen. Nach oben hin konnte er ja entkommen. Nur drei oder vier kräftige Schläge und er hievte sich hinauf, um Yugi zu suchen - wo auch immer er jetzt war. „Spinnt der? Er ist doch noch viel zu schwach“ meinte Sharesa, die von dem plötzlichen Wind fast umgeworfen worden war. „Nicht, wenn es im Yugi geht“ sprach Yami ein wahres Wort. „Er findet keine Ruhe bis er ihn wieder hat. Unglaublich, wie sehr die beiden aneinander hängen.“ „Ja. Beneidenswert so eine Liebe“ nickte auch Sethan und sah nach rechts. „So ein Feuerkreis ist ja sehr nützlich gegen Eindringlinge, aber alle, die nicht fliegen können, haben jetzt ein Problem.“ „Sorry“ lächelte Narla entschuldigend. „Ich bin nur ne Hexe.“ Und das hieß, sie konnte zwar Feuer entfachen, es aber nicht zurückziehen. Das war ihr großer Nachteil. „Sari, dann mach du das, bitte“ bat Tato ernst. „Ich?“ Sie sah ihn geschockt an und griff nach Sethans Hand. „Ich kann nicht ...“ „Du kannst das Feuer löschen“ unterbrach er ihre Bedenken. „Du weißt, wie das geht. Ich hab nicht mehr genug Kraft und würde durch einen Wind die Flammen nur noch weiter aufheizen. Aber du kannst sie ersticken. Und ich glaube, das wird dir sehr leicht fallen.“ „Versuch es“ bat auch Sethan und ließ sie los. „Du bist gut genug. Hab mehr Selbstvertrauen. Und wenn es nicht klappt, denken wir uns irgendwas aus.“ „Na gut ...“ Sie sah ihren Papa noch mal vorsichtig an, dann Sethan. Sie traute sich in dieser Beziehung selbst nicht so ganz. Aber dann trat Tato auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schulten. „Ich weiß, ich hätte viel früher mit dir anfangen müssen. Aber du kannst es, meine Große. Wer so einen tollen Erdenschutz errichten kann, der kann auch Feuer ersticken.“ Er senkte seine Stimme und beruhigte sie, drückte bestärkend ihre zarten Schultern. „Konzentrier dich. Schließe die Augen und spüre deine Kraft. Ich helfe dir. Gemeinsam ballen wir deine Energie.“ Sie schloss die Augen und legte sich die Hände auf die Brust, atmete ganz tief durch und versuchte, einen ruhigen Moment in diesem Chaos zu finden. „Spürst du die Kraft? Ganz tief unten in deinem Bauch?“ führte er sie weiter mit gedämpfter Stimme. „Hast du sie?“ „Ja“ hauchte sie leise. „Dann halt sie fest. Drück sie nach oben und halte sie fest. Wie als würdest du einen Ballon zusammendrücken. Fühlst du es? Fühlst du, wie sich alles in dir anspannt?“ „Ja“ flüsterte sie und kniff die Augen zusammen. „Das ist unangenehm ... tut weh ...“ „Halt noch einen Moment fest. Füttere die Kraft. Ganz doll zusammendrücken ...“ „Papa.“ Sie litt sehr schnell, wenn sie begann, ihre tiefliegende Kraft zu sammeln. Sie besaß Kraft, viel davon. Aber sie wirklich intensiv zu spüren, vermied sie eher. Ihre Stimme klang gequetscht und Tränen liefen durch ihre gekniffenen Lider. So eine Art der Konzentration war nicht schön. „Bis du es kaum noch aushältst. Wenn es weh tut, dann lass ...“ Aber sie war schon soweit. Mit einem spitzen Schrei aus ihrer Kehle, gab es ein Donnern, die Erde zitterte für einen Moment als würde ein Berg aus dem Himmel fallen und in der weiten Ebene aufprallen. Ein paar Leute riss es von den Beinen, aber mit einem Puffen ging das Feuer aus und verging in hellweißem Qualm. „Sehr gut gemacht, Schätzchen“ lobte Tato und hielt sie fest, als ihre Knie nachgeben wollten. „Du hast einen Feuerbannkreis gebrochen.“ „War ja nur ... von einer ... Hexe ...“ keuchte sie und hielt sich an ihm fest. Aber ein wenig stolz klang sie doch. Ihre Magie funktionierte also doch besser, als sie es sich selbst zutraute. „SETO!“ Tristan war schon wieder ganz woanders mit seinem Blick und sah ihn in arger Bedrängnis. Hunderte von Schatten machten sich über seine weißen Schwingen her. Er wälzte sich am Boden, versuchte sie abzuschütteln, aber sie ließen ihn nicht los. Man hörte ihn keuchen und leise fluchen, aber nicht laut genug. „Sie saugen ihm die Kraft aus!“ rief Sharesa. „Diese Schmarotzer! Wir müssen ...“ Doch sie wurde unterbrochen. Joey war auch gerade losgelaufen, um die schattigen Biester zu verscheuchen, aber sie kamen nicht ein Stück weiter. Da huschten nicht nur zischende Schatten zwischen ihren Beinen herum und zwickten sie mit ihren spitzen Zähnen, wurden gerade noch zurückgehalten. In einigen Metern Entfernung stand auch der letzte verbliebene Magier. Zu Anfang sah er noch aus wie ein smarter Surflehrer. Nun war sein blondes Haar zerzaust und es hingen ein paar Zweige darin, die davon zeugten, dass er sich im Wald versteckt gehalten hatte. Seine dunkelblaue Hose war aufgerissen und sein weißes Hemd mehr schwarz davon, dass er wohl auf dem verkohlten Boden umhergekrochen war. Etwas ramponiert sah er zwar aus, aber er schien noch gut bei Kräften. Zumal er eine wertvolle Geisel besaß. Um Yugis Hals hatte er einen dunklen Strick geschlungen, welcher selbst aussah als sei er aus Schattenhaar gesponnen. Von diesem Ding ging eine unangenehm dunkle Aura aus und raubte dem Pharao seine Kraft. Er kniete am Boden, versuchte den festen Strick zu lockern, um noch etwas mehr Luft zu bekommen. Doch er war schon leicht blau im Gesicht und zitterte, konnte sich gegen so jemanden kaum noch zur Wehr setzen. Selbst wenn er aus seiner Erinnerungsillusion herausgeholt worden war, raubte dieser Magier ihm die Kraft. So harmlos wie man anfangs vermutet hatte, war der Illusionist nicht. Er war vielleicht der Schwächste der dreien, aber er hatte ihnen bereits sehr zugesetzt. Nicht durch eine Kraft, die von außen auf sie einprasselte, sondern durch die Last, welche jede menschliche Seele in sich trug. Und den Pharao gefangen zu nehmen, seine Seele zu schwächen, dazu gehörte schon etwas mehr als nur Größenwahn. „Ich an eurer Stelle würde mich nicht einen Meter bewegen“ riet er ihnen. Er schien aber dennoch ein wenig vorsichtig zu sein. Er grinste nicht, sondern konzentrierte sich darauf, jetzt das angefangene Werk allein zuende zu führen. Unvorsichtig wollte er nicht werden. „Ich habe alle Schatten geballt. Ich brauche nur ein Wort und sie gehen auf dieses Land nieder, um alles zu verschlingen. Alles außer mir.“ „Lass meine Väter in Ruhe“ drohte Tato, dem das die Zorneswüte in die Augen trieb. „Ohne Sato bist du nicht mehr stark genug, um noch größere Töne zu spucken, Enaseus“ erwiderte er wissend. „Und deine Tochter ist zu unerfahren, um mich jetzt noch zu übermannen. Es gibt niemanden von euch, der mir noch gefährlich werden könnte. Also tut ihr jetzt, was ich euch sage oder der kleine Pharao hier muss zuerst dran glauben.“ Nur einen letzten hatte er nicht auf der Rechnung. Wie er es gemacht hatte, war sein Geheimnis, aber war unversehrt. Wie ein Geist tauchte Dakar mit erhobener Gestalt nur zwei Schritte hinter ihm auf. So lautlos wie eine Schlange pirschte er sich scheinbar mühelos an ihn heran und hatte ein gruselig gelbes Glühen in den Augen. Seine hohe, dünne Gestalt wirkte fast schmächtig gegen die Muskeln des Surflehrers. Das glänzend schwarze Haar streichelte sein langes Gesicht, umspielte seine eckigen Schultern. Eine Aura hatte er nicht. Wie ein Chamäleon schien er mit der schattigen Umgebung verschmolzen zu sein und nur, wer bewusst hinsah, konnte ihn erkennen. Ein Giftmagier war eine ganz andere Klasse als ein Gifthexer. Eine höhere Ebene. „Ihr werdet euch jetzt dort drüben ganz langsam zusammenstellen.“ Der Illusionist zeigte zur Seite und verlangte, dass getan wurde, was er sagte. Er sah Dakar hinter sich nicht. Er spürte nicht mal die Gefahr, die sich hinter ihm befand. Wie man eine Schlange nicht sah, welche sich im hohen Gras auf die Lauer gelegt hatte bis man auf sie trat. „Und dann will ich, dass ihr ...“ Als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, erstarrte er mitten im Satz. Seine Augen weiteten sich und bewegungslos atmete er tief und langsam ein. Jetzt wusste er, dass jemand hinter ihm war. Und dieses Etwas gab ihm das Gefühl, sich nicht bewegen zu können. Dakars Stimme war ein leises Zischen, fast verzerrt geatmet, als er ihm so nahe kam, dass er ihm ins Ohr flüstern konnte. „Lass den Pharao los.“ Die rechte Hand des Magiers zitterte, zitterte immer stärker bis er den Schattenstrick nicht länger halten konnte und den gefangenen Pharao freigeben musste. Aber bewegen konnte er sich noch immer nicht in den Fängen dieser lebensbedrohlichen Macht, welcher direkt hinter ihm stand. „Danke.“ Dakars Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und zeigten zwei lange Eckzähne, welche im fahlen Licht feucht glänzten. Gemeinsam mit seinen gelben Augen wirkte er wie ein Vampir oder ein ähnliches unreales Wesen. Besonders, als er mit seiner langen Zunge genüsslich über die Halsschlagader seines Opfers leckte und dann beinahe zärtlich hineinbiss. „Oh Gott“ flüsterte Tristan geschockt als er das mit ansah. „Was tut er denn da?“ „Dakar ernährt sich zum Teil von Menschenblut“ erklärte Sharesa in gesenkter Stimme. „Sein Körper produziert so viel Gift, dass er menschliche Antikörper braucht, um sich nicht selbst zu vergiften.“ „Er ist ein Vampir“ bibberte Joey und wurde ganz blass im Gesicht. „Oh Gott, ein echter Vampir ... Papa hatte Recht. Es gibt sie wirklich ...“ „Unsinn, Dakar ist kein Vampir“ bestritt seine Schwester. „Er muss nur regelmäßig das Blut eines Menschen trinken. Ein paar Tropfen reichen schon. Das Problem ist, dass er niemanden zwei Mal beißen kann, denn dann hat er bereits Gift gegen die Antikörper entwickelt. Das hier ist für ihn eine gute Gelegenheit. Wenn er einen ordentlichen Schluck nimmt, kann er für Jahre gesund leben.“ Doch dem Magier war das nicht ganz so zuträglich wie ihm. Nachdem Dakar seine Zähne aus ihm zurückgezogen hatte, ließ er ihn los und damit schwach auf dem Boden zusammenbrechen. Und Schwäche zu zeigen, war vor Schatten ein Todesurteil. Wie ausgehungert stürzten sie sich auf ihren vermeintlichen Meister, drangen durch sämtliche Öffnungen in seinen Körper und taten sich an seiner Seele gütlich. So wie sie bereits die Seelen seiner Begleiter gefressen hatten. Für ihn war das tödlich. Und Dakar schien es nur zu beobachten, ohne etwas dabei zu fühlen. Positiv war es für Seto, denn die Schatten ließen von ihm ab und sofort zog er seine bedrohten Flügel zurück, um sie zu schützen. Schnell war er aus seiner tranceartigen Gefangenschaft entlassen und kämpfte sich mit letzter Kraft auf die Beine. Als er die anderen erreichte, lag Yugi bereits sicher in Yamis Armen und erholte sich von der kraftraubenden Würgeattacke. „Yugi.“ Seto fiel neben ihm auf den Boden, kniete sich hin und nahm ihn sofort in die Arme, um ihn fest an sich zu drücken. „Ich liebe dich ... ich liebe dich ... so sehr ...“ „Weiß ich doch, Liebling“ lächelte er müde und streichelte seine entblößte Brust, welche sich ungesund warm anfühlte. „Ich liebe dich doch auch.“ „Sehr schön“ sprach Tato etwas sehr direkt. „Jetzt, wo wir das auch geklärt haben, könnten wir mal zum Ende kommen? Ich hab langsam keine Lust mehr.“ „Und Spatz sollte auch ruhiger hingelegt werden“ bat Balthasar, der ihn vorsichtig auf seinen Arm nahm und ihn warm hielt. „Wie geht’s ihm denn?“ fragte Tato, ging zu ihm und streichelte dem Bewusstlosen behutsam über die Wange. „Ich hab getan, was ich konnte“ erklärte Mokuba. „Er hatte zwei gebrochene Rippen und eine Nierenblutung. Obwohl sein Körper so wenig widerstandsfähig ist, konnte ich ihn wohl ganz gut zusammenflicken. Krankheiten kann ich zwar nicht heilen, aber gewaltsam zugefügte Wunden sehr wohl.“ „Danke, Onkel Moki“ dankte er für Phoenix, der es ja selbst nicht konnte. „Ohne dich wäre es böse ausgegangen für ihn.“ „Na ja, für irgendwas muss ich ja auch gut sein“ lächelte er. „Kann ich sonst noch für irgendwen irgendwas tun?“ „Vielleicht ne warme Dusche und ein Bett“ meinte Jonny, der auch ziemlich kaputt war. Er hatte ebenso hart gekämpft und war ebenso müde wie alle. „Ich glaube, nach Hause können wir noch nicht“ vermutete Yami als er Sethans beobachtenden Blick in den Himmel deutete. „Sagtest du nicht was davon, dass du mit Hilfe der Schatten die Engel befreien möchtest?“ „Das und noch viel mehr“ antwortete er mit Blick in den schwarzen Himmel. „Ich brauche nicht nur die Hilfe der Schatten, sondern auch Rahs. Jetzt kommt es darauf an, wie sicher wir unseres Planes sind.“ „Du sagtest, du brauchst eine Menge geballter Schatten“ meinte Tato und wies beleidigt präsentierend in den Himmel. „Hast du jetzt genug oder brauchst du noch irgendwas für dieses Ding, was du ausbrütest?“ „Nein, ich hab alles“ antwortete er abwesend. „Der Rest des Risikos liegt bei mir.“ „Hört sich ja nicht so begeistert an“ meinte Narla, die mehr Joey auf den Beinen hielt als der sie. „Was hast du vor?“ „Na ja“ lächelte er und wand seinen Blick vom Himmel auf den Boden. „Wenn das jetzt in die Hose geht, zerstöre ich die Erde.“ „Na, wenn’s weiter nichts ist“ meinte Tato ganz cool. „Mach dir mal keine Sorgen. Wenn die Erde zerstört ist, gibt es wenigstens niemanden mehr, der dir Vorwürfe machen kann.“ „Wo du Recht hast.“ Eine etwas merkwürdige Art jemanden aufzubauen, aber so war Onkel Tato nun mal. Wenigstens schien er nichts dagegen zu haben, ihm freie Hand zu gewähren. Die Erde aus den Händen zu geben, fiel ihm also leichter als seine Tochter hergeben zu müssen. „Aber ich wollte noch so viel machen in meinem Leben“ quengelte Joey. „Deshalb sollst du jeden Tag leben als sei er dein letzter“ meinte Seto. „Wenn ich das mache, erlebe ich den nächsten Tag erstrecht nicht“ widersprach er ernst. „Also wirklich. Ich finde das nicht lustig.“ „Jetzt lass ihn halt einfach machen, Joseph“ meinte Dakar mit seiner ruhigen Stimme. „WHAAAA!“ Und ließ den Hund zwei Meter aus Narlas Armen fort in Richtung Seto springen. Er riss die Arme hoch und sah ihn panisch an. „Schleich dich nicht so an, du Vampir.“ „Ich bin kein Vampir“ erwiderte er tonlos. „Und Leisetreter bin ich von Natur aus.“ „Gut für uns“ meinte Yugi und blickte ihn dankbar an. „Danke, Dakar. Du hast mich da rausgehauen.“ „Schon gut“ lächelte er und schien nicht mehr ganz so bedrohlich. Seine langen Eckzähne waren verschwunden und seine Augen waren wieder mehr schwarz als gelb. Er war auf den ersten Blick wieder ein ganz normaler Mensch. Und nicht so ein Untier, welches aus dem Unterholz auf lautlose Jagd ging. Irgendwie waren Giftmagier ne ziemlich angsteinflößende Sorte ... „Ihr könnt aber gern schon zurück gehen“ bat Sethan. „Nur wenn Onkel Tato vielleicht noch hier bleiben könnte ...“ „Ich glaube nicht, dass ich dir noch groß helfen kann. Ich hab kaum noch Kraft.“ „Du sollst auch nicht kämpfen. Ich wäre nur dankbar, wenn du mich vielleicht hinterher nach Hause tragen könntest. Vorausgesetzt, wir leben dann noch.“ „Jetzt male nicht den Teufel an die Wand“ grummelte er. „Du kannst hinterher schön selbst nach Hause gehen. Weil nämlich alles gut gehen wird. Und jetzt sieh zu, bevor wir uns hier die Beine in den Bauch stehen.“ „Danke.“ Sein Lächeln sagte, dass er ihn richtig verstanden hatte. Tato zeigte ihm, dass er ihm vertraute, was auch immer er tun würde. Von hier an lag das Schicksal der Erde nicht mehr in den Händen der Priester und ihrer Pharaonen. Von nun an waren Götter und höhere Wesen gefordert. Und obwohl Sethan eben dieses höhere Wesen war ... er war nun mal auch erst ein 21 Jahre alter Jugendlicher, der wohl auch noch ein bisschen was in seinem Leben vorhatte. Es war auch für ihn nicht schön, das Schicksal der Menschheit auf den Schultern zu tragen. „Setzt euch, bitte“ bat er und ging mit leerer Stimme einen Schritt nach dem anderen nach vorn auf die Klippe zu. „Es könnte etwas stürmisch werden.“ „Irgendwie will ich nach Hause“ heulte Joey, aber er wurde von Narla nur neben Seto auf seine vier Buchstaben gezogen. Einer nach dem anderen setzte sich hin. Entweder auf einen der umgeknickten Baumstämme, auf ein Stück noch vorhandenes Gras oder in die Arme eines anderen. Die Magier waren besiegt. Jetzt begann Sethans Kampf. **Haltet aus. Ich bin bald durch hier. T_T** Er trat in die Mitte des Feldes. Bereits in der Luft war seine Konzentration zu spüren. Die ganze Natur spannte sich an wie vor einem großen Sturm. Er schritt über die verkohlten Trümmer der Schlacht und ignorierte den ein oder anderen Schatten, der ihm zwischen den Beinen hindurchschlich oder an seinem Körper entlangfuhr. Die meisten Schatten befanden sich wie auf Lauer oben am Himmel. Aber der ein oder andere huschte noch hier unten herum auf der Suche nach etwas, woran er sich laben könnte. Schatten waren niemals satt. Erst in ausreichender Entfernung blieb Sethan stehen und stach durch seine schlanke Statur und das kräftig blonde Haar aus dem kahlrasierten Feld hervor. Er senkte den Kopf und legte die Handflächen aneinander wie in einem Gebet. Seine Stimme war fast ein Flüstern und dennoch so laut als würde die stillstehende Luft die Worte direkt bis ans Ohr tragen. Als würde er auf einer ganz anderen Ebene sprechen, zu der Menschen keinen Zugang hatten. „Der du im unendlichen Raum meine Dunkelheit füllst mit Licht. Der du in meiner schwächsten Stunde das Herz stärkst durch Mut. Der du im Aufkeimen des Hasses meinen Geist füllst mit Vertrauen. Der du in leerem Wort den Sinn meines Daseins hütest.“ Die Luft erwärmte und schwängerte sich mit einem süßen, trockenen Duft. Sethans Gestalt umleuchtete ein sanftes Strahlen. Nicht wie Gold, aber auch nicht wie kaltes Licht. Wie Weißgold, welches von reflektiertem Licht beschenkt wird. An seinem Rücken glühte ein helleres Licht. Zwei helle Kreise, welche sich über sein Kreuz ausbreiteten und am Nacken zusammenfanden, bevor seine erhobene Stimme und sein Leuchten die Dunkelheit der umgebenden Schatten zurückdrängte. „Ich preise dich, Hüter meiner Seele. Maske meines Daseins, steh mir bei in meinem Kampf und verhülle meinen Hochmut vor der Welten Angesicht.“ Aus dem Leuchten seines Rückens wuchsen zwei große Flügel wie die eines gigantischen, goldenen Adlers. So fein geschwungen am Rande, so kräftig im Ansatz. Es waren nicht die Flügel eines Engels. Wie die Flügel eines Greifs spreizten sie sich vom Körper ab und bebten an ihrer Wurzel. „Entsteige meiner Seele. Steige auf und mische die Dunkelheit mit deinem Licht, welches ich der Welt an mich nehmen will. Segne meinen Willen mit deiner Stimme. Hapargornis.“ **masus kleines Lexikon sagt: Hapargornis ist ein drei Meter großer Riesenadler, der vor langer Zeit auf Neuseeland gelebt hat und dann letztlich -wie sollte es anders sein?- vom Menschen ausgerottet wurde. Er jagte übrigens am liebsten Pflanzenfressertiere, die ganz niedlich Moas hießen. ^^ Und Menschen hat er im übrigen auch gern gefressen. T_T** Aus seinem Rücken spreizten sich im weißgoldenen Licht nun nicht mehr nur zwei große Schwingen. Auf beiden Schultern saß ein gigantischer Vogel. Wie ein gewaltiger Adler mit einem schillernden Gefieder aus goldenem Silber. Ein so gigantisches Wesen, dass Sethan gegen ihn klein wirkte. Seine Krallen und sein Schnabel wie aus Titan, seine Augen aus geschliffenen Diamanten. Ein wunderschönes Tier voller Anmut und Kraft. Der Seelenwächter, eines Gotteskönigs würdig. Mit einem markerschütternden Schrei stieg er auf und drückte sich an dem schwachen Menschenkörper ab. Sethan ging atemlos in die Knie, während der Monstervogel aufstieg und einen weiten Kreis in die Schattenmenge zeichnete. Ängstlich wichen sie vor dem heiligen Seelentier, schreckten vor seinen Krallen zurück, welche er immer wieder nach einem entkommenen Wesen ausstreckte. Dann schoss er hinab wie ein Pfeil und griff sich einen Schatten, der über den Boden kroch. Er zerriss ihn mit seinem titanenen Schnabel und stieß einen zweiten Schatten mit dem Flügel an, als dieser sich an ihm vorbeitrauen wollte. Erst dann schlug er wieder mit seinen unwirklichen Schwingen und sauste behände etwa einen Meter über dem Boden entlang. Vor ihm wich jeder Schatten aus und floh in den Himmel hinauf, verkroch sich in der großen Masse vor dem gefährlichen Untier. Dem weißgoldenen Hapargornis schien das Spiel mit den Schatten direkt Spaß zu machen und so gab er ein fröhliches Kreischen von sich, als er sich einen Schatten aussuchte und ihn über die Landschaft jagte. Seine Stimme hallte in der Ferne wieder, war voll und schlicht zugleich. Wie Stille, welche auf die Ohren drückte und gleichzeitig so befreiend wie ein Atemzug nach dem Tauchen. Er hätte den Schatten sicher auch erwischt, aber er fand es schöner, hinter ihm herzujagen und ihn in Panik fliehen zu sehen. Bevor er ihn freiwillig in den Himmel entkommen ließ, sich selbst dann abdrehte und ein frisches Opfer suchte. Der Anblick dieses edlen Wächters war atemberaubend. Einen Schatten nach dem anderen stieß er mit seinen fein gezeichneten Schwingen hinauf in den Himmel, von wo aus keiner von ihnen zurückkehrte, um nicht ein zweites Mal gejagt zu werden. Erst als der letzte Schatten hinauf floh und der leuchtende Vogel ihm folgte, erhob Sethan erneut seine Stimme. „Dem Herrn über Wärme und Liebe, über Gerechtigkeit und Vergebung opfere ich das Licht meiner Seele. Ich flehe dich an, allmächtiger Sonnenkönig, nimm mein demütiges Opfer an und schenke mir dein Vertrauen. Steige hinab auf die Erde und steh mir bei in so schwerer Stunde. Schenke meinem Wort die Essenz deiner heiligen Güte und sei die Hälfte mir. Rah zu Amun-Re!“ In der Mitte des dunklen Schattenkreises blieb der weißgoldene Hapargornis schweben und ließ sein Gefieder abfallen. Von einem sanften Wind wurden die glänzenden Federn hinfortgeweht und ein goldenes Licht strahlte wie eine Verbindungssäule zwischen Himmel und Erde durch die Schatten hindurch. Das Zentrum ein heller Punkt, welcher bis eben noch dieses wunderschöne Wesen war, bildete nun die Silhouette eines Menschen, welcher hinabstieg und am Boden verglühte. Zurück blieb ein Körper, welcher sich regte und unbeschadet auf die Füße kam. Das Licht verging und war ganz verglüht, als diese Gestalt herüber kam und die Lösung dieser kryptischen Worte gab. Das Unmögliche war geschehen. Der mächtige Sonnengott Rah war niedergefahren und tat seine Schritte auf menschlicher Erde wie einst, als er selbst noch einer von vielen war. Sein schulterlanges Haar schien einen eigenen Glanz auszustrahlen, seine Augen von einem so leuchtenden Violett, dass es einen Sonnenuntergang wiederspiegeln wollte. Seine Haut, leicht gebräunt, schimmerte unter leichter Kleidung. Eine schwarze Hose aus Seide schmiegte sich an seine kräftigen Beine und ein eng anliegendes Hemd mit Ärmeln bis zu den Ellenbogen betonte seinen geradlinigen Körper. Die schwarze Kleidung hob sein unvergleichliches Lächeln über alles. Er war hier. Der Gott der Sonne wandelte über menschliche Erde. Gekleidet in nächtliches Schwarz. „Du bist hier ...“ Yami stand auf und kam ihm die letzten Meter entgegen, bevor er seinen göttlichen Vater in den Arm schloss. „Ich freue mich auch, dich wohlauf zu sehen. Mein Atemu“ lächelte er und küsste liebevoll die Stirn seine ältesten Sohnes. „Rah! Was machst du denn hier?“ Yugi wäre vielleicht gern aufgestanden, aber er fiel zurück in Setos Arme, als er es versuchte. Die Schatten hatten einfach zu viel seiner Kraft gefressen, als dass er noch gerade stehen konnte. „Bemühe dich nicht. Ich komme zu dir“ beruhigte Rah, kniete sich zu ihm und legte seinen jüngeren Sohn in eine Umarmung. „Mein Aitemu. Es ist schön, dich gesund zu sehen, Yugi.“ Er hob seinen Blick und verschenkte ihn auch an Seto. „Eraseus. Vielen Dank für deine Hilfe.“ „Ich hätte nicht gedacht, dich sobald wieder zu sehen“ meinte der noch immer etwas überrascht. „Wie sagte einst ein weiser Mann? Mit Denken kommst du hier nicht weit.“ Womit er bei Tato wäre und dem seine Hand hinstreckte. „Ich grüße dich, Enaseus.“ Der sah ihn erst ein wenig prüfend an, aber besann sich dann glücklicherweise doch noch. Er nahm die gereichte Hand und küsste sie wortlos. „Und du“ lächelte er die kleine Sareth an, welche sich hinter dem Rücken ihres Vaters ein wenig zurück hielt. „Du bist wirklich ein schönes Mädchen, Sareth. Es ist mir eine Freude, dich sehen zu dürfen.“ „Ähm ... ich freue mich auch ... dich kennen zu lernen“ entbrachte sie schüchtern. Auch wenn seine Aura nicht gerade gigantischer war als die eines jeden anderen Menschen auch, so hatten seine Augen einen Glanz, der seinesgleichen suchte. Ihr Herz füllte sich mit einem merkwürdig warmen Gefühl, was sie noch nie gespürt hatte. Wie eine Verliebtheit, wie ein Schwarm, wie ein behütetes Zuhause. „Du bist wirklich ein Augenstern“ lächelte er sie zärtlich an, bevor er sich an Tato zurückwand. „Enaseus. Erlaube mir, dich zu bitten ...“ Aber dazu kam er nicht mehr. Ein Lichtblitz ging durch die Dunkelheit und blendete die Augen, ebenso wie ein schneidender Knall das Weitersprechen verhinderte. Der am Boden kniende Sethan wurde zurückgeschleudert und schlidderte über den schmutzigen Boden bis er direkt in Narlas Arme kam mit seinem schlaffen Körper erst dort zum Erliegen. „Sethan!“ Sofort war Sareth bei ihrem Cousin und streichelte ihm den Ruß aus dem Gesicht. „Bist du verletzt? ONKEL MOKI!“ „Nein, ich bin nicht verletzt“ antwortete er müde und hob seine Hand, schmierte ihr ungewollt etwas Erde auf die Wange. „Nur ein bisschen fertig. Wir müssen jetzt alle hoffen.“ Er schloss seine erschöpften Augen und atmete schwer. „Bitte, lass es geglückt sein. Bitte ... bitte. Lass Rah Recht behalten ... bitte. Lass es glücken ...“ „Zu wem betest du denn? Ich bin doch hier“ beruhigte Rah und zog ein schwarzes Band aus seiner Tasche, um ihm das schmutzige Haar zurückzubinden. Auch nickte er Mokuba behutsam zu, welcher sich neben Sethan gesetzt hatte. Aber anscheinend war bis auf seine Schwäche nichts Schlimmes. Sonst würde Rah ihn nicht freundlich behindern. „Wenn ich es nicht geschafft habe ...“ „Dann war es ein mutiger Versuch“ brach Rah seine Befürchtungen und band seinen Zopf fest. „Ich werde Recht behalten. Eleseus wird dich erkennen. Du wirst sehen. Er ist mächtig genug, alle Engel und alle Schatten zu führen. Vertrau ihm, so wie ich es tue. Unser Plan wird sich erfüllen.“ „Aber wenn ich nicht zu ihm durchdringe ... wenn ich zu schwach war ...“ „Zweifle nicht so viel an dir selbst“ beruhigte Rah und sah ihn zärtlich an, als er seine Augen öffnete. „Dein Licht wird alle Herzen erleuchten. Hab Vertrauen.“ „Wow! Seht euch das mal an!“ Jonny bemerkte es als Erster. Er zeigte auf den Himmel, beziehungsweise mehr auf die wabernde Menge der Schatten, welche den gesamten Himmel bedeckte und von dem Hapargornis dort oben spielerisch zusammengetrieben worden war. Durch das seelenfressende Schwarz der Masse glänzte ein kleiner Stern goldenen Lichts. Erst sah man nur einen einzigen, aber dann noch einen. Wie am Abendhimmel tauchte ein Licht nach dem nächsten auf bis die ganze Schattenmenge über und über gesprenkelt war von goldenen Sternen, die begannen um die Wette zu funkeln. „Es funktioniert.“ Sethans Stimme klang erleichtert und glücklich. „Ich habe es geschafft. Eleseus erkennt mich. Er vertraut mir.“ „Ich sagte es dir doch“ lächelte Rah stolz. „Er ist der Beste.“ „Wovon sprecht ihr?“ wollte Yami wissen. „Was passiert da oben?“ „Sieh es dir an“ zwinkerte Rah und sah selbst wieder hinauf. „Seht genau hin. So ein Schauspiel werdet ihr sicher nur dieses eine Mal sehen. Schließt es in eure Herzen wie einen Schatz.“ So blickten sie hinauf. Die zischenden und geifernden Laute der dunklen Meute erstarben und es wurde still. Totenstill. Nur die goldenen Sterne am Himmel spendeten noch ihr warmes Licht. Und sie vermehrten sich. Die funkelnden Punkte breiteten sich aus, wurden mehr und mehr bis der ganze Himmel glänzte. Gold auf schwarzem Hintergrund. Und dann geschah das Unglaubliche. Am Horizont verbanden sich die Sterne. Sie füllten so viel Schattenmasse aus, dass sie aneinander stießen und einen größeren Stern bildeten, der wieder an andere stieß. Wie aufgehendes Gold an der weiten Ferne des schwarzen Meeres brach die Dunkelheit auf. Bis eine lange Spalte sich hinlangzog und ein heiliger Riss die Masse teilte. Am mittlersten Punkt des goldenen Streifens erstrahlte ein Reißen und gab den Anfang eines kurzen, aber gigantischen Anblicks. Aus dem horizonttrennenden Riss floss eine seichte Masse Gold hervor. Wie aus einer Quelle strömte es heraus und tat den Riss an den Seiten noch weiter auf. Eine Welle aus Gold wollte über den Himmel wallen, doch je mächtiger dieser goldene Wasserfall wurde, desto mehr erkannte man, dass es nicht eine einzige Masse war, sondern viele kleine, individuelle Punkte. In ihrem Leuchten vereinten sich millionen von goldenen Flügeln. Die menschlichen Körper wurden getragen voneinander, vereinigten sich in der Masse und trieben sich gegenseitig hinaus. Die Engel kehrten auf die Erde zurück. **Wer jetzt denkt: Och, das ist ja aus dem letzten Einhorn geklaut ... ja, ich habe den Soundtrack im Auto gehört, als ich an die Rettung der Engel dachte. Heulgarantie bei jedem einzelnen Mal.** Es war eine Millionenschar. Rahs Armee. Die Hüter der Menschen flohen aus ihrer Gefangenschaft und trieben mit ihrer Schönheit den Betrachtern Tränen aus Glück und Überwältigung in die Augen. Dieser Moment war unbeschreiblich. Man kam sich so klein vor, wenn man diese Masse an Engeln erblickte, aber gleichzeitig so warm behütet. Hundertschaften über Hundertschaften stoben hervor und ein Jubeln hob sich an. Die Engel johlten und ein Singen stieg in den Himmel hinauf, welcher sich allmählich von schwarz in golden färbte. Die Schatten verschwanden im Angesicht dieser goldenen Überpracht. Nur in der Mitte der Engel war mit genauem Hinsehen ein einziger, dunkler Punkt zu erkennen. Man erkannte ihn auch nur deshalb, weil sich die Masse an ihm zu orientieren schien. Wie ein Schwarm Fische sich an einer einzigen Bewegung ausrichtete, so bewegte sich die singende Engelsschar um diesen einen Punkt herum, der sie leitete. Mit einem Grollen stoben die Engel heran. Pure Kraft. Ganz dicht an der kampfgeschwächten Gruppe flogen sie vorbei. Hier und da erkannte man ein lächelndes Gesicht, dann wieder spürte man den warmen Hauch der goldenen Flügel vorbeiziehen. Nur Rah streckte seine Arme weit aus und schloss seine Augen. Die Masse umgab sie so sehr, dass sie nicht weiter als bis ein paar Meter sehen konnten. Der Himmel verschwand, stattdessen waren um sie herum millionen von goldenen Federn und ein zartes Singen, ein Jubeln und Frohlocken. Engel waren wundervolle Geschöpfe reiner Seelen. So fühlte es sich also an, wenn man inmitten von goldenen Traumwesen saß. Inmitten von reinen, herzensguten Seelen. Sie bildeten die Kehrseite der Schatten. Engel waren das Gegengewicht zu allem Dunkeln. Sie waren Rahs Licht. Die Minuten waren kurz, aber so intensiv, dass sie sich ins Herz einbrannten. Einen solchen Anblick vergaß man nie. Die Engel kehrten in ihre Wirkungsgebiete zurück und wurden weniger. Mit ihrem Vorbeiziehen erkannte man den Himmel, welcher endlich wieder sein weiches Blau zeigte und von der untergehenden Sonne orange gefärbt wurde. Auf der Waldseite zeigte sich schon der erste Nachthimmel mit seinen echten Sternen, zu denen einige Engel hinaufzusteigen schienen. Andere verschwanden nach der anderen Richtung übers Meer hinfort und wieder andere setzten sich in kleinen Gruppen auf der verkohlten Wiese nieder, um schüchtern herüberzusehen. Der größte Teil aber flog in alle Windesrichtungen davon bis nur noch einige wenige vom Himmel tröpfelten wie die Reste einer versiegenden Quelle. Das Singen wurde leiser und machte einem altbekannten Geräusch Platz. Das ledrige Schlagen von Drachenflügeln war unverkennbar. Ein paar letzte Engel umflogen ihren Patronen noch, bevor auch sie sich absetzen und zu den Menschen zurückkehrten. Er war also der dunkle Punkt im Gold gewesen, um den sich alle Engel scharten. Seine Schwingen besaßen kein Leuchten und trübten die strahlende Menge. Trotzdem folgten sie ihm, wohin er sie auch führte. Die Engel waren ein Geschenk an den heiligsten aller Priester. Sie waren seine Armee des Lichts. Als Sethos nach einer mehr oder weniger schönen Drachenlandung, einige Meter vor ihnen seine nackten Füße auf den Boden setzte, sah er verändert aus. Seine Beinkleider waren zerrissen und hingen abgenutzt an ihm herab. Sein blanker Oberkörper war von schwarzen Striemen gezeichnet. Wie eine kunstvolle Tätowierung fuhren dunkle Striche von seinen Fingerspitzen aus über seine kräftigen Arme, den Rücken und die Brust hinab. Selbst in seinem Gesicht und an den Waden waren sie zu sehen und ließen ihn wie einen bitterschönen Traum erscheinen, von welchem man nicht ahnen mochte, ob er gut oder böse war. Aber seine Augen waren ungetrübt. Sie waren so tiefblau wie der Ozean seit Anbeginn der Zeit. Er schien viel erlebt zu haben und blickte nun herüber, um die Situation zu kombinieren. Als letzter Engel stand der rothaarige Yrian neben ihm und lächelte Rah verliebt an. Er wartete nur darauf, dass sein Patron sich rührte, um selbst nähertreten zu dürfen. Den höchsten aller Götter vor ihm zu grüßen, wäre nicht richtig. Eleseus hatte das erste Wort. „Hallo Darling“ lächelte sein Sonnengott, kam auf die Beine und tat nur wenige Schritte, um bei ihm zu sein und an ihm hinaufzublicken. „Die Schatten haben dich gebissen. Das hatte ich befürchtet. Hast du starke Schmerzen?“ „Was tust du hier?“ fragte Sethos orientierungslos zurück. Seine eigene Schmerzen vergaß er dabei. „Warum bist du auf der Erde ... Rah? Bist du ... Rah?“ „Nein, ich bin Amun-Re“ antwortete er mit ruhiger Stimme. „Nein, du bist des Wahnsinns“ flüsterte Sethos, der sich vor Schock gar nicht rühren konnte. Er konnte ihn nur mit seinen tiefblauen Augen ansehen und versuchen, es zu verstehen. „Du kannst doch nicht als Mensch auf die Erde fahren ... das ist ... nicht möglich.“ „Doch, es ist möglich“ lächelte er ihn gütig an. „Wenn auf der Erde ein Wesen existiert, welches meine eigene Macht übersteigt, dann ist es möglich. Und du weißt das. Sethan opferte seinen Seelenwächter, um meine Seele hier unten gefangen zu halten. Ich bin nun ein Mensch. Nicht Rah. Ich bin Amun-Re. So wie ich es war, bevor meine Seele die Göttlichkeit erlangte.“ „Aber es ist gefährlich hier für dich“ meinte er geschockt. „Als Mensch drohen dir so viele Gefahren. Du warst nie ein Magier oder ... wenn dir etwas geschieht. Niemand könnte dich ersetzen.“ „Dafür habe ich ja dich und mein Vertrauen zu dir“ sprach Amun-Re und legte seine menschlichen Hände vertrauensvoll an die schwarz überzeichneten Arme seines Liebsten. „Du bist nun mächtiger als ich. Ich gebe mich ganz in deine Obhut. Beschütze mich, mein Hohepriester. So wie du die Engel vor den Schatten schützt, so schütze mich vor der Welt. Ich vertraue dir mein Leben an. Ich bin schwach, aber du bist stark.“ „Rah ... nein ... Amun-Re. Warum? Warum tust du das?“ „Das, mein Darling“ tadelte er und streichelte verliebt seine seidene Haut. „Das werde ich dir sagen, wenn deine Zeit gekommen ist.“ „Du bist ... verrückt.“ „Ist das was Neues?“ lachte er und strahlte zu ihm herauf. „Ich habe dich vermisst, mein Eleseus. So unglaublich vermisst.“ Sethos sollte ihn doch gut genug kennen, dass ihn eigentlich nichts mehr schockieren könnte. Aber Rah plötzlich als Menschen zu sehen, als Amun-Re ... das war etwas, was er nicht für möglich gehalten hatte. Dass ein leibhaftiger Gott wie ein normaler Mensch und dann auch noch scheinbar unbesorgt auf der Erde wandelte ... ja, das konnte wirklich nur ein Spinner wie Rah zustandebringen. Was konnte er da noch mehr tun als einfach zu seufzen und es so geduldig hinzunehmen, wie er all seine Querelen hinnahm? Sein Widerspruch zählte ohnehin nicht. Hätte Rah seine Meinung gewollt, hätte er ihn darum gebeten. Und nun konnte er nicht mehr erfüllen, als die Pflicht, den menschlichen Amun-Re zu schützen. „Ich wusste, du würdest es so aufnehmen“ lächelte er und fuhr mit seiner Hand verliebt über die breite Brust bis an sein Schlüsselbein hinauf. „Und weißt du, was ich mir noch ausgemalt habe, wenn wir uns wieder begegnen?“ „Ich kann es mir bildlich vorstellen“ seufzte er, lächelte zurück und senkte sein Haupt herab. Was sein Liebster sich sonst noch so vorgestellt hatte, war nicht eben schwer zu erraten. Er beendete die meisten Ungereimtheiten zwischen ihnen auf diese Weise. So nahm Amun-Re sein gebeugtes Haupt an, streckte sich hinauf und empfing die warmen Lippen seines Priesters. Auch wenn einer von ihnen ein wenig irritiert war von der neuen Situation, so waren sie noch immer eins. Egal, in welcher Welt sie sich trafen und egal, in welcher Form sie sich begegneten - sie liebten einander und das Vertrauen war größer als alles andere. Rah hatte den Schritt gewagt, sich in irdirsche Gefangenschaft zu begeben und zu Amun-Re zu werden. Doch nur unter der Bedingung, seinen Priester bei sich zu haben. Für diesen wäre es nur leicht, ihn nun vom Thron zu stürzen, wenn er das denn wollte. Aber die Absicht hegte er nicht mal im Gedanken. Er würde ihn nicht stürzen, sondern stützen. Was auch immer der Wille seines Herrn war. Er würde ihn erfüllen. Und ihn dafür lieben, dass er bei ihm sein durfte. Doch mit diesem Schritt war der Plan nur halb erfüllt. Die zweite Hälfte stand noch aus. Und diese dunkle Hälfte der Göttermächte auf dieselbe Ebene zu bringen, würde nicht so leicht sein, wie Rahs Zustimmung zu gewinnen. Den dunklen Seth ebenfalls auf die Erde zu zwingen, war so gut wie unmöglich ... Chapter 30 Als Yugi am nächsten Morgen leise in das Gemeinschaftshäuschen schlich, waren Amun-Re und Sethos noch immer schwer am schlummern. Sie sahen so süß aus, wie sie dalagen. Amun-Re langgestreckt auf dem Dreiersofa und Sethos mehr oder weniger über ihm drüber. Um ihn aber nicht ganz platt zu quetschen, war er leicht hinter ihn gerutscht und hatte nur seinen Arm und sein Bein über ihn gelegt und hielt ihn mit dem anderen Arm unter seinem Körper fest an sich gedrückt. Während Sethos recht emotionslos aussah, trug Amun-Re ein verliebtes Lächeln auf den Lippen, hatte ganz rote Wangen im Schlaf. Wahrscheinlich weil ihm mit einer warmen Wolldecke und einem Priester drüber auch ziemlich warm war. Die beiden machten einfach einen sehr zufriedenen Eindruck. Gestern waren sie recht schnell mitten im Gewusel eingeschlafen und hatten sich seitdem kaum bewegt. Das Gefühl, wieder einen menschlichen Körper zu haben, musste für Amun-Re sicher sehr ungewohnt sein. Und die schwarzen Zeichnungen, welche sich über den priesterlichen Körper zogen, zeigten, dass auch der eine harte Zeit hinter sich hatte. Sollten sie ihren ruhigen Schlaf genießen, solang er noch dauerte. Yugi griff sich also schnell die beiden dicken Stiefelchen und verschwand auf Zehenspitzen zurück hinaus. Damit die beiden noch ein wenig ruhen konnten, hatte man das Frühstück nach draußen verlegt. Die Morgensonne war angenehm warm und für die Kinder war es ein Fest. Frühstücken in dicker Jacke auf dem Grillplatz hatten sie auch noch nie gehabt. So was gab es wohl nur, wenn man mitten in der Pampa gestrandet war. „Und?“ fragte Jonny neugierig als Yugi zurückkam. „Gefunden“ meinte der und zeigte die Stiefelchen hoch. „Komm, Tatolino. Warme Füße machen.“ „Ja! Papa maat wamme Fösse!“ freute er sich, schmiss sich schon auf den Rücken und streckte seine besockten Füßchen nach oben. Ganz schnell! Dass Yugi eigentlich wollte, dass der Kleine zu ihm kam, verstand der so nicht. So musste Papa eben zu ihm gehen. „Nein, das meine ich doch nicht“ intervenierte Jonny beleidigt. „Ich meine, ob Rah und Sethos noch schlafen.“ „Er heißt nicht mehr Rah. Sein Name ist jetzt Amun-Re“ berichtigte Yugi und ging also zu dem kleinen Drachen, der sich einfach hingeschmissen hatte. „Und ja, sie schlafen noch.“ „Ist Ulti wieder da?“ fragte Nini mit ganz groß aufgeregten Augen. „Ja, aber lass ihn schlafen“ bat Seto und zog sie gleich wieder neben sich auf den zur Sitzbank umgewandelten Baumstamm. „Iss lieber dein Brot, Mäuschen.“ „Warum weiß ich denn nicht, dass Ulti wieder da ist?“ wollte sie wissen und strafte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Ihr habt doch schon wieder Geheimnisse vor mir. Mann, Papa.“ „Das ist nur, weil du gestern schon geschlafen hast, als wir nach Hause gekommen sind“ erwiderte er und tippte ihr auf das freche Näschen. „Hast du wenigstens was Schönes geträumt?“ „Nein“ sagte sie und biss ein Stück von ihrem Honigbrot ab. „Ward ihr no luange wueg?“ „Nein, nicht mehr lange“ versprach Papa und strich ihr blondes Haar zurück, bevor es im Honig landete. „Und sprich nicht mit vollem Mund.“ „Hast du dich denn gut erholt, Drache?“ Joey berührte freundschaftlich seine Schulter, als er an ihm vorbeiging und sich dann neben Narla auf die Couch setzte, die er und Tristan heute Morgen rausgestellt hatten. „Hm“ meinte der nur kurz. „Seto hat sich die ganze Nacht herumgewälzt“ antwortete Yugi und ließ den frisch gestiefelten Tato los, damit der sich jemanden suchte, der ihn fütterte. „Ein Wunder, dass er die Kinder nicht geweckt hat. Aber Tato hat eh einen bombigen Schlaf und Nini war auf meiner Seite sicher vor seinen Wälzattacken.“ „Aber dich hab ich geweckt“ stellte er entschuldigend fest und sah ihn mit Bedauern an, als Yugi sich zu ihm und Nini gesellte. „Ist nicht schlimm“ lächelte er sanft und strich verliebt über seine Wange. „Wir machen nachher einen Mittagsschlaf, okay?“ „Bei euch schien es ja ganz ruhig gewesen zu sein“ meinte Balthasar, der sich gerade am Müsli bediente. „Hat Nando alles gut hinbekommen?“ „Sehr gut“ nickte Nika. „Wir waren ja ganz erstaunt, als wir rauskamen und den halben Wald gerodet gesehen haben. Zu uns ist nicht mal Lärm durchgedrungen. Die Babys haben geschlafen wie Murmeltierchen.“ „Das ist gut zu hören. Gestern Abend war ja nicht mehr viel mit unterhalten“ meinte Sharesa. „Aber dann hat Nando seine Sache ja gut gemacht. War ja nicht anders zu erwarten, er ist Profi.“ Alle waren gestern relativ schnell in ihre Betten verschwunden und viel zu erschöpft, um noch große Neuigkeiten auszutauschen. Die Daheimgebliebenen hatten zwar Amun-Re und Sethos noch kurz begrüßt, aber dann waren die Kämpfer so müde, dass sie schnell ins Bett gebracht wurden. Tato schlief ja noch immer und Phoenix hatte sich auch nur kurz einen Becher Milch geholt, um sich dann umgehend wieder ins Bett zu verkrümeln. Und Yami war heute Morgen auch noch nicht aufgetaucht. Genauso wie Sethan, der noch im Bett lag. Dakar hatte man noch nicht gesehen und Sareth ... die kam gerade heraus und schlurfte auf die anderen zu. „Morgen, Sari“ lächelte Sharesa und machte neben sich Platz für die Kleine. „Morn“ murmelte sie noch ganz verschlafen, schloss ihre Wolldecke enger um ihre Schultern und lehnte sich an den Baumstamm zurück. „Und? Ausgeschlafen?“ „Geht so.“ Sie war eben auch ein Drache und am Morgen nicht gerade gesprächig. Lieber erst nach dem ersten Kakao um eine Audienz bitten. „Papa schnarcht so laut. Warum sitzen wir draußen?“ „Weil Amun-Re und Sethos noch im Gemeinschaftshaus schlafen. Möchtest du auch einen Kakao, Schatz?“ fragte Seto und stand schon auf, um ihr einen Becher zu holen. „Bist du gar nicht müde, Oma .... Seto?“ fragte sie müde zurück. „Niemals zu müde, um dir einen Kakao zu bringen“ lächelte er liebevoll zurück. Er war ja schon ein Weilchen aus den Federn raus, beziehungsweise nicht wirklich drin gewesen. „Und du? Geht’s dir gut oder bist du noch sehr erschöpft?“ „Ich hab ja kaum was gemacht. Ich hab gar kein Recht, erschöpft zu sein.“ „Das stimmt doch nicht“ tröstete Sharesa sanft. „Du hast getan, was du konntest. Sieh mal, ich hab doch auch nichts gemacht. Aber nur, weil das nicht meine Kampfart war. Ich konnte kaum was tun. Aber in einem anderen Kampf wären wir beide bestimmt sehr nützlich gewesen.“ „Ich nicht“ murmelte sie und blickte traurig herunter. „Ich kann gar nicht kämpfen.“ „Dann musst du es lernen“ sprach Seto und hielt ihr lächelnd einen dampfenden Becher hin. Sie hob ihren Blick und er entgegnete dem mit einem sanften Blau. „Ich finde es auch nicht schön, wenn hübsche Mädchen wie du kämpfen müssen. Aber du könntest es, wenn du wirklich willst.“ „Papa hat ja schon mit mir geübt. Danke“ meinte sie und nahm den Becher an, pustete ihn ein bisschen kalt. „Aber wenn es so weit ist, ist alles weg. Wenn ich euch sehe ... dich und Papa. Wenn ihr über den Himmel fliegt und Wirbelstürme macht und Energiewellen aufbaut ... dann hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht nützlich bin. Daran musste ich die ganze Nacht denken ...“ „Du kannst ja auch nicht erwarten, dass du so gut bist wie die großen Drachen“ meinte Jonny. „Guck doch mal. Dein Papa kann ja auch ein bisschen mehr als Seto. Aber nur, weil er hier älter ist. Die Magie eines Magiers verändert sich, je älter er wird. Je älter, desto stärker und desto weiser. Und du bist noch ganz jung.“ „Ich weiß“ seufzte sie und sah Seto vorsichtig an, als der sich ihr gegenüber auf den Boden setzte. Ganz ohne Mantel oder Decke machte ihm das nicht viel. Er genoss es viel mehr, ein bisschen Kälte tanken zu können, bevor ihm die Frühlingssonne zu viel wurde. „Verändert sich meine Magie auch?“ „Ich denke schon“ antwortete er mit sanfter Stimme. So wie sie aussah, hatte sie wirklich die ganze Nacht über ihren Gedanken gebrütet. Sie schien nicht als hätte sie viel Schlaf bekommen. „Als Seth damals angefangen hat, mich zu unterrichten, hatte ich nicht das Gefühl, irgendwas besonders gut zu können. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass mir manche Sachen besser liegen als andere.“ „Du meinst, dass du besser im Verteidigen bist als im Angreifen?“ „Das war nicht immer so. Das kam erst mit der Zeit. Seth hat mich damals gelehrt, dass sich die Magie verändert. Je nach Alter, nach Talent und nach Gebrauch. Damals konnte ich genauso gut angreifen wie verteidigen. Damals hatte ich einen Hagelsturm wie Rasierklingen. Den hab ich immer noch, aber mittlerweile sind meine Eiswände stärker als ein Hagelsturm. Verstehst du? Es ist wie als wenn du zur Schule gehst. Am Anfang kannst du nichts, aber mit der Zeit merkst du, was dir liegt und was nicht. Ob du besser Englisch oder Mathe oder Sport kannst.“ „Dann bin ich in der ersten Klasse“ antwortete sie traurig. „Nein, du bist mindestens schon mit der Grundschule durch“ lächelte er. „Ich glaube, du weißt schon, wobei du dich gut fühlst. Dein Papa hat dir doch vieles beigebracht.“ „Aber ich hab noch nie richtig gekämpft. Ich hab mich gestern ziemlich nutzlos gefühlt. Ich konnte ja gar nichts ...“ „Du könntest aber, wenn du dich nur trauen würdest“ baute Balthasar sie auf. „Schau mal, du musst dich manchmal nur trauen und es einfach versuchen. Als ich gestern ohne Medium dastand hab ich auch gedacht ‚Scheiße, Balti. Entweder nimmst du Tristan oder du gibst ganz auf’.“ „MICH?! Du spinnst wohl!!!“ „Aber weißt du“ schmunzelte er und ging über Tristans Einwand einfach mal locker hinweg. „Dann hab ich gespürt, dass Narla in der Nähe ist und hab es einfach versucht. Ohne Stab und ich hatte noch nie einen Mädchenkörper. Geschweige denn, den einer Hexe. Ich war echt überrascht, dass das so gut geklappt hat und Narla nur ganz wenig Abwehr gegen mich aufbrachte.“ „Sie ist ja auch deine Halbschwester“ meinte Sari. „Ja schon. Aber es hätte auch schief gehen können. Sie hätte mich vielleicht stärker abwehren können und dann hätten die Schatten das spitz gekriegt, ich hätte keinen Stab zum Flüchten gehabt und Päng, das wär’s dann. Die hätten meine Seele verschlungen. Aber weißt du, manchmal musst du deinen Kopf einfach ausschalten. Mach einfach das, was dir einfällt. Ich glaube, du denkst zu viel nach.“ „Das glaube ich auch“ meinte Sharesa. „Sieh doch mal Seto an. Den bewunderst du doch, oder?“ „Ja“ antwortete sie und wurde ein bisschen rot auf den Wangen. Den bewunderte sie wirklich. „Ich wäre auch gern so gut ...“ „Aber manchmal ist er total unüberlegt“ erklärte sie. „Gestern hat er sich von deinem Papa in den Bann des Illusionisten führen lassen, um nach Yugi zu suchen. Dabei hätte so viel schief gehen können. Die Schatten hätten seinen gelösten Geist fressen können. Oder wenn Yugi ihm nicht zurück gefolgt wäre? Dann wären beide draufgegangen. Aber ich glaube, das hat er alles gar nicht bedacht. Er wusste nur, er wollte Yugi retten. Alles andere war egal. So musst du das auch sehen. Du musst nur wissen, was dein Ziel ist und loslaufen.“ „Ich weiß, das ist schwer“ erklärte Seto und nahm sanft ihre Hand vom Becher, um sie festzuhalten. „Ich konnte das am Anfang auch nicht. Und ich bin bestimmt nicht stolz darauf, dass ich manchmal etwas kopflos handle. Aber Seth hat mir mal einen guten Rat gegeben. Er sagte, wenn dein Kopf nicht weiß, was du machen sollst, dann hör auf deinen Instinkt. Bis du mit Nachdenken fertig bist, ist alles schon vorbei. Deswegen lauf einfach los. Lieber etwas falsches tun als gar nichts.“ „Und wenn Seto mal in die falsche Richtung läuft, stellen wir ihm einen Beinhaken, damit er wieder zur Vernunft kommt“ schmunzelte Joey. „Dafür sind Freunde ja da.“ „Danke, Köter“ grummelte er dunkel. „Musstest du mir jetzt die Ansprache versauen?“ „Oooooch“ grinste er fröhlich. „Jetzt denkst du, du bist erwachsen und kannst auch mal den Weisen spielen und dann vermasselt dir einer wie ich die Tour, was?“ „Ja, genau!“ schimpfte er. „Endlich kann ich auch mal jemandem was beibringen. Bei dir stößt man ja auf Granit.“ „Eher auf Gold. Ich weiß, ich bin ein Goldjunge.“ „Eher ein Idiot bei deinem geringen IQ. In deinem blonden Hohlkopf ist ja kaum Fassungsvermögen für mehr als Fraß und Schlaf.“ „Oh, das war jetzt gemein. Ich bin kein Idiot.“ „Doch bist du“ beschloss Seto böse. „Idiot.“ „Selber Idiot, Blödmann!“ „Döödmann“ grinste Tato und zuppte seinen Onkel Noah am Ärmel. „Du bis ein Döödmann.“ „Es ist gemein, wenn du das zu mir sagst“ antwortete Noah und blickte ihn ganz sanft an. „Das tut mir weh, wenn du mich beleidigst.“ „Warum?“ „Weil ich dir ja auch nichts gemeines sage“ erklärte er. „Ich bin doch immer ganz lieb zu dir, oder?“ Tato sah ihn an und schien sich seine Antwort genau zu überlegen. Er hatte nicht über das nachgedacht, was er sagte. Er hatte es einfach nachgeplappert. Aber er musste eben auch lernen, dass das, was er sagte, Auswirkungen auf andere Menschen hatte. „War is gemein?“ fragte er schuldbewusst. „Ja, warst du“ meinte Noah. „Aber wenn du dich entschuldigst, bin ich nicht böse.“ „Okee“ nickte er und schubberte kräftig seinen Arm. „Entsuldigung. Besser? Tut no weh? Onke Noah?“ „Ja, besser. Tut nicht mehr weh“ lächelte er. „Aber du darfst nicht immer alles nachplappern, was du hörst.“ „Mama saat, is muss lieb sein su Onke Noah“ erklärte er sich noch mal selbst. „Wenn is erben will, muss is nett sein.“ „Ja, das würde sich empfehlen“ lachte Joey. „Wenn du mal was erben willst, solltest du wirklich nett sein.“ „DAS hat Mama gesagt?“ fragte Noah verwundert und sah Seto an. Wo kam das denn jetzt her? Wurde Noah hier etwa schon todgeglaubt? „Aus dem Zusammenhang gerissen. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen“ schüttelte Seto sein greises Haupt. „Ich erkläre es dir später, Noah.“ „Okay“ nickte er fragend. „Aber wo wir gerade dabei sind, fällt mir ein, dass ich dich noch was fragen wollte, Brüderchen.“ „Mich?“ guckte er erschrocken von seinem Nutellabrot auf. „Was hab ich schon wieder gemacht? Joey war’s.“ „WAR ICH NICHT!!!“ „Nein, Joey war’s dieses Mal wohl wirklich nicht“ lächelte Noah. „Ich wollte nur fragen, ob dein Mann jetzt auch in die Kaiba Corp. einsteigen möchte.“ „Ich?“ schaute jetzt Yugi verdutzt auf. „Hatte ich eigentlich nicht vor. Warum?“ „Weil ich neulich deine Bewerbung gefunden habe“ erklärte er. „Ich wollte mir den Finanzierungsplan von Setos Schreibtisch holen und dabei hab ich gesehen, dass du eine Bewerbung für unsere IT-Abteilung eingereicht hast. Zwar adressiert an Seto Kaiba, aber mit neuerem Datum. Zugegeben, ich hab’s vergessen, aber jetzt fällt es mir wieder ein. Ich wollte fragen, was es damit auf sich hat.“ „Das ...“ Tja, wie sollte Seto das jetzt erklären, wie Yugis Bewerbung auf seinen Schreibtisch kam? Sollte er denn sagen, dass Yugi die nur geschrieben hatte, um sich in einem kleinen Rollenspiel ordentlich durchpiepen zu lassen? Es waren Minderjährige anwesend. „Das war nur ein Witz“ schmunzelte Yugi und beobachtete mit Genugtuung, wie der blaue Blick in Setos hochrotem Gesicht warnte: ‚Sag jetzt nichts falsches!’. „Ich wollte mal wissen, wie so ein Bewerbungsgespräch bei Seto aussieht. Deshalb dachte ich mir, ich bewerbe mich mal.“ „Also, manchmal finde selbst ich dich merkwürdig“ meinte Mokuba skeptisch. „Hast du den Job wenigstens bekommen?“ „Nicht den, wofür ich mich beworben hatte“ grinste er. „Aber das Gespräch war ... nun ja ... sehr anregend.“ „Yugi ...“ knurrte Seto warnend durch seine knirschenden Zähne. „Anregend informativ“ nickte Yugi. „Äußerst aufschlussreich. So in etwa hatte ich mir das immer vorgestellt.“ „Ah, ich verstehe“ schmunzelte Noah vielsagend. „War wohl ein ganz privates Gespräch.“ „Oh, toll! Yugi!“ meckerte Seto laut. „Musst du immer so indiskret sein?“ „Jaaaaaaaaa!“ jubelte Tato und klopfte wild auf den Boden. „Lauta Mama! Kuuuuhl!“ „Also, jetzt hat mal nicht Yugi euch verraten“ meinte Noah. „Viel eher dein mürrisches Gehabe ist vielsagend, Brüderchen.“ „Ach, scheiße!“ schockte Joey und fiel war rückwärts von der Couch. „Ihr hattet Büros...!“ „KÖTER!“ „BÜRO..gespräche ... wollte ich sagen.“ Ja, auch er schaltete irgendwann mal. „SCHNAUZE, KÖTER!“ „Doch wohl hoffentlich nicht auf der Empfangstheke!“ „NEIN! AUF DER COUCH!“ „Aha.“ „OH MANN!“ Seto ärgerte sich wie ein kleines Kind und raufte sich die Haare. Genau wie Tato, wenn der sich selbst verraten hatte. „WARUM MÜSSEN IMMER ALLE NUR M E I N E PEINLICHKEITEN WISSEN?! WARUM NICHT MAL JEMAND ANDERES???!!!“ „Weil dir das so peinlich ist, dass sich jeder dafür interessiert“ meinte Mokuba ganz abgeklärt. „Noah und ich haben ständig ...“ auf die Kinder guck „private Gespräche im Büro. Am liebsten auf dem Schreibtisch.“ „Was?!“ Da guckte Seto aber dumm. Jetzt blieb ihm die Luft weg. „Natürlich, was denkst du denn? Was meinst du, warum neulich der Kopierer kaputt gegangen ist? Wenn da abends keiner mehr ist, hast du die Bude für dich. Da kannst du lauter ‚reden’ als Zuhause im Schlafzimmer.“ „Ihr seid alle so versaut“ meinte er geschockt. „Wo bin ich nur gelandet?“ „Ich verstehe das nicht“ fragte Nini und sah rätselnd zwischen Mokuba und Seto hin und her. „Hat Onkel Moki den Kopierer kaputt gemacht?“ „Ja, hat er“ grinste Noah in froher Erinnerung. „Er hat ihn ganz schön zum Wackeln gebracht mit seinen ... seiner ‚Wortwahl’.“ „NOAH!“ schimpfte Seto. Nicht vor den Kindern! Nur gut, dass Nini noch nicht so weit dachte. Trotzdem musste das ja nicht sein! Es waren nicht nur Worte, sondern bitte auch Inhalte zu vermeiden. „Das dürfen wir aber Sara nicht sagen“ stellte sie bangend fest. „Sara ist immer sauer, wenn was im Büro kaputt geht. Wir dürfen Onkel Moki lieber nicht verpetzen. Also verplapper dich nicht, Mutti.“ „Muss ich mich von dir maßregeln lassen?“ schaute er sie mürrisch an. „Und nenn mich nicht Mutti.“ „Okay ... Mutti.“ „NINI!“ „Hi hi“ kicherte sie und entkam ihm, indem sie sich auf die andere Seite zu Yugi rettete. Papa morgens mal ein bisschen zu ärgern, brachte wenigstens Schwung in seine müden Knochen. „Ihr seid mir zu blöd“ beschloss der ziemlich beleidigt, steckte sich den ganzen Rest seines Brötchens zwischen die Zähne und erhob sich, stieg über den Baumstamm und machte sich von dannen. „Wo gehst du hin?“ rief Yugi ihm noch nach. „Spaschiern“ war seine schlichte Antwort mit vollem Mund. Und „Rede nicht mit vollem Mund, Papa. Warte!“ war das, was Nini dazu meinte. Sie nahm schnell noch einen Schluck von ihrem Kakao und hopste ihm dann nach. Papa war nie zu eingeschnappt, als dass sie sich nicht an seine Fersen heften konnte. Nach einigen Metern hatte sie ihn mit ihren kurzen Beinen eingeholt und schnappte sich seine kalte Hand. „Wo gehen wir hin?“ wollte sie neugierig wissen. „Spazieren“ antwortete er noch leicht mürrisch. „Beim spazieren geht man nirgends hin. Man läuft nur so rum.“ „Warum?“ „Weil das beruhigend ist für’s Gemüt. Und das brauche ich jetzt gerade.“ „Warum?“ „Weil ihr mich alle aufregt. Immer das Gleiche beim Frühstück. Ich muss mich abregen.“ „Warum?“ „Ilani“ knurrte er zu ihr herunter. „Hör auf, ständig warum zu fragen.“ „Okay.“ Das ließ sich doch machen. So tappelte sie neben ihm her, hielt sich an seiner Hand fest und ängstlich vor seinem mürrischen Gemüt war sie auch nicht im Geringsten. Dafür kannte sie ihn kaum anders. Und solange er noch ein wenig gebeugt ging, um ihre Hand zu halten, war doch alles prima. „Papa, weißt du, was Joey mir erzählt hat?“ „Was denn jetzt schon wieder? Der redet doch nur Quatsch.“ „Ich weiß nicht. Das klang eigentlich ganz logisch“ meinte sie und ließ sich von ihm in die Baumgruppen ziehen. „Joey sagt, weiße Kühe geben Milch. Braune Kühe geben Kakao und schwarze Kühe geben Kaffee. Aber was ist denn mit einer Kuh, die schwarz UND weiß ist? Gibt die dann Milch und Kaffee? Ich hab mal gesehen, wie Onkel Noah Milch in seinen Kaffee gemacht hat und dann sieht das erst ein bisschen aus wie Papas Marmorkuchen und dann wird der Kaffee braun. Aber dann müssten doch eigentlich braune Kühe Kaffee und Milch geben. Aber die geben ja Kakao. Und Joey sagt, lila Kühe geben Schokolade. Aber ich hab noch nie eine lila Kuh gesehen. Gibt’s die vielleicht nur in Indien? Onkel Noah sagt, in Indien laufen überall Kühe rum. Aber ob die lila sind ... ich weiß ja nicht. Joey weiß doch nicht mehr als Onkel Noah. Oder etwa doch? Nein, oder?“ „Das ist Unsinn“ erklärte er schlicht. „Alle Kühe geben Milch, lila Kühe gibt’s nicht und Kaffee wird aus Kaffeebohnen gemacht. Und Onkel Noah weiß viel mehr als Joey. Hör lieber auf deinen Onkel als auf den Köter.“ „Hab ich mir schon gedacht. Joey hat nämlich so komisch gegrinst. Ich dachte schon, dass er wieder flunkert“ antwortete sie ganz unbeeindruckt. „Und Kaffee wird echt aus Bohnen gemacht?“ „Hm“ nickte er. „Die wachsen in warmen Ländern an Sträuchern und sehen ein bisschen aus wie dicke Weintrauben. Zuerst sind sie noch grün oder rötlich, aber wenn man sie röstet, dann werden sie dunkelbraun. Dann macht man sie klein und hat Kaffeepulver.“ „Ah! Ich weiß! Ich hab mal mit Opa Kaffeepulver gemacht. Wir waren in einem Laden und da roch es ganz toll. Da hab ich auch ein Stück Marzipantorte gegessen. Opa hat eine goldene Tüte gekauft und Zuhause haben wir das dann in ein kleines Holzhaus getan und oben gedreht. Und wenn man die Schublade wieder aufmacht, ist das Kaffeepulver, sagt Opa. Daraus haben wir Kaffee gemacht. Opa sagt, der schmeckt dir besser als so fertiges Pulver aus dem Laden. Dann waren die kleinen Steinchen also Kaffeebohnen?“ „Anscheinend“ antwortete er und drückte verliebt ihre kleine Hand. Für sie war so vieles noch so unerforscht und neu. Er liebte das Gefühl, wenn er seiner Kleinen etwas beibringen und erklären konnte. Er spürte, wie sich sein Gemüt langsam wieder beruhigte. Mit Nini allein zu sein, war in diesem Moment mehr als nur schön. „Dann habt ihr extra Kaffeebohnen gekauft und gemahlen?“ „Opa hat das“ erklärte sie. „Er sagt, das schmeckt dir besser. Ich durfte aber die Kurbel drehen. Das hat ganz schön Lärm gemacht. Fast so laut wie ein Zug. Papa, wollen wir bald mal wieder Zug fahren?“ „Mäuschen“ flüsterte er leise, blieb stehen und kniete sich zu ihr herunter. „Schau mal da.“ Er zeigte vorsichtig etwas nach links und als Nini seinem Finger folgte, begannen ihre Augen zu strahlen. „Ein Bambi.“ Dort stand eine Hirschkuh mit ihrem Kitz. Das große Tier war tiefbraun und kräftig, während ihr Junges noch ganz dünn, langbeinig und gesprenkelt neben ihr herstakste. Als das große Reh sie entdeckte, blieb es auf der Stelle stehen und blickte geschockt zu den beiden Menschen. Seine schwarze Nase glänzte feucht und die dunklen Augen wurden ganz groß. Auch ihr Baby blieb sofort wo es war und bewegte sich nicht wesentlich mehr. So still plötzlich als hätte jemand die Zeit angehalten. „Ganz leise“ flüsterte Seto. „Ist das süß“ hauchte Nini bezaubert. „Wie im Zoo. Ganz still stehen bleiben ...“ Aber als das scheue Tier die Gefahr erkannte, spurtete es mit hohen Sprüngen davon und flitzte in den Wald hinein. Das Kitz lief seiner Mutter nicht nach, sondern legte sich sofort ins hohe Gras und rührte sich nicht mehr. „Oh, jetzt ist es weg gelaufen“ trauerte die kleine Prinzessin und griff seine große, kalte Hand. „Aber sie hat ihr Baby vergessen. Komm, Papa. Wir müssen es mit nach Hause nehmen und ihm Milch geben.“ „Nein, sie hat ihr Junges nicht vergessen“ erklärte er und zog sie sanft an sich, bevor sie wieder drauflos stürmte. „Das Reh kommt erst wieder, wenn wir weg sind. Es hat so hohe Sprünge gemacht, um uns abzulenken.“ „Aber warum denn? Sie hat doch ihr Bambi vergessen.“ „Nein, Schätzchen. Rehe sind Fluchttiere und das Kitz kann noch nicht schnell genug laufen, um einem Angreifer zu entkommen. Deswegen läuft seine Mutter weg und lenkt uns ab und das Baby versteckt sich im hohen Gras. Deswegen hat es so viele Flecken auf dem Rücken. Das ist Tarnung, damit man es nicht sieht.“ „Ach so.“ Sie blickte fasziniert auf die Stelle, wo sich das Kitz versteckt hielt und man es doch kaum sehen konnte. „Dann kommt sie ganz bestimmt wieder und holt ihr Baby? Findet sie das denn wieder?“ „Ganz bestimmt“ versicherte er. „Wir können nachher auf dem Rückweg noch mal hier vorbeigehen und dann siehst du, dass das Junge hier nicht mehr liegt.“ „Und ich darf es nicht streicheln“ erklärte sie ihm im Gegenzug. „Narla hat gesagt, wenn ich mal ein Tierbaby finde, dann darf man das nicht anfassen. Weil dann riecht es nach Mensch und dann wollen die Eltern es nicht mehr. Außer bei Happys Babys. Das ist was anderes, weil Happy mag ja Menschen, nä?“ „Und deswegen gehen wir jetzt auch weiter, damit die Mama gleich wieder kommt und ihr Bambi holt. Es soll ja keine Angst haben“ beschloss er, erhob sich und legte ihr die Hand auf den Kopf, als sie dicht an ihn gedrückt nebenher ging. „Tato und ich sind ja irgendwie deine Bambis“ sagte sie leise und drückte sich noch fester an sein Bein, womit er sehr vorsichtig und langsam gehen musste. „Aber du beschützt uns und läufst nicht weg. Oder?“ „Nein, ganz bestimmt nicht“ versprach er, griff unter ihre Arme und trug sie auf seinem Arm weiter, um sie kuscheln zu können. „Ich würde euch beide immer beschützen. Keiner darf euch was tun. Weil Papa und ich euch mehr lieben als alles in der Welt.“ „Und ich liebe dich mehr als alles in der Welt“ erwiderte sie und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. „Und Papa auch. Ihr seid die besten Papas auf der Welt für Tato und für mich. Drachen sind besser als Rehe.“ „So? Findest du?“ schaute er sie schmunzelnd an. „Ja“ lächelte sie zurück. „Narla sagt, Drachen haben ein feines Sozialamt. Da bleiben alle in der Suppe zusammen. Komisch, aber ganz schön cool.“ „Du meinst Sozialleben und Sippe, Schätzchen.“ „Ja, wahrscheinlich“ guckte sie ihn verdutzt an. „Auf jeden Fall finde ich Drachen besser. Die sind größer und stärker und irgendwie wild und kuschelig. Ich hab ja noch nie einen richtigen Drachen gesehen, aber Narla sagt, du bist ja ein Drache und Tato ist ein Babydrache. Deswegen mag ich Drachen gerne. Papa, was macht denn ein Drache, wenn Gefahr ist? Müssen sich die Babys dann auch ins Gras legen und verstecken?“ „Das weiß ich gar nicht so genau“ meinte er. „Ich bin ja schließlich ein Mensch.“ „Aber wenn du ein Drache bist und uns beschützt und nicht wegläufst. Dann machen richtige Drachen das auch. Was meinst du?“ „Kann sein. Weiß ich nicht.“ „Aber ich weiß es. Drachen laufen nie weg, weil sie mutig sind. Narla sagt, Drachen sind Jäger. Und Jäger sind mutig. Finde ich. Findest du auch?“ „Wenn du meinst ...“ Was sollte er da noch sagen? Wenn Nini sich erst mal ihre Weisheiten zurechtsponn, die man nicht handfest widerlegen konnte, brachte es wenig, dagegen anzureden. Seto hatte sich mit Drachen niemals eingehend beschäftigt. Er wusste nur, was er tun würde - nicht, was ein Drache tun würde. Er war ja innerlich auch ein Kind und dachte und verhielt sich trotzdem wie ein erwachsener Mann. Alles andere war unbewusst und von ihm selbst nicht erforscht. Reichte, wenn man über ihn lästerte ... solange Yugi ihn liebte, fühlte er sich wohl und da musste er nicht nach dem Warum fragen. Seth hatte ihm beigebracht, das Leben nicht immer so bitterernst zu sehen und alles bis ins Kleinste zu analysieren, weil das einen Geist nur krank machte. >Ach, Seth. Warum bist du nicht einfach hier? Du fehlst mir ... ich denke so oft an ...< „Papa, jetzt hab ich was entdeckt“ meldete Nini sich in seine Gedanken und zeigte zur Seite, wo Seto eigentlich nicht hingehen wollte. Seitlich von ihnen lag die Wiese, welche sie gestern verwüstet hatten. Er wollte eigentlich gern durch den Wald und dann mit Nini zum Strand hinunter. Aber sie blickte nun mal überall hin und hatte schon wieder was gesehen. „Lass uns da lang gehen, Spatz“ bat er und hielt sie trotz ihres Strampelns fest. „Da hinten ist es netter.“ „Aber wir können Doofmann doch mitnehmen!“ „Hm?“ Also ließ er sie doch herunter, hielt sie aber an der Hand fest und ließ sich hinter der auf aufgeregten Prinzessin herschleppen. Schnell hatten sie die paar Bäume und Büsche umrundet und gingen über den klaren Schnitt, wo vor wenigen Stunden noch die erste Feuersbrunst langgefegt war. Nini schien das entweder nicht zu sehen oder sich nur nicht zu wundern, denn ihr Blick lag mehr auf der Person, welche mit gesenktem Kopf über das kahle Feld trottete. Yami schlief also gar nicht mehr, sondern war bereits auf und ging spazieren. Aber dass er allein herumlief, war ungewöhnlich. Er suchte selten die Abgeschiedenheit und auch jetzt sah er nicht übermäßig fröhlich aus. Er hatte seine Hände tief in den Taschen seines kurzen Parkers vergraben und kickte hier und da mal einen Stein vor sich her, während er ohne großen Blick einfach so voranging. Vor allem gab es hier doch schönere Strecken zu laufen als so ein abgebranntes Wiesenstück. „GUTEN MORGÄÄÄÄN!“ Aber Nini nahm das wenig wahr. Sobald sich Papas Hand lockerte, spurtete sie voran und kündigte sich mit lautem Rufen und wildem Winken an. Sie freute sich einfach, jemanden zu treffen, den sie kannte. Yami blickte auf und sah im ersten Moment unverändert traurig herüber. Aber dann legte er ein Lächeln auf, breitete die Arme aus und ließ sich bespringen. Sofort hopste sie an ihm rauf und als Seto eine halbe Minute später auch eingetroffen war, redete sie noch immer aufgeregt. „... und dann ist es weggesprungen. Ganz hohe Sprünge hat es gemacht und das Bambi hat man gar nicht mehr gesehen in dem hohen Gras. Papa sagt, das ist Tarnung, weil es nicht so gut laufen kann. OBWOHL es so lange Beine hat, aber es ist ja noch ein Baby und nicht so schnell wie die Mama. Und wir sind dann weitergegangen und Papa hat gesagt ...“ „Mäuschen“ seufzte Seto und legte ihr die Hand auf den Kopf. „Lass Yami doch mal antworten.“ „Guten Morgen erst mal“ meinte der zu beiden. „Was macht ihr denn schon so früh im Wald?“ „Früh? Es ist fast Mittag“ antwortete Seto mit hochgezogener Augenbraue. „Also ich gehe mit meiner Tochter spazieren. Und was hast du für ne Entschuldigung?“ „Braucht man denn eine Entschuldigung nur weil man mal spazieren geht?“ „Da war ein Hase!“ rief Nini aufgeregt, zeigte zurück in den Wald und strampelte sich herunter. „Papa, darf ich gucken gehen, ob er noch da ist? Vielleicht kann ich ihn fangen und streicheln.“ „Aber lauf nur so weit, dass wir dich noch sehen können“ bat er und schon rannte sie aufgeregt dem nächsten Tier hinterher. Total aufgedreht, aber im Gegensatz zu den Erwachsenen hatten die Kinder ja genug geschlafen. „Aufregend hier, was?“ meinte Yami und sah ihr hinterher. „Für die Kinder gibt es hier so viel zu entdecken.“ „Ja, das hat man in der Stadt gar nicht“ erwiderte er. „Obwohl ich zugeben muss, dass mir fließend warmes Wasser und die Morgenzeitung irgendwie schon fehlen.“ „Kann ich verstehen. Wenn man das gewöhnt ist, ist es schwer, sich umzustellen. Früher hatten wir auch keine Morgenzeitung oder fließendes Wasser. Ich kann auch ohne auskommen. Aber dafür war das Klima wärmer. Das fehlt mir hier dann irgendwie doch.“ „Fehlt dir Ägypten denn sehr?“ Yami seufzte und sah ihn mit einem Blick an, der mehr sagte als alle Worte. Natürlich wusste Seto, dass ihm Ägypten fehlte. Aber es war nicht nur das Land. Es war das ganze Leben. Sein Palast, seine Frauen, seine Soldaten und vor allem ... er. Und es war genau diese Sehnsucht, welche seinen Priester all diese Dinge tun ließ. „Entschuldige“ sagte Seto leise und senkte den Kopf. „Die Frage war dumm.“ „Nein, schon gut“ antwortete er und sah ihn aufmunternd an. „Hast du was dagegen, wenn ich mich bei dir einhake?“ „Hm.“ Zur Antwort hielt er ihm nur seinen Arm hin und Yami hielt sich beruhigt daran fest. So konnten sie gemeinsam ein paar Schritte tun und am Rande beobachten, wie Nini einen verirrten Hasen aufscheuchte und mit seinem Tempo einfach nicht mithalten konnte. Sie rannte ihm über den Rand der Wiese nach, aber erwischte ihn einfach nicht, bevor er in seinem Bau verschwand und sie ziemlich doof davorstehen ließ. Zumindest hatte sie Spaß und Bewegung an der frischen Luft. „Um noch mal darauf zurückzukommen“ begann Seto noch mal neu und sprach mit betont ruhiger Stimme. „Warum läufst du ausgerechnet hier herum?“ „Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zu tun“ erwiderte er und sah weit hinaus über das Meer, welches man von hier oben traumhaft gut überblicken konnte. „Er fehlt mir. Wenn ich nachts daliege, wird mir ganz kalt und ich kann nicht schlafen. Meine Gedanken drehen sich im Kreis und immer wieder frage ich mich, ob ich es bin, der seinen Wahnsinn zu verschulden hat. Warum müssen die Menschen, die mir etwas bedeuten immer gleich wahnsinnig werden? Erst Yugi und jetzt Seth. Was mache ich denn falsch?“ „Du hast nichts getan, was sein Verhalten begründen könnte“ meinte Seto ebenso traurig. „Ich frage mich die gleichen Sachen. Früher habe ich genau gewusst, wie Seth denkt und was er fühlt. Aber über die Jahre habe ich nicht gemerkt, wie er sich veränderte. Ich wusste nicht, welche Last er mit sich trägt und jetzt ist es zu spät. Ich frage mich immer wieder, ob es anders wäre, wenn wir noch einen gemeinsamen Körper hätten. Damals habe ich die Entscheidung getroffen, ob wir uns trennen wollen. Er hat es ganz in meine Hand gelegt. Vielleicht war meine Entscheidung falsch.“ „Nein, das war sie sicher nicht. Für dich war es das Beste. Nur so konntest du selbstständig werden. Du wärest nicht derselbe, wenn ihr noch zusammen wärt.“ „Vielleicht ... aber er wäre auch nicht derselbe.“ Und genau das war es, was ihn beschäftigte. „Ich habe das Gefühl, ich habe ihn für mein eigenes Glück geopfert. Als hätte ich mich an ihm aufgebaut und ihn dann zurück gelassen.“ „Das ist nicht wahr“ bat Yami, hakte auch seinen zweiten Arm bei ihm ein und schmiegte sich an ihn. „Ich trage die Verantwortung für sein Verhalten. Ich bin sein Pharao, ich muss ihn beherrschen. Deshalb hat er sich mir unterworfen. Damals, als er diesen Mann tötete, beschloss er, dass er jemanden braucht, der ihn unter Kontrolle hält. Der seine bösen Gefühle und seine Kraft besänftigt und beherrscht. Aber ich weiß nicht, wie ich das noch tun soll. Auf meine Worte hört er nicht und der Urseth schützt ihn vor dem Einfluss meiner Macht. Ich kann ihn weder überzeugen, noch ihn fesseln. Ich sehe keine Lösung. Das erste Mal in meinem Leben habe ich keine Lösung ... jedenfalls keine gute.“ „Was wäre denn eine schlechte Lösung?“ Dann gäbe es wenigstens eine! Aber Yami schwieg dazu. Dies gehörte nicht zu den Dingen, die er mit Seto besprechen würde. Seto sah das nicht nüchtern genug. Yami hatte natürlich schon eine Lösung, aber diese war nicht gut. Das einfachste war es, den Grund für Seths Handeln zu beseitigen. Und der Grund für sein Handeln war sein Pharao. Diese Idee war ihm letzte Nacht gekommen. Aber er würde sie nicht mit Seto besprechen. So etwas entschied er mit Yugi. Yugi sah die Dinge in einem anderen Licht. Und Yami spürte, dass sein Hikari ihm solche Ideen sofort ausreden würde. Er sprach aus Erfahrung in solchen ‚Fällen’. „Ja, ich weiß. Das geht mich nichts an“ seufzte Seto als keine Antwort kam. „Sorry, Großer. Du weißt doch aber, dass ich ... na ja, dass ich dich lieb hab?“ „Ja, weiß ich“ sprach er ruhig. „Ich dich ja auch. Aber weißt du, dass die ganze Sache auch etwas Gutes hat?“ „Dass wir so ne Art Urlaub vor der arktischen Grenze machen?“ „Das auch“ sagte er und sah ihn ehrlich an. „Ich habe das Gefühl, dass uns das enger zusammen gebracht hat. Wir haben uns bestimmt schon ein paar Wochen nicht mehr richtig in die Wolle bekommen.“ „Ich wusste, irgendwas fehlt mir“ scherzte er zurück. „Irgendwelche Peinlichkeiten, die ich ausplaudern könnte?“ „Nein“ antwortete er sofort. Selbst wenn, würde er es ihm nicht sagen. „Seite 84 vielleicht?“ „Klappe. Das ist doch auf deinem Mist gewachsen!“ „Ja ja, ich weiß schon. War nicht so ganz dein Ding“ lachte er und klopfte ihm auf die Schulter. „Yugi hat schon erzählt, du bist eher so der Picknick-Typ.“ „Notiz an mich selbst: Yugi zurechtweisen“ knirschte er zischend heraus. „Ihr bringt mich auf die Palme. Ehrlich. NINI!“ Jetzt musste er die auch noch zurechtweisen. Er fand einfach keine Ruhe. „Was willst du mit dem Stock?“ „Den Hasen rausscheuchen“ antwortete sie auf Papas Gemotze hin. Da hatte sie sich so einen schönen Stock organisiert, mit dem sie im Hasenbau rumstochern konnte. Vielleicht erschreckte sich das flauschige Tierchen ja und sprang wieder heraus. „Nicht. Lass das“ bat er mahnend. „Was ist denn, wenn da unten Hasenbabys liegen und du stocherst da mit dem spitzen Stock drin rum?“ Seto wusste natürlich, dass Babys wesentlich tiefer im Bau lagen, aber es musste ja nicht sein, dass Nini da in irgendwelchen Erdlöchern wühlte. Bei seinem Glück war das ein Dachs- oder ein Fuchsbau und diese Tiere sahen vielleicht nett aus, aber wenn so ein Vieh wütend wurde, konnte das böse für so ein kleines Mädchen ausgehen. Er wollte ihr ja keine Angst machen, aber ein bisschen Vorsicht sollte sie in dieser Wildnis schon walten lassen. „Oh je!“ Und sofort schmiss sie den Stock weg, kniete sich auf den Boden und sah in den dunklen Bau hinein. „Tschuldigung, liebe Hasenbabys! Ich hab nicht gewusst, dass ihr da drin seid! Ist noch alles heil?“ „Jetzt redet sie schon mit Erdlöchern“ lachte Yami. „Ich sage doch, alle die ich liebe, werden wahnsinnig.“ „Der Hase ist wahrscheinlich auf der anderen Seite schon lange wieder raus“ mutmaßte Seto. „Und wenn sie da noch weiter rumrutscht, muss sie erst mal in die Wanne.“ „Sie hat neulich ganz traurig erzählt, du willst nicht mehr mit ihr baden?“ sah er ihn fragend an. „Hat sie das verdreht oder was war da wieder los?