Judasfall eines Drachen von masamume (Teil 13/2 - Zweifel und Vertrauen) ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 16 - 20 -------------------------- Chapter 16 „Guten Tag?“ Höflich blieb er erst mal im Türrahmen stehen, um nicht sofort reinzustürmen wie alle anderen. Die anderen wandten sich um und eigentlich musste er sich nicht mal vorstellen. Man sah ihm an, dass er Ninis Sohn war. Sein Haar hatte dieselbe, goldene Farbe. Er trug es lang bis zu den Hüften und hatte sich nur den Pony zu einem kleinen Zopf nach hinten gebunden. Sein Gesicht war zwar männlich, aber seine weichen Wangenknochen, der große Mund und die schmale Nase gaben ihm einen Hauch Zartheit. Man sah ihm jedoch auch den Vater an. Er hatte schmale Hüften und einen kräftigen Oberkörper, lange Beine. Jedoch fehlte ihm die auffällig große Statur. Nini war ja auch nicht riesig und so schoss er ebenfalls nicht in die Höhe. Er wurde gezügelt zu einer normalen Größe. Er besaß Schönheit, ganz ohne Zweifel. Dennoch nicht so reiner Abstammung. Er war nicht nur der Sohn des Seth, sondern auch Ilanis Kind. Der erste, welcher Vater und Mutter gleichermaßen in sich vereinigte. Das Intensivste, Auffälligste an ihm blieben jedoch seine Augen. Sie waren blau, tiefblau. Aber als würde vor ihm ein violettes Licht leuchten, spiegelte sich diese Farbe in ihnen wieder. Es war nicht greifbar, eher wie ein Schein. Ein leichter Schleier, den man darüber gelegt hatte. So eine Augenfarbe war fast unnatürlich. Jedoch wurde sein glanzvolles Äußeres durch fast unpassend normale Kleidung gebändigt. Ein langärmliger, schwarzer Wollpullover mit breitem Kuschelkragen, eine hellgraue Jeans knapp über den weißen Turnschuhen. Ein ganz normaler, junger Mann. „Was ist denn?“ lachte er die anderen an, die ihn nur bestaunten. „Kommen wir so ungelegen? Frühstückszeit ist doch schon durch, oder?“ „Du bist Sethan, oder?“ Typisch Yami. Wenn er was wissen wollte, dann fragte er einfach. Egal, wie blöde es klingen konnte. „Und du bist Atemu“ lächelte er zurück. „Du hattest Recht. Du warst wirklich mal hübsch.“ „Warum? Bin ich später denn nicht mehr hübsch?“ „Doch, schon“ scherzte er im Gegenzug. „Aber nicht mehr so jung.“ „Ja ja“ grinste er. „Wie sagte Opa neulich so schön? Die Jugend ist an die Jungen verschwendet.“ „Irgendwas ist ja immer, oder?“ Ein wahres Wort. Er sah sich in der Runde um und schien wohl selbst nicht wirklich zu wissen, was er sagen konnte. Letztlich wussten alle, dass er nicht wegen eines kleinen Plausches zu Besuch gekommen war. Und dem mächtigsten aller jemals geborenen Wesen zu begegnen, war ja auch kein alltägliches Geschäft. Seine Aura war so verschlossen, dass man Angst hatte, wenn er sich erst öffnete. Wie ein Sturm, den man hinter Flüchen gebändigt hatte. Er schien so natürlich, dass man ihm diese Normalität nicht glauben konnte. Das war er also. Der mächtigste aller Könige. „Hast du jetzt alles geregelt, was