“ „Nein, das hat sie schon richtig verstanden“ antwortete er ernst. „Yugi und ich haben beschlossen, dass sie langsam zu alt dafür ist. Sie kommt im Sommer bereits in die Schule und so leid es mir tut, sie sollte lernen, dass sie eine weibliche Privatsphäre hat, die sie bewahren muss.“ „Du meinst, weil sie ein Mädchen ist und ihr Männer.“ „Hm“ stimmte er kurz zu. „Yugi hat erzählt, es ist ihm aufgefallen, wie sie ihn beim letzten Bad gemustert hat. Sie wird nun mal älter und fängt an, Fragen zu stellen. Unsere Kleine ist gar nicht mehr so klein. Schade ... ich werde diese ungezwungenen, kindlichen Momente vermissen.“ „Aber ihr habt ja noch Tato“ tröstete er. „Da hast du noch was zum Bemuttern. Der ist ja noch nicht mal trocken.“ „Aber er macht sich schon Gedanken darüber, ob er nicht aufs Töpfchen möchte. Gar nicht mehr lange und er macht sich selbstständig. Es war so schön, als er noch so klein war. Wenn er geweint hat und das Fläschchen wollte. Oder als er sein erstes Wort gesprochen hat. Oder seine ersten Schritte, sein erster Haarschnitt. Beide werden viel zu schnell groß. Ein eigenes Baby zu haben ... das ist unersetzlich.“ „Oh oh.“ „Was oh oh?“ grummelte Seto ihn an und blickte mürrisch herunter. „Sprich dich aus.“ „Nur so.“ Ob Yugi das wusste? Wenn Seto so redete, hörte man doch genau raus, was er da ausbrütete. Das war so eindeutig. Die beiden wurden ihm zu alt, zu selbstständig und er hatte so gern etwas, worum er sich kümmern musste. Ob Yugi wusste, dass Seto mit dem Gedanken an ein neues Baby spielte? Fraglich, ob der davon begeistert sein würde ... deshalb oh oh. „Aber du kannst dir doch Theresa und Josephine ausleihen. Die Mamas sind dir dankbar, wenn sie mal die Hände freihaben.“ „Willst du mir irgendwas sagen?“ „Nö“ schüttelte er schnell den Kopf. „Vergiss es lieber.“ >Und ich sollte Yugi vorwarnen, bevor Seto selbst hinter seine Schnapsidee kommt.< Kapitel 7: Kapitel 31 - 35 -------------------------- Chapter 31 Als sie nach einiger Zeit lustigen Spazierengehens und um einige Hände voll alten Tannenzapfen reicher wieder zurück zu ihren Hütten kamen, waren schon die Vorbereitungen fürs Mittagessen im Gange. Narla und Phoenix feuerten den Holzhaufen an, um möglichst gute Glut zu bekommen, während Tea, Dakar und Yugi vor einem ganzen Berg Kartoffeln saßen und sie in mehrere, kleine Töpfe schälten. „Papa! Wir haben Tannenzapfen gesammelt und gut riechende Blätter gepflückt!“ jubelte Nini und lief zu ihm herüber, während sie sich ihre Zapfen von Papa und Yami nachtragen ließ. Yami fand das nur witzig und Seto, trotz seines missmutigen Gesichtes, ließ sich von ihr nur allzu leicht um den Finger wickeln. Wahrscheinlich war das wie mit den gesammelten Muscheln, Steinen, Kastanien, Blättern ... Nini wollte sie unbedingt haben und dann lag alles herum bis Yugi sich ein Herz fasste und es höflich verschwinden ließ. Tannenzapfen zählten eindeutig zu dieser Art Sammelleidenschaft. „Wie siehst du denn aus?“ fragte Yugi geschockt, als seine kleine Sammlerin vor ihm stand. Ihre Haare zerstrubbelt mit einem trockenen Blatt verziert, ihre Knie schwarz und nass von Erde und ihre Hände schmutziger als die eines Gärtners. Und warum roch sie so nach Minze? „Wieso?“ guckte sie an sich rauf und runter. „Ich bin einem Hasen nachgelaufen und auf den Baum geklettert. Aber Papa hat aufgepasst. Und das Bambi lag da wirklich nicht mehr! Wusstest du das?“ „Seto!“ rief er streng, ohne sich mit ihr weiter zu befassen. „Warum ist unsere Tochter so schmutzig?“ „Wir haben nur ein bisschen getobt“ rechtfertigte er sich, als er Ninis Tannenzapfen neben dem rausgestellten Sofa parkte. „Sie war erst gestern Morgen baden. Du weißt doch, wie schwer das hier mit warmem Wasser ist. Hättest du nicht ein bisschen aufpassen können?“ „Nein, wie krass“ staunte Yami. „Yugi, hast du etwa schlechte Laune?“ „Ja, verdammt“ schimpfte er und schmiss die fertig geschälte Kartoffel in den Topf mit kaltem Wasser, dass es nur so spritzte. „Und schon wieder haben sich alle verkrümelt. Ich bin ja gern bereit, mal was zu kochen, aber langsam geht mir das auf den Senkel! Ich bin doch hier nicht die Dienstmagd!“ „Aber wir helfen dir doch ständig“ meinte Narla freundlich. „Und warum sollte man MIR helfen?“ schnauzte er zurück. „Ständig bin ich am Kochen, am Putzen, am Waschen, am Aufräumen! Verdammt, wir sind ne große Gruppe und langsam wird mir das echt zu viel! Warum mache ich das immer? Bloß weil wir hier nur EINE Kochmöglichkeit haben, heißt das doch nicht, dass auch nur EINER die ständig besetzen muss!“ „Dann mach’s doch einfach nicht immer für alle“ schlug sie vor. „Wenn’s dir zu viel wird, lass es.“ „Und meine Kinder laufen dann dreckig und hungrig herum, nur weil sich niemand bequemt, mal den Haushaltsdienst zu übernehmen?“ „Ich mache das.“ Seto mochte es gar nicht, wenn er Haushaltsarbeiten verrichten musste. Das hatte böse Erinnerungen. Aber er mochte es noch weniger, wenn Yugi unzufrieden war. Schließlich war das verständlich. Seit sie hier waren, war er nur am Arbeiten - vom Holz hacken übers Strümpfe nähen bis zum Abwaschen. Zuhause für ein paar Leutchen ging das ja noch. Aber hier waren sie eine ziemlich große Gruppe und das war sehr viel mehr Arbeit. Und dann auch noch ohne Strom und Supermarkt in der Nähe. Auch Yugis soziale Einstellung kam mal an ihre Grenzen. Zwar bekam er regelmäßig Hilfe, aber eigentlich war es schon selbstverständlich, dass er für alles sorgte. Zuhause spielte er ja auch die Hausfrau. Also nahm Seto sich das Messer und eine Kartoffel und begann mit der Arbeit fürs Mittagessen. „Liebling, ich sagte nicht, dass DU das machen sollst“ seufzte er, drückte seine Hände herunter und sorgte dafür, dass er das schön wieder hinlegte, bevor er auch nur den ersten Schnitt tun konnte. „Du tust schon genug andere Dinge.“ „Aber ...“ Er wollte doch nur helfen. „Okay, Schluss jetzt“ beschloss Yugi, band seine Schürze ab und pfefferte sie auf den Tisch. „Ich streike. Ich rühre heute keinen Finger mehr. Ich streike so lange bis alle einen Haushaltsplan gemacht haben. Und bis dahin mache ich nur noch was für meine Kinder ... und Seto.“ „Richtig so“ meinte Tea mit vollem Ernst, legte das Messer hin und band sich ebenso ihre Schürze ab. „Ständig machen wir die Arbeit. Wird Zeit, dass sich die Herren der Schöpfung auch mal bequemen. Dakar, runter mit der Schürze.“ „Ich trage keine Schürze, Mama“ meinte er nur gleichgültig. Er war ja schon ein merkwürdiger Typ, aber Schürzen trug er dann doch nicht. Selbst wenn er Hausarbeiten übernahm. Doch das wohl eher, weil er Teas Nähe suchte. Es war schon fast unheimlich, so sehr assistierte er ihr. Er war ja anscheinend ein Mama-Kind, aber gegen Schürzen weigerte er sich. Trotzdem legte er die halb geschälte Kartoffel hin, legte das Messer zur Seite und nahm Tea ihre Schürze ab, um sie zusammengefaltet auf den Tisch zu legen. „Sehe ich auch so. Komm, Spatz. Sollen die anderen Glut machen“ befahl Narla und schmiss den glühenden Stock in die Scheite. Feuer zu machen, war ja nicht schwer für sie. Schwer war es nur, nicht gleich einen Waldbrand zu entzünden. Aber darum durften sich jetzt andere kümmern. „Oh oh, Hausfrauenstreik“ grinste Yami. „Ich bin auch für Küchendienst. Ich fange freiwillig an.“ „Moment! Warte mal!“ hielt Yugi ihn sofort auf und drängelte ihn zurück, bevor er auch nur die erste Kartoffel anrühren konnte. „Dich hab ich in meiner Aufzählung vergessen. Ich mache nur noch für die Kinder, Seto UND dich.“ „Was denn? Du sagtest doch eben, die Leute, die sonst nichts machen, müssen auch mal was tun.“ „Küchendienst machen heute Mokeph, Tristan und Balthasar“ beschloss Narla. „Und Holz hacken können Joey und Tato machen. Fernando und Mokuba gehen die Kühe melken und ...“ „Ich denke, Tato sollten wir heute lieber nicht belasten“ meinte Tea. „Der ist wahrscheinlich von gestern noch geschafft. Ich finde, die, die gestern gekämpft haben, sollten sich schonen.“ „Gut, dann macht Sharesa das. Die ist ja auch ziemlich bequem und müde schien sie das gestern nicht gemacht zu haben“ beschloss Narla streng. „Und was machen wir?“ fragte Phoenix beunruhigt. Der mochte solche Miniaufstände gar nicht. Ruhe und Frieden waren ihm lieber. „Wir hauen uns in die Sonne, kleiner Bruder“ grinste Narla. „Sollen die Kerle doch auch mal was machen.“ „Ich koche!“ meldete Yami sich mit Freuden. „Nichts da. Pharaonen kochen nicht!“ rief Tea leicht panisch dazwischen. Alles, nur nicht Yamis Selbstgekochtes! „Aber Yugi kocht doch auch. Gleiche Pflicht für alle“ zeigte er auf den. „Warum soll er in der Küche arbeiten und ich nicht?“ „Weil dein Gekoche ungenießbar ist.“ Diese ehrliche Meinung konnte auch nur jemand vertreten, der mies gelaunt war. Alle Köpfe drehten ich in dieselbe Richtung und erblickten den frisch zurückgekehrten Sethos. Der kam da just aus den Federn gekrochen, bändigte sein verzotteltes Haar und zog seine zerissene Hose richtig hin. Ein Oberteil trug er keines, was nur nicht nur die schwarzen Schattenflüche zur Schau stellte, mit denen er getroffen worden war, sondern auch die Tatsache, dass ihm die kühle Luft herzlich wenig auszumachen schien. Trotzdem sah er etwas durcheinander aus mit so einem zerpflücktem Gewand - und davon gerade mal die Hälfte. „Ulti! Du bist wieder da!“ jubelte Nini und rannte auf ihn zu. „Ich hab dich so vermisst!“ „Ich dich auch, Prinzessin“ grummelte er und nahm sie auf den Arm. Er hielt ganz still, als sie ihn durchwuschelte und abküsste. Um sich zu wehren, dazu war er noch viel zu brummig. „Guten Morgen sagt man, bevor man anderer Leute Kochkünste beleidigt“ gebot Yami und stemmte die Hände in die Hüften. „Morgen“ murmelte er, als er müde herüberkam und sich mit der verzückten Prinzessin auf dem Arm auf den Baumstamm niederließ, der dort als nächste Sitzgelegenheit zur Verfügung stand. „Sehr schön. Wir kommen voran“ nickte der alte Pharao wohlwollend. „Und warum läufst du hier so mies gelaunt herum, Ele?“ „Weil euer Gebrüll Tote weckt“ antwortete er tief. „Und nenn mich nicht Ele.“ „Sorry, Sethos. Aber wir haben gerade den Streik ausgerufen“ lächelte Narla ihn entschuldigend an. „Wir haben festgestellt, dass es immer dieselben sind, die den Küchendienst machen. Deswegen treten Yugi, Tea, Dakar, Spatz und ich jetzt in den Streik bis sich was ändert.“ „Super. Und wer kocht jetzt Kaffee?“ brummte er beleidigt. Man erwartete doch wohl hoffentlich nicht, dass er das selber machte! Er gehörte nämlich auch zu denen, die sich nicht dazu bequemen konnten, Haushaltspflichten zu übernehmen. Dazu fand er sich zu wichtig. „Bist du jetzt auch tätömaviert?“ fragte Nini und strich forschend über die schwarze Ranke, die sich über seinen Hals die Schulter hinab bis zum Rücken zog. „Nein, das sind Bisswunden von Schatten“ antwortete er gelassen. „IEH! Tut das weh?“ „Das geht von selbst wieder weg.“ „Papa hat so was ähnliches. Aber hier“ zeigte sie auf ihren Bauch. „Das geht ein Mal ganz rum. Aber das ist ein Tätömanöver. Das hat er ja extra gemacht.“ „Ich weiß“ seufzte er geschafft. „Das ist ein Vogel. Ein Falke. Falken sind heilig und das Zeichen vom Pharao. Sagt Papa.“ „Ich weiß.“ „Papas Falke ist gold und silber und mit ein bisschen weiß und schwarz und Federn. Und hinten steht Yugi. Yugi ist Papas Name. Das hat er da hingeschrieben, weil er ihn so liebt, sagt Papa. Weil Papa liebt Papa über alles in der Welt. Papa sagt, das ist seine erste und einzige Liebe. Es heißt einzige und nicht einzigste.“ „Ich weiß.“ „Ich finde es schön, wenn Leute sich lieben. Ist zwar komisch, wenn man sich das auf die Haut schreiben muss, wenn man so vergesslich ist, aber lieber so als ...“ „Nini“ bat Seto kopfschüttelnd und erlöste Sethos, indem er den Dreckspatz von seinem Schoß entfernte. „Wolltest du dich nicht waschen gehen?“ „Noah ist auch hinten und macht Wasser warm“ zeigte Narla mitdenkend auf die Häuserreihe, welche ihr ‚Badehaus’ vor Blicken schützte. „Lauf doch hin. Vielleicht ist noch warmes Wasser da.“ „Du bist doch nachher noch da, oder?“ wollte sie vorher noch schnell wissen. „Ulti, ich muss dir noch so viel erzählen. Du warst so lange nicht da, aber ich hab mir alles gemerkt, was ich dir noch sagen muss.“ Das Erzählen des Erlebten würde damit sicher länger dauern als das Erlebte selbst erlebt zu haben. „Das befürchte ich auch“ seufzte er mit gesenktem Kopf. Wie beruhigend zu wissen, dass er gut noch ein paar Jahrtausende bleiben konnte, ohne nennenswert zu altern. „Nun lauf schon, Schnecke“ klopfte Seto ihr auf den Po und ließ sie von dannen rennen. Jetzt hatte Noah sie gleich an der Backe. Der würde sich bedanken. „Du bist ganz schön fertig, oder?“ fragte er mitleidig als er sich neben Sethos setzte und den Kopf senkte, um in seinen Blick zu sehen. „Geht so. Die Knochen tun mir weh“ ächzte er und streckte sich langsam hinauf, dehnte seinen Rücken. Seto bemerkte so was nicht, aber den anderen gingen die Augen auf. Dieser Körper war Wahnsinn! Was für Muskeln und diese schwarzen Zeichnungen, so schmerzhaft sie auch sein mochten, standen ihm erstaunlich gut zu Gesicht! Sie unterstrichen seinen stromliniengeformten Körper und zeigten jedes Muskelzucken. Wenn er sich so halbnackt streckte, sah er verboten gut aus. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Seto sah so was wirklich nicht. Er hatte kein Auge für Schönheiten dieser Art. Er würde höchstens leuchtende Augen kriegen, wenn Yugi oben ohne neben ihm säße. „Ich meine, tut so ein Schattenfluch sehr weh?“ „Geht so“ erwiderte er und verschränkte seufzend die Arme, streckte seine langen Beine aus, um gemütlicher sitzen zu können. „Wenn so ein Schatten dich beißt, tut das im ersten Moment schon etwas weh, aber dann wird die Stelle taub. Und wenn er sich dann richtig festbeißt, bekommst du einen Fluch, der dich aber nur ermattet und eben die Haut färbt. Es gibt Schlimmeres.“ „Zum Beispiel?“ staunte Narla. „Wenn ein Schatten einen Menschen erwischt, frisst er seine Seele. Der kommt nicht mit ‚nur’ einem Fluch davon. Ich kann mir kaum was vorstellen, was schlimmer ist als ein hungriger Schatten.“ „Ein Morgen ohne Kaffee ist weitaus schmerzhafter“ war seine Meinung. Er war nun mal niemand, der in Selbst- oder Fremdmitleid badete. Er saß das jetzt aus und gut. Er überlebte die Dinge, die andere längst umbrachten. Das ging wieder vorbei, also was sollte er sich da Gedanken machen? „Ist gut, wir haben’s verstanden“ lachte Tea, nahm einen Becher aus der Plastikkiste und würde ihn doch gern mit ‚Medizin’ versorgen. „Guten Morgen, Phoenix.“ Sethos hob seinen tiefblauen Blick und sah ihn ganz neutral an. War aber ein freundlicher Wink, dass er begrüßt werden wollte. „Du bist doch Phoenix, nicht wahr?“ „Ähm ... ja“ antwortete er mit leiser Stimme, löste sich von Narlas Seite und trat etwas schüchtern auf ihn zu. Er reichte ihm zitternd die Hand und man sah ihm an, wie sehr sein Herz klopfte. Er hatte einen Heidenrespekt, denn er wusste sehr wohl, welche Macht dem Hohepriester der Sonne nachgesagt wurde. Aber begegnet war er ihm nie. Man hatte ihm zwar erzählt, dass Sethos und Rah nun auf der Erde weilten, aber gestern Abend war er leider zu bewusstlos gewesen, um sie zu begrüßen. „Ganz ruhig. Ich tue dir schon nichts“ beruhigte Sethos und nahm die bebende Hand wie die eines holden Weibes. „Du darfst meine Hand gern küssen.“ Er blickte zu ihm hinauf und legte sogar ein versöhnliches Lächeln auf, als der verunsicherte Junge vorsichtig herabkam und mit bebenden Lippen die feste Haut mit den schwarzen Zeichnungen küsste. Für Phoenix war es eindeutig ungewohnt, so etwas zu tun, aber vor ihm saß nun mal jemand, dem man gebührlichen Respekt zollen musste. Ihm die Hand zu küssen, war eine besondere Ehre. Nur für ihn versuchte er mal, sein Grummeln abzustellen, um ihm nicht noch mehr Angst einzujagen. „Ich bin Eleseus Sethos und sehr glücklich, dich kennenlernen zu dürfen. Phoenix Sethi Pasrahcal Taylor.“ „Du weißt … meinen Namen.” Er wusste nicht warum, aber es überraschte ihn. Natürlich war Sethos ein fast allwissendes Wesen, aber trotzdem war er verblüffend. Er war so anders. „Ich habe dich gestern auf den Armen deines Bruders gesehen und mir sagen lassen, du bist ein Kämpfer mit einem starken Herzen. Und ich habe großen Respekt vor Menschen wie dir.“ Phoenix wusste kaum, wie ihm geschah. Erst als Sethos seine Hand losließ, kehrte Leben in seine grauen Augen zurück und er schlug rotwangig den Blick nieder. Ein Lob von so hoher Stelle bekam er nicht oft. Und die Überwältigung war viel zu groß, als dass er es sofort abstreiten konnte, was er sonst immer tat. Sein eigener Vater ignorierte ihn und vom Sonnenpriester wurde er mit Komplimenten belegt, durfte sogar seine Hand küssen. Was für ein merkwürdiges Gefühl. „Ich denke, wir werden gute Freunde werden“ beschloss Sethos und klopfte neben sich aufs Holz. „Komm, setz dich zu mir, Phoenix. Ich denke, ich darf dich Phoenix nennen?“ „Phoenix sagt sonst nur ... nur einer.“ „Enaseus. Ich weiß. Oh, vielen Dank.“ Er nahm den Becher von Tea entgegen und wärmte seine Hände an dem schwarzen Gebräu. „Wenn er der einzige bleiben soll, der dich beim Erstnamen nennt, sag es frei heraus. Bei welchem deiner Namen darf ich dich nennen? Oder soll ich Spatz sagen, wie alle anderen?“ „Wie du möchtest“ antwortete er schüchtern. „Ist mir egal.“ „Das sollte es nicht sein. Namen sind Ausdruck der Persönlichkeit. Und auch du hast eine Persönlichkeit, die Akzeptanz einfordert“ sprach er mit sanfter, rauher Stimme und sah ihn ehrlich an. „Steh zu den Namen, welche dir gegeben wurden. Sie stammen von jemandem, der dich liebt. Jeder einzelne deiner Namen will etwas bedeuten und du hast ein Recht darauf.“ „Ja ... okay. Ich ... werd’s mir merken.“ Darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. Asato war der einzige, der ihn respektvoll beim Namen nannte. Für ihn war er Phoenix. Für alle anderen ein Spatz. Über die Bedeutung dahinter, hatte er niemals wirklich nachgedacht. Er wusste nur, dass Tato ihn schon immer respektvoll behandelt hatte. „Dann nenne ich dich Spatz, wenn du das wünschst“ nickte Sethos und führte den Becher an seine Lippen. „Wenn du es anders möchtest, sag es mir“ sprach er und trank genüsslich den so sehnlichst vermissten Kaffee. Damit schien er selig zu sein. „Und Rah?“ fragte Narla, schob einen Topf zur Seite und setzte sich mitten auf den Tisch. „Du meinst Amun-Re“ berichtigte er nebenbei. „Der ist schon auf.“ „Wirklich? Und warum kommt er nicht raus?“ wollte Seto wissen. „Er ist ja draußen. Nur in die andere Richtung“ zeigte Sethos auf die Hütte, ohne sich danach umzudrehen. „Da kam ein Kätzchen hereingestolpert und er hatte nichts anderes zu tun als ihm hinterherzulaufen. Du weißt doch, wie er ist, wenn er was Niedliches entdeckt.“ „Wirklich? Ist er so?“ lächelte Tea. „Dann hat Nini das von ihm. Sie rennt ja auch allem hinterher, was flauschig und knuddelig ist.“ „Was mich aber viel mehr interessiert“ fragte Narla. „Entschuldige die dumme Frage, aber warum nennt er sich jetzt Amun-Re? Gefällt ihm sein Name nicht mehr?“ „Das nicht. Amun-Re ist der Name mit dem er geboren wurde“ erklärte Sethos. „Und nun, da er wieder ein Mensch ist, wäre Rah eine falsche Bezeichnung.“ „...“ Sie schaute sich in der Gruppe um, aber ... „Sorry, bin ich die einzige, die das jetzt nicht versteht? Und ich dachte immer, nur mein Mann wäre schwer von Kapee.“ „Nein, mir geht das ähnlich“ meinte Tea. „Wir haben doch damals auch diesen Blick in seine Vergangenheit gehabt. Und sein Vater nannte ihn schon damals Rah.“ „Ich erkläre es euch“ sprach Sethos und sah mit sanftem Blau zu ihr auf. „Der Blick, den er uns gewährt hat, war in unsere moderne Sprache übersetzt. Früher als die Titanen herrschten und er noch ein Mensch war, gab es weder Ländergrenzen noch unterschiedliche ‚Menschenrassen’. Somit gab es auch nur eine einzige Sprache, welche die ganze Welt sprach. Erst als Vater später einen Sturm über die Erde schickte, teilte sich das Land, separierte die Menschen voneinander und schuf die Andersartigkeit. Er wollte die Unterschiede zwischen den Menschen als Strafe verhängen, aber Rah schuf das Recht auf individuelle Andersartigkeit. Er sah darin keine Strafe, sondern etwas schönes. Die Sprache, welche einst auf der ganzen Welt gesprochen wurde, verging und ist heute nur noch als uralter Vorgänger des Altägyptisch bei den Trägern alten Blutes und alter Bräuche bekannt. Altägyptisch ist quasi der verwandteste Nachfolger der Ursprache - welche heute aber ausschließlich von den beiden Zwillingsgöttern gesprochen wird.“ „Und in dieser Sprache hieß er Amun-Re?“ schlussfolgerte Narla, die ja selbst nicht mal das verwandte Altägyptisch sprach. Selbst wenn sie Seths Tochter war, war sie nicht Erbin seiner Kultur. Nicht so wie Seto. „Amun-Re bedeutet in unserer Sprache so viel wie ... ja, dafür gibt es gar kein modernes Wort“ überlegte Yami. „Amun bedeutet so viel wie ‚vor der Geburt’ und Re bedeutet ‚Licht. Also quasi vorgeburtliche Sonne. So ganz frei interpretiert. Würde ich mal versuchsmäßig so übersetzen, wenn altes Ägyptisch der Ursprache ähnelt.“ „Deshalb sind seine Söhne nach dem Namen ‚Amun’ benannt“ ergänzte Sethos. „Die Namen Atemu und Aitemu sind abgewandelte Formen dieses Geburtswortes. Erst nachdem Amun-Re als Gott geboren wurde, war er nicht mehr eine Sonne vor ihrer Geburt, sondern eine geborene Sonne. Ebenso wie seine Söhne erst nach ihrem Tod zu vollmächtigen Göttern werden. Deshalb spricht man das Amun nicht mehr mit und Re ist die Vorform von Rah. Und da Rah nun kein Gott mehr ist, spricht man seinen Namen nicht Rah, sondern wieder zurück in der Grundform Amun-Re.“ „Ich verstehe schon, warum Noah sich schwer tut, altes Ägyptisch zu lernen“ meinte Narla mit rätselndem Blick. „Allein der Vorgänger ist ja tierisch kompliziert.“ „Deshalb ist Altägyptisch die Sprache der unteren Götter“ begründete Sethos und trank noch einen Schluck von seinem heißen Kaffee. „Die Übersetzung von Namen obliegt den Yamis. Selbst Hikaris beherrschen diese Art von Deklination nicht.“ „Dann möchte ich dich auch etwas fragen“ bat Yugi. „Der Name Ilani klingt nicht wie ein abgewandeltes Amun. Hat das einen Grund?“ „Sag bloß, du hast das nie gewusst!“ staunte sein Yami mit großen Augen. „Ich dachte immer, Ilani wäre bereits ägyptisch“ schaute Yugi zurück. „Es klingt doch so und ich dachte nur, es hat keine Bedeutung ... oder doch?“ „Ja, wenn du es so liest“ berichtigte er und konnte es nicht glauben. Yugi wusste das nicht? Wieso hatte er denn nie gefragt? „Ilani ist die weibliche Form. Wenn du es männlich liest, spricht sich der Name ‚Atumee’ aus und bekommt dann die Bedeutung ‚Spiel der Sonne’. Das ist sehr wohl ein abgewandeltes Amun.“ „Nur eben, dass Amun die männliche Grundform ist“ ergänzte Sethos. „Rah wollte aber seine Tochter weder Atumee rufen, noch ihr einen Jungennamen geben. Er mochte den Namen Ilani. Er sagte, er mag diesen weichen, seidigen und edlen Klang. Es ist genau wie beim Namen Yugi. Yugi ist auch nur eine andere Leseform von Aitemu. Nur mit dem Unterschied, dass es das Wort Yugi im Ägyptischen so wenig gab wie es heute ... ich weiß nicht ... so wenig wie es heute Rötteldumms gibt.“ „Rötteldumms“ grinste Yami. „Was für ein schöner Vergleich, Ele.“ „Mir fiel nichts anderes ein. Und nenn mich nicht Ele.“ „Sehr schön. Gibt es sonst noch irgendwas, was du mir sagen müsstest?“ fragte Yugi etwas beleidigt zu Yami. Der wusste doch, dass Hikaris keine Namen übersetzen konnten. So weit ging ihr Erbe nicht. Deshalb war er schon ein wenig enttäuscht, die Bedeutung von Ninis Namen erst so spät zu erfahren. Wobei ihr die weibliche Lesart wirklich besser stand. „Stimmt, ich muss dir noch was sagen“ gab Yami zu. „Aber dazu würde ich dich gern allein sprechen.“ „Ja, dann jetzt. Bevor eventuelle Streikkritiker hier auftauchen.“ Oder einfach, solange wie Yugi es aushielt, unfertige Arbeit liegengelassen zu sehen. Das fiel ihm jetzt schon schwer, aber es ging ums Prinzip. Er war vielleicht das Hausmädchen seiner Familie, aber nicht der Diener von jedermann. „Yugi?“ fragte Seto noch schnell, bevor der mit Yami in der Hütte verschwinden konnte. „Was denn?“ blickte der zurück. „Was brauchst du, Liebling?“ „Tato. Wo ist der?“ „Der große liegt immer noch im Bett und pennt und der kleine hat sich an Joey gehängt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat sich an sein Bein geklammert und nicht mehr losgelassen.“ „Ach so.“ Er kannte das ja, aber ein bisschen enttäuscht war er schon. Er hätte jetzt gerne was Kleines, was er mit sich rumschleppen konnte. Aber die anderen Babys waren ja gerade auch irgendwie weg. Da kam er sich ganz verlassen vor. „Du findest schon jemanden, der mit dir kuschelt“ lächelte er seinen großen Schatz verliebt an. „Und denk dran, dass wir Mittagsschlaf machen wollen. Wir zwei.“ „Hm ...“ Auch wenn er jetzt nicht genau wusste, was Yugi damit bezweckte. Hieß das, dass sie zusammen schlafen oder miteinander schlafen wollten? Müde war Seto schon ein bisschen, aber Yugi hatte ja Spaß dran, ihn wach zu halten. Aber der war jetzt erst mal beschäftigt und schloss nach einen neckischen Zwinkern die Tür hinter sich. Wie gemein. Jetzt waren keine Kinder zum Schmusen da und Yami hatte ihm auch noch Yugi geklaut. Was für ein mistiger Tag. „Zieh nicht so ein Gesicht“ schmunzelte Narla. „Er kommt schon wieder.“ „Ich ziehe kein Gesicht“ murrte er und streckte seine Beine neben die von Sethos weit aus. Aber seine verschränkten Arme signalisierten, dass er jetzt erst mal eingeschnappt war. Hatte ihm zwar keiner was getan, aber er war eben launisch. Somit breitete sich Stille und Ruhe aus. Wenn die Drachen müde waren und gerade kein Rabauke in der Nähe, war es ja fast langweilig. Ein kleines Aufseufzen ging herum als sie sich entspannten und einen Augenblick Ruhe genossen. Selbst Sethos konnte mal ganz ungestört seinen Kaffee ausnippen. „Schön, so ruhig“ lächelte Tea, als sie von Dakar ein wärmendes Wolltuch um die Schultern gelegt bekam. Sie sah zu ihm hinauf und erwiderte seinen liebevollen Blick. „Danke dir.“ „Erkälte dich nicht, Mama“ erwiderte er mit sanfter Stimme. „Soll ich die anderen suchen, damit sie an die Arbeit gehen?“ „Jemand, der sich freiwillig zum Buhmann macht?“ lachte Narla. „Du bist ja mutig Dakar.“ „Dann versuch mal dein Glück“ meinte Tea. „Würde mich wundern, wenn du das schaffst.“ „Du wirst dich wundern, was ich alles schaffe“ scherzte er mit flacher Stimme zurück, hauchte ihr einen verspielten Kuss auf die Wange und machte sich dann gleich auf den Weg, die Faulenzer zur Arbeit zu treiben. „Irgendwie merkwürdig“ meinte Narla dann etwas skeptisch. „Der supportet dich ja von vorn bis hinten, Tea.“ „Ist doch nett“ meinte Seto. Warum sollte man als Sohn seiner Mutter nicht etwas Liebes antun? War doch schön. „Finde ich nicht“ erwiderte Narla. „Er ist auch fast 40 Jahre alt und macht keine Anstalten, sich eine Frau zu suchen. Jedenfalls, wenn ich Balthasar da richtig verstanden habe. Stattdessen flattert er ständig um Tea herum. Entweder ist er schwul oder leidet an einem Ödipus-Komplex.“ „Warum ist denn das so schlimm?“ wand Seto ein. „Ist doch schön, wenn er seine Mama lieb hat.“ „Ja, aber nicht so“ schüttelte Narla den Kopf. Seto erfasste mal wieder schwerlich den Kern der Sache. Es ging nicht darum, seine Mama lieb zu haben, sondern sie mit Liebe geradezu zu überschütten. Bevor Narla den Mund noch ganz geöffnet hatte, fand Phoenix sich schon von ihr anvisiert und sollte sicher irgendwas dazu befragt werden. Da war der Kleine doch erleichtert, als bereitwillige Rettung erschien. „Guck mal! Ich hab’s gekriegt!“ Da tanzte Amun-Re daher und trug auf seinem Arm ganz stolz ein kleines, hellbraunes Fellknäuel, was er an sich drückte und schnuffelte. Genau wie Sethos hatte er es noch nicht geschafft, sich etwas anderes anzuziehen, aber im Gegensatz zu seinem Priester sah er auch nicht ganz so ramponiert aus in seiner seidenschwarzen Kleidung. Und gegen ein schmusewilliges Kätzchen gewann er dann auch noch unverletzt. „War ja klar“ grummelte Sethos, als er sich ganz dicht neben ihn setzte und an ihn heranschmiegte. Eigentlich war dort gar kein Platz mehr, sodass nur eine Arschbacke Sitz fand, aber das schien ihm gleich. Da konnte er ja eigentlich nur froh sein, dass Phoenix sich zurück zu Narla verzogen hatte und er das kleine Stückchen Sitz nutzen konnte. „Es ist so süß“ strahlte er so glücklich wie ein kleines Kind und kraulte dem maunzenden Baby über sein buschiges Köpfchen. „Ich glaube, es heißt Happy End. Das letztgeborene und das einzige, was aussieht, wie sein Vater. Schau mal, Eleseus, ist es nicht süß? Es hat ganz dunkle Augen. Und diese kleinen Pfötchen!“ „Sehr süß“ murmelte er, ohne hinzusehen. Diese Anwandlungen bei Tierbabys kannte er zu genüge. Die waren alle süß und niedlich und das tollste Ding weit und breit. „Du guckst ja gar nicht“ muckschte er und setzte sich das Schnuckelchen auf den Schoß, um es ganzkörper zu kraulen. „Nie guckst du, wenn ich dir was zeige.“ „Ich habe eben nur Augen für dich.“ „Aaaaaaach, du kannst so lieb sein“ quietschte er und schmiegte sich noch dichter an ihn. Und Sethos grinste sich einen. Es war so leicht, seinen Gott zu verzücken. „Guten Morgen, ihr Lieben“ lächelte er dann auch mal die anderen an und blickte um die Ecke zu Phoenix herum. „Guten Morgen, Spatz. Geht es dir etwas besser?“ „Ähm ... ja.“ Okay und wie begrüßte man nun formgerecht einen fleischgewordenen Gott? Den höchsten Gott von allen? Den Sonnengott, über den man so viele Legenden und Gesänge gedichtet hatte? Ob er ihm auch die Hand küssen musste - nein durfte? „Das ist schön“ antwortete er heiter. Als Amun-Re schien er gar nicht zu erwarten, dass man niederkniete oder etwas ähnliches. Ihm war ein Augenblick der Aufmerksamkeit genug und nervöse Menschen triezte er grundsätzlich nicht. Für Phoenix ein sehr angenehmer Zug, da er ihm jetzt in seiner Aufgewühltheit nicht näher kommen musste. „Sag, ist das nicht das süßeste Katzenbaby, das du je gesehen hast?“ strahlte er und wuschelte das wild schnurrende Katzenkind. „Es ist so niedlich. Die Natur bringt so wundervolle Geschöpfe hervor.“ „Du findest ja sogar Regenwürmer niedlich“ brummte Sethos. „Sind sie auch“ verteidigte er sich. „Sie sehen vorn aus wie hinten. Faszinierend, dass sie selbst wissen, wie rum sie gehören. Ich wäre wahrscheinlich total verwirrt, wenn ich einem anderen Regenwurm begegnen würde.“ „Noch verwirrter als du ohnehin schon bist?“ „Sollst du mich ärgern?“ schimpfte er und klatschte ihm spaßhaft auf den Arm. „Und du sollst keine Tierbabys entführen“ brummelte er in seinen Becher hinein. „Du musst es wieder zurückgeben, mein Gott.“ „Ich weiß“ seufzte er und knutschte das weiche Wollviech. „Ach, Katzenbabys riechen so süß. Aber ich hab’s nicht entführt“ wehrte er etwas spät ab und sah ihn beteuernd an. „Es lief ganz allein herum. Ich hab’s nur aufgesammelt. Es hat doch Angst so allein.“ „Du bist doch wirklich zu mitfühlend“ seufzte Sethos halb resignierend, halb verliebt. Sein Gott war im Herzen so gut, dass es schon fast wieder unnütz war. „Das Kätzchen und ich haben Freundschaft geschlossen“ lächelte er und lehnte sich an seinen Priester, streichelte die fellkrausen Öhrchen. „Jetzt geht es uns beiden gut und es hat keine Angst bis es seine Mutter wiederfindet.“ Das Dramatische war, dass Amun-Re dies wirklich ernst meinte. Er fühlte mit dem Fellknäuel und schenkte ihm mehr Liebe als es verstehen konnte. So wie die Sonne jeden Tag auf die Erde schien, so selbstverständlich war seine Liebe an jedes Lebewesen gerichtet. „So lang ist es ja bei dir gut aufgehoben.“ Sethos wusste, ihm zuzustimmen, war immer eine gute Wahl. Und er konnte sich nicht dagegen wehren, dass diese liebevolle Selbstverständlichkeit sein so abgeklärtes Ego immer wieder beeindruckte. Genau das war es, was ihm so fehlte, wenn er von ihm getrennt sein musste. Die Erinnerung daran, dass jedes Lebewesen ein angeborenes Recht auf bedingungslose Liebe besaß. Eine Liebe, welche in ihrer Selbstverständlichkeit ganz besonders war. Ob es sich dabei um den ersten Sohn eines dunklen Gottes oder um ein davongestolpertes Kätzchen handelte, tat für ein Herz wie die Sonne keinen Unterschied. Beide genossen seine Anwesenheit. Sethos so sehr, dass er seinen Arm um ihn legte und ihm einen liebenden Kuss in sein blondes Haar hauchte. „Ich liebe dich so sehr“ flüsterte er ihm leise zu. „Ich liebe dich auch“ antwortete er und seufzte wohlig in dem starken Arm. Aber dann blickte er zu ihm hinauf und setzte einen besorgten Blick auf. „Darling, ist dir nicht kalt?“ „Eigentlich nicht.“ Kälte und Hitze hatten bei ihm weniger Auswirkung. Sicher fror oder schwitzte er auch mal, aber wesentlich später als normale Menschen. „Ist dir denn kalt?“ „Ein bisschen“ erwiderte er ehrlich. „Nicht so schlimm, aber du hast ja kaum was an. Ich meine ...“ „Ich hole dir eine Decke“ beschloss er und drückte Seto neben sich den halbleeren Becher in die Hand. Den Fakt, dass seinem Gott unwohl war, konnte er so nicht stehen lassen. Ihm durfte es doch an nichts mangeln. „Nein, das meinte ich doch gar nicht“ versuchte Amun-Re ihn zu stoppen. „Ich meine, ich will nicht, dass dir kalt ist.“ „Ebenso will ich nicht, dass du dich erkältest. Streichle du nur weiter dein Kätzchen und ich hole dir eine Decke.“ „Lieber wäre es mir, du würdest dir selbst etwas anziehen“ schlug er vor. „Ich mag es ja, deinen Körper zu sehen, aber mir wird ganz kalt, wenn du nichts anhast.“ „Schade. Ich dachte immer, dir wird dann warm.“ Mit einem kleinen Zwinkern signalisierte er, dass er wohl auch anderen Wärmequellen durchaus nicht abgeneigt wäre. „Natürlich“ lächelte er erfreut. „Aber bitte kleide dich an. Auskleiden werde ich dich dann später. Tu mir den Gefallen.“ „Ganz wie du wünscht“ gab er sich geschlagen und blickte zu Seto zurück. „Hättest du etwas dagegen?“ „Wenn du dir was anziehst?“ guckte der etwas planlos. „Nein ... warum?“ „Ach, Eraseus“ schmunzelte er lustig. „Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“ „Ähm ...“ Anscheinend woanders. Er war dem Gespräch nicht wirklich gefolgt. „Hättest du etwas dagegen, mir Kleidung zu leihen? Du bist leider der einzige hier, dessen Hosen mir passen.“ Ja, so war das leider, wenn man Überlängen trug. „Ja, natürlich. Ähm ...“ Er stand auf und hielt ihm etwas ratlos seinen Kaffeebecher hin, den Sethos ihm eben in die Hand gedrückt hatte. Den sollte er ihm doch wohl nicht hinterherschleppen, oder? Der lächelte und nahm ihm das mittlerweile lauwarme Gebräu ab. „Vielen Dank.“ „Komm. Sehen wir mal, was wir finden“ meinte Seto und ging voran. Es würde schon irgendwas geben, was er Sethos leihen konnte. In Sachen Kleidung hatten sie glücklicherweise in etwa denselben Geschmack ... wobei Seto eigentlich meist die Sachen trug, die Yugi ihm rauslegte - auch wenn er das nie zugeben würde. „Und du?“ schaute Amun-Re das kleine Mietzekätzchen an, welches leise vor sich hinmaute. „Wollen wir mal deine Mama suchen gehen?“ Den anderen schwante es: Mit Sethos und Amun-Re auf einem Haufen würde es ganz sicher noch viele Überraschungen geben. Chapter 32 Die Tage vergingen und man nutzte die Zeit, um Atem zu schöpfen, seine Wunden zu lecken und Hoffnung für die kommende Zeit zu gewinnen. Und vielleicht auch, um Hilfe an Ecken zu suchen, wo man sich Vertrauen erhoffte ... Er hatte zwar angeklopft, aber auch wenn keine Antwort kam, wusste Tato, dass Yami Zuhause war. Zum Einen weil seine Zimmergenossen gerade mit einigen anderen im Wald verschwunden waren und zum Anderen sah er Licht durch die Fenster scheinen. Also wartete er nicht länger, öffnete die Tür und steckte den Kopf herein. „Yami?“ fragte er, als er ihn auch schon sah. Der saß ganz allein vor dem flammenknackenden Kamin und betrachtete mit betrübten Augen sein glänzendes Millenniumspuzzle in der einen Hand. Und an der anderen Hand bewegte er mit ruckenden Bewegungen seinen leicht gelähmten Finger hin und her. Tato kannte die Geschichte davon, wie er damals diesen kleinen Schaden davongetragen hatte, um Seths Leben zu retten und diese seelische Erfahrung auch in seinen zweiten Körper mitgetragen hatte. Sein Priester bedeutete ihm so viel, dass er für ihn ohne Zögern auch eine ganze Hand eingebüßt hätte. Aber nun stand gegen seine Liebe das Wohl der Menschheit. Er war so völlig in seinen Gedanken vertieft, dass er seinen Besuch gar nicht wahrnahm. „Bist du ansprechbar?“ Mit einer zweiten Ansprache drangen die Worte auch zu ihm durch und er blickte auf. Im ersten Moment wirkten seine Augen leer und niedergeschlagen, aber das währte nicht lang. Dann zeigte er ein Lächeln und legte den Kopf schief. „Na, Taschenterrorist?“ grinste er und ließ seine Kette los, sowie seine andere Hand sinken. „Hast du dich verlaufen? Yugi wohnt nebenan.“ „Ich weiß, aber der ist nicht Zuhause“ antwortete er, kam auch ohne Aufforderung herein und schloss die Tür hinter sich, um den Raum warm zu halten. „Warum sitzt du hier so allein? Haben die anderen dich nicht auch zu diesem dummen Sonnenuntergangsanguck-Quatsch mitgenommen?“ „Mir war gerade nicht danach“ antwortete er und winkte ihn näher. „Außerdem wäre ich sonst nicht in den Genuss deines Besuches gekommen.“ „Schleimer.“ „Setz dich. Oder wolltest du nicht zu mir?“ „Doch. Um ehrlich zu sein schon.“ Er setzte sich zu ihm auf den flauschigen Schafsteppich und blickte in die zuckenden Flammen des Kamins. Er brauchte nicht mal zu fragen, er wusste auch so, dass Yami seinen Seth vermisste. Er verheimlichte es zwar nicht, aber er gab sich viel Mühe, sich nicht runterziehen zu lassen. Dennoch. Wenn man in seinen Augen einen so hoffnungslosen Ausdruck sah, wollte man für ihn weinen. „Schön warm, oder?“ lächelte Yami und rutschte noch ein Stück näher ans Feuer. „Du solltest trockeneres Holz nehmen. Dann qualmt es nicht so.“ „Ach, der Abzug ist doch okay. Ich mag den Geruch von Glut“ antwortete er mit ruhiger Stimme. „Eigentlich ist das Feuer ein so wildes und gefährliches Element, was alles fressen kann. Aber wenn es so vor sich hinbrennt, wirkt es fast harmlos und gütig. Wenn es seine Wärme mit dem ganzen Raum teilt und Licht spendet. Vielleicht romantisiere ich das, aber das Feuer ist letztlich ein sehr zwiespältiges Element.“ „Ja“ stimmte er leise zu. „Hast du lange über diesen Vergleich nachgedacht?“ „Nein, fiel mir in diesem Moment ein. Eigentlich sind beide männlichen Elemente zwiespältig. Der Wind ist genauso. Ein lauer Sommerwind kann sehr angenehm sein. Oder ein klingender Abendwind, der verträumt durch die Blätter rauscht. Es kann aber auch einen Orkan geben, der Bäume entwurzelt und Gewitter über die Lande jagt. Ich mochte den heißen Wüstenwind, aber vor Sandstürmen hatte ich immer ein bisschen Angst. Schon komisch, was?“ „Wenn du meinst.“ Tato machte sich solche Gedanken nicht. „Ich glaube, du denkst zu viel nach.“ „Und du?“ fragte er zurück. „Willst du was Bestimmtes?“ „Kann ich denn nicht einfach mal so bei dir vorbeischauen?“ „Kannst du natürlich gern. Aber du bist nicht der Typ, der einfach nur mal so bei einem Trauerkloß wie mir vorbeischaut.“ „Du bist kein Trauerkloß“ erwiderte er und sah ihn sanft an. „Du bist vielleicht nicht so fröhlich, wie du es sein könntest, aber ein Trauerkloß ist was anderes.“ „Und du bist hier, um mich zu trösten?“ schmunzelte er zweideutig. „Ich meine, wir sind unter uns. Wir könnten uns mit ein bisschen Fummeln die Zeit vertreiben. Und wenn du dabei kommst, ist auch nicht schlimm.“ „Ya~mi.“ Tato stützte die Stirn in die Hand und schüttelte sein greises Haupt. Dieser Kerl war doch echt gnadenlos direkt und unverbesserlich. „War ja nur ein Angebot“ lächelte er. „Keine Lust auf Fummeln?“ „Nein, danke.“ „Dann vielleicht blasen? Seto macht das gern.“ „Yami, du redest über meinen Vater.“ Tato traf ihn mit seinen Blick und war doch etwas rot um die Nase. Sich seine Eltern bei so was vorzustellen ... nein, diese Bilder gehörten eindeutig nicht in seinen Kopf. „Ich dachte ja nur, dass du das vielleicht auch gern machst“ sagte er ihm in einem peinlich ehrlichen Ton. „Also, wenn du mal Lust hast, kein Problem. Vielleicht entdeckst du ja doch noch deine Lust auf Männer. Ich hab schon so manchen Kerl auf Abwege geführt.“ „Ich weiß schon, warum ich nicht mit dir allein in einem Raum sein wollte.“ Er schüttelte zwar seinen Kopf, aber er wusste auch, dass der alte Pharao das nicht so ehrlich meinte, wie er seine Entrüstung kundtat. Sicher würde Yami nicht sofort nein sagen, wenn er ihm ein unanständiges Angebot machte, aber letztlich würde er doch ablehnen ... oder nicht? „Yami, sag mal“ fragte er jetzt ehrlich interessiert zurück und sah ihn fest an. „Wenn ich sagen würde, ich will mit dir rummachen. Was würdest du tun? Ganz ehrlich jetzt.“ „Ganz ehrlich?“ überlegte er und musste ihn erst einen Moment anschauen, um zu seiner Antwort zu kommen. „Ich glaube, ein bisschen rumknutschen und fummeln würde ich schon. Aber nicht tief intim werden. Ich meine, hey, du bist ein echt schicker Kerl und bestimmt ziemlich spannend. Aber letztlich bist du Yugis Sohn. Ich würde nicht mal was mit dir anfangen, wenn du mich drum bitten würdest. Es sei denn, du willst mir doch einen blasen.“ „Nein, will ich nicht“ brummte er. Nette und ehrliche Antwort, aber den letzten Satz hätte er sich sparen können. „Und was willst du dann hier?“ lächelte er ihn getröstet an. Ein bisschen Drachenärgern steigerte seine Laune ungemein. „Oder ist dir nur langweilig?“ „Nein, ich wollte tatsächlich zu dir. Lach nicht, aber ich wollte gern deine Nähe spüren.“ Yami machte große Augen, aber ... „Nach lachen ist mir jetzt nicht. Eher wundere ich mich. Wir haben doch gar nicht Vollmond, dass du es so nötig hast.“ „Sag das nicht so ernst.“ War ihm schon peinlich genug, dass er ein Mal im Monat etwas wunderlich wurde. „Dabei suchst du zu Vollmond nicht mal die Nähe anderer. Erzählst du mir, warum du dieses merkwürdige Verhalten an den Tag legst und dich lieber zurückziehst? Kuscheln wäre doch angenehmer.“ „Nein“ antwortete er entschieden. Das würde er niemandem sagen. Er würde ja gern, in den Arm genommen werden. Aber dann bestand auch die Gefahr, dass ihn jemand in den Arm nahm, auf den er ‚anders’ reagierte. Und er konnte es nicht riskieren, sich von einer bestimmten Nähe hinreißen zu lassen und Dinge zu tun, die ihm hinterher leid taten. „Ist okay. Aber ich freue mich trotzdem“ nickte er und schlang die Arme um seine Knie. „Es ist schön, wenn du mir Gesellschaft leistest. Wir hatten noch gar nicht die Gelegenheit, uns näher zu unterhalten. Es ist immer so viel los. Ich glaube, wir haben die Gemeinsamkeit, dass wir uns im Augenblick beide gern etwas zurückziehen. Ich hab dich heute den ganzen Tag schon nicht gesehen.“ Nicht seit Tato sich gestern früh in seine Hütte begeben hatte und man hörte, er hätte sich wieder betrunken. Jedenfalls fehlten vier Flaschen Wein aus dem Lager ... „Ich hab meditiert“ erzählte er ganz offen. „Seit heute Morgen.“ „Warum?“ fragte er interessiert und mitfühlend zurück. „Geht’s dir nicht gut? Innere Unruhe? Oder ... verkatert?“ „Sozusagen.“ Er senkte seinen Blick auf das Feuer und spürte die angenehme Wärme sein Gesicht bestreichen. „Mein Rücken tut mir weh und meine Augen brennen. Die Beine sind schwer. Ich fühle mich, als würden Tonnen auf mir lasten.“ „Auf deinem Körper oder auf deiner Seele?“ „Letzteres“ gab er leise zu. „Ich fühle so viel Schweres in mir. So viele Sorgen. So viel Verantwortung. Es erdrückt mich. Mein Denken ist schwer.“ „Aber du willst nicht darüber sprechen.“ „Nein“ hauchte er und wagte keinen Blick auf. Es fiel ihm nicht leicht, um etwas zu bitten. Den Starken und Unverrückbaren konnte er gut hervorkehren. Aber seine schwachen Seiten, die hielt er lieber verdeckt. „Ich bin hier, weil ... ich ... ich wollte dich fragen, ob du ...“ „Okay.“ Aber Yami verstand ihn trotzdem. „Wie magst du es? Wo ist es dir angenehm?“ „Am Rücken“ antwortete er leise. „Na gut. Dreh dich um. Zieh dein Hemd aus, wenn du magst.“ Yami rutschte ein Stück herum und auch Tato folgte widerspruchslos. Immerhin hatte er ja darum gebeten. Tato zog tatsächlich seinen Pullover aus und auch das Shirt, welches er darunter trug. Er drehte Yami den Rücken zu, sodass das Feuer sie von der rechten Seite beide wärmen konnte. Er stützte seine Unterarme gemütlich auf die leicht angezogenen Knie, als Yami seine Beine links und rechts von ihm legte und einen Moment zögerte, bevor er ihm die Hände auf die Schultern legen konnte. An Tatos linkem Schulterblatt klaffte eine hellhäutige Narbe, welche dick und verwachsen war. Unter seiner Kleidung sah man es nie, aber es war ein schreckliches Ding, wie es halbmondförmig seinen Rücken besetzte. „Mein Flügel ist nur noch ein Stumpf“ antwortete er mit schwerer Stimme auf das überraschte Schweigen hin. „Es ist gut verwachsen und tut kaum noch weh. Kannst anfassen, wenn du dich nicht ekelst.“ „Armer Drache“ flüsterte er und legte ihm vorsichtig seine warmen Hände auf die harten Schultern. „Dein schöner Flügel ... dein inneres Gleichgewicht ...“ „Kein Mitleid, bitte“ antwortete er tonlos. Er war nicht gekommen, um rumzuheulen oder um bemitleidet zu werden. Zuhause wusste jeder, dass er eine schreckliche Narbe davongetragen hatte. Es beschämte ihn nicht mehr. Jedenfalls nicht solange ihn niemand bemitleidete. „Ganz tief atmen“ bat Yami und legte seine Stirn in Tatos Nacken, der genauso hart war wie sein ganzer Rücken. „Ich weiß.“ Er spürte, wie Yami sich an ihn lehnte, mit angenehm warmen Händen seine Schultern drückte und durch seine Nähe zwar ein wenig einengte, aber nicht im unangenehmen Sinne. Eher als würde jemand die Tür schließen, um die warme Luft nicht nach draußen fließen zu lassen. Es war, als würde sich allein durch diese gütige Nähe ein Schleier aus Ruhe über ihn legen. Und Yamis Nähe war so unglaublich angenehm. Die leichten Berührungen auf seiner Haut, sein warmer Atem, aber vor allem, seine hellen und so positiven Energien. Es fühlte sich an, als würde binnen Sekunden warmes Gold in ihn fließen und kaum hatte er es erfasst, zog sich das sonderbar vertraute Gefühl schon wieder zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so leicht öffnest“ flüsterte Yami und konnte nicht widerstehen, ihm einen seichten Kuss in den Nacken zu setzen. „Ich sehe, ich muss vorsichtig mit dir umgehen ...“ Tato sagte nichts dazu, sondern atmete ganz tief ein und wieder aus. Langsam. Die Wärme auf seinem Rücken tat gut. Sie entspannte seine Muskeln und er fühlte, wie sich die Steine auf seinen Schultern langsam auflösten und gleich feinem Sand von ihm abrieselten. Seine Seele erleichterte sich ... „Du bist ganz verhärtet. Kein Wunder, dass deine Seele schwer ist“ hauchte Yami und streichelte beide Hände langsam seinen Rücken hinab. „Entspanne dich. Gib dich ganz hin. Deine Energien sind bei mir in guten Händen.“ „Ich weiß.“ Er senkte seinen Kopf und hatte keine Furcht vor ihm. „Danke, Yami.“ „Bedanke dich hinterher.“ Er fühlte tatsächlich, wie dunkel und schwer, aber auch wie unruhig es in Tato zuging. Er konnte die widersprüchlichen Gefühle in ihm zwar nicht wörtlich lesen, aber er spürte sofort, dass er sehr lange sehr viel in sich aufgestaut hatte. Wie in einem Staudamm hatte er alles Gute wie Böse in sich gespeichert und konnte nun durch Selbstmeditation weder Ruhe noch Erleichterung finden. Dazu brauchte es schon einen Pharao, der da mal vorsichtig eingriff. Es war wie ein Geschwür, welches wie von selbst wuchs und nur durch einen anderen entfernt werden konnte. Ein mächtiger Magier zu sein, war sicher für viele Menschen ein Traum. So große Kraft zu besitzen, anderen Lebewesen hoch überlegen zu sein, Geheimnisse zu kennen und Dinge zu sehen, welche andere nicht mal ahnten. Aber Tato hatte sich das ebenso wenig ausgesucht wie jeder andere Magier. Als Hexer konnte man sich wenigstens noch entscheiden, ob man seine Kraft leben wollte oder sie absterben ließ. Als Magier hatte man keine Wahl. Man war je nach Begabung angefüllt mit Energien, die sich selbst potenzierten. Und ein Magier wie Tato musste es ausleben, sonst würde er platzen. Und da seine Energien, seine angeborene Kraft von selbst nachwuchs, ungeachtet seiner seelischen Verfassung - es war mehr ein Fluch als ein Segen. Deshalb war Meditation und klares Denken so wichtig für einen Magier dieser Größenordnung. Doch selbst jemand wie Tato musste um Hilfe bitten, wenn er mit sich selbst nicht mehr fertig wurde. Sonst forderte seine Magie irgendwann ein, was ihr zustand - und dann würde sein Wille nicht mehr viel zur Sache tun. Entweder er explodierte und fügte anderen Schaden zu oder er wählte den anderen Weg. Er implodierte und schadete sich selbst. Yami hatte nur in Geschichten davon gehört, dass gestaute Magie so stark anwachsen konnte bis es zum Tode des Magiers führte. Daran zu glauben, fiel ihm lange schwer. Doch als er damals für Seth die erste Energieordnung vollzogen hatte, seitdem glaubte er daran. Und er mochte sich nicht vorstellen, was für ein qualvoller Tod es wäre, wenn man von der eigenen Magie vergiftet wurde. Okay, so weit war es bei Tato noch lange nicht. Aber wenn er spürte, was unter seiner Haut, auf seiner geistigen Ebene rumorte, so war es kein Wunder, dass er Trost im Alkohol suchte, der ihn für kurze Zeit betäuben konnte. Die meisten Energien ballten sich in seinem Rücken. Von seinem Nacken hinab bis zum Steißbein, bevor es sich im übrigen Körper verlief. Vor allem spürte Yami ein Ungleichgewicht, welches ihn selbst allein beim Nachspüren in eine geistige Schieflage ziehen wollte. Tatos rechte Seite wog schwer wie Blei, während seine linke Seite fast hohl schien. Die Seite, auf welcher sein Drachenflügel noch existierte, dort ballte sich all sein Denken und Fühlen. Ein Zeichen dafür, dass der Sato in ihm nach Macht und Kraft hungerte. Auf der linken Seite, wo Rah ihm aus Risas Lebensenergie einen Flügel aus Gold geschenkt hatte, dort schimmerte es nur schwach durch einen Wust von Schatten hindurch. So schwach, dass er die helle Seite, die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit nur noch erahnen konnte. Er war mit sich selbst in so quälender Ungewissheit. Außerdem beschwerte es ihn auch körperlich. Seine linke Seite fühlte sich weich an, fast ein wenig wabbelig. Dieses schwammige Gefühl zog sich von seinem Schulterblatt aus über den Nacken in den Kopf, über den Arm bis in die Fingerspitzen und bis hinab ins Bein. Nicht äußerlich, rein innerlich gefühlt. Während auf der rechten Seite Striemen zu erkennen waren. Wie Stahlstreben zogen sie sich schnurgerade über den ganzen Rücken, stachen in seinen Kopf und beschwerten Arm, sowie Bein. Seine Energien waren beinahe völlig getrennt voneinander. Kein Wunder, dass er körperlich und geistig wankte. Ein Wunder, dass er nicht völlig schizophren war. Ja, ein echtes Wunder an Willenskraft. Es wurde aller höchste Zeit, dass sich ein Energieexperte das mal ansah. Aller höchste Zeit, dass ein Pharao mal die Ordnung reinbrachte, die er selbst verloren hatte. Dass sich dann die Tür öffnete und sie Besuch bekamen, war da eigentlich gerade nicht so willkommen. Als Balthasar die beiden überraschend zusammensitzen sah, hatte er zwar schon die Tür zugeworfen, aber er stoppte, bevor er sich auf sein Bett schmeißen wollte. Immerhin wohnte er auch hier in der Hütte. „Störe ich euch?“ fragte er vorsichtig und senkte gewahr vor einem Donnerwetter den Kopf. „Nein. Komm rein“ erwiderte Tato ruhig, aber er hob seinen Blick nicht, öffnete nicht mal die Augen. „Störe ich euch wirklich nicht?“ „Was ist los?“ fragte er seicht zurück. Obwohl Yami gerade mitten in seinen Energien fuhrwerkte, schien er problemlos ansprechbar zu sein. Körperlich war er wohl gerade etwas irritiert, aber geistig war er fast voll da. Wohl auch deswegen, weil Yami bei ihm nicht mit der groben Kelle zuschlug, sondern sich ganz langsam durch ihn hindurchwühlte. Aber an seiner Stimme war zu hören, dass er ungewöhnlich ruhig und seicht war. Einen bissigen Kommentar konnte er spontan wohl kaum formulieren. „Du bist betrübt. Das kann ich spüren, Balthasar.“ „Dass du deine Empathie gerade nicht unter Kontrolle hast, nehme ich dir jetzt mal nicht übel.“ Sollte wohl auch als Ja zu übersetzen sein. „Schön, dass du Sethans Rat doch befolgst und dich ordnen lässt.“ „Ärgere mich bitte später“ bat er ohne Groll. Er war vielleicht ansprechbar, aber im Augenblick viel zu entspannt, um einer bestimmten Gefühlsregung nachzugehen. Nicht solange er vom Pharao persönlich geleitet wurde und kein Gefühl empfinden konnte, welches der ihm nicht erlaubte. Und im Augenblick war Yami ganz und gar bei ihm, entspannte ihn und schaffte es hoffentlich auch, ihn zu erleichtern. „Okay“ lächelte Balthasar und sah den ungewohnt sanften Drachen mit schweren Augen an. „Kann ich mich später noch mal bei ...?“ „Komm schon her.“ Mit sanfter Stimme bat er ihn heran und blickte erst auf, als Balthasar sich zu ihm auf den Boden gesetzt hatte und die Wärme des angefachten Kaminfeuers spürte. In den blauen Augen des Drachens lag so ungewohnt offene Liebe, Sorge und Zuneigung. Ein Blick, der bei ihm wahrlich selten war. Ganz offensichtlich tat ihm die Energieordnung sehr gut. „Was ist los mit dir, Großer? Warum bist du so betrübt?“ „Ich hab mich mit Spatz gestritten“ erzählte er und wand seinen traurigen Blick ins Feuer. „Mal wieder“ ergänzte Tato mitfühlend. „Worum ging es dieses Mal?“ „Das Übliche“ seufzte er und schlang seine Arme um die Knie. „Er hat mir vorgeworfen, ich würde ihn nicht verstehen. Ich würde ihn nur als Medium brauchen, aber als Mensch sei er mir egal. Dass ich auf ihn herabblicke ... Asato.“ In seinen Augen sammelten sich Tränen und obwohl Yami in seine geistige Arbeit vertieft war, stutzte er. Das war ein ziemlich privates Gespräch, dessen Zeuge er wurde. Dass es zwischen Balthasar und Phoenix nicht völlig harmonisch war, hatte man recht schnell erkannt. Als Team kämpften sie hervorragend zusammen, aber als Brüder waren sie sehr distanziert. Anscheinend war Tato darüber bereits im Bilde und Balthasar lag das schwer auf der Seele. Schwerer als Yami vermutet hatte. „Du weißt, seine Vorwürfe gehen nicht gegen dich“ tröstete er und senkte seufzend seinen Kopf. Die goldene Wärme floss seinen Rücken hinauf und er musste sich Zeit nehmen, um tief zu atmen, bevor er weitersprechen konnte. „Er ist in Zwiespalt mit sich selbst, nicht mir dir.“ „Aber warum sagt er es dann immer wieder?“ fragte er traurig. „Ich weiß, dass ich keine Schuld daran habe, dass er kein richtiger Junge ist. Ich hab auch keine Schuld daran, dass er keine Magie geerbt hat. Und dass Vater ihn ignoriert, dafür kann ich auch nichts. Aber ... aber ...“ „Balthasar“ bat er mit sanfter Stimme, als dem die Worte stockten. „Es ist nicht deine Schuld. Nichts davon. Dein Bruder ist nur einfach verletzt und er ist neidisch auf dich. Wir wissen, dass du mit deiner Rolle im Leben auch haderst, aber er sieht das nicht. Er sieht dich an und sieht dabei nicht seinen geliebten Bruder, sondern nur einen Mangel an sich selbst. Wenn er schimpft, so schimpft er nicht auf dich. Er ist nur traurig, dass dir Wünsche erfüllt wurden, die er selbst hat. Dass du dir dein Schicksal nicht ausgesucht hast, daran denkt er nicht.“ „Ich weiß. Das hast du mir schon so oft gesagt. Und dennoch ... Asato.“ „Seine Worte verletzen dich. Ich weiß.“ Er fühlte ja mit ihm. Er wusste, wie schwer es für ihn war, die Vorwürfe seines Bruders auszuhalten. „Ich kann dich verstehen.“ „Dass er traurig ist, weiß ich ja“ sprach Balthasar selbst traurig weiter. „Aber ich habe ihm doch nichts getan. Ich liebe ihn. Egal, ob er mein Bruder oder meine Schwester ist, ob er krank oder gesund ist oder sonst was. Ich will ihm gern noch näher stehen, aber er stößt mich immer weg. Wie soll ich ihm denn verständlich machen, dass er nicht nur mein Medium, sondern mein Bruder ist, wenn er mir ständig Vorwürfe macht?“ „Er ist ein sehr emotionaler Mensch. Vielleicht noch emotionaler als du“ sprach er mit eintöniger, entspannter Stimme. „Hab Geduld mit ihm. Ich weiß, es ist nicht leicht. Du hast selbst schwer zu tragen, aber bitte finde Verständnis für ihn. Er ist in einer Phase, in welcher er weder weiß, wer er ist noch was er eigentlich will. Aber wenn du geduldig und ruhig zu ihm bist, wird er irgendwann erkennen, was er dir bedeutet. Und du bedeutest ihm auch etwas. Das weiß ich.“ „Das sagst du so leicht. Eine Weile kann ich das ja noch verstehen, aber er verletzt mich trotzdem. Meine Sorgen sind ihm völlig egal.“ „Das glaube ich nicht. Er sieht dich als stark an, deswegen ist er neidisch. Du bist sportlich, hast eine hübsche Freundin, hast große Magie. Im Augenblick sieht er weniger den Menschen in dir als aaaaahhhhhh.“ Er kippte leicht nach vorn und stöhnte mit einem entrückten Atem. Yami hatte seine Hände langsam zurück gezogen und dehnte seine Energien wie Kaugummi, bevor er seine Handflächen zurück auf den weicher werdenden Rücken legte. „Yami, muss das sein?“ fragte er außer Atem. „Du weißt doch, dass so was für dich anstrengender ist als für mich“ erwiderte er, aber er musste doch ein wenig lächeln. Tato stöhnen zu hören, war doch fast Lohn genug für seine Arbeit. „Ich bin eigentlich auch fertig“ meinte Balthasar, dem er doch ein wenig peinlich war, seinen Ersatzvater so zu hören. „Danke, dass du mir zugehört hast. Ich ...“ „Ich werde mit ihm sprechen“ versprach Tato und wollte ihn nicht mit so einem schweren Herzen ziehen lassen. „Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, werde ich Phoenix darauf ansprechen und sehen, ob ich zwischen euch schlichten kann.“ „Das wäre lieb von dir“ bedankte er sich mit gesenktem Kopf. „Auf deine Meinung gibt er wenigstens was. Oder denkst du, ich gehe wirklich so falsch mit ihm um? Dass es wahr ist, dass ich ihn missbrauche.“ „Du missbrauchst ihn nicht. Würdest du jemand anderen als Medium wählen, wäre er auch beleidigt. Du weißt, ich beziehe nicht gern Stellung zu einem von euch, aber in diesem Falle muss ich dir Recht geben. Ich kann Phoenix’ Gefühle verstehen, aber seine Vorwürfe sind nicht gerechtfertigt. Du machst nichts falsch.“ „Danke“ flüsterte er traurig. „Dass du das sagst, bedeutet mir viel.“ „Und so was aus deinem Munde“ lächelte er und schenkte ihm einen Blick aus leuchtend blauen Augen. „Vielleicht sollte ich öfter was auf dein Wort geben. Alter macht weise.“ „Frechdachs“ schmunzelte er zurück. Yami sah, seine Beziehung zu Balthasar war anscheinend auch eine ganz spezielle. Er war nicht sein leiblicher Sohn, aber in seinem Herzen hatte er ihn adoptiert. Auch wenn sie sich gern gegenseitig auf die Schippe nahmen, hatten sie sich doch lieb und dieses Gespräch zeigte, dass auch Balthasar eine schwache Seite hatte, die er sich von Tato als Vaterfigur stärken ließ. Es war schön anzusehen, dass Seths Söhne einen so zärtlichen Fürsprecher hatten, an dem sie sich orientieren durften. Er fühlte in Tatos Energien, dass er für beide Jungen nur zärtliche, liebevolle und schützende Gefühle hegte. Es war Wärme, die er ihn ihm fühlte. Er liebte sie beide. Er liebte sie sehr. „Danke. Jetzt fühle ich mich etwas besser“ lächelte Balthasar, stand auf und strich sich seine Hose glatt. „Ich werde mal sehen, ob Jonnys Tanzstunde mittlerweile beendet ist.“ „Sag ihm, wenn Sari wieder Muskelkater hat, stehe ich bei ihm auf der Matte.“ „Ich dachte, dann steigst du ihm aufs Dach“ scherzte er zurück, nahm sich dieses Mal eine dickere Jacke mit und war schon auf dem Weg hinaus. „Sei lieb zu meinem Alterchen, Ati.“ „Sieh zu, dass du wegkommst“ grummelte Tato, der sich im Augenblick gemeiner Weise nicht richtig zur Wehr setzen konnte. „Er vertraut dir wohl sehr“ sprach Yami, nachdem Balthasar die Tür hinter sich geschlossen hatte und sie wieder allein ließ. „Als er eben reinkam, sah er aus als wäre ihm zum Heulen zumute.“ „Das alles belastet ihn auch“ atmete Tato und senkte erschöpft seinen Kopf. So langsam laugte es ihn aus, fremdgeleitet zu werden. „Ich bin froh, dass er darüber sprechen kann und es nicht mit sich selbst ausmacht.“ „Nicht so wie Seth und du“ seufzte er und lehnte sich weit vor, um die gereinigte Energie in seine Arme zurückzubringen und seine Staudämme zu lösen. „Danke Tato.“ „Wofür?“ keuchte er und riss sich zusammen, um nicht noch ein zweites Mal laut aufzustöhnen. „Dafür, dass du dich der beiden annimmst. Ich glaube, sie sehen in dir einen Vater, den niemand ersetzen kann.“ „Du kümmerst dich in unserer Zeit aber auch viel um sie. Ich bin nicht ... hhaaahh ... nicht der Einzige. Meine Fürsorge ist rein ... hhaahh ...“ „Streng dich nicht so an“ beruhigte er und massierte seine neu vermischten Energien sanft tief in den Körper zurück. „Mein Tadashi war nur ein halbes Jahr jünger als die Zwillinge“ erzählte Tato mit keuchender, betrübter Stimme. „Als er damals starb ... ich glaube, ich habe nur einen Ersatz gesucht. Meine Fürsorge ... ist selbstsüchtig.“ „Selbst wenn. Es ist gut so“ meinte Yami liebevoll. „Du hast deinen Sohn verloren und sie brauchten einen Vater. Die Gründe für eure Zuneigung zueinander sind vielleicht traurig, aber ihr habt euch dadurch gefunden. Du darfst das nicht so negativ sehen. Eure Form der Liebe ist gut so. Und jetzt leg dich vorsichtig hin.“ Er stützte Tato mit beiden Armen als der mit schwerem Atem auf den weichen Teppich sank und sich mit dem Rücken zum Kamin legte. „Ich hab getan, was ich konnte, aber jetzt ruh dich aus und lass die Gedanken an dir vorbeiziehen.“ Tato war erschöpft und kraftlos, obwohl er sich rein äußerlich kaum bewegt hatte. Aber Yami wusste, dass die Ordnung von so starken Energien für deren Besitzer sehr anstrengend und aufwühlend war und letztlich musste er jetzt ein wenig ruhen, um neue Kraft zu schöpfen und hinterher ausgeglichen zu sein. Eigentlich war es das, was ein Mal im Monat zu einer bestimmten Mondphase geschah, aber anscheinend brachte der Mond für Tato keine Erleichterung mehr. Yami hatte gespürt, wie unrein er mit sich selbst war und wie viel Energie er von sich wegschob, aber nicht los wurde. Ihm fehlte im Augenblick die seelische Stärke, um sich selbst zu verstehen. Yami fühlte sich doch verantwortlich für seine momentane Erschöpfung und breitete eine wärmende Wolldecke über seinem nackten Oberkörper aus. Da Tato mit verklärten und müden Augen in den Raum hineinblickte, wollte er ihn auch nicht foppen und sich zu ihm kuscheln. Das wäre ihm sicher nicht recht, auch wenn es durchaus verlockend war, sich an diese entblößte Brust zu schmiegen. „Danke, Yami“ seufzte Tato, als der sich nur vor ihn legte und ihn aus liebevollen Augen anblickte. „Ich fühle mich viel leichter.“ „Im Moment siehst du eher so aus als wärst du gaaaaaanz schwer“ lächelte er. Armer Drache, völlig fertig. „Nur körperlich. Seelisch geht es besser“ lächelte er zurück. „Danke, Yami. Ich bin dir was schuldig.“ „Ach was. Ich fühle mich geehrt, dass du deshalb zu mir kommst. Du hättest auch zu Sethan oder Yugi gehen können.“ „Papa ist reiten gegangen“ rechtfertigte er sich müde. „Und Sethan ... ich möchte nicht, dass er sieht, wenn ich Probleme habe.“ „Warum nicht? Schämst du dich vor ihm? Ich glaube, er sieht es doch, wenn du unausgeglichen bist. Ich glaube, er weiß mehr, als wir alle denken, was er weiß.“ „Darum geht es nicht“ seufzte er und schloss seine schweren Augen. „Ich bin hier, um ihn zu unterstützen. Was wäre ich für ein Priester, wenn ich ihm die Ohren vollheule? Er soll sich auf mich verlassen können ... auch wenn ich öfter mit ihm schimpfe. Vielleicht müsste ich das ändern ... das viele Schimpfen.“ „Du meinst es ja nicht böse.“ „Dennoch“ atmete er betrübt. „Ich kann manchmal ein ganz großes Ekel sein. Und häufig ekele ich Leute an, die es gar nicht betrifft. Eigentlich sollte ich mich mehr um Sethan und Sareth kümmern ... und mich weniger mit mir selbst beschäftigen.“ „Du wirst das schon richtig machen“ lächelte er entzückt. „Und sobald du ausgeruht bist, siehst du auch wieder klarer. Mach dir nicht so viele Gedanken. Nicht jetzt.“ „Okay“ seufzte er und sank ganz locker in sich zusammen. „Erzähl das bloß keinem.“ „Hey. Du sprichst mit mir. Du kennst mich doch.“ „Eben.“ „Na gut.“ Mit einem Lächeln rutschte er zu ihm heran und kuschelte sich zwar nicht allzu dicht an ihn, aber nahe genug, um seinen ruhigen Atem zu hören. Wenn er so entspannt vor dem Feuer lag, war er fast ein anderer Mensch. Dass aus dem kleinen, fröhlichen und neugierigen Tato mal so ein grober und doch feinfühliger Mann wurde, wer hätte das gedacht? Und dennoch wurde Yami das Gefühl nicht los, dass er momentan nicht er selbst war. Aber er war zum Glück nicht vollkommen nach Seto geraten. Zwar hatte er Probleme und davon viele, aber er suchte sich auch Hilfe, bevor er gar nicht mehr konnte. Man konnte ihn biegen, aber brechen konnte man ihn nicht. Wobei Yami sich fragte, ob ein ewig gebogenes Leben überhaupt lebenswert war. Chapter 33 So, endlich hatte er sie wieder alle beisammen. Seit Happy End vor einigen Tagen bei Amun-Re verloren gegangen war, hatte Mokuba diesmal echten Grund zur Eifersucht. Denn seitdem liefen die Katzenkinder immer mehr zu dem beurlaubten Sonnengott hin, anstatt bei ihm um Streicheleinheiten zu wetteifern. Happy blieb zwar treu bei ihrem Herrchen, aber die Kleinen fanden den neuen Typen einfach viel zu interessant. Und Amun-Re tobte gern mit ihnen herum, streichelte sie und die erste, von Valentine erlegte Maus hatte man auch ihm geschenkt. Er hatte einfach ein Händchen für Tiere. Gegen ihn wurden alle anderen langweilig. Da ging es Mokuba und Seto ähnlich. Denn auch Setos Kinder interessierten sich mehr für ein Spiel mit ihm als für die langweiligen Alten. Wie hatte Seto es so brummig ausgedrückt? Amun-Re ist die Verkörperung des Kindergartens. Stimmte auffällig. Doch jetzt hatte Mokuba es tatsächlich geschafft und seine drei Katzenkinder eingesammelt, ins Körbchen gesteckt und behielt sie im Haus. Draußen regnete es ja auch in Strömen und Happy hatte mehr Lust darauf, mit ihm gemeinsam vor dem Computer zu sitzen und Spider-Solitair in der zweiten Schwierigkeitsstufe zu spielen als sich draußen nassnieseln zu lassen. Wobei sie es da mehr aufs Kraulen angelegt hatte als darauf, das Solitärspiel korrekt zu lösen. War doch schön, wenn die Kinder im Bett waren und sowohl sie als auch Mokuba Strohwitwer waren und damit endlich wieder Zeit für ausgiebiges Kraulen hatten. Hello war nämlich ebenso verschwunden wie Noah - nur hoffentlich nicht beide zusammen am selben Ort, denn das gäbe Mord und Totschlag. Wobei er sich schon fragte, wo Noah die ganze Zeit steckte und nicht mal seinen Laptop dabei hatte ... Happy schnurrte mit heller Stimme und Mokuba seufzte wohlig als sie begann, seinen Finger mit ihrer rauen Zunge zu lecken. Sie war wirklich das Beste, was er jemals geschenkt bekommen hatte. „Ich hab dich so lieb, Süße“ lächelte er und beugte sich zu ihr, wo sie gleich nach Katzenart seine Nase anstupste und einen kalten, feuchten Punkt daraufsetzte. „Mau“ antwortete sie ihm leise und machte nur eine kleine Bewegung mit ihrer Pfote, worauf ein lachendes „AAAAHHHHHAAAHHHHHAAAAA!“ aus dem Laptop drang und sie kreischend auf- und fortspringen ließ. Sie brachte sich auf der vier Meter entfernten Couch neben dem Kinderkörbchen in Sicherheit und sah mit großen, fragenden Augen zurück, wo plötzlich dieser Lärm hergekommen war. Das war doch nicht das leise Klicken von Herrchens Kartenspiel! Vor allem hörte das laute Lachen gar nicht auf, was Mokubas ebenfalls erlittenen Schock nicht eben besser machte. „Meine Fresse, was’n Lärm!“ schimpfte er, drückte die Lautsprechertaste und drehte den Lachsack mal runter, bevor er zu irgendwas anderem in der Lage war. Unten auf der Leiste sah er, dass Happy anscheinend ein zusätzliches Fenster geöffnet haben musste, was den Krach erklären konnte. Er ließ das Ding hochfahren und erkannte zu seinem Erstaunen ein Wohnzimmer. In der Ecke stand ein kleiner Tisch mit angebissenen Sandwiches und seitlich war eine geöffnete Tür zu sehen. „Was soll das denn? Schon wieder ne neue Big Brother Staffel?“ fragte Mokuba sich laut. Sah aus wie eine Webcam, aber wohin bitte hatte er da gerade ne Verbindung hergestellt? Doch doof war er ja nicht und so kam er recht schnell hinter die Bedienung. Mit den Pfeiltasten konnte er nach Belieben in der Gegend herumschauen und mit den Zahlen 1 und 2 konnte er heran oder weiter weg zoomen. Unten gab es sogar ein Textfeld wie im Chat, aber die Kamera fand er erst mal interessanter. Zumal er sehen wollte, wer da eben so lachend geschrieen hatte. So langsam hatte er das ganze Wohnzimmer abgescannt, aber bekannt kam ihm das nicht vor. Die Wände in hellem Orange mit grünen Bordüren und passenden Seidenvorhängen. Wirkte irgendwie sommerlich modern wie aus einem Schöner Wohnen - Katalog. Nur der weiße Flokati auf den hölzernen Dielen war ein wenig übertrieben. Wenigstens passte der zu dem weißen Flauschsofa. Ein ziemlich ausgefallener Wohnstil, selbst für Mokubas Geschmack. Aber es musste noch irgendwo jemand anwesend sein. Er hörte ein leises, hektisches Atmen und Kichern. Und neugierig wie er war, scannte er weiter das Zimmer. Jedoch ohne etwas zu finden. „Komm schon, wo bist du?“ Jetzt war sein Jagdtrieb geweckt. Irgendwo musste sich doch der Bewohner dieses ausgefallenen Zimmers aufhalten! Und tatsächlich fand nicht er ihn, sondern Happy. Auch sie war neugierig und sprang zurück auf den Tisch, um nach Mokubas klickender Hand zu schnappen. „Happy. Nicht jetzt.“ Erst als er seine Finger vom Touchpad wegzog, fiel der Zoom nach unten und fand die Person, die dort atmete. Um genau zu sein, waren es zwei Personen. Der eigentliche Schock allerdings, dass Mokuba eine davon kannte. Er wollte es nicht glauben, aber dort unten lag doch tatsächlich James in den Armen eines fremden Mannes! Das gab’s doch gar nicht! Er war in verboten enger Jeans gekleidet mit einem weißen, ärmellosen Rüschenhemd. Sein rotgefärbtes Haar schien gar nicht richtig frisiert zu sein und irgendwie wie feucht vom Duschen. Selbst Make-Up hatte er scheinbar nicht drauf. Und der Typ neben ihm war ähnlich locker und noch mal viel besser aussehend. Ein tief gebräunter, kräftiger Kerl mit breiten Schultern und tollen Oberarmen. Ein Hemd trug er keines, aber dafür eine dunkelblaue Lederhose. Sein blondiertes Haar unterstrich nur seinen knackigen Sonnenstudio-Hautton. Wenn der nicht schwul war! Über den Schock kam Mokuba kaum dazu, sich zu wundern. Da lag also James völlig aus der Puste auf dem Boden vor dem Sofa und wurde von einem Beachman in Armen gehalten. Aus seiner Starre erwachte der Voyeur erst, als der blondierte Kerl seinem James in die Seite stach und ihn lauter kichern ließ. Er wand sich in den viel kräftigeren Armen und kam nicht unter ihm heraus. Wahrscheinlich war er so aus der Puste, weil die beiden herumtollten. Trotzdem ... was sollte das? „Ähm ... James?!“ fragte Mokuba laut. Vielleicht hörte man ihm am anderen Ende ja. Aber er bekam keine Antwort. Schien eine einseitige Verbindung zu sein. „Whua! So late!“ war alles, was Mokuba hörte. Er sah wie James aufsprang und dabei gleich einen Korb voll Wäsche vom Sofa mitnahm. „Colin! You planned to return latest five. Didn’t you say?” „Hmmmm” lächelte der schwule Fremde ihn an und zwinkerte ihm zu. „Playin’ with ya’s much mo’ fun than seein’ Mommy.” „Playing?” Mokuba fiel gleich vom Stuhl. Er erwischte James doch wohl nicht gerade beim Fremdgehen, oder? Was zum Geier trieb der da? Wo war Enrico? Er war sich nicht ganz sicher, ob er alles richtig verstand, denn der Fremde sprach einen wesentlich härteren Slang als James. Der sprach das feine Oxford-Englisch, was leicht zu verstehen war. Aber dieser Blondino zog Worte zusammen, die man im Schulenglisch eher trennen sollte. Trotzdem schien da Zweideutigkeit dabei zu sein. „Be serios“ lachte James und warf ihm irgendein Stoffstück herüber. „Letting Mommys wait is a dangerous crime, you know?“ Der Fremde faltete den Stoff auseinander und zog sich dann ein schlichtes, weißes Shirt über den Kopf. „I knew it would fit you“ lächelte James zufrieden. „You’ve got the same size like Rico.” „Don’t like wearin’ others shirts” meinte er etwas skeptisch. „I’m shure it’s okay“ beruhigte er. „He won’t be angry. He almost never is.” „I mean wearin’ ma own makes ma lookin’ better.” Er zuppelte ein wenig an dem Shirt herum und schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob das seinem Stil entsprach. „You’re as good looking as always“ lachte er. „You can give it back next time we’re meeting.” Dann blickte der blonde Mann auf und warf ihm ein zweideutiges Lächeln zu. „So there’ll be a future for’s?“ „As long as you’re staying in Portugal or inviting me back home” schmunzelte er ganz sanft zurück. „And now hurry up. It’s already after five and you’ll be late. Is there anything we forgot?” Der kräftige Kerl erhob sich vom Boden und Mokuba zoomte ihm nach, bis der Blondino bei James am Tisch angekommen war und ihm die Hand auf die Hüfte legte. Er beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm leise zu. „You’ve forgotten to kiss me, Honey.“ „Colin! Quit joking around!” Aber James schien das gar nicht ernst zu nehmen. Er lachte, haute ihm auf den Arm und wand sich aus der halbherzigen Umarmung heraus, um auf die Tür zu zu tappeln. „Really, you should hurry now. It rush hour in Siscia-City and you’re already one day late.” „’kay. I’ll call ya back this evnin’” versprach er und schlurfte an ihm vorbei. Wohl eindeutig enttäuscht, dass er keinen Kuss von seinem Honey bekam und jetzt rausgehetzt wurde. „Wanna meet ’gain b’fore vacancies end?” „Shure” lächelte James und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm wenigstens einen Wangenkuss zu geben. Jedoch ohne dabei, den Wäschekorb aus der Hand zu legen. „Drive carefully. And don’t forget to take the right side.“ „As long’s ya don’t forget takin me right” lächelte er zurück. „How could I? You’re my one and only friend here“ lachte er mit strahlenden Augen und schob den Besucher zur Tür heraus. „And don’t ruin Ricos shirt like it was yours.” „’s would I ruin all ma cloth’s” murrte er und schüttelte den Kopf. „C ya, Jimmy.“ „Yeah, see ya!” winkte er und als die treppenspringenden Schritte verklangen, schloss er die Tür und atmete tief durch. „Was bitte soll das?“ „Das frage ich mich auch gerade“ antwortete Mokuba ratlos. „Das ist doch wohl nicht das, wonach es aussah.“ „Anscheinend doch. Du spannerst.“ „Whua! NOAH!“ Jetzt erschreckte Mokuba sich auch noch ein zweites Mal. Dass der reingekommen war, hatte er gar nicht wirklich mitbekommen. Er stand einfach ganz plötzlich hinter ihm. „Sag doch was, wenn du reinkommst.“ „Hab ich doch“ schaute der zurück. „Aber du warst ja total vertieft. Warum bitte spionierst du Jimmys Wohnung aus?“ „Das ist also James’ Wohnung“ wiederholte er und sah auf den Bildschirm, wo jetzt aber nur noch Raum ohne Person war. „Ist das in England?“ „Nein, in Portugal. Ganz normal“ antwortete er skeptisch. „Er hat doch erzählt, dass sie renoviert haben.“ „Ich dachte, sie hätten nur die Küche neu gemacht.“ „Nein, auch das Wohnzimmer. Rico hat sich doch vehement gegen eine weiße Couch ausgesprochen, aber Jimmy hat sich mal wieder durchgesetzt. Ich sage doch, das dort ist in Bencsa.“ „Weil da eben einer war, der auch Englisch geredet hat“ zeigte er aufgeregt auf den Bildschirm. „Noah, meinst du, James hat ne Affäre?“ „Erstens wüsste ich das vor dir und zweitens ginge es dich nichts an. Dieses Programm ist nicht für Schnüffelnasen wie dich gemacht.“ „Es ist von ganz allein angegangen!“ schwor er. „Happy hat irgendeine Taste gedrückt und daraufhin sprang es an! Ich hab mich auch gewundert.“ „Mau.“ Und sie gab das auch ganz frei zu. „Das ist die Online-Schaltung zwischen Jimmy und mir. Wenn er chatten möchte, macht er den Laptop an und wartet bis ich dazukomme oder umgekehrt. Aber du hast nur den Empfangen-Modus angemacht.“ „Das war ich nicht! Happy war’s! Ich schwöre es! Pfötchen, sag es ihm!“ „Mau“ meinte sie und sah an Noah hinauf. „Mauwau?“ „Ich glaube euch kein Wort“ meinte der und strich der schnurrenden Siam über ihren schönen Kopf. Happy war ja wirklich ein überaus intelligentes Tier, aber PC-Kenntnisse traute er ihr nicht gerade zu. Viel eher, dass Mokuba mal wieder seine Nase nicht aus Sachen halten konnte, die ihn nichts angingen. „Das hätte ich nicht gedacht“ wiederholte Mokuba und wand sich wieder dem Bildschirm zu. „Ich dachte immer, James wäre zufrieden mit Enrico. Dass er sich von so einem schwulen Typen begrabbeln lässt ...“ „Moki, steck dich da nicht rein“ bat Noah und streckte seinen Finger nach einer Taste aus. „Lass James in Ruhe seine ...“ „Finger weg!“ schimpfte er und schubste frech die Hand fort. „Ich will sehen, was da vor sich geht. Warum hast du mir nicht gesagt, dass James ne Webcam hat, die man von hier aus steuern kann?“ „Genau aus diesem Grunde. Ich hab die Technik nicht entwickelt, damit du sie für deine Neugierde missbrauchst.“ „Pfoten wech!“ meckerte er wieder und hielt jetzt beide Hände fest, die unbedingt das Bild wegzuklicken drohten. „Mokuba, ich meine es ernst! Lass ...!“ „Ich auch! Lass mich in Ruhe gucken!“ „Mokuba! Das ist Hausfriedensbruch!“ „Ich bin einem Ehebruch auf der Spur! Verzieh dich, Hase!“ „Mokuba!“ „Nenn mich nicht immer Mokuba, Noah!“ Aber gegen den war kein Ankommen. Wenn das Häschen was gefunden hatte, wollte es das auch behalten! Und da ließ es sich doch von seinem Hasen nicht die Tour vermasseln! So schaffte Mokuba es in einem kurzen Gerangel, Noah auf den Stuhl zu drücken, sich auf ihm zu platzieren und seine Hände um seinen Bauch geschlungen zu halten. Jetzt konnte er in Ruhe den Bildschirm beobachten ... nur leider war er mit Festhalten beschäftigt und konnte die Kameraeinstellung nicht mehr wahrnehmen. „So verlieren wir beide“ meinte Noah. „Lass mich los.“ „Nichts da“ wehrte er entschieden ab. „Versprich mir, dass du das nicht ausmachst, sollte ich dich loslassen.“ „Aha. Du weißt also nicht, wie du es wieder ankriegen würdest.“ „Natürlich weiß ich das.“ Oder zumindest Happy musste doch wissen, wie das ging. Aber ob die das ein zweites Mal schaffte? Sich als Fernbedienung beruflich weiterzubilden ... derzeit war sie wohl lieber Hauskatze und Mutter. „Aber wie der Autozoom funktioniert, weißt du wenigstens nicht.“ „Das Ding hat einen Autozoom?“ Das war ja super! Dann brauchte er sich gar nicht die Mühe machen und alles manuell lenken. Noah biss sich auf die Zunge. Verdammt, er war doch sonst nicht so vorschnell mit der Sprache. Warum nur achtete er ausgerechnet bei seinem eigenen Freund nicht darauf, was er sagte? Er war viel zu gutgläubig - ausgerechnet bei Mokuba. „Wie geht das?“ wollte er sofort wissen und drehte etwas umständlich seinen schwarzen Blick nach hinten. „Sag mir sofort, wie man den Autozoom anmacht.“ „Shift und F2 drücken“ antwortete er brav. „Und jetzt sag mir, wie das wirklich geht“ wiederholte er streng. Noah würde ihm nie so brav antworten. Wahrscheinlich war das ein Trick, um das Programm zu schließen. Es gab auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen, der Noah Kaiba durchschauen konnte - für Mokuba war er geradezu berechenbar. „Du bist zu neugierig“ brummte Noah. Das gab es doch nicht! Warum zum Geier ließ er sich von ihm so regieren? Irgendwann hatte er seine Zügel mal zu locker gelassen und nun hatte er den Salat. Mokuba fehlte jedweder Respekt vor dem Alter. Verdammter, schlauer, verzogener Dickkopf! „Sag schon“ grinste er und begann lasziv auf seinem Schoß herumzurutschen. „Sei lieb oder ich mache dich hart.“ „Mokuba ...“ Ach ja, versaut gehörte auch auf die Liste. „Und nenn mich nicht immer Mokuba“ warnte er noch mal. Er mochte es gar nicht, wenn Noah ständig Mokuba zu ihm sagte. Das riss in letzter Zeit dramatisch ein. „Ich gewinne doch sowieso, also gib gleich auf.“ Ein tiefes Seufzen drang über Noahs Lippen und er sank unwillkürlich auf dem Holzstuhl zusammen. „Strg, Shift und A. Dann hast du den Autozoom.“ „Bitte, geht doch“ grinste er und glaubte diese Antwort dann auch. Er ließ die Hände des geschlagenen Oberchefs los und machte, was er wollte. Noah war vielleicht Herr über Tausendscharen von Mitarbeitern und entschied Dinge, welche die Wirtschaft der ganzen Welt veränderten. Aber Zuhause hatte selbst ein Noah Kaiba einen Chef, der zufällig auch Kaiba hieß und seinem beherrschenden Namen alle Ehre machte. Ein Grund dafür, warum Noah ausgerechnet ihn liebte. Ein anderer Mann hätte gar nicht eine solche Durchsetzungsfähigkeit ... oder war das viel mehr eine hartnäckige Zickigkeit? Also drückte Mokuba eifrig die Tasten und tatsächlich veränderte sich der Zoom von selbst. Das Bild zog sich weit zurück und kreiste im Raum herum. Wahrscheinlich kreiste es deshalb so ziellos, weil derzeit kein Ziel zu sehen war. James war nämlich in der Zwischenzeit ebenso fort. „War’s das jetzt?“ fragte Mokuba etwas enttäuscht. „Ich dachte, da kommt jetzt noch was.“ „Moki, das ist ein normales Zuhause. Kein Big Brother.“ „Wie langweilig” muckschte er mit dicker Unterlippe. „Ich dachte, jetzt wird’s noch richtig spannend. Pfötchen, was meinst du?“ „Mau?“ „Ihr seid unverbesserlich“ seufzte Noah und lehnte sich an Mokubas schön geraden Rücken. „Wenn du dich genug gelangweilt hast, kann ich meinen Laptop dann vielleicht wieder zum Arbeiten benutzen?“ „Du sollst nicht so viel arbeiten, Hase. Sag es ihm, Pfötchen.“ „Mauwauau Muuoo“ stimmte sie ihm selbstverständlich zu und stupste Noahs Arm mit dem Kopf an. Jetzt kraulen bitte. „Wo ist das Monster?“ seufzte Noah und kraulte der fordernden Dame ihr Fell. „Helloween“ betonte Mokuba. „Hello läuft draußen irgendwo rum. Der kommt erst, wenn er ne Ratte oder ähnliches gefangen hat.“ „Wie appetitlich.“ Noah wusste, warum er keine Straßenstreuner mochte. Er fand totes Getier als Präsent nicht besonders ansprechend. Im Gegensatz zu Mokuba, der ihn sogar noch dafür lobte, dass er so stinkende Kadaver anschleppte, die manchmal sogar noch zuckten. Kinder und Tiere waren die Top-Positionen auf Noahs Roter Liste. „Siehste! Ich wusste doch, da gibt’s noch was!“ Mokuba musste gar nicht lang warten, da passierte auch schon wieder was. Der Autozoom fing eine Bewegung ein und filmte schnell näher heran. Man sah Enrico zur Flurtür hereinkommen. Einen Blumentopf in der einen und eine längliche Schachtel in der anderen Hand. In Portugal schien es wesentlich wärmer zu sein, denn auch er trug nur eine leichte, weiße Stoffhose mit einem weißen Shirt. Schön in weiß, wie es sich für einen Arzt gehörte. Nur sein schwarzes, schulterlanges Haar und seine gebräunte Haut bot einen schönen Kontrast. Der sonnige Süden war eben nicht der kaltfeuchte Norden. Er blickte erst suchend in Richtung der Kamera, bevor er ein paar Schritte nach vorn tat, die dortige Tür öffnete und hineinging. Nur um dann Sekunden später wieder genauso herauszukommen und erneut im Flur stehen zu bleiben. „Jamey?“ fragte er etwas lauter. „Are you home?“ Er wollte die Badezimmertür zu seiner rechten Seite öffnen, als von dort ein verärgertes Rufen ertönte. „Don’t disturb me! PLEASE!“ Und die Tür wurde wieder zugeschmissen, bevor er überhaupt richtig hatte reinsehen können. „Sorry“ sprach Enrico versöhnlich durch die geschlossenen Tore zu den geheiligten Hallen. „I have brought you something ... was kleines, nettes. Small and nice … sagt man so?” „Warum bist du überhaupt schon hier oben und störst bei der Hausarbeit? Ich hab das Essen noch nicht mal angefangen. Du bist viel zu früh. Und wer macht jetzt die Monatsabrechungen?“ Die Tür öffnete sich und James stackste an ihm vorbei. Auch wenn er eher irgendeine Creme auf sein Gesicht rieb, anstatt den Kochlöffel zu schwingen. Außerdem hatte er sich umgezogen und trug nun eine hellgelbe Jogginghose aus Samt mit passender, eher zu kleiner, fast bauchfreier Joggingjacke mit dem gestickten Aufdruck ‚Princess’. Sah eher aus wie ein schwules Quietschentchen als wie eine Prinzessin. „Ich hab die Praxis gerade zugemacht und wollte dich lieber sehen, anstatt mich noch ins Büro zu setzen. Man wird doch wohl noch in seine eigene Wohnung kommen dürfen“ antwortete Enrico und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo James schon dabei war, das Bügelbrett aufzubauen. „Das von heute Morgen tut mir leid. Du hast mir nie erzählt, dass du gegen Dill allergisch bist.“ „Wäre dann ja auch nur Totschlag gewesen“ meinte er und stöpsele das Bügeleisen an, legte es zum Aufheizen auf den Eisenrand, um zur Seite nach der Wäsche zu greifen. „Rico, kein normaler Mensch tut Dill an Rühreier.“ „Kein normaler Mensch wünscht sich Rühreier mit Würstchen zum Frühstück“ war seine vorsichtige Meinung. „Ich hab doch nur versucht, ein Englisches Frühstück für dich zu zaubern.“ „Du wusstest doch, dass ich mit Colin ausschlafen und später frühstücken wollte, wenn du arbeitest. Was schleppst du da überhaupt mir dir rum?“ schaute er dann doch mal von seiner Hausarbeit auf und sah, dass Enrico da etwas festhielt. „Für dich. Als kleine Entschuldigung für den versuchten Totschlag“ lächelte er und stellte den Blumentopf auf dem Tisch ab. „Eine Stockrose, die ...“ „Ich sehe es“ meinte James und schien sich schwerlich über das eingetopfte Gestrüpp zu freuen. „Und das da?“ „Für dich“ lächelte Enrico und hielt ihm das Schächtelchen hin. Der Beschenkte nahm es, betrachtete das Päckchen und sah dann eher beleidigt zurück auf den Schenker. „Pralinen?“ warf er ihm böse vor. „Du schenkst mir Pralinen?“ „Ja, ich dachte ...“ „Sag mal, willst du mich jetzt ganz kaputtmachen? Du weißt genau, dass ich bis Sonntag drei Kilo abnehmen will“ schimpfte er und pfefferte das Päckchen neben den Blumentopf. „Und dann kommst du hier mit so ner mickrigen Rose an. Sag mal, denkst du überhaupt auch mal nach?“ „Jamey, ich ...“ Aber er ließ ihn gar nicht ausreden, donnerte lieber sofort los. „Nie denkst du nach, Enrico! Ich hab das Gefühl, du WILLST mich gar nicht verstehen! Du verstehst mich einfach nicht! Nie kapierst du, was ich dir sagen will! Wenn du nicht auf meiner Welle schwimmst, dann lass es doch bitte einfach!“ „Jamey, ich will mich nicht streiten“ versuchte er zu schlichten. „Bitte, lass uns doch mal ganz in Ruhe ...“ „Ruhe, Ruhe, Ruhe. Immer nur Ruhe! Wann warst du das letzte Mal mit mir aus? Ich sag’s dir! Das ist Wochen her! Ewig hast du andere Sachen im Kopf! Du und deine scheiß Praxis und deine scheiß Ruhe!“ „Der geht fremd“ sprach Mokuba geschockt rein. „Enrico ist voll lieb und James scheißt ihn zusammen. Das ist doch ein eindeutiges Zeichen.“ „Moki, urteile nicht über Dinge, die du nicht verstehst“ bat Noah. „Du weißt doch gar nicht, worüber sie sprechen.“ „Das ist doch aber eindeutig“ betonte er und sah ihn geschockt an. „Überleg doch mal. Erst zwitschert er da mit diesem Colin rum und dann streitet er sich mit Enrico. Der weiß garantiert nicht mal, dass dieser Beachboy jetzt seine Sachen trägt.“ „Enrico weiß sehr wohl, dass Colin ständig ein- und ausgeht“ antwortete Noah und verwandelte Mokubas versuchten Widerspruch in ein haspelndes Schlucken. Damit hatte der wohl nicht gerechnet. „Colin ist seit ungefähr drei Wochen Jimmys neuer Freund“ erklärte er, während die beiden auf den Bildschirm sich weiter stritten. Oder eher nur einer schimpfte. „Enrico hat nämlich zufällig gerade vorgestern mit Nika telefoniert und ihr sein Leid geklagt.“ „Und warum weiß ich davon nichts?“ „Du musst ja auch nicht alles wissen“ meinte er. Nika hielt es doch auch nicht aus und als Jimmys bester Freund musste er doch sofort in Kenntnis gesetzt werden, wenn er es schon nicht aus erster Hand erfuhr. „Enrico und Jimmy waren auf einer Geburtstagsfeier von Enricos Bekannten. Weil alle nur Portugiesisch gesprochen haben, war Jimmy da nicht nur ziemlich verloren, sondern einer der Gäste hat auch noch Witze auf seine Kosten gemacht und seinen englischen Akzent veralbert. Das hat ihn natürlich gekränkt. Deswegen ist Enrico das Wochenende danach mit ihm nach Siscia in das neue Touristenhotel gefahren, um ihn ein bisschen aufzuheitern. Und da trafen sie dann auf Colin, der zufällig auch ein stockschwuler Engländer ist. Der macht zwar Urlaub mit seiner Mutter, seiner Schwester und deren Kind, aber seit drei Wochen hängt er nur noch mit Jimmy rum. Enrico freut sich schon, wenn er nächste Woche zurück nach England fliegt.“ „Dann ist Enrico eifersüchtig“ riet Mokuba nur halb richtig. „Du weißt doch, dass Enrico nicht schnell eifersüchtig wird. Aber er befürchtet, dass dieser Colin Jimmy an die Wäsche will und ein ...“ Genau da fiel auch der Name Colin im Laptop und ließ die beiden aufhorchen. Noah merkte gar nicht, wie Mokuba ihn in seiner Spannerlust mit hineinzog. Wie schändlich. „Colin versteht mich wenigstens“ warf James ihm enttäuscht vor. „Er würde nie auf die Idee kommen, mir eine Topfrose zu schenken. Er weiß genau, dass nur Schnittware Liebe ausdrückt. Nicht TOPFblumen!!! Du wirst mich nie verstehen!“ „Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht. Tut mir leid, dass ich nicht so gern über Hautcremes und Seifenopern sinniere. Ich verstehe nicht, wie ihr Schwulen tickt, aber ich verstehe es, wenn jemand nicht gut für dich ist! Und dass Colin hier ständig rumhängt, dich von der Arbeit ablenkt und neuerdings nackt neben dir im Bett schläft, finde ich ziemlich gefährlich.“ „Ich hab dir gesagt, du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Wenn du nicht auf der Couch schlafen willst, musst du es nur sagen. Du bist doch freiwillig gewichen. Ich betrüge dich schon nicht mit ihm! Und wenn du denkst, ich halte jedem Typen meinen Arsch hin, dann bist du echt ein mieses Schwein!“ „Das habe ich ja auch gar nicht gesagt. Ich bin nicht eifersüchtig. Ich vertraue dir und überlasse deinen Gästen gern das große Bett. Aber ich vertraue Colin nicht. Und so langsam finde ich es bedenklich, dass er kaum noch von deiner Seite weicht und sogar nackt schläft. Das geht mir ehrlich ein bisschen zu weit.“ „Mit Noah hab ich auch nackt geschlafen, wenn es so heiß war. Sei nicht so katholisch verklemmt.“ Was Mokuba seinen Noah dann ziemlich vorwurfsvoll anblicken ließ. „Ich bin nicht verklemmt. Aber Noah kennst du auch schon seit Jahren und nicht erst seit drei Wochen. Bei dem weiß ich, dass er dich nicht anfasst.“ Was Noah dann Mokuba einen nickenden Blick zuwerfen ließ. „Außerdem kannst du einen ehrlichen Menschen wie Noah nicht mit einem wie Colin vergleichen“ argumentierte Enrico weiter. „Ich weiß, du siehst in ihm einen Freund, weil du endlich einen englischen Schwulen zum Reden hast. Aber Jamey, ich bitte dich. Der Typ ist doch irgendwie nicht sauber.“ „Das nimmst du sofort wieder zurück, Enrico!“ warnte er mit bösem Finger. „Ich beschwere mich auch nicht über deine Freunde. Obwohl ich allen Grund dazu hätte.“ „Ich weiß, dass die Party neulich dumm gelaufen ist. Aber meine Freunde sind nicht rassistisch. Außerdem war Oskar kein Freund von mir. Ich kannte den nicht mal.“ „Er hat mich vor allen Leuten beleidigt und nachgeäfft und du hast mich nicht mal verteidigt!“ „Ich habe dich sehr wohl verteidigt, Jamey. Und ich wollte dich mit dem Wochenende in Siscia aufheitern. Aber darum geht es doch auch gar nicht. Es geht darum, dass ich finde, dass du Colin lieber nicht mehr so viel sehen solltest.“ „Colin ist mein Freund und er heitert mich mehr auf als deine lieblosen Gifts hier.“ „Dieses lieblose Gift ist zufällig ein Ableger der Ministockrosen aus dem Welsh Garden of her Majesty“ gab er ernst die Auskunft und wurde langsam selbst ein wenig ungehalten. „Ich hab mit meinen Freunden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dir diese blöde Topfblume zu organisieren. Alle haben zusammengelegt und auf der Entschuldigungskarte unterschrieben, weil sie Oskars Benehmen ebenfalls unmöglich fanden. Nur weil du sie neulich im Katalog so angehimmelt hast, haben alle überlegt, wie man da rankommen kann. So viel zum Rassismus meiner Freunde. Ich habe gehofft, du freust dich wenigstens ein bisschen. Aber wenn du meinst, dass nur Schnittware meine Liebe ausdrückt, dann schneide ich sie eben ab!“ „Enrico“ keuchte er und blickte geschockt zwischen ihm und den Grünzeug hin und her. „Diese Pflanze kostet ein Vermögen ... selbst, wenn alle zusammenlegen. Wo hast du so viel Geld her? Du hast doch nicht etwa schon wieder einen Kredit aufgenommen!“ „Ich lasse mich doch von Noah nicht zwei Mal auslösen“ verneinte er. Es war ihm schon peinlich genug, dass Noah all seine angehäuften Schulden abbezahlt hatte, die er in seiner Verzweiflung für den Zirkel hatte aufnehmen müssen. Ein zweites Mal würde er seinen Stolz nicht so weit herunterschrauben. „Ich hab für das letzte Jahr eine Steuerrückzahlung bekommen und die andere Hälfte kommt wie gesagt von den anderen. Die dich im übrigen sehr gern haben.“ „Aber wir wollten doch alles Geld in die Renovierung der Praxis stecken ...“ „Aber du hast diese Blume so verliebt angesehen. Ich wollte dir so gern ein Stück Heimat schenken“ lächelte er ihn entschuldigend an. „Und dass du abnehmen möchtest, weiß ich doch auch. Aber sieh mal“ zeigte er auf die Packung. „Du liebst doch Marzipan. Ich hab extra nur welches in Form von Pfirsichen und Ananas und Erdbeeren und so gekauft. Obst ist doch gesund.“ „Und ich mag so gern Marzipanpralinen“ seufzte er und kam hinter seinem schützenden Bügelbrett hervor, um sich reuig vor ihn zu stellen und mit feuchten Augen zu ihm aufzublicken. „Oh, Rico. Tut mir leid, dass ich so eklig war ... und zu deinen Freunden auch ... ihr habt extra eine Königinnenrose besorgt und ich beleidige dich. Jetzt darfst du auf mich böse sein.“ „Schon gut. Ich weiß doch, dass du im Moment ein bisschen sensibel bist“ beruhigte er in einem ganz liebevoll dunklen Ton. „Ich möchte nicht, dass du traurig bist. Du gehörst doch zu mir und ich mag deinen süßen, englischen Akzent. Ich liebe dich dafür. Und dass du so selbstbewusst in Portugiesisch drauflos gebrabbelt hast, hat alle beeindruckt. Lass dir doch von so besoffenen, rassistischen Typen wie Oskar nichts einreden. Du bist das süßeste, quirligste und knuffigste Kerlchen diesseits des Äquators.“ „Du findest mich knuffig?“ lächelte er mit feuchten Augen. Anscheinend hatte er seinem Rico da Unrecht getan. Nur weil er so sauer war, dass man ihn verspottet hatte, hatte er seinen Unmut auf alle um ihn herum übertragen. „Ich sage bestimmt nicht noch mal so peinliche Worte“ schmunzelte er. „Also knuddelst du mich jetzt oder nicht?“ „Ach, Rico!“ Er flog ihm geradezu in den Arm und knuddelte ihn. Einen Kuss bekam er auch noch. Chapter 34 „Siehst du“ meinte Noah und lehnte sich genüsslich zurück. „Alles in Butter bei den beiden. Enrico lässt so was doch nicht eskalieren. Ich hab seine Freunde kennen gelernt und sie sind wirklich in Ordnung.“ „Hm.“ Mokuba schaute skeptisch auf das küssende Pärchen und zog seine gezupfte Augenbraue in die Höhe. „Ich weiß nicht.“ „Jetzt lass uns aber ausmachen. Wir müssen denen nicht beim Fummeln zusehen.“ „Hand ab.“ Er klatschte ihm auf die Finger als Noah irgendeine Taste drücken wollte. Nicht so vorschnell. „Ich hab das Gefühl, da kommt noch was.“ „Moki“ seufzte er abgrundtief schwer. „Das ist doch kein Fernsehfilm. Jimmy ist besänftigt und gut. Außerdem muss ich jetzt arbeiten.“ „Du sollst nicht so viel arbeiten“ meinte er und lehnte sich nach vorn, um sogar noch genauer hinzusehen. „Ich weiß ja nicht, aber hast du auch gesehen, dass Jimmy sich so komisch bewegt?“ „Meine Güte, die fummeln“ meinte Noah und zog ihn wieder zurück. „Du räkelst dich auch, wenn ich dein Hemd hochschiebe.“ „Das meine ich doch gar nicht. Ich meine ... HEY! Nicht weggehen!“ Da löste Enrico sich doch glatt, weil James ihm irgendwas zugeflüstert hatte. Und dann trollte der sich auch noch fort und ins Badezimmer. So ging das doch nicht! „Ich finde, jetzt könnten wir echt mal ausmachen oder ich rufe Jimmy auf dem Handy an“ versuchte Noah es ohne Unterlass ein nächstes Mal. „Warum willst du ihn denn anrufen?“ guckte Mokuba. „Du siehst ihn doch.“ „Ja eben. Ich will ihm sagen, dass er mal seinen Empfang einstellen soll. Dann weiß er wenigstens, dass wir online sind. Außerdem weiß ich jetzt, dass dieses Chatprogramm noch Optimierungspotential hat.“ „Nix da Potential.“ Und jetzt war Noah nicht nur seine Autorität, sondern auch noch sein gezücktes Handy los, welches Mokuba in seiner Hosentasche versteckte. „Wir gucken uns das jetzt auch bis zum Schluss an.“ „Es ist doch Schluss jetzt. Jimmy packt das Bügelbrett wieder ein, Enrico ist im Badezimmer und gut. Ende der Sendung. Happy End.“ „Endi schläft da hinten mit den anderen“ winkte er ab. „Trotzdem, ich hab ein Bauchgefühl.“ „Das ist, weil du zu viel fettige Milch getrunken hast. Ich hab dich gewarnt, dass die so frisch gemolken nicht pasteurisiert und homogenisiert ist.“ „Homogenisiert bist hier nur du“ wehrte Mokuba ab und hielt seine Hände fest unter seinen Pullover gesteckt, damit er nicht die Verbindung unterbrach oder sich doch noch das Handy mopste. „Und der da. Ich wusste doch, da steckt noch was drin.“ „Mokuba, das sind unsere Freunde. Nicht unser Abendfilm.“ „Pscht. Ich höre ja gar nichts.“ „Mokuba!“ „MAUWAUUUUOOOO!“ „Happy! Hase! Ruhe jetzt! Alle beide!” Echt, nicht mal in Ruhe spannern konnte man hier. Dabei war es doch gerade so spannend! Man sah, dass James noch dabei war, nach augenscheinlich verschobener Arbeit, sein Bügelbrett in dem Schrank mit dem Schiebevorhang zu verstauen, während doch tatsächlich der braungebrannte Colin zur Tür hereinschlich. Und Enrico? Der war noch immer im Badezimmer und konnte nicht einschreiten, als sich der Gast auf Zehenspitzen bis zu James vorpirschte und ihm dann vorsichtig von hinten die Hände über die Augen legte. Als der das merkte, wehrte er sich nicht mal. Er lehnte das Brett gegen den Schrank und lachte. „Funny, Rico. Du solltest doch Badewasser für uns zwei einlassen, du Scherzkeks.” Aber leise begann er zu schnurren, als Colin mit sanften Lippen seine Halsbeuge küsste und seine Hände besitzergreifend über die Hüften hinabgleiten ließ. „Wir wollten doch erst in der Wanne. Sei nicht immer so ungeduldig“ hauchte James und lehnte sich langsam nach dem sanften Mann hinter sich herum. „Das Parfüm kenne ich an dir gar ...“ Aber dann traf ihn nicht nur die Erkenntnis, sondern auch der daraus folgende Schock. Das war nicht sein Rico, der da an ihm rumlutschte! „COLIN!“ rief er geschockt und schubste ebendiesen einen Meter zurück. „What do you think you’re doing? How did you come in here?“ „Ya’re always leavin tha’door open” lächelte er ihn an und kam langsam wieder näher an ihn heran. „Sorry, I’s aleady drivin back bu’ ya know ... I’d to cum back to ya.” „Your Mom is waiting for you“ meinte James ernst. „You’ve been here for three days now. Don’t you think she’d miss you?” „Don’t think so“ schmunzelte er und legte seine großen Hände an fremde Hüften. „I’m thinkin of stay’n here one mo’ night, ya know? Nakd’ an’near. Only us.“ „Colin, please stop joking now“ lachte er und wollte sich herauswinden, aber wie im Spiel wurde er festgehalten und an den Tisch vor sich gedrückt. „I really like beeing together with you but you know ... I’d like to spend some privat time with my husband, too. We could meet again tomorrow. What ‘bout that?” „Nothin’ ’bout that“ raunte er und küsste seinen Hals, hielt ihn fest, damit er nicht wegkam. „I’d like havin sum’ private time, too. We don’t have to tell tha’ guy. Ya know?” „Ehm ... Colin.“ So langsam schien jetzt selbst ihm zu dämmern, dass da irgendwas falsch lief. Bisher hatte er es als Spiel gesehen. Aber allmählich wurde ihm die Sache zu ernst. Nur weil er sich mal mit Rico in der Wolle hatte, hieß das noch lange nicht, dass er sich Ersatz suchte. „Ya make me goin’ crazy ... James.” Als er daraufhin auch noch versuchte, ihm seine Zunge aufzudrängen, war es Zeit für einen eindeutigen Schlussstrich. **Tripple!** „Colin! It’s enough now!“ schimpfte er und versuchte, ihn wegzudrücken. Aber der Kerl war leider ähnlich gebaut wie Enrico und damit eben eine ganze Ecke kräftiger als er selbst. „Cut that out or I’ll scream!“ „Oh, I’ll make ya screamin“ versprach er und drehte ihn herum, drückte ihn gegen den Tisch und hielt ihn davor fest. Dass er sich jetzt schwerlich abschütteln lassen wollte, war eindeutig. „You’ll sat’sfied with me on top’o ya. Ya’ll scream. I prom’. I know ya wanna do it, too. Suckin’ ma hard, big cock. Ya were lookin’ at it. Weren’t ya?” „Colin! Go off me!“ Jetzt bekam er langsam Panik, als die Hände noch tiefer wanderten und an Stellen berührten, die weder zu einem Spiel noch in fremde Hände gehörten. Da durfte Rico ihn anfassen und kein anderer. Und die warmen Lippen an seinem Hals wurden nun auch wahrlich unangenehm. Das Problem war nur, dass er mit dem Tisch direkt vor sich, nicht mal türmen konnte. Er war festgesetzt und alles strampeln und treten half nichts. Colin konnte nichts wirklich machen, solange er so zappelte, aber auf Dauer würde ihm die Kraft ausgehen. Da fiel ihm nur noch eine letzte Lösung ein. „RIIIIIIICOOOOO!“ schrie er so laut er konnte. „RIIIIIIICOOOOO!“ Und der erkannte wohl hoffentlich schon an der Stimme, dass da etwas nicht stimmte. Sein Jamey schrie zwar öfter mal nach ihm, besonders wenn irgendwo eine Spinne saß, aber selbst das hatte einen anderen Ton. Dennoch kam er nicht sofort. „Scheiße, gib mir das Handy!“ schimpfte Noah machte den Versuch, sich aus Mokubas geschocktem Griff los zu reißen. Aber der verfestigte sich nur noch zunehmend. „Ich rufe die Polizei.“ „...“ Mokuba war wie versteinert. Er konnte nur auf den Bildschirm starren und machte keine Anstalten, das geklaute Handy rauszurücken oder Noahs Unterarme loszulassen, in welche er sich schon fast blutig einkrallte. „Willst du etwa zusehen, wie Jimmy vergewaltigt wird? Geh von mir ru...“ Aber da eilte schon Hilfe herbei. Enrico war zwar triefend nass, aber er hatte sich ein Handtuch umgeschwungen und den ungebetenen Besuch von seinem Mann nicht nur runtergezogen, sondern ihm sogar den wohl schönsten rechten Haken des Jahres verpasst. So heftig, dass der gegen den Schrank prallte und das Bügelbrett scheppernd zu Boden warf. „Hands off my man!“ schrie er ihn an und raffte sich das rutschende Handtuch, während er seinen Jamey in den anderen Arm nahm. „Go out of here! AGORA!!!” Der nicht eben schwächliche Colin schimpfte irgendwas in einem tiefenglischen Akzent, als er den Schlag parierte und den halb nackten Enrico so dumm erwischte, dass der auf dem Boden landete. „Stop that! STOP NOW!“ Und James drängelte sich irgendwo dazwischen und wusste gar nicht recht, wohin mit sich. Dass die Sache so eskalieren würde, hätte er sich niemals träumen lassen. Aber nicht mit Enrico. Der war hart im Nehmen und wenn es darum ging, seinen Jamey zu beschützen, lief er zur Hochform auf. Obwohl er am Boden lag und sich von oben einen Schlag nach dem anderen einfing, schaffte er es irgendwie, einen so gekonnten Tritt zu landen, dass es Colin von ihm herunterschmetterte und ebenfalls zu Boden brachte. Fast zeitgleich waren alle beide wieder auf den Beinen, Enrico hatte noch Kopf genug, James zur Seite zu stoßen, bevor er ausholte und noch einen so gezielten Haken landete, dass man das getroffene Nasenbein knacken hörte. Ein ekliges Geräusch ertönte und Colins so hübsch studiogebräuntes Gesicht war mit Blut überschwemmt. Er schimpfte wohl die schlimmsten Flüche, aber das beeindruckte Enrico wenig. Stattdessen trat er ihm in die Seite, raffte ihn am Arm hoch und schubste ihn zur Tür heraus und in den Flur hinein. „OUT OF MY HOUSE OR I KILL YOU! I SWEAR!” schrie er, riss die Tür auf und stieß ihn mehr als ruppig hinaus. „IF YOU EVER COME BACK I KILL YOU BEFORE THE POLICE CAN SAVE YOU! JAMEY BELONGS TO ONLY ME, YOU ASHOLE!!!“ Die blutverschmierten Flüche verstand er wohl kaum, aber anscheinend hatte er seinen Standpunkt deutlich genug gemacht. Es waren polternde Schritte aus dem Treppenhaus zu hören, Enrico schmiss die Tür zu und schloss gleich hinter ihm ab. „Rico!“ „Meine Güte, Jamey! Was machst du denn?“ Bevor er irgendwas anderes denken konnte, traf er ihn auf halbem Wege und schlang seine Arme um ihn. So standen sie einen Moment da und umarmten sich. Aber auch Noah hatte da einen Problemfall auf dem Schoß. Mokuba starrte wie gebannt den Bildschirm an und hatte nicht einen Ton gesagt. Er krallte immer noch seine Arme, welche schon ganz rot und heiß wurden. „Hey, wach mal auf. Du tust mir weh“ versuchte Noah es erneut und ruckelte ihn auf seinem Schoß, um ihn wachzubekommen. „Moki, was ist los?“ Der lockerte sich wirklich aus seiner Starre, hielt sich die Hand vor den Mund, stand mit einem „Mir ist schlecht“ auf und stürzte zur Tür hinaus. „MOKI!“ Noah sprang ihm sofort nach und konnte ihn nur zwei Meter außerhalb ihrer Hütte aufhalten und in seine Arme ziehen. Sein Süßer bebte am ganzen Körper und atmete stoßweise. So ein Verhalten kannte er gar nicht von ihm. Das war ja schon fast Seto-typisch. „Hey, ganz ruhig. Ich bin ja da.“ Er legte den zitternden Kopf an seine Schulter und drückte ihn ganz fest an sich. Diese Reaktion konnte er im ersten Moment nicht einordnen. Noah konnte nur daran denken, das Handy zu greifen und die internationale Polizei zu verständigen. Aber Mokuba war ja völlig erstarrt. Das war doch nicht normal. „Warum tun Menschen so was?“ keuchte er und drückte sich so nahe an Noah ran, dass es dem schon fast wehtat. Aber er versuchte trotzdem, ihn erst mal zu beruhigen und ihn festzuhalten. „Ganz ruhig, Häschen. Alles okay. Ist doch nichts passiert.“ „Warum nur? Warum tun Menschen so was?“ wiederholte er mit schier ohnmächtiger Stimme. „Warum tun Menschen so was gegen den Willen anderer? Warum? Wie kann man nur? Warum? Noah, sag mir warum ...“ „Ist doch nichts passiert. Ganz ruhig ...“ Er musste selbst erst mal kombinieren, was da überhaupt geschehen war bis es ganz plötzlich klickte. Mokuba hatte böse Erinnerungen. Zu sehen, wie James festgehalten wurde, wie er Angst bekam und um Hilfe rief. Es war ähnlich wie das, was er damals hatte beobachten müssen. Er war noch ein Kind gewesen und konnte nichts tun, um seinem Bruder zu helfen. Er war wie erstarrt. Hilflos zuzusehen, wie einem geliebten Menschen Gewalt angetan wurde, noch dazu welche, die so verletzend war. Es lief Mokuba sicher kalt den Rücken rauf und runter und es wühlte ein Gefühl in ihm auf, welches er immer zu unterdrücken suchte. Er sah immer zu Seto auf und musste dann miterleben, wie man ihm so etwas antat. Wie man den Stolz eines Drachen brach und ihn für sein ganzes Leben seelisch verstümmelte. Er sah auch zu James auf und sah ihn nun so unwürdig behandelt. Es musste ein ähnliches Gefühl der Hilflosigkeit in ihm auslösen wie damals. Man konnte es ihm nicht immer anhaften, aber auch er hatte schreckliche Bilder von damals im Kopf. Wenn ein kleines Kind so eine Handlung mit ansehen musste, hinterließ das unheilbare Spuren auf der Seele. „Hey, ist doch gar nichts passiert.“ Und Noah musste dann für ihn da sein und ihn auffangen, ihn trösten und beruhigen. Er drückte ihn ein Stück weg und auch wenn er selbst aufgewühlt war, musste er Ruhe ausstrahlen. „Kein Grund zur Panik. Hast du gewusst, dass Enrico so einen rechten Haken hat? Unglaublich, oder?“ Aber Mokuba konnte ihm nicht antworten. Er konnte ihn nur mit tränenverlaufenden Kajalaugen ansehen und bibbernd seinen Mund öffnen ohne etwas herauszubringen. „Wirklich besser als jeder Fernsehfilm. Und Enrico so oben ohne ist doch wirklich auch mal was für’s Auge. Gut, dass Happy den Shortcut rausgefunden hat, was? Das ist doch wirklich spannende Unterhaltung mit einem live Boxkampf.“ „Du versuchst, mich aufzuheitern.“ Das bekam Mokuba dann schon mit, aber die Freude darüber schien ich in engen Grenzen zu halten. „Und?“ Etwas gequält versuchte er zu lächeln. Da probierte man auf Krampf gute Laune zu verbreiten und dann bekam man so einen vernichtenden Blick. „Es funktioniert nicht, oder?“ „Nicht wirklich. ... Finde ich aber süß von dir.“ Mokuba lehnte sich an ihn an und schien trotz des daneben gegangenen Versuches ein wenig beruhigt. Also schien der Versuch ja vielleicht doch nicht so ganz daneben gegangen zu sein. „Ich glaube ... entschuldige bitte. Ich weiß auch nicht, was ... ich weiß nicht ...“ „Schon okay“ tröstete er und streichelte ihm liebevoll sein glattes Haar, welches er doch so gern berührte. „Ich verstehe dich. Es hat dich ... an damals erinnert?“ Ein wortloses Nicken spürte er an sich gedrückt. Er hatte es ganz richtig vermutet. Mokuba fühlte sich in diese hilflose Rolle zurückversetzt und es schmerzte ihn. Es waren Schuldgefühle, die er hatte. Schon zu häufig hatte er sich gefragt, ob seines und Setos Leben anders verlaufen wäre, wenn er damals einfach dazwischen gelaufen wäre. Aber was hätte er denn tun können? Er war noch ein Kind. Und hätte Seto früher erfahren, dass Mokuba ihn so sah - es hätte ihm die letzte Achtung vor sich selbst auch noch genommen, die nur sein kleiner Bruder für ihn verkörperte. Dennoch waren es brennende Schuldgefühle. Auch heute noch. „Möchtest du darüber sprechen?“ Auch wenn sie das schon so oft getan hatten. Manchmal redete Mokuba darüber, wie er sich damals gefühlt hatte und wie er es heute sah. Darüber wie sehr es ihn quälte. Aber selbst wenn sie jeden Tag darüber sprächen, Noah würde es niemals müde werden, ihm zuzuhören. „Nein“ antwortete er aber leise. „Heitere mich bitte auf. Bitte bring mich auf andere Gedanken. Und lass mich nicht los ...“ „Ich lasse dich nicht los. Niemals. Dafür liebe ich dich zu sehr.“ Er drückte ihn ganz nahe an sich bis er seinen warmen Atem an der Schulter spüren konnte. Sein armes Häschen. Er war gar nicht so stark wie er vorgab. Er dachte oft an damals. Sehr oft. Aber er wollte sich nicht beklagen. Seiner Meinung nach hatte er kein Recht dazu. Seinen großer Bruder hatte es schlimmer getroffen. Er selbst durfte gar nicht jammern. „Ich liebe dich auch“ schwor er sich selbst. „Bitte lass uns über irgendwas anderes sprechen.“ „Vielleicht hast du ja jetzt gelernt, dass Spannern nicht fein ist“ versuchte er ihn abzulenken und streichelte liebevoll seinen Nasenrücken bis Mokuba ihn noch immer ein wenig traurig ansah. „Lass uns reingehen und sehen, was die beiden machen. Du wirst sehen. Wahrscheinlich lachen sie schon darüber.“ „Hast du nicht eben gesagt, spannern ist nicht fein?“ „Du hörst doch sonst auch nie auf mich, Häschen“ lächelte er und drängelte ihn aus dem Nieselregen hinaus zurück in die warme, trockene Hütte, deren Tür er ganz fest zumachte. „Setz dich, ich hole dir ein Handtuch.“ Während Mokuba sich schuldbewusst aufs Bett setzte, fischte Noah ein Handtuch aus dem Schrank und kehrte dann zurück, um seinem Häschen vorsichtig das Gesicht zu trocknen und das tränenverlaufene Make-Up von den Augen zu wischen. „Häschen, sag mal. Ist dein Kajal nicht water proofed?“ „Ich benutze keinen Kajal. Nur Tusche“ korrigierte er leise. „James meinte, ich soll die Augen nicht zu sehr betonen, weil mich das sonst so blass macht.“ „Recht hat er. Deine dunklen Augen dominieren dein Gesicht ohnehin schon“ lächelte er und blickte ihm verträumt ins Gesicht. „Du hast wirklich wunderschöne, schwarze Augen. Schwarz wie die Nacht. Wirklich zum Neidischwerden.“ „Danke ...“ Lieb, dass er das sagte. „Aber sag mal“ fragte er leise und lächelte ihn verliebt an. „Was für Wimperntusche verwendest du denn?“ „Wie? Ähm ... schwarze.“ Was für eine Frage! Sollte er etwa blau benutzen? „Nein, ich meine die Art. Für Länge oder für Volumen?“ „Gibt’s da einen Unterschied?“ „Ach, Häschen“ schüttelte er lachend seinen Kopf. „Natürlich gibt es da einen Unterschied.“ „Soll das etwa heißen, du magst meine Wimpern nicht? Nett, das mal zu erfahren.“ „Musst du mir immer aus allem einen Strick drehen?“ schaute er leicht gekränkt zurück. „Ich frage doch nur, weil ich deine Sachen noch nie rumliegen gesehen habe und meine Wimperntusche in den nächsten Tagen leer geht. Und hier könnte es schwer werden, etwas nachzukaufen.“ „Ach so.“ Na gut, wenn das so war. „Ich weiß nicht, was ich benutze. Das ist noch die, die James mir gegeben hat. Die halten ja ne Weile ...“ Er benutzte ja nicht ganz so viel wie Noah, dem das ja schon ein Hobby geworden war. „Ich weiß. Aber ich brauche welche für Volumen“ erklärte er trockenehrlich. „Bei dir hab ich ehrlich gesagt, nie so darauf geachtet. Ich fand deine Augen auch ungeschminkt ganz wunderbar.“ „Ich überlege gerade, ob das ein Kompliment werden soll oder ne Beleidigung, dass du mich nie richtig anguckst.“ „Ich rede mich gerade um Kopf und Kragen, oder?“ befürchtete er. Es gab Momente in denen man ihm nichts rechtmachen konnte. Jetzt war so ein Moment. „Ich dachte nur, vielleicht hilfst du mir aus der Patsche. Wie sieht deine Bürste denn aus?“ „Wie, wie die aussieht? Wie ne Bürste eben.“ „Ja, ich weiß. Aber wie genau? Ist die gerade oder hat die so eine runde Wölbung? Oder sieht sie ein bisschen aus wie ein Tannenzapfen?“ „Nee nee. Die ist gerade. Ganz normal gerade wie ein Tannenzapfen.“ „Also eine für Länge. Schade. Ich bräuchte eine für Volumen. Lang sind meine Wimpern schon, aber eben nicht voll. Nicht so wie deine.“ „Aber du kannst sie doch auffüllen“ meinte er ganz selbstverständlich. „Nika hat mir das neulich gezeigt. Sie hat so kleine Strähnen, die sie ankleben kann. Die halten sogar erstaunlich lange. Sie sagte auch, sie braucht mehr Volumen, aber sie mag es nicht, wenn es aussieht, als hätte sie Spinnenbeine an den Augen.“ „Ja schon. Aber Nika setzt sich welche in Dunkelbraun ein. Ich bleibe eher beim klassischen Schwarz. Ich kann höchstens versuchen, sie aufzubürsten.“ „Dann mach das doch. So eine kleine Bürste hast du doch eingepackt. Hab ich schon bei dir gesehen.“ „Stimmt, die habe ich mit. Aber deine Sachen sehe ich nie rumliegen. Du bist doch sonst nicht so ordentlich.“ „Ja schon. Aber mein Make-Up hab ich immer in der Umhängetasche. Sonst vergesse ich es Zuhause, dann schnappen die kleinen Fellknäule sich das und es wird weggespielt. Davon abgesehen, dass ich mich unterwegs nicht nachschminken könnte.“ „Oh ja, das kenne ich. Aber ich hab nicht von allem eine Packung, die ich immer mitnehme, sondern ich hab lieber viele Sachen, die alle ihren festen Platz haben. Dann muss ich es nicht ständig mitschleppen und kann nichts vergessen. Ich hab im Büro auch meine Sachen im Badezimmer deponiert. Selbst in der Limousine hab ich eine Schublade.“ „Hm, Seto hat da neulich drüber genörgelt.“ „Ich weiß. Deswegen fährt er ja lieber mit seinem eigenen Wagen, seit Nini ihn in der Limousine geschminkt hat. Ich finde das Rouge stand ihm gut, aber Rosé ist nicht seine Farbe.“ „Stimmt. Ein helles Sandbeige würde ihm besser stehen. Er ist ja eh so blass, aber er wird schnell rot. Da reicht ein heller Ton auf der Haut, um ihm Farbe zu geben und ... ha ha ha ha ha ...“ Da musste er einfach anfachen zu lachen und lehnte sich belustigt an Noahs Schulter. „Was ist?“ lachte der mit ihm. „Woran denkst du gerade? Wie du Seto schminkst?“ „Nein“ lachte er und seine Augen hatten ihr Funkeln zurück als er seinen Liebsten wieder im tiefsten Schwarz anblickte. „Ich habe gerade gedacht, was meine männlichen Unikollegen darüber sagen würden, dass ich mit meinem Lebenspartner Make-Up Tipps austausche.“ „Es gibt Paare, die teilen sich eine Zahnbürste und wir teilen uns eben das Mascara“ schmunzelte Noah selbst ein wenig belustigt. „Niemand hat behauptet, wir wären normal.“ „Mit keinem Mann würde ich mein Mascara lieber teilen als mit dir“ seufzte er und schenkte ihm einen unendlich zufriedenen Ausdruck. „Ich liebe dich sehr, Noah. Ich liebe dich wirklich.“ „Ich liebe dich auch, Moki“ versprach er und strich verliebt durch sein kohlschwarzes, seidenes Haar. „Ich liebe dich einfach über alles.“ Sie blickten sich tief in die Augen und waren versunken in diesen Augenblick. Was gab es schöneres auf der Welt als dem liebsten Menschen im Leben sagen zu können, wie sehr man ihn liebte? Nichts. Nichts war so wertvoll wie das. Aber das tiefe Seufzen im Raum kam weder von Noah noch von Mokuba. Zeitgleich wandten beide ihre Köpfe nach links und zurück auf den Laptop der dort noch immer stand und eine blanke Männerbrust zeigte, bevor sich der Autozoom so einstellte, dass man auch Enricos Gesicht dazu fand. „Ach, der ist ja immer noch an“ stellte Mokuba beinahe verwundert fest. „Wie es James wohl geht?“ „Wir können ja mal sehen“ meinte Noah und stand auf, um den Laptop herüber zu holen. „Sagtest du nicht, wir wollen nicht mehr spannern?“ „Wenn wir versuchen, mit ihm in Kontakt zu treten, ist es kein Spannern. Zusehen und schweigen - das ist Spannern. Wenn auch ne Reaktion kommt, nennt man das chatten, Mr. Kaiba.“ „Ich hasse es, wenn du mich belehrt, M i s t e r K a i b a“ antwortete er zurechtgerückt und rutschte ein Stück zur Seite als Noah mit dem Laptop ankam, diesen ein wenig erhöht auf die Kissen stellte und sich gemütlich auf den Bauch neben sein Häschen legte. „Und können die uns jetzt auch sehen?“ wollte er neugierig wissen, als Noah ein Fenster öffnete und dort ein paar Daten eingab. „Sobald ich mich eingeloggt habe. Sonst denkt sein System, ich bin ein Trojaner und blockt mich ab“ erklärte er und knutschte ihm überraschend ein kleines Küsschen auf die Wange. Einfach mal so. „Ich meine, weil ich gar keine Webcam sehe“ sprach er und rückte so nahe an ihn heran, dass er sich kuschelig an seine Schulter schmiegen konnte. „Hier“ zeigte er auf einen etwa ein Quadratzentimeter großes, glänzendes Plastikstück. „Ist alles angebaut.“ „Das soll ne Webcam sein?“ staunte er und machte ganz große Augen, als er das Plättchen am Rande in Augenschein nahm. „Das Ding ist ja kleiner als der Magnetsteifen meiner Kreditkarte. Hast du das entwickelt?“ „Nur halb“ musste er zugeben, als er das Tippen aufhörte und zur Seite klickte. „Die Technik hat Seto gebastelt.“ „Echt? Wow ...“ Er wusste ja, dass sein Bruder genial war, aber das war doch wirklich kaum noch zu glauben. „Na ja. Überleg mal, was für Daten allein auf dem Chip deiner Krankenkarte sind. Und Seto schafft es, ne digitale Welt zu schaffen und ein paar beschädigte Dateien in einen Menschen zu verwandeln.“ Er wand sich zurück zu seinem Computer und tippte ein paar Zahlen und Buchstaben ein, deren Bedeutung wohl nur er zu entschlüsseln vermochte. „So eine Minicam ist für ihn doch nur Hobby, wenn er nichts zu tun hat.“ „Auch wieder wahr.“ Trotzdem unglaublich. So was machte Seto also, wenn ihm langweilig war? „Und was hast du daran gemacht?“ „Ich hab die Software dazu entwickelt. Jede Hardware braucht ne Software um zu funktionieren.“ „Hm.“ Logisch. „Und die teste ich gerade mit Jimmy. Ich hab ihm einen Laptop mit derselben Cam geschickt und wir probieren das hin und wieder.“ „Und wie läuft es?“ „Ganz okay. Hast ja schon gesehen, wie gut das Bild selbst in der Automatik ist.“ Auch wenn Mokuba jetzt gerade außer ein paar grünen Zahlen auf schwarzem Grund nicht viel sehen konnte. Anscheinend programmierte Noah da wieder was. Wenn es ums Programmieren ging, war Mokuba nicht so gut. In der Entwicklung auch nicht. Er war aber gut darin, Fehler in der Anwendung zu finden. Deswegen war er ja Setos Lieblingstester. Ein System, welches Mokuba nicht zum Abstürzen bringen konnte, konnte nur von Noah oder Seto sein. Nur wenn es bei Mokuba funktionierte, war es idiotensicher - denn der Wuschel fand zielsicher jeden noch so kleinen Fehler, der dann einen großen Systemabsturz zur Folge bekam. „Und warum testest du das und nicht ich?“ „Um ehrlich zu sein, ist es noch gar nicht testreif“ erklärte er sanft. „Du siehst ja, hier beim Einloggen ist die Verbindung zusammengebrochen. Ich muss noch hier und da was stabilisieren. Aber wenn ich es für gut befinde, wollte ich es dir zum Testen geben. Dann kannst du mal versuchen, es abstürzen zu lassen.“ „Und warum hat ausgerechnet James den anderen Laptop?“ „Weil er schön weit weg wohnt und weil ich nichts dagegen habe, wenn er sich auf meinem Privatsatteliten einloggt. Ich glaube kaum, dass er versucht, irgendwelche Daten auszuspionieren.“ „Er könnte das ja nicht mal, wenn er wollte. James ist kein so neugieriger Hacker.“ „Nicht so wie du“ schmunzelte Noah. „Jimmy lässt den Laptop meistens die ganze Zeit laufen und vergisst es dann. So kann ich jederzeit ran und irgendwas einstellen und testen. Er ist ne sehr genügsame Testperson. Er weiß ja, dass ich eigentlich nicht spannere.“ „Ja ja, ist angekommen“ brummte er und streifte ganz selbstverständlich sein langes Haar über die Schulter, als Happy ankam und es sich auf seinem Rücken gemütlich machte. Sie wusste ja, dass Herrchen die Haare wegnahm, wenn sie sich auf ihn legen und kuscheln wollte. „Bist du da jetzt langsam mal fertig, Hase?“ „Jawohl.“ Er veränderte den Modus zurück in etwas, was ein wenig moderner aussah und ließ das Fenster wieder hochfahren, welches Mokuba schon kannte. Allerdings sah man gerade nicht mehr als eine hell orangene Zimmerdecke, welche von einem langen Lichtstreifen überzogen war. „Jetzt noch der Lautsprecher und ...“ „... und nicht doch erst nach den Ferien“ hörte man Enricos Stimme sagen. „Sind deine Bedenken wegen des Trainings damit jetzt zerstreut?“ „Ich hatte keine Bedenken wegen des Trainings, sondern wegen der Zeiten“ hörte man Jimmys Stimme in einiger Entfernung. Wahrscheinlich war er in einem anderen Raum, so gedämpft klang es. „Aber deine Patienten kommen ja gut damit klar, dass du Freitags jetzt früher schließt und wegfährst. Mögen die Kinder im Sportclub dich denn wenigstens?“ „Sind ja keine Kinder, sondern Jugendliche. Von mögen kann man da nicht reden. Einige davon halten sich für ziemlich unwiderstehlich und wollen angeben mit ihrer großen Klappe. Du weißt doch, wie Jungs sind.“ „Leider. Bei der großen Klappe bleibt’s ja dann meistens auch. Je größer die Klappe, desto weniger ist dahinter. Pubertärer Kinderkram.“ „Ist wahr. Dem einen hab ich eins drauf gegeben, damit er aufhört, mich ständig herauszufordern. Der ging mir echt auf den Sack.“ „Enrico, wie war das?“ ermahnte er ihn dunkel. „Auf den Keks“ korrigierte er sich brav. Jamey erzog eben gern an ihm herum. „Aber waren das nicht mehrere, die dich genervt haben?“ Jetzt war seine Stimme schon näher und als die Kamera langsam ihre Automatik wiederfand, zoomte das Bild auch herunter, stellte sich scharf und zeigte Enrico noch immer im Badehandtuch-Outfit oben ohne direkt vor dem Laptop sitzend. Aber dafür trat James jetzt hinter ihn an die Sofalehne und drückte seinem Liebsten vorsichtig ein Kühlpad aufs Auge, als der seinen Kopf zurücklegte. „Oh, das gibt ein blaues Auge, Sweetheart.“ „Ach, Kampfwunden sind Ehrenwunden“ tröstete er sich selbst. „Haben deine Sprösslinge denn jetzt auch Ehrenwunden, wenn sie dir auf den Keks gehen? Zuschlagen ist sonst gar nicht deine Art. Oder mutierst du jetzt zu Rocky Reloaded?“ „Quatsch. Sie drehen mir nur den Rücken nicht mehr zu“ lachte er und ließ sich sein leicht feuchtes Haar zerkraulen. „Was?“ lachte James mit ihm und küsste verliebt seine Stirn. „Was hast du mit den Jungs gemacht? Hast du sie echt verprügelt?“ „Schlimmer. Ich hab ihnen erzählt, dass ich verheiratet bin. Natürlich sind sie dann darüber hergezogen, dass ich bestimmt voll das Mannsweib habe, dass sie mich nicht ranlässt und ich eben deswegen ins Training gehe, weil ich sonst Zuhause nichts zu melden habe.“ „Na ja, ist ja auch halb richtig“ schmunzelte er. „Nur, dass ich ein Mannsweib genannt werde, hab ich nicht so gern. Und dass ich dich nicht ranlasse, stimmt ja nun auch nicht.“ Dass Enrico Zuhause wenig zu melden hatte, war ja sogar nicht mal ganz so falsch. Aber er hatte sein Zepter ja freiwillig aus der Hand gegeben. „Nee, du zwingst mich ja schon fast dazu, an dich ranzugehen. Du wirst so leicht zickig, wenn du unausgelastet bist.“ „Rico!“ lachte er und haute ihm scherzend auf den Arm. „Genau das habe ich den Kids da auch erzählt“ erzählte er fröhlich weiter. „Sie wollten mir nicht glauben, dass ich ne Schönheit Zuhause im Bett habe und haben mich ausgelacht, weil ich ja auch ganz uncool meinen Ehering trage. Deswegen hab ich meine Brieftasche rausgeholt und ihnen unser Hochzeitfoto gezeigt.“ „Seitdem haben sie Angst um ihre Hintern?“ lachte er ungläubig. „Ausgerechnet bei dir? Das sind doch alles Jungs da.“ „Sie denken jetzt, ich bin schwul. Das denkt doch eh das halbe Dorf“ lächelte er selbstzufrieden. „Sollen sie doch. Wenigstens ist seitdem etwas Ruhe eingekehrt. Sie wissen wohl nicht ganz, wie sie mit einem Schwulen umgehen sollen, der nicht aussieht wie ein Mädchen. Nächstes Wochenende ist übrigens der erste Freundschaftskampf und jeder soll wen mitbringen. Ich bin schon auf ihre Blicke gespannt, wenn ich da tatsächlich mit dir auftauche. Bis jetzt zweifeln sie wahrscheinlich daran, dass du wirklich existierst. Jemanden wie dich haben sie bisher ja nur im Fernsehen gesehen. Wobei du natürlich tausend Mal niedlicher bist als die Tucken, die auf dem CSD vorbeiwackeln.“ „Du willst mich vorführen“ unterstellte er ein wenig beleidigt. „Nein, ich will dich präsentieren“ schwärmte er mit geschlossenen Augen, eines davon sogar gekühlt. „Ich bin doch stolz darauf, das süßeste, schillernste Wesen von allen im Arm zu haben. Deine bunten Facetten sind so natürlich, dass man dich einfach nur lieb haben kann.“ Er zumindest konnte das. Er kam mit dem gehobenen Anspruch seines Ehemannes gut zurecht. Auf der einen Seite legte er viel Wert auf die Oberfläche, aber es fehlte ihm dadurch dennoch nicht an Tiefgang. Das war es, was Enrico an ihm so spannend fand. James war einfach sein aufregender Ausgleich zum ruhigen Dorfleben. „Ich hab aber nichts, was ich auf einer Sportveranstaltung tragen könnte. Dann musst du mir vorher noch etwas Sportliches zum Anziehen kaufen.“ „Das hatte ich befürchtet ...“ „Und mich deshalb noch nicht gefragt, ob ich dich begleite?“ „Eigentlich wollte ich dich einpacken und ganz überraschend hinfahren ...“ „Hättest du ja doch nicht gemacht, Feigling“ lächelte er und küsste ihn auf seine schönen, warmen Lippen. Sein Rico spuckte Töne wie ein Macho und konnte sich auch durchaus mal prügeln, aber eigentlich war er ein Muttersöhnchen. „Jamey ...“ flüsterte Enrico leise, als der ihm langsam den Hals hinabküsste und das Haar zur Seite strich. „Nimm die andere Seite.“ Auf dieser Seite befand sich sein abgehacktes Ohr und dort wurde er einfach nicht gern geküsst. Früher mochte er es, wenn sein Schatz ihm ein Ohr abknutschte, aber jetzt war es ihm unangenehm. „Ich nehme mir gleich noch ganz was anderes“ schmunzelte er und war trotzdem so freundlich, auf die andere Seite zu wechseln. Ganz langsam nuckelte er sich an seinem heilen Ohr entlang und strich mit den Handflächen über die schöne, glatte Brust. Auf dass sein Rico sich seufzend zurücklehnte und seine Annäherungen genoss ... „Schönen guten Abend, die Herren Enrigues“ meldete Noah sich freundlich, da die beiden wohl anscheinend sonst etwas anderes im Auge hatten als sich weiter in Unterhaltungen zu verlieren. Das würde sonst Spannern der Extraklasse werden und das musste ja nun wirklich nicht sein. Verwundert blickten die zwei gleichzeitig auf und direkt in die Kamera hinein. Jedoch sehen, schienen sie nichts zu können. „Jamey?“ fragte Enrico zweifelnd. „Hat dein Laptop eben mit uns geredet?“ „AH! NOAH!“ Nach einer kurzen Reaktionszeit freute er sich, patschte dem schmerzzischenden Enrico das Kühlpad zurück aufs Auge und landete im Sturzflug direkt vor dem Laptop. „Ich hab kein Bild! Wo mache ich dich an? Das Icon ist weg.“ „Ich weiß, mir ist das System abgestürzt“ erklärte er geduldig. „Sei ein Schatz und klick mal selbst oben auf den gelben Kreis und dann auf Audio/Visio. Dann stellst du die Verbindung zu unserer Kamera her und ich muss mich bei dir nicht einloggen. Ich muss mal sehen, was das für ein Fehler ist. Aber dafür muss ich erst tiefer einsteigen und den ...“ „Ich sehe euch“ strahlte er dann. Okay, jetzt schien es zu funktionieren. Anfängliche Kinderkrankheiten blieben bei neuen Systemen ja nicht aus, aber er sah das nicht ganz so kritisch wie Noah. „Und Mokuba ist auch da. Hi Dear!“ „Hi“ lächelte er zurück. „Und Happy ist auch da. Ich sehe ihren Schwanz“ lachte er, denn der tippte immer mal regelmäßig gegen Mokubas Kinn, obwohl vom Rest des Tieres nicht viel zu sehen war. „Wie geht’s euch? Und den Katzenbabys?“ „Alles in Ordnung“ lächelte Mokuba. „Die Kleinen sind ne richtig wilde Horde. Aber jetzt schlafen sie gerade.“ „Boa noite, Enrico“ grüßte Noah mal mittenrein. „Boa noite“ grüßte er freundlich zurück. „Você é ainda são lá embaixo?“ „Como saúde como podemos ser. Aqui no cafundó.” „Mann, Noah” brummte Mokuba offenkundig beleidigt. „Kein Portugiesisch reden. Das ist gemein.“ „Noah hat nur gesagt, dass es euch den Umständen entsprechend gut geht. Lass dich von den Mackern nicht ärgern“ plapperte James drauf los. „Noah, du glaubst nicht, was hier eben abgegangen ist. Also, ich hab dir doch neulich von Colin erzählt. Der, den ich in Siscia im Hotel kennen gelernt hab. Du glaubst es nicht, aber der ist doch wirklich zudringlich geworden!“ „Nein, ehrlich?“ Noah gab sich Mühe, überrascht zu wirken. Musste ja nicht sein, dass er sich und Mokuba verpetzte. Das wäre unfein. „Aber du meintest doch, er wäre so nett.“ „War er auch. Aber anscheinend ein bisschen zu nett. Rico hat mich ja gewarnt, dass er irgendwie merkwürdig ist, aber ...“ „Aber du warst mal wieder viel zu naiv“ ergänzte Noah. „Du weißt doch, dass du eine miserable Menschenkenntnis hast.“ „Anscheinend“ seufzte er und lehnte sich vertrauensvoll zwischen Enricos Knie zurück. „Ich hab mir nichts dabei gedacht, wenn wir zusammen sind. Aber gerade eben hat er sich wirklich schlecht benommen. Er hat mich angegrapscht. Noah! MICH! Ich bin verheiratet, Mann! Sehe ich aus als würde ich fremdgehen müssen? Bei dem Sahnetypen hier hinter mir?“ „Ich glaube, das war ein Kompliment“ sprach Enrico sich selbst aufbauend zu. Auch wenn er es gewohnt war, zur Nebensache zu mutieren, sobald Noah aufkreuzte. „Du scheinst aber nicht besonders beunruhigt zu sein“ stellte Mokuba reichlich verwundert fest. Wenn jemand Seto so angegrapscht hätte, läge der jetzt wahrscheinlich heulend irgendwo in der Ecke und wäre untröstlich oder wahlweise der Grapscher halb tot - das wäre tagesformabhängig. Aber James schien das ja vergleichsweise kalt zu lassen. Okay, er war aufgeregt. Aber anstatt Angst zu haben, schien er eher beleidigt. Mokuba hatte in dem Moment nur Seto vor sich gesehen ... aber James schien ein ganz anderer Typ Mensch zu sein, der mit so was ganz anders umging. „Na ja, ist ja nichts passiert“ antwortete der unbesorgt. „Ich hab ja einen großen, starken Mann, der mich beschützt. Rico hat ihn vertrieben. Noah, er hat sich für mich geprügelt! Kannst du das glauben? Dass zwei Kerle sich mal um mich kloppen?“ „Na ja ...“ Er sah das wohl eher positiv. „Aber jetzt hat er ein blaues Auge. Mein Süßer“ klagte er und legte den Kopf zurück, um ihn mitleidig anzusehen. Aber Enrico lächelte nur, hielt sich das Kühlpad weiter aufs Auge und streichelte seinem Liebsten sanft über den Kopf. „Ja schon, aber hattest du keine Angst?“ Mokuba konnte das nicht glauben. Das war eine versuchte Vergewaltigung! Wie konnte man damit so lax umgehen? „Ging so. Ich hab mich im ersten Moment schon erschrocken“ gab James ganz ehrlich zu. „Aber ich bin schon öfter in so einer Situation gewesen. Nicht wahr, Noah? Damals im Pink Palace?“ „Ach, hör mir damit auf“ winkte der hoffnungslos ab. „Der Laden ist doch vor die Hunde gegangen.“ „Warum? Was war da?“ wollte Mokuba streng wissen. „Was ist das Pink Palace? Warum weiß ich davon nichts?“ „Heute gibt es das Pink Palace nicht mehr. Es heißt jetzt anders“ erklärte James dafür. „Das war damals in Domino eine der ersten Schwulenbars, die aufgemacht haben. Anfangs sind Noah und ich da häufiger hin, aber irgendwann ist das Niveau rapide abgesunken. In der ersten Zeit konnte man da schöne Cocktails trinken, tanzen und Männer kennen lernen. Dann schien sich das bei den falschen Leuten umgesprochen zu haben und es sind dann eben auch ... na ja, wie soll ich das sagen?“ „Es kamen zunehmend Herren, die da auf der Suche nach etwas Bestimmtem waren“ erleichterte Noah die Formulierung. „Es kamen immer mehr Gäste, die durchaus schnell aufdringlich wurden. Besonders Jimmy scheint diese Art Mann magisch anzuziehen und war schon das Sorgenkind der Security. Ständig mussten sie ihn von irgendwelchen Typen befreien.“ „Also wurdest du schon häufiger abgefummelt?“ staunte Mokuba. „Hat dir das nichts ausgemacht?“ „Doch, natürlich. Ich bin doch kein Grabbeltisch, wo jeder randarf. Er muss schon was Besonderes sein“ meinte er und sah glücklicherweise nicht, wie Enrico seine Augenbraue erhob. Es war nett, wenn sein Jamey ihn einfach ausblendete. Na ja, das war ja immer so, sobald Noah auftauchte. „Es war ja auch nicht ständig, aber es häufte sich. Hat heute den Vorteil, dass ich bei zudringlichen Männern nicht so leicht in Panik gerate. Und als die damals dann im Nebenzimmer den ersten Dark Room aufmachten, haben Noah und ich uns einen anderen Stammclub gesucht.“ „Ähm, entschuldige meine Unwissenheit in solchen Dingen“ bat Enrico ihn zurückhaltend. „Aber was bitte ist ein Dark Room?“ „Das willst du nicht wissen“ meinte Mokuba als eindeutigen Hinweis. „Das kann man nicht mit kinderfreien Worten beschreiben.“ „Das ist ein spärlich beleuchteter Raum für meist anonyme, schwule Sexualkontakte“ erklärte Noah. „So eine Art Meetingpoint für ‚bestimmte’ Vorlieben.“ „Oder auch Yamis Schlafzimmer genannt“ schmunzelte Mokuba. „Ah“ nickte er mit großen Augen und blickte dann zu seinem Jamey hinunter. „Und da warst du drin?“ „In Yamis Schlafzimmer?“ „Nein“ verdrehte er die Augen. „Im Dark Room.“ „Ich hab mal reingeguckt, aber ich war auch ganz schnell wieder draußen“ eröffnete der ihm ganz freizügig. Geheimnisse schienen er und Enrico da keine zu haben und James war ne ehrliche Haut. „Aber du kennst mich. Erstens sehe ich meinen Partner gern beim Sex und zweitens ist es auch ganz nett, wenn ich wenigstens weiß, welchen Namen ich stöhnen muss.“ „Aha ...“ Okay, was sollte er dazu sagen? Er ging höchstens mal in eine Disco, aber Schwulenbars gehörten nicht zu seinen ‚Vorlieben’. Geschweige denn diese Dark Rooms, wo man anscheinend ganz andere ‚Vorlieben’ auslebte. Dafür war er zu sehr Dorfkind. „Wie gesagt, wir haben uns dann einen neuen Stammclub gesucht“ erzählte Noah weiter. „Wir sind nach einigem Suchen ins True Host übergewechselt. Da hat man zwar ein Obergeschoss mit kleinen Zimmerchen, aber keinen Dark Room. Und die Klientel ist auch wesentlich angenehmer, um nicht zu sagen niveauvoller.“ „Es sei angemerkt“ warf James noch ein. „Das Pink Palace heißt heute Porn Palace. So viel dazu.“ „Na ja. Gut, dass ihr euch einen anderen Club gesucht habt. Und tut mir irgendwo auch leid für dich, dass es hier in der Umgebung gar keinen solchen Club gibt, wo wir mal hingehen könnten“ meinte Enrico, während Mokuba dazu kaum etwas sagen konnte. Erst so ganz allmählich kam er dahinter, dass Noah und James hinter seinem Rücken mehr Kontakt gepflegt hatten als er es wusste. Auf der einen Seite tat es ihm leid, weil er ahnte, was er Noah für eine Szene deswegen gemacht hätte und ihm gar keine andere Chance gab. Aber auf der anderen Seite war es gut zu sehen, dass Noah jetzt mit offenen Karten spielte und frei darüber sprach. Jetzt, wo Mokuba versuchte, seine krankhafte Eifersucht in den Griff zu bekommen und nicht ständig Gefahr lief, ihm haltlose Unterstellungen zu machen. Das sah er in diesem Moment als Enrico es bedauerte, dass James gar keinen Schwulenclub in der Nähe hatte, um auch mal ‚Gleichgesinnte’ zu treffen und einen Cocktail zu trinken. Der schien nicht einen Moment daran zu denken, dass man ihn betrügen könnte. Das war nicht etwa fehlende Liebe, sondern einfach und schlicht Vertrauen. Vertrauen in den Partner und Vertrauen in sich selbst. Und das imponierte Mokuba nun doch. Er würde Noah und sich selbst auch gern so sehr vertrauen können ... ohne Angst, er könne übertrumpft werden. „Ich brauche keinen Club in der Nähe. Ich wusste ja, dass das hier ein Dorf ist“ lächelte er mit zurückgelegtem Kopf zu seinem Rico hinauf. „Wenn ich tanzen will, mache ich einfach Musik an und meinen persönlichen Dark Room hab ich gleich nebenan.“ „Solange du dir nicht wieder Freunde wie diesen Colin anlachst“ meinte der lächelnd. „Du solltest weniger verständnisvoll sein“ erwiderte er grottenernst. „Ich finde, das nächste Mal, wenn ich Besuch habe, weichst du nicht freiwillig auf die Couch. Du solltest darauf bestehen, dass wir zusammen im Bett bleiben.“ „Und wenn Noah mal wieder zu Besuch kommt?“ Sollte er dann etwa auch das große Bett blockieren? James wurde hochrot und wand den Blick beschämt seitlich auf den Boden. „Du bist doof“ war alles, was ihm dazu einfiel. Manchmal war Enricos fehlende Eifersucht fast schon kränkend. „Das nächste Mal kommen Mokuba und du uns doch hoffentlich zusammen besuchen“ lud der dafür die beiden sofort ein und sah in die Kamera. „Ich meine, wenn ihr eh gerade in Norwegen seid, könnt ihr doch auf dem Heimweg einen kleinen Urlaub in Portugal einlegen. Wir haben es schon jetzt wunderbar warm hier.“ „Wenn wir euch nicht stören“ meinte Noah. „Wir kommen dann beizeiten auf das freundliche Angebot zurück. Nicht wahr, Häschen?“ „Hm“ meinte der leise und lehnte sich bei ihm an. Irgendwie wurde ihm schwer ums Herz. Noah hatte es wirklich nicht leicht mit einer Zicke wie ihm. Enrico und James verhielten sich so viel erwachsener, obwohl sie nur einen Bruchteil der Zeit zusammen waren, wie er und Noah. „Und dann gehen wir mal alle zusammen in einen Club. In Lissabon müsste sich doch sicher etwas passendes finden lassen.“ „Ach, Jamey“ seufzte Enrico, der jetzt schon keine Lust mehr darauf hatte. „Lissabon ist doch so weit weg. Da fahren wir ja den ganzen Tag lang mit dem Auto.“ „Ich finde die Idee gut“ meinte Noah. „Und mit dem Auto fahren müssen wir nicht. Ich lasse uns einen Helikopter hinstellen. Dann sind wir doch in zwei Stunden in der Hauptstadt. Und die Nacht gehen wir ins Hotel. Jimmy, du musst nur mal rauskriegen, welche Bars da angenehm wären.“ „Und wenn da doch Typen wie Colin rumlaufen, beschützt Rico uns“ lachte James und kuschelte sich an seine Beine. „Mein Rico macht jetzt nämlich nach Jahren wieder Boxtraining. Hab ich’s erzählt?“ „Nika sagte so was“ antwortete Noah. „Aber erzähl mal. Sie meinte, du machst den ehrenamtlichen Trainer in einem Jugendclub?“ „Sie hat das Boxen ja leider aufgegeben. Schade, ich hätte gern mal gegen meinen Bruder geboxt. Aber was soll’s? Ich hab’s ja eigentlich auch vor Jahren aufgegeben. Allerdings aus anderen Gründen“ erzählte er. „Damals hab ich an der Uni geboxt, aber dann hab ich promoviert, dann kam die Praxis, Mamasitas Tod ... ich hab nur wieder angefangen, weil Jamey meinte, ich würde hier verweichlichen.“ „Was nicht heißen sollte, dass du dir gleich die Nase plattmatschen lässt. Joggen hätte es auch getan. Ich finde, Boxer haben immer so eine Matschnase“ redete der ihm rein. „Deswegen trainiere ich ja auch nur wenig und gebe mehr Unterricht.“ „Und seit du mit diesen Jugendlichen zusammen bist, leidet dein Wortschatz ganz schön. Wenn wir da am Wochenende hinfahren, werde ich denen erst mal was von Benimm erzählen.“ „Oh ja, nimm das bitte auf Video auf“ lachte Noah auf Enricos erschrockenen Blick hin. „Jimmy in Höchstform. Und nimm dein Beautycase mit.“ „Noah! Bring ihn nicht noch auf Gedanken! Die Jungs wollen boxen und keinen Lidschatten auswählen!“ „Sei ein bisschen toleranter, Rico“ lachte James, der die Idee anscheinend nicht mal so abwegig fand. „Warum soll man nicht auch als Boxer seine weibliche Seite unterstreichen?“ „Hilfe ...“ Enrico sah ihn einen ganzen Augenblick scherzend geschockt an, bevor er sich dann erhob und ihn damit notgedrungen seiner Lehne beraubte. „Wo willst du denn hin?“ wollte er wissen, als er sich mit ihm erhob. „In der Wanne ist noch Wasser. Ich gehe lieber baden, bevor ich Angstzustände bekomme“ scherzte er und schmatzte ihm einen Kuss auf. „Euch auch noch einen schönen Abend, die Herren Kaiba“ winkte er zu den beiden im Laptop. „Bade schön, Enrico“ lachte Noah und winkte ihm. „Bleib sauber!“ Mokuba aber war annähernd erschrocken, geschockt, verwundert ... bewundernd. „James!“ rief er aufgeregt. „Sag nicht, du hast dich ... gucke ich falsch?“ „Was?“ er drehte sich herum und folgte dann langsam Mokubas Blick an sich hinunter. Und tatsächlich. Ja, es blitzte hervor. Direkt über seinem Hosenbund und unter der kurzen Jacke funkelte ein kleines Steinchen. „Ach so. Das“ lachte er und hob die enge Joggingjacke zwei Zentimeter an. Und zum Vorschein kam ein kleiner, pinker Kristall, der an einem Stab durch seinen Bauchnabel steckte. „Du hast dich piercen lassen?“ fragte Mokuba mit leuchtenden Augen. „Ja. Vor drei Wochen in Siscia“ erzählte er und spielte stolz an dem kleinen Silberstäbchen herum. „Es ist ganz gut geheilt. Ihr kennt ja Rico mit seinen ganzen Salben und Pasten und Ölen und was weiß ich.“ „Sieht schick aus“ meinte er ernst und zunehmend begeistert. „Was hat Enrico denn dazu gesagt?“ „Um ehrlich zu sein, war er anfangs nicht so angetan“ lachte er. „Aber ich kenne ihn besser. Weißt du? Beim Sex ist er nämlich ständig an meinem Bauchnabel zugange. Das scheint so ein Fetisch von ihm zu sein. Keine Ahnung. Auf jeden Fall spielt er jetzt gern daran herum und eigentlich sieht es doch gut aus, oder?“ „Na ja, du hast ja auch den passenden Bauch dazu“ meinte Mokuba mit einem breiten Strahlen. „Auf die Idee bin ich nie gekommen. Ob mir das auch ...?“ „Nein. Moki, nein“ stoppte Noah ihn gleich, bevor es zu spät wurde. „Kein Bauchnabelpiercing. Du musst Jimmy ja nun nicht alles nachmachen.“ „Aber Noah“ bettelte er. Juhu, jetzt hatte er ja ne neue Flause im Kopf. „Seto ist sogar tätowiert. Da ist ein Piercing doch gar nichts gegen.“ „Ich will weder, dass du dir die Hüften tätowieren, noch deinen Nabel piercen lässt“ befahl er streng. „Ich mag deinen Unterleib so wie er ist.“ Aber so ein Piercing wäre doch eigentlich eine ziemlich coole Sache ... Chapter 35 Es roch nach schwerem Rauch mit einem Aroma von süßem Obst. Dieser wundervolle Duft hatte sich seit Jahren nicht mehr in seine Nase gelegt. Es war ein Duft von Zuhause. Er roch sie, die großen Hallen, in welchen man jeden einzelnen Schritt hörte. Er roch die frische Kleidung, welche noch nach der Sonne duftete, welche sie getrocknet hatte. Er roch das feine Öl, welches für sein Bad bereitgestellt war. Und die würzigen Kräuter, welche man zum Räuchern im nahe gelegenen Gebetsraum für ihn abbrannte. Es war der Duft von Zuhause. Er seufzte und wollte ihn nicht verlieren. Dieses heimische Gefühl. Den Geruch der weichgeklopften Laken und des feinen Straßensandes. Es war ihm als könne er die Mittagssonne auf seiner Haut spüren. Ja, die Sonne war über Jahrtausende dieselbe geblieben. Die Sonne war ein Stück Zuhause. Das einzige, was noch geblieben war, wie es schon immer war. Mit einem wehmütigen Gefühl öffnete Yami die Augen und traute seinem Blick nicht. Er hatte sich nach dem Abendessen zum Verdauungsschläfchen in seine Holzhütte zurückgezogen und nun erwachte er an einem fremden Ort? Nein, es war kein fremder Ort. Nur ein anderer. Er blickte sich um und fand sich selbst in weißen Laken, welche über weiche Gänsedaunen gelegt waren. Er sah den fein gewebten Teppich vor seinem aus Holz gerahmten Bett und in selben, bunten Farben an die hohen Steinwände gehängt. Auf dem kleinen Tisch stand eine große Schale glänzendes Obst, davor lagen harte Sitzkissen aus Bast und an der Seite eine kleine Truhe mit Papyrus und Kohlekiel. Sein Blick wanderte an sich selbst hinab und er fand sich in einen kurzen, weichen Rock gekleidet. Sein Oberteil war fein säuberlich über den Ständer in der Ecke gelegt und ... „Majestät. Schön, dass Ihr erwacht seid.“ Ein junger Mann mit schwarzen, hochgedrehtem Haar und einem schlichten Lakengewand nahm sich voller Respekt das anvisierte Oberteil, trug es zu ihm herüber und kniete sich nieder. „Wünscht Ihr, gekleidet zu werden?“ So etwas hatte Yami seit Jahrtausenden nicht mehr erlebt. Sobald er erwachte, stand ihm jemand zur Verfügung, der ihn kleidete, ihn wusch und ihm sämtliche Wünsche von den Augen ablas. Und obwohl ihm das hier so bekannt vorkam, wusste er im ersten Augenblick nicht, wie er darauf reagieren sollte. Wo war er hier? Warum war er hier? Was ging hier vor sich? Auf jeden Fall war er mit einem Schlag knallwach. „Majestät?“ Vorsichtig blickte der Mann zu ihm auf und wählte seine Worte mit großem Bedacht. „Ist Euch nicht wohl? Habe ich Euch überrumpelt?“ „Doch! Doch, alles prima“ antwortete er schnell. Wahrscheinlich musste er dieses Spielchen mitmachen, bis er wusste, was hier ablief. „Du möchtest mich ankleiden, oder?“ „Wenn Ihr es wünscht ...“ Nur der Wunsch des Pharaos zählte. „Euer Bad ist vorbereitet, wenn Ihr Euch lieber waschen würdet.“ Nein, nach baden war ihm gerade nicht zumute. Eher danach, hier herumzulaufen und nach einem Ausgang zu suchen. Wichtig war aber erst mal, dass er sich fing und die Überraschung nicht anmerken ließ. „Nein, schon gut.“ Er stand aus den weichen, wohlriechenden Laken auf und streckte seine Arme aus. Der Diener legte ihm behutsam den Stoff erst darüber und streifte ihm dann das Oberteil über den Kopf. Yami erkannte diese Art von Kleidung. Zu seiner Zeit war es gängig, dass er sich zur Mittagszeit ein Weilchen ausruhte und hierfür nur sein Oberteil auszog. Sobald er erwachte, bekam er dasselbe gewaschen und getrocknet zurück. Seinen Rock wechselte er erst zum Abend. So musste er daran denken, als sein Kammerdiener ihm einen kleinen Hocker holte und ihm auch die Schuhe antrug. Er band die Sandalen seine Waden hinauf und in Yami stieg ein wehmütiges Gefühl auf. Damals war er in diesem Luxus aufgewachsen und sah es als Selbstverständlichkeit. Und doch war er es nicht mehr gewohnt, dass ihm solche Arbeiten abgenommen wurden. Der Pharao sollte das Reich regieren und das Volk beschützen. Nicht sich mit Dingen wie Ankleiden, Waschen oder Aufräumen beschäftigten. Alles wurde ihm abgenommen, damit er Zeit fand, sich auf seine heilige Aufgabe zu konzentrieren. Ganz anders als in der Zeit, in welcher er jetzt lebte ... „Darf ich Euch etwas zum Wohle tun?“ fragte sein Diener als auch die Schuhe saßen und er so weit fertig war. „Möchtet Ihr etwas speisen, bevor Ihr Euren Hohepriester empfangt?“ „Meinen ...?“ Seth? War er hier? Wo? Und warum? „Ist er hier?“ „Aber natürlich“ lächelte er ihn respektvoll an. „Euer Aleseus steht bereits vor der Tür und wartet, dass Ihr erwacht.“ „Bitte sag mir“ bat er mit aufgeregten Worten. „In welcher Beziehung stehen wir zueinander? Aleseus und ich?“ „Majestät, Ihr liebt ihn“ antwortete der Diener. Er beherrschte sich, aber eine gewisse Verunsicherung konnte man in seinem Gesicht lesen. „Und er liebt Euch.“ Auch wenn er keine Gegenfrage stellen durfte, so fragten doch seine Augen, woher diese merkwürdige Frage kam. „Gut.“ Das hieß für ihn, er durfte ihm in die Augen blicken und ihn berühren. Wenn er wirklich in der Vergangenheit gelandet war, musste er erst wissen, in welchem Teil er sich befand, ohne ein Katastrophe auszulösen. „Wenn er vor der Tür steht ...“ Er stand auf und ging zu dem leichten Vorhang, hinter welchem er eine Tür vermutete. „Herr, wartet doch!“ Schnell flitzte der schwarzhaarige Mann voraus und schob vor ihm den hellen Vorhang zur Seite. Er öffnete dann die Tür aus schwerem Lehm und ließ sie zur Seite schwingen. Yami trat heraus und sah in einen kleinen, runden Raum wie ein Flur. Direkt vor ihm fand sich der Zugang zu einer Treppe und zu seinen Seiten jeweils ein Diener, die seine Tür bewachten. Es dauerte nur ein oder zwei Sekunden als er eine Bewegung rechts von sich wahrnahm. Er sah zur Seite und sein Herz polterte laut, bevor es aussetzte. Seth. In Lebensgröße vor ihm. Aber doch konnte dies keine Vergangenheitsvision sein. Seth war älter, trug langes Haar und seinen scharfkontierten Bart. Es war der Seth aus der jetzigen und nicht der junge Priester aus vergangener Zeit. „Du bist erwacht. Wie schön, Atemu.“ Er trat an ihn heran und bei seinen langsamen Schritten schwang sein Gewand leicht zur Seite. Die Kleidung war uralt, aber sein Priester neu. Auch wenn das Herz beim Anblick seines lang vermissten Geliebten laut und aufgeregt hämmerte, so stachen ihn doch die Gedanken. „Was geht hier vor sich? Wo bin ich? Seth, bitte klär mich auf.“ „Mein Pharao, bitte sei unbesorgt. Ich verspreche, dir wird nichts Unangenehmes geschehen. Du bist sicher, hier bei mir.“ Er kniete vor ihm nieder, nahm sich seine Hand und drückte einen starken, leicht feuchten Kuss darauf. Dann erhob er sich wieder, legte seine Hände an Yamis Oberarme und lächelte ihn mit leuchtend blauen Augen an. „Ich weiß, du musst sehr verwundert sein, hier zu erwachen und ich entschuldige mich, dass ich dich nicht vorgewarnt habe. Aber ich freue mich, dass wir uns hier treffen.“ „Dann hast du mich hergeholt?“ War das möglich? „Was ist das hier? Eine Vision? Ein Zeitsprung? Seth, wo sind wir?“ „In einem Traum“ erklärte er mit sanfter, rauer Stimme. „Atemu, du träumst einen Traum, welchen ich dir schenke. Ich möchte dir meine Vision zeigen, um vielleicht schon früher deine Zustimmung zu erlangen und deine Vorfreude zu wecken.“ „Ein Traum“ wiederholte er und sah sich verwundert um. „Ich träume?“ „Ja, Atemu. Wir träumen beide einen Traum, welchen ich für dich lenke. Einen Traum davon, welche Zukunft ich für uns schaffe.“ „Aber es fühlt sich so real an. Die Gerüche hier ... und ich kann es fühlen.“ Er legte seine Hand an den steinernen Türrahmen und schien es selbst kaum zu glauben. Er hatte noch niemals einen Traum, der so real war. Visionen durch sein Gold, ja, die kannte er. Aber Träume erkannte man für gewöhnlich sonst schnell als solche. Dies hier jedoch war fast zu real. „Weil ich dir den Traum in deine Gedanken sende und dich nicht zu mir hole. Je intelligenter und je magischer ein Geist ist, desto intensiver sind seine Träume“ erklärte Seth und schenkte ihm einen Blick voll Bewunderung und Liebe. „Atemu, ich lerne viel derzeit. Du wirst sehen, ich werde jeden anderen Priester überflügeln. Du wirst stolz sein auf das, was ich dir zu Füßen lege. Dieser Traum ist nur ein Vorgeschmack dessen, was in einigen Jahrzehnten schon Wirklichkeit sein wird.“ „Seth, mir ist das unheimlich“ gestand er und wich von ihm zurück. Erst dann schaffte er es, seinen blauen Blick mit Entschlossenheit zu erwidern. „Bitte beende diesen Traum und lass uns in der Realität über unsere Probleme sprechen.“ „Es gibt keine Probleme, welche ich nicht für dich ausräumen kann.“ Es schwante ihm, er würde Seth schwerlich umstimmen können. Er war wie wahnsinnig. Besessen von dem, was er sich ausmalte. Besessen von einer Idee, welche ihm irgendwann vielleicht als Gedanke gekommen war und nun als Mission in sein Hirn gepflanzt wurde. „Du sagst, du lernt derzeit viel. Aleseus, von wem lernst du?“ „Du weißt von wem“ antwortete er, legte seinen Arm um ihn. Er zog ihn in Richtung der Treppe und geleitete seine unsicheren Schritte hinab. „Ich lerne von den Göttern. Ich lerne über Magie, über Religion, über Medizin und alles, was dir nützlich sein kann. Ich übe mich im Kampf, um dir mehr zu nützen und dich sicherer zu schützen. Du wirst sehen, bald werde ich wieder mehr wissen und mächtiger sein als Seto. Ich werde nicht mehr hinterherhinken und dich beschämen. Man wird mich wieder neben dir akzeptieren.“ „Du hast mich nie beschämt.“ Aber Yami wusste, genauso gut hätte er gegen eine Wand reden können. Seth war verbohrt, taub für seine Worte. „Seto war im Jenseits. Natürlich hat er dort Wissen angehäuft. Aber du hast ihm niemals in etwas nachgestanden.“ „Doch, das habe ich. Er hat sich entwickelt und mich hinter sich gelassen. Und du weißt das auch.“ Schritt für Schritt gingen sie die schmale Treppe tiefer und Yami sah von unten Licht heraufdringen, welches in dem fensterlosen Turm oben langsam weniger wurde. „Aber ich möchte dich zuversichtlich stimmen. Ich möchte dein Vertrauen gewinnen und dir zeigen, dass du noch immer mein einziger Lebensinhalt bist. Du sollst mich wieder mit Stolz erfüllten Augen anblicken.“ „Ich denke, du bist engstirnig und verwirrt, Aleseus. Ich weiß, ich bin dein Lebensinhalt, aber die Rahmenbedingungen lässt du außen vor. Du ignorierst, was außer mir noch zählt. Nämlich das Leben. Unsere Freunde, unsere Arbeit, unsere Hobbys. Deine Frau und deine ungeborenen Kinder. Was nützt dir Inhalt ohne ein Gefäß, welches ihn umgibt? Ich bin nicht glücklich, wenn du so sehr auf mich fixiert bist.“ „Ich weiß um deine Bedenken. Doch dieses Gefäß, diese Rahmenbedingungen schaffe ich nun für uns beide. Du wirst es selbst sehen. Nach diesem Traum wirst du mich vielleicht verstehen. Komm.“ Er ließ seinen Arm tiefer an seine Hüfte gleiten, schmiegte ihn an sich und begleitete seinen Pharao einen länglichen Gang entlang. In seiner Mitte war ein langer Läufer platziert, dessen grüne Farbe und goldener Absatz sich durch das helle Sonnenlicht an den hellgrauen, glatten Steinwänden widerspiegelte. Die eckigen, glaslosen Fenster ließen warmes, strahlendes Licht herein und wäre dies nicht ein bitterer Traum, hätte er sich beinahe schön anfühlen können. „Wo sind wir hier?“ Und wenn er Seth schon nicht umstimmen konnte, so konnte er aber dennoch versuchen, mehr Informationen zu sammeln. Wenn er versuchte, Seths vollen Plan zu erfassen, hatte er vielleicht eher eine Chance, ihn zum Einlenken zu bewegen. „Im Pharaonenpalast“ erklärte er ihm voll Geduld und hörbarem Stolz. Mit hoch erhobenem Haupt ging er an den Türdienern vorbei, welche sich tief verneigten, während sie einen leichten Vorhang zur Seite zogen. Vor sich sah Yami eine weitere Treppe, welche auf den ersten Blick, sehr weit hinaufzuführen schien. Weiter hinauf als in dem Turm, in welchem sein Gemach lag. Und genau diese Treppe führte sein Priester ihn nun hinauf. Was sollte er auch Gegenwehr leisten? Er wollte herausfinden, was in Seths Gedanken falsch lief und wie er ihn umstimmen konnte. Was Seth fühlte, das wusste er schon jetzt und es war leicht auszudrücken. Er fühlte sich minderwertig. Sein eigener Hikari besaß durch seine Todeserfahrungen mehr Wissen von den Göttern und den Dingen auf der Erde. Und er war so stark geworden, dass er Seth ernsthaft die Stirn bieten konnte. Seto würde das niemals tun, aber er könnte, wenn er wollte. Seth hatte das Gefühl, ihm nichts mehr beibringen zu können - ja vielleicht sogar selbst in der Rolle des Schülers zu sein und nicht in der des Meisters. Seto hatte sich weiterentwickelt und Seth war noch immer der Alte. Er fühlte sich von Seto zurück gelassen. Das war für einen Yami ein sehr schmerzendes Gefühl. Und zum anderen verspürte er Heimweh. Er sah sein Zuhause nicht in Domino zwischen Hochhäusern und Straßen voller Autos und schlechter Luft. Er sehnte sich nach einer Zeit der Tempel und Paläste. Nach einem Heim, in welcher seine Lehren noch etwas taugten. Wo er als Priester ernst genommen und verehrt wurde. Und er sah seinen König geschändet. Sein Pharao war ihm das Heiligste auf Erden und er wollte ihn auf einem goldenen Thron sitzen sehen, wollte dass sein Wort die Menschen erreichte und er wollte als zweitmächtigster Mann an seiner Seite regieren. Das war es, wofür er gearbeitet hatte und dessen er sich beraubt fühlte. Yami verstand, was er fühlte. Er verstand jedoch nicht, wie sich ein vernünftiger und besonnener, ein intelligenter Geist wie Seths auf solche Pfade begeben konnte. In wie fern hatte hier sein dunkler Gottvater die Hände im Spiel und wie viel Macht besaß sein Priester wirklich, wenn weder goldene Fesseln noch herrschende Worte ihn aufzuhalten vermochten? Weshalb hatte Seth so überstürzt einen Sohn zeugen wollen und weshalb war in seinen Augen kein Mitgefühl mehr? Wie weit hatte er sich an den dunklen Seth verkauft, wie stark stand er unter seinem Einfluss? Wie viel freier Willen lag wirklich in seinen Taten? War er gefangen oder nur verführt? „Im Pharaonenpalast also“ wiederholte Yami, nachdem sie sich nun einige Meter angeschwiegen hatten. Das Treppensteigen war anstrengend und das viele Nachdenken ebenfalls. „Dann hast du dieses Gebäude also für mich errichtet?“ „Noch habe ich es nicht erbaut. Aber ich werde es tun. Das Land habe ich bereits gefunden und suche nun die besten Handwerker der Erde. Jede Wand, jeder Teppich, jede kleinste Pflanze wird perfekt für dich werden. Die besten Meister werde ich für dich verpflichten.“ Wenn es darum ging, über die vermeintliche Zukunft zu sprechen, hörte man die Begeisterung aus seiner Stimme. Er war aufgeregt, vorfreudig. Zu schaffen, was er zu schaffen plante, regte sein Herz und seine Worte. Seth war ein Macher und die lange Ruhe brachte ihm nur das Gefühl, faul zu sein. Er war schon immer ein rastloser Mensch gewesen. „Aber ich will mehr als das. Ich werde nicht nur diesen Palast für dich bauen, sondern noch viel mehr, Atemu. Mein geliebter Pharao. Noch vieles mehr. Gleich wirst du es sehen. Nur noch wenige Stufen.“ Er nahm Yamis Hand, drückte sie und zog ihn ein paar Schritte schneller die schmalen Stufen empor. Dieser Traum war so gefühlsecht, dass er ebenso außer Atem geriet wie als würde er reale Stufen erklimmen. Und seinen Herzschlag konnte er dadurch nur umso schwerer beruhigen. Seths Anwesenheit machte ihn nervös. Natürlich hatte er Sehnsucht nach ihm. Große Sehnsucht sogar. Aber in dieser momentanen Situation ... was sollte er tun? Obwohl alles so real wirkte, war es doch so surreal. Er wusste, er musste ruhig bleiben und doch spürte er, wie ihn das alles nur noch mehr verwirrte. Oben angekommen, drückte Seth eine schwere Lehmtür auf, welche ein sandiges Geräusch auf dem Boden machte und einen lauwarmen Wind hindurchblies. „Komm, Atemu. Sieh, was dein sein wird.“ Er stellte sich an die Seite und wies ihn hinein. Er trat durch die Tür und fand sich auf einem hohen Turm, welcher einen Blick über unglaubliche Weiten gestattete. Unter sich sah er einen Bau gewaltigen Ausmaßes. Sieben hohe Kuppeln prangten in ihrem Gold auf schwindelerregenden Höhen. Unter einer von ihnen stand er. Der Hauptkörper des Palastes war ein Rechteck, an welches sieben Ovale, niedrigere Bauten eingelassen waren. Wie ein Stern entfaltete sich der helle Stein und ging über in verschiedene Gestaltungen. An der linken Seite grünte es voll Pflanzen. Palmen, Bäume, Gras, sogar einen kleinen Bachlauf konnte er erkennen. Ein Schlossgarten von Meisterhand gezaubert. Eine hohe Mauer trennte dieses Grün von einem Flussufer. Der träge, dunkle Strom kam von Norden und führte fast gerade gen Süden. Darüber hinaus noch ein paar Kilometer saftiges Grün, bevor es langsam in heißen Wüstensand überging und der Blick im blauen Nichts endete. Zur anderen Seite aber ein Werk, welches jedweder Beschreibung trotzen wollte. Eine Stadt. Dort führte eine aus flachen Steinen gebaute Straße von Mauern umzäunt in eine trubelnde, gigantisch große Stadt, welche bis an den Horizont reichte. Ein goldener Tempel mit einer großen, runden Kuppe stach aus dem Meer der niedrigen Dächern hervor und hielt vor seinen offenen Toren einen bunten Marktplatz in seinem Griff. Und um den Palast, um den Tempel herum Tausendschaften kleiner Häuser. Von einstöckigen Flachbauten bis hin zu mehren Stockwerken. Verbunden durch enge oder breitere Straßen, auf welchen Esel, Pferde, Kamele und Ziegen getrieben oder geritten wurden. Die Menschen huschten umher in einer Anzahl, dass man sie nicht zu schätzen vermochte. Hier und dort waren Brunnen zu erkennen, an welchen die Menschen sich und ihre Tiere mit frischem Wasser versorgten. An einem abgelenkten Flusslauf war in weiter Entfernung sogar ein Hafen zu erkennen. Sicher gab es dort unten noch viel mehr zu sehen, aber der Blick war gefangen von so vielen Details, dass man kaum mehr als Fülle wahrnehmen mochte. Eine Stadt wie im alten Ägypten. War so etwas in der Zukunft möglich? Eine Stadt von so gigantischen Ausmaßen? Eine Stadt mit eigener Infrastruktur, eigenem Tempel, eigenem Hafen? Mitten in der Wüste an einem Fluss? Und am Rande dieser lebendigen Stadt ein Palast, wie es ihn gigantischer niemals gegeben hatte? War so etwas möglich? „Was ist das?“ fragte er atemlos und konnte seinen Blick nicht abwenden von der Stadt, welche ihn mit ihren Rufen und ihren Menschen locken wollte. Er war wie erschlagen von solch einem stolzen Land. „Atemu, dies ist Hauptstadt der Erde“ eröffnete Seth mit fester Stimme und trat neben ihn an das steinerne Geländer, streckte seine Hand in die Ferne, um sein göttliches Werk zu präsentieren. „Die Stadt des ewig lebendigen Pharao. Ankh Athu.“ „Ankh Athu“ wiederholte er ungläubig. „Die Hauptstadt der Erde.“ „Es ist deine Stadt. Symbol deiner unendlichen Macht. Und Symbol meiner Liebe und meiner Treue zu dir. Ankh Athu ist das Zentrum unseres neuen Reiches.“ „Du bist wahnsinnig“ flüsterte er zitternd. Das hier war kein Scherz mehr. Seth war größenwahnsinnig! „Was war auf diesem Land, bevor du diese Stadt errichtet hast?“ „Das ist nicht wichtig, Atemu“ lächelte er und trat zurück, was Yami die Möglichkeit gab, seinen Blick von der Stadt ab und seinem Priester zu zu wenden. Dieser breitete die Arme aus und hob seinen Kopf erleichtert gen Himmel. „Atemu, dies wird unser Zuhause werden. Sieh es dir an. Die Menschen werden dich lobpreisen wie es dir gebührt. Sieh, was ich für dich schaffen will. Ein Reich welches dem eines Gottes gleichkommt. Du wirst allmächtig sein im Angesicht dieser Größe. Niemand wird jemals wieder an uns zweifeln. Und alle werden wissen, dass ich dies für dich geschaffen habe.“ Er senkte seinen heißblauen Blick auf ihn und seine wilden Augen flammten auf voll Leidenschaft, als er seine Stimme senkte. „Atemu, du und ich, wir werden an der Spitze dieses Reiches stehen. An der Spitze dieser Welt. Wir werden wieder ein Herrscherpaar sein, welches alle Länder eint und Frieden zwischen den Völkern schafft. Dein Wort wird Gesetz, so wie es dir anbestimmt ist. Und ich werde an deiner Seite sein. Ewig werde ich an deiner Seite sein und mit dir regieren. So wie es meine Bestimmung ist.“ Der Kloß in Yamis Kehle schnürte ihm die Luft ab und trieb ihm aufsteigende Tränen in die Augen. Auf der einen Seite ehrte ihn Seths Wunsch, ihn über alles zu erheben. Aber auf der anderen Seite kannte er auch die Opfer, die er bringen würde. Diese Welt zu schaffen, bedeutete, die existierende Welt auszulöschen. Für dieses neue, weltumspannende Reich musste alles sterben, was derzeit lebte. Er wollte dieses goldene Reich auf den Trümmern der Menschheit errichten. Und auch auf den Trümmern der Menschlichkeit. Sicher stand ihnen eine Zeit voll Frieden und Wohlstand bevor. Jedoch erst, nachdem die Erde durch Seths Hölle gegangen war. „Und was ist mit unseren Freunden? Mit unseren Hikaris?“ brachte er mit bebender Stimme heraus. „Du zerstörst ihre Welt. Du zerstörst hierfür alles, was sie lieben.“ „Ich habe unsere Hikaris nicht vergessen“ lächelte Seth und lehnte sich zufrieden zurück an den Steinbalken, ließ den lauen Wüstenwind durch sein langes Haar seufzen. „Auf der anderen Seite der Erde werden wir ebenfalls eine lebendige Stadt und einen prunkvollen Palast errichten. Dort, wo das Land kühl und grün ist. Dort wird unsere Zwillingsstadt entstehen. Enkh Aithu.“ „Die Stadt des gesegneten Aitemu“ übersetzte Yami mit verschwommenem Blick. „Unseren verwandten Seelen werden wir einen Platz auf Erden geben. Und nach ihrem Tode wird es ein Symbol unserer Liebe zu ihnen sein. Aber wir, Atemu, wir beide werden ewig auf Erden herrschen. Und wenn all unsere Lieben lang gegangen sind, werden wir noch immer gemeinsam herrschen. Denn Ankh Athu ist ewig.“ „Nichts ist ewig, Seth. Das weißt du auch.“ Er bekniete ihn mit seinen Worten. Selbst wenn er ahnte, dass es wenig nutzen würde. „Alles wird eines Tages sterben. Auch wir. Wahre Ewigkeit liegt in den Händen der Götter. Auch unsere Herrschaft wird eines Tages vergehen. Macht ist ein sehr flüchtiges Ding.“ „Nein. Ankh Athu ist ewig“ wiederholte er wie in einer Beschwörung. „So unsterblich wie unsere Seelen sind, so unsterblich wird dein Wort auf Erden herrschen. Denn du bist auserkoren, die Menschheit in die Ewigkeit zu führen. Ich strebe nicht nach Macht. Ich strebe nach deiner königlichen Ehre.“ „Worüber redest du überhaupt?!“ rief er und lief zu ihm, schüttelte seine Arme. „Seth, komm zur Vernunft. Du bist doch wahnsinnig! Du weißt nicht, was du redest!“ „Glaube mir, Atemu. Ich lüge nicht“ lächelte er, nahm nun seinerseits seine Arme und beugte sich zu ihm herab, legte ihre Stirn aneinander. „Atemu, du wirst es sehen“ flüsterte er mit heißem Atem. „Wir werden ewig sein. Du, ich und unser Reich. Bitte schenke mir dein Vertrauen. Ich weiß, du sorgst dich um die Erde und sicher auch um meinen Geisteszustand. Aber ich bitte dich mit meinem Herzen: Bitte, Atemu. Bitte vertraue mir und glaube an unsere Zukunft.“ „Bitte sei doch vernünftig“ beschwor er ihn, aber zerging doch in den warmen Armen, welche ihn umfingen. Er liebte diese starke Brust, an die er sich einst so vertrauensvoll schmiegte. Er liebte den kräftigen Herzschlag und seine sanfte Stimme. Er liebte seine Wärme. Er liebte ihn. Aber er fürchtete, seine Liebe stieß an ihre Grenzen, wenn er hier auf einem Turm stand, der ihm das Paradies auf dem Grund von Vernichtung und Krieg versprach. „Seth, auch wir werden eines Tages sterben. Warum willst du mit Gewalt Dinge schaffen, welche so vergänglich sind? Ich flehe dich an. Bleib bei mir und lass uns einfach das Leben genießen. Ewigkeit werden wir gemeinsam nach unserem Tode in Rahs Reich finden.“ „Ich sagte doch, wir werden ewig sein“ wiederholte er und küsste seine Stirn, bevor er hinüber auf einen nebenliegenden Kuppelturm wies. „Sieh, Atemu. Sieh, dass wir nicht vergänglich sind.“ Er folgte der Weisung und blickte hinüber auf die Spitze des nächsten Turmes. Dort sah er zwei Personen und der Schock drückte ihm den Schwindel in den Kopf, ließ den warmen Wind taub scheinen und die Sonne wie einen spitzen Dolch. Er erkannte Balthasar. Er war älter als 16, war ein ausgewachsener Mann. Er erkannte Balthasars Körper, aber das Blau seiner Augen strahlte bis zu ihm herüber. Balthasar aber hatte graue Augen. Keine blauen. Konnte er das wirklich sein? Er trug das heilige Gewand eines Hohepriesters und die Silberkrone auf dem Haupt, welche ihn als Vertreter des Pharao lobpreiste. Es waren Seths Augen, seine Aura, seine Kleidung, seine Krone. Es war Balthasars Körper ... aber es war Seths Seele. Und in seinen Armen ein blonder, junger Mann. Ein wirklich schöner Mann. Normal groß, kräftig, zart gebräunt, eine Schönheit voll strotzender Gesundheit und er trug die goldene Flügelkrone, deren Gottestränen vom Tageslicht geschmeichelt wurden. Sein Gesicht war durch die aufsteigenden Energien nur leicht verschwommen zu erkennen, doch eines erkannte Yami deutlich. Dieser Mann hatte seine Augen. Warum sah er seine eigene Seele in einem fremden Körper? „In drei Jahrzehnten werden wir gemeinsam auf Ankh Athu blicken und auf ewig so zusammen bleiben. Wir werden niemals getrennt werden.“ „Seth ... mein Aleseus ... was hast du nur vor?“ Er brachte kaum noch einen Ton heraus. Trauer, Verzweiflung ... Wahnsinn. „Was ... was sind das für Menschen?“ „Wir, Atemu. Das sind wir und wir blicken auf das Werk, welches ich dir zum Geschenk mache. Und wir sind glücklich.“ „Nein, das sind nicht wir. Es sind nicht unsere Körper.“ Er musste alle Kraft zusammennehmen, um ihn von sich zu stoßen. Tränen drangen aus seinen Augen, als er seinen Geliebten von seinem Herzen entfremdet fortdriften fühlte. „Das dort drüben ist Balthasar. DEIN SOHN! Und wer ist der Mann in seinem Arm? Was soll das bedeuten?“ „Ich biete dir die Ewigkeit, Atemu. Wir werden ewig sein. Alles, was uns daran hindert, ist unsere körperliche Vergänglichkeit. Aber unsere Seelen sind für die Ewigkeit geschaffen ...“ „Ist das der Grund?!“ schrie er ihn entsetzt an, wich vor ihm zurück. „Brauchst du deswegen deinen Sohn? Um vor deinem natürlichen Tod in seinen Körper einzuziehen? Wie unmenschlich bist du nur geworden? Seth! DU BIST UNMENSCHLICH!“ „Du wirst es verstehen, Atemu“ nickte er in sturer Überzeugung. „Wenn erst die nächsten Jahrzehnte vergangen sind und wir beide, jung und gesund, auf unser junges, gesundes Reich nieder blicken, dann wirst du es verstehen. Und du wirst mich loben für mein Werk.“ „UND DANN?“ weinte er in schmerzender Verzweiflung. „WILLST DU ALLE PAAR JAHRE UNSERE KÖRPER AUSWECHSELN, NUR WEIL WIR NICHT STERBEN SOLLEN?! DAMIT SICH DIE WELT NICHT VERÄNDERT?!“ „Du wirst es sehen, Atemu. Mein Körper und meine Magie werden nicht schwächer, da ich für den Erhalt meiner Gene Sorge trage. Und du wirst ewig schön sein. Ich habe bereits deinen nächsten Körper gefunden. Gesund, kräftig und voll Schönheit. Das Volk wird dich lieben. Ebenso wie ich dich liebe. Das ist des Problems Lösung. Wir werden niemals sterben und ewig in deiner Herrschaft auf Erden regieren. Wir werden auf ewig unsere Werte, unsere Religion und unsere Liebe erhalten. Wir werden nicht zulassen, dass unser heiliges Reich ein zweites Mal zerfällt. Ankh Athu wird nicht untergehen wie Ägypten es einst getan hat. Atemu, wir werden ewig sein. Dafür will ich kämpfen. Für dich.“ „Und dann?“ weinte er fassungslos. „Was wird dann aus den Seelen dieser Menschen? Aus den Seelen von Balthasar und diesem Mann dort? Und aus allen, die danach folgen sollen? Was wird aus diesen Menschen, die du opferst?“ „Mach dir darum keine Sorgen, Atemu“ bat er und lächelte ihn beruhigend an. „Mein Vater Seth wird für sie sorgen ... er gibt uns seinen Segen.“ Kapitel 8: Kapitel 36 - 40 -------------------------- Chapter 36 Da war man nur ein einziges Mal ganz kurz raus und schon machte der Zwerg genau das, was er nicht machen sollte. Yugi kam gerade zurück, als er Tato dabei erwischte, wie er auf dem Bett hüpfte. Dass da noch ein Yami lag, der vielleicht gern weitergeschlafen hätte, war ihm ziemlich wurscht. „Asato, du sollst doch nicht auf dem Bett springen!“ Jetzt, wo Yami den Kopf hochnahm, nur um sich dann die Decke über ebenjenen zu ziehen, da brauchte er sich auch keine Mühe mehr zu geben, leise zu sein. Den alten Pharao hatte der kleine Terrorist jetzt allemal geweckt. „Oh oh! Kagge an dampfen!“ rief Tato vorausahnend und wollte sich zu Yami unter die Bettdecke flüchten, aber da hatte Papa ihn schon hochgenommen und mit Strafsitzen auf seinem Arm bedacht. „Hab ich dir gesagt, du sollst nicht auf dem Bett herumspringen?“ fragte er und drängte seinen kleinen Taschendrachen mit einem ernsten Papablick zu einer schuldbewussten Antwort. „Ja“ murrte der und wickelte nach neu gewonnener Gewohnheit seine kurzem Ärmchen und den Bauch. Das hatte er sich von Mama abgeguckt. Aber im Gegensatz zu Mama wurde er dann nicht von Papa in Ruhe gelassen. „Und warum tust du es dann trotzdem?“ Tato antwortete lieber nicht. Lieber stierte er die Bodendielen an als würden die da was für können, dass er jetzt Ärger am Hals hatte. „Asato? Warum machst du es trotzdem?“ „Weiß is nis“ knurrte er beleidigt. „Nix darf man hier. Alter Swede.“ „Guck mal. Yami hast du jetzt wach gemacht“ warf er ihm vor und zeigte auf den Berg unter der Decke. „Du magst es ja auch nicht, wenn man dich aufweckt, oder?“ „Na und? Du weggst mis do au immer. Au wenn is das nis mag.“ Gekonnt gekontert. Dumm war er ja nicht, wenn es darum ging, Argumente zu finden. „Aber ich bin auch ein Papa. Du darfst deine Kinder wecken, wenn du selbst Papa bist. Und davor ist Hüpfen auf dem Bett verboten.“ >Meine Güte, ich höre mich an wie Opa damals. Oh je ...< „Du bis doof, Papa.“ „Ich weiß“ seufzte er und drückte ihn an sich. „Ich hab dich trotzdem lieb, Tatolino.“ „Is dis au“ grummelte der Kleine und ließ sich Papas Knutsch gefallen. „Kann is setz was essen? Is hab Hunga.“ „Na gut.“ Eigentlich ließ er Yami gerade gar nicht gern allein. Der war heute Morgen heulend und schweißgebadet zu ihm ins Bett gekrochen und kaum zu beruhigen gewesen, so sehr hatte er am ganzen Körper gezittert. Yugi hatte schon Angst, er würde eine Herzattacke kriegen, so schrecklich war sein Yami neben der Spur. Er stammelte irgendwas von Seth und einer Stadt und von Seelen, die geopfert werden sollten. Er war völlig durcheinander und schluchzte herzzerreißend. So hatte Yugi ihn noch nie erlebt und das machte ihm Sorgen. Aber er hatte ja nun mal leider Kinder, die auch seine Aufmerksamkeit forderten. Deshalb legte er seine Hand auf die Decke, worunter er Yamis Schulter vermutete. „Yami, ich gehe kurz Tato beim Frühstück abliefern. Soll ich dir was mitbringen?“ „Nein ... danke“ murmelte er. Das und mehr nicht. >Herrje. Nichts essen?< Das war kein gutes Zeichen. Der Traum von letzter Nacht musste ihm wirklich einen Stoß ins Mark versetzt haben. „Na gut. Ich bin gleich wieder da. Benimm dich, okay?“ Eine Antwort bekam blieb zwar aus, aber die erwartete er auch gar nicht. Außerdem ließ es sich besser sprechen, wenn sie unter sich waren. Seto war heute ja schon ganz früh aufgestanden und hatte Yamis Erscheinen gar nicht mitbekommen. Und Nini war die Nacht über gleich bei Joey geblieben. Und Tato hatte so einen bombigen Schlaf, dass er einfach durchgepennte. Trotzdem hatte er sich mit seinem Yami noch nicht wirklich unterhalten können. Dafür war der viel zu aufgeregt gewesen. Mehr als ihn in den Arm zu nehmen und ihn mit seichten Worten zu beruhigen, hatte er nicht tun können. Zum Glück hatte Yugi bei Seto schon Schlimmeres erlebt. Er drückte Tato an sich und machte sich auf den Weg hinaus. „Manno! Papa!“ schimpfte der Kleine, als sie die Tür hinter sich schlossen. „Is hab keine Jagge an! Es is kalt!“ „Wir laufen so rüber. Du brauchst keine Jacke für die drei Sekunden.“ „Und Suhe?“ „Schuhe auch nicht. Ich trage dich ja.“ Hatte auch den Vorteil, dass der Kleine das Haus nicht verließ. Wenn es draußen nass und matschig war, suhlte er sich zwar gern im Dreck, aber ohne Schuhe verließ er nicht das Haus. Tato hasste es, wenn seine Füße schmutzig wurden. Das waren die unsichtbaren Fesseln, die Yugi sich für ihn immer gewünscht hatte. So konnte man ihn zumindest drinnen einsperren - solange draußen schlechtes Wetter war. Verhinderte zwar nicht, dass er innerhalb des Raumes Mist machte, aber wenigstens lief er nicht weg. Und das war schon ein großer Fortschritt. „Papa!“ rief es von hinten und so blieb Yugi mit dem kälteskeptischen Tato dann doch stehen, um zu sehen, wer da nach ihm rief. Aber der tiefen Stimme nach zu urteilen konnte das nur einer sein. „Tato. Guten Morgen.“ Für ihn setzte er trotz seiner Sorgen ein Lächeln auf und gab ihm einen Morgenkuss. „Is au gnuuts, Mann!“ schimpfte der Kleine und holte sich von seinem größeren Ich ebenfalls einen Knutschi ab. „Guten Morgen, Tato“ wuschelte er dem Kleinen durchs Haar. „Wohin seid ihr denn unterwegs?“ „Zum Frühstück“ antwortete Yugi. „Und du?“ „Ebenfalls“ erwiderte er und stützte sich auf seinen Stock. „Jedenfalls komme ich da gerade her. Aber vorher suche ich noch Mama und Sareth. Die sind nicht bei den anderen im Haus.“ „Also, dein Vater ist heute schon sehr früh aufgestanden. Schon so gegen vier oder fünf“ überlegte er. „Wo Sari ist, kann ich dir nicht sagen. Aber ich weiß, dass bald Neumond ist und er wahrscheinlich deshalb heute nicht schlafen konnte. Eigentlich merkwürdig, es sind doch noch vier Tage ... irgendwie gerät sein Rhythmus derzeit etwas durcheinander, sagt er. Hat deine Tochter denn auch so nervöse Zustände?“ „Nicht so stark. Sie wird etwas unruhig, aber mehr auch nicht. So eine richtig starke Mondphase hat sie noch nicht. Sie kommt ne Stunde kuscheln und ist am nächsten Tag wieder fitt. Sie schläft noch nicht ein.“ „Na ja, das kommt sicher früher als ihr lieb ist“ meinte Yugi. „Ich könnte mir vorstellen, dass die beiden sich irgendwo gefunden und einen ruhigen Ort zum Kuscheln gesucht haben. Seto kapselt sich im Moment ein bisschen ab ... ich glaube, die Sache mit Seth setzt ihm doch mehr zu, als er zugeben will. Vielleicht tut Sari ihm aber mit ihrer Anwesenheit ganz gut.“ „Denke ich auch. Dann haue ich Onkel Moki um Zigaretten an.“ Das war wohl sein Hauptanliegen weshalb er Seto suchte. Ihm waren die Kippen ausgegangen. „So langsam stinkt mir das hier. Ich schwöre, wenn wir hier noch ewig abhängen, krieg ich nen Lagerkoller.“ „Ja, für Großstadtmenschen ist es hier etwas dumm“ seufzte Yugi. Zumal man hier so schwierig Zigaretten oder Kaffee bekam. Aber spätestens wenn davon die Vorräte leer waren, würde es einen Aufstand geben. „Schreibt doch das nächste Mal für Gustav eine Einkaufsliste. Er versucht dann bestimmt, die Sachen bei der nächsten Lieferung zu bekommen.“ „Meinst du? Ich würde lieber selbst in die nächste Stadt gehen. Diese ewige Ruhe hier geht mir langsam auf den Sack.“ „Sack“ grinste der kleine Tato mit roten Pausbäckchen. „Sicke Sicke Sack!“ „Ich würde deinem Gemecker ja gern noch weiter zuhören, aber ich hab leider noch was vor“ lächelte er und hielt ihm den kleinen Tato freundlich hin. „Sei doch ein Schatz und pass auf dich auf, ja? Und bring dir bitte nicht noch mehr hässliche Worte bei.“ „Plätzen wechsel dis“ meinte der, als er den Arm wechselte. „Hallo is.“ „Ja. Hallo ich“ grüßte der Große zurück. „Wollen wir frühstücken gehen, Tato?“ „Ja“ nickte er. Dem gab es nichts hinzuzusetzen. Frühstücken war ne gute Idee und traf auf vollste Zustimmung. „Lieb von dir. Danke“ klopfte Yugi dem Großen auf den Arm und machte sich auf den Weg zurück in seine Hütte. Nur am Rande hörte er ein entschlossenes „Ma snell. Is kalt, Mann! Bittesön.“ Tja ... gut, wenn jemand anderes jetzt mal auf den kleinen Räuber aufpasste. Jetzt konnten sie sich ja gegenseitig zumeckern. Yugi kam schnell zurück und Yami hatte sich gerade dazu durchgerungen, die Decke von seinem Kopf zu nehmen und sich auf die andere Seite zu drehen. Schlafen würde er jetzt ohnehin nicht mehr können. „Ich hab zwar nur Wasser hier, aber möchtest du was trinken?“ bot Yugi an, schlüpfte aus seinen Latschen und ging hinüber zum Schrank. „Nein, danke“ antwortete Yami zwar, aber sein Hikari sah das anders. „Solltest du aber.“ Da hörte man den Papa bei ihm raus. Erst mal war seine Frage ein Angebot und dann in zweiter Linie ein Befehl. Trinken war gesund und würde ihm gut tun. Auch wenn er es jetzt nicht glaubte. So bekam Yami eine kleine Flasche mit Wasser geöffnet und in die Hand gedrückt. Erst als er sie an seine Lippen führte und den ersten Schluck nahm, merkte er, wie ausgetrocknet er war. Und so war ein halber Liter auch ganz schnell weg. „Siehst du. Geht doch.“ Yugi nahm ihm die leere Flasche ab, stellte sie zur Seite und setzte sich neben ihm aufs Bett. Er schüttelte ihm das Kissen auf, auch ohne Gegenwehr lehnte Yami sich zurück und setzte sich gemütlich hin. „Und? Wie fühlst du dich?“ „Ich bin ja nicht krank“ antwortete er müde. „Aber besser. Danke.“ „Du hast mich ziemlich erschreckt letzte Nacht.“ Er setzte sich ihm gegenüber, stellte seine Füße gegen das Kopfende und umarmte seine Knie. So konnte er ihn in Ruhe ansehen und Yami konnte die Hand auf seinen Arm legen. Nur ein bisschen berühren. „Was war denn los, hm? Ich hab aus deinem Gestammel so gut wie gar nichts verstanden.“ „Seth hat mir einen Traum geschickt.“ „Ja, das war auch alles, was ich verstanden habe“ nickte er. „Und war es so schlimm, dass du dermaßen aufgewühlt bist? Du warst völlig durchgeschwitzt. Ich hab dich noch nie so zittern sehen. Ich hab echt Angst um dich bekommen.“ „Yugi, es war grausam“ versuchte er ruhig zu erzählen, aber trotzdem stieg in ihm wieder diese Verzweiflung hoch, die er letzte Nacht spürte. „Seth war aktiv in dem Traum dabei. Also, ich habe nicht von ihm geträumt, sondern mit ihm. Er hat mir den Traum direkt ins Bewusstsein gedrückt.“ „Oh“ machte er zurückhaltend überrascht. „Ich wusste nicht, dass so was geht.“ „Ich glaube, Seth tut im Moment viele Dinge, die eigentlich nicht gehen“ seufzte er und bekämpfte den schmerzen Kloß in seinem Hals. „In dem Traum bin ich aufgewacht in einem Gemach, wie ich früher eines hatte. Schon war ein Diener da und hat mich angezogen und mir ein Bad und Essen angeboten.“ „Ganz wie es sich gehört. Klingt doch nicht schlimm.“ „War es auch bis dahin nicht. Aber alles war so ... verwirrend. Und so echt. Ich bin raus gegangen und hab dann Seth getroffen. Er hat nur darauf gewartet, dass ich aufwache. Dann ist er mit mir auf einen anderen Turm hinaufgestiegen und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass ich Zuhause bin. Es war ein gutes Gefühl. Wie als würde man nach langem Heimweh endlich heimkehren. Ich war Zuhause ...“ „Yami ...“ Er setzte sich in den Schneidersitz und nahm seine Hände. Auch wenn er nicht weinte, sah er ihm an, dass es seinem Yami schlecht ging. „Aber auf der anderen Seite musste ich immer daran denken, was sein würde. Was mit ihm los ist. Wie ich ihn umstimmen kann, weißt du?“ Er blickte ihn an und gab sich Mühe, nicht die Fassung zu verlieren. „Wir sind dann auf einen der Kuppeltürme gegangen und dann hab ich es gesehen. Yugi, es war unglaublich. Von hoch oben hab ich gesehen, wie gigantisch der Palast ist, den Seth für mich bauen will. Er war wunderschön mit einem Schlossgarten, den goldenen Kuppeln und bestimmt drei mal so riesig wie der Palast, den ich damals hatte. Und du weißt, wie groß der war.“ Yugi nickte und ließ ihn ohne Zwischenkommentar fortfahren. Er musste sich das einfach von der Seele reden. „Und zu Füßen dieses Palastes lag eine Stadt. Yugi, so eine Stadt hast du noch nicht gesehen. So riesig und bunt. In den Straßen lebte es voller Menschen und Tiere. Wie aus einem Bilderbuch und alles schien so ruhig und friedlich. Der Fluss in der Nähe hat alle versorgt und in der Ferne hab ich einen Hafen gesehen. Ich liebe Häfen.“ „Ich weiß.“ „Und in der Mitte der Stadt war ein Tempel mit einem belebten Marktplatz. Ein wunderschöner Bau. Und die Menschen. Yugi, ich hab nichts erkannt, aber alles schien so friedlich und zufrieden. Es war wie aus einem schönen Traum. Aber ich musste immer daran denken, was Seth dafür alles opfern wollte. Ich hab auf ihn eingeredet, aber er war wie blind. Er hat der Stadt sogar schon einen Namen gegeben. Und immer sagte er: Ankh Athu ist ewig.“ „Ankh Athu“ wiederholte Yugi tonlos. „Ist Ankh nicht das Wort für das ewige Leben?“ „Meine ewige Stadt“ hauchte er mit Tränen in den Augen. „Es war wunderschön, ich war überwältigt. Aber wenn ich daran denke, dass Seth dafür die jetzige Zivilisation auslöschen will, kann ich das nicht gutheißen. Aber er ist gar nicht auf mich eingegangen. Als würde er mich nicht verstehen wollen. Als wäre ich derjenige, der nicht versteht.“ „Ich kann mir vorstellen, dass das hart war“ nickte er und versuchte, es ihm auch nachzufühlen. Dieses Erlebnis von Schönheit und Schrecken musste sein Herz angerührt und erschrocken haben. Dennoch erklärte das noch immer nicht seine Verzweiflung. Yami war normalerweise nicht so leicht zu beunruhigen. „Aber du sagtest auch etwas von Seelen, die er opfern will.“ „Das war das Schrecklichste.“ Und nun musste er sich doch eine entkommene Träne fortwischen. „Weil er immer so auf der Ewigkeit bestand, wollte ich ihm klarmachen, dass es keine Ewigkeit auf der Erde gibt, dass alles einem stetigen Wandel unterliegt. Dass auch wir irgendwann sterben und in Rahs Reich einziehen werden. Und dann ... oh, Yugi ... Yugi ...“ Er wagte es kaum auszusprechen. Es kam ihm vor wie ein Alptraum. „Er zeigte mir, wie er uns in 30 Jahren sieht. Er will sich einen neuen Körper nehmen und mir den eines blonden Mannes geben, den ich nicht kenne.“ „Und dann?“ Yugi zog seine Augenbrauen zusammen und versuchte genau wie Yami in seinem Traum, hinter diese Worte zu steigen. „Was passiert dann mit den Seelen, wenn sie ihres Körpers beraubt werden? Wenn zwei Seelen nicht Yami und Hikari sind, können sie nicht zusammen in einem Körper bleiben. Und selbst dann wird es schwierig.“ „Das habe ich ihn auch gefragt. Und weißt du, was er sagte? Er sagte, um diese Seelen würde sein Gottvater sich kümmern. Das bedeutet, er will sie opfern. Jetzt weiß ich, was Seth als Gegenleistung für seinen Schutz verlangt. Er bekommt die Seelen, welche sein Sohn ihm opfert, um dafür ewiges Leben zu bekommen. Und Seth wird nicht irgendwelche Menschen aussuchen. Wenn er den Körper eines Menschen nehmen will, wenn er ihn sogar mir geben will, wird das ein ganz besonderer Mensch sein. Und sicher auch eine ganz besondere Seele.“ „Erschreckend ...“ Allein der Gedanke. Seelen besaß der dunkle Seth Millionen über Millionen, um die er sich nicht mal kümmerte. Aber die Seelen von Menschen, die sein eigener Sohn ihm opferte, die Seelen von besonderen Menschen - die würde er sicher gern verwenden. Und wenn sich dieser Pakt wirklich erfüllte, war ihm damit ein ewiger Zufluss an starken Seelen sicher. Nicht die Seelen von Mördern, Selbstmördern oder anderen schlechten Menschen. Sondern reine Seelen mit starken Herzen. Und die waren mehr wert, denn die besaß er nicht. Das waren Seelen, die eigentlich Rah zustanden und die er ihm raubte. Also tat er das alles wahrscheinlich vor einem zweideutigen Hintergrund. Es war doch klar, dass er seinem Sohn nicht selbstlos half. „Er will nicht nur seinen Sohn an sich binden, sondern auch Rah bedrohen. Wer weiß, was er mit solchen Seelen tun kann? Mit Seelen, welche vielleicht später selbst Engel geworden wären?“ „Und Yugi.“ Yami griff seine Hand und in seinen Augen spiegelte sich der pure Schmerz. „Er will Balthasar opfern.“ „Balthasar ...“ Als wäre ihm gerade entfallen, wer das war, so ungläubig sprach er den Namen aus. „Aber er ist sein Sohn ... er ... er will die Seele seines Sohnes opfern?“ „Er verwendete nicht das Wort opfern. Er sagte, Seth würde dann für sie sorgen. Aber für mich kommt das dem gleich. Ich will einfach nicht glauben, dass Seth, MEIN Sethi ... dass er so etwas tun kann. Die Seele seines eigenen Sohnes ... er hat ihn nur gezeugt, um einen Körper zu bekommen, der genetisch dem seinigen entspricht. Deshalb hat er an Phoenix kein Interesse. Er will nur Balthasars mächtigen Körper, um seine Seele dort einzunisten. Yugi ... was soll ich denn tun? Wie soll ich auf so was reagieren?“ „Ich weiß nicht, was ich dir raten soll“ gestand er ihm zwar offen, aber zu seinem eigenen Bedauern zu geschockt, um klar denken zu können. „Ich kann dir nur sagen, dass es noch nicht so weit ist. Noch ist Balthasar nicht geboren. Und so, wie ich das mal denke, wird er auch nicht in den Körper eines Babys schlüpfen wollen. Also hast du noch ein paar Jahre. Du musst nichts übers Knie brechen.“ „Wahrscheinlich hast du Recht“ bibberte er und schlang seine Arme schützend um sich. „Aber Yugi ... ich bin so aufgewühlt. Er beginnt doch schon jetzt damit, die Menschheit zu bedrohen. Ich kann mir nicht Jahre Zeit lassen, ihn aufzuhalten.“ „Das hab ich ja auch nicht gesagt. Nur musst du dir nicht bis morgen was einfallen lassen. Erst mal musst du dich beruhigen. Du kannst ja kaum noch klar denken.“ „Ja ...“ „Komm her, Yami.“ Yugi rutschte zu ihm auf und nahm ihn ganz fest in seine Arme. Was sollte er auch anderes tun? Wenn er eine Lösung wüsste, würde er nicht zögern, sie ihm mitzuteilen. Aber er war ja ebenso ratlos. Jeden anderen ‚Bösewicht’ hätten sie verfolgt und ihn niedergestreckt. Aber hier lag die Sache ein wenig anders. Hier war es nicht ‚irgendein Bösewicht’, sondern es war ein vor Heimweh und Minderwertigkeitsgefühlen wahnsinniger Drache, ein Feuerteufel. Und der war unabschätzbar gefährlich. Seth war nicht irgendein Mensch. Seth war wahnsinnig, aber er wusste sehr wohl, was er tat. Und er war mächtig. Es war ein kontrollierter Wahnsinn, dem er da verfiel. „Yugi ...“ sprach er leise an seinen Hals. „Vielleicht sollte ich mich doch umbringen, bevor er weiter ...“ „Das will ich gar nicht hören.“ Er drückte ihn ein Stück weg und sah ihn entschlossen an. „Es gibt auch eine andere Lösung. Dich umzubringen, ist die blödeste Idee, die du je hattest. Darüber haben wir doch schon gesprochen.“ „Ja schon, aber ... wenn es mich nicht mehr gibt ...“ „Yami. Nein.“ Das war fast schon ein Befehl. „Selbstmord ist keine Lösung. Dann kommst du nur in Seths Reich und dann ist der ganze Aufstand umsonst gewesen. Sobald er dich bekommt, kann er sonst was tun. Damit spielst du ihm nur in die Hände und unsere Kinder sind aus der Zukunft ganz umsonst zur Hilfe geeilt.“ „Nein, nicht ganz umsonst. Ohne sie wüssten wir nicht so frühzeitig, was er plant und könnten nicht ...“ „Nein, Yami. Nein, nein, nein. Glaube mir.“ Er krallte seine Arme ganz fest und hielt ihn gebieterisch in seinem Blick gefangen. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist, aber glaube mir, Selbstmord kann keine Lösung sein. Das weiß ich aus Erfahrung. Hast du eine Ahnung, was dein Priester tut, wenn er erfährt, dass du tot bist?“ „Nein ...“ „Siehst du? Ich auch nicht. Und ich will das auch gar nicht wissen.“ Dann gäbe es nämlich niemanden mehr, der überhaupt nur eine Chance hatte, ihm ins Gewissen zu reden. Yami war unbestritten der Einzige, der wenn überhaupt jemals noch Einfluss auf ihn hätte. Ohne Yami könnte Seth ein Gemetzel veranstalten. „Als ich mich umgebracht habe, hat der Urseth so gefährliche Schatten geschaffen, dass die selbst eine Zukunft überleben, die niemals eingetreten ist. Was wird er da anstellen können, wenn er dich besitzt? Hör bitte auf, dich weiter mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Wir hatten doch schon vor ein paar Tagen gesagt, dass wir einen anderen Ausweg finden.“ „Ja, aber da hatte ich noch nicht so einen Traum.“ Er blickte beschämt zur Seite und traute sich kaum, es auszusprechen. Seine Stimme war ein Flüstern, als er vorsichtig ansetzte. „Ich weiß, das ist frech, du hast ja Kinder und einen Mann ... aber ... ich hätte mich ja auch für dich ...“ „Ich werde dich nicht töten. Vergiss es.“ Aber Yugi war nicht mal beleidigt. Fast schon hatte er diese Frage kommen sehen. „Nicht, weil ich mich nicht für dich opfern würde ... Yami, ich würde für dich durch die Hölle gehen und du weißt das ... einfach, weil du das nicht nötig hast. Yami, ich hab immer zu dir aufgeblickt. Du bist ein starker, intelligenter Mann und du weißt, was du tust. Aber nur, weil du gerade nicht weiterkommst, darfst du doch nicht aufgeben. Dein Ziel sollte es sein, Seth aufzuhalten und nicht, dich aus dem Weg zu schaffen. Das ist der falsche Ansatz. Dir sollte doch wohl was Besseres einfallen als das.“ „Aber im Moment fällt mir nichts ein. Ich kann ... ich ... ich ...“ Er konnte nicht weitersprechen, da ihm die Tränen die Stimme nahmen. Und Yugi konnte nicht mehr tun, als ihn noch fester im Arm zu halten. Im Augenblick war er hilflos gegen Yamis Trauer. Er würde ja gern hingehen, Seth eines um die Ohren hauen und alles war wieder gut - wenn das doch nur ginge. Jetzt wusste er, wie hilflos Yami sich gefühlt haben musste, als Yugi selbst in Trauer und Verzweiflung versank. Damals war er auch liebevoll, aber hart zu ihm gewesen. In solchen Situationen brauchte man niemanden, der einen bemitleidete, sondern der sich hinstellte und sagte, wie es weitergehen sollte. Anders steuerte man mit hoher Wahrscheinlichkeit in die falsche Richtung. „Hallö! Moin! Enaseus sagte, du bist wach und ...“ Aber da machte Amun-Re in der Tür sofort Halt, als er die beiden da auf dem Bett sah. Den einen halb verheult und den anderen auch den Tränen nahe. „Entschuldigt ... soll ich gehen oder anklopfen?“ „Komm rein“ schniefte Yami und wischte sich die Tränen weg. Vielleicht war ein wenig Ablenkung nicht schlecht. Vielleicht hatte er ja einen Rat. „Tut mir leid. Ich wollte euch nicht stören“ bat er, aber trotzdem schloss er die Tür hinter sich, ließ seine viel zu großen Stiefel, die er sich sicher irgendwo geklaut hatte, am Eingang stehen, bevor er herüber kam und sich zu ihnen aufs Bett setzte. Er strich Yami besorgt durchs Haar und wandelte seinen forschenden Blick in ein Lächeln voller Liebe und Wärme. So fürsorglich und zugeneigt, dass selbst Yami ein wenig rot wurde und dankbar zurücklächelte. Eine so einfache Geste reichte schon, um sein Herz zu berühren. Auch wenn Rah nun Amun-Re und ein ganz normaler Mensch war, so besaß er doch ein inneres Strahlen, welches ein Herz zu erleuchten vermochte. „Du hast geträumt letzte Nacht, ja?“ fragte er mit gedämpfter Stimme. „Wie geht es dir?“ „Aufgewühlt. Aber schon etwas besser“ antwortete er und lehnte sich an Yugi, der herumrutschte, um Amun-Re ebenfalls gegenüber zu sitzen. „Warum weißt du, dass ich geträumt habe?“ „Ich habe einen sehr feinsinnigen Priester“ antwortete er indirekt. „Aber belaste dich nicht zu sehr, Atemu. Es war nur ein Traum.“ „Es war mehr als das, Amun“ erwiderte er beschwert. „Es war so real ... mehr als eine Vision. Eine Prophezeiung.“ „Nein, es war das Hirngespinst einer verletzten und verblendeten Seele“ korrigierte er liebevoll. „Ich weiß, ich sage das so lax daher, aber lass dich da nicht zu tief mit reinziehen. Wenn du anfängst, Aleseus’ Empfindungen nachzufühlen, wird er dich mitreißen. Ob nun mit oder ohne deinen Willen.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ „Das Schwerste von allem musst du tun: Abwarten“ sagte er mit einem tiefen, zärtlichen Blick aus so klaren Augen, dass er seinen Sohn darin einbettete wie in feinste Wärme. „Abwarten“ wiederholte Yugi seufzend. „Du sagst das wirklich so lax daher als wäre es einfach.“ „Ich sage ja, es ist schwer. Aber der richtige Moment wird kommen. Dein Moment. Atemu, ich kenne dich gut. Ich habe dich aus meinem Herzen geschaffen und weiß, dass ich dir vertrauen kann.“ Er strich über seinen Kopf und erwiderte seinen verletzten Blick mit ungetrübter Zuversicht. „Vertraust du auch mir?“ „Ja“ hauchte er erschöpft. „Ich vertraue dir.“ „Dann vertraue mir auch, wenn ich dir ein Versprechen gebe. Ich verspreche dir, es wird der Moment kommen, in dem du weißt, was zu tun ist. Ich kenne nicht die Lösung deines Problems. Aber ich kenne dich. Und ich weiß, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst. Und in diesem Moment wirst du nicht an dir zweifeln. Nicht so wie jetzt. Es kommt der Moment, Atemu. Er wird kommen. Das verspreche ich dir.“ „Lass den Kopf nicht hängen, mein Yami“ tröstete Yugi und drückte seine feuchtwarme Hand. „Du bist nicht allein. Wir stehen alle bei dir. Alle sind da, um dir zu helfen. Und ich liebe dich ohnehin. Das weißt du doch.“ „Ja, weiß ich“ seufzte er und schloss seine Augen, wischte sich darüber und versuchte, seinen Kopf hochzuhalten, sich nicht hängen zu lassen. „Danke. Ihr helft mir wirklich sehr.“ „Gut“ klopfte Amun-Re ihm auf die Knie und schmunzelte ihn lieb an. „Können wir jetzt mal über meine Probleme reden?“ „Höh?!“ Da guckten Yugi und Yami jetzt aber beide etwas überrumpelt. Nicht nur, dass ihr Gottvater auch mal Probleme hatte, sondern dass er so plötzlich das Thema wechselte. „Na ja, ihr seid wohl die einzigen Menschen, die mir helfen können“ erklärte er sein überraschendes Anliegen. „Kann ich euch was fragen?“ „Klar“ meinte Yugi verdutzt. „Wenn wir dir helfen können.“ „Bestimmt. Also, Jungs“ beschloss er und verschränkte nachdenklich seine Arme vor der Brust. „Ich hab da wirklich ein Problem. Es geht um Eleseus.“ „Warum wundert mich das nicht?“ meinte Yami frech. „Klappt’s mit dem Sex nicht oder was?“ „Genau.“ „Ähm ...“ Echt? Er kam her, um über Sex zu sprechen? Und sonst noch? „Es klappt einfach nicht. Ich glaube nicht, dass ich was falsch mache, aber er ist irgendwie gehemmt“ versuchte er zu erklären. „Ich meine, ich bin ja jetzt schon ein Weilchen hier, aber außer Fummeln ist noch nicht viel gelaufen. Ich meine, ich hab ja auch menschliche Bedürfnisse, wisst ihr?“ „Aha“ guckte Yugi hilflos. „Und weiter?“ „Na ja, seitdem ist er eben gehemmt.“ „Gehemmt inwiefern?“ hakte Yami nach. „Gehemmt, weil er nicht kann oder nicht will oder wie genau?“ „Doch, er kann schon. Er will auch. Aber er traut sich nicht.“ „Amun, mal ehrlich“ sprach Yugi und forschte in seinem Gesicht. „Ihr hattet doch schon mal Sex, oder? Ich meine ‚richtigen’ Sex.“ „Natürlich. Jede Menge“ lächelte er. „Richtig guten sogar.“ „Und wo liegt dann das Problem? Ist doch nicht das erste Mal. Wenn ihr doch wisst, wie es geht ...“ „Das Problem liegt in meiner derzeitigen Verfassung“ versuchte er zu erklären. „Ich bin ja nun mal jetzt ein Mensch und kein Gott. Somit habe ich keine Chance, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Wisst ihr, wenn er richtig in Fahrt kommt, ist er schwer zu bändigen. Bisher konnte ich ihn immer ganz gut zur Raison bringen, aber ich glaube, jetzt ist er gehemmt. Ich denke, er hat Angst, mir wehzutun.“ „Hat er dir das gesagt?“ wollte Yami wissen. „Hast du mit ihm darüber gesprochen?“ „Ich hab’s versucht, aber ihr wisst doch, wie das ist. Dann kommt was dazwischen oder er lenkt ab oder oder oder. Es gab da einen Moment, da lagen wir ungestört im Bett und sind halt so intim geworden. Er hat nicht aufgepasst und sich auf meinen Arm gestützt. Tut immer noch ein bisschen weh“ erzählte er und kugelte seine schmerzende Schulter. „War halb so wild, aber da haben wir beide wahrgenommen, wie viel stärker er jetzt im Vergleich zu mir ist. Ich habe ihm gar nichts entgegenzusetzen und er ist es gewohnt, dass ich stärker bin. Ich bin nun mal kein Gott mehr. Er muss jetzt ein bisschen sanfter sein mit seiner Kraft und mich mehr behüten. Und damit tut er sich ein bisschen schwer.“ „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du auch solche Probleme hast“ staunte Yugi. „Na ja, sind ja keine echten Probleme. Wir kriegen das schon in den Griff“ lächelte er und breitete ein Schmunzeln aus. „Aber ich dachte mir, vielleicht habt ihr ja einen Ratschlag, wie wir das noch etwas beschleunigen können. Wenn ihr wisst, was ich meine.“ „Das ist leicht“ meinte Yami und Yugi nickte dazu nur. „Kurz halten.“ „Kurz halten“ wiederholte Amun-Re andächtig. „Soll heißen?“ „Das steigert sein Verlangen nach dir“ erklärte Yugi. „Tu so als wäre dir Sex gar nicht so wichtig. So wie ich dich einschätze, bietest du dich ihm ziemlich oft an, oder?“ „Na ja.“ Gut erkannt. „Also lass ihn in dieser Beziehung links liegen“ riet Yami. „Das macht ihn wahnsinnig, wenn er nicht deine volle Aufmerksamkeit hat. Das hat bisher noch immer funktioniert. Danach geht er ab wie ein Hengst auf Stutenentzug.“ „Na ja, das genau ist ja sein Problem“ meinte er. „Er hat ja Druck, er will ja ran. Aber er traut sich nicht aus Angst, dass er mich verletzen könnte. Ich hab da keine Angst, aber er.“ „Dann versuch es anders“ riet Yugi. „Bei Seto mache ich es immer so, dass ich ihm erst mal gut zurede und ...“ „Das kannst du nicht vergleichen. Seto ist Uke“ meinte Yami. „Da müsste er ja eher Angst haben, dass er nicht genug von dir bekommt. Okay, der kann auch mal ruppig werden, wenn er Druck hat, aber einen Seme-Drachen sollte man besser nicht ermutigen. Es ist was anderes, einen Drachen dazu zu bringen, sich brav hinzugeben, als ihn dazu zu bringen, dich zu besteigen.“ „Auch wieder wahr“ musste er zustimmen. „Also, wenn Entzug und gutes Zureden nicht funktioniert, was empfiehlt Dr. Yami Love?“ „Dr. Yami Love empfiehlt folgendes“ grinste er und fand sich voll in seinem Element. Sexratschläge erteilen, war sein liebstes Hobby. Da schöpfte er aus einem großen Erfahrungsfundus. Vielleicht hatte Amun-Re auch deshalb gefragt. Nicht, weil er das nicht selbst in den Griff bekommen würde, sondern um Yami mal wieder auf bessere Laune zu bringen. „Ich würde sagen, mach ihn ruhiger“ riet er mit leuchtenden Augen. Yami liebte es, wenn er jemanden beraten konnte. „Sein Problem ist ja wohl, dass er Druck schiebt, der ihm das Gefühl gibt, unkontrolliert zu handeln. Dann nimm ihm doch diesen Druck. Lass ihn erst ein oder zwei Mal kommen, bevor er richtig ran darf. Er soll ja oben liegen, oder?“ „Wäre schon ganz gut“ lächelte er. „Er ist nicht so gern der ‚Gearschte’, wie er das nennt.“ „Dann nimm doch Setos Lieblingsstellung. Reite ihn“ schmunzelte er. „Im Zweifelsfalle bindest du ihn eben ans Bett, wenn das was hilft. Ich meine, wenn er das nicht kurz und klein haut ... Kraft hat er ja mehr als reichlich. Wie gesagt, wenn er den ersten Druck los ist, sollte er ja wohl ruhig liegen bleiben. Und dann lernt ihr beide ganz langsam, wie ihr mit dem neuen Kräfteverhältnis zurechtkommt.“ „Das ist, glaube ich, ein ziemlich guter Rat“ meinte Yugi. „Ich weiß nur nicht, ob Amun so gut im Nehmen ist wie du. Nicht jeder mag die harte Gangart.“ „Ich werde das einfach mal so machen“ beschloss der ermutigt. „Mal sehen, wie oft ich ihn kommen lassen muss bis er ruhig bleibt. Jetzt muss er das nur noch mitmachen. Er mag es ja eigentlich lieber, wenn wir zusammen kommen.“ „Tja, hilft wohl aber nichts“ meinte Yugi. „Seto ist auch so ein hoffnungsloser ‚Gemeinsamkommenfan’, aber manchmal geht’s eben nicht anders. Da muss ich entweder mit ihm Schritthalten oder ihn erst mal auspowern. Wenn er nicht warten kann, muss er eben zwei Höhepunkte aushalten. Da muss er mit leben.“ „Ja, Drachen sind ziemlich potent“ seufzte Yami. „Seth und mich hat’s eigentlich nie gestört, wenn einer zu früh kam. Dann wird eben kurz durchgeschnauft und dann geht’s weiter. Der letzte Höhepunkt hat dann spätestens zusammen geklappt, wenn wir das wollten.“ „Apropos wollen. Ich sollte euch ja eigentlich was sagen“ fiel ihm da siedend heiß wieder ein. „Aufbruch ist in einer halben Stunde. Ob ihr wollt oder nicht.“ „Wohin? Wie kommst du jetzt darauf?“ wollte Yugi wissen. Diese plötzlichen Themenwechsel waren echt anstrengend. „Wohin darf ich nicht sagen. Und ich komme deshalb darauf, weil wenn Sareth wüsste, wo es hingeht, sie sicher nicht mitkommen wollen würde.“ „Du sagst uns also nicht, wohin wir aufbrechen. Sind wir denn lange unterwegs?“ „Nein, ihr seid heute Abend wieder hier. Es ist nicht so weit wie man meint“ lächelte er vorfreudig. „Wir gehen auch nicht alle. Nur ihr beide, die drei oder vier Priester, Sareth, Narla, Ilani, Mokuba und Phoenix, wenn er will. Gustav und sein Enkel werden euch führen. Auch wenn Eleseus den Weg sicher auch allein finden würde.“ „Und du?“ wollte Yami wissen. „Kommst du nicht mit?“ „Nein, ich bleibe besser hier. Ich habe noch was mit Sethan zu besprechen. Außerdem, wenn ihr da seid, könnt ihr ahnen, weshalb ich nicht mitgehe. Ich glaube, ich würde da die Idylle stören. Und es soll doch ein besonderes Erlebnis sein.“ „Du wirkst doch nicht störend, Amun. Du bist bestimmt ne Partybombe.“ „Nein, da muss man eher die Ruhe bewahren. Außerdem würde ich dort wohl für eventuelle Aufruhr sorgen und das muss nicht sein.“ „Also was jetzt? Bremsend oder aufrührend?“ guckte Yami. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie sie auf mich zu sprechen sind und ich möchte, dass sie ruhig bleiben. Sie haben mich ohnehin schon gespürt, denke ich. Hauptsächlich ist der Ausflug aber für Sareth, um ihr ein wenig die Angst vor sich selbst zu nehmen.“ Chapter 37 „Das hab ich nicht gewusst! Wirklich ganz normaler Rosenkohl kann das?“ Mokuba war begeistert. Seit ungefähr drei Stunden war die Truppe zu Fuß unterwegs und er hatte sich noch nicht ein Mal über den weiten Marsch beschwert und das, wo er doch sonst so lauffaul war. Der Grund dafür war Gustavs Enkel Torge. Torge war nur ein Jahr jünger als Mokuba, sah aber schon viel älter aus. Sein hellblondes, fast weißes Haar war zu zwei zerzausten Zöpfen geflochten und sein Lächeln groß und einnehmend. Er hatte die ganze Nase voll Sommersprossen, eine weiche Stimme und eine kräftige Statur. Ein echter Landbursche, jedoch für einen Bauern war seine Ausdrucksweise zu gewählt. Genau wie sein Großvater schien er ein schlichter Charakter zu sein, der jedoch mehr Bildung besaß, als man es bei solchen Outbackern vermutete. Außerdem fühlte er sich dem Pharao und dessen Familie sehr verbunden und hatte zur Begrüßung nicht nur die Hände der Pharaonen und Amun-Re untertänig geküsst, sondern auch die der Priester. Und er war ebenfalls ein Heilhexer, womit er in Mokuba schnell einen Freund fand. Da er hier weit abgeschieden der Zivilisation lebte, besaß er in Magiemedizin mehr Erfahrung und tauschte sich gern mit dem Cousin des Pharao über Gemeinsamkeiten aus. Eben unter anderem, dass ganz stinknormaler Rosenkohl bei besonderer Zubereitung mit Quellwasser, zerstoßener Eierschale und der richtigen Massage eine recht schnell wirksame Medizin gegen Magnesiummangelbedingte Magenbeschwerden ergab. „Natürlich hängt die Hälfte davon von deinen Händen ab und lecker ist es auch nicht. Aber es wirkt gut. Ich hab’s selbst getestet.“ Die anderen konnten da nicht viel mitreden. In Heilkräften kannten sie sich nicht aus und Sethos, der darüber vielleicht noch etwas wusste, trug eher Nini auf den Schultern, die nach Stunden nicht mehr laufen mochte und ihm stattdessen ein Ohr abkaute darüber, welche Blumen man gut in sein Haar stecken könnte. „Alles in Ordnung?“ Tato ließ sich ein Stück zurückfallen und sah nach Phoenix, welcher das Tempo der Gruppe zunehmend bremste und den schweren Atem unterdrückte. „Ja, alles in Ordnung“ versprach er und lächelte ihn tapfer an. „Wahrscheinlich ist die gute Seeluft nur etwas schwerer.“ Oder es lag einfach daran, dass er konditionell schlecht aufgestellt war und nun schon seit drei Stunden kräftig marschierte. „Wir können auch etwas langsamer gehen“ bot Gustav an, der für sein hohes Alter noch besser zu Fuß war als jeder Jugendliche. „Wir müssen uns nicht beeilen.“ „Nein, es geht schon“ versicherte Phoenix mit schwerem Atem. „Fordere dich nicht zu viel“ meinte Tato skeptisch. „Nicht, dass du uns noch umkippst.“ „Wie weit ist es denn noch?“ wollte Seto wissen. „Vielleicht könnten wir noch mal eine Pause einlegen.“ „Ja! Pause!“ jubelte der kleine Tato, der es auf Mamas Rücken ja auch bitterlich nötig hatte, nach einer Pause zu rufen. „Kekse essen und Mils trinken. Wir wollen Pause!“ „Kekse sind alle“ meinte Seto. „Gibt nur noch Brot.“ „Keine Kekse mehr?“ guckte er geknickt runter. „Schoi hat alle aufdedessen.“ „Joey ist doch gar nicht mit“ lachte Yugi. Seit er Sport zum Beruf gemacht hatte, störten ihn auch solche Gewaltmärsche nicht mehr. Seto musste ihn nicht mehr tragen und eigentlich mochte er die Anstrengung sogar. „Die Kekse hast du selbst aufgegessen, Tatolino. Nicht immer nur Joey.“ „Dann müssen wir wieder surück“ forderte er und haute auf Mamas Schulter. „Wir müssen neue Kekse holn!“ „Ich glaube, wir machen lieber Pause“ meinte Sareth, als Phoenix gefährlich strauchelte und sich noch an Tato festhielt, bevor er ganz zu Boden stürzte. „Spatz kann ja kaum noch laufen.“ „Vielleicht hätte ich lieber Zuhause bleiben sollen“ atmete er und die Gruppe blieb einen Augenblick stehen, um ihn schnaufen zu lassen. „Ich hab gewusst, ich halte so einen Marsch nicht durch.“ „Sei nicht so negativ. Wir sind alle etwas geschafft“ versuchte Tato ihn leidlich zu trösten. Er selbst war ja ebenfalls nicht der beste Fußgänger mit seinem Stock, aber im Gegensatz zu Phoenix wäre selbst der kleine Tato ein Marathonläufer. „Wir haben es nicht mehr weit“ versprach Gustav, der seine dicke, schwere Tasche auf die andere Schulter sattelte. „Es ist nur noch über den Hügel vor uns. Dann sind wir da.“ „Da ist Wasser, oder?“ fragte Nini aufgeregt. „Ich kann das Meer rauschen hören.“ „Du wirst gleich noch was ganz anderes hören“ lächelte Torge und streichelte ihr kleines Bein, welches vom großen Priester herunterhing. „Wird dir sicher gefallen, Prinzessin.“ „Du hast es gehört. Es ist nicht mehr weit“ spornte Sareth ihren notleidenden Phoenix an. „Komm, das schaffst du noch den Hügel rauf. Ich glaube an dich.“ „Was ist da hinten überhaupt?“ forderte Tato eher kritisch zu wissen. „Seit Stunden klettern wir hier über Stock und Stein durch die Wildnis und wissen nicht mal, weshalb wir uns die Mühe überhaupt machen.“ „Du alter Meckerpott“ piesackte Yami ihn. „Sei doch mal ein bisschen offen für Überraschungen.“ „Ich hasse Überraschungen.“ „Kommt jetzt“ murrte Seto. „Wir gehen da hin und dann wieder nach Hause.“ „Nach Hause“ keuchte Phoenix. „Na super.“ Und wie sollte er das heute noch schaffen? Drei Stunden hin und drei Stunden zurück? „Zurück nehmen wir die Pferde“ versprach Torge, der ebenfalls sein Bestes versuchte, die Stimmung nicht kippen zu lassen. „Ein paar von unseren Leuten sind noch in der Nähe und die nehmen uns wieder mit zurück. Heute Abend brauchen wir nicht laufen. Nur noch zwei oder drei Kilometer bis zum Treffpunkt.“ „Halleluja“ seufzte Yami. „Und ich dachte, ich krieg heute noch ganze Hühner an den Füßen.“ „Du meinst anstatt Hühneraugen?“ lachte Yugi und schüttelte den Kopf. „So lustig war das nun auch wieder nicht, Papa“ murrte Tato. „Ich fand den Witz aber gut“ kicherte er. „So kommt. Lasst uns weiter.“ „Komm, wir sind doch gleich da“ ermutigte Tato und klopfte Phoenix freundlich auf die schmale Schulter. „Ja“ nickte er und setzte mit sichtlichem Kraftaufwand wieder einen Fuß vor den anderen. „Asato?“ fragte er dann nach nur wenigen Metern leise. „Was denn?“ fragte er ebenso gedämpft zurück und lächelte zu ihm herunter. „Soll ich dich tragen?“ „Nein.“ Auf seinen Wangen breitete sich ein leichtes Rot aus, als er seine Hand an Tatos kräftigen Oberarm legte. „Darf ich mich bei dir festhalten?“ „Natürlich. Komm, ich ziehe dich.“ Wenn er ihn schon nicht trug, konnte er ihn aber ziehen. Sicher hätte Tato auch die Kraft gehabt, ihn auf seinem Rücken zu tragen, aber anscheinend wollte er es nicht, was sicher seinen Grund hatte. Doch so ließ er sich festhalten, zog den schwächlichen Wanderer mit sich den Hügel hinauf und nahm ihm somit wenigstens die Hälfte der Kraft ab. „Und du bist noch gut zu Fuß?“ heiterte Yami die junge Sareth auf. „Ja“ lächelte sie schüchtern zurück. „Ich werde nicht so schnell müde.“ „Bist genauso taff wie Narla“ meinte Mokuba. „Die kann auch wandern bis sie umfällt. Wenn sie denn irgendwann mal umfällt.“ „Was sie sicher nicht so schnell tut“ bekräftigte die Letzte im Bunde und nahm Sareth spielerisch in den Arm. „Und wir beide machen nen Wanderclub für Mädchen auf, was?“ „Dann können wir auch zu den Pfadfindern gehen“ antwortete die und blickte ratlos das kleine Stückchen zu ihr hoch. Und Narla konnte nur enttäuscht ihr Haupt schütteln. „Sari, du bist genauso humorlos wie dein Vater.“ „Was soll das denn heißen?“ muckierte der sich. „Is will au wandern“ forderte da der kleine Tato vehement. „Lass mis runter, Mama. Mann, is kann selber laufen! RUNTER!“ „Ist gut. Schrei nicht so“ grummelte der und setzte ihn von seinen Schultern hinab auf den Boden. „Aber geh bei Papa an der Hand.“ „Bei Papa annie Hand.“ Dagegen hatte er aber dann auch nichts. Seto nahm Yugi den schweren Rucksack ab und dafür übernahm der dann das Tatoziehen. Auf seinen kurzen Beinchen war er noch nicht wirklich schnell und würde vor allem bei jedem Steinchen stehen bleiben und irgendwann anfangen, den Hügel lieber zu erforschen, anstatt ihn zu erklimmen. Da musste er schon an der Hand bleiben. Zumal er deshalb genau an Yugis Hand ging, damit Seto sich nicht so tief zu dem Kleinen bücken musste. Sie hatten eben so ihre Aufgabenteilung. „Wir sind auch gleich oben“ bekräftigte Torge und drehte sich zu den anderen herum, um sie vorfreudig zu stimmen. „Mit etwas Glück sind sie gerade noch in der Mittagsruhe.“ „Von wem sprichst du denn?“ wollte Mokuba erfahren. „Habt ihr da noch ein Dorf, das ihr uns zeigen wollt?“ „Nein, viel besser. Ein geheimer Ort“ lächelte er. „Ein Ort, welcher seit Jahren von meiner Familie gehütet wird“ erklärte Gustav mit hörbarem Stolz. „Meine Vorfahren haben Jahrzehnte gebraucht, um so starke Schutzzauber über dieses Land zu legen, dass sie vor allen Wahrnehmungen geschützt sind. Umso größer ist die Ehre, Euch nun unser Erbe zeigen zu dürfen.“ „Ein Erbe“ rätselte Yami. „Eine Goldmiene?“ „Goldmienen gibt es hier nicht“ meinte Mokuba. „Vielleicht eher Öl?“ „Unsinn, Moki. Warum sollte man Öl mit Schutzzaubern behängen?“ rätselte auch Seto mit. „Und da ihr ja das ganze Land so gut schützt, dass nicht mal wir wahrnehmen, dass es hier überhaupt einen Schutzzauber gibt ...“ „Es ist nur ein bestimmter Schutzzauber. Dass du es nicht sofort bemerkt hast, ehrt uns, Eraseus“ lächelte Gustav freundlich. „Aber die Wirkung verfliegt beim ersten Anblick. Du wirst sehen.“ „Jetzt wird’s aber wirklich spannend“ freute Narla sich. „Komm, Sari. Wir laufen hoch.“ „Halt! Lieber nicht“ warnte Torge und hielt die Mädchen auf, bevor sie den Sprint ganz an ihm vorbei geschafft hatten. „Bewegt euch nicht zu hektisch, sonst bricht Nervosität aus.“ „Oh Gott! Sag nicht, ihr habt da hinten norwegische Mammuts versteckt“ scherzte Mokuba grinsend. „So ähnlich, Mokuba“ raunte Sethos. „Ihr habt es gleich bemerkt. Nicht wahr, Eleseus?“ fragte Gustav voller Respekt. „Es wundert mich nicht, dass Ihr unseren Schutzzauber enttarnt.“ „Natürlich. Ich weiß schon ewig von ihrer Existenz“ antwortete er dunkel. „Ich bin nur niemals hier gewesen. Es gab keinen Grund.“ „Für Euch sind sie vielleicht nichts Besonderes, aber für uns schon. Wir sind geehrt, sie schützen zu können.“ „Und ich bin dankbar für die Treue deiner Familie“ nickte er zurück. „Jedes Lebewesen ist für sich besonders. Und sei es nur ein Borkenkäfer. Es ist schön zu sehen, dass ihr die Besonderheit in ihnen erkannt habt und sie nicht jagt wie es früher getan wurde.“ „Wenn du das schon weißt, Ulti“ zwitscherte Nini ihm ins Ohr. „Dann sag doch mal einen Tipp. Dann kann ich besser raten.“ „Das hättest du wohl gern, du neugieriges Näschen“ ärgerte er sie wesentlich freundlicher zurück. „Ja, hätte ich gerne“ grinste sie und umarmte ihn liebevoll um seinen Hals. „Gib mir einen Tipp. Bitte.“ „Einen Tipp“ überlegte er und allein dabei wurden schon alle anderen Ohren aufgesperrt. Vielleicht war es ja erlaubt, Nini beim Raten zu helfen? „Wie nennt Joey denn immer deinen Papa?“ „Seto?“ guckte sie ratlos, aber dann ging ihr ein Licht auf. „Meinst du Drache?“ „Hm.“ „DRACHEN? ECHT?! SIND DA DRACHEN HINTER DEM BERG?!“ „Ja“ flüsterte er und wuppte sie noch mal richtig auf seine Schultern. „Aber jetzt sei nicht so laut. Sonst erschrecken sie sich.“ „Wie Rehe“ hauchte sie aufgeregt und wurde ganz leise, duckte sich sogar ein Stück, auch wenn das auf ihrem hohen Sitzpunkt nicht viel Effekt hatte. Nach und nach traten nach den beiden Führern und dem Hohepriester auch die anderen auf den Scheitel des Hügels und blickten hinunter. Und bestaunten einen Anblick, den man auf dieser Welt nicht mehr für möglich hielt. Dort unten am Rande einer Meeresklippe lagen sicher 20 oder 30 weiße Riesen auf einem sandigen Platz von niedergetrampelten Gras umgeben. Sie badeten sich in dem warmen Licht der Frühlingssonne und reckten entweder ihre hellen Bäuche gen Himmel oder streckten ihre ledrigen Schwingen hinauf. Zumindest die großen taten dies. Am Rande spielten drei jüngere Exemplare, welche sich weniger fürs Sonnenbaden interessierten und mehr Spaß daran fanden, in Gemeinschaftsarbeit einen knorrigen Baum umzurempeln, der wohl entweder ihr Bild störte oder ihren Spieltrieb weckte. Es war unglaublich. Es gab sie wirklich noch. Echte Weiße Drachen. **Die auf den Spielkarten finde ich irgendwie nicht so hübsch. Stellt sie euch ein wenig schlanker und eleganter vor, ja? ^^ Danke übrigens noch mal für das hübsche Bild!** Die Spitzen ihrer langen, schlanken Köpfe formten Nüstern, deren schnaufender Atem ab und an über die ganze Weite zu hören war. Ihre muskulösen Körper lagen jetzt noch faul und entspannt herum, aber konnten bei Aufregung sicher schnell in unaufhaltbare Bewegung übergehen. Ihre kräftigen Schwingen ragten entweder genüsslich ins Licht oder lagen zusammengefaltet locker auf dem Boden. Ihre spitzen Krallen waren zwar gefährliche Waffen, aber Verletzungen konnte man bei ihnen ebenso wenig erkennen wie gefährliches Verhalten. Es war einfach eine ruhige, dösende Stimmung. Die Riesen lagen dort friedlich und lauschten den Wellen, genossen die windige Meeresbrise. Ein wenig am Rande auf einer Anhöhe lagen zwei weitere Drachen, ebenso wie drei andere halb auf der grünen Wiese ruhten. Ein wenig locker zerstreut die Gruppe. Aber in solchem Einklang, dass nichts ihr Bild stören konnte. Bis auf eine Gestalt, die dort nicht recht reinpassen wollte. Es war auch ein Drache aber dieser war nussbraun und wesentlich kleiner, kräftiger mit kurzen Beinen und ohne Flügel auf seinem knochigen Rücken. Er hatte winzige Ohren, die kaum zu erkennen waren und einen kurzen, fast stummeligen Schwanz, aber dafür ein gezähntes Maul, wie das eines Haies. Der gehörte ganz eindeutig nicht dazu und doch lag er da, als wäre er selbst ein Weißer. „Das ist unsere Gruppe“ erzählte Gustav voller Stolz. „Seit nun fünf Jahrhunderten schützt unsere Familie diese letzte Sippe Weißer Drachen vor dem Zugriff fremder Menschen. Sie leben auf diesem Land sicher schon seit Tausenden von Jahren, aber von ihrer einst so großen Population ist weltweit nur noch diese Gruppe übrig geblieben.“ „Können wir näher ran?“ war das, was Narla da am meisten reizte. Ihr Herz ging auf, als sie diese Geschöpfe sah. Dass es noch Weiße Drachen gab, hatte selbst sie nicht gewusst. Sie hatte in alten Schriften über sie gelesen, aber niemals nach ihnen gesucht, da sie zu den unzähligen Arten gehörten, welche als ausgerottet galten. „Ich denke, sie erwarten sogar, dass wir näher kommen“ lächelte Torge die überraschte Gruppe an. „Sicher haben sie euch schon bei eurer Ankunft hier gespürt. Aber sie nähern sich Menschen nicht von selbst. Und doch akzeptieren sie uns teilweise in ihrer Mitte, da sie uns schon lange kennen.“ „Dragge. Papa ... Dragge“ flüsterte der kleine Tato und hielt sich gespannt an Papa Yugis Hand fest. „Ja, richtige Drachen“ bestätigte Yugi mit fasziniertem Blick. „Wer hätte das gedacht?“ „Sicher niemand“ meinte Narla und folgte mit den anderen zusammen als ihre Führer sich daran machten, den Hügel hinunter und ins Tal der Drachen zu gehen. „Wir haben sie nicht gespürt ...“ „Wie gesagt, wir haben starke Zauber über das ganze Land gelegt, um sie unsichtbar zu machen. Und wenn nicht einmal die großen Hohepriester ihre Existenz spüren, denke ich, haben wir unsere Arbeit gut getan“ erläuterte Gustav. „Vor etwa 200 Jahren ist hier eine Horde Drachenjäger eingefallen und hat den Großteil der Jungtiere getötet. Damals stand die Sippe kurz vor der Ausrottung. Danach haben meine Vorfahren keine Mühen gescheut und die besten Magier gesucht, welche sich dem Schutz dieser Tiere annehmen und es noch bis heute tun. Nicht nur dem Schutz vor magischen Jägern, sondern auch dem Schutz vor Blicken. Selbst wenn sich nur ein Sportflieger zu weit in diesen Luftraum verirrt, wird es gefährlich für beide Seiten. Entweder erfährt ein Fremder von ihrer Existenz oder die Drachen fühlen sich bedroht und holen den Flieger vom Himmel. So oder so endet es unglücklich.“ „Das ist sicher viel Arbeit“ meinte Yami. „Ich meine, es gibt doch kaum noch unberührte Landschaften, über die niemals ein Mensch geht, fliegt oder fährt.“ „Bisher hatten wir Glück und fehlendes Glück gleichen wir mit Liebe aus“ erklärte Torge den staunenden Gästen. „Es klingt vielleicht kitschig, aber wir lieben die Drachen. Wer ein Mal mit ihnen zusammen war, wird sich ihrem Bann nicht mehr entziehen können. Wir leben gern hier in der Wildnis und tragen Sorge dafür, dass sie ungestört bleiben. Ich bin mit ihnen aufgewachsen und kann mir, wie meine ganze Familie auch, kein Leben fern von ihnen vorstellen.“ „Das verstehe ich.“ Narla konnte es ihm wirklich nachfühlen. Wer einmal mit Drachen zusammenlebte, wollte das für nichts in der Welt mehr hergeben. Würden ihre Drachen noch leben - sie wäre niemals aus den chinesischen Bergen fortgegangen. „Löblich“ nickte Yami anerkennend. „Ihr müsst viel von Magie verstehen, wenn ihr so starke Schutzzauber spannen könnt. Hat euch niemals der Zirkel belästigt?“ „Der Zirkel der Magier und Hexen weiß nicht, dass es uns hier gibt“ antwortete Gustav. „Wenn es Euch interessiert, Pharao, laden wir Euch gern in unser Dorf ein. Dort könnt Ihr mehr über uns erfahren und darüber, weshalb wir der Pharaonenfamilie verbunden sind.“ „Ja, das würde ich gern“ nickte Yami. Es war nicht nur verwunderlich, dass Menschen, die in der norwegischen Wildnis lebten so perfekt ihre Sprache gelernt, sondern auch noch starke Hexen und Magier in ihren Reihen hatten und sich für die letzte Sippe Weißer Drachen aufopferten. Sicher hatte es mehr Grund, weshalb Sethan genau dieses Fleckchen Erde ausgesucht hatte. „Ich hätte niemals gedacht, dass es sie noch gibt“ schwärmte Narla als sie mit langsamen, ruhigen Schritten der dösenden Gruppe allmählich näher traten. „Früher waren die Weißen Drachen die am stärksten verbreitete Rasse. Nicht nur, weil sie sehr anpassungsfähig sind, sondern auch äußerst intelligent. Ich habe gelesen, dass ihre Intelligenz nahe an die eines Menschen heranreicht und die eines Affen bei weitem übertrifft.“ „Das ist wahr“ nickte Gustav. „Sie sind sehr intelligent und waren einst weltweit verbreitet. Du weißt viel darüber, Narla. Ich bin beeindruckt.“ „Ich habe vieles über Drachen gelernt, aber die Weißen haben mich besonders fasziniert“ antwortete sie aufgeregt. „Ich finde sie beeindruckend. Obwohl sie rein physisch nicht die größte Rasse sind, werden sie als die Königsklasse der Drachen bezeichnet. Durch ihre hohe Intelligenz, ihr komplexes Sozialverhalten und vor allem, weil sie so anpassungsfähig sind. Weiße Drachen können nahezu überall leben. Früher gab es sie auf kleinen Südseeinseln, im Urwald, in Sandwüsten, auf Bergen - quasi überall. Sie ernähren sich von Fleisch, Fisch oder Pflanzen. Das ist abhängig vom Lebensort und von der Jahreszeit. Ich dachte, sie wären ausgerottet.“ „Aber wenn sie so intelligent sind“ fragte Phoenix leise. „Warum wurden sie dann ausgerottet? Also ... fast.“ „Weiße Drachen haben keine natürlichen Feinde“ erwiderte Gustav. „Bis auf den Menschen. Sicher sind Weiße Drachen sehr mächtig und nicht leicht zu erlegen, aber sie sind sehr sensibel in Bezug auf ihre Gesellschaft und ihren Lebensraum. Das unterscheidet sie erheblich von gewöhnlichen Tieren. Wenn sie gestört werden oder sich bedroht fühlen, reagieren sie darauf mit Verhaltensweisen, die wir auch bei Menschen finden. Sie ziehen sich zurück und brechen ihre Bindungen ab. Es ist auch bekannt, dass Weiße Drachen sich selbst durch Hunger oder Verletzungen oder giftige Pflanzen quälen oder sogar Suizid begangen haben. Diese Drachen haben eine nahezu menschliche Psyche. Weiße noch mehr als andere Arten. Das hat sie zur Königsklasse gemacht, aber gleichzeitig ist das ihr Schwachpunkt. Dass sie fast ausgestorben sind, ist weniger darauf zurückzuführen, dass sie von Menschen getötet wurden, sondern mehr darauf, dass sie sich verdrängt fühlten. Sie haben schlicht aufgehört, sich zu vermehren, weil ihr Sozialgefüge durch die Verfolgung der Menschen gestört wurde. Die Drachen sind nicht mehr zueinander gekommen. Sie waren unglücklich.“ „Kommt mir irgendwie bekannt vor“ murmelte Mokuba vor sich hin. Dass Drachen sehr empfindlich auf soziale Störungen reagierten, erlebte er ständig Zuhause. Gut vorzustellen, dass die Drachen sich mit den Menschen nicht einen Lebensraum teilen konnten. Sie waren einander einfach zu ähnlich und beanspruchten zu viel Platz für sich selbst. Drachen waren ruppig, laut und launisch. Aber Menschen verletzten sie trotzdem sehr leicht, wenn sie nur das in ihnen sahen. „Die sind ganz schön groß“ staunte Nini von Sethos Schultern aus. „Sind sie lieb?“ „Wenn du sie in Ruhe lässt, ja“ belehrte Sethos sie. „Lauf nicht gleich hin. Das mögen sie nicht.“ „Wie sollen wir uns denn überhaupt verhalten?“ So langsam stieg in Mokuba nämlich zunehmend Respekt auf je näher sie kamen. Es waren nur noch wenige Meter bis zum ersten Riesen, der sie mit einem scheinbar desinteressierten Seitenblick bereits ins Visier nahm. Sicher genügte irgendein falsches Verhalten, um die Gruppe in Aufruhr zu versetzen. Und anlegen wollte er sich mit so einem wirklich nicht. „Bleibt einfach ganz ruhig“ riet Torge mit unbesorgter Stimme. „Im Grunde sind sie sehr friedlich und Menschen gegenüber freundlich. Gebt ihnen etwas Zeit, euch zu betrachten und dann werden sie euch von selbst einladen. So, ich denke, hier sollten wir stehen bleiben.“ Er blieb stehen und stellte seine schwere Tasche nehmen die seines Großvaters auf das niedergetrampelte Gras. „Und setz?“ guckte Tato ihn drängend an. „Kann is die streiseln? Is bin au ein Dragge! Grooaarr!“ „Warte noch einen Moment“ bat Yugi und hielt ihn fest an seiner kleinen Hand. Tato wäre es durchaus zuzutrauen, dass er auf den nächstbesten Drachen draufsprang und spielen wollte. Er kannte das Wort Furcht leider nicht. „Meinst du nicht, dass es vielleicht Probleme geben könnte?“ Narla sah den alten Gustav ein wenig besorgt an, als sie vertraulich an seinen Arm griff. „Immerhin haben wir fremde Drachen in Begleitung. Wenn sie das spüren, könnte es nicht eventuell Rangstreitigkeiten geben?“ „Sie spüren es ganz sicher“ antwortete er und gab seinen Blick weiter an Sethos, der hier in dieser Sippe ganz sicher der Ranghöchste war. Als Oberhaupt wäre es seine Aufgabe, solche Streitigkeiten beizulegen. „Keine Sorge“ raunte der und setzte Nini von seinen hohen Schultern hinab auf den festen Boden. Ein „Oh je ...“ von Mokuba kündigte an, dass man sich jetzt wohl um sie kümmern würde. Aus der Mitte der dösenden Gruppe erhob sich ein ausgewachsener Drache, fächerte seine Flügel bedrohlich halb auf und senkte seinen Kopf, als er mit behäbigen Schritten auf die Truppe zuging. Sein blauer Blick fixierte die fremden Menschen und seine Aufmerksamkeit sorgte dafür, dass auch der ein oder andere Drache zumindest seinen Kopf hob, um zu sehen, was geschehen würde. „Der sieht aber nicht freundlich aus“ fürchtete Phoenix als der große Weiße seine Zähne fletschte und mit dunklem Knurren direkt auf sie zusteuerte. In so einer Situation fühlte man sich in einer Horde hungriger Hyänen wesentlich geborgener. „Das ist Kheru, unser ranghöchstes Männchen“ erklärte Torge mit leise gesenkter Stimme. „Die Sippe wird eigentlich von einem Weibchen geleitet und er wird leicht nervös, wenn sie nicht anwesend ist.“ „Und was sollen wir jetzt machen?“ So langsam stieg nämlich auch in Mokuba die Angst hoch. Der Kollege schien nicht besonders gut gelaunt zu sein. Und dann gleich Bekanntschaft mit dem stärksten Männchen zu machen ... es gab bestimmt Schöneres. „Ganz ruhig bleiben“ riet Torge. „Seht ihm nicht direkt in die Augen und lasst ihn einfach gewähren. Drachen mögen es nicht, wenn man sie scharf ansieht. Aber sie greifen ohne einen Grund auch nicht an.“ „Weggucken“ riet Nini sich selbst und guckte schnell auf den Boden. „Ganz lieber Drache ... wir wollen dir nichts tun ...“ „Der tut dir schon nichts. Der warnt nur“ beruhigte Sethos und legte ihr vollkommen unbesorgt die Hand auf den Kopf. „Geh mal zu Papa, Prinzessin.“ Sie hatte zwar keine wirkliche Angst, aber ein wenig Bange zu werden, war ganz normal. Wenn es nach Mokuba ginge, würde er sich genau wie sie gern an Setos Bein drücken und ein bisschen hinter ihm verstecken. Phoenix hing ja auch an Tatos Arm und suchte da nach etwas Schutz. Narla war wohl die einzige, der das nicht im geringsten Furcht einflößte und die den muskulösen Körper mit Bewunderung betrachtete. Sie war ja an Drachen gewöhnt und kannte ihr Verhalten, aber selbst Yami trat vorsichtig einen Schritt zurück. Sethos jedoch war ganz und gar nicht der Typ, der zurückwich. Eher im Gegenteil. Er ging dem warnenden Riesen entgegen und zeigte nicht den Hauch von Furcht. Er blickte ihm sogar willentlich direkt in die Augen und fixierte ihn genauso, wie er selbst mit spitzem Blick anvisiert wurde. Mehr aber auch nicht. Während der große Weiße sich aufplusterte und sein dunkles Knurren durch die gebleckten Zähne dringen ließ, drohte Sethos nicht mehr zurück als indem er einfach vor ihm stehen blieb und ihn anblickte. Er griff ihn nicht an, aber er zeigte, dass er nicht eingeschüchtert war. Dann hob er ganz langsam seinen Arm und streckte dem knurrenden Riesen seine Handfläche entgegen. Danach gab er den Blickkontakt auf und schaute seitlich in die Ferne. Als würde er ihn ignorieren. Die Sprache der Drachen war nicht immer leicht zu sprechen, aber anscheinend verstanden die beiden sich. Der Große tat den letzten Schritt auf Sethos zu und schmiegte dann seine atemzitternde Schnauze an die hingestreckte Hand. Dazu hob er den Kopf ein Stück und ließ das dumpfe Knurren verstummen. „Faszinierend. Ich habe noch nie gesehen, wie zwei fremde Männchen sich begrüßen“ lächelte Gustav. „Obwohl Eleseus eine menschliche Gestalt hat, wird er als gleichwertiger Drache angesehen. Unglaublich. Ich hätte nicht geglaubt, dass die Verständigung auf Anhieb so glatt verläuft.“ „Was hat er denn getan?“ wollte Mokuba wissen, denn die beiden bewegten sich dann auch nicht weiter. Sie berührten sich einfach Schnauze an Hand und Sethos ließ sich ganz in Ruhe vom Platzhirsch mustern. „Sethos spricht seine Sprache“ schwärmte Narla, die sich als Beobachterin vollkommen in ihrem Element fühlte. „Kheru ist uns entgegengegangen, um zu sagen, dass er nicht möchte, dass die Fremden seiner Sippe näher kommen. Sethos hat dasselbe getan, um seine Sippe, also uns, ebenfalls zu schützen. Indem er ihn so provozierend angesehen hat, zeigte er, dass er keine Angst vor ihm hat, aber sein Seitenblick zeigte dann auch, dass er hier keinen Ärger machen will und die bereits vorhandene Vorherrschaft akzeptiert. Die ausgestreckte Hand ist eine Art verlängerte Schnauze, denn das Aneinanderschmiegen von Nasenspitzen gilt als ein Zeichen von Frieden und dazu, den Geruch des anderen aufzunehmen. Das ist quasi wie bei Menschen ein Handschlag.“ „Drachen sprechen eine Sprache, welche viel eher auf Visualität setzt“ erklärte Gustav. „Sie verständigen sich in erster Linie über Gesten und Blicke und erst in zweiter Linie über Stimme. Wenn ein Drache knurrt, sollte man da nicht zu viel drauf geben. Man muss viel eher seine Körpersprache beachten.“ „Und was machen sie jetzt?“ Phoenix beobachtete, dass die beiden sich ganz langsam umeinander drehten. Sethos hatte seine Hand zurückgezogen und ging mit ruhigen Schritten um den Riesen herum, so wie der ihn ebenfalls umrundete. Bis sie die Seiten gewechselt hatten und einander mit abgewandten Köpfen bedachten. „Sie stellen einander ihre Familien vor“ erklärte Narla mit vor Aufregung bebender Stimme. „Sethos stellt sich auf die Seite von Kherus Sippe und umgekehrt. Das ist so eine Art Austausch. Kheru erlaubt Sethos, seiner Familie näher zu kommen und umgekehrt. Dass sie sich nicht ansehen, bedeutet, dass sie einander vertrauen. Ich denke, dass Kheru dann gleich hier rüber kommen wird.“ „Oh ja ... da kommt er schon. Wie cool ...“ Jetzt hatte Nini sich von ihrer vorfreudigen Aufregung anstecken lassen. Der Große wand sich von Sethos ab und trat einen Schritt nach dem anderen auf die fremde Familie zu. Aber jetzt schien er ein wenig friedvoller. Er legte seine großen Flügel eng an seinen schimmernden Körper und stellte seine oval spitzen Ohren auf. Ebenso wie er seinen Kopf hob und den Blick ein wenig seitlich legte. Er war zwar noch immer ein beeindruckendes Exemplar, aber die Versöhnung mit Sethos schien ihm ein wenig seine Bedenken vor den Fremden genommen zu haben. Das Oberhaupt der fremden Sippe blieb abseits ruhig stehen und beobachtete, wie der Platzhirsch sich verhielt. Sicher auch, um ihm zu zeigen, dass er sofort eingreifen würde, wenn er noch mal die Zähne fletschte. „Hallo Großer“ begrüßte Torge ihn und streichelte seine Schnauze als er den Kopf senkte und ihn mit schimmernden Augen ansah. „Na, hast du einen Schrecken gekriegt, dass wir Besuch mitbringen?“ Ein tiefes Brummen war die Antwort. Ein so intensiver Ton, dass einem die Rippen zitterten, aber es klang nicht böse. Es klang wie ein viel zu lautes Schnurren und das stupsen seiner Nase war für einen solchen Riesen schon fast niedlich. Seine Augen blickten skeptisch, aber auch mit erkennbarer Neugierde zur Seite und musterten die anderen, die er noch nicht kannte. Ihre Farbe ein einnehmendes, durchdringendes Blau. Man erkannte darin die ursprüngliche Wildheit, aber auch die verletzliche Liebe, die einer Drachenseele innewohnten. Das Blau, welches dem Seth das Liebste geworden war. Kein Wunder, es war eine Farbe, welche sonst nirgends auf der Erde zu finden war. „Wow. Du bist wunderschön.“ Narla war ganz angetan von ihm. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus und er zögerte nur einen kleinen Moment, bevor er ihrem Angebot folgte und seine heißen Nüstern an sie schmiegte. Aber er brummte sie nicht an. Dafür verengte er seine Augen zu Schlitzen und zog die Lefzen ein Stück hoch, zeigte seine scharfen Zähne. Anscheinend nahm er ihre Geste an, aber er traute ihr nicht sofort und warnte zur Vorsicht. „Ich weiß, du riechst mich nicht“ sprach sie ihm gut zu. „Aber ich will dir nichts tun. Versprochen. Hm? Kheru?“ Er schnaufte verächtlich und wand den Kopf ab. Eine typische Drachengeste. Wenn man ihm gestohlen bleiben konnte, war das erst mal Frieden. Chapter 38 Es dauerte nicht lang und sie saßen mitten zwischen verschiedenen Drachen, welche sie beäugten und ab und an mal herübergrummelten. Der große Kheru war nicht von ihrer Seite gewichen und behielt sie scharf im Auge, als sie sich der übrigen Gruppe näherten, respektvoll am Rande niedersetzten und betrachten ließen, ebenso wie sie selbst auch betrachteten. Der kleine Tato war in seiner Neugierde schwer zu bändigen und so musste er eng bei Yugi bleiben und wurde mit den Worten „Sitzen bleiben und leise sein, ja?“ gleich gestoppt, bevor er noch irgendwo zwischen diesen Riesen verschwand. Sein Blick verriet nämlich schon, dass er nur auf den richtigen Moment wartete, um auf Erkundungskurs zu gehen. Sie stellten fest, dass Kherus Größe und sein Auftreten eigentlich nur die erste Einschüchterung gewesen war, um zu zeigen, dass er hier den Chef machte. Der Rest der dösenden Drachen gab sich ganz friedlich und schaute wenn überhaupt nur mal spitz herüber. Die übrigen waren auch nicht ganz so riesig, sondern ein wenig kleiner. Sie schienen nur auf den ersten Blick alle gleich auszusehen, aber auf den zweiten Blick erkannte man viele Unterschiede. Direkt neben ihnen lag ein sehr schlankes Wesen mit einem länglichen Kopf und großen, runden Augen. Der nächste Drache links hatte etwas größere Ohren und ihm fehlten vorn zwei Krallen, die er sich wohl irgendwann mal abgerissen hatte. Wieder ein anderer hatte einen etwas hängenden Bauch und war die ganze Zeit dabei, die Grasgrenze zu versetzen, indem er an dem saftigen Grün knabberte. Es war schön, ihnen zuzusehen und einfach dabei zu sitzen. Man kümmerte sich nicht weiter um sie, aber bei Drachen wurde man nun mal nicht sofort herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen. Erst mal ließ man sie links liegen und machte sich mit der bloßen Anwesenheit betraut. Für echte Beziehungspflege war es noch viel zu früh. Gustav und Torge aber wurden da wesentlich herzlicher empfangen. Noch während sie sich mit den anderen nähersetzten, kam einer der Drachen herübergetrottet und schmiss den alten Mann einfach mal so um. Er ditschte ihn mit seinem Flügel an und rempelte ihn zu Boden. Als Gustav ihm ein warnendes Meckern erwiderte, schien der Drache aber nur zu grinsen und legte sich mit einem hellen Grummeln in den Sand, um sich in Ruhe zu wälzen. Drachen hatten eben einen sehr gewöhnungsbedürftigen Humor und als Torge über seinen staubbedeckten Großvater lachte, kam eine Salve trockenen Sandes herüber und landete direkt auf seinem Kopf. Der sich wälzende Drache wollte doch niemanden benachteiligen und sandete ihn eben auch ein. Gerechtigkeitssinn hatten sie sichtlich auch. „Das ist Panas, unser Witzbold“ stellte Torge ihn etwas beleidigt vor und schubberte sich den Sand vom Kopf. „Der hat Spaß daran, andere zu ärgern.“ „Drachen haben wirklich richtige Charaktere“ staunte Mokuba und sah sich zwischen den vielen Individuen um. „Wer ist das?“ zeigte er auf einen Drachen, der sich gerade auf seine vier erstaunlich langen Beine erhob und auf die nahe gelegene Klippe zutrottete. „Das ist Tefibi, eines der unteren Weibchen“ erklärte Gustav. „Sie wird jetzt bald geschlechtsreif und ich glaube, Suty hat ein Auge auf sie geworfen. Suty passt da hinten auf die drei Rabauken auf.“ Er zeigte zu den drei wesentlich kleineren Drachen, welche sich noch immer damit beschäftigten, den abgestorbenen Baum entweder auszubuddeln oder ihre Kraft an seinem Umwurf zu versuchen. Daneben hatte sich ein sehr breiter, fast dicker Drache niedergelassen, der jedes Mal dann zu brummen begann, wenn einer der drei etwas zu stürmisch wurde. „Suty ist sehr kinderlieb, aber bisher hat er noch kein Weibchen gefunden. Jedoch seit dem Herbst bringt er Tefibi zunehmend Aufmerksamkeit entgegen. Wir hoffen, dass sie sein Interesse bald erwidert und sie gemeinsam in die Balz gehen. Bis jetzt hat er sich noch nicht viel mehr getraut, als sie gelegentlich anzufauchen.“ „Irgendwie ist der niedlich“ meinte Nini und strahlte diesen dicken, elefantös wirkenden Drachen begeistert an. „Er sieht aus wie ein Kuscheltier.“ „Ja? Findest du?“ lachte Gustav. „Wenn du möchtest, können wir gern mal zu ihm rüber gehen. Er ist mit Abstand der genügsamste von allen und lässt sich bestimmt gern streicheln.“ „Nein, ich glaub, ich bleib lieber hier“ bat sie und kuschelte sich bei Seto zwischen die Beine. „Irgendwie sind die alle ziemlich groß.“ „Hast du Angst, Mäuschen?“ fragte Papa sie und umarmte seinen süßen Schatz. Für so ein kleines Mädchen mussten die tonnenschweren Drachen sicher sehr einschüchternd wirken. Noch dazu, wenn es davon nur so wimmelte. „Nein, keine Angst“ versprach sie furchtlos. „Aber ich gucke lieber noch ein bisschen mit dir zusammen. Guck mal, was der da macht!“ Sie zeigte auf einen Drachen weiter hinten, der sein Maul weit aufriss und genüsslich gähnte. Dabei streckte er seine großen Flügel weit aus und nahm der Gruppe einen Augenblick die Sonne. An seinem Gebiss ließ sich ohne Umwand erkennen, dass das hier keine Kuscheltiere, sondern echte Fleischfresser waren. Seine Zähne glänzten messerscharf und schneeweiß, bevor er sie wieder versteckte, sich zusammenfaltete und auf die andere Seite drehte. Es war eine ganz eigene Erfahrung, diese Lebewesen in natura und so hautnah zu sehen. Jede einzelne Bewegung von ihnen kam einem Wunder gleich. „Wer ist das?“ fragte Phoenix und zeigte auf den vergleichsweise winzigen, braunen Drachen, der zwar aus seinen kleinen, schwarzen Augen herüberblickte, aber keine Anstalten machte, sich weiter mit ihnen beschäftigen zu wollen. Er guckte eben auch einfach nur rüber, so wie sie ihn anguckten. „Wir haben ihm den Namen Mister gegeben“ erzählte Torge. „Er ist manchmal ein wenig aufdringlich und meine Tante versucht dann, ihn zurechtzuweisen, wobei sie immer ‚Ey Mister’ sagt. Deshalb der Name.“ „Das ist aber kein Weißer Drache“ meinte Yugi, obwohl das ohnehin ganz offensichtlich auf der Hand lag. „Wo kommt der her?“ „Wir wissen nicht genau, wo er herkommt“ erklärte er der Gruppe. „Ganz früher lebten hier an den Flüssen viele Bullendrachen, aber diese wurden von den Einwohnern gejagt, da sie Menschen zu ihrem Beuteschema zählen. Vor schon 700 Jahren galten sie eigentlich als gänzlich ausgerottet.“ „Das bedeutet, er würde uns fressen?“ fürchtete Mokuba, dem es beim Anblick dieses Haigebisses eiskalt den Rücken rauf und runter lief. Der war wirklich klein und bullig, der Name passte. Und die Kraft hinter den Kiefern wollte er lieber nicht kennen lernen. „Er wohl nicht mehr. Er sieht Menschen als befreundet an, weil er schon lange mit uns lebt. Aber im Grundsatz würde er wohl alles fressen, was kleiner ist als er selbst.“ „Und wie kommt er hier her?“ fragte Yami weiter. „Er wurde in diese Sippe adoptiert“ erklärte Torge geduldig. „Wir wissen nicht, was mit seiner Familie passiert war oder ob er von ihnen ausgestoßen wurde. Keine Ahnung. Eigentlich gibt es hier auch keine anderen Drachenarten mehr, aber vielleicht ist er das Überbleibsel einer ausgestorbenen Rasse und hat sich als Einzelgänger unbemerkt durchgeschlagen. Vielleicht gibt es auch noch eine kleine Gruppe, von der wir nichts ahnen. Bullendrachen sind nämlich, im Gegensatz zu Weißen Drachen, nicht ortsgebunden. Das heißt, sie wandern mit ihren Beutetieren. Auf jeden Fall kam er eines Tages hier her und ist seitdem nicht wieder gegangen. Eine Weile hat er am Rande der Weißen gelebt und sich ab und zu ein Stück ihrer Beute geklaut. Wir denken, er hat nicht weiter gestört und wurde als so eine Art Haustier gesehen. Irgendwann haben sie sogar angefangen, ihn anzufüttern und die Jungen haben ihre Späße mit ihm getrieben. Er ist hier ganz langsam eingewachsen und spätestens seit eines der Weibchen sich mit ihm verbandelt hat, ist er voll und ganz integriert.“ „Er hat mit einem Weibchen angebandelt?“ staunte Yugi. „Jetzt ehrlich?“ „Er ist gar nicht so dumm wie er aussieht“ grinste Torge. „Er hat den Weißen bei der Balz zugesehen und versucht, es nachzuahmen. Natürlich sieht das bei ihm etwas lustig aus, aber eines der Weibchen ist angesprungen und seitdem leben sie gemeinsam. Sie versuchen sogar immer fleißig, Junge zu zeugen, was natürlich nicht wirklich funktioniert. Aber sie lieben sich und das ist es doch, was zählt.“ „Liebe über alle Grenzen hinweg. Echt romantisch“ lächelte Yami und betrachtete sich diesen kleinen, recht hässlichen Drachen, der ja aber irgendwie wohl doch seinen eigenen Charme besitzen musste, wenn er ein andersrassiges Weibchen herumgekriegt hatte. Der hatte sich sein Leben ja wirklich ausgesucht. „Liebe bei Drachen ist eh eine ganz eigene Sache“ erzählte er weiter. „Weiße Drachen binden sich grundsätzlich nur ein einziges Mal im Leben und bleiben dem Partner durchgängig treu. Ein frisch verliebtes Pärchen ist das Schönste, was man sich ansehen kann. Sie sind dann sehr viel zusammen und liegen, stehen, laufen, fliegen ständig ganz eng zusammen. So eng, dass es eigentlich schon wieder hinderlich ist. Sie balzen selbst im hohen Alter noch umeinander herum. Wenn sich zwei Drachen füreinander entschieden haben, dann kann sie nichts mehr entzweien.“ „Leider kann das auch negative Auswirkungen haben“ warf Gustav ein. „Wir hatten vor ungefähr zwölf Jahren den Fall, dass ein Männchen eines Tages von der Jagd nicht mehr zurückkam. Später haben wir seinen halb zerfressenen Körper aus dem Meer gefischt und wissen, dass er tot ist. Aber sein Weibchen will es nicht wissen.“ Er wies an den Rand der Gruppe, wo nahe an der Klippe ein etwas größerer Drache lag und den Kopf auf einen Erdhaufen gebettet, die Beine dicht an sich gezogen und die Flügel schlaff zur Seite hängen hatte. Er blickte in die Ferne und atmete sichtbar langsam ein und aus. „Sie heißt Tamina und war sein Weibchen. Seitdem er fort ist, sitzt sie jeden Tag dort und wartet auf seine Rückkehr. Selbst im Winter, wenn die Sippe einen geschützteren Ort in den Höhlen aufsucht, bleibt sie hier sitzen. Wenn es besonders kalt ist, steht sie manchmal kurz vor der Unterkühlung. Sie würde auch hier erfrieren, nur um auf ihn zu warten. Seit zwölf langen Jahren nun.“ „Das erinnert mich an jemanden“ meinte Yami und warf Seto einen vorsichtigen Blick zu. Aber der erwiderte weder seinen Blick noch seinen Satz. Damals als Yugi in Seths Reich gegangen war, hatte er selbst gnadenlos bei Wind und Wetter an dem Ort ausgeharrt, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Es war also wohl nur zur Hälfte eine gestörte Psyche. Die andere Hälfte war einfach seine angeborene Treue. „Aber die Sippe lässt sie nicht fallen“ erzählte Torge weiter. „Im Winter kommen abwechselnd zwei oder drei Mitglieder heraus, um sie zu wärmen. Sie lösen sich quasi ab. Ihre Mutter bleibt sogar ganz bei ihr und kümmert sich noch immer um sie, als wäre sie ihr Baby. Sonst würde sie wohl gar nicht mehr fressen.“ „Was für eine bittersüße Geschichte“ bemerkte Mokuba traurig. „Das ist leider ein Nachteil an dieser Drachentreue“ seufzte er und lehnte sich an seine dicke Tasche zurück. „Wenn der Partner verstirbt oder anders fortgeht, stellen selbst junge Drachen ihre Balz ein und trauern. Sie binden sich in den seltensten Fällen ein zweites Mal. Das hat natürlich einen negativen Effekt auf die ohnehin schon geringe Population. Besonders Tamina ist mit erst 150 Jahren eigentlich im besten Alter und sollte schon lange trächtig werden, aber sie wartet eben noch immer auf ihren Geliebten.“ „Wie alt werden Drachen denn überhaupt so?“ wollte Yugi fasziniert wissen. „Sie sieht nicht so aus als wäre sie schon 150 Jahre alt.“ „Doch. Um genau zu sein, ist sie sogar 153“ erklärte Gustav geduldig. „Im Durchschnitt werden sie etwa 280 Jahre alt. Unser ältestes Mitglied zählt jedoch schon stolze 299 Jahre. Wenn er nächstes Jahr die 300 erreicht, schenken wir ihm zur Belohnung einen Stier. Dazu muss er nur noch den nächsten Winter überstehen.“ „Das schafft er bestimmt“ lächelte Torge fröhlich. „Er ist zwar nicht mehr wirklich vital, aber noch immer die graue Eminenz der Gruppe. Früher war er das Alphamännchen, aber mittlerweile hat seine Tochter die Sippenherrschaft übernommen. Da drüben liegt er übrigens. Sein Name ist Rangun.“ **Ja, ich gebe es zu. Ich habe Tagesschau gesehen, als ich das hier schrieb. Schlimm, was da passiert, aber ich fand den Namen so hübsch ...** Er wies hinüber auf den Hügel, wo zwei Drachen in der prallen Sonne dösten. Der eine so strahlend weiß wie alle anderen, der andere ein wenig angegraut. Leider lag der hinter seinem Vormann versteckt, sodass man nur einen Hinterfuß mit stumpfen Krallen erkennen konnte und vorn ein Stück seines knochigen Halses. Den Kopf aber hatte er zur anderen Seite gedreht und schaute von der Gruppe weg. Er bewegte sich kaum, aber wenn man genau darauf achtete, ließ es sich gut denken, dass er schon ziemlich alt sein musste. „Ich finde das wirklich faszinierend“ bemerkte Mokuba voller Respekt für diese großen und so stolz wirkenden Wesen. „Bei den meisten Raubtieren werden die Alten, Kranken und Schwachen doch eher ausgestoßen.“ „Bei Drachen ist jedes Familienmitglied wichtig und nützlich“ antwortete Gustav, der selbst voller Liebe für die großen Weißen war. „Auch wenn Rangun nicht mehr jagt oder die Sippe beschützen oder Junge zeugen kann, so wird er trotzdem von jedem mit Respekt behandelt. Einst profitierten sie von seiner Stärke und nun von seiner Erfahrung. Wenn beispielsweise ein Sturm aufzieht, steht er auf und sucht einen geschützten Platz. Dann folgen ihm alle, weil sie auf seine Weisheit vertrauen. Auch wenn er ein Beutetier nicht anrührt, frisst es dann auch kein anderer. Wenn er es ablehnt, ist damit irgendetwas nicht in Ordnung. Er besitzt von allen Mitgliedern den größten Wissensschatz.“ „Aber die Existenz eines Alten besteht nicht nur in seiner Weisheit“ ergänzte Torge und richtete seinen krummen Rücken auf, um gemütlicher zu sitzen. „Drachen bleiben zusammen, weil sie sich lieben. Er gehört zur Familie und wird geliebt. Kein Drache käme je auf die Idee, einen anderen auszustoßen oder verhungern zu lassen, nur weil er alt oder krank ist. Auch wenn Drachen keine Menschen sind, so haben sie doch erkennbare Gefühle. Und wir schieben unsere Alten ja auch nicht ab, nur weil sie lästig werden. Nicht wahr, Opa?“ „Willst du mir irgendwas sagen, Torge?“ lachte Gustav seinen frechen Enkel an. „Ich fühle mich wohl hier“ beschloss Yami, streckte seine Beine aus und lehnte sich gegen Sethos, der bestimmt extra als Stütze für ihn dasaß. „Aber jetzt sag mal, Ele, warum wollte Amun nicht mit?“ „Erstens mal, nenn mich nicht Ele. Wie oft soll ich dir das noch sagen?“ grummelte er, auch wenn er wusste, dass das wohl keinen Effekt haben würde. Irgendwann würde er es vielleicht sogar aufgeben, ihn zurechtzuweisen. „Grund ist einfach der, dass Amun-Re sich mit Drachen nicht versteht. Nein, das ist falsch ausgedrückt. Sie verstehen sich mit ihm nicht.“ „Das verstehe ich nicht“ wand Tato skeptisch ein. „Von uns hat doch auch niemand Ablehnungen gegen ihn. Oder reizt er Drachen absichtlich?“ „Nein, er braucht gar nichts weiter zu tun“ erklärte er. „Der Seth hat alle Drachen unter seinen Besitz gestellt. Es ist ein unausgesprochener Befehl für sie, ihn zu verachten. Jeder Drache wird mit Ablehnung gegen ihn geboren und wenn er ihnen schutzlos gegenüberstünde, wäre er leichte Beute.“ „Aber du ... entschuldige, wenn ich das so sage“ bat Yami und legte seine Hand besänftigend auf seinen Arm. „Du bist doch auch mehr Drache als alles andere. Warum hasst du ihn dann nicht?“ „Der Fluch der Drachen ist meine Schuld“ gestand er und auch wenn seine Stimme hart klang, sah man die unausgesprochene Traurigkeit darüber in seinen Augen blitzen. „Als ich damals bei ihm blieb, war mein Vater so erbost darüber, dass er alle Drachen mit dem Hass gegen seinen Bruder belegte. Meine Brüder - und meine Schwester“ ergänzte er mit einem sanften Blick auf Sareth, „sie hassen ihn nur deshalb nicht, weil ihre Seele menschlich ist. Würde ich aber ein zweites Mal geschaffen werden ... es wäre alles anders verlaufen.“ „Es ist aber nicht deine Schuld und du kannst nichts daran ändern. Du kannst niemanden dafür verantwortlich machen, was oder wen er liebt“ sprach Tato, auch wenn seine Stimme rüder klang als angemessen. Vielleicht, weil er selbst Probleme dieser Art in sich verspürte. „Auch wenn Rah nicht für dich gedacht war, liebt ihr euch trotzdem. Niemand hat das Recht, zu beurteilen, wer einander lieben darf und wer nicht. Nicht mal die Götter dürfen das.“ Sethos blickte ihn an, blickte ihn sehr intensiv an und forschte in seinen Augen. Er selbst empfand seine Liebe zu dem Bruder seines Schöpfers als Sünde, als Schuld dafür, dass viel Hass die Welt überzog. Doch darüber hinweg, tat es selbst ihm gut, von seinen schweren Gefühlen wenigstens ein kleines Stück freigesprochen zu bekommen. „Ja, du hast Recht“ lächelte und wand seinen Kopf aufs Meer. „Jeder sollte den Menschen lieben, den er nun mal liebt. Nicht wahr? Enaseus?“ „Papa!“ Aber aus einem ganz anderen Grund griff Sareth nach seinem Arm und wies in genau die Richtung, in welche Sethos sich eben abgewandt hatte. „Sieh mal!“ Am Horizont war eine Gruppe dunkler Punkt zu erkennen, welche sich vergrößerten und in Umrisse verwandelten. Auch trug der Wind ein helldunkles Geräusch ans Land, welches dem ähnelte, wenn man nasse Laken ausschlug. Es mischte sich mit der leisen Brandung und spätestens als die drei jugendlichen Drachen von ihrem knorrigen Baum abließen, sich mit viel Getose und Geknurre in die Luft erhoben und den größer werdenden Silhouetten näherten, ahnte man, was da auf diesen klippenhohen Punkt zuhielt. „WOW!“ staunte Mokuba mit aufgerissenen Augen. „Sind das noch mehr Drachen?“ „Ja, die Gruppe zählt insgesamt 57 Tiere“ erklärte Gustav der staunenden und bewundernden Menge. „Es gehen aber nicht alle auf die Jagd. Da sie schon vor dem Abend zurückkehren, denke ich, dass sie gute Beute gemacht haben.“ „Sie gehen jagen?“ fragte Sari geschockt. „Was denn? Ich meine ... welche Tiere? Für so viele Drachen ...“ Wie sollten die denn alle satt werden? Es war schwer vorstellbar, dass es Tiere gab, welche den Hunger solcher Riesen stillen konnten. Selbst, wenn sie sich teilweise pflanzlich ernähren sollten, schluckte so ein Drache einen großen Elch doch in zwei Bissen herunter. „Sie fressen, was sie bekommen“ beruhigte Gustav. „Im Herbst fressen sie hauptsächlich die Früchte von Bäumen und Sträuchern oder sie graben Wurzeln aus. Im Winter fressen sie meist wenig und wenn, dann in der Not Baumrinden. Bei kleinem Hunger stöbern sie Bären beim Winterschlaf auf. Auch finden sie dann noch manchmal Wild. Im Frühjahr und im Sommer fressen sie eher Fisch oder Fleisch jeder Art. Besonders Fisch gibt es in den Fjorden mehr als man denkt. Sie sind zwar wählerisch, aber nur wenn sie können. Ansonsten nehmen sie alles, was nicht verdorben oder tot ist.“ „Und heute haben sie das gejagt, was besonders ertragreich ist“ zeigte Torge in die Luft und nur zwei Sekunden später entstand ein tosender Wind, als der erste Weiße zur Landung ansetzte. Nach ihm kamen alle anderen und zu dem angefachten Wind, der einem in den Augen stach, hob sich ein Grummeln und Knurren empor, welches den Erdboden zittern ließ. Die bis eben dösenden Gestalten erhoben sich, streckten ihre wuchtigen Körper und begrüßten die Heimkehrer mit tiefer Stimme. Saß die Besuchergruppe bis eben noch am Rande, so waren sie plötzlich mittendrin, da die Riesen die freie Grasfläche zum Landen nutzten. Mit solch einer Körpermasse grenzte es an ein Wunder, dass sie überhaupt fliegen konnten. Zwar waren ihre Schwingen kräftig, voller Muskeln und ihre Körper in gestreckter Form vielleicht sogar windschnittig, doch trotzdem erstaunte es, dass sich diese Wesen in der Luft Zuhause fühlten, wo sie doch mit solchem Donnern auf den weichen Boden aufschlugen. Doch nicht nur sie selbst landeten, sondern schon Meter über dem Boden ließen sie etwas herabfallen. Überall hörte man es aufprallen und ein traniger, fischiger Geruch breitete sich über die Ebene. „Bleibt einfach ganz ruhig sitzen. Sie sehen euch“ riet Gustav, als es um sie herum zu trubeln und zu knurren begann. Mit schweren Schritten und schnaufendem Atem stiegen riesige Körper über sie hinweg oder streiften dicht an ihnen vorbei. Man kam sich als Mensch so verschwindend klein vor und überall um sie herum bewegte sich muskulöses, magisches Weiß. Wenn einer der Drachen nicht aufmerksam war, würde er vielleicht auf einen der Menschen treten und ihn unter seinem Gewicht zerquetschen. Doch nichts geschah. Nicht einmal ein Rempeln. Hier und dort vielleicht ein kleiner Streif mit dem Flügel oder ein heißer Atem im Haar, aber keine Verletzungen. Die Riesen nahmen Notiz von ihnen, aber ihr Hauptmerk lag auf dem, was sie anschleppten und auf ihren Liebsten. Als sich der Trubel ein wenig verteilte, waren überall Pärchen zu sehen, welche sich inniglich begrüßten. Da wurden Nüstern aneinander gerieben, Flügel ineinander verhakt und zärtliches Grummeln ausgetauscht. Hier und dort wurde jemand freundschaftlich zur Seite gerempelt, aber alles blieb friedlich. Das laute Donnern wurde weniger und wich einem durchgängigen Grummeln, welches die Luft füllte und der Gruppe ein wohliges Gefühl der inneren Ordnung versicherte. In dieses Geräusch mischte sich recht schnell das erste Schmatzen und die große Gruppe teilte sich in kleinere Grüppchen auf. Zu mehreren scharten sie sich in verschiedenen Ecken zusammen und rissen riesige Stücke entzwei, welche auf den ersten Blick weißlich rosa mit schwarzen Anteilen erschienen. Einige der Heimgekehrten hatten blutverschmierte Krallen und triefende Mäuler. Sie waren eben keine Kuscheltiere. „Das stinkt.“ Mokuba hielt sich die Nase zu und die anderen rümpften sie zumindest. Direkt vor ihnen war der große Kheru liegen geblieben und teilte sich mit einem etwas zierlicheren Drachen einen riesigen Berg Fleisch, der so aussah, als wäre er bis vor wenigen Momenten ein lebendiges Tier gewesen. „Was ist das?“ „Rate“ nickte Torge, als Kheru seine Krallen ins Fleisch schlug und sich mit seinen scharfen Zähnen auf bestialische Weise ein mehrere Kilo schweres Stück herausriss. Auf der einen Seite war das Fleisch gewölbt und blutig rosa. Ein kleiner Teil jedoch war glatt wie Haut, noch feucht und zeigte eine schwarz-weiß gescheckte Färbung. Im ersten Augenblick schwer zu erkennen, was das mal gewesen war. Ein riesiges Tier mit schwarz-weißer Haut und einem stechend fischigen Geruch. „Oh mein Gott“ atmete Mokuba dann geschockt als ihm die erste Vermutung auf die Zunge sprang. „Sind das Wale?“ „Schwertwale oder auch Killerwale genannt. Ja“ bestätigte Gustav den doch jetzt sehr überraschten Gästen. „Zu dieser Jahreszeit ziehen hier recht viele Walschulen durch. Für die Weißen Drachen ist dies die futterreichste Zeit im Jahr.“ „Du willst mir nicht allen ernstes erzählen, die fangen Wale!“ blickte Mokuba ihn geschockt an. „Die sind doch vom Aussterben bedroht“ meinte auch Phoenix mit besorgten Augen und sah Tato an, als könne der daran irgendwas ändern. Als müsse er jetzt sofort die armen Tiere wieder zum Leben erwecken. „Du bist ja süß. Ich glaube, das ist denen ziemlich egal.“ Er strich dem verplanten Jungen über den Kopf und musste sich krampfhaft ein höhnisches Schmunzeln verkneifen. Phoenix machte sich doch nicht ernsthaft Gedanken darüber, dass die Wale vom Aussterben bedroht waren. War ja richtig niedlich. Fragte sich eher, wer hier mehr vorm Aussterben stand. „Die jagen Wale ...“ Aber auch Sareth konnte sich kaum wieder einkriegen. Auch sie beobachtete, wie die zerfleischten Wale in riesigen Stücken heruntergeschlungen wurden. Den Drachen schien es zu munden ... „Natürlich, was hast du denn erwartet?“ versuchte Narla zu erklären. „Es gibt bestimmt nicht viele Tiere, die eine so große Horde mit Fleisch versorgen können.“ „Ich finde es viel eher beeindruckend, wie sie diese schweren Tiere aus dem Meer heben können“ meinte Yugi. „Die müssen ja unglaubliche Kraft haben. Ich meine, wie schwer ist so ein Schwertwal? Doch bestimmt ein paar Tonnen.“ „Männliche Orcas können bis zu acht Meter lang und bis zu neun Tonnen schwer werden“ das weckte das kleine Lexikon in Setos Kopf. „Weibliche Orcas sind mit bis zu sechs Meter und bis zu fünfeinhalb Tonnen deutlich kleiner. Mit diesen Ausmaßen ist der Orca die größte Art der Delfine und einer der größten Zahnwale überhaupt. Der Name Schwertwal kommt von der mächtigen Rückenflosse, der Finne, die beim Männchen bis zu 1,80m lang wird.“ „Danke, Liebling.“ Und Yugi bedankte sich, bevor er noch mehr Wissen präsentiert bekam. Wenn man ihn nicht rechtzeitig stoppte, konnte er stundenlang Studien, Statistiken und alles mögliche von sich lassen. Am Anfang hielt er das ja gern noch aus, aber mit der Zeit lernte er den Moment zu erkennen, in welchem er noch unterbrechen konnte. „Wir haben es mal beobachten können und es ist wirklich ein Schauspiel“ erzählte Torge voller Begeisterung von einem anderen Thema, welches sicher nicht in den Büchern dieser Welt geschrieben stand. „Wenn die Wale zum Luftholen heraufkommen, stürzen sich die Drachen auf sie herab. Sie verfallen im Kampf in eine Art Blutrausch, wobei sie so viele Wale töten wie möglich. Es ist ein unglaublicher Anblick, zumal Schwertwale ebenfalls Raubtiere sind und sich zur Wehr setzen. Doch ein Drache spürt in seiner Trance kaum Schmerz, was ihn zu einer gefährlichen Tötungsmaschine macht. Weil sie aber die toten Tiere nicht im Stück tragen können, lassen sie sich nach ihrem Rausch im Wasser treiben und fressen erst selbst. Dabei zerteilen sie die Beute automatisch und können sie dann in kleineren Stücken an Land fliegen und den Rest teilen.“ „Den größten Wal hat einst Rangun mit seinen Jägern erlegt“ erzählte Gustav in wehmütiger Erinnerung. „Damals war ich selbst noch ein Kind und bin mit meinem Vater aufs Meer gefahren. Dort haben wir beobachtet, wie sie einen Blauwal aufgespürt und getötet haben. Ranguns Kiefer waren so gefährlich, dass er dem Wal bei lebendigem Leibe ganze Fleischstücke herausreißen konnte. Ich war anfangs geschockt, aber auch beeindruckt von solch einer Kraft.“ „Blauwale erreichen eine Größe zwischen 26 und 30 Metern, wobei die Weibchen meist größer sind. Der größte, je gemessene Blauwal war 33,58 Metern groß. Gegen Ende der Nahrungssaison kann ein Blauwal ein Gewicht von bis zu 200 Tonnen erreichen.“ „Großartig!“ strahlte Seto als Sareth einen kleinen Schwall Wissen von sich ließ, den er nicht widerlegen konnte. „Ich kann das auch“ erwiderte sie leise und schaute schüchtern zu Boden. „Aber ... was mich wundert ...“ „Was denn?“ schaute Seto sie sanft an. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ „Doch ... aber ... der Blauwal kommt in allen Weltmeeren vor, wobei er in einer Jahresrhythmik zwischen hohen und niedrigen Breiten wandert. Den Winter verbringt er in gemäßigten und subtropischen Meeren, in denen seine Fortpflanzungsgebiete liegen, den Sommer in polaren Gewässern, in denen er reichlich Nahrung findet. Als Hochseebewohner kommt der Blauwal nur sehr selten in die Küstenbereiche. Er folgt allerdings in den polaren Gewässern dem zurückweichenden Eis, an dessen Rändern die größten Mengen von Krillkrebsen leben.“ „Du hast Recht“ fiel da auch Seto auf. „Blauwale findet man nicht in Küstennähe.“ „Das kann ich erklären“ löste Gustav auf. „Es kommt vor, dass Drachen für die Waljagd sehr weite Strecken zurücklegen und manchmal bis in den mittleren Atlantik fliegen. Sie sind sehr ausdauernd auf ihren Beutezügen. Es ist kein Problem für sie tausende von Kilometern zurückzulegen. Wie Zugvögel.“ „Aber dass sie Blauwale jagen, ist selten. Seit Rangun hat das keiner mehr gemacht“ meinte Torge. „Meist suchen sie sich kleinere Beute, wie eben Schwertwale. Hier in Norwegen finden sie auch ausreichend Mondfische, die bis zu drei Meter groß sind oder sogar Riesenhaie mit bis zu 14 Metern. Sie sind ja aber nicht nur auf Fisch festgelegt. Sie fressen auch Elche, Rehe, Bären oder andere große Landsäuger. Die Jungen lernen an den Flüssen, wie man kleinere Fische jagt. Es gibt auch Jagdspezialisten. Die einen tauchen manchmal bis auf den Meeresgrund hinab, um ihre Beute zu jagen. Andere gehen eher auf die Pirsch und jagen Landwild. Wieder andere haben so feine Nasen, dass sie Knollen unter der Erde aufspüren. Jungtiere trainieren ihre Flugtüchtigkeit, indem sie Vögel aus der Luft fangen. Jeder tut, was ihm liegt.“ „Dann sollten wir besser auf unsere Falken aufpassen“ meinte Mokuba. „Wenn die Vögel aus der Luft fangen ... IIEEHH!“ Da schmiss ihm doch tatsächlich jemand ein zerfleddertes Stück Walfleisch vor die Füße. Wie höflich. Direkt neben Mokuba tauchte ein wuchtiger Kopf auf und heißer Atem blies ihm durchs Haar, bevor ein ohrenzitterndes Brummeln sein Trommelfell ereilte. Langsam drehte er seinen Kopf herum und sah sich mit einer riesigen Schnauze konfrontiert, welche noch leicht von Walblut leckte. „Hi“ lächelte er etwas hilflos vor diesem Fleischfresser. „Wie geht’s?“ Wieder wurde er mit einem leisen Brummen bedacht und als der Drache sich ein kleines Stück von ihm entfernte, blickten ihn zwei tiefblaue Augen erwartungsvoll an. „Ähm ... hallo ...“ versuchte er wieder mutig zu lächeln. Der Drache bewegte sich nicht weiter und blickte ihn nur geduldig an. Sah auch nicht so aus als würde er in absehbarer Zeit noch mal wegblicken wollen. „Was ... was will er denn?“ fragte er die anderen ganz ratlos vor dieser Konfrontation der etwas anderen Art. „Ich glaube, da hat jemand ein Auge auf dich geworfen“ scherzte Torge mit breitem Grinsen. „Das ist Nashia. Du solltest vorsichtig mit ihr sein. Sie wird ebenso schnell anhänglich wie zickig.“ „Und ... das da?“ zeigte er leicht angewidert auf das stinkende Stück Fleisch. „Grrrrrmmmmmm“ kam es lauter von dem großen Weibchen als er ihr Geschenk in Augenschein nahm. Ihrer Ansicht nach war er wohl auf der goldrichtigen Spur. „Ein Freundschaftsgeschenk. Sie teilt mit dir“ grinste Narla. „Ich an deiner Stelle würde das nicht ausschlagen. Leichter kannst du dir gar keine Freunde machen.“ „Sie will mit dir gemeinsam fressen. Das ist eine sehr liebevolle Geste“ löste Gustav als die Große ganz vorsichtig mit ihren spitzen Zähnen das Fleisch nahm und es Mokuba fast auf den Schoß legte, wenn der nicht zurückhaltend einen Meter weggerutscht wäre. Wie sollte man auch auf so ungewohnte Annäherungen reagieren? „Tut mir leid. Ich mag gar kein Walfleisch.“ Aber als er ihr das so offen sagte, spitzte sie nur die Ohren und sah ihn nun ihrerseits ratlos an. Anscheinend sprachen sie nicht dieselbe Sprache. Aber sie antwortete mit einem kurzen Brummen, senkte ihren Kopf und stupste das tote Fleisch in seine Richtung. Wenn das jetzt nicht eindeutiger war, konnte sie es nicht anders ausdrücken. „Ähm ... danke.“ Er rutschte noch ein Stück weg, aber das schien nicht zu ihrem Plan zu gehören. Sie hob den Kopf nicht, aber dafür ihren Blick, der ihm die klare Message übermittelte: ‚NIMM ES!!!’ „Ähm ... Seto?“ Letzte Rettung großer Bruder. „Sie meint es doch nur gut“ meinte der. „Nimm es lieber, bevor du sie beleidigst.“ „Du willst nicht ernsthaft, dass ich rohes Walfleisch esse.“ „Kochen kann sie es dir ja wohl schlecht.“ „Es geht nicht darum, dass es roh ist, sondern darum, dass es Walfleisch ist!“ „Jetzt hab dich nicht so, Onkel Moki“ brummte Tato, rutschte zu ihm und griff beherzt seine Hand. „So schlimm ist es doch wohl nicht. Tu wenigstens als würdest du es annehmen.“ Mit ein wenig Zwang im Griff führte er Mokubas Hand an das beißend riechende Stück und drückte seine Handfläche so kräftig darauf, dass das Fleisch ein paar Zentimeter über den sandigen Boden rutschte. „Jetzt greif schon rein.“ Das war ja nun gar nichts für jemanden wie Mokuba. „Tato ... das ist eklig ...“ Aber anscheinend genau das richtige. Denn seiner neuen, großen Freundin schien das sehr zu gefallen. Nur knapp neben seiner Hand biss sie genüsslich hinein und nahm es doch nicht ganz. Stattdessen sah sie ihn mit ihrem unendlichen Blau an, wartete, dass noch etwas geschah. „Jetzt zieh einfach“ meinte Tato und spießte ihn von der anderen Seite mit ernstem Blick auf. „Scheiße, dafür seid ihr mir was schuldig.“ Ihm war zum Kotzen zumute, aber er tat es einfach. Er krallte sich in das rohe Stück und zog es zu sich hinüber. Durch ihre große Kraft nahm sie kaum wahr, dass er das Fleisch nicht wirklich nahm. Sie zog nur daran, spürte den Gegendruck und ging wohl davon aus, dass er es mit ihr zusammen auseinander riss, wie es hier Gang und Gäbe war. So verschwand das Walfleisch mit einem Happen in ihrem Schlund und ließ sie zufrieden grummeln. Ja, das war doch schön gewesen. Sie legte ihren Kopf dicht neben ihn, schloss die Augen und brummelte ausgeglichen vor sich hin. Freundschaft war geschlossen, alles prima. „Da hast du dir jetzt einen Freund gemacht, Mokuba“ lächelte Torge ihn stolz an. „Sie ist die große Schwester vom Alphaweibchen. Nicht schlecht, wenn man da einen Stein im Brett hat.“ „Na ja ...“ Vorsichtig legte er seine Hand auf die längliche Schnauze und erntete ein tief zufriedenes Schnauben. Sie roch auch, dass seine Hand noch leicht tranig war und schob vorsichtig ihre Zungenspitze hervor, um ihn mit warmen Bewegungen sauber zu lecken. „Eigentlich ist sie ja ganz okay“ lächelte er über diese wohlwollende Geste. Drachen waren letztlich auch nur größere Katzen. „Woher hast du gewusst, was sie tun würde?“ blickte er Tato dankend an. Nur Dank ihm kam er nicht in den Zwang, an einer Walfleischverkostung teilzunehmen oder eine stolze Dame zu beleidigen. „Intuition“ meinte der schlicht, aber sein Blick fiel zur Seite. Dem folgend konnte man zwischen einigen massigen Körpern vorbeisehen und bis an die Klippe, wo noch immer die trauernde und wartende Tamina saß und sich nicht am allgemeinen Mittagessen beteiligte. Viel eher saß ein kleinerer Drache neben ihr und versuchte, ihr Mal um Mal ein Stück anzutragen, welches sie aber nur mit weggedrehtem Kopf quittierte. Sie wollte nichts von dem guten Fang. „Genau, was wir gesagt haben“ seufzte Torge. „Sie trauert und frisst kaum. Ihre Mutter hat es schwer, sie zu ernähren. Jeden Bissen muss sie ihr reinzwängen.“ „Armer Drache“ flüsterte Sareth betroffen. Sie konnte die Trauer verstehen, welches das Herz dieses Drachenweibchens zuschnürte. Sie selbst hatte zwar kaum Erinnerungen an ihre Mutter, aber sie sah ihren Vater tagtäglich mit derselben Trauer kämpfen. Mit der Trauer den liebsten Menschen verloren zu haben und mit ihm die Lust am Leben. Das ganze weitere Leben war nur noch ein graues Ausharren und Erinnern. Es musste unendlich wehtun. Doch auch Tato schien sich ihr verbunden zu fühlen. Jedenfalls konnte er diesen Anblick nicht länger ertragen. Vielleicht war es auch der Anblick der verzweifelten Drachenmutter, die versuchte, ihre Tochter zum Fressen zu ermutigen. In jedem Falle musste er aufstehen und zu ihr gehen. Er stützte sich auf seinen Stock und hievte sich hinauf. Danach ging er schweigend und unbeeindruckt zwischen den weißen Riesen hindurch bis er bei dem bekümmerten Weibchen ankam und sich zu ihrer Verwunderung direkt neben sie setzte. „Was tut er denn?“ fürchtete Sareth. „Hab ich schon wieder was falsches gesagt?“ „Nein, glaube ich nicht. Mach dir keine Sorgen“ versicherte Seto und streichelte vorsichtig ihren Arm, damit sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtete. „Lass ihn einfach. Vielleicht müssen die beiden sich mal trösten.“ „Du meinst so eine Art Selbsthilfegruppe für verwitwete Drachen“ analysierte Yami. „Ich würde mir so sehr wünschen, dass er wieder mal glücklich ist“ bat sie leise und lehnte sich an Seto, der dafür extra ein Stück zu ihr kam. „Das wünschen wir uns alle“ ergänzte Phoenix und senkte traurig den Blick. Einen glücklichen Tato zu sehen, war wirklich ein Wunsch, den sie alle beide hegten. Aber ob der jemals in Erfüllung gehen würde? Zu hören, dass Weiße Drachen sich nur für einen einzigen Partner im Leben entschieden ... eine Erkenntnis, die nicht gerade ermutigend daherkam. „Jetzt lasst doch nicht den Kopf hängen“ versuchte Yami sie aufzulockern und mit einem sonnigen Lächeln aufzuheitern. „Es ist doch so schön hier, die Sonne scheint, rundherum lauter neue Freunde. Es ist ein schöner Tag. Nicht wahr, Kheru?“ Der hatte sich mittlerweile wieder zur Bewachung ganz neben ihn gelegt, nachdem er sich den Bauch mit Fleisch vollgeschlagen hatte. Hier und dort knabberte noch der ein oder andere an seinem Stückchen und die Jungen warfen es sich gegenseitig in der Luft hin und her, um ihre Schnelligkeit zu testen. Aber im Allgemeinen kehrte nun rege Beziehungspflege ein, wo man sich gegenseitig die Nüstern und Krallen ableckte, was mit der schlanken Schnauze fast ein wenig aussah, als würden sie gegenseitige Küsschen austauschen. „Na, bist du satt?“ Narla war so mutig und kraulte ihn einfach zwischen den Ohren. Im ersten Moment schreckte sein Blick sehr skeptisch zu ihr auf, aber dann hielt schnell der Genuss Einzug und seine blauen Augen fielen entspannt zu, während ein schnurrendes Grummeln aus seiner Kehle drang. Er konnte sie zwar nicht riechen, aber kraulen konnte sie gut. „Anscheinend sind alle Drachen kleine Genießer“ freute sie sich und hörte dann auch nicht auf damit. Wann kam man schon mal dazu, einem waschechten Drachen das Köpfchen zu tätscheln? „Ja, es gibt hier so viele tolle Charaktere“ lächelte Yugi und tippte Seto an, damit er mal seinem Fingerzeig folgte. „Liebling, schau mal.“ Er wies auf einen Drachen neben sich, der ganz leise grummelte und den Kopf unter seinen Flügel gesteckt hatte. „Was ist denn da?“ fragte dafür Nini und krabbelte vorsichtig näher, um selbst mal zu sehen, was es da unter dem Flügel wohl geben könnte. „Sei ein bisschen vorsichtig“ bat Papa Yugi und hielt sie noch am Saum fest. „Nicht so bestürmen. Das mag sie sicher nicht. Ist doch eine Sie, oder?“ „Ganz richtig erkannt, Pharao“ nickte Gustav mit gütigem Lächeln. „Das ist Ahmesa. Derzeit das wohl glücklichste Weibchen der Herde.“ „Warum ist sie denn so glücklich?“ schaute Nini ihn an. „Hat das Essen lecker geschmeckt?“ „Das sicher auch“ lächelte er und blickte den Drachen sanft an. „Ahmesa. Ahmesa, schau mal.“ Er schnalzte leise mit der Zunge und holte damit ihren Kopf unter dem Flüge hervor. Auch sie hatte so strahlend blaue Augen, dass man das Gefühl hatte, der Himmel hätte Scherben von sich selbst auf der Erde verteilt. Und mit diesem sanften, schimmernden Blick sah sie ihn fragend an, was er denn wohl von ihr wollen könnte. „Zeig mal, was du da versteckst. Zeig mal.“ Er machte eine Bewegung mit dem Arm, um sie zu bitten, ihren Flügel anzuheben. Scheinbar verstand sie das ganz gut und folgte seiner Bitte. Sie lüpfte ihren schweren Flügel und senkte ihren Kopf ein wenig. Mit einem sanften Brummeln zeigte sie, wie versöhnlich sie war und zog ihre Schwinge sogar noch ein Stück zurück. Und was darunter hervorkam, wollte man kaum glauben. Ein ganz winzig kleiner Drache steckte seinen Kopf hervor. Riesige, blaue Augen strahlten heraus, der kleinen Schnauze fehlten noch die Zähne, als es ein helles Quietschen von sich ließ und die fremden Personen begrüßte. „Ein Baby!“ staunte Seto, dem dabei die Augen übergingen. Das war doch tatsächlich ein Drachenbaby. Noch so winzig, dass es unter Mamas Flügel versteckt und gewärmt wurde. Es war nicht größer als ein Menschenkind, aber schon voll als echter Drache erkennbar. Und viel heller als seine Mama. So strahlend weiß wie frisch gebleichte Laken. „Wow, ein Drachenbaby“ staunte auch Yami begeistert. „Wie heißt es?“ „Es hat noch keinen Namen“ antwortete Gustav stolz. „Wir wissen nur, dass es ein kleiner Junge ist.“ „Als du damals bei unserer Ankunft sagtest, deine Familie sei zu einer Geburt aufgebrochen ...“ erinnerte er sich schleierhaft. „Da waren alle hier“ nickte er voller Freude. „Niemand wollte es versäumen, bei der Geburt dabei zu sein. Vor allem wollten natürlich unsere Heiler hier sein, falls sie Probleme bekommt. Immerhin ist das ihr erstes Junges. Die Geburt hat sich lange hingezogen, aber letztlich ist alles gut gegangen und die Dienste von uns Menschen waren gar nicht erforderlich. Ahmesa hat ihren kleinen Sohn gleich der Gruppe gezeigt und sich dann mit ihrem Männchen zurückgezogen. Alles ganz ohne Probleme. Seit etwa zwei Wochen ist sie jetzt wieder inmitten der Gruppe und zeigt ihrem Kleinen alles, bevor sie ihn allein losstapfen lässt.“ „Drachen sind sehr liebevolle Eltern“ erklärte sein Enkel weiter. „Wenn sie geboren werden, sind die Babys voll von der Mutter abhängig. Sie haben keine Zähne und können weder fliegen noch laufen noch ihre Körpertemperatur regeln. Deshalb müssen sie wie ein Ei gewärmt werden bis sie ausreichend an Masse gewonnen haben. Erst im Alter von etwa drei Jahren wachsen ihnen die ersten Zähne und die Mutter kann mit dem Säugen aufhören und sie an Fleisch und Früchte gewöhnen.“ „Genauso hilflos wie Menschenbabys ...“ Jetzt wurde auch Seto mutig und näherte sich der frisch gebackenen Mutter. Sie sah ihn sehr genau an als er ihre fünf Meter Sicherheitsabstand zur Gruppe überwand und stellte warnend ihre ausgestreckten Krallen vor den Kleinen, um zu zeigen, dass sie ihn ganz sicher verteidigen würde. Aber sie schloss ihre Flügelhöhle nicht sofort und knurrte ihn auch nicht an. Sie ließ den Fremden herankommen und achtete nur darauf, dass er auf keine dummen Gedanken kam. „Hallo ... Ahmesa“ grüßte Seto sie flüsternd und streichelte sie zwischen den Nüstern als sie zur Begrüßung ihren Kopf zu ihm senkte. Auch legte er seine Hand auf ihre Krallen, um sie zu beruhigen. „Zeigst du mir deinen Kleinen?“ Mit einem Schnauben zog sie ihren Kopf zurück und lüftete ihren schweren Flügel. Somit hielt sie ihr Baby nicht länger an sich gedrückt und sofort kroch es neugierig nach vorn, um den Neuen zu beschnuppern. Mit seinen großen Augen tastete es diesen merkwürdig aussehenden Drachen ab und zeigte keinerlei Scheu. Anscheinend waren alle kleinen Drachen notorisch neugierig. Seto streckte ihm seine Hand entgegen und beugte sich über die mütterliche Kralle, um den jungen Kopf zu streicheln, der nicht größer war als sein Handteller. Sofort wurde der Fremde eingängig beschnuppert und er kroch immer weiter nach vorn bis er selbst über Mamas Kralle lag und endlich zwei von Setos Fingern zum Lutschten bekam. Die großen Augen gingen einen Spalt zu und sichtlich genoss das Baby seinen neuen Schnuller. „Gut gemacht“ lobte Seto und blickte mit seinen kühlen Augen zu der stolzen Mutter empor. „Du hast einen wunderschönen Sohn. Er wird sicher mal ein toller Kerl.“ Als hätte sie seine Worte verstanden, so grummelte sie kurz und senkte ihren Kopf, um ihren warmen Atem durch sein Haar zu blasen und ihre Schnauze an seiner Schulter zu reiben. Da hatten sich wohl noch zwei Seelenverwandte gefunden. „Unglaublich, dass so kleine Drachen mal so groß werden“ lächelte Yugi. „Ich meine, wie schwer kann der sein? Drei Kilo?“ „Bei der Geburt wiegen sie zwischen drei und fünf Kilo. Männchen sind meistens etwas größer und schwerer“ erzählte Gustav. „Sie sind zwar jetzt nicht größer als Menschenbabys, aber sie wachsen stetig bis sie nach etwa 100 Jahren ausgewachsen sind. Dann wiegen kräftige Männchen bis ungefähr 10 Tonnen. Aber wirklich gewogen haben wir sie natürlich nie. Wir können nur schätzen.“ „10 Tonnen und können immer noch fliegen“ wiederholte Yami fasziniert. „Nur wenn sie zu schwer werden, klappt das auch nicht mehr“ lachte Torge. „Seht euch doch unseren Suty an. Der wiegt bestimmt mehr als 10 Tonnen und geflogen ist er dieses Jahr erst ein Mal. Der macht sich lieber am Boden nützlich. Da kommt übrigens der Rest der Truppe“ zeigte er dann aufs Meer, wo schnell das ledrige Flügelschlagen lauter wurde und man vier weitere Drachen erkennen konnte, die mit schwer beladenen Klauen heimkehrten. Das mussten ziemlich kräftige Drachen sein, denn sie trugen riesige Brocken heran, welche sie aber auch nur mit viel Mühe bis an Land schafften. Und ihre Schwingen schienen gigantisch groß. Was musste das für eine Spannweite sein? Vom einen Ende bis zum anderen vielleicht 40 oder 50 Meter? Im Gegensatz zu ihren Flügeln waren ihre kräftigen Körper fast gering. „Wow, das sind bestimmt die Stärksten hier“ meinte Sareth als sie sich die Hände vors Gesicht halten musste, da die vier bei ihrer versucht vorsichtigen Landung enorm viel Sand und Wind aufwirbelten. Mit einem feuchten Aufprall ließen sie ihre Beute aus Metern Höhe zu Boden fallen und setzten dann selbst mit dumpfen Aufschlägen auf dem weichen Grasuntergrund auf. „Nein, es sind die mit den größten Flügeln“ versuchte Torge über den lauten Wind hindurch zu erklären. „Ein Drache muss nicht stark sein, um schwere Beute zu transportieren. Er muss hauptsächlich große Flügel haben, um den Aufwind nutzen zu können. Die körperlich stärksten sind die Jäger und die sind schon zurück. Eraseus, vielleicht ist es besser, wenn du jetzt ...“ Und zurück war jetzt auch ein Papa, der so einiges nicht mitbekommen hatte. Kaum war das schlanke Männchen mit den riesigen Schwingen gelandet, stampfte es heran und ließ einen Schrei los, der die ganze Sippe aufscheuchte. Er schlug Alarm und überall erhoben sich Drachen und stimmten in seinen spitzen Schrei mit ein, als sie ihre Flügel ausstreckten und mit ihrem folgenden dunklen Donnern die Erde erzitternd ließen. Wenn einer Gefahr meldete, war sofort helle Aufruhr. Er jedoch flog fast über den Boden und schrie gefährlich, als er Seto bei dem Baby sitzen sah. Da saß ein Fremder bei seinem Jungen!!! Mit gefletschten Zähnen rauschte er heran, schrie seine schrille Stimme heraus und noch bevor Seto von dem Baby wegrutschten konnte, sah er vor sich das schärfste Gebiss der Welt. Zwar erhob auch das sanfte Weibchen ein Grummeln, jedoch schlang sie eher den Flügel um ihr Junges. Den Nachwuchs zu schützen ging eindeutig vor. Wer wusste schon, was geschehen wäre, wenn nicht Sethos sich dazwischengestellt hätte? Er erhob sich, breitete seine silbernen Schwingen aus und trat mit einem abgrundtiefen Donnern zwischen den besorgten Vater und den überraschten Seto. Was für ein Ton. Unglaublich, dass der so viel kleinere Sethos einen Bass anstimmen konnte, welcher die ganze Herde sofortig zur Ruhe zwang. Selbst hier schaffte er es, sich binnen Sekunden den Respekt zu verschaffen, den er haben wollte. Er war eben noch immer der mächtigste aller Drachen und das wusste er auch. Tatsächlich machte das rasende Männchen auch Halt, aber bleckte wütend seine kräftigen Kiefer. Aus seinen Augen sprachen blutrünstige Drohungen. Er wusste nicht, dass es hier Besuch gab und dann sah er sein erstes Junges in der Nähe eines ihm völlig Fremden, der nicht zur Sippe gehörte. Natürlich ging er da erst mal vom Schlimmsten aus. Aber Seto war ja schon weggerückt und hatte glücklicherweise sofort Sethos auf seiner Seite. Der blickte dem rasenden Vater tief in die Augen und seine erhobenen Schwingen mit ihrem silbernen Glimmern ließen auch die zur Hilfe eilenden anderen langsamer werden und knurrend ihre Köpfe senken. Erst als es bis auf ein durchgängiges, unterschwelliges Grollen still war, entstand Zeit für Verhandlungen. Sethos strahlte eine so unverrückbare Ruhe aus, dass er mit seinem ungebrochenen Blick selbst ein rasendes Männchen ohne Kampf zum Einhalten zwingen konnte. Aus seiner Kehle ließ er ein beruhigendes Grummeln ertönen und senkte seine Flügel wie in Zeitlupe langsam herab. Das hatte auch Wirkung auf den angsterfüllten Papa, der ebenfalls die Wut weichen ließ, die Augen öffnete und die Ohren aufstellte. Eine wirkliche Konfrontation schien keiner von beiden zu wollen. „Alles in Ordnung“ sprach Sethos mit gleichtöniger Stimme und ließ seinen urblauen Blick auf dem sich langsam beruhigenden Vater ruhen. „Wir haben deiner Frau und deinem Sohn nichts getan. Du musst niemanden vor uns beschützen.“ Der eingeschüchterte Drache ließ ein Zischen erklingen und stierte ihn scharf an. Erst nach verstreichenden Sekunden wandte er sich an sein Weibchen, welche ihm schon den Kopf entgegengestreckt hatte und ihn nun mit sanften Knabbereien am Hals gnädig stimmte. Auch sie grummelte ruhig und versöhnlich, um ihm zu zeigen, dass seine Besorgnis unbegründet war. Dann drehte er ihr den Kopf ganz zu und ließ sich die Kiefer lecken. Seine Frau war wirklich zärtlich zu ihm und mit ihrer Fürsprache sah er wohl auch von weiteren Rachegelüsten ab. Unumwunden senkte er seinen Kopf, streckte ihn unter ihren Flügel und zog sein quietschendes Junges heraus. Ganz vorsichtig schubste er es zwischen seine gefährlichen Zähne, hob den Kopf nach hinten, damit der strampelnde und quietschende Nachwuchs sich nichts tat und trug ihn weg. Entschuldigen tat er sich zwar nicht, aber er räumte den Platz. Sein Weibchen hievte sich ebenfalls in die Höhe und trottete ihm nach. So also löste man hier seine Konflikte ... Chapter 39 „Wow, anlegen will ich mich dem ja nicht“ meinte Yami, dem der Schrecken selbst noch ganz tief saß. „Meinst du Sethos oder den Drachen?“ lachte Yugi, während der seine Flügel zusammenlegte und sich langsam herumdrehte. „Bei Sethos weiß ich ja, dass er friedlich ist. Bei den Kollegen da wäre ich mir nicht ganz so sicher“ zeigte er zurück auf den Papa, der sich einen Platz möglichst weit weg von hier suchte. „Aber wenn die Drachen alle vor Sethos zurückweichen, würde ich mir mal Gedanken machen, wen ich da eher nicht reizen sollte“ meinte Mokuba. Gar nicht so dumm gedacht. Bis jetzt hatte Sethos jede Situation gelöst. Er war hier derjenige, der die Drachensprache perfekt beherrschte. Und wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte, war er sicher auch eher der Favorit. „Danke, Sethos“ sagte Seto noch etwas aufgewühlt und blickte zu ihm auf. „Den hab ich nicht kommen sehen ...“ „Du weißt doch wie Drachen ihre Jungen behüten“ lächelte er wissend zu ihm herunter. „Den hättest du auch in die Flucht schlagen können.“ „Ja, nachdem er mir den Arm abgebissen hätte.“ „In dir steckt mehr als das“ war sein Abschlusswort und wandte den Blick in eine andere Richtung. „Trotzdem danke.“ Seto war sich nicht so sicher, ob er das auch geschafft hätte. Er war in Gedanken völlig bei dem kleinen Drachenbaby gewesen und nicht dabei, dass vielleicht der Vater irgendwo lauern könnte. Die Mutter war ja auch so sanft gewesen. „Und wer bist du?“ fragte Sethos mürrisch heraus, als neben ihm ein mittelgroßer Drache auftauchte und seinem Gesicht so nahe kam, dass er den fischigen Atem riechen musste. Ziemlich aufdringlich postierte sich dieses großflügelige Wesen vor ihm und roch ohne Erlaubnis an ihm herab, streifte dabei seine Hände, beschnüffelte seine Beine und seine Füße bis es dann wieder oben ankam und das lange Haar abwitterte. Der Drache erforschte ihn nicht nur mit Blicken, sondern mit allem, was er hatte. Sethos stand dabei still und ließ ihn gütig gewähren, aber als das unscheue Wesen mit einem kräftigen Stupsen mal seine Konsistenz antestete, ging ihm das doch zu weit. „Hey!“ schimpfte er, taumelte einen Schritt zurück und fächerte mit einer leichten Warnung seine Flügel auf. Ein bisschen mehr Abstand wäre doch ganz nett und wer wurde schon gern umgeschubst? Der Drache gab ein freundliches Krächzen von sich und machte seine fächernden Flügel mit einem neckischen Glucksen und schief gelegtem Kopf nach. Der schien eher wenig Respekt vor ihm zu haben. „Du hältst dich wohl für sehr komisch, was?“ knurrte er dunkel zurück. Und der Drache wippte doch tatsächlich mit dem Kopf auf und ab als würde er ihm antworten. Aber wahrscheinlich war das eher dazu, um ihm beruhigend den langen Kopf entgegenzustrecken und erst vor seiner Nase wieder Halt zu machen. Als Sethos sich dann nicht weiter rührte, bekam er seine Nase mit ihrer feuchten Zunge abgeschleckt und wurde in einem hellen Ton angebrummelt. Es war doch nicht böse gemeint. „Du bist ziemlich von dir überzeugt, Mädel“ brummelte er und streichelte ihre zitternden Nüstern, was sie dann sichtlich genoss. „Und wie haben sie dich genannt?“ „Ihr Name ist Djedi“ antwortete Gustav für sie. „Sie ist unser Alphaweibchen. Kherus Chefin sozusagen.“ „Ja, das hab ich schon gemerkt“ erwiderte er und kraulte ihre blasende Schnauze, die sie ihm dafür so gierig entgegenstreckte. „Djedi also. Sag mal, Djedi, hat dir schon mal jemand gesagt, dass eine Anführerin sich ein wenig souveräner und abgeklärter geben sollte und nicht so verspielt? Du bist doch keine 30 mehr.“ Aber das schien ihr wurscht zu sein. Sie war nun mal so wie sie war. „Außerdem bist du reichlich spät dran. Hättest du den wilden Papa da hinten nicht mal aufhalten können? Oder hast du den machen lassen, um unsere Reaktion zu testen?“ Aber eine Antwort bekam er nicht. Viel eher drückte sie seine Hand immer weiter zurück und schmiegte ihren Kopf an seinen Bauch, um sich mit beiden Händen die Ohren kraulen zu lassen, was er dann auch gütig tat. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Anscheinend nicht. „Die gefällt mir“ grinste Yami, der das zu gern sah. Eine Anführerin ohne Befürchtungen, die sich gern kuscheln ließ. Außerdem konnte er sie absolut verstehen. Wer würde sich nicht gern an Sethos heranschmeißen? „Das glaube ich dir aufs Wort“ brummte Sethos, der dem Druck gegen seinen Bauch kaum noch standhalten konnte und bereits einen Schritt zurückging. Wenn Drachenweibchen was wollten, konnten sie sehr aufsässig sein. „Gib’s zu, Ele. Du magst sie doch auch“ scherzte er. „Sie erinnert dich ein bisschen an Amun, nicht wahr?“ „Klappe.“ Thema zuende jetzt. „Und nenn mich nicht so.“ Seine neue Freundin schnaufte vor Freude und knabberte sein leckeres Bein ein bisschen mit ihrem kräftigen Gebiss an. Liebe auf Drachenart eben. Aber das machte einen anderen doch ziemlich eifersüchtig. Der große Kheru fühlte sich anscheinend zurückgesetzt und zischte wütend, bevor er Sethos voll Vorwurf anstierte. Der klaute ihm doch tatsächlich sein Weibchen! „Du kannst sie gern haben“ antwortete der ganz selbstverständlich und breitete seine Arme aus. „Nimm sie mit.“ Aber so leicht war das nicht, denn die Gute schien einen Narren an ihm gefressen zu haben. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Abknabbern von Körperteilen war eine im Drachenreich sehr intime Angelegenheit, die tiefe Zuneigung ausdrückte. Und das sah Kheru gar nicht ein. Wenn er hier nicht erwünscht war, schmollte er eben. Auf diese Weise hob er mit beleidigtem Stolz seinen Kopf und drehte sich so schwungvoll um, dass sein kräftiger Schwanz Sethos die Beine wegzog und zu Boden warf. „EY!“ keifte der ihm hinterher, als er so daniederlag. „Nimm deine Freundin mit!“ Aber daran dachte er gar nicht. Hätte er ein Sektglas in der Hand gehabt, hätte Sethos das voll abbekommen. So waren gekränkte Drachenmännchen eben. Er ließ sich doch von so einem mikrigen Schnösel nicht vorführen. Da legte er sich lieber zurück auf seine Anhöhe und überblickte die Ebene. „Tja“ schaute Sethos die Dame an, die jetzt doch von ihm abließ und dem schmollenden Männchen hinterhersah. „Dem hast du jetzt vor den Kopf gestoßen.“ Sie krächzte laut über die Ebene, um ihn zu rufen. Doch er schenkte ihr nicht mal einen Blick. Stattdessen legte er sich majestätisch auf den höchsten Punkt neben den grauen Riesen, den man jetzt sogar richtig gut erkennen konnte. Seine Augen waren hellblau und seine Haut vergrautes Weiß. Seine Krallen schienen etwas zu lang, was vielleicht daran lag, dass er ziemlich dünn war. Ja, man sah sogar ein wenig seine Rippen durchschimmern. Als Kheru ihm seinen untertänigen Gruß erbrachte, schleckte der Alte ihm über den Kopf, wobei sich zeigte, dass ihm die meisten Zähne fehlten. Er war eben schon ein alter Herr, aber selbst ein mächtiges Männchen wie Kheru duckte sich vor ihm. Allein aus Respekt. Immerhin war der alte Rangun, der Blauwaljäger, einst noch mächtiger gewesen als er selbst. Und deshalb hatte er noch immer ein Recht, den besten Sonnenplatz für sich zu besetzen. Selbst wenn Kheru ihn mittlerweile an Stärke sicher übertraf. Drachen schätzten eine echte Persönlichkeit vor vergänglicher Kraft. Djedi schien ihren Fehler nicht wirklich mitbekommen zu haben und krächzte noch mal zu ihm rüber, aber ohne großen Erfolg. Kheru thronte dort oben und ließ seinen stolzen Blick über die unteren Drachen wandern. Demonstrativ zeigte er, wer hier das höchste Männchen war. Er brauchte so ein untreues Weibchen doch nicht. Sie war doch doof, wenn sie einen anderen besser fand. Dafür aber wandte ihr der alte Rangun seinen Blick zu und tat etwas, was ihn sehr menschlich wirken ließ. Er verdrehte dramatisch seine Augen und schien tief zu seufzen. Anscheinend war das nicht das erste Mal, dass Kheru das Zicken bekam. Daraufhin seufzte auch sie und musste sich wohl aufmachen, um ihn zu besänftigen. Aber zuvor verpasste sie dem kleinen Tato ganz überraschend einen stupsenden Knuff, was den fast aus Yugis Armen fallen ließ. Der Kleine guckte sie mit großen Augen an, als er da so angestupst wurde. Sie gluckste ihn freundlich an und wand sich dann an Torge, um den erwartungsvoll anzuschauen. „Aber natürlich. Wir haben nur auf die Frage gewartet“ seufzte der und zog die schwere Tasche hinter seinem Rücken hervor, die er schon seit Stunden mit sich herumtrug. Auch Gustav zog die seine heraus und schnürte sie auf. Die große Djedi hibbelte schon ganz nervös von einem Bein aufs andere und verfiel in ein rhythmisches Glucksen. Ganz aufgeregt auf das, was man ihr da mitgebracht hatte. Und was kam heraus? Torge hielt ihr die offene Tasche hin, sie durfte ihre Schnauze hineinstecken und zog einen großen, weißen Klumpen heraus, den sie auf den Boden legte und gierig daran zu lecken begann. Ihr Blick wurde ganz verklärt, als sie mit schneller Zunge immer wieder die glatte Oberfläche streifte. „Was ist das?“ fragte Mokuba fasziniert von dieser aufgeregten Reaktion. Die war ja plötzlich wie auf Droge. „Salz“ antwortete er lächelnd. „Drachenweibchen lieben Salz. Das finden sie hier nicht so häufig und deswegen bringen wir ihr immer einen Klumpen mit. Salziges Meerwasser mögen sie nämlich erstaunlicherweise nicht.“ „Und das hier ist Zucker“ erklärte Gustav und hob einen mit Lederbändern umringten, gelblichen Klumpen heraus. „Beziehungsweise Karamell. Das können sie besser abschlecken als Pulverzucker. Kheru liebt alles, was süß ist.“ „Es ist generell immer das Gleiche“ lachte Torge, als er sich die aufgeregte Djedi so betrachtete. „Weibchen lieben es herzhaft und Männchen eher süß. Natürlich gibt es auch mal Ausnahmen, aber damit kann man ihnen eine riesige Freude machen. Vor allem Djedi und Kheru sollte man immer Gastgeschenke mitbringen. Dann ist man das nächste Mal auch wieder willkommen. Drachen sind für so kleine Leckereien schrecklich dankbar.“ „Irgendwie kenne ich das“ schmunzelte Yugi. „Wenn ich Schokolade mache, weiß ich jemanden, der genauso scharf darauf ist.“ „Klappe“ brummte Seto. Keine Parallelen bitte. „Aber gib den anderen was ab“ bat Gustav und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schnauze. „Und wolltest du dich nicht bei Kheru einschmeicheln?“ Da erwachte sie aus ihrem Salzschock und sah ihn voller Erleuchtung an. Stimmte ja, da war noch ein schmollender Mann, der besänftigt werden wollte. „Na los. Troll dich schon“ grummelte Sethos, was sogar Wirkung zeigte. Sie griff vorsichtig mit ihren spitzen Zähnen das mit Lederbändern umwickelte Karamell, griff mit ihren Klauen das Salz und machte sich beladen mit Geschenken davon. Sie wurde von den umsitzenden Drachen neidisch beäugt, aber abgeben tat sie erst mal nichts. Erst die ranghohen Drachen bekamen davon und zum Schluss blieb sicher auch für die rangniedrigen etwas übrig. Aber alles immer schön der Reihe nach. Drachen brauchten Zucht und Ordnung. Das gab ihnen Sicherheit, wenn sie wussten, wann sie dran waren. „Süß“ lächelte Sethos ihr nach. Er konnte es nicht sofort zugeben, aber irgendwie hatte sie was Niedliches an sich. „Papa?“ guckte der kleine Tato ratlos an Yugi hinauf. „Ja, Schatz?“ schaute der zurück. „Hast du dich erschrocken?“ „Nee“ antwortete er leidlich. „Darf is setz wieder reden?“ „Wie? Natürlich darfst du reden.“ „Na, weil du doch gesagt hast“ erklärte Nini, die ihm zusätzlich noch auf den Schoß krabbelte. „Weil du hast gesagt, Tato soll sitzen bleiben und ruhig sein.“ „Ach Gott! Hast du das so ernst genommen?“ Herrje! Seit wann befolgte Tato denn seine Anweisungen? „Du hörst doch sonst nicht auf mich.“ „Im Angesicht solcher Riesen scheint er ja wohl mal wirklich auf dich zu hören.“ meinte Yami und nahm den kleinen Räuber an sich. „Bei Defahr immer auf Papa hörn“ lehrte er, als Yami ihn auf seine Knie setzte. „Saat Schooi immer. Immer auf Papa hörn. Nis auf Mama. Lieber auf Papa.“ „Eigentlich auch richtig so. Erst mal auf Papa hören und dann auf Mama“ grinste Yami ihn an, als er Setos hochrotes Gesicht sah. Wie war das? Man hörte erst auf Yugi? Das galt vielleicht für Seto, aber nicht für Tato! War ja nett zu sehen, wie der Kleine das sah. Danke auch. Joey, das würde ne Retourkutsche geben! „Da ... da ... aber ... Papa?“ guckte er sich umständlich zu Yugi um. „Na, Tatolino? Was möchtest du denn sagen, hm?“ lächelte der ihn lieb an. Im Gegensatz zu Seto fühlte er sich nämlich sehr wohl im Recht. Da hatte Joey ihm doch mal was Nützliches beigebracht. „Da!“ zeigte er sofort auf die drei halbstarken Drachen, die sich jetzt zum Ziel gesetzt hatten, endlich diesen verdammten Baum umzuschmeißen, der unter ihren Attacken immerhin schon fürchterlich knarrte. „Gehn wir da au hin?“ „Warum wundert mich das nicht?“ Tato suchte sich eben mit Vorliebe die lautesten, wildesten Plätze aus. „Aber ich glaube, wir können hier nicht so einfach herumlaufen, Tato. Tut mir leid.“ „Doch, ich denke schon“ lächelte Gustav ihn an. „Wenn Djedi uns begrüßt und nicht vertrieben hat, sind wir willkommen. Die anderen werden ihrem Beispiel folgen. Und wenn ihr Angst bekommt, senkt einfach euren Blick und duckt euch. Mit einer unterwürfigen Geste zeigt ihr, dass ihr euch fürchtet und dann wird man auch von euch ablassen. Selbst die Halbstarken wissen das schon.“ „Quats. Keine Furst“ verneinte Tato großspurig. „Alles super. Is bin au ein Dragge. Grooaar! Is kann au Bäume umsmeissen! Groooooaaaaaaaar!“ „TATO!“ Aber Yugis Ruf kam zu spät. Da riss es schon und der kleine Drache packte mutig seine Flügel aus. Da er ja jetzt nicht mehr ruhig sitzen bleiben musste, ging er eben seinen Gefühlen nach. Und bei so vielen Drachen fühlte er sich halt ein bisschen zugehörig. Dass er sich selbst dabei aus Yamis Armen schleuderte und den bei seiner plötzlichen Aktion ziemlich überrumpelte, war ihm sicher egal. Das Ding mit dem langsamen Flügelausbreiten musste er wohl noch lernen. „Na super“ seufzte Papa Yugi, rutschte zu ihm und klaubte ihm die Stoffreste vom Rücken. „Das nächste Mal sag vorher bescheid, ja?“ „Beseid“ grinste er zu ihm herum. „Vorher, Tato. Vorher“ betonte er und wischte ihm das bisschen Blut ab, welches am Anfang immer noch diese Seelenerscheinung begleitete. Aber das war ja nicht das erste Mal und Tato schien vor sich selbst weder Scheu noch Ekel zu haben oder Schmerz zu empfinden. Warum also sollte sein Papa damit ein Problem haben? Wäre nur nett, wenn er das nicht ganz so selbstverständlich tun würde. Es gab Leute, vor denen sollte er das nicht unbedingt zeigen. „Aber mach das nicht im Kindergarten“ versuchte Yugi ihm gleich einzutrichtern. Denn DAS durfte niemals ausarten. „Nur wenn Mama oder ich dabei sind. Und sag immer vorher bescheid. Ohne Bescheidsagen ist das verboten, Asato. Hörst du?“ „Oh nein. Nis Atato saagen“ trauerte er ihn an. „Beseid, Papa. Okee?“ „Ja, bescheid“ nickte er streng. „Sag beschschschscheid.“ „Beschschschscheid“ sprach er brav nach. „Is war nis böse, oda? Is wusste das nis mit beschschscheid.“ „Nein, du warst nicht böse. Aber jetzt weißt du es, ja?“ „Ja“ nickte er ebenfalls streng zu sich, bevor er wieder wie ein Baby an Yugi hochguckte. „Gibs ein Gnuuts?“ „Natürlich“ seufzte Papa und gab ihm einen kleinen Knutscher auf den Mund. Er hatte es ja nicht so verinnerlicht, dass er bescheidsagen sollte. Aber jetzt hatte er das hoffentlich gelernt. „So“ beschloss der Kleine und erhob sich mutig auf seine zwei Beine, womit ihn das Gewicht seiner eigenen Flügel gleich auf den Rücken zurückpurzeln ließ und er etwas hilflos dalag. Wie ein Käfer auf dem Rücken „Maaaamaaaa!“ Nur das Ding mit dem Fliegen, das musste er dann auch noch lernen. „Du bist ein ganz toller Drache, Tato“ lachte Yami. „Geht’s dir noch gut?“ „Seisse! Alla Swede!“ Jupp. Ansonsten war er ein ganz toller Drache. Und das Ding mit dem Meckern, das konnte er schon. Chapter 40 „Ich hab mich schon gewundert, wo ihr so lange hinseid“ meinte Mokeph, nachdem sein Hikari ihm doch tatsächlich erzählte, es gebe gar nicht so fern von hier Weiße Drachen, die sie gestern besucht hatten. Ganz begeistert hatte er davon erzählt und endlich die Erklärung geliefert, warum sie mitten in der Nacht mit einem Pferdewagen zurückkamen und bis tief in die Mittagszeit geschlafen hatten. „Ja, zum Glück haben die uns da den Wagen gegeben. Ich hätte keine Lust gehabt, jetzt noch mal drei Stunden wieder zurückzulatschen“ seufzte er. „Vor allem Spatz hat mir Leid getan. Ich meine, für den war das echt richtig heftig.“ „Aber Tato hat ihm doch bestimmt geholfen.“ „Ja, einen Teil des Weges hat er ihn gezogen. Er hätte ihn sogar getragen, wenn er darum gebeten hätte. Wie kommst du jetzt darauf?“ „Nur so ein Gefühl.“ „Komische Gefühle hast du manchmal“ schloss er für sich ab und blieb am Rande der Lichtung stehen, an der sie gerade angekommen waren. „So, hier ist es gut.“ „Was ist gut?“ fragte Mokeph zurück und blickte sich etwas verwirrt in der Gegend um. Aber das hier war ein Waldstück wie jedes andere. „Warum schleppst du mich überhaupt hier hin? Du gehst doch sonst nicht gern spazieren. Ist hier was besonderes?“ „Nein, ich will nur von den anderen weg sein“ gab er zu und setzte sich auf den Stein, der dort von der Sonne schon ganz angewärmt war. „Außerdem hab ich keine Lust mehr zu latschen. Mir tun von gestern immer noch die Füße weh.“ „Und ich dachte, du willst von Nini weg“ lachte er und quetschte sich daneben. „Ich hab nur mitbekommen wie sie Tristan ganz aufgeregt irgendwas erzählt hat. Da bin ich lieber gar nicht erst reingegangen.“ „Ja, sie erzählt bestimmt von den Drachen. Als wir da waren, war sie zwar ganz ruhig, aber ich glaube, das hat sie doch ziemlich aufgewühlt. Irgendwo verständlich. Mein Herz klopft auch noch, wenn ich daran denke. Ich glaube, jetzt kann ich manches besser verstehen. Bei Seto meine ich.“ „Und was genau?“ „Ich weiß nicht. So alles irgendwie. Warum er so ist. Gustav hat erzählt, Drachen sind so schrecklich sensibel. Oder dass sie den Kopf senken, wenn sie friedlich wirken wollen. Oder dass Männchen bei süßen Sachen ganz dankbar und lieb werden. An manchen Stellen dachte ich, er redet original genau über Seto.“ „Und hast du auch ...?“ fragte er und senkte seine Stimme mit bedrücktem Blick auf den begrünten Boden. „Hast du auch eine Idee, wie man meinen Bruder verstehen kann?“ „Leider nein“ seufzte er und lehnte sich liebevoll an ihn. „Er fehlt dir, oder?“ „Natürlich fehlt er mir. Sehr sogar. Würde Seto dir denn nicht fehlen?“ „Als er nach Frankreich ging und meinte, er und Yugi würden da ne Weile gern ungestört sein, da hat er mir schon ganz schrecklich gefehlt. Aber ich glaube, das kann man nicht vergleichen. Ich glaube, es war gut für uns. Wir mussten uns voneinander abnabeln, uns selbst finden - ohne einander. Aber bei dir und Seth ist das anders. Ihr seid fünf Jahrtausende getrennt gewesen. Wie gesagt, das kann man wirklich nicht vergleichen.“ „Nein.“ Er seufzte tief und fühlte sich nur noch bedrückter. „Wenn ich doch nur irgendwas tun könnte ...“ „Kannst du“ heiterte er ihn auf und verpasste ihm einen freundschaftlichen Buff in die Seite. „Zwar nicht ihm, aber mir kannst du helfen. Oder ich dir. Je nach dem. Eigentlich beides.“ „Ich liebe es, wenn du in Rätseln sprichst, Kaiba“ erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue. Manchmal konnte Mokuba wirklich schrecklich verwirrend sein. Selbst für seinen Yami. „Zuerst hilfst du mir und dann ich dir. Pass auf, Gardener.“ Er kramte in seiner Tasche, kramte ziemlich tief und holte dann ein hellblaues Taschentuch mit weißen Karos heraus, welches er langsam auffaltete. „Ist das nicht Noahs?“ „Ach, der hat so viele. Da vermisst er das eine gar nicht“ schmunzelte Mokuba und hielt ihm dann einen Schaschlikspieß aus Eisen hin. In besseren Kreisen benutzte man nicht die billigen Dinger aus Holz und Yugi legte viel Wert auf gutes Küchenbesteckt. Mokuba hatte dem nie wirklich Bedeutung zugemessen, aber jetzt war er glücklich darüber, dass Yugi so gut ausgestattet war. „Oh, danke“ antwortete Mokeph einfach mal ganz ratlos und nahm die spitze Eisenstange an sich. „Du weißt aber schon, dass Ägypter weder Geburtstag feiern noch, dass ich überhaupt jetzt Geburtstag hätte, oder?“ „Wenn du irgendwann mal Geburtstag feierst, schenke ich dir was Besseres“ schmunzelte er. Schade, dass Mokeph ebenso wenig Geburtstag feierte wie Yami oder Seth. Selbst Narla überlegte, ob sie das abschaffen sollte. Auf jeden Fall war es schade. Mokuba wüsste so einiges, womit er ihn gern mal überraschen würde. „Nein, das Ding ist für mich.“ „Okay ...“ Er hob seinen schwarzen Blick und zeigte ihm unumwunden, dass er spätestens jetzt schrecklich verwirrt war. „Ich gehe mal davon aus, du erklärst mir jetzt auch, warum du einen Schaschlikspieß mit dir rumschleppst. Wenn Yugi das erfährt, gibt’s Ärger.“ „Der weigert sich im Moment doch eh, zu kochen“ schüttelte er den Kopf. „Schade, ich fand seine Fleischspieße immer super lecker. Er macht da irgendwas mit den Gewürzen, glaube ich.“ „Moki, du schweifst ab.“ „Ah ja.“ Eigentlich wollte er doch was ganz anderes. „Also, du bist der einzige, den ich fragen kann.“ „Weil jemand anderes deinen Quatsch wahrscheinlich mal wieder nicht mitmachen würde?“ „Bingo. Also pass auf. Ich hab mir auch noch das hier organisiert.” Er packte etwas zweites aus dem Taschentuch aus, was ebenfalls aus Metall war. Es sah aus wie ein etwas breiterer, kurzer Stift, an dessen Ende jeweils eine kugelförmige Verdickung war. „Das hat Gustav mir bei der letzten Lieferung zugesteckt. War ganz schön schwer, ihn zu erreichen und das auf den Zettel zu schreiben, ohne dass einer das mitkriegt. Aber der Kerl ist nicht nur so verschwiegen wie Roland, sondern scheinbar auch ein Organisationsgenie. Ich meine, hier mitten in der Pampa ...“ „Was bitte ist das?“ fragte er und besah sich das Teil mal, ohne es weiter anzufassen. „Piercingschmuck.“ „Aha.“ Erst mal keine grundsätzliche Meinung dazu. „Sieht nett aus, aber sag mal ... ist dir langweilig oder so? Wofür brauchst du das?“ „Na, wozu braucht man wohl Piercingschmuck, hm?“ „Weiß Seto, dass du so was hast?“ „Nein, Seto weiß es nicht.“ „Na, wenn du meinst ...“ Okay, er war eindeutig durchgeknallt. „Wenn du mir jetzt keine gute Erklärung dafür lieferst, hab ich ab sofort Angst vor dir.“ „Na, verstehst du es denn nicht?“ schaute er voller Freude zurück und seine schwarzen Augen glänzten vor Aufregung. „Du wirst mich piercen!“ „...“ Ja, es war jetzt die Zeit gekommen, Angst vor ihm zu haben. „Ich werde dich also piercen?“ „Ja“ lächelte er völlig ohne Angst. „Ich kann das schlecht selber machen und ich weiß, dass du hart im Nehmen bist. Deswegen sollst du meine Zunge betäuben und mir dann das Piercing einsetzen.“ „Deine Zunge“ wiederholte er und sah ihn ungläubig an. „Jupp“ lächelte er unbesorgt. Für ihn war das kein Grund zur Diskussion. „Mokuba Kaiba, das da“ zeigte er auf diesen merkwürdigen Stift, „ist sicher kein lizensierter Piercingschmuck und das hier“ zeigte er den Spieß, „ist nicht mal Piercingbesteck. Und das hier“ schaute er ihn geschockt an, „ist nicht wirklich dein Ernst.“ „Ich hab zu viel Schiss, es selbst zu machen“ bettelte er mit großen, feuchten Augen. „Ich durchbohre dir nicht die Zunge. Vergiss es. Ich mache ja viel für dich, aber irgendwann hört’s auch auf.“ „Warum denn nicht? Erzähl mir nicht, du ekelst dich.“ „Darum geht es doch gar nicht! Es geht darum, dass das alles nicht steril ist und dass Noah mich dafür köpfen wird! Der ist doch garantiert dagegen, dass du so was mit deinem Mund machen willst!“ „Um Noah kümmere ich mich. Er hat mir nur das Bauchnabelpiercing verboten.“ „MOKUBA!“ „Und für Sterilität sorgen wir selbst. Du weißt, dass ich meine eigenen Heilmethoden habe“ besänftigte er ihn mit großer Gelassenheit. „Ich würde ja auch ins Studio gehen, aber es könnte schwer werden, hier eines zu finden. Und deshalb muss ich eben dich fragen.“ „Das mache ich nicht. No way.“ Er wollte ihm den beängstigend spitzen Spieß zurückgeben, aber Mokuba war ein Dickkopf. Und er hatte vorgesorgt. „Wenn du es machst, helfe ich dir.“ „Ich brauche keine Hilfe“ schüttelte er den Kopf. „Du bist derjenige, der Hilfe braucht.“ „Ich verspreche dir, du wirst mir dankbar sein“ lächelte er vielsagend. Auch wenn diese Hilfe nicht zu hundert Prozent selbstlos war. „Vertraue mir einfach, Moki. Eine Hand wäscht dir andere.“ „Ich gehe zu Seto. Der soll dir lieber mal den Kopf waschen.“ Auch wenn er nur noch wenig Hoffnung hegte, aus dieser Sache rauszukommen. Mokuba etwas abzuschlagen, war schwer bis unmöglich. Wenn er etwas wollte, konnte er sich ziemlich festbeißen. „Mach schon“ bat er mit ganz lieber Stimme. „Du bist mein Yami und der einzige, dessen Nerven dafür stark genug sind. Dir macht fließendes Blut nicht viel aus. Ich glaube, dir fehlt jegliche Ekelschwelle. Außerdem bekommst du ja auch was dafür.“ „Hör auf damit“ fürchtete er. „Sag mir erst, was genau ich bekomme.“ „Nix da. Erst ich dann du“ grinste er ihn fies an. „Komm schon. Oder hast du Schiss, du Memme?“ „Ich bin keine Memme!“ Jetzt ging das an die Ehre. Mokeph war alles, aber keine Memme! So etwas ließ er sich nicht unterstellen! Leider war er auch berechenbar und Mokuba war gut darin, Leute zu berechnen. Somit hatte er seinen Yami genau dort, wo er ihn haben wollte. Er brauchte nur seinen Mund zu öffnen und die Zunge rauszustrecken. Der Rest war ja wohl klar. „Du spinnst doch“ flüsterte Mokeph, aber eigentlich hatte er schon aufgegeben. Warum auch nicht? Wenn er das unbedingt wollte? War doch nicht seine Zunge, die er da verunstaltete. „Wenn Noah mich tötet, werde ich als Geist bei dir spuken, verstanden?“ „Schlimmer als das, was ich schon kenne, kann’s ja nicht werden“ grinste er und beugte sich zu ihm rüber. „Mach es schön mittig, ja? Und nicht so dicht an der Spitze.“ „Auch noch Ansprüche.“ Aber es hatte keinen Sinn und das wusste er auch. Außerdem fragte er sich, was Mokuba ihm für seine Dienste als Retour geben wollte. Er war keine Memme, aber neugierig war er dann doch. Auch wenn ihm das Herz flatterte. Belohnungen waren doch für jeden Menschen ne schöne Sache. Aber erst mal musste er sich um Mokuba kümmern. Der streckte ihm schon wieder die Zunge entgegen und konnte es kaum abwarten. „Wenn’s hinterher wehtut, beschwer dich woanders“ warnte er und legte seinen Daumen an die Unterseite der Zunge und seinen Zeigefinger nach oben. Er drückte vorsichtig zu und wartete, ob irgendeine Reaktion kam. „Kribbelt es?“ Mokuba nickte, aber irgendwie musste der doch noch grinsen. Der spinnte doch! „Nick noch mal, wenn’s ganz aufgehört hat.“ Es dauerte noch ein paar Sekunden bis Mokubas Zunge kein Gefühl mehr kannte und sein Kopf nickte. Mokeph musste echt vorsichtig sein, wenn er ihm keine fiese Vergiftung verpassen wollte. Zwar würde es schwer werden, Mokubas Leben durch Gift zu belästigen, aber trotzdem musste er ja nicht in Versuchung geführt werden. „Oh, Shit. Du bist doch echt krank“ fluchte er leise, aber wenn Mokuba das unbedingt verlangte? Lieber er machte das für ihn, als dass er es doch selbst versuchte und sich wohlmöglich noch irgendwas beschädigte. Mit seinem Gift konnte er sicher sein, dass da keine fiesen Bakterien mehr waren und dass es auch nicht wehtat. Trotzdem ... Mokuba war doch echt krank. Dennoch hatte er Recht. Mokeph war nicht zimperlich und tat so, als wäre er ganz routiniert darin, anderer Leute Körperteile zu durchbohren. So zog er mit ruhiger Hand den spitzen Spieß durch die zitternde Zunge. Dabei aber schloss Mokuba lieber doch die Augen und sah nicht hin. So hart war er dann doch nicht im Nehmen. Dank Mokephs Betäubung tat es nicht weh und blutete nicht allzu stark. Er spürte auch nur ein kleines Ruckeln, als dann auch alles schon vorbei war. „Du kannst die Augen wieder aufmachen.“ Als Mokeph das Taschentuch nahm und den blutigen Spieß darin einwickelte, sah Mokuba ihn überrascht an. „Scho schnöwl?“ Aber mit dem Sprechen haperte es noch. „Ja, ich hab das Stäbchen schon reingedreht. Und jetzt rede nicht, sonst blutet es noch stärker“ ermahnte er ernst. „Lass erst mal deine Zunge heilen, bevor du redest.“ Mokuba seufzte und schloss die Augen. Im Selbstheilen war er mittlerweile echt gut. Wenn er anderer Leute Gesichter restaurieren konnte, würde er doch wohl seine eigene Zunge unter Kontrolle bringen. Zumindest hoffte er das. Wenn Mokeph gut gestochen hatte, würde das kein großes Problem darstellen. „Tut’s weh?“ Als er seine Augen wieder öffnete, wurde seinem Yami doch etwas flau im Magen. Er hatte ihm doch wohl hoffentlich nicht doch wehgetan oder irgendeinen wichtigen Nerv getroffen. „Nein, gar nicht“ grinste er und lutschte ein wenig herum. „Alles heil. Wie sieht’s aus?“ Er streckte ihm die Zunge raus und ließ sich bewundern. „Ist noch ein bisschen rot, aber nicht geschwollen.“ „Ich meine, wie mir das steht“ grummelte er vorwürflich. „Es sieht bestimmt mega gut aus.“ „Also, für mich wäre das nichts. Doch wenn du das hübsch findest“ antwortete er gleichgültig. „Aber wenn wir wieder Zuhause sind, solltest du dir richtigen Schmuck kaufen. Ich weiß nicht, ob dieses Silber so gesund ist. Du weißt nicht, wo das herkommt.“ „Als würde mir das was anhaben können“ lächelte er. „Ich find’s cool. Schade, ich hätte nen Spiegel mitnehmen sollen. Aber ich kann ja richtig gut sprechen. Hätte ich nicht gedacht. Okay, irgendwie fühlt es sich komisch an, aber daran kann man sich gewöhnen. Irgendwie ein lustiges Gefühl. Dann hat Noah jetzt was zum Spielen.“ „...“ Sollte er dazu noch irgendwas sagen? Dem war doch wirklich nicht mehr zu helfen. Den Moment, als Mokuba die Sicherung durchgeknallt war, hatte er dann wohl verpasst. „Du spinnst doch.“ „Tu nicht so. Seto ist sogar tätowiert und da sagt keiner was. Und das ist ja wohl keine kleine Rose am Arsch, was der sich hat machen lassen.“ „Nur weil dein Bruder ne Macke hat, musst du ihm das ja nicht nachmachen.“ „Und außerdem ist James auch gepierct. Es gibt viele, die das machen.“ „Du musst doch nicht jedem Trend nachlaufen.“ „Wenn überhaupt eile ich voraus. So, und jetzt zu dir.“ „Ich glaube, Tea ruft mich zum Essen ...“ „Sitzen bleiben“ forderte er und zog ihn gleich wieder zurück mit seinem Arsch auf den Stein. „Ich hab mir nicht die Mühe gemacht und Yami bekniet, damit du jetzt die Fliege machst.“ „Du hast was gemacht? Du hast ... vor Atemu gekniet?“ „Nicht so wie du jetzt denkst“ grinste er. „So versaut bin nicht mal ich.“ „Na ... bei dir weiß man ja nie. Und er ist ja auch nicht so ... ohne.“ „Quark. Ich hab nur ein bisschen gebettelt. Du glaubst doch nicht, ich würde ihm so was hier klauen.“ Okay, es war nun überfällig, Angst zu bekommen. Wenn Mokuba die Millenniumskette mit sich trug, war das schlimmer, als Schaschlikspieße in geklauten Taschentüchern. Nein, klauen durfte man königliches Gold nicht. Wenn man keine Erlaubnis dazu besaß, konnte das böse nach hinten losgehen. Aber anscheinend ließ Mokuba wenigstens dort Vorsicht walten ... was die Sache jedoch nicht wesentlich positiver machte. „Jetzt guck doch nicht so geschockt. Yami hat sie mir ganz freiwillig gegeben“ lachte er. „Ich meine es doch nur gut. Sag bloß, du hast nicht auch schon darüber nachgedacht.“ „Du bist der mit den verqueren Gedanken.“ „Mokeph. Jetzt mal ohne Quatsch.“ Er senkte seine Stimme, fasste seinen Arm und sah ihn ehrlich an. Nun wurde er wirklich ernst. Genug Unsinn gemacht. „Du weißt genau, was ich meine. Hab ich Recht?“ Eigentlich dachte er sich schon, was er vorhatte. Aber dennoch wollte ihm die Antwort nur zögerlich über die Lippen kommen. „... Dakar?“ „Er hat dir nicht erzählt, woher er kommt, oder?“ hakte Mokuba nahtlos ein. „Nein ...“ „Meinst du nicht auch, dass das Hintergrund hat?“ Er ließ seinen Arm los und lehnte sich ein Stück zurück. „Eines ist klar. Teas Sohn ist er nicht.“ „Mokuba, hör auf“ bat er. Das war ein verletzlicher Punkt über den er eigentlich lieber nicht nachdenken wollte. „Ich meine nicht nur, weil er fast krankhaft lieb zu ihr ist. Erstens mal sieht er dir verdammt ähnlich und zweitens muss da noch zusätzlich was im Busch sein. Ich hab Yami gefragt und er hat mir bestätigt, dass Hexenkinder niemals Magier werden. Nur Magier zeugen Magier. Das muss bedeuten, dass seine Mutter Magierin war. Wobei auch da die Wahrscheinlichkeit der Vererbung äußerst gering ist. Du hast sieben Töchter und davon ist nur eine Hexe. Und das, obwohl du schon zu den sehr mächtigen Hexern gehörst. Aber wenn wir mal davon ausgehen, dass dieses Flittchen, mit dem du gepoppt hast, keine magische Person war, fällt mir was zweites umso mehr ins Auge. Dir nicht?“ „Mokuba, bitte lass das“ widersprach er ernst. „Wenn Dakar nicht darüber redet, wird das einen Sinn haben. Es ist nicht gut, ständig in allem herumzuschnüffeln.“ „Er hat Ähnlichkeit mit Apophis.“ „Hör jetzt auf!“ Er erhob sich und trat aufgewühlt ein paar Schritte fort von dem sonnigen Steinplätzchen. Er verschränkte die Arme und blickte unschlüssig zu Boden. Genau das war es, worüber er nicht nachdenken wollte. Warum musste sein Hikari da ausgerechnet jetzt hineinbohren? „Ich hab’s auch gesehen“ antwortete er dann etwas leiser. „Aber ich will es gar nicht wissen.“ „Wirklich nicht?“ Ein schweres Schweigen entstand, wobei sie es eigentlich beide spürten. Mokuba hatte Recht. Mokeph hatte sehr wohl darüber nachgegrübelt, wer dieser dünne Giftmagier war, der da um Tea herumscharwenzelte und doch nicht wirklich ihr Sohn sein konnte. Außerdem war es durchaus auffällig für den, der Apophis gut kannte. Der ihn in seiner menschlichen Gestalt kannte. Dakar war ebenso wie er eine große, sehr hagere Person mit langem Gesicht, weicher Stimme und keiner nennbaren Schönheit. Nein, schön war er wirklich nicht. Trotzdem hatte er eine Aura, die ihn unheimlich wirken ließ. Anziehend und abstoßend zugleich. Von dem Gelbstich seiner schwarzen Augen ganz abzusehen. Es fiel vielleicht nicht allen auf, aber je intensiver man ihn betrachtete, desto mehr Ähnlichkeiten entstanden. Natürlich wollte Mokeph wissen, ob er richtig lag und weshalb er so sehr an Tea zu hängen schien. Er hatte sich nur nie zu fragen getraut. Anders als Mokuba. Der fragte nicht, der nahm sich seine Antworten einfach. Es war nur ein Augenzwinkern und sie befanden sich an einem anderen Ort. Mokephs Abwehr war nicht groß genug und übertrumpfte Mokubas Neugier bei Weitem nicht. Auch wenn er sich unschlüssig war, ob er die Wahrheit wirklich erfahren wollte ... ob er sie auf diese Weise erfahren wollte. Es hatte doch sicher einen Grund, weshalb Dakar von diesem Thema Abstand nahm. „Zeig uns, was wir wissen sollen“ bat Mokuba und wie zur Antwort schickte die Kette ihr sanftes Leuchten nach vorn, um dort auf eine Person zu deuten. Sie befanden sich mitten auf dem Gehweg an einer Verkehrsstraße gelegen. Autos fuhren vorüber, Menschen gingen vorbei und vor ihnen streckte sich ein nicht besonders hohes Hochhaus in den Himmel. Was sie sehen sollten, war eine Frau, welche auf der untersten Treppe am Eingang des Gebäudes saß. Sie hatte den Kopf in die Hände gestützt, eine betrübte Haltung. Eine breite, hellblau gepolsterte Tragetasche hatte sie neben sich auf die Treppen gestellt. Sie sah jedoch nicht aus, als wäre dies ihr ganzes Hab und Gut. Auch wenn ihre schwarze Kleidung sehr eng und fast zu hurenhaft war, so schien sie dennoch gepflegt und für diese wilde Frisur hatte sie sicher manch ein Minütchen vor dem Spiegel verbracht. „Das ist sie“ bestätigte Mokeph seine eigenen Befürchtungen. „Das ist Polli.“ „Also doch“ bestätigte Mokuba ebenfalls sich selbst. „Dakar ist von diesem Flittchen. Hätte mich auch gewundert, wenn du ne Frau mal nicht gleich schwängerst.“ „Hör auf. Das ist nicht komisch.“ „War ja auch ganz ernst gemeint. Ich glaube, das Gebäude hier ist der soziale Dienst der Stadt Domino. Das Jugendamt.“ „Woher willst du das wissen?“ „Hier war ich damals mit Noah, als es darum ging, wer das Sorgerecht für mich bekommt. Hier werden so familiäre Sachen gesetzlich geregelt. Als wenn Beamte das könnten ... aber den Typen da traue ich noch weniger.“ Er wies nach rechts, wo nun drei unauffällig gekleidete Herren herankamen. In grauen Sakkos, poliert schwarzen Schuhen und weißen Hemden. Ihre Frisuren reichten über kurz rasiert bis leicht gegelt. Geschäftsleute, wie es sie hier in der Stadt an jeder Straßenecke gab. So weit nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich nur, dass sie direkt auf die junge Frau zusteuerten. „Entschuldigen Sie.“ Einer der drei unauffälligen Herren trat an sie heran und berührte sie an der Schulter. Seine schlanke Hand geziert von einem weißen Lederhandschuh, der einzig auffällig war. Ansonsten war sein Gesicht ebenso glatt wie seine feucht zurückgekämmte Frisur. Sofort hob sie ihren Kopf und zeigte ihm ein verwischtes Gesicht. Sie weinte und schien verzweifelt. „Können wir Ihnen helfen?“ „Nein. Niemand kann mir helfen“ antwortete sie mit brüchiger Stimme und huschte schnell mit den Fingerspitzen unter ihren Augen entlang, um das schwarze Make-Up zu ordnen. „Aber Sie weinen doch. Ist etwas nicht in Ordnung? Ist das ihr Kind?“ Er wies auf die blaue Polstertasche, in welcher ein Baby zu erkennen war. Mokuba und Mokeph linsten herüber und erkannten ihn sofort. Nicht, weil nicht nur die Wahrscheinlichkeit so hoch war, dass darin Dakar lag, sondern einfach, um sich zu versichern. Viel Ähnlichkeit seinen erwachsenen Ich hatte er nicht, aber eines war ganz sicher - das Baby darin war nicht niedlich und hübsch. Um es zu vereinfachen, sagte man, es wäre hässlich. Einfach ein hässliches Kind. Tiefschwarzen Flaum auf dem verbeulten Kopf, kleine Schlitzaugen und eingefallene Wangen. So ein Baby konnte wohl nur eine Mutter als süß bezeichnen. „Ja, leider“ erwiderte sie hilflos. „Mein Sohn ... aber sie wollen ihn nicht haben.“ „Wie meinen Sie das?“ Hilfsbereit setzte sich der freundliche Herr neben sie und reichte ihr ein Taschentuch, um sich zu trocknen. Die anderen beiden stellten sich vor sie, um sie vor Blicken der Passanten abzuschirmen. Die waren sicher nicht nur mal einfach so zufällig während der Mittagspause vorbeigekommen. „Ich kann den Jungen nicht aufziehen. Es geht einfach nicht“ schluchzte sie ins Taschentuch hinein. „Ich will ihn zur Adoption freigeben, aber sie schicken mich weg. Sie sagen, ich soll es mir noch mal überlegen und nächste Woche wiederkommen. Eine Beratung machen. Aber ich will es mir nicht überlegen. Ich kann dieses Kind nicht behalten.“ „Das ist ja schrecklich.“ Er blickte über sie hinweg in die Tragetasche und wand sich dann zurück an die schluchzende Mutter. „Aber was ist denn mit ihrem Kind? Fehlt Ihnen Geld?“ „Es fehlt an allem. Vor allem an Liebe“ gab sie fast flüsternd zu. „Es ist schandhaft, das als Mutter zu sagen, aber ich hasse dieses Kind. Ich hasse es. Ich kann es nicht behalten. Ich fühle mich, als würde es mich aussaugen ...“ „Es gibt viele Frauen, die so denken“ versuchte er zu trösten. „Vielleicht sollten Sie mit einem Fachmann sprechen. Vielleicht hassen sie ihr Kind gar nicht, sondern haben nur eine Kindbettdepression. Das lässt sich in den Griff bekommen.“ „Sie hören sich an wie die Typen da drin“ nickte sie abfällig hinter sich an de Eingang des Gebäudes und sprach weiter mit bebender Stimme. „Aber Sie wissen nicht, wie das ist. Allein, wenn ich es ansehe ... wenn ich mein eigenes Kind ansehe, steigt Ekel in mir hoch. Und ich übergebe mich, sobald ich ihn stillen will. Ich kann ihn nicht mal wickeln. Alles an diesem Kind stößt mich ab. So kann ich doch keine Mutter sein. Dieser Ekel ... es ist abartig.“ „Das hört sich ernst an“ gab er sichtlich betroffen zur Antwort. „Aber was ist denn mit dem Vater? Können Sie ihn nicht ...?“ „Er ist verheiratet“ unterbrach sie ihn hart. „Außerdem kann ich ihm nicht so ein Kind andrehen.“ „Haben Sie das auch dem Sozialbeamten gesagt?“ „Nein ...“ Ihre Stimme wurde immer leiser, sie selbst immer erschöpfter mit dieser Qual auf ihrem Herzen. „Ich habe gesagt, ich kenne den Vater nicht. In Wirklichkeit ... ich will es doch nur weggeben. Aber es aussetzen ... nein, das kann ich nicht. Aber vielleicht ... wenn das ginge ... oder eine Therapie ...“ „Darf ich?“ Einer der Herren hob die Tasche vom Boden auf und betrachtete das darin liegende Kind eindringlich. So unauffällig wie er sich gab, war er jedoch bei näherem Anblick nicht. Er lüpfte seine Sonnebrille und zeigte hellgrün leuchtende Augen. Solche Augen waren unnormal. Die drei hier konnten unmöglich normale Geschäftsmänner sein. Erst nach einigen Sekunden senkte er seine dunkle Brille wieder und nickte dem neben der Mutter sitzenden Mann vielsagend zu. „Ihre Lage scheint wirklich ernst zu sein“ wand der wieder sein Wort an die viel zu junge Frau. „Wenn Ihnen die Behörden nicht helfen, vielleicht können wir es.“ „Nein ... niemand kann mir helfen.“ „Sehen Sie das nicht so negativ“ tröstete er und tätschelte ermutigend ihr nicht bedecktes Knie. „Sie haben Glück, dass meine Kollegen und ich gerade vom Mittagessen kommen und zurück zu unseren Schreibtischen sind.“ „Dann arbeiten Sie da drin?“ fragte sie geschockt und sah ihn ängstlich an. Sie war wohl davon ausgegangen, dass sie mit jemandem sprach, der von solchen Dingen keine Ahnung hatte. „Ja, wir sind sozusagen vom Jugendamt“ lächelte er sie an. „Ich sehe, wie verzweifelt Sie sind. Und ich kann Ihnen helfen. Unverbindlich, anonym und sofort.“ „Und ... wie?“ „Lassen Sie ihr Kind bei uns“ schlug er vor, auch wenn er sie fast traurig mit gesenktem Kopf ansah. „Wenn Sie keine Liebe aufbauen können, ist das weder Ihnen noch dem Baby zuträglich. Wir werden dafür sorgen, dass es zu liebevollen Pflegeeltern kommt.“ „Wirklich? Können Sie das?“ Das war ja genau das, was sie sich hier erhofft und nicht bekommen hatte. „Natürlich. Ich kenne mich mit so etwas aus“ lächelte er sie ganz zärtlich an. „Ich helfe häufig jungen Müttern wie Ihnen. Ich denke, Sie haben sich das gut überlegt. Aber wenn Sie Ihr Kind erst weggegeben haben, werden Sie es nicht wiedersehen. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein. Ihr Junge wird sie niemals kennen lernen.“ „Ich weiß. Aber ich ...“ Sie blickte hinauf zu dem Mann, der ihr mit freundlichem Angebot die Babytasche heruntergeben wollte. Sie stahlen Ihr Baby nicht einfach. Sie hielten es ihr hin, sie sollte es ruhig auf den Arm nehmen. Aber da wand sie sich ab und schluchzte ins Taschentuch hinein. „Ich kann es nicht. Es geht nicht ...“ würgte sie sich heraus. Es war traurig anzusehen, dass ihr schlecht wurde allein bei dem Gedanken, dieses Kind zu berühren. „Schon gut. Schon gut.“ Er legte den Arm um sie und hielt ihr eine Schulter zum Anlehnen hin. Ihr dieses Kind zu entreißen, war wörtlich ein Kinderspiel. „Wie heißt ihr Sohn denn?“ „Mokeph“ antwortete sie und hielt sich die Hand vor den Mund. „Aber er hat gar keine Ähnlichkeit mit ...“ „Wir haben schon verstanden. Machen Sie sich keine Sorgen“ fiel er ihr ins Wort und nickte zusagend zu seinen zwei Begleitern. „Mehr müssen wir nicht wissen. Wir werden ihren Mokeph an einen Ort bringen, der ihm passend sein wird.“ „Unglaublich, was ihr mir bringt.“ Es war nur ein Strahlen später und schon sahen sie einen ganz anderen Ort als den eben noch so sonnenbeschienenen Treppenplatz vor dem Domino-Jugendamt. Hier war es dunkler. Es gab zwar Fenster, aber durch diese drang kein Licht herein. Als würde davor eine Steinmauer stehen. So erhellte nur eine künstliche Lampe an der Decke das Treiben der Männer im Raum, der augenscheinlich ein Büro war. Mit einem schweren Schreibtisch, der allerdings bis auf eine einzige Mappe sauber aufgeräumt war. Mehr gab es hier auch kaum. Einen Schreibtisch mit einem Stuhl zum Arbeiten und einem für Gäste. An der Seite ein polierter Stahlschrank. Mehr nicht. Sehr karg. Die Männer, die hier scheinbar arbeiteten, passten in diesen Raum hinein. Mit ihren unauffällig konservativen Anzügen und den schlichten Frisuren. Einen davon konnten sie als den erkennen, welcher der verzweifelten Polli das ungewollte Kind abgenommen hatte. Der zweite und dritte waren unbekannt. Einer davon war wesentlich jünger, vielleicht Anfang 20. Sein blondes Haar war streng nach hinten gekämmt und seine Kleidung nichtssagend dunkelblau. Sein Ausdruck leer. Der dritte Mann war ein großer, bäriger Mensch. Ein Doppelkinn, kleine Augen, dunkelgraues Haar locker gefönt. Eine rechteckige Brille auf der dicken Nase und sein feiner, schwarzer Anzug fast ein Zirkuszelt bei seiner Statur. Genau dieser Bär von Mann sah erfreut in die Tragetasche hinein, in der noch immer das hässliche Kind lag und nur ab und an mal einen Fuß herausstreckte. „Es ist ohne Zweifel, das Kind des Priesterbruders“ erklärte der Mann mit der glatten Frisur und den weißen Lederhandschuhen, welche er auch hier im Raum nicht auszuziehen gedachte. „Wir haben sie beobachtet und den Jungen geprüft. Sie hat ihn sogar Mokeph genannt. Nach dem Vater, wie sie sagte. Es ist eindeutig.“ „Damit hat sich deine Beförderung zum Oberspion mehr als bewährt“ lächelte der große Bär ihn erfreut an. „Ich wusste, es lohnt sich, ein gutes Wort für dich einzulegen und Karas durch dich zu ersetzen.“ „Danke, Meister“ antwortete er und deutete eine kleine Verbeugung an. Währenddessen nickte der Meister dem jungen, blonden Mann neben sich zu, welcher dann an das Baby herantrat und seine Hände in die Tasche steckte. Eine Hand legte er auf die kleine Brust, die andere über die Augen des Babys. Er sprach nicht weiter, handelte einfach nach seinem Befehl. „Und? Was tippst du?“ fragte er seinen ernannten Spion, während der jüngere das Kind berührte und es mit stechend blauen Augen ansah. „Skorpion“ antwortete er lächelnd. „Erste Tests haben ergeben, dass er mindestens Magier ist. Deshalb tippe ich auf den Skorpion als Schutztier.“ „Mindestens Magier“ wiederholte der Bär nachdenklich. „Du meinst, er ist mehr als das? Stärker als ein Magier? Obwohl sein Vater nur Hexer ist?“ „Ein Hochmagier. Ja, wahrscheinlich. Ich habe es hier in meinem Bericht verfasst.“ Er wies auf die Mappe, welche auf dem Tisch lag und die jetzt von seinem Meister aufgenommen und aufgeschlagen wurde. „Er hat ähnliche Energien wie Aleseus Seth, Eraseus Seto und der junge Asato.“ „Das sind alle Söhne des Gottes Seth“ meinte er beiläufig, als er die Seite umschlug, um die nächste zu überfliegen. „Es gibt wenige gottgesegnete Hochmagier, die in ihren Kräften so perfekt sind. Wir kennen niemanden sonst, dessen Magie so stark ausgeprägt ist wie die der Priester. Und du meinst, dieses Kind hat Verbindung zum Seth? ... Er hat Mokeph doch seinerzeit fallen lassen, als er sich den Pharaonen zuwand. Warum sollte dieser Gott sich einen Sohn durch ihn schaffen? Nein, das ergibt keinen Sinn ...“ „Soweit wir wissen, gibt es noch andere Götter, zu denen die Pharaonen Verbindung haben“ warf er ernst ein. „Anders ist es auch nicht zu erklären, weshalb ein Hexer von einem unmagischen Mädchen einen Sohn bekommt, welcher mindestens Magier ist. Außerdem ist er Giftträger und ...“ „Danke, ich sehe es“ unterbrach er ihn mit unbeteiligter Stimme. „Gleich werden wir mehr wissen. Wie sieht’s aus, Prosas?“ „Einen Augenblick noch, Meister“ antwortete der blonde Mann, der sich damit spontan angesprochen fühlte. „Nach der Analyse von Prosas werden wir mehr wissen als das hier“ beschloss er und legte die Mappe auf den Tisch, ohne auch nur die dritte Seite aufzuschlagen. Diesem merkwürdigen Jungen schien er mehr zu glauben als einem wackeligen Bericht. „Wem auch immer wir seine Entwicklung anvertrauen werden, er wird in jedem Falle von großem Nutzen für uns sein.“ Und das sagte er mit einem so selbstzufriedenen Lächeln. „Ein Kind mit Verbindung zum Pharao, ja sogar aus derselben Blutlinie. Selbst wenn er nicht magisch wäre, könnte er uns gute Dienste tun. Die Familie ist den Pharaonen das wichtigste Gut. Dort einen Zugang zu bekommen, ist einmalig.“ „Ich weiß, Meister“ antwortete er nickend. „Nachdem Karas die Sache mit Enrico und James so beschämend in den Sand gesetzt hat, ist dies eine neue, meiner Meinung nach bessere Möglichkeit. Mit diesem Kind kommen wir dem Pharao bald näher. Und im Zweifel werden wir gegen Aleseus Seth eine Waffe im Ärmel haben. Er wird ihn als seinen Neffen erkennen. Das eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten. Wir müssen ihn nur im Sinne des Zirkels erziehen. Dass ich das noch erlebe.“ „Ich freue mich, dass es Sie erfreut“ lächelte er zurück. „Ich habe auch überlegt, wenn er eine so hohe Magie hat, wie ich denke, dass er ...“ „Und?“ Er hörte ihm weiter nicht zu, sondern sah den jüngeren Mann an, der eben seine Hände von dem Kind nahm und scheinbar fertig war mit seiner ‚Analyse’. „Der Bericht stimmt. Das Kind ist ein Hochmagier“ erklärte er mit abwesender Stimme den beiden. „Er ist Träger eines starken aktiven und passiven Giftes. Außerdem Telekinet, Schwarz- und Graumagier mit stark ausgeprägter passiver Energie und mittel ausgeprägter aktiver Energie.“ „Aktiv nur mittel ausgeprägt, ja?“ wiederholte sein Meister skeptisch. „Das heißt, für hohe Energiekämpfe ist er unbrauchbar. Und dennoch ist er Telekinet ... interessant. Wie ist es mit Telepathie und Präkognition?“ „Telepatische Fähigkeiten sind nicht vorhanden und können auch nicht geweckt werden“ antwortete er, ohne nachsehen zu müssen. „Seine präkognitiven Fähigkeiten sind zu vergleichen mit denen eines Tieres. Er wittert Veränderungen in der Luft und im Boden. Nicht jedoch im Sinne von Hellsehen. Was jedoch zu Problemen führen könnte, ist sein stark ausgeprägtes passives Gift.“ „Genauer?“ „Er vergiftet sich selbst“ erklärte er und trat einen Schritt von dem Kind zurück, um seinen Meister mit stechenden Augen anzusehen. „Um ihm ein Leben über das fünfte Lebensjahr hinaus zu sichern, muss man eine Langzeitlösung finden, wie er das Gift in seiner eigenen Blutbahn schwächen kann. Außerdem ist sein Schutztier nicht der Skorpion, sondern die Schlange.“ „Das bedeutet, er wird ein hinterhältiges Wesen entwickeln und kein offen durchschaubares. Das macht es uns natürlich schwieriger, ihn zu kontrollieren.“ Der Meister sah das hässliche Kind eindringlich an, welches mit tiefschwarzen Augen zurückblickte. Ganz tief blickten sie einander ins Gesicht. Solange bis es unangenehm wurde und der Kleine seine Augen zukniff und ein kreischendes Weinen anhob. Er ballte seine kleinen Fäuste, krümmte seine Beinchen und schrie sein Unbehagen laut heraus. Es war ja auch nicht schön, wenn man so kalt angestarrt wurde. „Gebt ihn in Ophalas Obhut“ beschloss er dann und sah den jungen Blonden zu seiner Rechten an. „Er soll ihn erziehen.“ „Aber Meister“ antwortete sein Spion mit ganz vorsichtiger Stimme. „Alle Kinder, die Ophala in Obhut nahm, hat er getötet. Seine Schüler sterben an ...“ „Zweifle nicht an meiner Entscheidung“ befahl er ernst und blickte zurück auf das Kind. „Ophala wird sein Meister werden. Informiert die drei Obermagier und ruft Ophala zu mir. Ich will vorher mit ihm sprechen. Und jetzt bringt diesen Schreihals zu einer Amme. Prosas, mach das.“ „Natürlich.“ Der Blonde griff die Tasche mit dem Kind, ohne das Weinen zu beruhigen. Der Kleine würde anscheinend ohnehin ein hartes Schicksal haben, da brauchte man ihn jetzt wohl auch nicht trösten. Aber er hob nochmals seinen Blick und fragte: „Sollen wir ihn stutzen?“ „Ich denke, das wird besser sein“ antwortete er zustimmend und setzte sich auf den Schreibtischstuhl, welcher unter seinem Gewicht gefährlich knarrte. „Gut“ nickte der ruhige Prosas verständig. „Wie weit sollen unsere Heiler gehen? Sollen wir auf Ophala warten oder wollt Ihr das jetzt entscheiden?“ „Ja, will ich“ entgegnete der Bär mit ruhiger, überlegter Stimme. Scheinbar dachte er doch darüber nach, was er sagte. „Schwächt seine Tränendrüsen und begrenzt seine Stimmbänder. Gefühlsregungen wird er bei Ophala ohnehin nicht ausbilden können, das wird ihm die Erziehung erleichtern und einige Probleme ersparen.“ „Sollen wir ihn auch gleich kastrieren lassen? Wegen des Testosteron meine ich. Dann wird er weniger aufmüpfig werden.“ „Aus deinem Munde eine so schlechte Idee zu hören, Prosas“ schüttelte er lächelnd sein greises Haupt. „Er ist ein Hochmagier. Wir werden warten bis er geschlechtsreif ist und wir seinen ersten Samen haben. Danach soll Ophala entscheiden, ob er kastriert wird.“ „Sehr wohl ... Meister, eine Sache noch.“ „Bitte?“ seufzte er und fläzte sich gemütlicher auf seinem knackenden Schreibtischstuhl herum. „Das offizielle Schriftstück für die Heiler sende ich mit einem Boten direkt. Sag Ihnen, es kommt später.“ „Sein Name ist nicht Mokeph. Seine Mutter ist eine dumme Frau“ ergänzte er abgeklärt. „In seiner Seele steht Dakar als Name.“ „Dakar“ wiederholte er anerkennend. „Ein Hochmagier mit einem Seelennamen. Gut, lasst ihm seinen Namen. Um den Rest soll Ophala sich kümmern.“ „Er ist in die Hände des Zirkels geraten“ bemerkte Mokuba leicht erschrocken. „Die wollten ihn als Waffe gegen uns einsetzen.“ „Und ich wusste nicht mal, dass es ihn gibt“ ergänzte Mokeph und besah sich bedrückt die wechselnde Szene. „Ich will nicht wissen, wie sehr er gelitten hat. Hast du das gehört? Sie überlegen, ob sie ihn kastrieren. Er ist doch kein Tier.“ „Ich glaube, Menschlichkeit kennt dieser Schweineverein gar nicht. Die sehen ihn als Kapital“ meinte er mit aufsteigender Wut. „Wie kann man nur ...?“ „Mokuba. Da.“ Mokeph zeigte in einen dunklen Raum hinein, welcher sich nun vor ihnen auftat. Der Raum war relativ groß, aber bis auf ein paar Kerzen und kleine Wandlampen sehr düster. Auch hier gab es Fenster, aber diese schienen vernagelt, ließen keinen Lichtstrahl herein. Wie ein Zimmer in einer mittelalterlichen Burg war es hier eingerichtet. In der Ecke ein großes Bett mit überdicken Daunen, ein kleiner Schreibtisch auf der anderen Seite und gegenüber eine schwere Holztür. Daneben ein Sofa und ein Sessel von schluckendem Samtstoff belegt, der in seinem Weinrot das Zimmer sehr schwer wirken ließ. Ebenso wie der dicke Webteppich auf dem kalt glänzenden Steinboden, der dieselbe, blutige Farbe trug. Und auf der Fensterbank saß ein junger Mann, welcher nicht schwer als Dakar zu erkennen war. Das hier schien viele Jahre in der Zukunft und er war bereits zu einem Jugendlichen herangewachsen. Er war relativ dünn und auffallend blass mit eingefallenen Wangen, was durch seine dunklen Augen und das schwarze Haar nur noch begünstigt wurde. Seine Kleidung war aus leichtem Stoff ohne Zier. Schlicht schwarz. Einfach ein paar Stiefel, eine Hose, ein knopfloses Hemd und ein Haarband aus schwarzem Samt. Vielleicht traf die Bezeichnung als Vampir sein Äußeres hier gar nicht so falsch. Und nun saß er da und schaute aus dem Fenster, welches ihm nichts zu sehen preisgab. Nichts außer Dunkelheit. Ein Klopfen war an der Tür zu hören. Er reagierte nicht weiter, außer mit einem heiseren „Ja?“ zu antworten. Die Tür schwang langsam und ohne Ton auf und ein Mann kam herein. Er trug eine Robe ähnlich der eines Mönches. Seine Füße waren bedeckt von diesem dunkelgrauen Gewand und er hätte schrecklich altmodisch ausgesehen, hätte er nicht eine rahmenlose Brille auf der Nase getragen, welche eindeutig moderner war. Er war trotz seines sichtlichen Alters noch sehr gut bei Kräften, was seine sicheren Schritte verrieten, mit denen er den Raum betrat und die schwere Tür hinter sich schloss. „Du bist es, Sophea“ sprach Dakar leise, ohne seinen Blick auf ihn gewandt zu haben. „Ich dachte, mein Meister wolle mit mir sprechen.“ „Meister Ophala ist eben eingetroffen und wird in einigen Minuten bei dir sein“ lächelte der Alte, kam herein und ließ sich seufzend auf dem Sessel nieder. „Hast du den Flug hierher gut überstanden?“ „Ich wundere mich, weshalb ich schon wieder verreisen muss“ antwortete er ohne erkennbaren Ton in der Stimme. Als wären in ihm keinerlei Gefühle Zuhause. „Sag mir, Sophea, weshalb ist dies schon die neunte Reise in diesem Jahr? Warum schickt man mich durch die Welt, wenn doch ein Ort immer ist wie der andere?“ „Weil dein Meister es so wünscht. Du warst bei den besten Lehrern zu Gast und dafür muss man nun mal verreisen.“ „Und doch sehe ich niemals etwas anderes als mein Zimmer und die Lehrräume. Wozu hat all das Lernen einen Sinn? Warum reise ich zu meinen Lehrern und nicht sie zu mir so wie bis zum letzten Jahr? Warum verlangt man, dass ich mich bewege? Will man mich nun bald gegen den Pharao schicken? Und wenn ja, warum erst bald und nicht sofort? Oder erst in ein paar Jahren? Warum schweigt mein Meister, wenn ich ihn nach den Reisen frage?“ „Woher kommen diese Fragen?“ fragte der Alte zurück und schlug unter seiner Robe die Beine übereinander. „Was veranlasst dich, dass du nach dem Sinn fragst? Das musst du nicht. Du musst keinen Sinn in den Dingen suchen. Es reicht, dich auf den Kampf gegen den Pharao vorzubereiten. An mehr musst du nicht denken.“ „Ich weiß. Und doch ...“ Er strich mit seinen Fingerspitzen sehnsüchtig über das kalte, blanke Glas und blickte hinaus in die schwarze Dunkelheit. „Sophea, als ich am Flughafen eskortiert wurde, verrutschte meine Kapuze und ich habe etwas gesehen, was mich verwirrt hat.“ „Deine Kapuze verrutschte“ wiederholte er frei von Wertung, aber ganz anscheinend schien ihm diese Äußerung etwas zu bedeuten. „Und was hast du gesehen?“ „Bevor meine Leibwächter sie wieder geschlossen hatten, habe ich ein Bild gesehen. Ähnlich einer Fotografie aus einem Buch. Es zeigte Buchstaben, welche das Wort ‚Tahiti’ bildeten und darunter die Zahl 1.099. Diese Kombination beschrieb das Bild, welches ich seitdem nicht vergessen kann. Es zeigte einen großen Baum mit länglichen Blättern an der Spitze, welche wie ein Schirm saßen und doch keiner waren. Er stand auf hellem Sand, an welchem Wasser mündete. Wie ein See oder ein Meer. Es war so anders. Der See hatte eine hellblaue, fast türkisene Farbe und der Himmel darüber war mit sattem Blau angefüllt. Ich kenne diese Farben, aber ich weiß nicht, was sie in dieser Kombination bedeuteten. Das Bild sah aus wie ein Ort und doch ... können Orte so aussehen? So hell? Wie kann jemand auf die Idee kommen, Wasser und Himmel hätten eine andere Farbe als schwarz oder dunkelblau? Und warum waren dort keine Sterne? Was hatte diese Zahl zu bedeuten? Wenn das Kunst ist, warum lerne ich nichts darüber?“ „Weiß dein Meister von deiner Beobachtung?“ fragte er besorgt. Anscheinend hatte er da etwas gesehen, was er nicht hätte sehen sollen. „Nein. Du bist der Einzige, den ich zu fragen wage.“ Nun wand der junge Mann doch den Kopf herum und schenkte ihm einen Blick aus den Augen, die sich über all die Jahre mit der Dunkelheit verbunden hatten. „Du bist mein ältester Lehrer, Sophea. Gibt es etwas, was du mich noch nicht gelehrt hast?“ „Sicher hast du noch einiges zu lernen, aber ich beantworte dir gern deine Fragen, wenn du welche hast“ antwortete er indirekt. „Dieses Bild, welches du gesehen hast ... vergiss es lieber wieder. Es stammt von den dummen Menschen, mit denen du dich nicht beschäftigen musst.“ „Du meinst, es stammt von dummen Menschen“ wiederholte er ohne Gefühl in seinem Blick und doch schien er voller Ratlosigkeit. „Dieselben Menschen, welche das Schattenreich nicht kennen? Dumme Menschen ohne Magie? Menschen, für die der Pharao alles leitet? Wenn sie doch so dumm sind und keine Magie besitzen, weshalb schaffen sie so virtuose Dinge? Wie kann es sein, dass ihre Bilder meinen Geist verwirren, der doch viel höher ist als ihrer?“ „Sie schaffen sich diese Bilder aus Dummheit. Beachte sie gar nicht weiter. Sie wollen deinen Geist verwirren, wie du schon erkannt hast. Schenke ihnen nicht deine Aufmerksamkeit. Glaube mir, Dakar. Wenn wir erst den Pharao gestürzt haben und die dummen Menschen versklaven, dann wirst du sehen, was ich meine.“ „Ich würde einen dummen Menschen gern einmal sprechen“ eröffnete er dann mit heiserer Stimme. „Ich möchte wissen, warum wir sie dumm nennen und sie sich doch etwas ausdenken, was meiner Intelligenz entsagt. Ich möchte sie danach fragen.“ „Das werden sie dir nicht sagen können. Dumme Menschen wissen nicht, dass sie dumm sind. Das weißt du doch. Sie werden deine Lehren zerstreuen mit ihrem sinnfreien Gefasel. Glaube mir, ich selbst habe schon welche getroffen und es lohnt sich nicht, mit ihnen zu sprechen. Das Wissen über sie wird dir nicht helfen, deinen Meister zufrieden zu stellen. Sie verstehen nichts vom Leben.“ „Wenn du es sagst ...“ Er blickte zurück aus dem Fenster, welches ihm in seiner Dunkelheit wohl doch keine Antworten geben wollte. „Ich habe nachgedacht, Sophea.“ „Ja, das merke ich“ antwortete er skeptisch. „Wie kommst du dazu, an andere Dinge als deinen Lehrstoff zu denken?“ „Ich träumte“ erzählte er leise. „Ich träumte in der letzten Nacht von Maden. Es war ein seltsamer Traum. Ich sah ein Stück Fleisch, in welches sich weiße Maden eingegraben hatten. Sie vermehrten sich, schlüpften aus Eiern. Dann erschien eine Schlange vor mir. Eine große Schlange mit einem symmetrischen Muster. Ich fragte, sie nach der Bedeutung des Wortes ‚Tahiti’. Und sie sprach zu mir. Sie sagte, ich wäre ihre Brut und solle mein Fleisch finden. Mein Fleisch, wie die Maden ihres haben. Dann würden sich meine Fragen von selbst beantworten. Wie soll ich das deuten?“ „Dazu sollten wir einen Traumdeuter befragen“ antwortete er in leichter Abwehr. So langsam schienen ihm die Fragen unangenehm zu werden. „Aber ich denke, dein Geist spielt dir einen Streich. Du hast bei deinem letzten Lehrer gelernt, dein Gift in Maden zu füllen und sie in deinen Feind zu zwingen. Zusätzlich warst du einem unnützen Blick auf die Kunst dummer Menschen ausgesetzt. Und die Schlange ist dein Schutzsymbol. Höchstwahrscheinlich verarbeiten deine Träume das Gelernte. Beachte es nicht weiter und dein Geist wird sich regenerieren.“ „Dennoch werfen mir meine Träume Fragen auf. Diese Schlange mit ihrer unheilvollen Stimme ... Sophea ... wessen Brut bin ich?“ „Du bist du selbst. Gezeugt von den Schatten. Wie jeder Magier. Mehr zählt nicht.“ „Ich wusste, dass du das sagen würdest“ antwortete er bitter. Die erste Gefühlsregung, die sich in ihm zeigte, war Bitterkeit. „Doch dieser Traum brachte mich zum Nachdenken. Wer hat meine Erzeugung zu verantworten? Warum reise ich, wenn doch alle Orte gleich aussehen? Warum kenne ich das Wort ‚Tahiti’ nicht? Und warum umgehst du es, mir Antworten zu geben?“ „Ich umgehe es nicht. Ich denke nur, du solltest das mit deinem Meister bereden.“ Er erhob sich und wollte das Thema eindeutig hier beenden. „Aber wenn du meinen Rat hören willst, dann vergiss diese Gedanken. Konzentriere dich auf die Aufgaben, die dir gestellt werden und linse nicht aus jedem Fenster. Dort draußen wartet nichts auf dich, was dich weiter bringt.“ „Sophea, eine Sache noch“ bat er, bevor dieser sich aus seinem Zimmer entfernen wollte. Er legte seine Hand an das kalte Glas und senkte die Stimme. „Warum habe ich noch nie die Sonne gesehen?“ „Weil sie die Menschen dumm macht. Und das weißt du auch“ antwortete er abgeklärt und öffnete die schwere Tür. „Und nun lass die Fragen sein. Du musst nicht über dein Leben entscheiden. Das tut dein Meister für dich. Und du tust gut daran, auf ihn zu hören.“ Er trat hinaus und schloss die dicke Tür hinter sich. Dakar blickte ihm nach und schien mit diesen Antworten nicht befriedigt zu sein. Jedenfalls sprach sein betäubter Blick ganze Bände. „Danke, Sophea“ sprach er leise zu sich selbst und wand sich zurück zu seinen Blicken aus dem schwarzen Fenster. „Dein Schweigen ist mir Erkenntnis genug. Ich suche meine Antworten selbst. Die Worte der Schlange sind mächtiger als die meines Meisters ... ich werde mein Fleisch suchen ...“ „Wie ist der denn aufgewachsen?“ fragte Mokuba, der vor Schrecken mittlerweile nach der Hand seines Yamis gegriffen hatte. Dakar musste gar nicht sein eigener Sohn sein, um dieses mitleidige Gefühl in ihm zu wecken. „Er hat noch nie die Sonne gesehen? Er weiß nicht, was ein Strand ist? Er weiß nicht mal, dass der Himmel blau ist? Die Sonne macht Menschen dumm? Was erzählen die ihm denn?“ „Und keiner sagt ihm was“ bemitleidete auch Mokeph ihn. „Er soll sich auf den Zirkel konzentrieren ... er hat gar kein eigenes Leben ... das ist eine lebenslange Gehirnwäsche ...“ Kapitel 9: Kapitel 41 - 45 -------------------------- Chapter 41 Aber die Kette zeigte auch, wie er seinen Ausweg aus diesem Gefängnis suchte, in welchem er aufgewachsen war. Er wusste nichts von der Welt außerhalb seiner dunklen Kerkermauern, aber Angst schien er davor nicht zu haben. Er wollte nur Antworten auf seine Fragen finden, die ihm anscheinend jeder mutwillig verschwieg. Plötzlich standen sie auf einem dunklen Flur und es hetzten Leute umher, sie sahen sich um und liefen weiter. Direkt vor ihnen trafen sich zwei Männer in hellgrauen Kutten und atmeten ihre Erschöpfung aus. „Hier oben ist nichts“ atmete der eine, dessen Gesicht fast vollständig von einer dünnen Kapuze bedeckt war. „Er muss noch unten sein.“ „Der Meister sagt, wir sollen keine Hektik aufkommen lassen“ keuchte der andere, der sich seine eigene Kapuze gerade hinzog. „Sag den Männern, sie sollen nicht rennen. Je ruhiger es ist, desto leichter werden wir ihn finden. Er soll nicht merken, dass wir in Panik sind, wenn wir ihn nicht finden.“ „Sagst du so leicht. Ich will ihm nicht begegnen. Dieser Dakar hat mir schon immer Angst gemacht.“ „Und ich will lieber Meister Ophala nicht begegnen. Also mach schon.“ Sie trennten sich ohne ein weiteres Wort und gingen schnellen Schrittes in entgegengesetzte Richtungen. Anscheinend suchten sie jemanden, der ihnen ausgekommen war. Und da die Kette diese Szene dafür ausgesucht hatte, ließ sich denken, wer hier auf der Flucht war. Zumal sich auch in diesem Moment die Wand zu bewegen schien und der junge Dakar hervortrat. Als hätte er dort in der Dunkelheit gestanden. Die beiden Suchenden waren quasi schon direkt vor ihm gewesen und hatten ihn doch nicht bemerkt. Er hatte das Talent, sich so ruhig zu verhalten, dass er aus seiner Umgebung nicht herausstach. Er war eben auch ein Meister seines Fachs, lag lautlos auf der Lauer bis man ihn erst sah, wenn er dies auch gestattete. Er blickte sich nicht um und trat langsam einen Schritt vor den anderen. Wenn er wirklich auf der Flucht war, dann nicht wie ein Verbrecher. Er verhielt sich ganz ruhig, fiel nicht auf. Seine Füße machten auf dem Steinboden kein einziges Geräusch. Als würde es ihn gar nicht geben. So kam er ungehindert bis zu einer großen Tür, welche er aufdrückte und hinaustrat. Geschafft, er war aus dem Gebäude raus! Er stand einen Moment dort und sah sich um. Es war dunkle Nacht und vor ihm erstreckte sich eine kleine Straße, welche durch zweistöckige Häuser beengt wurde. Die typische Seitenstraße einer Großstadt. Das Gebäude hinter ihm war nicht besonders groß, scheinbar spielten sich die meisten Dinge im Untergrund ab. In einiger Entfernung kamen zwei in schwarzen Anzügen gekleidete Männer auf ihn zu, die ihn sicher auch suchten. So wählte er die andere Seite, hielt sich nahe an der Wand und schlich mit seelenruhigen Schritten hinaus in die Welt. Die nächste Szene zeigte die Stunden danach. Dakar stand an der Reling eines Schiffes und blickte aufs Flussufer, an welchem sich weiße Villen aneinander reihten, an dessen schmalem Strand ein paar Leute in sommerlicher Kleidung spazierten. Im Hintergrund erkannte man noch den Hafen, aus dem dieses Schiff sicher ausgelaufen war. In der Mitte türmten sich ein paar Container auf und doch saßen an der Spitze ein paar Menschen an sonnenschirmgeschützten Tischen. Vielleicht eine Art Transporter, welcher auch Passagiere mitnahm. Dakar jedenfalls hielt sich von ihnen fern und stand weiter hinten. Sicher hatten sie ihn auch nicht gesehen, denn als in diesem Moment eine Frau um den unteren Container bog, blieb sie überrascht stehen. Sie selbst trug ein weißes Kleid mit rotem Blumenmuster und einen roten Sonnenhut, während Dakar mit seiner zierlosen, schwarzen Kleidung und seiner blassen Haut nicht besonders sommerlich aussah. „Oh, noch ein Passagier“ bemerkte sie überrascht. „Gut, dass ich dich treffe. Kannst du mir sagen, wie ich wieder nach vorn komme? Ich bin unten lang gelaufen und dann schlug die Tür hinter mir zu. Hast du ...?“ Aber sie stockte, als er ihr den Blick zuwand. Seine Augen waren so schluckend schwarz und zeigten in der Sonne einen giftigen Gelbschimmer. Er sah nicht aus wie ein Schuljunge, den man einfach so ansprechen konnte. „Bist du auch ... eben mit uns an Bord gegangen?“ Dann hätte sie ihn doch sicher bemerkt. So einen gruseligen Jungen. „Ich kam herein, als der Himmel noch dunkel war. Aber nun hat er sich verändert“ antwortete er mit leiser, tonloser Stimme und drehte sich zurück. Er hob den Kopf dem Himmel entgegen, der bei diesem strahlenden Wetter nicht mal eine Wolke zeigte. „Warum färbt sich der Himmel? Warum hat sich das Land in bunte Farben gekleidet? Hat mich die Sonne bereits dumm gemacht? Ist das Kunst? Ist das ‚Tahiti’?“ „Wenn du nach Tahiti willst, bist du wörtlich auf dem falschen Dampfer“ gab sie sichtlich verwirrt zur Antwort. „Dieser Dampfer fährt erst mal nach Domino.“ „Domino“ wiederholte er mit inhaltsloser Stimme. „Die Stadt, in welcher der Pharao lebt? Ist es deshalb so bunt geworden? Ist das seine wahre Macht? Verwandelt er die Welt in Farben?“ Ihr Blick verhüllte nicht die Bedenken, die sie so langsam bekam. Ganz eindeutig fragte sie sich, wo dieser Junge ausgebrochen war. „Ich ... finde den Weg sicher auch alleine. Danke schön“ nickte sie und wollte schnell an ihm vorbeihuschen, aber mit nur einer Handbewegung und einem Blick ließ er sie stehen bleiben und forderte erneut ihre Augen, ihn anzusehen. „Du bist einer von den dummen Menschen. Das habe ich gleich gewusst“ sprach er weiter und spießte sie mit seinem nachtschwarzen Blick auf. „Sag mir, ist es wahr, dass ihr nichts vom Pharao wisst?“ „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Obwohl ihr die Tränen in die Augen stiegen und sie langsam echte Angst bekam, konnte sie sich doch nicht abwenden und weglaufen. Unsichtbare Kräfte lähmten ihre Beine. Sie wollte entkommen, konnte aber nicht. Als hielte eine unsichtbare Macht ihren Körper an Ort und Stelle. „Dann ist es wahr“ sprach er mehr zu sich selbst als zu ihr. „Sag mir, Frau, ist es auch wahr, dass ihr dummen Menschen nicht im Schattenreich geboren werdet?“ „Ich weiß nicht ... was willst du von mir ...?“ „Du kennst das Schattenreich nicht. Die Lehre von eurer Dummheit ist also wahr“ stellte er für sich selbst fest. Ob ihn das nun positiv oder negativ stimmte, ließ seine gefühlskalte Mine nicht erkennen. „Sag mir. Wie werden dumme Menschen geboren, wenn nicht durch Schatten? Wie erschafft ihr eure Seelen und eure Körper?“ „Ich bin nicht dumm ... aber du ... du bist ...“ „Sag mir deine Lehre, Frau“ bat er mit toter Stimme. „Welche Erklärung hast du, dass sich der Himmel in rot, violett und gelb färbte und nun hellblau ist? Warum ist er nicht mehr schwarz, so wie es immer war? Wo sind die Sterne? Was ist geschehen?“ „Wahrscheinlich ist doch nur die Sonne aufgegangen“ antwortete sie ihm unter Tränen. „Das ist jeden Morgen so. Hast du noch nie die Sonne gesehen?“ „Die Sonne“ wiederholte er. Ratlos. Als würde er das Wort nicht kennen und doch schon darüber gehört haben. „Sag mir, wie sieht die Sonne aus?“ „So ...“ Mit zitterndem Arm zeigte sie zur Seite, von wo die Sonne auf sie herabschien. Noch niemals hatte man ihr so merkwürdige Fragen gestellt. Und mit diesem Typen, der ganz sicher auf Drogen war, allein zu sein, war ebenso beängstigend, wie sich nicht bewegen zu können. Wie in einem schlechten Traum, aus dem man schweißgebadet aufwachte. „Das also nennt ihr Sonne.“ Er reckte seinen Blick hinauf und wand ihn dann doch mit zugekniffenen Augen wieder ab. „Kannst du in ihre Macht sehen? Oder ist das nur mir verboten? Meine Augen schmerzen davon ...“ „Direkt in die Sonne gucken, ist schädlich.“ „Dann können also auch dumme Menschen sie nicht erkennen, wenn sie ihre Macht entfaltet ... sag mir, ist es auch so mit dem Pharao? Dass man seine Macht nicht sieht und nur ihre Auswirkungen spürt? So wie die Sonne?“ „Von welchem Pharao redest du immer? Bitte frag doch jemand anderes ... ich ... ich muss wieder zurück ... bitte ...“ „Stimmt, ihr wisst nichts vom Pharao. Das vergaß ich“ redete er tonlos zu sich selbst. Dass sie Angst vor ihm hatte, schien ihn gar nicht zu interessieren. „Aber sag mir, Frau, ist es normal für dich, die Sonne zu sehen? Hast du jemals einen schwarzen Himmel gesehen?“ „Tags ist es hell und nachts ist es dunkel ... das ist ganz normal ...“ „Normal ... für dich vielleicht. Ich sehe die Sonne heute zum ersten Mal. Ich sehe sie nicht mit den Augen. Mein Körper sieht sie ... ich spüre sie ...“ Er schloss seine stechenden Augen und wand die Nase in die warmen Sonnenstrahlen. Angst schien er keine zu haben, viel eher suchte er nach dem Sinn des Ganzen. Er trat heute zum ersten Mal aus dem Dunkel heraus und spürte die Sonne. Angst hatte er keine, aber er war zugegeben ein wenig verwirrt. „Sag mir, können auch dumme Menschen die Sonne spüren? Dieses Gefühl auf der Haut und in den Haaren?“ „Jeder spürt die Sonne ...“ „Wenn du den Pharao nicht kennst, welcher der Sonne so ähnlich sein soll, so sag mir, an wen denkst du, wenn du die Sonne siehst? Wenn du die Augen schließt und ihre Macht auf deiner Haut fühlst. Woran denkst du? Oder fühlst du es gar nicht? Dieses ... Gefühl von ... fremder Wärme, welche die deine wird.“ „Ich denke an meine Mutter, wenn es warm ist. Im Sommer“ antwortete sie brav, auch wenn sie gleich weinen musste. Doch weinen konnte sie so wenig wie weglaufen. Es war, als würden ihr die ehrlichen Antworten geradezu ausgesaugt. „Mutter“ wiederholte er mit entspannten Gesichtszügen. „Ist Mutter wie Tahiti? Ein Kunstwort?“ „Tahiti ist eine Insel in der Südsee und eine Mutter ist eine Mutter.“ „Eine Insel. Tahiti ist eine Insel. Du meinst, so wie Irland oder Indonesien?“ „Ja, genau ...“ „Aha ... und was ist Mutter?“ Er öffnete seine Augen und blickte die verängstigte, gefesselte Frau an, die ihm ebenso merkwürdige Antworten gab, wie er für sie merkwürdige Fragen stellte. „Die Frau, die dich geboren hat und für dich sorgt. DAS ist deine Mutter!“ „Mutter ... wozu soll das gut sein? Ich kann für mich selbst sorgen.“ „Niemand kann das“ betete sie ihn hilflos an. „Eine Mutter sorgt sich um dich und behütet dich. Sie hält dich warm, wenn dir kalt ist. Sie liebt dich. DAFÜR sind Mütter gut. Und du solltest auch lieber zu deiner Mutter gehen!“ „Meine Mutter ... so etwas habe ich nicht. Haben nur dumme Menschen eine Mutter?“ „Jeder Mensch hat eine Mutter, verdammt! Sonst könnten wir gar nicht leben! Ohne Mutter wird keiner geboren“ rief sie verzweifelt. „Bitte lass mich gehen! Was immer du bist! Lass mich gehen! Tu mir nichts!“ „Ja, du kannst gehen. Du verwirrst meinen Geist und machst mich dumm“ meinte er und ließ sie frei. Das zeigte sich daran, dass ihre Knie einknickten und sie erst zu Boden fiel, bevor sie aufstand und ohne einen letzten Blick von ihm fortlief. „Und vergiss unser Gespräch, dumme Frau. Ich will nicht, dass du dich an mich erinnerst und sie deine Gedanken lesen.“ Mit einer Handbewegung schickte er ihr einen unsichtbaren Zauber hinterher, worauf sie das Rennen stoppte, kurz stehen blieb und dann in aller Ruhe einen Schritt vor den anderen setzte. Er wand sich indessen wieder mit geschlossenen Augen der Sonne zu, welche so angenehm auf seiner Haut brannte. „Dumme Menschen werden von einer Mutter geboren“ reimte er sich allmählich zusammen. „Meine Mutter ist das Schattenreich, wo ich geboren wurde ... und wenn ich ein dummer Mensch wäre? Hätte ich dann auch eine Mutter, die sich wie Sonne auf der Haut anfühlt? Wäre meine Welt dann auch ... wie Tahiti?“ „Ich an ihrer Stelle hätte auch ziemliche Angst gehabt“ meinte Mokuba, der sich das mit offenem Mund ansehen musste. „Der ist total weltfremd ...“ „Das ist aber nicht seine Schuld. Der Arme ...“ dachte Mokeph und ließ leise den Kopf hängen. „Er glaubt, er wäre im Schattenreich geboren worden ... der Zirkel hat ihn in Dunkelheit aufgezogen ... er weiß nicht mal, dass jeder Mensch eine Mutter hat ... wie grausam. Und ich war nicht bei ihm ...“ „Und das ist nicht deine Schuld.“ Er sollte jetzt kein schlechtes Gewissen bekommen. Schließlich hatte er niemals gewusst, dass er Vater eines Jungen geworden war, der vom Zirkel wie eine menschliche Waffe gedrillt wurde. „Du hast gar nicht gewusst, dass es ihn überhaupt gibt. Du solltest lieber stolz darauf sein, dass dein Sohn den Weg nach draußen ganz allein gewagt und geschafft hat.“ „Trotzdem“ seufzte er und sah ihn traurig an. „Ich glaube nicht, dass der Zirkel ihn einfach so hergegeben hat ...“ Was die Kette ihm durchaus bestätigen konnte. Die Szene änderte sich und der warme Sommertag auf dem Fluss wandelte sich in eine nasse Straße, auf welcher sich das künstliche Licht der Laternen in flachen Regenpfützen wiederspiegelte. Regnen tat es zwar momentan nicht, aber die Kleidung der Menschen um sie herum verriet, dass es sehr kalt und nass war. Auch wenn ihre Aufmachung nicht gerade von winterlichem Modeverständnis zeugte. Die Menschen, welche hier standen und gingen, scharten sich um eine Art Wohnmobil, dessen seitliche Schrift man kaum lesen konnte. Aber die Szene verriet sich selbst. Die Menschen waren im Lumpen gekleidet, trugen verschiedene Schuhe, unterschiedliche Handschuhe und schmutzige Jacken über Schichten mehrerer Hosen. Ihr Hab und Gut trugen sie in Plastiktüten bei sich, kaputten Koffern oder einfach am Leibe. Im Wohnmobil bekamen sie einen Plastiknapf mit dampfendem Inhalt, welchen sie mit sich fortnahmen und am Rande der Straße in Ruhe verspeisten. Ein trauriges Bild, aber leider auch das Gesicht einer jeden Großstadt, die nicht nur schöne Züge besaßen. Die Szene bewegte sich um sie und leitete ihren Blick um das Wohnmobil herum, dessen Schriftzug man nicht mehr zu lesen versuchen musste, um dahinter zu kommen, was sich hier tat. ‚Freiwillige Diakonie Domino’ stand dort in großen, roten Lettern geschrieben. „Das wird schon wieder.“ Die aufheiternde Stimme kam vom Rande des Wagens und als sie sich umblickten, staunten sie doch nicht schlecht. Wer genau es war, konnten sie spontan gar nicht sagen, aber dort saß entweder Mokuba oder Mokeph. Die langen, schwarzen Haare wallten unter der feinen Baskenmütze hervor und diese feinen Gesichtszüge waren unverkennbar. In schwarzen Schuhen, weißer Jeans und schwarzem Mantel gekleidet, schloss er gerade den Arztkoffer zu seinen Füßen, während sich eine verlotterte Frau vom Stuhl erhob und ihr schmutziges Hosenbein über den frischen Verband schob. „Vorsichtig gehen.“ Als sie sich gerade herumdrehte und ein paar Schritte gehumpelt war, stieß sie beinahe mit dem nächsten zusammen, der da um die Ecke bog. Und jetzt ließ sich auch denken, dass der Arzt am Mobil Mokuba war. Denn der zweite sah ganz anders aus. Dunkelblaue Turnschuhe, abgewetzte Jeans und eine weinrote Jacke sahen nicht gerade nach modischem Geschmack aus. Und die schulterlangen Haare waren auch nicht glatt und polang, sondern zerzaust und notdürftig irgendwie zusammengebunden. Das war dann ganz sicher Mokeph. Zumal auch seine Stimme einen ganzen Tick dunkler war. Auch wenn er sich ansonsten nicht wesentlich von seiner zweiten Hälfte unterschied. „Nächste Woche bringen wir Ihnen eine Krücke mit“ versprach er und tätschelte ihren Arm, als sie den Kopf senkte und an ihm vorbeihumpelte. Gesprächig jedenfalls war die halb zerfallene Frau nicht besonders. „Sie ist nicht gut drauf heute, oder?“ zeigte er auf sie, während er sich dem dort sitzenden Mokuba näherte. „Sie hat Fieber bekommen“ seufzte der und sah ihn mit sanft schwarz schimmernden Augen an. „Und ihre Trombose wird immer schlimmer. Ich denke, ich werde nachher Yashiro bescheid sagen, damit er sie mit dem Krankenwagen abholt.“ „Mit so einer Trombose sollte man nicht spaßen ... aber so spaßig ist es heute wirklich nicht“ meinte auch er und lehnte sich neben ihn an das Wohnmobil, welches anscheinend mobile Krankenstation und Essensausgabe gleichermaßen darstellte. Nur das Essen wurde von zwei jungen Mädchen bedient, welche eher nach Praktikantinnen oder jungen Schwesternschülerinnen aussahen. „Ich hab eben erfahren, dass Krösus nicht mehr kommt. Sie haben ihn vorgestern erfroren am Hafenbecken gefunden.“ „Der Winter ist besonders hart“ seufzte Mokuba bedrückt. „Dann ist es nass und kalt. Und Leute wie er ... es war doch abzusehen, dass es so endet. Rah segne ihn.“ „Ja ... er segne ihn“ stimmte auch Mokeph ein wenig betroffen mit ein. Jemanden zu verlieren, war hart. Selbst, wenn es nur ein alter Penner war. „Ich weiß nicht, ob ich mir das hier noch lange mit ansehen kann. Ich hab schon Alpträume.“ „Unser Dienst ist doch in drei Wochen eh beendet. Dann haben wir das Halbjahr voll“ tröstete sein Yami. „Aber ich überlege, ob ich mich für noch ein Halbjahr verpflichte. Ich helfe gern Menschen, die es nicht so dicke haben wie wir. Es enden nicht alle wie Krösus. Ich glaube, ein bisschen hat er es auch so gewollt. Wir sollten an die denken, die wirklich unsere Hilfe wollen. Und ich glaube, das sind einige.“ „Du bist da wahrscheinlich härter im Nehmen als ich“ seufzte er erneut und strich sich eine verirrte Strähne unter die Mütze zurück. „Ich bleibe lieber in der Uniklinik. Ich glaube, praktische Allgemeinmedizin ist nicht so mein Ding ... ich bleibe lieber bei der Forschung. Die Viren sehen mich jedenfalls nicht so traurig an.“ „Musst ja auch nicht, wenn deine Nerven das nicht mitmachen. Du sollst dich ja nicht kaputt machen. Zigarette?“ Er hielt ihm seine Schachtel hin, die Mokuba ihm sogar frecherweise ganz aus der Hand schnappte. „Hey! So was das nicht gemeint!“ „Ich hab meine Leute alle versorgt, im Gegensatz zu dir“ meinte er, als Mokeph versuchte, sich seine Schachtel zurück zu holen und die Arme leider nicht lang genug waren, um über ihn hinüber zu greifen. „Ich bin auch fertig“ entgegnete er beleidigt. „Bist du nicht. Da ist noch einer, zu dem du gehen solltest“ zeigte er in Richtung einer schmalen Gasse, die sich zwischen zwei mittlere Lagerhäuser zwängte. „Ich hab Gogos Finger behandelt und er hat mich gebeten, dass wir da in der leerstehenden Halle noch mal gucken. Da soll ein Junkie liegen und ziemlich runter sein. Wahrscheinlich auf Dust. Solche Typen sind doch deine Lieblingskunden.“ „Und du denkst, du kannst hier rumhängen, während ich arbeite? Nix da, du kommst mit, Kaiba.“ Ohne ihn weiter zu fragen, schnappte er sich den Koffer und zog ihn mit sich, bevor er sich noch mal zur Essensausgabe umdrehte. „Mito, wir sind noch mal da in der Halle nachsehen.“ „Okay!“ Eines der Mädchen winkte den beiden, bevor sie den nächsten Bedürftigen mit heißem Eintopf versorgte. „Ich wäre auch mitgekommen, ohne dass du mich ziehst“ schmollte Mokuba und steckte sich die Zigaretten in die Tasche. „Wir könnten auch erst eine rauchen ...“ „Du benimmst dich wie ein Kind. Werd endlich erwachsen“ ermahnte er und klopfte im liebevoll auf die Schulter. „Seit dem letzten Mal gehe ich nicht mehr gern in solche Lagerhäuser rein.“ Sein Blick wanderte ehrfürchtig an dem alten Hafengebäude empor, welches da so unverrückbar und dunkel aufragte. „Deswegen gehen wir ja nur noch zu zweit.“ „Du meinst, bevor wieder so ein Irrer mit ner Knarre auf dich losgeht? Junkies gehören nicht zu meinen Lieblingspatienten. Die sind total krank im Kopf. Und seit es Dust gibt, werden sie immer unberechenbarer. Gruseliges Zeug. Gruselige Typen.“ „Trotzdem weiß ich, dass du ein gutes Herz hast. Sonst hättest du nicht gesagt, dass da noch einer drinnen liegt.“ „Ich hab kein gutes Herz, sondern sonst ein schlechtes Gewissen. Das ist ein Unterscheid, Mokeph.“ Und dass er jedes Mal daran denken musste, wie er vor Jahren seinen eigenen Bruder in der Gosse hatte liegen sehen, zugedröhnt und lebensmüde ... das war sicher einer der Gründe, weshalb er Straßenjunkies eher aus dem Weg ging und ihnen doch helfen musste. Hätte man Seto damals trotz seines kranken Aussehens geholfen, hätte er seinen Selbstmordversuch vielleicht niemals unternommen. Und jeder von den gruseligen Typen könnte wie sein Bruder sein. „Na, wenn du meinst“ meinte Mokeph und trat voran durch die türenlose Zarge in eine spärlich beleuchtete Lagerhalle. Hier drin sah man nicht viel mehr als hohe, dunkle Wände. Darin schmutzige, kaputte Fensterscheiben und auf dem Boden ein paar zerfetzte Holzkisten, die wohl von der damaligen Lagerhaltung hier zur Verrottung zurückgelassen wurden. „Hallo?“ rief Mokeph in den hallenden Raum hinein. „Ist hier jemand?“ Aber eine Antwort bekam er entsprechend sämtlicher Erwartungen nicht. Natürlich nicht. Solche Patienten musste er sich selbst suchen. „Hallo?“ Nochmals rief er in den Raum und sah sich vorsichtig um. Bei Drogensüchtigen wusste man niemals, wie sie reagierten. Manche blieben ruhig liegen ... andere zogen Waffen. „Da.“ Mokuba zeigte leise in die linke Ecke der verdreckten Halle. Durch das beschlagene, kaputte Fenster drang ein seichtes Laternenlicht und mit etwas Mühe konnte man einen Haufen Kleidung dort liegen sehen. Wenn hier jemand war, dann dort. Mokeph seufzte tief, griff Mokubas Arm und ging zwar festen Schrittes, aber immer vorsichtig auf den leblosen Haufen zu. Beim Näherkommen erkannten sie Beine mit blutigen Füßen, schmutzige Kleidung und einem Arm. Der Rest war mehr oder weniger von einer dunkelbraunen Plastikplane verdeckt. „Hey Kumpel“ sprach Mokeph ruhig, stellte den Arztkoffer auf den Boden und kniete sich selbst herunter. „Wie heißt du?“ Unter der Plane regte sich nichts. Dieser Mensch war entweder tot oder vollkommen kaputt. „Ich bin Mokeph“ sprach er einfach weiter. „Ich hab gehört, dass sich da draußen einer Sorgen um dich macht und jetzt will ich mal sehen, ob ich dir helfen kann. Ist das okay für dich?“ Nun bewegte sich etwas unter der knackenden Plane und man hörte ein Flüstern. Was genau jedoch der Mensch darunter sagte, ließ sich nicht verstehen. Mokeph und Mokuba warfen sich einen Blick zu, bevor ersterer die Plane vorsichtig griff und beiseite zog. „Lass dich doch mal ansehen, mein Freund.“ Als er jedoch das schmutzige Gesicht im fahlen Laternenlicht erkannte, stockte nicht nur ihm der Atem. Obwohl die Wangen des langen Gesichtes eingefallen und die blutunterlaufenden Augen halb geschlossen waren, erkannte er nicht nur die Ähnlichkeit zu sich selbst, sondern spürte auch eine Kraft, die er vor seinem Lebensende niemals wieder zu spüren gedacht hätte. Diese leise, hinterhältige, glatte Kraft purer, tiefer Stiche. „Apophis?“ sprach er ehrfürchtig aus. „Bist du das?“ „Tahiti“ flüsterte der niederliegende Junge schwach. „Mutter Tahiti ... ich gehe nicht zurück … finde …” „Der ist total auf Droge“ sprach Mokuba und kniete sich neben Mokeph. „Komm zu dir, Mann. Das ist nicht Apophis. Der Junge hat einen Tripp.“ „Aber er ist ... wer ist er? Diese ... Aura ...“ Mokuba wusste scheinbar auch nicht, was er ihm darauf antworten sollte. Dass von diesem Jungen eine geheimnisvolle Aura ausging, konnte auch er nicht leugnen. Er wusste nur, dass er in ihm eher Mokeph sah als Apophis. Bis eine leise, glatte Stimme in die kalte Luft drang. „Unser Sohn“ sagte sie und beide blickten erschrocken auf. Mokeph fand ihn zuerst. Neben sich auf dem Boden, in einem zerschollenen Spiegel, welcher wie von selbst silberngelb zu leuchten begann und das Abbild stichgelber Augen und einer weißgrünen Haut zeigte. Den bulligen Kopf einer verschlagenen Kreatur. „Apophis“ hauchte Mokeph und sein Gesicht verzog sich zu einer Mischung aus Freude, Unglauben und Trauer. „Warum ... wer ...?“ „Mein Würmchen.“ Ein Lächeln konnte diese bewegungslose Mine nicht zeigen, aber man hörte eine gewisse Regung in der seichten Stimme. „Ich habe ihn dir zugeleitet. Sein Name ist Dakar. Ich gebe dir hier unseren Sohn.“ „Warum sagst du das?“ warf er ihm verletzt entgegen. „Ist dir langweilig oder warum kommst du zu mir, um mich zu verarschen?“ „Eine nettere Begrüßung hatte ich eigentlich erwartet. Wo ich doch mit meinem Erscheinen hier ein großes Risiko eingehe“ sprach er völlig unbeeindruckt weiter. „Dich hat’s doch noch nie gekümmert, ob Seth dir was verbietet“ widersprach er und konnte seinen Schock über die ein oder andere Gegebenheit nicht verbergen ... vielleicht wollte er das auch gar nicht. „Also tu nicht so! Was willst du von mir?“ „Wie ich bereits sagte, will ich dir unseren Sohn aushändigen. Ich habe ihn die Magie gelehrt. Nun musst du ihn das Leben lehren. Erinnerst du dich an das Mädchen, welches ich dir vor Jahren schickte?“ „Mädchen“ wiederholte er beunruhigt. „Welches Mädchen?“ „Die Schlangen, der Alkohol, die Toilette?“ fragte er hilfreich zurück. „Ihre warmen Brüste, ihre vollen Lippen, ihre willigen Triebe? Ich wusste, sie würde dir gefallen. Und ich hatte Recht. Ich kenne doch mein Würmchen.“ „Was willst du mir sagen?“ Auch wenn man ihm ansah, dass er recht schnell dahinter stieg, was ihm hier beigebracht werden sollte. „Du willst mir nicht weißmachen, ich habe einen Sohn von dieser Frau und weiß nichts davon! Das ist Jahre her!“ „Deswegen sage ich es dir ja jetzt“ zischte er mit einem hinterhältigen Lachen. „Sie hat einen Sohn geboren. Mit meinem Geiste aus deinem Samen. Und nun, wo seine Magie ausgereift ist, übergebe ich ihn in deine Obhut. Benutze ihn wie es dir beliebt.“ „Das kannst du nicht machen!“ schrie Mokeph ihn an. Voller Verunsicherung und Wut. Wie sollte man denn auch darauf reagieren, wenn man plötzlich einen Junkie als gemeinsamen Sohn von einem Gott aufgedrängt bekam? „Ich habe bereits vier Töchter und meine Frau ist wieder schwanger!“ „Aber sie ist nicht in der Lage, dir einen Sohn zu schenken. Deshalb nimm ihn als Symbol dafür, dass ich noch immer bei dir bin. Damit du mich über dein irdisches Glück nicht ganz vergisst.“ „Apophis! Bleib gefälligst hier! Wir haben das noch ...“ Aber den Schlangengott interessierte das nicht weiter. Sicher hatte er geahnt, dass Mokeph einen unehelichen Sohn in seinem sauberen Leben nicht gebrauchen konnte. Aber er wollte ja nicht, dass sein Leben allzu sauber blieb. Und außerdem: Was eine menschliche Frau nicht zustande brachte, war für ihn doch eine Leichtigkeit. Warum sollte er mit seinem Geliebten keinen Sohn haben? „Du hast ihn damals echt im ersten Moment für Apophis gehalten“ stellte Mokuba halb belustigt, aber auch halb betroffen fest. „Er hat ja auch ziemliche Ähnlichkeit mit ihm. Aber geglaubt, hätte ich das nie“ meinte Mokeph und schlang seine Arme um sich, als würde er frieren. „Ich frage mich nur, wer ihn so zugerichtet hat. Dakar muss ziemlich viel durchgemacht haben. Die Schlange hat ihn die Magie gelehrt ... aber vom Leben scheint er gar nichts zu wissen.“ Die Kette sprang weiter und führte sie fort von dieser schmutzigen, nasskalten Halle und hinein in ein vorwiegend weißes, warmes Zimmer. Mit der schlichten, neutralen Einrichtung war es nicht schwer als das Zimmer eines gehobenen Krankenhauses zu erkennen. Steriler Stahl und beschichtetes Holz in hellen Tönen kamen wohl so schnell nicht aus der Mode. Hier fand sich alles, was man brauchte. Ein Bett, ein Tisch mit ein paar Stühlen, ein kleines Regal an der Wand und eine Glastür zum Balkon, welche jetzt aber geschlossen war und nur einen erhobenen Blick in den Innenhof eines ringförmigen Gebäudes gestattete. Und inmitten dieses Raumes saß auf seinem Bett Dakar. Er trug einen Verband um seinen Unterarm und einen hellgrauen Schlafanzug aus Baumwolle, dazu dicke Socken um seine Füße. Er hatte sein Kinn auf die hochgezogenen Knie gelegt und blickte nachdenklich auf den Boden. Als es an der Tür klopfte, horchte er nicht auf. Seinen Blick hob er erst, als die Tür sich tatsächlich öffnete und Mokeph hereintrat. Seine Jacke hatte er über den Arm gelegt und sah mit einem weißen Hemd und einer dunkelblauen Stoffhose gleich nicht mehr ganz so stark nach Streetworker aus. Man sah ihm jetzt viel eher an, dass die Jahre ins Land gezogen waren. Er war zwar nicht wesentlich gewachsen, aber seine Konturen hatten sich stärker entwickelt. Er war recht schlank, aber durchaus als männlich erkennbar. Nur die dunkle Schwärze seiner Augen war über all die Zeit dieselbe geblieben. „Schön, dass du wach bist“ sprach er mit ruhiger Stimme. „Ich bin Mokeph. Kann ich reinkommen?“ „Ich habe geträumt“ antwortete er zur Frage vollkommen unpassend. Er regte sich sonst nicht und sprach tonlos. „Die Schlange hat wieder zu mir gesprochen. Sie sagte, du seiest der Schatten, der mich geboren hat. Mein Fleisch, an dem ich mich laben soll. Sie sagte, du würdest mir Antworten geben. Deshalb habe ich dich gesucht, ohne dich zu finden. Und doch hast du mich gefunden. Nun weiß ich nicht, was geschehen wird. Seitdem ich deine Stimme hörte, sprach die Schlange nicht mehr zu mir.“ „Dafür sprach sie zu mir“ erwiderte er und schloss die Tür hinter sich. Er kam auch ohne ausdrückliche Erlaubnis herein, legte seine Jacke über die Stuhllehne und setzte sich zu ihm aufs Bett. Auch wenn er nicht angesehen wurde. Das Gesicht dieses Jungen wirkte so glatt, so kalt. Als hätte es noch niemals in seinem Leben eine wahre Regung gezeigt, so faltenlos schien es. Wie aus Gips gegossen. „Die Schlange, welche du in deinen Träumen siehst. Ihr Name ist Apophis. Und er ist ein Gott. Der Gott von Verführung und Verderben. Und anscheinend dein geistiger Vater.“ „Mein geistiger Vater“ wiederholte er tot. „In der letzten Zeit habe ich diffuses Wissen angehäuft. Vater ist das Gegenstück zu Mutter. Nur dumme Menschen haben Vater und Mutter. Ich bin ein Magier und habe keine Eltern. Magische Menschen wie ich werden von Schatten geboren. Warum also behauptest du in deinem Brief, du wärest mein Vater? Ich spüre, du bist ein Hexer. Warum behauptest du Dinge, welche nur dumme Menschen glauben? Ist es, weil der Zirkel dich nie die Wahrheit lehrte?“ „Nein“ antwortete er hörbar bedrückt. „Ich glaube, du bist es, der die Wahrheit nicht lernte. Du hattest sicher eine harte Zeit beim Zirkel. Aber es freut mich, dass du meinen Brief anscheinend gelesen hast. Du hast mich eben auch gleich erkannt, als ich reinkam. Habe ich Recht?“ „Du kannst nicht mein Vater sein. Du bist ein Hexer. Hexer zeugen dumme Menschen oder Hexen. Niemals Magier. Ich bin höher als du. Mokeph.“ „Die Magie sagt nichts darüber aus, wie gut oder schlecht ein Mensch ist“ belehrte er seine festgelehrte Meinung. „Du darfst Menschen nicht als dumm bezeichnen, nur weil sie keine Magie haben. Und es ist nicht wahr, dass Magier aus Schatten geboren werden. Schatten töten Seelen, aber sie gebären sie nicht. Der Zirkel lehrte dich Lügen.“ „Warum sollte mein Meister das tun? Ich erkannte, dass er mir Dinge verschwieg und als die Schlange zu mir sprach, zog ich aus. Getrieben von Fragen, um Antworten zu finden. Aber Lügen? Warum sollte er mich Lügen lehren?“ „Sicher wollte dein Meister dich an sich binden. Wenn ich in deine Augen sehe, scheinen sie mir wie tot. Und ich glaube, das kommt nicht durch die Drogen, die du nimmst.“ „Ich nehme keine Drogen. Es ist Erkenntnis und Licht in meinen Adern. Heiliges Material, von dummen Menschen entdeckt. Wonnen, welche mir versagt wurden. Ein Gefühl von Tahiti.“ Auf seine Lippen legte sich ein verklärtes Lächeln und er lehnte sich mit umschlungenen Armen an die Wand zurück. „Diese klare Flüssigkeit ist das Licht des Pharao. Es ist für alle Menschen da und ich glaube daran. Wenn es in mich fließt, wird mir warm und es umschließt mich eine Welt, wie sie wundervoller nicht sein kann. Das ist Urlaub.“ „Diese wundervolle Welt wird dich töten“ sagte er ihm besorgt. Dieser Junge war magisch vielleicht sehr stark, aber sein Geist war vollkommen verwirrt. Er strickte sich die Antworten zurecht, um Hoffnung zu schaffen und er sprach Worte aus, die er nur halb verstand. „Ich habe in deinen Taschen Dust gefunden. Weißt du eigentlich, dass Dust die Menschen hoch abhängig macht und auf kurze Dauer tödlich ist? Selbst wenn du Giftmagier bist, kann dich das Zeug umbringen. Willst du das?“ „Dumme Menschen nennen es Dust ... ich weiß es besser. Es ist das wahre Licht. Und eines Tages wird es mir die Erkenntnis bringen, die ich suche.“ „Du weißt überhaupt nichts vom Leben und das wahre Licht kannst du nicht in Drogen erblicken. Glaube mir meine Worte.“ „Warum sollte ich einem Hexer glauben, der mir dumme Briefe schreibt?“ fragte er tonlos zurück und erstach ihn mit seinen spitzen, schwarzen Augen. „Du siehst nicht dasselbe Licht wie ich. Ich habe es gefunden und ich lasse es mir nicht mehr nehmen. Selbst wenn mir eine Traumschlange sagt, du wärest mein Vaterschatten. Ich glaube nichts von dem, was in deinem Brief steht. Wer sagt mir, dass nicht du es bist, der lügt?“ „Vom Zirkel in den Drogensumpf. Er lässt dich wirklich die härtesten Erfahrungen zuerst machen“ seufzte Mokeph tief und blickte ihn mitleidig an. Dakar erwiderte seinen Blick und für Außenstehende war die Ähnlichkeit unbestreitbar. Nicht nur, da sie dieselben Augen hatten, sondern Dakar blickte genauso wie Mokeph damals, bevor er das Licht des Pharaos kennenlernte. Auch wenn er nicht von Hass erfüllt war. Viel eher war er erfüllt von Lügen und Schweigen und getrieben von der Sehnsucht nach etwas, was er nicht kannte. „Ich will dir etwas zeigen“ sprach er dann und griff in seine Tasche. Dakar sah ihn nur weiter an und blieb auch dann noch teilnahmslos, als sein Vater eine goldene Scheibe herauszog und ihm entgegenhielt. Unter seinem leeren Blick entfaltete er dieses golden glänzende Gebilde, schob zwei weitere Scheiben zur Seite und es hingen ein paar dünn gekettete Fäden herab. Aus der Mitte klappte er einen kleinen Stab aus und wie von selbst bildete sich daraus eine Handwaage mit einem Stiel, einer kleinen Standplatte und zwei Waagschalen. Die Verzierungen überall wirkten mystisch und belebten seinen toten Blick, zauberten Neugierde und Skepsis hinein. Das erste Mal, dass in seinem Blick etwas anderes als Leere zu erkennen war. „Vielleicht hilft dir das. Hier.“ Mokephs Stimme war sanft als er ihm die Waage entgegenhielt und ihn mit einem Nicken aufforderte, seine Hand danach auszustrecken. „Dies ist das wahre Licht des Pharaos.“ Als er das tat und seine Fingerspitzen den schmalen Stab in der Mitte berührten, glühte das Gold auf und eine der Waagschalen senkte sich weit herab. Obwohl seine schmalen Augen sich vor Staunen vergrößerten und sich das belebte Gold in seinem tiefen Schwarz spiegelte, zog er die Hand nicht zurück. Dies tat er erst, als seine Augen langsam mehr die Farbe des Goldes annahmen und sich die schwere Schale langsam in die Mitte zurück bewegte. Erst dann zog er erschrocken seine Hand zurück und ließ das Leuchten mit einem Mal ersterben, bevor die Waagschalen noch auf selbe Höhe wanderten. „Du musst deine Hand nicht wegziehen“ beruhigte Mokeph mit sanfter Stimme. „Dies ist das wahre Licht des Pharaos. Des Pharao Atemu. Es kann deine Seele ins Gleichgewicht bringen. Wenn du seine Güte in dein Herz lässt.“ „Geh raus“ flüsterte er, verschränkte seine Arme und drehte den Kopf an die Wand, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Verschwinde. Ich will dich nicht sehen.“ „Ich weiß nicht, was ich mit dir tun soll“ sprach Mokeph ruhig weiter. „Auf der einen Seite wünsche ich mir, dir helfen zu können, vollkommen für dich da zu sein. Aber auf der anderen Seite trage ich auch Verantwortung für meine Familie. Wenn ich dir helfen soll, dann komm mir bitte etwas entgegen. Ich werde dir deine Fragen so gut es geht, beantworten. Aber das setzt voraus, dass du für meine Antworten auch offen bist.“ „Geh“ wiederholte er nur mit kalter, zischender Stimme. „Ich will allein sein.“ „Ich komme morgen wieder und sehe nach dir“ versprach er und berührte ihn leicht am Arm. Obwohl er nicht wirklich eine Reaktion erwartet hatte, war er doch enttäuscht, dass keine kam. Dakar war eben sehr verschlossen und hatte nie wirklich gelernt, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Es würde schwer werden, sein Vertrauen zu gewinnen ... vor allem, ohne dass Tea davon irgendetwas erfuhr ... Die Szenerie gestaltete sich neu und offenbarte nun den Blick auf eine Halle, welche den beiden sehr bekannt vorkam. Auch wenn sich die Empfangshalle verändert hatte. Wo sich in ihrer Zeit noch eine imitierte Sandwüste darstellte, war hier nicht ein Sandkorn mehr zu finden. Viel eher war der Stil hier wie der eines alten Barockbaus nachempfunden. Die beiden Treppen zu den Seiten waren aus festem Stein, der Boden aus hellem Marmor und die Decken mit schlichtem Stuck veredelt. Pompös in seiner Schlichtheit. „Wow, so ein Wetter!“ Den Visionsreisenden machte das schlechte Wetter nicht viel, aber dafür den Leuten, die sich tatsächlich hier befanden und soeben durch die dicke Flügeltür hereinkamen, welche sie nur zur einen Hälfte öffneten. Direkt neben ihnen erschien eine Frau, die sie trotz vergangener Jahre sofort als Tea erkannten. Die Zeit hatten ihre Spuren hinterlassen und sie trug das Haar nun in einem schulterlangen Pferdeschwanz, aber ihr Gesicht war bis auf wenige Falten ganz das selbe geblieben und ihre Figur ließ kaum erkennen, dass sie bereits einigen Mädchen das Leben geschenkt hatte. „Na? Bist du doll nass geworden, mein Schatz?“ Aus dem sportlichen Kinderwagen, den sie vor sich herschob, nahm sie nun ein Kleinkind heraus. Ein kleines Mädchen, welches in ihrem wuschelig schwarzen Haar schon die ersten zwei Zöpfen aus Kirschspangen trug. Aber besonders alt konnte sie nicht sein, wenn sie sogar noch im Kinderwagen, anstatt im Buggy saß. Und ihrer Größe nach zu urteilen, war die Kleine niemals älter als ein halbes Jahr. Ganz neu auf dieser Welt. „So, wir haben’s auch geschafft.“ Neben ihr tauchte lachend Mokeph auf und hatte ebenfalls ein kleines Mädchen im Schlepptau, welchem er mit bloßer Hand das Wasser aus dem Gesicht wischte. Ihr dunkelrotes Jeanskleidchen war mit großen Wasserflecken betupft und ihr brünettes Haar hing recht nass herunter, aber sie grinste breit mit ihrem lustig bezahnten Mund, dem der vordere Schneidezahn fehlte. „Lustig!“ freute sich die Kleine mit aufgeregt leuchtenden Augen. „Papa Regen!“ „Ja, Kiya. Es regnet. Und das nicht zu knapp“ bestätigte der mit einem seufzenden Blick zur offenen Tür heraus. „Wir können vielleicht ein Glück haben, dass das Garagentor ausgerechnet dann kaputt ist, wenn wir mal schnell reinmüssen.“ „Shari ist ganz trocken geblieben“ verkündete Tea und legte sich das Babymädchen fürsorglich auf den Arm, um sie zu wiegen. Das war also Sharesa als Baby. „Hach, hoffentlich wird es nachher nicht wieder so schwül. Sommerregen ist ja was Schönes, aber nicht wenn er zu kurz ist.“ „Der Regen wird schon Abkühlung bringen“ tröstete Mokeph sie zuversichtlich. „Ich hab doch gesagt, das war ne blöde Idee.“ Am Rande stand noch ein Mädchen. Sie hatte dunkelbraunes Haar mit schwarzen Strähnchen eingefärbt, einen knielangen Jeansrock und ein weißes Oberteil, bei welchem man durch die plötzliche Nässe hindurch sehen konnte. Grob geschätzt war sie wohl so etwa neun oder zehn Jahre alt. „Ich hätte bei Seto bleiben sollen.“ Und sie war eindeutig nicht glücklich, weg gewesen und jetzt nass zu sein. „Du weißt, dass Seto bei Hitze ungenießbar ist, Aissa. Zwischendurch solltest du ihn auch mal in Ruhe lassen. Außerdem hat er auch zu arbeiten“ meinte Tea und sah sie äußerst skeptisch an. „Wuschel, sei so gut und zieh ihr mal meine Jacke über bis wir ein Handtuch geholt haben.“ „Oh, Mama!“ verdrehte sie die Augen und lehnte sich an die offene Tür. „Es ist schon so heiß, Mann. Ich brauche kein Handtuch.“ „Trotzdem. Erstens ist die Klimaanlage an und zweitens: Durch dein Shirt kann man durchgucken, Liebes.“ Dieser Fakt schockierte die junge Aissa so sehr, dass Mokeph lachend sein anderes Mädchen auf die kleinen Beine neben sich stellen konnte, eine leichte Damenstoffjacke aus der Hängetasche am Kinderwagen zog und ihr überwarf, damit sie nicht so durchsichtig dastand. „Ich hab doch gesagt, dass es Regen gibt“ schimpfte sie und zog Mamas zu große Jacke um sich fest. „Nie hört ihr auf mich.“ „Man sollte meinen, Kinder freuen sich, wenn man mit ihnen in den Tierpark geht“ seufzte Tea und stellte den Kinderwagen zum Trocknen an die Seite. „Tierpaa!“ jubelte die Kleine zu Mokephs Füßen. „Tierpaa! Tierpaa! Lustig!“ „Siehst du? Kiya freut sich auch“ schmunzelte Mokeph seine adoptierte Tochter in ihrem nassen Jeanskleid an. „Kiya, zeig Aissa mal wie man sich freut.“ „TIERPAA!“ jubelte sie, lief zur offenen Tür hinaus und auf die nächstbeste Pfütze direkt davor zu, um darin auf und ab zu hüpfen. „TIERPAA! TIERPAA!“ „Wuschel. Pass doch auf sie auf.“ „Sei nicht immer so ein Spaßverderber. Wir sind doch eh schon nass“ lachte er, aber er ging mitten in den Regen, um die kleine Kiyasa wieder einzusammeln und zurück ins Trockene zu bringen. Er nahm sie auf den Arm und küsste sie, als sie lachend strampelte und wohl am liebsten in der nächstgrößeren Pfütze schwimmen wollte. Aber beim Zurückgehen stockte er, als direkt hinter Tea jemanden stand, den er eine Sekunde zuvor noch nicht gesehen hatte. Dakar. Mit seiner angeborenen Tarnung hatte er sich problemlos herangeschlichen und sie spürte nicht mal, dass er mit fast totem Blick hinter ihr stand. Er sah noch abgemagerter aus als im Krankenhaus, seine Haut war so blass, dass man die Äderchen hindurchsehen konnte, das Weiß seiner Augen blutrot. Er sah krank aus und seine Kleidung, sein Krankenhauspyjama, heruntergekommen. Einen schönen Anblick bot er nicht. „Was siehst du mich so geschockt an?“ lachte Tea und strich sich unter den Augen entlang. „Ist meine Wimperntusche so schlimm verwischt? Wartet am Besten hier. Ich bringe euch Handtücher, bevor ihr die ganze Wohnung ...“ „Mama ...“ Aber die etwas ältere Aissa sah ihn und atmete erschrocken. Wer so einen gruseligen Typen sah, musste wohl so reagieren. „Da steht einer ...“ Eben in diesem Moment streckte Dakar langsam seine Hand nach vorn, aber Mokeph bewegte sich um vieles schneller und riss die überrascht quiekende Tea mit dem Baby von ihm fort. Der Junge sah aus wie ein lebender Zombie und nicht gerade zurechnungsfähig. „Fass sie nicht an, verstanden?“ befahl er und sah ihn ernst an. „Was ist los mit dir?“ „Vater ...“ Er hob seinen blutigen, toten Blick und sah ihn ohne Gefühl an. „Sie jagen mich ... hilf mir ...“ „Vater?“ Tea sah Mokeph verwirrt an und wusste wohl so wenig darauf zu reagieren wie der in diesem Moment. „Wuschel, kennst du den Jungen?“ „Ich ...“ Was sollte er dazu jetzt sagen? Dass die beiden sich hier begegneten, war sicher nicht geplant. „Sie wollen mich zurückholen. Mein Meister jagt mich“ flehte Dakar und obwohl in seiner Sprache ebenso wenig Panik wie ein anderes Gefühl herrschte, so machte er doch einen flehenden Eindruck. Irgendwie ... gruselig. „Du sagst, du bist mein Vater. Dumme Menschen sagen, Vater und Mutter helfen. Hilf mir. Gib mir Unterschlupf. Bring mich nach Tahiti.“ „Wer bist du denn überhaupt?“ forderte Tea erst mal von ihm zu wissen. „Und wie kommst du hier rein?“ „Der Schutzzauber über der Tür wird ausgesetzt, wenn ihr hereintretet“ erklärte er mit toter Stimme. „Bist du Vaters Weib?“ „Vaters Weib? Also hör mal!“ Das war ja wohl unglaublich. Er schummelte sich hier herein, überging die heiligen Schutzzauber ganz bewusst und bestand darauf, dass Mokeph sein Vater war. Nicht nur, dass dieser Junge unheimlich war, er war auch noch vollkommen ohne Anstand! „Mokeph!“ „Geh du mit den Mädchen nach oben“ bat er und schob sie liebevoll zur Seite, nachdem er ihr zusätzlich zu dem Baby auch die kleine Kiyasa auf den Arm gedrückt hatte. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde mit ihm sprechen. Du geh auch Aissa.“ „Nein, nicht sprechen“ bat Dakar und ging zwei langsame Schritte auf ihn zu. „Vater, lass mich hier bleiben. Ich will den Pharao sehen.“ „Warum nennt er dich Vater?“ forderte Tea zu wissen, welche nach und nach ihre Töchter um sich sammelte und beschützend an ihren Körper drückte. „Mokeph, was ist hier los?“ „Tea, bitte!“ Er drehte ihr den Kopf zu und legte einen befehlenden Ton in seine Stimme. „Geh jetzt nach oben und warte da auf mich.“ „Schick sie nicht weg. Ich will, dass sie bleibt.“ Und Dakars Anliegen wurden immer abstruser. „Dies ist dein Weib. Ich lernte, das Weib eines Vaters ist eine Mutter. Eine Mutter schützt ihre Kinder.“ Dann sah er Tea mit seinen toten, verschluckenden Augen an. „Schütze mich, Mutter.“ Tea stand da nur der Mund offen. Sie hatten ja schon viele merkwürdige Eindringlinge gehabt, aber niemals welche, die so eigenartige Forderungen stellten. „Dakar, es reicht jetzt“ sprach Mokeph hart. „Ich habe dir gesagt, wenn du Hilfe brauchst, sollst du dich melden. Aber du weißt auch, dass du nicht einfach herkommen kannst. Ich helfe dir gern, aber nicht, wenn du so ...“ „Erzähl mir keine Lügen!“ Jetzt erhob er seine Stimme, riss die Augen auf und ballte die Fäuste. „Alle lügen mich an! Ich will die Wahrheit! Ich will den Pharao! Ich will Tahiti! Ich will eine Mutter!“ „Meine Frau ist nicht deine Mutter!“ schrie er zurück. „Du musst mir auch zuhören! Ich habe dir gesagt, solange du weiter dieses Dust spritzt und mir nicht zuhörst, kannst du nicht herkommen! Wenn du meine Hilfe willst, dann tu auch, was ich dir sage!“ „Ich tue nie wieder, was man mir sagt!“ schrie er zurück. Auch wenn seine schreiende Stimme heiser klang und leise, obwohl er offensichtlich seine ganze Kraft hineinlegte. Das musste daran liegen, dass man ihm damals die Stimmbänder beschnitten hatte und nun ließ es seine Stimme unnormal wirken. „Gib mir die Mutter und das Licht! ICH WILL ES!“ „Dakar! Mach hier keinen Aufstand! Ich warne dich!“ Mokeph sah die Situation kippen. Dakar war nicht nur ein starker Magier, sondern auch seelisch völlig verwirrt, zudem drogenabhängig und orientierungslos. Er schien langsam die Kontrolle zu verlieren. Das war auch das einzige, was er noch zu verlieren hatte. „Ich will es! Gib mir Antworten! Gib mir Schutz!“ hielt er außer sich dagegen und bewegte sich auf die kleine Familie zu. „Lüg mich nicht an! Ich töte euch alle, wenn ihr dummen Menschen mich weiter anlügt!“ Mokeph machte gerade eine Bewegung, um sich ihm entgegen zu stellen und zu verhindern, dass er mit seinen giftigen Fingern auch nur irgendjemandem in seinem Wahn Schaden zufügte, als eine ruhige, tiefe Stimme durch die Halle klang. „Also, ohne mein Einverständnis wird hier erst mal gar niemand getötet.“ Gar nicht weit entfernt stand ein Punk unter der Treppe, der zum Erstaunen der Visionsreisenden eindeutig Tato sein musste. Er war ein junger, kräftiger Mann, aber offensichtlich ungezähmt. Das Haar an seinen Seiten war abrasiert und er trug eine giftblau gefärbte Irokesenbürste stattdessen. Seine schwarze Jeans gewollt zerschlissen und sein ärmelloses Rüschenhemd wirkte auch ein wenig übertrieben. Ebenso wie die schwarze Ummalung seiner leuchtend blauen Augen. Mit dicken Silberketten behängt, hatte er einen Look wie direkt aus einem Musikvideo entsprungen. Das war also der wilde Tato, von dem sie bereits gehört hatten. „Du bist Sato. Wunschkind des Pharaos und seines Priesters.“ Dakars Stimme wurde sofort ruhiger, sobald er sich umgedreht und den Eigentümer dieser Stimme entdeckt hatte. „Sato, Asato, Tato, Sohn des Pharaos, Bruder der Prinzessin, Drache, Herr der Schatten - ganz wie du willst“ ergänzte er mit höhnischem Lächeln, stieß sich von der Treppe ab und kam so cool herüber, wie man nur cool herüberkommen konnte. Es war offensichtlich, dass er sich toll fand und keine Unruhestifter in seinem Revier dudelte. „Aber du bist sicher nicht auf dem neuesten Stand. Seit zehn Tagen bin ich Hohepriester der Kronprinzessin Ilani. Du darfst dich also verbeugen und mich Enaseus nennen.“ „Hohepriester“ zischte er und senkte zwar seinen Kopf, jedoch sicher nicht, um ihm zu huldigen, sondern um eine kraftballende Haltung einzunehmen. „Bring mich zum Pharao.“ „Vergiss es“ lächelte er herablassend, blieb in wenigen Metern Abstand stehen und verschränkte in herausfordender Gelassenheit die Arme vor der Brust. „Du kommst vom Zirkel, oder? Du glaubst doch wohl nicht, dass ich nicht bemerkt habe, wie du dich durch unsere Schutzzauber durchgeschmuggelt hast. Und ich schätze das nicht besonders. Also wenn du so freundlich wärst ...“ „Fass mich nicht an“ giftete er zurück und wich einen Schritt nach hinten, als Tato ihm näherkam und den fremden Magier provozierend hinausgeleiten wollte. Es war klar, dass Tato nicht darauf aus war, diese Situation zu schlichten. Viel eher freute er sich, wenn er mal wieder jemanden zum Raufen hatte. Vor anderen Magiern hatte er weder Angst noch Respekt. Er war sich selbst der größte Meister. „Sonst was?“ verzog er mitleidig sein Gesicht. „Will der kleine Zirkeljunkie mir etwa weh tun?“ „Tato, bitte“ schaltete Mokeph sich ein. „Lass mich das regeln.“ „Du hast da kein Mitspracherecht“ war seine klare Meinung dazu. „Er ist in meinen Warnzauber getappt. Also gehört er mir.“ „Dakar ist mein Sohn! Also hältst du dich da gefälligst raus!“ „Ich halte mich grundsätzlich aus allem raus“ hob er lächelnd seine Hände. „Solange ich keine unerwünschten Gäste unter meinem Dach habe.“ „Das ist immer noch mein Dach, Asato.“ Und dann erblickten die beiden Visionäre die wohl imposanteste Erscheinung der bisherigen Handlung. Von oben trat gerade Seto die Treppe herab und selbst in einer Vision war zu spüren, dass nur er allein hier wirklich Anspruch hatte, etwas zu entscheiden. Er war um einige Jahre älter und wenn ihre Zeitrechnung stimmte, musste er nun ungefähr Mitte 40 sein und stand somit in der Blüte seiner Kraft. Seiner makellosen Form schmeichelte schlichte Kleidung aus Stoff wie man sie in jedem besseren Büro trug. Und das kurzärmlige Sommerhemd zeigte auch, dass seine Oberarme nichts an Kraft eingebüßt hatten. Seine gelockerte Krawatte ließ vermuten, dass er wohl eigentlich noch geschäftlicheres zu tun gedachte, als hier seinen hitzköpfigen Sohn zurückzupfeifen. Sein Gesicht, seine Augen, seine ganze Aura strahlten eine Ruhe aus wie sie nur das ewige Eis der Pole innehalten konnte. Er trug sein Haar nicht kürzer, aber zurückgekämmt und an den Schläfen zeigte sich bereits das erste, zarte Grau. Es war atemberaubend wie ein Mann an Ausstrahlung gewinnen konnte, wenn er sich und seinem Stande bewusst und durch sein Alter gefestigt wurde. Und das schien selbst ein Tato akzeptieren zu müssen, denn so gern er sicher dem Fremdling auf die Pelle gerückt wäre, so respektvoll blieb er an der Stelle stehen, als sich der alte Drache zu ihnen bewegte. „Seto, hör zu“ bat Mokeph und kam ihm entgegen. „Es ist nur so, dass ...“ „Danke, ich habe bereits gehört“ nickte er und signalisierte mit seiner ganzen Ruhe, dass er nicht gedachte, hier irgendeinen Kampf zu provozieren. Dafür war er nicht der Typ und außerdem war es ihm zu warm. Er trat vor seinen Sohn und blickte Dakar mit sanften Augen an. „Du bist Eraseus“ sprach der und sein Zorn, seine Verzweiflung schien vergessen gegenüber dieser Begegnung. Offensichtlich wusste er viel über die königliche Familie, aber einem Hohepriester, einem Drachen wirklich gegenüber zu stehen, war ein bewegendes Erlebnis. Besonders wenn dieser so gewaltig war wie Seto. „Richtig erkannt“ antwortete er mit tiefer Stimme. „Und wer bist du, dass du hier grußlos eindringst?“ „Ich will mir holen, was mir zusteht“ betonte er heiser und wich einen Schritt vor ihm zurück. Jedoch dass er seine dünnen Finger spreizte und sie in sonderbarer Art nach außen drehte, sagte auch einem Laien, dass er durchaus bereit war, sich zu verteidigen. „Die Schlange schickte mich, um mir zu holen, was mir gehören soll. Du hast kein Recht, es mir vorzuenthalten. Ich lasse mich nicht von meinem Meister jagen und einsperren. Ich hole, was mir alle vorenthalten.“ „Was will ich dir denn vorenthalten?“ fragte er ruhig zurück und drängte seinen Sohn mit ausgestreckten Arm zum Stehen bleiben, als der sich neben ihn und somit auf seine Höhe stellen wollte. Anscheinend achtete Seto auch ohne Nachdenken darauf, dass sein Stand nicht angezweifelt wurde. Aber mit seiner Aufmerksamkeit war er viel mehr bei dem Jungen, der nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich zerrissen, ja vollkommen zerfleischt war und hier nach etwas suchte, von dem er nur den Namen kannte. „Ich will meinen Vater, meine Mutter, meine Familie“ antwortete er mit blitzend schwarzem Blick. „Ich will das Licht des Pharaos. Ich will Tahiti sehen. Ich will Weihnachten und Geburtstag. Ich will Urlaub und Garten. Ich will Antworten. Ehrliche Antworten. Ich will, worauf ich ein Recht habe. Ich will jeden Morgen die Sonne sehen. Ich will die Lehre der dummen Menschen. Ich will wissen, warum sie die Schatten nicht kennen. Ich will wissen, warum mir das alles verschwiegen wurde. Warum hat jeder Mensch ein Recht nur ich nicht?“ „Du hast ein Recht auf all das“ antwortete der imposante Seto ihm mit kraftvoller, sanfter Stimme und senkte seinen Kopf, während er behutsam näher trat. „Aber man muss arbeiten, um sein Recht zu bekommen und es zu halten. Und du musst akzeptieren, dass es Dinge gibt, welche größer sind als du.“ „Der Pharao.“ „Nein, die Menschlichkeit“ lehrte er und setzte einen Schritt nach dem anderen, ging zu ihm herüber und blickte mit eisklaren Augen auf die blutende Seele unter sich. „Menschlichkeit. Was ist der Sinn, der sich hinter diesem Wort verbirgt?“ Anscheinend noch ein Wort, welches er nicht kannte. Diese Welt musste sehr verwirrend für ihn sein. Er kannte das, was man ihn gelehrt hatte. Er kannte uralte Zauber, mächtige Magie und dunkle Verliese. Aber was das Wort Urlaub bedeutete, das wusste er nicht. Er war verloren. Gestrandet in einer Welt, die ihn ausschloss, weil man einander nicht kannte. „Ich fühle, wie verwirrt du bist. Deine Verzweiflung. Deine Verlorenheit. Gefühle, die du nicht kennst. Was du fühlst ist Angst ... und Sehnsucht.“ Er blickte ihm tief in die Augen und streckte ihm seine offenen Hände entgegen als gute, beruhigende Geste. „Du bist ein Empath. Du kennst mehr davon als ich.“ Er schien ein wenig in sich zusammenzusinken und seine Augen glänzten nachtschwarz, je länger er in diesem herrschaftlichen Blick gefangen war. „Sag mir, Eraseus, habe ich das Recht auf Antworten? Du kennst den Pharao. Sag mir seine Lehren.“ „Deine Antworten findest du nicht in Lehren niedergeschrieben. Du findest sie, indem du sie erlebst. Du musst noch viel lernen, doch dein Lehrer kann nur das Leben sein. Dein Leben und das Leben anderer.“ „Deine Worte verwirren mich.“ Seine Stimme wurde klein und er senkte seinen Blick, schaute zurück zu Mokeph, zu Tea und zu den Kindern. „Warum finde ich keine Antworten?“ „Weil dein Blick versperrt ist. Verwirrt von Eindrücken. Fehlgeleitet von enttäuschter Sehnsucht. Dakar?“ „Ja?“ Er drehte sich zurück zu ihm und sah ehrfürchtig an ihm hinauf. „Bitte schick mich nicht weg, Eraseus. Das Licht des Pharaos ist für jeden Menschen. Bin ich denn kein Mensch? Habe ich eine Mutter und einen Vater? Oder bin ich wirklich Kind der Schatten?“ „Für was du bist, dazu ist dir keine Schuld anzulasten“ antwortete er mit barmherzigem Blau. „Aber was du sein willst, das bestimmst du verantwortlich selbst. Glaubst du, du hast Kraft genug, diese Verantwortung zu tragen? Denn viele Menschen haben sie nicht.“ „Ich will sie haben“ antwortete er leise. „Bitte gib sie mir.“ „Schließ deine Augen“ bat er ihn und wartete solange mit einem starken Blick bis Dakar seinen Kopf senkte und die Augen schloss. Er war verzweifelt und ratlos. Vielleicht war Seto einer der Besten, welche ihm das nachfühlen konnten. Er legte ihm die Hand auf die Schulter, drückte sie darauf und als aus Dakars Kehle ein scharfes Keuchen entrann, gaben auch schon dessen Knie nach und er wurde von dem starken Priester aufgefangen, welcher ihn auf seine Arme hob und den ohnmächtigen Geist vorm Fallen schützte. Nicht nur vor dem Fall auf den Boden, sondern auch vor dem Fall ins Bodenlose. „Das hätte ich auch gekonnt.“ Tatos beleidigte Stimme durchbrach das Schweigen und weckte die Gruppe aus dieser unheimlichem Stille. „Was hast du getan?“ fragte Mokeph, ging zu Seto hinüber und ließ sich den Jungen selbst auf den Arm geben. Immerhin war er seinetwegen gekommen. „Ich habe seine Magie geblockt. Damit er in seinem Wahn niemandem schadet“ antwortete er und strich dem blassen Wesen sein schmutzigfeuchtes Haar aus der Stirn. „Der Rest liegt in deiner Hand. Du bist sein Vater. Also übernimm die Verantwortung für ihn. Solange er dazu nicht selbst imstande ist.“ „Er soll doch wohl nicht hier bleiben.“ Und der punkige Tato dachte wohl, er hätte da irgendetwas mit zu bestimmen. „Wenn er hier bleibt, haben wir bald schon wieder den Zirkel an den Hacken. Ich meine, mich stört das ja nicht weiter, aber ...“ „Du bist mal ganz ruhig“ meinte Seto, drehte sich um und kam zu ihm zurück. Jetzt weniger als der imposante Priester als mehr in Form des erziehenden Vaters, dem das Wetter zu warm war. „Sag mal, was ist da in dich gefahren? Einen offensichtlich gefährlichen und verwirrten Magier derart zu reizen.“ „Ich hätte den schon unter Kontrolle gehabt“ meinte Tato selbstsicher. „Den puste ich doch weg. Ich bin stärker und klüger.“ „Nein. Dein Verhalten war dumm und verantwortungslos“ belehrte er ihn streng. „Du bist jetzt ein Hohepriester. Also profiliere dich nicht selbst und pumpe dein Ego auf, sondern schütze dieses Haus und die Menschen darin. Du handelst jetzt in Ninis Sinne und nicht in deinem.“ „Ich werde ja wohl noch selbstständig denken dürfen!“ „Wenn du selbstständig gedacht hättest, wäre die Situation nicht derart eskaliert.“ Wo er Recht hatte. Tato war noch lange kein perfekter Priester, dazu war er noch viel zu ungestüm. Er sah ihm fest in seine jugendlichen Augen und legte ihm dann die Hand auf den Arm. „Und jetzt geh Feli von der Schule abholen. Du hast es ihr versprochen, also lass sie nicht warten. Und lass ihre Freundinnen in Ruhe.“ „Ja, Mama.“ Er knirschte zwar mit den Zähnen, aber die Kritik war durchaus angekommen. Er versuchte ja wohl, sich zu ändern, aber das ging eben nicht von heute auf morgen. Zumal er auf diese Weise nur am Rande mitbekam, wie der Blickkontakt zwischen Tea und Mokeph noch viel mehr Fragen aufwarf als klärte ... Chapter 42 Die Abschlussszene **Tripples zum Sammeln und Tauschen XD** waberte schnell vor ihren Augen auf und gab die Lösung dieser verfahrenen Situation. Sie befanden sich nicht mehr in der Villa, sondern in einem etwas größeren Raum, der anmutete wie eine Mischung aus Hotel und Krankenhaus. Ein breites Bett, hohe Schränke, steriler Boden mit dunklen Läufern überlegt. Etwas abgelegen eine kleine Sitzecke und ein schmaler Schreibtisch. Ein Aufenthaltsraum. Die Sonne schien vertraut zum Fenster herein und doch zeigte der Baum auf der davorliegenden Wiese bereits erste, kahle Stellen. Es war Herbst und so tauchten sich die dunkelweißen Wände in ein pastellenes Orange im Angesicht des untergehenden Lichts. Man sah Dakar auf der Fensterbank sitzen. Er war noch immer sehr dünn und sein ausgemergeltes Gesicht zeigte kaum einen Ausdruck. Vielleicht noch ein wenig Schmermut, mehr jedoch nicht. Er hatte seinen kranken Körper in eine warme Decke gelegt, um sich vor der hereinziehenden Kühle zu schützen. Sehnsüchtig blickte er hinaus, während Mokeph auf dem abgelegenen Sofa saß und auf einem kleinen, handyähnlichem Gerat herumstreichelte. Die Stimmung fühlte sich vertraut an, aber auch bedrückt. Es war jetzt schon Dakars zweiter Aufenthalt in der Entzugsklinik. „Was wirst du jetzt tun?“ Dakars Stimme forderte seine Aufmerksamkeit und so hob der ältere Mokeph den Blick und sah zu ihm herüber, auch wenn er keinen Blick erwidert bekam. „Was meinst du?“ fragte er überrascht nach. „Jetzt, wo Mutter dich verbannt und geschieden hat“ ergänzte er mit glatter, matter Stimme. „Was wirst du tun?“ „Sie hat mich nur rausgeworfen, nicht verbannt“ lächelte er ihn seufzend an. „Ich werde wohl erst mal weiter im Hotel wohnen. Und die Scheidung ... tja, ich hab wohl keine Wahl. Mir war von Anfang an klar, dass es so kommt, wenn sie meine Untreue herausfindet.“ „Untreue ist, wenn man sich mit einer anderen Frau als der angenommenen paart“ erklärte er sich selbst. Er lernte noch die Gepflogenheiten dieser neuen Welt. „Richtig“ nickte er geduldig. „So ist das.“ „Dann ist deine Frau nicht meine Mutter. Und sie will es auch nicht sein.“ „Sieht so aus. Aber mach dir darüber keine Sorgen. Du kannst nichts dafür.“ „Wofür?“ Er blickte sich um und warf ihm ein Fragezeichen entgegen. „Für unsere Trennung“ antwortete er. „Es ist nicht deine Schuld.“ „Könnte es denn meine Schuld sein?“ „Vergiss es“ winkte er ab und klappte sein silbernes Mechanikteil zusammen. Dakar verstand es noch nicht, dass man Schuldgefühle haben konnte, wenn man anderen ins Leben pfuschte. Er verstand von anderen Gefühlen als Sehnsucht allgemein nicht viel. „Du solltest jetzt nur daran denken, gesund zu werden. Alles andere wird sich ergeben. Ich habe mir heute ein Haus angesehen, in welchem wir beide gut leben könnten. Etwas abgeschieden am Stadtrand. Dort kannst du allmählich zu dir kommen, wenn du deinen Entzug geschafft hast. Ich hab extra Fotos gemacht. Willst du sehen?“ „Nein“ antwortete er desinteressiert und wand seinen Blick wieder zum Fenster. „Das ist mal ne ehrliche Antwort“ stellte er etwas geknickt fest. Er plante, mit ihm zusammen zu wohnen und Dakar interessierte es gar nicht. Er verstand wohl nicht, dass ein eigenes Zuhause für jeden Menschen wichtig war. „Bist du bei deinem Therapeuten auch immer so ehrlich?“ „Er versteht mich nicht. Er ist dumm und stellt dumme Fragen. Und wenn ich ihm antworte, versteht er es nicht. Ich habe beschlossen, ihn nicht mehr mit meinem Wort zu würdigen.“ „Er versteht nur nichts von der Welt, in der du groß geworden bist. Kaum jemand tut das. Nicht mal ich“ erklärte Mokeph ihm. „Du weißt doch, dass die meisten Menschen von Magie und dem Zirkel nichts wissen. Du kannst glücklich sein, dass dein Arzt selbst ein Hexer ist. Sonst würde er dich wohl ...“ „Ein unbekehrter Hexer“ wiederholte er für sich selbst. „Wie kann man ein Hexer sein, nichts vom Pharao wissen und zusätzlich außerhalb des Zirkels leben? Er erwartet, dass ich ihm seine Fragen beantworte, jedoch antwortet er nicht auf meine. Ich denke, er betrügt mich.“ „Du solltest weniger denken“ riet Mokeph mit einem Seufzen. „Lass dich einfach darauf ein.“ „Mein Körper fühlt sich schwach an und er schmerzt ohne Licht“ erzählte er weiter ohne jegliche Regung. „Ich brauche Blut, wenn du mir kein Licht gibst.“ „Dieses Licht heißt Dust. Und ich habe dir gesagt, du bekommst keine Drogen mehr. Deswegen bist du hier“ wiederholte er sicher nicht zum ersten Mal. „Wir können erst dann zusammen ein neues Leben anfangen, wenn du clean bist. Aber im Augenblick habe ich nicht das Gefühl, du würdest dich dafür einsetzen. Willst du denn nicht hier raus und dir die Welt ansehen? Die Welt ohne den Zirkel, der dich manipuliert?“ „Ein neues Leben anfangen. Neu geboren werden“ flüsterte er mit starrem Blick auf die herbstliche Wiese. Diese Worte weckten etwas in ihm. Und dem traute er so wenig wie der Welt dort draußen. „Ich habe keine Mutter, um nochmals geboren zu werden.“ „Ach, Dakar.“ Er steckte sein Handy weg und kam zu ihm hinüber. Er legte ihm auch die Hand auf die Schulter, jedoch regte sich sein Sohn nicht. Es war schwer, jemandem zu helfen, der nicht wusste, dass er etwas ändern musste. Er war einfach verloren und gelähmt vor Fragen und Verdruss. „Wir schaffen das schon. Glaube mir. Wir schaffen das.“ „Was denn?“ Und er wusste nicht mal, was er überhaupt schaffen sollte. Dass er den Drogen entsagen musste. Dass er lernen musste, Dinge zu erleben, um sie kennen zu lernen. Dass er gewisse Anforderungen erfüllen musste, um ein Leben zu haben. Er wusste nicht, wofür er kämpfte. Was bedeutete ihm ein Haus bei seinem Vater, wenn er nicht wusste, wofür das gut sein sollte? „Ich meine, wir schaffen es, dein Leben auf die Reihe zu bekommen. Aber du musst mir ein bisschen dabei helfen, okay?“ Daraufhin antwortete er nichts. Manchmal stoppte er einfach das Sprechen, wenn er dabei keinen Sinn mehr erkannte. Zwar stellte er sein altes Weltbild infrage, jedoch existierte es in seinem Kopf noch immer. Und dieses alte Bild sagte ihm, dass er höher gestellt war als unbekehrte Hexer und dumme Menschen. „Ich hoffe, wir schaffen es, dass wir uns näher kommen“ sprach Mokeph mit ein wenig trauriger Stimme weiter. „Ich weiß, du kannst nichts dafür, dass dir die Welt bisher verschlossen blieb. Aber ich bin für dich da. Du kannst mir glauben, dass ich es ehrlich mit dir meine.“ „Du musst nicht alles mehrfach sagen. Ich bin nicht vergesslich.“ Dakars Antwort war rüde, aber sicher meinte er es nicht so. Er konnte nur mit Gefühlen nicht umgehen. Weder mit seinen eigenen noch mit denen von anderen. „Na gut.“ Also seufzte er und drückte die Hand auf die Schulter, da er sich nicht sicher war, ob Dakar seine Nähe überhaupt spürte. „Ich werde dann morgen wiederkommen. Soll ich dir etwas von draußen mitbringen?“ „Nein.“ „Okay.“ Mokeph zögerte noch einen Moment, aber dann wand er sich ab und ging zur Tür. Sicher war es auch für ihn nicht leicht. Schließlich war er gerade Zuhause rausgeflogen und dann musste er sich auch noch um einen Sohn kümmern, an den er nicht herankam. Es gab Momente, da sah das Leben eben nicht so sehr rosig aus. Doch Lichtblicke gab es immer irgendwo. Er hatte die Tür noch nicht ganz erreicht als es genau von dort her klopfte. „Hast du noch Therapie heute?“ fragte Mokeph, während er sich zum Öffnen anschickte. Und dass von Dakar keine Antwort kam, wunderte ihn auch eher wenig, wenn überhaupt. So tat er also auch ohne weitere Information die Tür auf und wurde dann mehr überrascht als wenn sein Sohn ihm doch geantwortet hätte. Tea stand vor der Tür und blickte ihn ernst an. Doch dass sie sich an ihrer Handtasche festhielt und ihren dunkelroten Mantel eng um sich geschlungen hatte, verriet, dass sie durchaus angespannt war. Wenn nicht ihr versteinerter Gesichtsausdruck Bände sprach. Es fiel ihr sichtlich schwer, hier aufzutauchen. Doch sie war hier. „Hi“ lächelte er sie dennoch freundlich an. „Schön dich zu sehen.“ „Ebenfalls“ antwortete sie kurz und bündig. Ja, sie war angespannt. „Solltest du nicht eigentlich auf einer Hausbesichtigung sein?“ „War ich heute Vormittag“ erwiderte er und seufzte. „Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber warum bist du denn hier? Ich meine ...“ „Um ehrlich zu sein, hat Seto mich dazu gedrängt“ gab sie zu und überprüfte, ob ihr Pferdeschwanz denn auch noch richtig saß. „Und ... du weißt, wie er sein kann, wenn er mit seinem Gerede von Familie erst mal anfängt. Und von Liebe ... und so.“ „Dann hast du dich also hier her geflüchtet“ schlussfolgerte er und lächelte sie ein wenig erleichtert an. Wenn Seto ihr gut zugeredet hatte, dann war ihr Zorn vielleicht ein wenig abgeklungen. „Also, wenn du magst, lade ich dich unten auf einen Kaffee ein. Und vielleicht können wir dann ...“ „Ja, gern“ antwortete sie, noch bevor er aussprechen konnte. „Ich ... möchte auch mit dir noch mal sprechen. Ich hab ... ich hab meinem Anwalt gesagt, er kann sich seine Provision in die Haare schmieren.“ „... ähm ... wie jetzt?“ Das überraschte ihn nun doch. „Heißt das ... du willst dich nicht mehr scheiden lassen?“ „Das weiß ich noch nicht“ gestand sie ganz offen und blickte ihn traurig an. „Du fehlst mir, aber ... ich ... trotz allem fehlst du mir ... und den Mädchen.“ „Ich weiß. Du und die Mädchen, ihr fehlt mir auch sehr“ ergänzte er. „Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist. Aber ich kann nicht mehr tun, als dir zu sagen, dass es mir leid tut. Es war wirklich nur dieses eine Mal und ... ich hab nicht gewusst, dass dabei gleich ein Sohn entstanden ist. Ich ... aber das hab ich alles schon mal gesagt.“ „Ja, hast du.“ Sie blickte kurz runter zu ihren Schuhspitzen und dann wieder hinauf in seine schwarzen Augen. Eigentlich war sie verrückt, einen so fürsorglichen und hübschen Mann in den Wind zu schießen. Auch wenn er vor Jahren einen Fehler gemacht hatte. „Ich bin hier um mir ... deinen Jungen mal anzusehen. Mokuba hat erzählt, es geht ihm nicht so gut und dass ... er keine Mutter hat.“ „Er hat’s schwer“ bestätigte er ein wenig betrübt. „Magst du reinkommen?“ „Nur wenn du rausgehst. Ich möchte allein mit ihm sprechen.“ Und weil er sie so verwundert ansah, musste sie das wohl begründen. „Er hat ein paar Sachen gesagt, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und ich ... seine Magie ist ja geblockt, also wird er mir wohl kaum etwas antun können.“ „Er sieht schwächer aus als er ist“ meinte Mokeph. „Aber aggressiv ist er eigentlich nicht. Ich warte dann draußen. Wenn du was brauchst ...“ „... rufe ich dich. Natürlich.“ Beide warfen sich noch einen zurückhaltenden Blick zu und wechselten dann die Plätze. Er trat vor die Tür und schloss sie auch hinter sich, um ihr die Gelegenheit zu geben, eine Entscheidung zu treffen. Nun lag es an ihr, ob sie die Brut einer fremden Frau akzeptieren und ihrem Mann seinen Fehltritt verzeihen konnte. Tea war keine schlechte Frau - aber so etwas zu verzeihen, bedeutete ein großes Stück Stolz aufzugeben. Und es verlangte auch eine große Liebe, so etwas zu verzeihen. Aber ein wenig hing es auch von Dakar ab. Selbst wenn der nichts davon wusste oder wissen wollte. Ihm war im Augenblick wohl ohnehin alles egal ... oder vielleicht auch nicht. In ihn hineinzusehen, dazu brauchte man mehr als gute Augen. Nur kurz blickte sie sich in dem Klinikraum um und befand, dass es anders aussah als bei Seto damals. Damals waren alle Kanten abgerundet und es fand sich nicht ein einziger Gegenstand, den man zur Selbstverstümmelung nutzen konnte. Seto hätte wahrscheinlich von allem Gebrauch gemacht, was ihm schaden könnte. Doch hier sah es mehr aus wie in einem normalen Raum einer Kurklinik. Nett ausgestattet und nicht ganz so klinisch. Aber Dakar saß hier ja auch wegen Drogenproblemen und nicht zusätzlich noch anderen Psychosen. Was nicht heißen musste, dass seine Kindheit in Gefangenschaft des Zirkels ihm gut getan haben musste. Als ihr kurzer Zimmercheck nach wenigen Sekunden abgeschlossen war, fand sie sich auch bereits in den dunkelschwarzen Augen gespiegelt. Der dünne, blasse Junge hatte sich von seinem Fensterplatz nicht bewegt, jedoch wand er ihr den Kopf zu und betrachtete sie. Aus seiner Mimik ließ sich nichts erkennen. Ebenso gut hätte man versuchen können, die Gefühle einer Schlange zu lesen. Er besaß einfach keine Regung. Doch vielleicht war das nur äußerlich. „Hallo“ grüßte sie vorsichtig und setzte sich auf das gegenüberliegende Bett, legte ihre Handtasche zur Seite, um zu signalisieren, dass sie einen Moment bleiben würde. So hatten sie einen kleinen Sicherheitsabstand, aber konnten dennoch guten Blickkontakt halten. „Ich bin Tea. Mokephs Frau.“ „Ich weiß“ antwortete er mit tonloser Stimme. „Du bist Mutter.“ „Ja. Von ganz wunderbaren Mädchen.“ Sie versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, auch wenn das nicht ganz leicht war. Selbst wenn sie viel mehr Lebenserfahrung besaß, viel älter war und Mokeph draußen nur auf einen Ton wartete - dennoch fühlte man sich in Dakars Blick irgendwie bloßgestellt. „Wie geht es dir denn?“ „Was ist der Grund deines Hierseins?“ fragte er sie galant auf den Kopf zu. Er hielt wohl nichts von freundlichen Floskeln. „Ich wollte sehen, wie es dir geht.“ „Weshalb?“ „Ich sehe schon“ seufzte sie und senkte kurz den Blick. Mit langsamen Herantasten und einem kleinen Kennenlerngespräch war hier nicht weit zu kommen. Dakar verstand nichts von gegenseitigem Beschnuppern. Er brauchte klare Ansagen, denn etwas anderes kannte er nicht. Alles andere würde ihn nur noch mehr verwirren. Denn diese Welt außerhalb des Zirkels verwirrte ihn grundsätzlich, weil es selten klare Aussagen gab. „Was siehst du?“ forderte er zu erfahren. „Sprich, Weib.“ „Ich sehe eine Seele, die nach Wahrheit und Liebe strebt“ antwortete sie ihm dann und sah ihn traurig an. „Dumme Menschen können keine Seelen sehen.“ Und das wusste er genau. „Meine Seele sitzt in meinem Körper. Du kannst sie nicht sehen.“ „Wir ‚dummen Menschen’ sagen, die Augen sind das Tor zur Seele“ sprach sie weiter. „Seto hat in deine Seele geblickt und urteilt, du bist nicht von Grund auf böse. Und jetzt, wo ich dich ansehe ... in deinen Augen sehe ich so viel. Obwohl du so gefühllos scheinst, sehe ich genau, wie verletzt und verwirrt du bist. Es tut mir leid, dass ich das nicht gleich erkannt habe. Ich war so erschrocken, dass mein Mann eine andere Frau hatte.“ „Es gehört nicht zu euren Verhaltensweisen, dass ihr mehrere Partner habt“ sprach er, denn das hatte er mittlerweile gelernt. „Dein Mann hat sich mit einer anderen gepaart und deshalb verstößt du ihn. Ich gehöre nicht in deine Sippe. Also verstößt du auch mich.“ „Obwohl du so verschlossen wirkst, sprichst du so offen“ erwiderte sie und blickte ihn noch immer traurig an. „Ich habe lange niemanden mehr gesehen, der so lautlos schreien kann.“ „Lautlos schreien“ wiederholte er ohne Regung. „Erkläre mir diese Worte.“ „Du bist ganz schön faul“ lächelte sie mutig. „Finde es doch selbst heraus.“ „Was lautloses Schreien ist? Warum sollte ich das? Was willst du von mir?“ „Komm her.“ Sie rutschte ein Stück zur Seite und klopfte neben sich auf das harte Bett. „Komm und setz dich neben mich.“ Er verengte seine Augen und blickte sie einen ganzen Moment eindeutig forschend an. Aber dann entschied er sich, dieser Aufforderung zu folgen. So kam er auf seine knochigen Beine, ließ die wärmende Decke zurück und schlich lautlos zu ihr herüber. Er beobachtete sie weiter, während er sich neben ihr niederließ und noch immer danach forschte, was dieses sonderbare Verhalten zu bedeuten hatte. Noch sonderbarer wurde es, als sie ihm die offene Hand reichte und ihn merkwürdig anblickte. „Nimm meine Hand“ forderte sie ihn dann auf. „Kannst du das?“ „Ihr dummen Menschen habt eine sonderbare Kommunikation“ meinte er, aber dennoch reichte er ihr die Hand. Doch im Gegensatz zu seiner war ihre nicht dünn, klamm und knochig. Sondern sie war ganz warm und weich. Ihre Nägel glänzten und die kleinen Falten schimmerten. „Deine Hand ist anders als meine“ sprach er und versuchte, das alles zu verstehen. „Meine ist kalt und weiß. Deine schimmert wie eine Aprikosenfrucht.“ „Ich glaube, Seto hatte Recht“ sagte sie leise, hob ihre andere Hand und legte sie an seine Wange, als er den Blick zu ihr hob. „Du bist nicht böse. Du bist im Grunde nur ein verwirrtes Kind.“ „Die Jahre meines Lebens summieren sich auf 15“ sprach er fest. „Mein Samen ist reif und mein Körper fast ausgebildet. Meines Wissens nach definiert ihr diesen Zustand als jugendlich, nicht kindlich.“ „Dein Kopf weiß viel, aber dein Herz nicht“ widersprach sie mit sanfter Stimme. „Du sagst, sonderbare Dinge“ stellte er nur wieder argwöhnisch fest. „Vermittelst du deinen Nachkommen auf diese Weise auch dein Wissen? Seid ihr deswegen dumm?“ „Du solltest weniger fragen und mehr erleben. Wissen gewinnt man nicht nur aus Büchern. Dakar.“ „Du sagst meinen Namen ...“ „Hat denn noch nie jemand deinen Namen gesagt?“ fragte sie und sah ihn etwas mitleidig an. „Doch, aber ... deine Stimme sagt ihn anders.“ „Ich glaube, ich mache vieles anders. Dakar.“ Sie ließ seine Hand los und legte stattdessen ihre Arme um ihn. „Ich möchte dich umarmen. Du musst nichts tun.“ Sie schloss ihre Arme um seine Schultern und war selbst ein wenig verwundert wie leicht er sich zu ihr heranziehen ließ. Er senkte den Kopf und dass er ihrem Ausschnitt dabei so nahe kam, meinte er sicher nicht böse. Sein Körper hing schlaff und bestimmt war er verwirrt, auch wenn er sich kaum rührte. Er ließ sich einfach in ihre Berührung fallen und versuchte vergebens, diese Verhaltensweise zu analysieren. Er atmete zwar ruhig, aber das musste nichts heißen. „Was fühlst du?“ fragte sie leise und strich durch sein dünnes, schwarzes Haar. „Ich fühle Wärme und deinen weichen Körper. Du fühlst dich zerbrechlich an, aber auch so fest. Fühle ich mich für dich auch so an?“ „Nein, du fühlst dich anders an“ flüsterte sie und drückte ihn noch ein Stück näher. Ihre Stimme begann zu zittern. Es war als könne sie die Verletzungen seiner leeren Seele am eigenen Leibe spüren. „Du fühlst dich an, als wärst du noch niemals in den Arm genommen worden. Hat dich schon mal jemand in den Armen gehalten?“ „Nicht so“ antwortete er matt. „Nicht so grundlos. Warum tust du so dumme Dinge?“ „Es ist nicht grundlos“ versprach sie traurig. „Dakar, was fühlst du, wenn ich das tue?“ „Es tut nicht weh“ versuchte er die Antwort. „Du riechst nach Seife. Wie ein Bett. Wie warme Milch.“ „Fühlst du dich schlecht oder gut?“ „Gut“ sagte er tonlos. „Ein Bett und warme Milch und Seife sind gute Dinge. Du bist ein gutes Ding. Glaube ich. Du bist wie ein Blick auf Tahiti.“ „Möchtest du, dass ich deine Mutter bin?“ Sie fühlte, wie ein kurzes Anspannen aller Muskeln durch seinen Körper ging und er sich versteifte. Sie hatte verstanden, dass dieses Wort etwas besonderes für ihn bedeutete. Er war nicht ohne Gefühl. Er konnte sich nur nicht ausdrücken. Aber er besaß durchaus die Fähigkeit Gefühle zu empfinden. „Mutter“ flüsterte er und begann zu zittern. „Du bist nicht meine Mutter. Meine Mutter verstieß mich in die Schatten. Du hast mich nicht geboren.“ „Das habe ich auch nicht gefragt.“ Sanft legte sie ihm ihre warme Hand in den Nacken und senkte ihre Lippen in sein Haar. „Ich fragte, ob du möchtest, dass ich deine Mutter bin. Wenn du mir vertraust und tust, was ich dir sage und immer ehrlich antwortest, dann kann ich deine Mutter sein und für dich sorgen. Möchtest du das?“ „Tut eine Mutter so etwas oft bei ihren Kindern?“ „Du meinst, sie umarmen?“ lächelte sie leise. „Ja, sehr oft. Ich halte alle meine Töchter oft in meinen Armen. Ganz fest. Ganz ohne Grund. Einfach so.“ „Ohne Grund“ wiederholte er. „Hältst du es für richtig, dass ich dich als meine dumme Mutter akzeptiere?“ „Nein, als menschliche Mutter“ bat sie mit sanfter Stimme. „Und ich akzeptiere dich als meinen kleinen Sohn. Möchtest du das?“ „Ja“ seufzte er und traute sich, seine Hände auf ihre Knie zu legen und ihren Duft laut in seine Nase zu saugen. „Ich möchte, dass du meine Mutter bist. Lehre mich dein dummes Wissen.“ Dies sah die goldene Kette dann wohl als ihren Abschluss an. Sie verglimmte und ließ die beiden Hexer im Wald stehen, wie sie aufgebrochen waren. Besonders die letzte Szene hatte beide so aufgewühlt, dass sie dazu nichts zu sagen wussten. Dass jemand, der zu ihrer Familie gehörte, ihnen weggenommen und so zerstört zurückgegeben wurde, war ein Schock. „A...also“ versuchte Mokuba das schwere Schweigen zu durchbrechen. „Tea hat’s ja wohl am Ende doch ganz gut weg gesteckt. Okay, sie wollte sich scheiden lassen, aber Seto hat sie wohl umgestimmt. Und ... na ja ... Dakar macht ja heute auch keinen sooooo schlechten Eindruck. Gut, er hängt total an ihr, aber irgendwie ist das ja auch kein Wunder, wenn man bedenkt ...“ „Mokuba“ bat Mokeph leise und blickte betrübt zu Boden. Wahrscheinlich wollte er einfach nur seinen Redeschwall bremsen. „Entschuldige.“ Er legte seinen Arm um Mokephs Hüfte und schmiegte ihre Köpfe zusammen. „Vielleicht war das doch keine so gut Idee.“ „Ich muss das erst mal verdauen“ meinte er nur dazu. „Und überlegen, wie ich das Tea beibringe. Jetzt wo ich weiß, welchen Umständen mein einziger Sohn ausgesetzt werden wird ...“ „Du kannst ihn ja davor bewahren“ tröstete Mokuba. „Wir können jetzt ganz viel verhindern. Wir können nicht nur Dakar gleich nach der Geburt zu uns holen, sondern wir können auch Risas Leben retten. Und Seth auch.“ „Irgendwie konzentriert sich das ganze Unglück auf meine Familie.“ Ja, so musste es ihm wirklich vorkommen. Dakar war sein Sohn und Risa seine Tochter. Und beiden würden in der Zukunft schreckliche Dinge zustoßen. Außerdem war Seth sein eigener Bruder und im Moment ihr oberstes Problem. Mokeph musste sich wirklich schrecklich fühlen. „Tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht. Ich ...“ „Nein, es war gut“ beschloss er, auch wenn er eine gewisse Besorgnis nicht aus seinem Ausdruck verbannen konnte. „Ich muss es Tea frühzeitig sagen, bevor es einen unnötigen Streit gibt. Und ... weißt du“ lächelte er verzweifelt. „Manchmal gibt es eben so Tage ...“ „Wie würde Seto sagen?“ tröstete Mokuba und umarmte seinen Yami. „Irgendwas ist ja immer.“ Chapter 43 „Und?“ Joey gab sich besorgt, als Yugi zurück in die Gemeinschaftshütte kam und sich mit einem Seufzen neben Marie niederließ. „Er schläft jetzt“ gab er knapp Auskunft. „Er ist sogar noch vor Tato und Nini eingeschlafen. Hoffentlich schlummert er jetzt mal eine Weile. Dass Aschenputtel ihren Schuh wiederbekommt, erzähle ich ihm dann morgen.“ „Er sieht schlecht aus“ musste Marie leider bestätigen. „Heute ist mir richtig aufgefallen wie blass er geworden ist.“ „Er schläft ja kaum noch richtig“ meinte er und lehnte sich zurück, legte die Hand auf seine Stirn. Auch wenn er schon öfter Sorgen um Seto gehabt hatte, kamen immer wieder mal neue dazu. „Jede Nacht wacht er schweißgebadet auf und keucht als wäre er einen Marathon gelaufen. Ich versuche ja, mit ihm über seine Alpträume zu sprechen, aber er weicht immer aus.“ „Weißt du denn, was er träumt?“ fragte Mokuba ebenfalls besorgt. „Ich meine, weil bei Magiern Träume doch manchmal mehr aussagen. Vielleicht hat er Visionen.“ „Wie gesagt, er redet ja nicht. Er will auch so gar nicht“ schüttelte Yugi seinen schweren Kopf. „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich kann ihn ja nicht zwingen.“ „Möchtest du, dass ich mal mit ihm spreche?“ Ja, auch Sethos meldete sich mal zu Wort. Zwar nicht häufig, aber so ab und zu ließ er doch mal durchscheinen, dass er durchaus noch Anteil am Gemeinschaftsleben nahm. „Ich denke, die Idee ist nicht so gut“ sprach Amun-Re aus weisem Wissen. „Warum?“ hielt Joey dagegen. „Sethos und Seto sind doch so ne Art Brüder. Das Eis ist doch der kleinere Ableger vom Wasser. Wenn sich jemand verstehen sollte, dann doch die beiden.“ „Aber Eleseus wird ihn höchstwahrscheinlich an das erinnern, was er sonst von seinem Yami bekommt“ erklärte er ruhig. „Es wäre Aleseus’ Aufgabe, sich um sein Seelenleben zu kümmern. Ihn ersetzen zu wollen, könnte größeren Schaden als Nutzen bringen.“ „Und was schlägst du sonst vor?“ knurrte Joey. „Sollen wir ihn etwa so ganz allein lassen in seinem Elend, oh großer Gott?“ „Hey“ brummte Sethos noch warnend herüber. Das war die gelbe Karte. Nur weil Amun-Re sich auch als Gott Rah nicht immer sofort einmischte und alles wieder heile zauberte, war das kein Grund, so zu reden. Rah hatte sich immer gut um jeden einzelnen gekümmert. So etwas konnte ein normaler Mensch wie Joey gar nicht erfassen. „Vielleicht werde ich ihm bei Gelegenheit mal auf den Zahn fühlen“ beschloss Noah und blickte von seinem dicken Wälzer auf. „Mit mir hat er bisher noch immer gesprochen. Wenn ich ihn frage, vielleicht wird er dann etwas los.“ „Die Idee halte ich für besser“ seufzte Yugi geschafft. „Mach das bitte, Noah. Ich komme da nicht weiter.“ „Und was ist mit Yami?“ fragte Mokuba verwundert. „Den hab ich den ganzen Abend noch nicht weiter gesehen.“ „Schlafen gegangen“ antwortete Balthasar. „Deswegen müssen Sethan und ich unser Galgenmännchen jetzt hier weiterspielen.“ „Wenn du auch immer so komische Worte nimmst“ meinte genau der und tippte auf den Zettel der da gekritzelt vor ihm lag. „Außerdem kann ich deine Klaue kaum lesen.“ „Weißt du das Wort jetzt oder nicht?“ „Ich muss dich schon wieder enttäuschen“ grinste Sethan ihn belustigt an. „Sagst du mir, was eine Linksradikalenrechtsschutzversicherung ist?“ „Ich spiele nie wieder mit dir“ schimpfte er und knüllte das Papier zusammen. „Du hattest gerade mal fünf Buchstaben richtig. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Da macht ja das Spielen mit einem richtigen Pharao mehr Spaß.“ Ließ sich denken. Wenn Pharaonen schon ständig in jedem Spiel gewannen, wie siegreich musste Sethan da erst sein? Mit ihm zu Spielen wäre wohl in jeder Disziplin vergebene Liebesmüh. „Morgen spiele ich wieder mit Ati. Bei dem bin ich mir wenigstens sicher, dass er keine Gedanken lesen kann.“ Genau der lag zur selben Zeit in seiner Hütte, allein im Bett und döste am Rande des Schlafes. Während sonst nur die Kinder in den Federn einsanken und die anderen noch ein paar Stunden zusammensitzen würden, versuchte er seine Erleichterung in der Ruhe zu finden. Dass er derzeit so rein gar nicht tun konnte, war sicher das Schlimmste überhaupt. Den ganzen Tag hindurch gingen ihm so gewaltig viele Dinge durch den Kopf, dass er kaum noch wusste, worüber er sich zuerst Gedanken machen sollte. Nur um dann am Ende Mal um Mal festzustellen, dass sich all das Grübeln nicht lohnte, da er Kommendes nur im eigentlichen Moment entscheiden konnte. Und so auch hier. Die Augen hatte er lang geschlossen und suchte vergebens nach Schlaf, da hörte er ein alt bekanntes Geräusch. Wie ein kleines Knarren, ganz hell. Wie das Schnurren einer Katze nur lauter und abgehackter. Es wirkte nicht störend, da es ihm ein warmes Gefühl ins Herz trieb. Langsam verlor er sich in diesem zarten Gurren bis es ihm heiß in den Kopf stieg. Warum gurrte es in seinem Raum? Die Vögel wagten sich von ihren Herren doch niemals wirklich weit weg. Er öffnete die Augen und sah in dem sanften Fackelschein, welcher vom Dorfplatz hereindrang, schemenhaft ein kleines Wesen. Hellbraun und weiß gesprenkelt mit leuchtenden Augen. Eine kleine Falkendame mit schimmernden Federn. „Lela“ sprach er verwundert und hob seinen Kopf. Da saß sie. Direkt neben seinem Kopfkissen auf der Lehne seines Bettes. Sie blickte ihn an, hatte ihr hübsches Gefieder wonnig aufgeplustert und gurrte ihm liebevoll zu. „Süße, was machst du denn hier?“ Er streckte seine Hand aus und kraulte ihr durchs Brustgefieder, was sie mit einem wohligen Glucksen begrüßte. Wenigstens sie war noch immer ganz die Alte geblieben. „Ach, Schätzchen.“ Sie hatten so schöne Zeiten gemeinsam gehabt. Wie oft hatte sie bei ihm gesessen und sich kraulen lassen? Wie ein guter Geist war sie immer um Seth und ihn herumgewesen und lauschte auf das kleinste Rufen, um dann glücklich angesegelt zu kommen. Gemeinsam hatten sie so gute Zeiten gesehen. „Wo hast du denn deinen Herrn und Meister gelassen?“ Kaum hatte er gefragt, drang eine dunkelsanfte Stimme an sein Ohr und er fühlte ein heißes Gefühl über seinen entblößten Rücken streifen. „Nie weit fort, mein Pharao.“ Der Schock schoss ihm so plötzlich in die Knochen, dass er nicht fähig war, sich umzudrehen. Seth! Wie kam der so lautlos hier herein? Yami hatte weder eine Tür gehört noch ein Fenster. Es war auch nichts offen. Oder war er etwa doch eingeschlafen und fand sich erneut in einem realen Traum wieder? „Entspann dich.“ Er fühlte Seths glühenden Lippen seinen Nacken küssen und dann auch deutlich ein Gewicht neben sich auf der Matratze. Die verrutschte Decke wurde vollends zur Seite gestrichen und seine Seiten von heißen Händen massiert. „Die Sehnsucht nach dir war kaum zu ertragen, Atemu.“ „Seth“ hauchte er und zog seine Hand von der gurrenden Fälkin zurück, um sich langsam vom Bett hochzustemmen. „Was tust du hier?“ „Deinen Kuss erbitten.“ Noch bevor er einen Blick in Seths Gesicht erhaschen konnte, war dieses schon direkt vor ihm und versiegelte jedes weitere Wort mit einem brennenden Kuss. Wo eben noch Millionen Gedanken durch seinen Kopf strömten, fand sich mit einem Mal nur noch Feuer. Wie sehr hatte er diese Küsse vermisst? Es schien so lang vergangen, dass er zum letzten Mal so geküsst wurde. Dass eine so dominante Zunge durch seine Lippen brach, dass so heißer Atem seine Haut streifte und so kräftige Hände Nähe einforderten. Seths Art zu Küssen war unvergleichlich, einzigartig. Und sie war so selten geworden. Erst als ihm sein Atem zurückgegeben wurde, realisierte er, dass der Teufel direkt über ihm kniete und er selbst ganz automatisch seine Arme verlangend um ihn geschlagen hatte. Mit gespreizten Beinen bettelte er fast besinnungslos um mehr. Er war ausgehungert nach dieser Hitze, welche sein Blut in Flammen setzte. Obwohl ihm das Verlangen in jede Faser des Körpers drang, wusste er, dass er sich nicht so leicht ausliefern durfte. Seth war hier, er war tatsächlich genau hier. Er durfte ihn nicht ohne ein klärendes Gespräch wieder gehen lassen. Doch so deutlich war es auch, dass Seth nicht zum Reden gekommen war. Als er begann, sich langsam an dem königlichen Hals entlang zu küssen, kam es ihm wieder ins Gedächtnis. Die anderen hatten erzählt, dass Seth ab und an vorbei kam, um sich seinen Sex abzuholen. Die ganze Zeit hatte Yami nicht verstanden, weshalb er ihn in solchen Momenten nicht zur Rede stellte. Aber jetzt kam ihm langsam ein Gespür dafür. Die Wonne, ihm endlich wieder nahe zu sein und seine Hitze zu spüren, war größer als die Sorgen, die er sich vorher noch gemacht hatte. Dennoch ... „Seth“ atmete er schwer. „Ich kann nicht.“ „Überlass es mir, dich zu erregen, Atemu“ hauchte er und saugte sich an der dünnen Haut seines Schlüsselbeines fest. „Oh Gchot ...“ Ihm entkam nur noch ein Keuchen, als er die festen Lippen spürte und seine Zunge wie glühende Kohle auf seine Sinne drückte. Er krallte sich in das feste Haare und zwang seine Lungen, das Atmen nicht zu vergessen. Es war doch nicht normal, dass in ihm urplötzlich diese Triebe hochkamen. Er musste Seth zur Vernunft bringen und das konnte er doch nicht, indem er sich ihm hingab. „Ich kann nicht“ bettelte er mit brüchiger Stimme, je tiefer Seths Zunge wanderte und die zarten Knospen umspielte. „Bitte, Seth ... ich kann nicht.“ „Bis auf deine Worte wehrt sich nichts“ raunte er und küsste seinen gestreckten Bauch. „Atemu, ich habe dich so vermisst.“ „Dann bleib doch einfach hier. Geh nicht wieder weg“ bat er und zog ihn vorsichtig an seinen Haaren hinauf, um ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Augen brannten noch immer in diesem unvergleichlichen Wüstenblau. Seine Haut war dunkler geworden und schimmerte wie sämiges Karamell. Er hatte sich die Extensions aus dem Haar entfernt, aber es war mittlerweile ganz natürlich bis auf seine Schultern gewachsen. Und den fein gezeichneten Bart pflegte er anscheinend auch, denn der stand noch immer und verlieh ihm einen kantigen Ausdruck. „Sieh mich nicht so an“ flüsterte Seth und beugte sich herab, um ihn erneut zu küssen. „Mit deinen geheimnisvollen Augen ...“ Mit aller Willenskraft stemmte Yami sich dagegen und schaffte es, seinen Kopf umzuwenden, sodass die glühenden Lippen nur sein Kinn trafen. „Atemu ... gib dich hin“ hauchte er und küsste sich mit leichten Berührungen seinen Lippen näher. „Ich kann nicht“ wiederholte er nur schwach. Er wollte ja. Verdammt, wie sehr er ihn wollte! Seine Lenden schrieen nach mehr und sein Herz schlug wie Donner in seiner Brust. Dennoch hatte er noch eine Aufgabe zu erfüllen. „Seth, wir müssen reden.“ „Nein, wir müssen gar nichts“ meinte er und begrüßte sein Ohr mit einem feuchten Zungenschleck. „Außer einander lieben, Atemu.“ „Oh Seth ...“ Ja, er war ein Verführer. Und obwohl Yami ihm schon so oft erlegen war, wurde es niemals schlechter. Dies hier hatte den Hauch von etwas Verbotenem, von etwas Unheimlichen. Sein Kopf wusste, es gab viel zu bereden. Aber sein Körper sehnte sich nach anderen Dingen. „Hab keine Angst“ sprach er ihm mit rauchiger Stimme ins Ohr. „Ich liebe dich, Pharao. Niemals könnte ich dir etwas antun. Das weißt du doch. Nicht wahr?“ „Bei dir weiß ich bald gar nichts mehr“ antwortete er zitternd. Er war hoch erregt, aber gleichzeitig musste er sich dagegen wehren. Wenn Seth hier war, musste er sein Möglichstes versuchen, ihn zu versöhnen. Auf diese Worte hin, erhob Seth seinen Körper und blickte ihn mit fast sanften Augen an. Er erforschte sein Gesicht und ließ ihn ertrinken in so unendlichem Blau. Dann entfernte er sich von ihm und stand vom Bett auf. Yami begann zu stutzen, überlegte, was er nun vorhatte. Doch die Antwort kam von selbst, als Seth mit einer kleinen Handbewegung die Schnüre an seinem Rücken löste und das eng umliegende Gewand langsam von seinen Schultern rutschte. Für gewöhnlich mussten Diener behilflich sein, um die Bänder am Rücken festzuschnüren oder zu lösen, doch ein Magier wie Seth brauchte für so etwas keine Hilfe. Yami versank in dem Anblick, wie der königsblaue Stoff von seiner makellosen Haut strich und seinen dunklen Ganzkörperteint entblößte. Da Seth keine Unterwäsche trug, hatte er sich auf diese Nacht sicher vorbereitet und kam nur mit dieser einen Absicht. Er stieg aus dem herabgeglittenen Stoff heraus und setzte sich ganz dicht zu ihm auf das schmale Bett. Seine heiße Hand legte er an die Wange seines Pharaos und brachte seine Haut zum Glühen. Seth wusste um die Wirkung seiner fiebrigen Hände. „Atemu.“ Voller Erotik sprach er seinen Namen und sah ihm unverwandt tief in die Augen, als wolle er seine Seele locken. „Sieh mir in die Augen. Und jetzt sag mir noch mal, dass dein Körper nicht nach mir verlangt.“ Bei allem guten Willen, das konnte er nicht beschwören. Es war vollkommen richtig, dass sein Körper nach der Hitze seiner Berührungen hungerte, aber konnte er sich selbst noch Herrscher nennen, wenn er dieser Verführung nachgab? „Seth ... bitte.“ Er war selbst erschrocken, dass seine Stimme kaum mehr als ein Hauchen war. Seine Haut begann ohne Decke zu frösteln, obwohl seine Lenden ebenso brannten wie seine erregten Wangen. „Du weißt, ich würde dir niemals etwas antun“ betonte er nochmals und ließ seine Finger durch das zerzauste Haar kraulen. „Atemu, lass mich deinen Körper mit Lust erfüllen. Ich werde dein Verlangen stillen.“ „Darum geht es nicht.“ Das letzte bisschen Widerstand, welches er noch in sich hatte, kratzte er zusammen. Vielleicht ließ sich ein Kompromiss finden. „Wir müssen reden. Über all das. Über den Traum und ...“ „Ich weiß. Du bist verwirrt und du misstraust mir“ ergänzte er, als würde er seine Gedanken lesen. „Ich mache dir ein Angebot, mein Pharao. Wir werden uns lieben als gäbe es kein Morgen mehr. Und wenn du deine Augen erneut auftust, werden wir über alles sprechen. Aber erst nachdem unsere Körper ihre Lust gestillt haben.“ „Du gehst hinterher nicht fort“ wiederholte er noch mal ernst. „Versprich mir das.“ „Im Gegenzug für deine Hingabe stehe ich dir morgen früh Rede und Antwort. Das verspreche ich dir.“ Er blickte ihm tief in die Augen und Yami schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass er mit diesem Handel keinem Schwindel auflag. Früher hätte er niemals an der Ehrlichkeit von Seths Worten gezweifelt. Eigentlich tat er das auch jetzt nicht. Der Haken bestand nur leider darin, dass der Hohepriester nun bei einem dunklen Gott in die Lehre ging. Dieser hatte ebenfalls die Gabe, in seinen Worten niemals zu lügen - jedoch verschwieg er einfach manche Dinge. Und allein der Fakt, dass Seth so lautlos in eine geschlossene Hütte eingedrungen war, sollte ihn vorsichtig machen. Doch wenn er in diese brennenden Augen blickte, welche ihn verlangend anglimmerten, so wollte er in ihnen versinken. Die Liebe war wie ein Fluch. Er wurde das Verlangen und die Zuneigung zu seinem dunklen Priester einfach nicht mehr los. Dafür liebte er ihn zu sehr. „Bitte, Atemu.“ Seth senkte seine Stimme, verlieh ihr einen sanften Klang. „Lass mich dich lieben. Meine Leidenschaft soll dir zur Ehre dienen. Ich liebe dich und mein ganzer Körper brennt vor Sehnsucht nach dir.“ Er beugte sich herab und küsste mit feuchten Lippen seinen Kiefer. „Nach deiner schmelzenden Stimme. Nach dem Beben deines Körpers.“ Seine heißen Hände legten sich haltend an sein Becken und sein heißer Atem brannte auf seinen Lippen. „Ich brauche die Vereinigung mit dir. Das Verlangen zerreißt mich. Dich nicht auch?“ „Wenn wir hinterher sprechen“ hauchte Yami, hob seine Arme und legte sie sehnsüchtig um Seths Schultern. „Wenn wir morgen früh reden ... dann mach mit mir, was du willst. Lass mich deine Kraft spüren.“ „Danke.“ Erst dankte er ihm mit einem heißen Kuss. Die Bewegungen seiner Zunge schmatzten in seinem brennenden Atem und seine Hände drückten den königlichen Körper an den seinen. Doch zum langen Warten hatten beide kaum noch Geduld. Sie waren selten Freunde eines langen Vorspiels gewesen. Und sich nun wieder in Armen zu halten, ließ die Leidenschaft aufflammen wie Öl auf Glut. Yami spürte wie heiße Hände ihm das letzte Stück Stoff von den drückenden Lenden zogen und winkelte seine Beine an, um es ihm leichter zu machen. Er hätte selbst nicht geglaubt, wie leicht sich die Bedenken aus seinem Kopf verbannen ließen. Kaum hatte er sein Einverständnis gegeben, handelte sein Körper wie von selbst. Er schalt sich selbst für diese Leichtsinnigkeit, doch Seth stellte sich gegen all seine Vorsätze. Sein Kuss, sein Atem, sein siedender Körper ließen sich nicht abdrängen. Es war schlimm, aber er wurde schwach und im nächsten Moment wollte er nichts mehr als sich diesem Verlangen einfach nur hinzugeben. Er atmete tief ein als Seth seinen Kuss losließ und ihm Atem gestattete. Nach nur wenigen Berührungen war ihm zumute als würde er schmelzen und seine Knochen von innen heraus verbrennen. Seths Macht war körperlich spürbar. In seinem verschwommenen Blick nahm Yami war, dass Seth sich für den Bruchteil einer Sekunde etwas anderem zuwand und war erleichtert, dass er schon im nächsten Augenblick wieder seine Aufmerksamkeit hatte. „Ich hab nur Lela rausgeschickt“ erklärte er, als er sich herabbeugte und den atemzitternden Hals küsste. „Ihre keuschen Augen müssen unsere Unzucht nicht sehen.“ „Seth ...“ Auch wenn er sonst um Worte nicht verlegen war, so waren sie ihm alle hier versagt. Die Hitze in ihm bettelte nur mehr um Zuwendung. Es fühlte sich an als würde er zergehen in diesem Drängen. „Ich habe dir etwas mitgebracht“ hauchte Seth auf seine Lippen und das Heranziehen seiner Hand wurde von dem Rascheln des Bettlakens begleitet, als auch schon ein schwerer bis frischer Duft in seine Nase drang. „Hhaaaahh ...“ Yami seufzte als er den Geruch inhalierte. Es roch himmlisch. „Öl“ erklärte Seth mit flüsternder Stimme. „Gepresst aus feinstem, ägyptischen Lotus. Verfeinert mit leichten Gewürzen und angereichert mit pflegenden Essenzen. Der Duft regt die Sinne an und die Beschaffenheit streichelt die Haut. Kann meine Majestät dazu ihren Segen geben?“ „Mehr als das“ flehte er und griff zitternd in sein Haar. „Seth ... bitte ... ich will dich …“ „Ich liebe deinen verlorenen Blick“ lächelte er und beschenkte ihn dafür mit einem sanften Kuss. Yami spürte die Kraft in jeder einzelnen Bewegung, als Seth sich zwischen seine Beine kniete. Er befühlte seine kräftigen Arme, in welchen er liegen und zergehen wollte. Nur ein Mal noch in diesem überwältigenden Feuer brennen. Das goldene Öl glänzte verführerisch auf Seths Fingerspitzen und der Duft stieg ihm tief in die Lungen, füllte seine Sinne. Umso schneidender spürte er den spitzen Schmerz als ein langer Finger seine Muskeln durchstieß und sanft sein innere Haut bedachten. „Aaaaaaaahhhhhhhh.“ Ein lang gezogenes Seufzen paarte sich mit einem ersten Stöhnen und wich einem tiefen Atem, als dieser sanfte Eindringling sein Geschenk in einem leidenschaftlichen Tanz überbrachte. „Du hattest lange keinen Mann mehr“ stellte Seth fest und konnte sich eine gewisse Genüsslichkeit in der Stimme nicht verbieten. „Du bist eng, Pharao.“ „Tu nicht so“ hauchte er, öffnete seine Augen und blickte in die funkelnden Augen, welche ihn umstrahlten. „Das gefällt dir doch, Teufel.“ „Du gefällst mir immer. Niemanden besuche ich so gern wie dich.“ Seine Zunge fand keinen Widerstand, als er sich in einen Kuss stahl und nicht nur im Mund seine Leidenschaft anregte, sondern auch einen zweiten Finger in die Enge zwischen seinen Beinen trieb und ihn erbeben ließ. Auch als sein Pharao aufstöhnen wollte, versiegelte er seinen Atem und verursachte damit einen Schwindel, der Yamis Hände in Krallen wandelte, um sich an ihm festzuhalten. Nach nur wenigen Wendungen bewegte er seine Hüften bereits in schlingenden Bewegungen dem Lotusöl entgegen und spürte die Besonderheit dieser Essenz. Es fühlte sich so kühl an, dass es ein wenig brannte. Doch es schmerzte nicht, sondern intensivierte die fordernden Bewegungen. Das fehlte den Erzeugnissen heutzutage einfach. Diese leicht magische Wirkung, welche die menschlichen Triebe anregten und die Kehle keuchen machte. Ein wahrer Genuss. Als er zusätzlich noch zwei feuchte Fingerspitzen seine Erektion entblößen fühlte, musste er den Kopf aus dem Kuss drehen, um seiner Erregung laut nachzugeben. Er spreizte seine Beine von selbst und griff in Seths Haar, zog seinen Kopf herunter und spürte zudem einen saugenden Kuss neben seiner pochenden Brustwarze. Kein Mann konnte seinen Körper jemals so in Aufruhr versetzen wie er. „Du bist so wunderbar. Unvergleichlich.“ Seths Stimme ließ selbst eine gewisse Erregung durchscheinen, als er sich trotz des krallenden Griffes aufrichtete, seine Hüften anhob und genüsslich zwischen den königlichen Beinen eindrang. Er stöhnte selbst aus tiefer Kehle, während er dem lauteren Aufbäumen seines Pharaos lauschte. Der griff über seinen Kopf und riss an seinem Kissen, kniff die Augen zu und verlor in seinen zitternden Knien die Festigkeit. „Oohh Seeth!“ stöhnte er, seine Stimme überschlug sich. „Sintpra ... sintpra ... haah.“ „Septraph chons. Septraph, Pharao“ erwiderte er mit dunkel bewegter Stimme und begann, ihn mit kleinen Stößen zu traktieren. Seth stützte sich mit einem Ellenbogen auf die harte Matratze und mit der anderen Hand massierte er den Hintern seines Pharaos. Seinen Kopf senkte er und gab ihm zwischen seinem Keuchen und Stöhnen immer wieder einen brennend feuchten Kuss oder erhitzte seinen Atem mit dem eigenen. Ihre Stimmen mischten sich ineinander wie auch ihre Körper sich umschlangen und ihr Atem einander liebkoste. Die Hitze der härter werdenden Bewegungen trieb ihnen den Schweiß aus den Poren, ihre Hände suchten sich und dann wieder nach einer Berührung des geliebten Körpers. Yami fühlte, wie sie eins wurden. Nach und nach übernahm sein Körper die alleinige Führung über die Gedanken und gab sich vollends der Kraft des geliebten Mannes hin. Mit kräftigen Stößen trieb Seth den königlichen Körper mehr und mehr der unabdingbaren Lust entgegen, ließ ihn seine überlegene Kraft spüren und sorgte dafür, dass keiner von beiden der vereinigten Lust entkommen konnte. Yamis Hände glitten über den schweißbrennenden Körper, kostete den salzigen Geschmack seiner Haut und verehrte die Kraft in dieser fantastischen Schöpfung. Seth zwischen seinen Beinen zu haben, ihn zu spüren, seine Kraft in sich zu lassen und seine heiße Stimme klingen zu hören, war die pure Lust. Es konnten Stunden sein oder nur Minuten, welche sie so zusammen der Lust erlagen, als sich der Höhepunkt in seiner Perfektion kaum von dem vorhergehenden Spiel unterschied. Wie der letzte Funken ein Feuer entzündete, so brach die Lust aus ihnen heraus. Ihre Stimmen trieben einander hinauf und es war kaum zu trennen, wessen Genuss zu welchem Körper gehörte. Es war eine vollkommene Einheit, welche sich in sich selbst aufsog und das Blut rückwärts fließen ließ. Auch als sie mit keuchendem Atem nach Bewusstsein suchten und Seth seine brennende Härte vorsichtig aus der pochenden Enge herauszog, glühten die letzten Tropfen auf Yamis Bauch wie flüssiges Eisen. Seine Haut wurde überzogen von einem hitzigen Frösteln und sein Blut prickelte wie ein aufgewühlter Quell. Woran es lag, konnte sein Denken nicht erfassen. Dennoch war ihm niemals so gewaltig bewusst geworden, wie sehr er dieses Feuer zum Leben brauchte. Chapter 44 Beim Erwachen fand er zerwühlte Laken und die Morgensonne auf dem platt gelegenen Kissen neben sich. Doch leider keinen Seth. Im ersten Moment kam er zum Überlegen, ob dieses brennende Erlebnis der letzten Nacht nur ein Traum oder Realität gewesen war. Doch die dunklen Kussmale auf seiner Haut und ein prickelnder Schmerz zwischen seinen Beinen lehrte ihn die Wahrheit. Außerdem fand er seinen Bauch im unteren Bereich gesprenkelt mit kleinen Brandmalen. Es war ihm also tatsächlich nicht nur so vorgekommen. Seths Lustsaft war so brennend heiß, dass es ihm die Haut zeichnete. Sofort kam es ihm in die Gedanken, dass dies nur die Folgerung zuließ, dass seine Macht um ein Vielfaches angestiegen sein musste. Diese Hitze war nicht natürlich und für einen menschlichen Körper durchaus gefährlich, Feuermagier hin oder her. Doch wenn er bedachte, dass auch seine goldenen Fesseln ihre Wirkung auf Seth verloren hatten, sollte ihn das nicht wundern. Die natürliche Kraft seines Priesters wurde derzeit aus einer dunklen Quelle gesteigert. Wie dem auch sei, das einsame Aufwachen legte sich auf sein Herz wie ein Stein. Er hatte es ihm doch versprochen, dass sie nach ihrer Liebesnacht miteinander sprechen wollten. Und nun war er fort, hatte sein Versprechen gebrochen. Wie dumm war er nur, zu glauben, dass es anders sein könnte? Nun kam ihm eine vage Ahnung, wie es auch in der Zukunft abgelaufen war. Seth verführte ihn, Mal um Mal. Und es gab nichts, was er seinem Drängen entgegensetzen konnte. Er war sein Pharao, sein Herr - und doch abhängig von dem Bedürfnis, sich mit ihm in Leidenschaft zu verlieren. Er musste ihn regieren, doch gleichzeitig liebte er ihn zu sehr. „Verdammt!“ Er schlug die Faust auf die Matratze und sah die Tränen herabtropfen. Wie sollte er aus dieser Misere herauskommen? Wie sollte er jemanden bekämpfen, dem er so verfallen war? Selten war er sich so schwach vorgekommen wie in diesem Moment. Und wie sollte er das den anderen erklären? Wie sollte er erklären, dass er mit Seth schlief, anstatt ihn zur Vernunft zu bringen? Wie sollte er erklären, dass seine Sinne durcheinander gerieten, sobald er seine Hände auf der Haut spürte? Gab es überhaupt eine Möglichkeit, das zu rechtfertigen? Er war ein Pharao, er regierte über die Lebenskraft der Erde und war verantwortlich für alles Leben, was geboren wurde und wieder starb. Und er schaffte es nicht mal, seine eigenen Triebe zu kontrollieren? Was war er für ein minderwertiger Herrscher, der einem Dämon in Priestergestalt erlag? „Gurr?“ Yami blickte auf und obwohl das Geräusch so leise war, nahm er es in seinen dröhnenden Ohren wahr. Ein leises Gurren und auf vor dem geöffneten Fenster saß tatsächlich Lela in ihrer schlichten Pracht. Die Morgensonne streichelte ihr glänzendes Gefieder und sie gurrte ihn liebevoll an und wippte mit dem Kopf, sobald er sie anblickte. „Lela“ sprach er mit erstaunten Augen. „Du bist noch hier? Wo ist Seth?“ Sie plusterte sich auf und machte dann eine ganz dünne, hohe Gestalt. So eine Haltung nahmen die Falken nur an, wenn sie unter Stress standen. Sie wurde ganz dünn und richtete sich auf. Anscheinend konnte sie den Namen zuordnen und auch wenn Seths Geist derzeit verwirrt war, konnte sie noch klar denken und spürte, dass etwas nicht so war wie es sein sollte. „Du sorgst dich auch um ihn, nicht wahr?“ seufzte er und sah sie traurig an. „Wenn du doch sprechen könntest, Schätzchen. Dann könntest du mir vielleicht einen Rat geben.“ Doch so konnte sie ihm nur liebevoll zuglucksen und ihm Mut machen. Sie teilte seine Meinung, aber sie waren beide hilflos. Auch sie liebte Seth und konnte ihn nicht verlassen. Egal welche Grausamkeiten er tat, er würde immer ihr Partner sein. Und sie sein guter Geist. Er seufzte und erhob sich aus dem Bett. Baden musste er so oder so. Es brachte nichts, jetzt Trübsal zu blasen und sich zu verkriechen. Auch wenn ihm danach zumute war, so war dies keine echte Handlungsoption. Doch kaum hatte er sich die Jogginghose angezogen und schloss auch eben die passende Jacke dazu, da schoss es ihm wie ein Blitz in die gelähmten Gedanken. Lela war hier! Das bedeutete, Seth war noch in der Nähe!!! Ohne Schuhe rannte er heraus und fand nur den Dorfplatz ohne Passanten. So früh morgens konnte es aber nicht mehr sein, denn die Sonne ging vor acht Uhr nicht auf. Und spätestens eines der Kinder würde die Eltern wachmachen. „Lela!“ Kaum hatte er sie gerufen, segelte sie auch schon um die Ecke, zog einen Kreis am Himmel und folgte dann seinem ausgestreckten Arm, der sie zur Landung befehligte. „Schatz“ nannte er sie mit kurzem Atem. „Wo ist Seth?“ Sie gluckste und schlug aufgeregt mit den Flügeln. Ihre grellen Augen blickten ihn an und sie ließ einen kleinen Schrei aufsteigen. „Ja, such ihn. Bring mich hin.“ Darauf hatte sie gewartet. Sie brauchte nur hoch zu fliegen und er ihr zu folgen. Ein Falke war des Pharaos Wappen. Lela konnte ihm die Augen ersetzen. Er blickte hinauf und sah sie gen Wald verschwinden. Ungeachtet seiner unbeschuhten Füße, lief er ihr nach. Erst über die feuchte Erde des Dorfplatzes und dann über die nasse Wiese in den morgendlichen Wald hinein. Er hatte Mühe, sie über den dichten Bäumen noch zu sehen, aber sie schrie immer wieder auf und rief ihn. Im Wald flatterte sie von einem Ast zum nächsten und blickte sich immer wieder nach ihm um. Sie achtete darauf, dass er nicht verloren ging und ihr hinterherkam. Ganz anscheinend wusste sie, was er wollte und war froh, dass er sich von ihr führen ließ. Als ihm langsam der Atem ausging und seine kalten Füße vom Laufen schmerzten, da hörte er ein leises Prasseln und Knacksen. Er spürte Wärme an seiner linken Wange und blickte durch die dicht bewachsenen Bäume und Büsche hindurch. In genau dieselbe Richtung flatterte auch Lela weiter und drängte ihn mit ihrem Rufen zum Weiterlaufen. Der Schein von Feuer wurde heller und heißer bis Yami um die letzte große Böschung kam und einen hohlen Baum von einem Feuerring umzingelt sah. Das war kein normales Feuer, dafür war es zu zentral und zu geordnet. Es breitete sich nicht aus und ließ keinen Qualm aufsteigen. Ein Feuerbannkreis und diese Art Zauber hatten entweder etwas abzuhalten oder etwas gefangen zu halten. „Seth?“ Yami kam näher an dieses knackende Feuer heran und hatte Mühe, durch die züngelnden Flammen hindurch zu blicken. Doch nach und nach gewöhnten seine Augen sich an den hellen Schein und er konnte Umrisse in dem ausgehöhlten Stamm erkennen, welcher sicher mal eine stolze Eiche war. Im Inneren des toten Baumriesen lag goldener Samt ausgebreitet und bedeckte einen kleinen Menschen. Je länger Yami hinsah, desto schmerzhafter stockte ihm der Atem. Unter dem teuren, dicken Stoff lag ein Kind eingebettet. Es hatte die Augen offen und blickte unverwunden durch die Flammen hindurch. Ein kleines Kind mit golden glänzendem Haar und dunkelbrauner Haut. Es war gefangen im Inneren der Flamme, aber warm eingepackt und behütet. Als hätte man einen empfindlichen Schatz hier versteckt. Ein lautes Kreischen ging durch die Luft und erschrocken blickte Yami nach oben. Neben Lela flatterte es laut auf und der schwarz glänzende Riese Leiko setzte sich neben ihr auf den Ast. Mit einem kurzen Kopfnicken begrüßten sich die beiden, bevor der Adler erneut aufschrie und die Luft mit seiner grellen Stimme durchschnitt. Entweder war er Lela gefolgt oder ... Ja, auch er hatte seinen Meister im Schlepptau. Sethos tauchte Yami gegenüber auf und machte den Anschein, man hätte ihn aus dem Schlaf gerissen. Er trug einen dicken, hellbraunen Wollpullover und eine hellblaue Jeans. Sein langes Haar nicht mal zusammengebunden, aber ineinander verdreht und mit einem Knoten versehen. Auch er trug keine Schuhe, doch ihm schien das weniger auszumachen, denn die Drachen liefen im Allgemeinen viel lieber barfuß. „Sethos!“ rief Yami und winkte ihm. „Komm her! Sieh dir das an!“ „Guten Morgen, Pharao“ grüßte er dunkel, als er zu ihm schritt, ohne Regung durch den Flammenkreis sah und ebenfalls den leeren Blick des behüteten Kindes darin entdeckte. „Deshalb hat Leikos keine Ruhe gegeben. Das muss Aleseus gewesen sein. Dieses Feuer kommt mir bekannt vor.“ „Das bedeutet, er ist hier noch irgendwo.“ Yami blickte sich um und realisierte erst einen Moment später, dass Sethos ihn von oben bis unten musterte. Er schaute zurück und wusste nicht, was er davon halten sollte. Obwohl seine Knutschflecken am Hals ihn sicher verraten hatten. Und wenn nicht das, so hatte Sethos einen äußerst feinen Geruchssinn, den er auch nicht betrügen konnte. „Ja, er war bei mir letzte Nacht“ fauchte er ihm entgegen. „Und wir haben miteinander geschlafen. Irgendein Problem damit?“ „Ich hab doch gar nichts gesagt“ erwiderte er vollkommen wertfrei. „Aber du guckst so vorwurfsvoll! Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich so ... willensschwach bin.“ „Auch Pharaonen sind nur Menschen. Ich bilde mir kein Urteil über dein Handeln.“ „Ach ja?“ „Ich wollte nur sehen, ob du unverletzt bist“ erwähnte er und blickte zurück in die Flammen. „Aber du bist anscheinend wohlauf.“ „Ähm ... ja.“ Da hatte er wohl etwas in den falschen Hals bekommen. Sethos würde ihn ganz sicher nicht kritisieren. Er mischte sich grundsätzlich in Pharaonensachen nicht ein. Das Schuldgefühl gab nur er sich selbst. „Entschuldige. Ich bin ... etwas ...“ „Schon gut“ unterbrach er ihn. „Ich denke, wir sollten uns erst mal um das arme Wesen da drin kümmern.“ „Das ist ein Kind“ erklärte er, auch wenn das offensichtlich war. „Warum hält Seth da drin ein Kind gefangen?“ „Wahrscheinlich, weil er es beaufsichtigt. Hat er dir nicht erzählt, dass er deinen neuen Körper bereits gefunden hat?“ Das machte Yami perplex. Sethos kannte seinen Traum? Hatte Amun-Re ihm davon erzählt? Oder Yugi? Ja, es stimmte. Seth wollte ihm ewiges Leben schenken, indem er regelmäßig für sie beide neue Körper fand und die Seelen darin seinem dunklen Gottvater opferte. Durch das dichte Feuer war es kaum zu erkennen, jedoch änderte sich das, als Sethos den Bannkreis ohne große Mühe mit einem plätschernden Bach erstickte und um den knorrigen Baum nun keine züngelnden Flammen, sondern ein kleiner Wasserring stand. Egal wie mächtig dieser Feuerschutz war, für Sethos stellte das keine Herausforderung dar. Als er herantrat und das eingewickelte Kind auf seinen Arm hob, erkannte Yami den Jungen aus seinem Traum wieder. Er hatte sich selbst im Körper eines anderen gesehen. In seinem Visionstraum war es der Körper eines jungen Mannes gewesen. Aber das war noch ein paar Jahre in der Zukunft. Heute war dieser Körper noch der eines Kindes. Und er besaß eine kleine Seele, welche noch nicht geopfert worden war. „Das ist es!“ Yamis Herz klopfte, als er es erkannte. „Wenn das hier mein erster, neuer Körper sein soll, dann müssen wir nur den Jungen beschützen und Seths Plan ist gescheitert!“ „Atemu“ sprach Sethos dunkel und drückte den Jungen an sich, wickelte ihn fest in seine warme Decke. „Er wird einen neuen Körper finden. Sicher wird es schwer werden, einen so perfekten Körper erneut auszumachen, aber selbst wenn nicht, so wird er auf die zukünftigen Geburten warten. Bedenke, auch Balthasar ist noch nicht geboren. Dies hier ist wahrscheinlich nur Vorsorge. Ein ganz kleiner Stein eines großen Ganzen.“ Er seufzte und musste die schnell aufsteigenden Tränen zurückkämpfen. Es war doch egal, was er versuchte. Immer schien alles in eine Sackgasse zu laufen. Jede Idee war wertlos. „Aber es ist ein Ansatz“ meinte Sethos und kam mit ruhigen Schritten zu ihm. „Wo sind nur meine ganzen Ideen geblieben?“ fragte er sich selbst mit schmerzendem Herzen. „Ich hab doch bisher immer einen Ausweg gehabt. Warum kommt mir denn nicht ein einziges Mal ein guter Einfall?“ „Weil die Zeit noch nicht reif ist“ sprach Sethos in all seiner Weisheit. „Ich vertraue auf dich. Deine Zeit wird kommen, Pharao. Die Energien werden dich finden, wenn sie deine Not sehen.“ „Super“ seufzte er betrübt und blickte zu Boden. Was sollte er denn tun? Sein Kopf war wie leer und keine schlaue Idee wollte ihm zufliegen. Der Versuch, sich selbst zu beseitigen, war von Yugi entkräftet worden. Und der Versuch, seinen zukünftigen Körper einfach vor Seth zu schützen, würde relativ sinnlos sein. Und ein eventueller Versuch Nummer drei sicher ebenso und der danach und der darauf folgende. Egal, was er sich auch ausdachte, nichts führte dazu, dass Seths perfider Plan die Menschheit verschonte und ihn dem Zugriff seines dunklen Gottvaters entzog. „Deine Zeit wird kommen“ versprach Sethos und tröstete Yami, indem er ihm wenigstens eine kleine Freude machen wollte. Er legte ihm den Arm um die Hüfte und schenkte ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Das war etwas, was absolut nicht zu ihm passte und was er grundsätzlich niemals tat. Aber es war ein schönes Gefühl, wenn er seine Zuneigung zeigte und ihm sogar eines seiner seltenen Lächeln schenkte. „Danke ... Eleseus.“ Da musste auch Yami einfach lächeln und rieb sich verträumt seine kleine Kussstelle. **Was ist das? Na? Was ist das? Ist das a) eine binomische Formel oder b) ein Tripple? Rufen Sie jetzt an und gewinnen Sie ... eine hohe Telefonrechung. ^^’** Er gab sich selbst kaum Zeit, diese süße Handlung mit einem frechen Kommentar zu begleiten, als ihm gleich der nächste Gedanke kam. „Ich frage mich aber jetzt doch, wo Seth ist. Er wird wohl kaum ohne diesen Jungen wieder fortgehen. Vielleicht hält er doch sein Versprechen und steht mir Rede und Antwort.“ „Er ist auch noch nicht ganz fort“ wusste Sethos ganz genau. „Ich habe ihn mit Eraseus gesehen.“ „Mit Seto?“ Yami sah ihn an und fand auf die Schnelle keine Deutung dieser Information. „Wenn du das weißt, warum ...?“ „Ich habe Fetzen ihres Gespräches gehört“ erklärte er, nahm ihn am Arm und drehte ihn herum, um ihn zurück zu den Häusern zu geleiten. „Aleseus machte einen versöhnlichen Eindruck. Außerdem sollte man Eraseus die Möglichkeit geben, sich gegen ihn zu behaupten. Wenn es einen Kampf gibt, spüre ich das früh genug.“ „Und wo sind sie jetzt?“ „Nahe am Dorf. Eraseus wird sich nicht weit fort wagen“ nickte er. Noch eine Ungereimtheit im Gefüge. Beim letzten Mal war Seth wutentbrannt auf Seto losgegangen und nun sollte er sich ganz ruhig mit ihm unterhalten? Okay, Seto würde ganz sicher keinen Streit vom Zaun brechen. Dafür liebte er Seth zu sehr. Doch sein Yami war derzeit unberechenbar. Man wusste nie, was er im nächsten Moment tun würde und ob ihn nicht ein unbedachtes Wort zur Raserei brachte. „Du solltest mir auch ein wenig vertrauen“ bat Sethos mit ganz ruhiger Stimme. Sollten die beiden sich behakeln, würde er das früh genug mit bekommen und sie trennen. Dass einem von beiden etwas geschah, würde er nicht zulassen. Ganz sicher nicht. „Vielleicht sollte ich wirklich weniger denken und mehr handeln“ meinte er, aber musste dann doch ein wenig über seine eigenen Worte lächeln. „Obwohl doch genau das immer mein Problem war.“ „Ein offenes Herz sollte man nicht als Problem bezeichnen“ sprach er mit tröstenden Worten. „Du bist nicht schlecht, Atemu. Das solltest du dir nicht einreden.“ „Du bist ja so lieb zu mir heute Morgen“ schmunzelte er ihn wenigstens ein wenig fröhlicher an. „Gut gepoppt?“ „Kein Kommentar.“ „Ach, du bist langweilig“ lächelte er. War ja klar, dass Sethos sich weder reizen noch zu intimen Geständnissen hinreißen ließ. Was das anging, war er weniger reizbar als Seto. Der wäre entweder vor Scham im Boden versunken oder ihm wahlweise an die Gurgel gegangen - abhängig von der Tagesform. „Darf ich mal schauen?“ „Natürlich.“ Er hegte keinerlei Bedenken als Yami seine Arme ausstreckte und sich den Jungen übergeben ließ. Wenn dieser kleine Bursche wirklich Seths strenge Kriterien erfüllte und zukünftig eine pharaonische Seele tragen sollte, so musste er etwas Besonderes sein. In seine dicke Samtdecke eingehüllt, hatte der Kleine richtig gut Gewicht. Obwohl er nicht schlief, war er mucksmäuschenstill. Yami betrachtete sein zartes Gesicht und streifte ihm sein golden gelocktes Haar aus dem Gesicht. Ein Baby war er nicht mehr. Yami war schlecht darin, bei Kindern ein Alter zu schätzen, aber so zwei bis drei Jahre musste er wohl alt sein. Seine Wangen waren noch ganz babyspeckig, seine Nase klein und stupsig. Aber seine Augen waren etwas Besonderes. Ja, in ihm musste eine besondere Seele wohnen. Sie waren dunkelgrün. Gerade noch als natürlich zu bezeichnen, aber so intensiv grün wie saftiges Moos. In seinem Blick konnte man versinken, so tief war er. Die großen Augen glänzten, als er den Pharao ansah. Eine Regung ließ der Kleine nicht erkennen, aber sein Blick war so ... tief. Es gab kein anderes Wort, er war tief. So tief wie der Nachthimmel, so tief wie der Ozean. Unendlich tief und geheimnisvoll. Wie Dunkelheit, welche gefüllt werden wollte. „Sethos, du kennst doch alle Menschen“ sprach er und blickte den Kleinen an. „Zumindest alle, die geboren wurden, bevor ich auf die Erde verbannt wurde“ antwortete er indirekt. „Du möchtest wissen, wer er ist.“ „Ja, das möchte ich gern“ nickte er. „Der Kleine kann anscheinend nicht sprechen. Hat er einen Namen?“ „Nein“ erzählte Sethos mit ruhiger Stimme. „Er hat keinen Namen.“ „Aber er ist doch kein Baby mehr“ betonte Yami. „Seine Eltern müssen ihm doch einen Namen gegeben haben.“ „Seine Eltern kennen ihn nicht. Außerdem leben sie nicht mehr.“ „Was?“ „Er ist ein Zirkelkind. Menschenmaterial“ offenbarte er sein Wissen darüber. „Sein Vater war eine Samenspende, welche vor zwei Jahrzehnten im Zirkel eingefroren wurde. Er war der Bruder eines damaligen Magiers und besaß zwar keine Magie, aber eine beachtenswerte Gesundheit und somit gute Erbanlagen. Seine Mutter war ein junges Mädchen von 17 Jahren. Auch sie war mit einem Magier verschwistert und besaß ähnliche Erbanlagen, jedoch wurde sie nach der Geburt ihres Kindes getötet, da man vermutete, sie könnte Anspruch haben, ihren Sohn zu behalten und ihrem Bruder davon erzählen. Deshalb beseitigte man sie und gab es als Unfall aus, bevor sie Probleme verursachte. Solche hochwertigen Zuchtkinder sind seit einigen Jahren im Zirkel üblich, um der Forschung von Seelenspaltern zu dienen und irgendwann die hohe Sterblichkeitsrate bei dieser Art magischer Menschen zu verringern. Der Kleine ist also auch nur einer von vielen und trug die Nummer 1-038-Gamma-1. Aleseus hat ihn sicher ausgesucht, da er die besten Vorraussetzungen mitbringt, um deine Seele zu tragen.“ „Und seine Seele?“ fragte er und blickte in diese tiefgrünen Augen. „Seine Seele ist formbar. Deshalb hat sich Vater sicher mit der Opferung dieses Jungen einverstanden erklärt“ vermutete er. „Formbare Seelen können gute Engel oder mächtige Schatten werden. Von ihm profitieren scheinbar alle Seiten.“ „Und er?“ flüsterte er und streichelte dem Jungen über seine warmen Wangen. „Ihn hat man bei all dem vergessen.“ „Tu etwas, wenn er dir am Herzen liegt“ riet Sethos und blickte ihn ernst an. „Es war doch früher üblich, ein Kind vom Pharao nennen zu lassen. Nenne ihn bei seinem Namen, segne ihn und gib ihn seinen Eltern zurück. Das wird sein Leben besiegeln.“ „Das werde ich“ beschloss er und blickte den Kleinen liebevoll an. „Sobald wir deinen Namen kennen und Eltern für dich gefunden haben, werde ich dich nennen. Findest du das okay?“ „Ogii.“ Yami machte ganz große Augen, als der Kleine plötzlich sein Wort wiederholte. Er hatte eine ganz helle Stimme und guckte ihn fest an. Fast hätte er ihn fallen lassen vor Schreck. „Er ist vielleicht nur als Körper angesehen worden“ lächelte Sethos den überraschten Pharao an. „Aber das heißt nicht, dass er dumm ist. Es gibt durchaus Leben in ihm.“ „Dich kriegen wir auch noch irgendwie auf dieser Welt unter“ versprach Yami dem kleinen Menschen auf seinem Arm. „Ich kann mich wohl nicht als Papa um dich kümmern, aber wir fragen mal Seto, ob er noch ein Kind unterbringen kann. Fragt sich nur, ob Yugi das auch so sieht. Weißt du, Seto adoptiert ja alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Aber du wirst ja auch mal älter und dann bist du nicht mehr so süß. Du brauchst jemanden, der sich für immer um dich kümmert. Wir sehen mal, was wir machen können. Vielleicht würdest du ja auch gern hier bleiben und Drachenhüter werden. Bis auf deine dunkle Haut bist du doch ein ganz nordischer Typ. Du passt gut hierher. Wir werden mal Gustav fragen. Okay?“ „Ogii“ wiederholte der Kleine wieder. Das Wort schien er ja zu mögen. „Atemu“ unterbrach Sethos diese kleine Unterredung und wies nach vorn, wo das Ende des Waldes auf sie zukam und auch das Dorf in Sichtnähe rückte. „Wenn ich deine Aufmerksamkeit mal auf etwas anderes lenken dürfte.“ „Oh ... je ...“ Ja, man sah, dass sich dort in der Zwischenzeit etwas getan hatte. Auf dem kleinen Dorfplatz wimmelte es mittlerweile. Alle waren aus ihren Häusern gekommen und die Situation war erwartungsgemäß konfus. Während Seth ein wenig am Rande stand und sich in seiner alten Kleidung vom Rest noch mehr abhob, waren Jonny und Noah dabei, Tato festzuhalten. Der hatte eh Sturm im Blut und mit wenigen Worten von Seth konnte er schnell auf Volldampf kommen. Dafür stand Seto ganz dicht bei Seth und redete auf ihn ein - was sicher von Beginn an ein hoffnungsloses Unterfangen war. Der Rest sprach auch ab und an ein Wort und Marie schritt in dieser Minute auf Seth zu, nahm ihn am Arm und sprach zu ihm. Doch sie konnte seinen Blick nicht von Tato ablenken, der schnaufend in der Ecke stand und nur noch einen kleinen Stich brauchte, um zu explodieren. Einzig beachtenswert war, dass sich Amun-Re und Sethan vollkommen heraushielten. Sie standen am Weitesten von Seth entfernt und beobachteten die Szenerie ohne erkennbare Meinung. Was Yami nur wieder zu denken gab ... was genau wollte Sethan eigentlich? Vermutlich war er das mächtigste Wesen überhaupt und doch trat er bisher kaum mehr in Erscheinung, als dass er Rah in einen Menschen verwandelt hatte. Warum setzte er niemanden ins Vertrauen und erklärte seinen Plan? Wobei Yami sich auch nicht ganz sicher war, ob Amun-Re nicht doch mehr wusste als er sagte. Vor allem - warum zog niemand die Pharaonen ins Vertrauen? Wie genau sollte all das hier überhaupt enden? Als die beiden näher kamen, drehte Seth sich herum und zeigte keine erkennbare Freude darüber, was sie da mitbrachten. Sethos trennte sich sofort von Yami und nahm seinen Platz bei den Beobachtern, bei Amun-Re ein. „Entschuldige“ sprach er ihm sanft zu. Er war fort gewesen und wenn Seth ihm etwas angetan hätte ... „Schon gut. Gut gemacht.“ Er nahm ihn an der Hand und nickte auf Yami, welcher das befreite Kind zu Seth herüber trug und sein Gesicht ganze Bände sprechen ließ. „Erklär mir das!“ forderte er fest zu wissen, blieb direkt vor Seth stehen und strafte ihn mit einem bösen Blick. „Atemu ...“ Seth blickte hinab und sah Yamis Füße. Sie waren schwarz von der Erde und sicher halb erfroren. „Deine Füße ...“ „Guck mir nicht auf die Füße, sondern ins Gesicht“ forderte er und selbst Tato schnaufte ein wenig leiser, wenn Yami deutlich wurde. „Du kidnappst Kinder, willst ihre Seelen opfern und fragst mich nicht mal, ob ich mit deiner kranken Vorstellung von Ewigkeit überhaupt einverstanden bin?“ „Ich bin geblieben“ erwiderte er ohne Vorwurf. „Du hast mich gebeten, ich bin noch hier. Sollte dir das nicht zeigen, dass ich dich nicht hintergehe?“ „Dein Körper ist hier, aber wo dein Verstand geblieben ist, frage ich mich ernsthaft!“ schimpfte er. „Und tu nicht so, als würdest du das alles nur für mich tun! Du kennst mich genau und du weißt, dass nichts von dem, was du planst auch nur im Ansatz mit meinen Grundsätzen von Leben vereinbar ist! Du bist nicht mehr der Mann, in den ich mich verliebt habe!“ „Aber ich bin der Mann, der dich liebt“ antwortete er treu. „Ich liebe dich, Atemu. Ich weiß, dass du Angst um mich hast und glaubst, ich würde den Rächer für meinen dunklen Gott spielen. Aber dem ist nicht so.“ „Ach ja? Und wie ist es dann?“ „Ich weiß, dass das, was ich getan habe und das, was ich noch tun werde, grausam und kaltblütig ist. Mein Verstand und mein Verständnis von Gerechtigkeit haben sich nicht verändert.“ „Und wie erklärst du mir dann das hier?“ Er zeigte ihm den eingehüllten Jungen auf seinem Arm und sah ihn durch wütende Tränen an. „Wenn du noch immer ein gerechter Hohepriester bist, warum ängstigst du kleine Kinder und lässt sie allein im Wald zurück?“ „Ich habe ihn nicht zurückgelassen, sondern geschützt“ erklärte er sich und sein Handeln. „Er wird Träger deiner Seele sein. Seit ich ihn fand, ist er stets bei mir. Ich hüte ihn. Für dich.“ „Nein! Du hütest nicht ihn, sondern seinen Körper! Verdammt, Seth! Du bist doch nicht mehr zurechnungsfähig!“ „Vielleicht“ lächelte er und zeigte nun erste Betrübung darüber, dass er bei seinem Pharao auf so wenig Verständnis traf. „Aber alles, was ich tue, tue ich für dich. Ich stehe bereits im Blut meiner Opfer, aber dieses wird dich nicht beschmutzen. Ich werde ein goldenes Reich erbauen und dich als gerechten und gütigen Pharao über die Welt herrschen lassen. Ich bin bereits befleckt. Und wenn ich auch die Verdammnis finde, so wird es nicht umsonst gewesen sein. Ich stelle mich gern zur Verfügung. Ich werde alles Schlechte von der Welt verbannen. Ich werde alles, was nicht mit deinen Grundsätzen übereinstimmt, ausmerzen und die Reinheit deines Reiches erhalten. Und wenn ich selbst dafür blutige Hände habe, so werde ich dennoch dafür kämpfen, dass es außer mir selbst nichts Böses mehr gibt, was dich und deine Herrschaft bedrohen kann. Ich bin nicht der Rächer eines dunklen Gottes. Ich bin der Hüter meines Pharaos.“ „Hörst du dir eigentlich zu?“ Yamis Stimme brach vor Tränen. Er konnte es nicht glauben. Seth war ganz klar im Kopf und dennoch so verrannt! „Alles, was du sagst, widerspricht sich. Wie konnte nur DAS DA aus dir werden? Aleseus, ich bitte dich. Bitte. Bleib einfach bei mir und tue das, was ICH dir sage. Ich will das alles nicht. Hörst du? Ich will es nicht.“ „Ich weiß“ lächelte er traurig. „Dennoch, ich kann jetzt nicht mehr zurück. Wenn du erst in Ankh Athu einziehst, wirst du mir danken und die Menschheit für meine Sünden entschädigen. Und nur ein paar Generationen später wird man dich lobpreisen. So wie es dir gebührt. So wie ich es tue.“ „Yami, lass das doch.“ Auch Tato mischte sich ein und schien vor Wut bald zu platzen. „Den bekehrst du nicht mehr. Ich weiß es! Also legen wir ihn in Ketten und halten ihn meinetwegen gefangen! Mit guten Worten wirst du da nichts!“ „Ketten?“ grinste Seth ihn provozierend an. „Ich wusste nicht, dass du so was magst. Ich dachte, du stehst nur auf kleine Jungs.“ Das war zu viel! Jetzt hielten auch Tato keine guten Worte mehr. Manchmal hatte er gute Tage, in denen er sein Temperament kontrollieren konnte. Und manchmal hatte er Tage wie heute ... „Jetzt reicht’s! Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben, du Pisser!“ Er riss sich los und wenn ein wütender Drache sich losriss, konnte ihn kaum jemand stoppen. Besonders wenn er seine Wut ausklinkte, die Scheuklappen aufsetzte und nur noch sein Ziel sah. Er stürmte auf Seth zu, der seine schnellen Schritte geduldig herankommen ließ. Angst voreinander hatten sie beide nicht. Tatos Ärger war zu groß als dass er noch warten konnte bis er ihn erreichte. So entfesselte er einen erschreckend gezielten Sturm, welcher Seth von den Füßen riss und sicher hundert Meter über den Boden schob. Doch der hatte das fast schon kommen sehen, dafür war seine Kampferfahrung zu groß. So verkreuzte er die Arme, stemmte sich gegen den Sturm und sammelte sich inmitten dieser schneidenden Böe. Während Tato die Entfernung nur nutzte, um ihm nachzujagen, mit den Armen auszuholen und ihm mit ganzer Kraft einen grollenden Sturm entgegenzuschicken, so ließ Seth die Verteidigung sinken und wählte seinerseits den Angriff. Wenn zwei derart mächtige Magier aufeinanderprallten und keiner von beiden die Defensive wählte, so knallten zwei Kräfte aufeinander, die sich gegenseitig entfesselten, sich fraßen und neu nährten. Seth streckte Tato die Hände entgegen, der tat dasselbe und als die Wucht beider Angriffe sich traf, sah die Landschaft einem Vorboten der Hölle entgegen. Der Aufprall glich einem donnernden Schrei, welcher die Erde beben ließ. Die Luft wurde heiß und eine mehrere Kilometer hohe Stichflamme schoss in den Himmel bis an den Horizont, verbrannte die Regenwolken und sog so stark die Luft ein, dass das Inferno bis an alle Grenzen wuchs. Es war ein Glück, dass Seto gute Verteidigungsreflexe hatte. Das Inferno knallte hinauf und ihnen entgegen, so schnell, dass das Auge zu langsam war. Nur ein Zwinkern war nötig, um erst eine blendende Helligkeit zu sehen und dann eine Kuppel aus Eis, welche noch in derselben Sekunde so laut knackte, dass der Aufprall von Sturm und Feuer sich damit mischte und einen schmerzenden, nie gehörten Lärm ergab. Manche mussten sich die Ohren zuhalten, den Kopf senken und vor Schmerz aufjaulen, so sehr stach es. Hinein in diesen Lärm mischte sich ein qualerfülltes Schreien. Die Eiswand brach an der Seite weg und ließ ein heißes Aufleuchten herein. Man hörte die Schläge, welche Tato und Seth sich auf die Distanz schickten und Setos Stimme, der innerlichen Schmerz erlitt. So musste es sich anhören, wenn man unter kriegerischem Bombenbeschuss in einem kleinen Bunker festsaß. Die Wucht der Angriffe war so groß, dass selbst seine starke Eiswand schien wie ein Haus aus Blattwerk. Zwar zwang er die Lücke dazu, sich sofort wieder zu schließen, doch da brach gleich darauf ein großes Stück hinter ihm zusammen und ließ ihn aufschreien. Er suchte nach Schutz, doch allein die Ausläufer von zwei so starken Elementen zwangen ihn in die Knie. Er war nicht vorbereitet und wollte eigentlich auch gar nicht kämpfen. Diese Eiswand war eine automatische Schutzreaktion, die seine Magie einforderte - ob er wollte oder nicht. Und es quälte ihn. Jedes brechende Stück Eis, brach ein Stück Kraft und Glauben. Außerhalb dieses eher lückenhaft nötigsten Schutzes hörte man eine grollende Stimme, welche kaum zu unterscheiden war, wem sie gehörte. In jedem Falle schoss immer wieder ein brennender Sturm über den Himmel bis auf die Erde, es hörte nicht auf. Wenn Tato und Seth kämpften, war zu denken, dass keiner von ihnen große Rücksicht nahm. Und Seto, der sich ja selbst kaum schützen konnte, würde sie nicht trennen können. Selbst im Inneren seiner brüchigen Eiskugel litten die Menschen an Hitze, Kälte und an dem Lärm. Hinein mischten sich unsichtbare Wände, die einstürzten oder seitlich heranprallten und selbst die Standhaften von den Beinen rissen. Es war die Hölle und ohne Seto, wäre der Schaden tödlich. Doch der bekam Hilfe. Gerade hatte er seinen Eispanzer neu aufgebaut, da krachte schon wieder ein nächster Teil zu Boden. Es war ein verzweifeltes Unterfangen, diesen Schutz lange aufrecht halten zu wollen. Da griff plötzlich Sari nach seiner Hand, verschränkte ihre Finger in seine und die eher dünne Eiswand wurde von zarten Striemen durchzogen. Ein Muster aus dunkelbraunen Adern zog sich durch das brüchige Eis, als würde Blut hindurchfließen, welches vom Boden gespeist war. Obwohl von außen noch immer schlagende Energieschübe hindurchdrangen, war nun rundum eine feste, angenehm ruhige Kraft zu spüren, welche den Druck minderte. Wie ein Dach, welches vor Unwetter schützte. Selbst der Lärm wurde gedämpft und man konnte die Hände von den Ohren nehmen. Die Kraft kehrte mit langsamer Ruhe zurück und man konnte sich aufrichten, um zu schauen, was hier eigentlich passierte. Seto und Sari standen nebeneinander, Hand in Hand und hielten gemeinsam einen Schutz, welcher zwar bebte und zitterte unter den Wellen der wütenden Magier, aber aufrecht blieb. Beide sahen sich an. Seto zeigte unumwunden Überraschung darüber, dass er nicht nur von Sari Hilfe bekam, sondern darüber, dass etwas so ohne Mühe in sein Eis einwachsen konnte, welches doch sonst alles abwehrte. Saris Blick dagegen war ernst, aber liebevoll wie sie seinen Augen entgegnete. Sie mussten nicht sprechen. Sie fühlten sich. So wie Feuer und Sturm draußen zu einem Höllensturm wuchsen, so vereinten sich Eis und Erde, um standhaft Schutz zu bewahren. „Das ist doch Wahnsinn!“ schrie Yami gegen irgendeine Ecke. Er konnte das alles nicht mehr fassen, was hier geschah. Und diese Machtlosigkeit war nur die Krone des Kummers. Er ging in die Knie und musste den kleinen Jungen auf dem Boden absetzen. Das alles wurde ihm zu viel. „Beruhige dich.“ Yugi nahm seine Hand und hielt ihn fest, bevor er sich die Haare ausriss. Er konnte ihn nicht trösten, aber Verzweifeln würde sie zum Scheitern verdammen. „Das ist wirklich Wahnsinn“ meinte Fernando atemlos. „Ich wollte nie wissen, was passiert, wenn Asato wirklich auf Seth prallt.“ Die könnten ohne große Probleme den ganzen Landstrich zurück ins Nichts verwandeln. Wenn beide ohne Rücksicht aufeinander losgingen, war das ähnlich wie der Nachhall des Urknalls. „Ich muss doch irgendwas tun können!“ schrie Yami, dessen Tränen nicht Trauer, sondern Verzweiflung waren. „Irgendwas! Er kann doch nicht ...! Er kann doch ...! Ich muss doch ...!“ „Bleib ruhig“ wiederholte Yugi und fasste auch seine zweite Hand, um sie an sich zu drücken. Sicher war nicht dies der Grund dafür, aber es passte so sehr, dass in diesem Moment das Knallen stoppte und das Feuer mit einem letzten Glimmen in der Luft verging. Stattdessen wurde es dunkel. Sehr dunkel. „Schatten“ keuchte Marie. Sie hasste diese Viecher. Das würde sie noch im Schlaf spüren, wenn diese dunkelschwarzen Seelen hinterhältig über die Erde schlichen und den Menschen im wachen Zustand Alpträume aufzwangen. Ruhe kehrte ein. Stille. Als wäre der Untergang vorbei und alles tot. Nur noch ein leises Geifern durchschnitt die drückende Luft und zeigte, dass es noch Leben gab. Zumindest inmitten dieses Schutzes aus Eis und Erde. „Ist es jetzt vorbei?“ fragte Joey mit Zittern in der Stimme. Ihn hatte es wie die anderen auch an die Grenze seiner Belastbarkeit gebracht. Nicht nur dieser Feuersturm dort draußen und der betäubende Lärm. Mindestens genauso grausam war das Gefühl der unsichtbaren Macht. Es war nicht zu definieren, welche Not die Seele litt, welche Angst und welch eine Qual, wenn man inmitten von Etwas ausgesetzt wurde, was einen auslöschen würde. „Das glaube ich nicht.“ Dafür schien Sethan gefasst. Als wäre dies hier ein Film, den er schon kannte. Aber er richtete sich an die beiden Schützer, denn wenn Schatten aufkamen, war es nicht fraglich, was geschehen würde. „Ihr beide“ sprach er mit ruhiger Stimme. „Ihr solltet euch entweder loslassen oder ...“ Das Oder kam zu spät, da traf es schon ein. Ein schwarzer Knall zerbrach die unaufmerksam gewordene Verbindung der beiden und ließ sie ebenso zu Boden stürzen wie ihre Kuppel. Sie hatten sich auf Feuer und Sturm eingerichtet. Nicht auf Energien aus anderen Ebenen als den natürlichen. Sie kamen auf dem Boden zu liegen und konnten vom Glück sagen, dass auch dies nur ein Ausläufer war, welcher nicht auf sie direkt gerichtet war. Wäre er dies gewesen, hätten sie verloren. Zum Glück befanden sich die beiden verfeindeten Magier nach der ersten Angriffswelle in einer Phase der Drohungen. Auf der einen Seite stand Tato, der hart an der Schwelle zu Sato wandelte. Seine blauen Augen glühten und es genügte nur ein Tick, um sich seiner dunklen Seite zu ergeben. Doch anscheinend genügte dieser Stand, um bereits die Schatten zu befehligen. Sie waberten um ihn herum. Sie schlichen um seine weit voneinander gestreckten Arme, umschmeichelten seine Beine und strichen gebändigt in seiner Nähe. Sein stechender Blick war direkt auf Seth gerichtet und dass der ihm bereits schwerste Verbrennungen beigebracht hatte, schien er nicht zu spüren. Seine Hüfte war aufgerissen und es roch nach verkohltem Fleisch. Das Blut rann ihm das Bein hinab, aber er schien es nicht zu spüren. Auch seine Hände waren rot, Verbrennungen zogen sich bis zu seinen Ellenbogen und auch sein Hosenbein war angesenkt. Aber er war so in seiner Wut gefangen, dass er seinen Körper nicht mehr spürte. Seth hingegen trug keine größeren Verletzungen. Sein Gewand und sein Haar waren zerzaust vom Sturm, doch im Gegensatz zu Tato drohte er mehr durch Provokation. Mit einem fast höhnischen Lächeln wartete er auf den nächsten Angriff. Aber seine Ruhe musste nichts heißen. Seth war gut darin, wenn es ums Pokern ging. Er wirkte unbesiegbar bis er vielleicht dann doch plötzlich umkippte. „Lasst das!“ forderte Seto, der nur hilflos zwischen den Drohgebärden hin und her blickte. „Tato, hör auf damit! Schick die Schatten zurück.“ „Ich mache der Sache jetzt ein Ende. Und wenn ich dich dafür umbringen muss.“ Seine Stimme war schon verzerrt und für die Anliegen Außenstehender besaß er kein Ohr mehr. Es erinnerte an das, was Gustav ihnen über jagende Drachen erzählt hatte. Wenn sie erst in ihren Blutrausch verfielen, nahmen sie um sich herum nichts anderes mehr war. Man könnte ihnen einen Arm ausreißen und es würde sie nicht stoppen. Tato befand sich ganz eindeutig in diesem Rausch. „Tato bitte! Schick die ...!“ Aber Seto fand weder Gehör, noch durfte er ihn weiter beknien. Er ließ die Schatten los und mit einem Kreischen sausten sie auf den wartenden Seth zu, der sie lieber nicht zu nahe herankommen ließ. Auch er streckte seine Arme aus und parierte die dunkle Schar mit einer Feuersbrunst. Seine heißen Flammen trafen auf die schwarzen Seelen und setzten sie in Brand. Jeder Schatten, der ihnen erlag, schrie herzzerreißend auf und verging in einem qualvollen Tod. Ein Massensterben setzte ein und die gurgelnden Stimmen stiegen voll Schmerz in den Himmel empor, welcher sich mit dunklem Qualm verging und die Sonne am Scheinen hinderte. Doch Tato ließ immer wieder unendlich viele Schatten nachströmen und schickte sie in den Feuertod, während Seth ihm ebenso entschlossen entgegnete. Aus diesen zwei Mächten formte sich eine schreiende Feuerwalze, welche sich in der Mitte um sich selbst drehte und anwuchs. Die Hitze war fast so unerträglich wie der Lärm und als Tato aufschrie als würde es ihn zerreißen, wuchs die Walze nur mehr an. Egal wer von beiden das Kräftemessen verlor, er würde von einer Macht überrollt werden, die ihresgleichen suchte. „ES REICHT JETZT!“ Bis Seto sich verzweifelt einmischte. Er konnte es nicht mit ansehen wie sein Sohn und sein Yami sich bekämpften als wären sie Feinde. Das durfte nicht sein! Sie waren doch eine Familie!!! Mit all seiner geballten Kraft attackierte er die feurige Schattenwalze und verursachte eine Explosion, welche mit ihrer Druckwelle sogar die Erde auftürmte. Wenn frierendes Eis auf schattengespeiste Flammen traf, setzte dies Kräfte frei, die sich kaum halten ließen. Doch seine Bemühungen hatten nur kurzen Erfolg. Tato ließ sich nicht besänftigen. Die Schatten fingen seinen Sturz ab und folgten dann seinem Befehl, den Feind erneut anzugehen. Seths Feuer war kurzfristig von Setos Eis zurückgedrängt und die schnellen Schatten hatten die beste Chance, ihn jetzt zu packen. Seth war nicht aufgefangen worden und so erwischten die Schatten ihn dabei, wie er sich gerade aufrichtete und ihnen entgegenblickte. Er hatte die Situation noch nicht ganz erfasst und sein Gegenangriff dauerte zu lange. Tato hätte ihn schwer getroffen ... doch letztlich war er chancenlos. Alle existierenden Schatten waren nutzlos gegen die Macht, welche hinter Seth stand. Mitten im Angriff blieben die Schatten in der Luft schweben und ihr angriffslustiges Kreischen wechselte prompt zu einem leisen Zischeln. Sie gehorchten ihrem Herren nicht mehr und brachen den Angriff ab. Sie hatten Angst vor dem, was sie eben noch für Beute hielten. Hinter Seth stand ein weißer Schatten, welcher sich wie von unsichtbarem Licht hinter ihm auftürmte und nichts ausstrahlte. Dieses Nichts war größer als die Gier der schwarzen Schar, mächtiger und furchteinflößender. Dieses war Seths fremder Schatten, der ihm anhaftete. Kein Schatten, welcher von der Sonne geformt wurde. Der Schatten, welcher der Sonne entgegenstand. Man brauchte nicht zu raten. Seth genoss den Schutz seines Göttervaters. Der Urseth hatte ein Auge auf ihm und legte sich in beliebiger Form schützend über seinen derzeit treuesten Sohn. Es genügte nur eine Ahnung von ihm und die Schatten, sowie jede andere Macht duckte sich. „Feigling“ zischte Tato wütend. „Schwächling“ schmunzelte Seth zurück. Es war keine Schande, sich jeder Macht und Kraft zu bedienen, die ihm zur Verfügung stand. In diesem Moment verschwand nicht nur der weiße Schatten hinter ihm, sondern auch die schwarzen Schatten, welche Tato somit als Waffe entzogen wurden. Seth holte aus und schickte eine Feuerwelle zielgerichtet auf Tato zu. Der Kampf sollte hiermit endlich entschieden werden. Doch Tato war ein erfahrener Kämpfer, der seine Kraft und seine Intelligenz gut einzuschätzen wusste. Und wenn er etwas wollte, kannte er keine Hindernisse. Einen Arm nutzte er, um sich selbst mit einem Schockstoß aus dem Wirkungskreis der heranrollenden Feuersbrunst zu katapultieren. Und wenn er mit Sturm allein nicht weiterkam, so konnte er auch anders. Er kannte keine Hemmungen und so streckte er seine Hand auf Seto, dem es den kleinen, goldenen Spiegel vom Hals riss. Das Lederband hielt dem magischen Ruck nicht stand und das heilige Millenniumsstück befand sich nur Bruchteile von Sekunden später in Tatos Besitz. Doch damit ging er nicht etwa Seth direkt an. Nein, seine Gedanken waren verschlungener. Feuer mit Sturm zu bekämpfen würde das Feuer nur vergrößern. Feuer mit Sturm zu speisen und damit Feuer zu bekämpfen, würde seine Kraft verdoppeln. So richtete er den kleinen Spiegel kurz auf Balthasar, der keine Chance hatte, sich zu wehren. Er schrie auf vor Schmerzen, doch ehe Seth noch die Idee hinter diesem Handeln erkennen konnte, sah er fremde Flammen auf seine eigenen treffen. Und diese Flammen waren größer, heißer, reißender. Tato raubte sich Feuer aus Balthasars Magie, speiste sie aus seinem Sturm und setzte Seth damit eine Doppelmagie entgegen, die seine eigene im ersten Augenblick überstieg. Mit einem Knall verschlangen sich die heißen Ströme ineinander und kämpften wie gewaltige Monster, schraubten sich in den Himmel und erleuchteten den qualmverhangenen Himmel. Doch Seths eigene Kraft war mittlerweile zu groß als dass ihn dies sofort in die Knie zwang. Dieses Hin und Her des Kampfes konnte noch lange gehen. Seths Magie wurde selbst durch eine fremde Kraft gestärkt, die schier unerschöpflich schien. Er war einfach zu mächtig als dass ein wütender Tato, mochte er noch so kreativ sein, ihn schnell in die Knie zwingen konnte. Dieser Kampf würde noch lange toben und immer neue Ausmaße nehmen, welche durchaus dieses Land vernichten konnte, wenn nicht einer von beiden vorher selbst vernichtet wurde. Doch wer hier wirklich litt war Balthasar. Seine Magie musste durch ein Medium laufen, um frei zu werden. Doch Tato ließ sich nicht als Medium missbrauchen und zog die Flammen zu seinen eigenen Zwecken direkt aus ihm heraus. Und offensichtlich verursachte dies nicht nur unendliche Schmerzen bei dem hilflosen Jungmagier, sondern es war bekannt, dass dies durchaus zu seinem Tode führen konnte. Doch Tato war im Rausch und erkannte keine Freunde mehr. Alles, was Balthasar tun konnte, war durch sein qualvolles Schreien um ein Ende zu flehen. „Eleseus.“ Und jetzt sah sich Amun-Re doch gezwungen, einzugreifen. „Trenne die beiden, bevor jemand Schaden nimmt.“ Und das reichte ihm, um in den Kampf einzugreifen. Allein würden sie kein Ende finden. So löste er sich von der Seite seines Gottes, streckte eine Hand auf Tato, eine auf Seth und mit einem geladenen „HAH!“ beendete er den Kampf. Er unterbrach sowohl die Verbindung zwischen Tato und Balthasar, als auch den Angriff von Seth. Die Flammen verpufften mühelos wie ein Kerzendocht und Tatos Feuersturm brach in sich zusammen und zerging in einem lauen Lüftchen. Selbst wenn Seth eine göttliche Quelle anzapfte, die Kraft, die sein Körper aushalten konnte, war noch lange nicht groß genug, um sich wirklich gegen den mächtigsten aller Magier zu stellen. Sethos’ Körper hatte mehr Macht in sich als Seth durch sich hindurchfließen lassen konnte. Und mächtiger als Tato war er ohnehin. So brauchte es nur einen Schlag von ihm und die beiden Kämpfenden wurden getrennt. Tato kam geschlagen auf dem Boden zum Knien und musste um Atem ringen. Balthasar kippte sofort bewusstlos um. Seth selbst blieb zwar aufrecht stehen, doch er überlegte es sich gut, ob er für einen Kampf mit Sethos schon weit genug war. Er war bereits mächtiger geworden und hatte mehr Wissen angehäuft. Doch offensichtlich entschied er sich nach einem Augenblick, dass er diesen Kampf zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gewinnen konnte. Später vielleicht. Jetzt noch nicht. „Die Zeit, dich zu bezwingen ist noch nicht reif“ beschloss er mit dunkler Stimme. „Überlege es dir gut, ob du so weitermachen willst, Aleseus“ beantwortete Sethos seinen Entschluss mit ruhiger Stimme. „Zu viel Macht wird dir schaden.“ „Du weißt, ich bin nicht auf Macht aus. Mein Ziel ist ein anderes. Und ich werde mich weder von dir noch von irgendwem anderes davon ablenken lassen.“ Womit er sich stolz aufrichtete und entspannter hinstellte. Er hatte Tatos Angriff pariert und dabei gleich seine neuen Kräfte ausgetestet. Aber er war nicht so dumm, dass er sich in sinnlosen Machtspielchen verlor. Seth hatte ein Ziel vor Augen. Und dieses Ziel war, die Welt zu verändern. Nicht, sich selbst an anderen zu messen. Ein Kampf mit Sethos würde ihm im Siegesfalle vielleicht Ruhm bringen, aber seinem eigentlichen Ziel nicht ein Stück näher. Deshalb war es sinnlos, sich mit ihm zu befassen. Ein Blick auf Tato bestätigte, dass der zu erschöpft war, um noch mal auf die Beine zu kommen. Sethos’ Angriff hatte ihn mit einem Schlag besiegt. Und Seth befand einen neuen Kampf für nutzlos. Er hatte seine Position klar vertreten. „Wir sprechen uns noch, Sethos“ kündigte er an und streckte seine Arme nach dem namenlosen Jungen aus, aber Yami wich zwei Schritte zurück, drehte den Kleinen halb weg und würde ihn nicht aushändigen. Wenn er ihn schon nicht aufhalten konnte, so würde er dennoch dieses arme Kind vor ihm schützen. „Nein“ verbot der überzeugt. „Ich bin gegen deinen Plan. Ich habe jetzt einen Körper und darin werde ich auch sterben. Und diesen Jungen wirst du nicht wieder an dich nehmen. Nicht bevor du erst die Söhne akzeptierst, die du bereits gezeugt hast. Ich verbiete dir, dieses Kind weiter gefangen zu halten!“ „Du wirst mich verstehen“ versprach er sanft und aus dem Boden stieg ein dunkler Nebel, welcher sich um seine Beine schlang und ihn allmählich einhüllte. „Du wirst mich verstehen, Atemu. Und die Liebe, welche mich für dich bis über alle Grenzen gehen lässt.“ Er lüpfte seine Arme und wurde vollends von den dunkler werdenden Schatten eingehüllt. Er sprach noch, bevor sie seine Schultern und sein Gesicht bedeckten und dann verblassten. „Und die letzte Nacht war wundervoll, Atemu. Danke. Ich liebe dich. Vergiss das bitte nicht.“ Dann war er fort. Zurück in den Einfluss seines dunklen Gottes. Und hinterließ einen Pharao, welcher das erste Mal im Leben wirklich Angst vor der Zukunft spürte. Chapter 45 Leichte Deprimierung machte sich im Lager breit. Da war Seth nun da gewesen und sie hatten nichts, aber auch rein gar nichts ausrichten können. Gegen ihre Worte schien er noch immuner zu sein als gegen magische Fesseln. „Warum hast du ihn nicht aufgehalten?“ warf Tato voller Frust, aber ohne Atem zu Sethos herüber. Er hätte es ganz sicher noch weiter versucht, Seth zur Strecke zu bringen. „Weißt du eigentlich, dass er jetzt genau da weitermachen wird, wo er aufgehört hat? Warum greifst du mich an, anstatt dich mal mit diesem Irren zu beschäftigen?“ „Ich habe dich nicht angegriffen. Ich habe euch nur getrennt“ erwiderte er ganz ruhig. Er war das absolute Gegenteil. Sethos blieb in fast jeder Situation ruhig. So wie Tato sich in fast jeder Situation provozieren ließ. „Du bist ... so ... AARRGG!“ Tato wusste dafür auch kein Wort mehr. Lieber kam er ächzend auf die Beine, was aber ein nicht ganz so leichtes Unterfangen war. Er war schwer verletzt und langsam machte sich der große Blutverlust bemerkbar. Seine Hüfte war aufgrerissen und seine Arme verbrannt. Wenn der Rausch erst ganz abgeklungen war, würde der Schmerz unerträglich werden. „Tato“ sprach Mokuba vorsichtig, der sich eben versicherte, dass Balthasar ‚nur’ bewusstlos war. „Kann ich dir nahe kommen oder ...?“ „Ja“ knurrte er. Es wurmte ihn, dass er zu schwach war, um eigenständig auf die Füße zu kommen. Man hörte noch die Wut in seiner Stimme, aber so langsam kam er auf ein normales Level herunter. So gruselig Mokuba sein Ausarten fand, er musste ihn dennoch heilen, bevor schlimmeres geschah. So kam er mit langsamen Schritten zu ihm, kniete sich herunter und legte seine Hand zwischen die Schulterblätter des vor ihm knieenden Tato. Wenn man mehrere Körperteile gleichzeitig heilen wollte, musste man sich den zentralsten Punkt suchen. Und er spürte, dass er über Tatos Rücken die heilenden Energien in seinen ganzen Körper leiten konnte. Vorsichtig kam auch Sareth näher und setzte sich zu ihrem Vater. Sie wollte ihn berühren, aber er drehte den Kopf weg. So konnte sie nur dasitzen und nichts weiter tun. Dass sie sich in diesem Moment vor ihm fürchtete, konnte er nicht wahrnehmen. Dafür kochte sein Blut zu sehr. „Du hättest ihn aufhalten müssen“ zischte Tato, der noch immer nicht über seine Wut hinweg war. „Wie kann so viel Kraft nur so nutzlos sein?“ „Kritisiere mich nicht“ erwiderte Sethos mit all seiner Ruhe. Sein Befehl lautete, die Kämpfenden zu trennen und nicht, Seth niederzustrecken. Und er tat nichts, wozu er nicht beauftragt war. „Du bist so nutzlos“ keuchte er und fasste sich an die Hüfte, welche den tiefen Fleischriss schloss und nur noch rot gereizte Haut zeigte. Ebenso wie seine Arme, welche noch leicht gescheckt waren von den Verbrennungen. „Reicht!“ Er stieß Mokuba weg, der eigentlich noch nicht ganz fertig war. Aber Tato konnte das alles hier gerade nicht ertragen. Er kam keuchend auf die Füße und blickte Sethos wütend an. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich, du Arschloch?“ Darauf entschloss Sethos, dass eine Diskussion keinen Sinn hatte. Er blickte nur ausdruckslos zu ihm herüber und sah sich nicht gezwungen, ihm zu antworten. Das hatte er nicht nötig. Was Tato nicht eben ruhiger stimmte. Er stampfte mit einem wütenden Atmen über den feuchten Platz und schmiss die Tür zu seiner Hütte hinter sich zu. Er konnte diese störrische Ruhe einfach nicht ertragen. „Du wolltest nur Amun beschützen“ riet Sareth und blickte scheu zu Sethos herüber. „Hm“ nickte er und erwiderte ihren scheuen Blick mit Sanftheit. „Aber ich muss mich doch vor deinem aufbrausenden Vater nicht rechtfertigen.“ „Er meint es nicht so“ versuchte sie ihn zu entschuldigen. „Er ist nur ... er wollte bestimmt nur ... ich weiß nicht ...“ „Entschuldige dich nicht für ihn.“ Sethan ging zu ihr und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Komm, lass uns reingehen. Es wird kühl hier draußen.“ „Aber Papa ... er ... er ist so anders.“ „Das gibt sich“ versprach Sethos mit beruhigender Stimme. „Wenn er sich beruhigt hat und der Blutrausch abgeklungen ist, wird er wieder der Alte sein.“ „Aber so ... so hab ich ihn noch nie gesehen. Er wollte Seth töten ... und Balthasar ... er hat ihm weh getan ...“ Und das ängstigte sie. Dass ihr Vater so dermaßen austickte, dass er sogar Balthasar in Gefahr brachte ... „Er wird daraus lernen“ beruhigte er, als Sethan mit ihr zurück zu den anderen kam und seine Hand auf ihre Wange legen konnte. „Hab keine Angst. Dein Vater ist nicht dumm. Er wird diese Erfahrung in Erinnerung behalten und sich vor einem erneuten Blutrausch hüten. Er wird wissen, was er getan hat. Sieh es als etwas Gutes an, dass ihn seine Handlungen lehren und positiv verändern. Solch einen kopflosen Kampf wird er kein zweites Mal riskieren. Dafür liebt er seine Familie zu sehr.“ „Und was ist mit Balthasar?“ fragte sie und blickte mit Tränen in den Augen zu ihm, der gerade von Seto auf den Arm genommen und vom Boden gehoben wurde. „Der kommt wieder auf die Beine“ versprach Sethos. „Wir haben rechtzeitig eingegriffen, bevor ihm etwas schaden konnte. Nachdem er sich ausgeruht hat, hüpft er wieder herum.“ „Aber du hast fantastisch gekämpft“ musste Seto loben und blickte sie sanft an. „Was war das, was du da gemacht hast?“ „Was?“ Sie war noch viel zu sehr mit ihrem Vater beschäftigt, als dass sie an eigene Dinge denken konnte. „Du hast unsere Kräfte vereint“ erklärte er lächelnd. „Das hat sich gut angefühlt. Wie hast du das gemacht?“ „Ich weiß nicht“ zögerte sie selbst unsicher. „Ich hab’s einfach gemacht.“ „Elemente des gleichen Geschlechtes können sich vereinen“ erklärte Sethos. „Eis und Erde können sich ebenso vereinen wie Feuer und Sturm. Ihr habt gesehen, wie Tato seine Magie mit Balthasar vereint hat. Das ist eigentlich nur bei sehr starken und sehr erfahrenen Magiern möglich. Umso erstaunlicher, dass Sareth das jetzt schon kann. Meine Bewunderung, Liebes.“ „Aber Seto ist ja auch sehr sanft. Wahrscheinlich hattest du gar keine Scheu vor ihm“ lächelte Sethan sie liebevoll an. „Dein Instinkt hat mehr als gut funktioniert.“ „Das musst du mir beibringen“ versuchte auch Seto sie aufzubauen. „Du musst mir unbedingt erklären, wie du das gemacht hast.“ „Du wirst das nicht lernen können, Eraseus.“ Und Sethos nahm ihm gleich wieder die Hoffnung. „Du hast zwar ein weibliches Element, aber du selbst bist männlich. Deshalb wird dir diese Eigenschaft leider verschlossen bleiben. Sareth kann sich mit dir vereinigen, aber du dich nicht mit ihr. Hier bist du leider untalentiert.“ „Wie nett du so was immer erklärst.“ Seto wäre es manchmal lieber, Sethos würde solche Dinge etwas diplomatischer erklären. „Ich bin nur ehrlich“ meinte der ernst und setzte dann aber für Sareth ein warmes Lächeln auf. „Du hast mich beeindruckt. Und das ist wahrlich nicht leicht. Ich danke dir dafür.“ Er lehnte sich herab und schenkte ihr einen Kuss auf die Wange, was sie dann wirklich mit Stolz erfüllte. Sie wusste, dass er das nicht sagen würde, wenn er es nicht wirklich so meinte. „Und jetzt lasst uns lieber reingehen. Es ist kalt hier“ bat Sethan und führte Sareth im Arm zurück zur Hütte, damit auch sie sich noch ausruhen konnte. Während Seto den bewusstlosen Balthasar auf Tristans Arm gab, um selbst Kraft zu schöpfen und die anderen erst mal folgten und nichts zu sagen wussten, ging Yugi zu seinem Yami, der mit gesenktem Kopf dastand und allein seine Tränen zurückkämpfte. Er hatte diesen Kampf noch lange nicht verarbeitet. „Moki.“ Yugi winkte Mokuba zu sich heran, da der noch nicht weit von ihm fort war. Dann wand er sich dem alten Pharao zu und nahm ihm den kleinen Jungen ab. „Gib her, Yami. Gib ihn mir.“ Er nahm das Kind zwar, aber gab es gleich an Mokuba weiter. Er selbst wollte ihm nur erst die Arme freimachen, um dann sein Gesicht zugreifen und es in seinen Blick zu wenden. „Wir kriegen das hin“ sprach er ihm fest zu. „Hörst du, Yami? Es wird sich alles richten.“ „Nur wann?“ hauchte er verzweifelt. „Wann, Yugi? Wann denn? Was soll ich nur tun? Was soll ich denn schon tun? Du hast doch gesehen ... er ist ...“ „Wir gehen erst mal deine Füße restaurieren. Komm.“ Er zog ihn in Richtung des Badehäuschens und warf Mokuba nur einen kurzen Blick zurück. Der nickte und nahm sowohl den Kleinen mit sich, als auch Seto, der eher träge dastand und deprimiert von einem Bein aufs andere trat. Der war auch völlig traumatisiert von Seths Auftritt und wusste ebenso wenig wohin mit sich. Eben hatte er noch so liebevoll Sareth getröstet, aber auch er hatte nur vor ihr verborgen, wie sehr dieser Kampf an ihm zerrte. „Komm, Langer“ sprach Mokuba erst ganz ruhig, bevor er ihn am Arm berührte. Nicht dass er sich noch erschreckte. „Alles okay bei dir?“ „Ich werde aus ihm nicht schlau“ sprach er und gab Mokubas leichtem Schieben nicht nach. „Er ist so ... als wäre er die ganze Zeit in Trance oder ... ich weiß auch nicht. Das ist doch nicht mehr ... Seth. Mein Seth.“ „Hey, lass dich nicht unterkriegen.“ Er wippte das Bündel auf seinem Arm und drückte es an sich. Hatte doch ganz gut Gewicht der Lütte. „Komm schon, großer Bruder. Lass dich nicht runterziehen. Oder ...“ Oder war da etwa mehr? Es ging ihm eh schon nicht gut, sein Herz litt an irgend etwas. Und wenn Seth ihm nun etwas Erschreckendes gesagt hatte? Das wäre ihm sicher nicht zuträglich. „Oder hat Seth dir etwas ... Gemeines ... gesagt?“ „Auslegungssache. Er hat mir gesagt, ich soll ...“ Aber als ihm auffiel, dass er da mit seinem kleinen Bruder sprach, hob er den Blick und sah ihn traurig an. „Nichts“ brach er dann seine Rede ab. „Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen.“ „Ey, wie alt soll ich denn noch werden?“ seufzte er leicht beleidigt. „Ich bin erwachsen, Seto. Du kannst mich mit deinen Problemen gern belasten.“ „Will ich aber nicht“ sagte er streng. „Lass mir meine Probleme. Sonst hab ich gar nichts mehr zu tun.“ „Wenigstens hast du deinen schlechten Humor noch.“ Na gut, wenn er nicht wollte, würde er auch nichts sagen. Mokuba konnte 100 Jahre alt werden - er würde für Seto immer der Kleine bleiben. „Wer ist das?“ fragte er stattdessen und nickte auf den Kleinen in der goldenen Samtdecke, der da auf Mokis Arm baumelte und sein Gesicht an ihn drückte. „Weiß ich gar nicht.“ Er schaute hinunter auf den Jungen, aber fand da natürlich keine Antwort. „Yugi hat ihn mir aufgedrückt. Der muss sich erst mal um Yami kümmern. Aber sieht süß aus der Kleine, oder?“ „Hm.“ Er streckte seine Hand nach dem goldenen Köpfchen aus und streichelte sanft darüber. Aber als würde dort eine elektrisch geladene Spinne sitzen, zog er erschrocken gleich den ganzen Arm zurück und trat rückwärts. „Was ist denn?“ Und Mokuba erschrak sich da natürlich nicht weniger. „Nichts“ keuchte Seto, blickte seine Hand an und rieb sie sich verwirrt. „Ich hab mich nur erschrocken. Der Kleine ... drückt mir seine Gedanken auf.“ „So?“ Er sah ihn an, aber diese holzbraunen Augen wollten ihm nichts weiter sagen. Mokuba bemerkte nur, dass er wunderbar tiefe, braune Augen hatte. Er blickte ihn direkt an und schien sich seinen Teil zu denken. Aber dann legte er seinen Kopf zurück an Mokubas Brust und hielt sich in seinem Pullover fest. „Bin ich froh, dass ich kein Empath bin. Ich hab nur eigene Gedanken und Gefühle.“ Er sah zurück zu Seto, der noch immer den Kleinen anblickte. „Oder meinst du, er hat etwas Böses?“ „Nein. Er ist doch noch ein Kind. Er ist nicht böse. Überhaupt nicht“ schüttelte er seinen Kopf. „Ich hab mich nur erschrocken. War wahrscheinlich meine Schuld. Ich hab ... vor meinen Augen loderten Flammen auf. Vielleicht etwas, was er gerade verarbeitet.“ „Weiß der Geier, wo Yami den plötzlich her hat“ pflichtete Moki bei. „Fragen wir ihn einfach, wenn er zurück kommt. Wäre ja schon nett zu erfahren, wie ...“ „JA SUPER! Danke auch!“ Da kam Jonny fluchend aus dem Haus und ließ die Tür weit offen. Verfolgt wurde er von Sharesa und Fernando, die seinem Getrampel aber eher ruhig folgten. „Reg dich nicht so auf“ bat Fernando und lächelte. „So ist das Leben.“ „Du bist doch nur geil auf dein Baby!“ warf er zurück, stampfte auf den Boden und drehte sich mit hochrotem Kopf um. „Im Gegensatz zu dir, wollte ich die Welt retten!“ „Hach, ich wollte die Welt retten“ wiederholte Sharesa dramatisch. „Verarsch mich nicht! Ich bin echt angefressen!“ „Warum denn?“ hakte Mokuba überrascht ein. „Weil Sethan ein Arsch ist!“ keifte Jonny und stampfte wieder auf den Boden. „Ein riesengroßer Arsch!“ „Das hab ich gehört!“ kam es von drinnen von eben dem. „DU BIST EIN ARSCH!“ wiederholte er nur noch mal lauter. Extra für den Empfänger. „Lass ihn in Ruhe“ bat Sharesa. „Er wird das schon richtig machen.” „Was denn?“ wollte jetzt auch Seto wissen. „Wir können duschen gehen“ lächelte Fernando die beiden an. „Sethan schickt uns demnächst zurück nach Hause.“ „Warum?“ guckte Mokuba überrascht. „Weiß nicht, warum. Er meinte nur, wir sollen unsere Sachen packen und zurück.“ „Du scheinst da nicht so traurig drüber zu sein.“ Im Gegensatz zu Jonny, der den Eindruck machte, man hätte ihn persönlich beleidigt. „Was erwartest du denn, Moki?“ lächelte Sharesa. „Nando ist frisch gebackener Papa. Natürlich fällt es ihm nicht schwer, zurückzugehen.“ „Hoffen wir nur mal, dass die Welt noch steht“ knurrte Jonny. „Wenn wir die hier schon nicht retten konnten.“ „Nun macht schon, dass ihr eure Koffer packt“ drängelte Fernando. „Komm Jonny, ich helfe dir packen.“ „Du scheinst ja sehr froh zu sein, dass wir rausgeschmissen werden!“ „Jupp“ grinste er frech. „Ey, das ist doch ne Verarsche.“ Und der junge Hund konnte sich gar nicht genug darüber aufregen. „Du und ich kommen zuletzt und gehen zuerst. Da hätten wir auch gleich Zuhause bleiben können. Und was ist mit Dakar? Warum kann der hier bleiben?“ „Wahrscheinlich, weil der nicht so rumkeift wie du.“ Womit Sharesa ihn am Arm packte und hinter sich her zog. „Komm jetzt. Befehl ist Befehl.“ „Werd doch Priester, Shari, wenn du so auf Gehorsam stehst.“ „Nö, ich werde Domina. Und jetzt ab.“ „Was soll’s?“ Fernando zuckte mit den Schultern und trollte den beiden nach. Er war wirklich nicht mal ansatzweise beleidigt, dass er schon wieder zurück sollte. „Sethan schickt sie zurück?“ wiederholte Mokuba und sah seinen großen Bruder an, als hätte der darauf eine Antwort. „Weißt du was davon?“ „Mir sagt doch nie jemand was“ murrte er und machte sich mal auf den Weg in die Hütte, um dieser Sache auf den Grund zu gehen. Etwas sehr eng eingepfercht saß man hier. So viele Personen in einer so kleinen Gemeinschaftshütte, welche viel zu wenige Sitzgelegenheiten bot. Wenigstens hatte Narla das Feuer im Kamin neu entfacht und die Teppiche waren auch ein ausreichender Sitz, wenn man jung war. Einen der beiden Sessel hatte Sethos sich natürlich genommen und hielt Amun auf seiner Lehne, während Sethan den zweiten für sich beanspruchte. Und wen von beiden sollte Seto jetzt runter werfen, wenn er als Drache auch einen Einzelplatz begehrte? „Papa!“ Aber wenn Nini nach ihm rief und ihre Arme ausstreckte, brauchte er nicht weiter zu denken. Die Kiddys ließen sich gesammelt auf dem Spielteppich nieder, welcher mit einem aufregenden Teddymuster bedruckt war und dass Tato anstatt des Spielzeuges in der Spielzeugkiste saß, verriet, dass hier bereits ordentlich getobt wurde. Eigentlich war das erwachsenenfreie Zone, aber das galt für genau zwei Menschen nicht. Nämlich für Seto und für Noah ... wobei letzterer sich eher selten auf dem Teddyteppich blicken ließ. Ja, das war eine gute Alternative zum Sessel. Seto folgte dem Rufen seiner Prinzessin, klappte seine langen Beine ein und nahm sie auf seinen Schneidersitz, wo sie sich gleich an ihn schmiegte. „Was war denn draußen los?“ fragte sie neugierig. „Plötzlich waren alle weg und Amun sagte, wir sollten hier bleiben.“ „Erwachsenenkram“ war Setos schlichte Antwort. Wenn irgendwo eine Gefahr drohte, wurde der Nachwuchs ganz schnell zusammengesammelt, in eine Ecke gesteckt und mit einem Zauberbann geschützt. Sie mussten ja nicht alles von ihrem Erwachsenenkram mitkriegen. „Und was habt ihr hier so gemacht?“ „Gespielt“ lächelte Nini ihn breit an. „Gespielt ... und noch?“ „Nur gespielt.“ Jetzt war er aber überrascht. Mehr nicht? Nur gespielt? Sonst hatte Nini doch nach nur fünf Minuten mehr Tratsch auf Lager als die Bild-Zeitung im ganzen Jahr. Von der anderen Seite kam Risa herangekrabbelt und klebte sich an Setos Rücken fest, indem sie ihre Arme ausbreitete, ihn weitesgehend umarmte und auch nicht wieder losließ. Aber der war es gewohnt, sofort vereinnahmt zu werden. Er streckte nur mal seinen Arm aus, um Tatos Bein nach oben zu ziehen, da der sich allmählich kopfüber in der Kiste verkeilte und ausprobierte, welche Position am gemütlichsten war. Feli dagegen war ein einfacher Kandidat, denn die rupfte an den Haaren ihrer Wollpuppe und war sich derzeit selbst genug. Und Theresa lag zwar auch dabei, aber die robbte noch nicht so schnell - Höchstgeschwindigkeit fünf Meter in der Stunde. Und die kleine Joey schlief auf Narlas Arm tief und fest. „Warum schickst du sie nach Hause?“ fragte Seto dann aus dem Nichts heraus Sethan auf den Kopf zu. „Mach mir nicht weiß, du wirst Jonny vermissen“ lächelte der ihn neckisch an. „Ich frage ja nur“ lächelte Seto zurück. „Vielleicht könnten sie Joey gleich mitnehmen.“ „OH SÄÄTOO!“ schimpfte der. „Ich hab dir gar nichts getan, ey!“ „Du tust ja eh nie was.“ „Außerdem hab ich da auch noch was mitzureden“ meinte Narla und umarmte ihren Schatz ganz liebevoll. Wobei sie ihm bei der Gelegenheit auch gleich den Welpen aufdrückte. „Das Krümelchen und ich würden dich vermissen, Schatz.“ „Ich euch auch, Baby“ seufzte er und ließ sich einen kleinen Kuss geben. Wenigstens Narla war ab und zu mal nett zu ihm. „Ich würde dich nicht vermissen“ meinte Seto und hielt die Spielzeugkiste gerade noch vom Kippen ab, als Tato sich darin an einer Rückwärtsrolle versuchte. „Ich dich auch nicht“ konterte Joey beleidigt. „Nicht ein Stück würde ich dich vermissen.“ „Das sagst du jetzt. Aber wenn du mich nicht hättest, würdest du dich langweilen.“ „Du würdest dich auch langweilen ohne mich!“ „Glaube ich kaum“ murmelte er und drückte die anschmiegsame Nini an sich. „Ich hab ja noch mehr Probleme außer nur dich.“ „Bezeichne mich nicht als Problem!“ „Gut. Ärgernis trifft es auch eher.“ „Oh ... Alter.“ Joey knurrte und drückte ebenfalls seine Tochter an sich. Seto war heute wieder zum Knutschen charmant. „Krümel, sag was. Seto ist doof zu Papa.“ „Hiiii.“ Sie sabberte, es ging ein Blitzen durch ihre schielenden Augen und noch bevor er wusste, wie ihm geschah, befand er sich mitten in seiner Skalpierung. „Aaaaahhhhh!“ Wenn Sie seine Haare zu fassen bekam, waren das echte Schmerzen! „Narla! Sie tut es schon wieder!“ Und was machte seine Angebetete? Sie paarte ein abgrundtiefes Seufzen mit rollenden Augen, erhob sich und quetschte sich lieber zu Marie auf die Couch. Sollte sie dazu noch einen Kommentar geben? Da leistete sie lieber ihrem Halbbruder Gesellschaft, der seinen Kopf auf Maries Schoß gebettet hatte und vor nur einer Minute erst sein Bewusstsein zurückerlangt hatte. „Idiot“ grinste Seto. „Blödmann“ knirschte Joey und musste also versuchen, sich selbst zu retten. „Ich gehe doch mit Jonny.“ Manchmal war die ganze Welt gegen ihn. „Jetzt aber mal ernsthaft“ sprach Tristan dann erneut Sethan an. „Warum sollen sie so plötzlich zurück? Hat das was mit Seths Erscheinen eben zu tun?“ „Nein, gar nicht“ verneinte er und zog seine Beine auf den Sessel, um sich in die Lehne zu kuscheln. „Mir geht nur leider langsam die Kraft aus.“ „Das hört sich ja nicht schön an“ sorgte Nika sich. „Du hältst alle hier fest, oder?“ hakte Mokeph genauer nach. „Alle, die du mitgebracht hast. Brauchst du so viel Kraft dafür?“ „Würde ich sie nicht festhalten, würden wir alle zwischen den Zeiten zergehen. Dass Seelen und Körper durch die Zeit reisen, ist im Weltgefüge nicht vorgesehen. Eigentlich nicht mal möglich.“ Mit einem kleinen Nicken bedachte er Amun-Re, welcher mit einem kurzen Lächeln zurücknickte. Das alles konnte auch nur mit seinem Einverständnis so geschehen. „Aber als Aleseus eben von den Schatten abgeholt wurde, hat mich das spüren lassen, dass ich meine Pläne mit den derzeitigen Gegebenheiten nicht realisieren kann. Ich muss meine Kraft besser einteilen.“ „Dann schick mich auch zurück“ bat Sareth und berührte vorsichtig seine Hand. Sie saß ihm zu Füßen und ihre blauen Augen sagten, dass sie wohl auch lieber wieder nach Hause wollte. „Für dich brauche ich weniger Kraft“ lächelte er und nahm ihre vorsichtigen Finger, um sich in ihnen einzuhaken. „Deshalb bleiben jetzt nur die starken Magier hier. Ihr kostet mich weniger Kraft.“ „Ist das nicht unlogisch?“ meinte sie misstrauisch. „Wenn wir wirklich so viel Magie haben, hast du doch viel mehr zum Festhalten hier. Viel mehr Masse.“ „Genau das ist es ja, mein Schatz. Euch kann ich kurzfristig sogar mal ganz loslassen, ohne dass ihr gleich in den Zeitstrom eingesogen werdet. Eben weil ihr so viel Masse habt, seid ihr schwerer in Bewegung zu bringen.“ „Aber brauchst du uns denn überhaupt? Ich meine ...“ „Genau deswegen erzähle ich so ungern etwas“ unterbrach er sie, aber mit einer ganz liebevollen Stimme. „Du machst dir immer gleich Sorgen, Sari.“ „Tut mir leid ...“ „Vertrau mir einfach, ja?“ lächelte er sanft. „Okay?“ „Okay.“ Sie blickte dennoch besorgt zu Boden. Wirklich, sie war wie Seto. Sie ließ sich sehr leicht beunruhigen. „Okee“ stimmte Tato aus den kopfstehenden Tiefen seiner Kiste zu. Auch wenn er nicht wusste, worum es ging. Er war einfach mal einverstanden. Doch es kam auch ein leises „Ogii“ aus Mokubas Armen, womit sich dann die Aufmerksamkeit auf ihn richtete. „Hat es gesprochen?“ guckte Joey überrascht. „Ich dachte, es schläft.“ „Es ist ein Er“ berichtigte Mokuba pikiert. „Und ja, er spricht ganz anscheinend.“ Er drehte den Jungen in seinen Armen und setzte ihn frontal auf seinen Schoß, damit er die anderen ansehen konnte und angesehen wurde. „Wow“ lächelte Tea ganz bezaubert. „Der ist ja selten hübsch!“ Womit sie gar nicht so falsch lag. Sein hellblondes Haar stand in krassem Kontrast zu seiner dunkel gebräunten Haut. In seinem herzerwärmenden Lächeln standen schon die ersten Zähnchen und seine grauen Augen hatten einen hellen Grünstich, was ihm ein unsagbares Glänzen verlieh. Sein Blick besaß einen einzigartigen Zauber, der alle in seine großen Erwartungen mit einzog. Aufgeregt blickte er in der Gruppe umher und klatschte dann überraschend in die Hände, bevor er noch breiter grinste. Er zwinkerte kichernd und klatschte erneut. Als würde er sich riesig freuen, hier zu sein. „Na? Was ist das denn?“ freute sich auch Mokuba und klatschte vor ihm in die Hände. Erschrocken riss der Kleine seine glitzernden Augen auf und drehte sich dann fragend, ganz langsam zu dem großen Mann hinter sich um. „Na?“ lächelte er. „Klatschen?“ Wieder klatschte er und der Kleine schaute ihn fasziniert an. „Klatschen?“ Dann hüpfte er auf seinem Schoß und klatschte in seine patschigen Hände. Gleich zwei Mal. Und er lachte. Ein herzerwärmendes, helles Lachen. „Ist der süß!“ quietschte Sareth, kam ganz schnell herüber und strahlte ihn an. „Du bist soooo süß!“ Auch sie klatschte und bekam sofort ein giggelndes Klatschen zurück. Er freute sich! „Wer bist du?“ Sofort wollte auch Nini zu ihm und guckte ihn neugierig an. Aber Seto konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie den Fremden in ihren Sog einschließen konnte. „Bestürm ihn nicht“ bat er lieb. „Das sind gerade sehr viele Leute für ihn.“ „Bleibt der Junge jetzt auch hier?“ Eine berechtigte Frage, die sie da stellte. Bis jetzt hatten sie ja schon mehrfach überraschend Zuwachs bekommen. „Och, ich weiß nicht“ lächelte Mokuba das kichernde Etwas an und wippte ihn auf seinem Schoß, was ihn nur fröhlicher kichern ließ. „Will ihn nicht jemand adoptieren?“ „Noah?“ Seto sah sofort ihn an und fand das eine gute Idee. Er war schon immer der Meinung, dass Noah einen hervorragenden Papa abgeben würde. Nur leider wehrte der sich bisher gegen sämtliche Überredungskünste. „Nein, danke“ antwortete der ohne Nachdenken. Seiner Meinung nach konnte Seto so viele Kinder adoptieren wie er wollte. Er selbst wollte kinderlos und unverheiratet bleiben. „Hat er denn überhaupt einen Namen?“ wollte Tea wissen. „Müssen wir Yami fragen“ meinte Seto. „Er hat ihn aus dem Wald mitgebracht. Ich weiß nicht, was er mit ihm vorhatte.“ „Aleseus hatte etwas mit ihm vor.“ Sethos mischte sich ein und blickte den Kleinen vielsagend an. „In etwa zwei bis drei Jahrzehnten sollte er Atemus Seele tragen.“ „Atemus Seele“ wiederholte Marie ungläubig. „Warum?“ Sie sah Sethos fragend an, aber bekam nur einen nachdenklichen Blick, der sie langsam nervös machte. „Was ist denn mit Ati?“ „Sag es ihr“ bat Amun-Re mit leiser Stimme. „Erzähl von Atemus Traum.“ Und davon, wofür Seth sie wirklich geschwängert hatte. Damit sie erfuhr, dass sie ihm nicht etwa ein Kind gebären sollte, sondern nur einen passenden Körper ... Und davon wie Seths einst so gütiges Menschenbild sich verklärt hatte ... ----------------------------------------------------------------------------------- Einer geht noch! Einer geht noch rein! XD Also, einer kommt noch ... beim nächsten Mal. Und falls ihr mir zu diesem Teil vielleicht eure Meinung sagen wollt, ist das natürlich herzlich willkommen. Ich hoffe, ihr mögt die neuen Charaktere ein bisschen. Auch wenn natürlich die Zeit zu kurz ist, um nun auf jeden einzeln einzugehen. James und Enrico hab ich noch mal reingenommen, weil die mittlerweile wohl recht beliebt geworden sind - was mich natürlich riesig freut! Und mit Dakar musste ich uns einfach mal befassen, weil ich ihn irgendwie richtig liebgewonnen hab. Ich hoffe, ihr mögt ihn auch ein bisschen. Und im nächsten Teil wollen wir dann mal schauen, wie sich das alles so entwickelt. Mal sehen, ob Sethan noch ein bisschen aus sich herauskommt, ob Tato sich endlich eine neue Liebe zugesteht, ob Sari mehr als Selbstvertrauen gewinnt und natürlich ob es doch noch irgendwer schafft, Seth zur Vernunft zu bringen. Und in der Zwischenzeit dürft ihr überlegen, warum das Ganze überhaupt so läuft wie es läuft. Auf was wartet Sethan noch? Wenn er doch so mächtig ist, könnte er dem Spuk nicht einfach ein Ende machen? Was hat das für einen Sinn, Rah als Amun-Re auf die Erde zu holen? Überhaupt scheint das alles etwas unlogisch ... aber keine Angst ... am Ende wird das alles einen Sinn ergeben ... hoffen wir es mal ... So please stay tuned, folkes! I love you! dat masu Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)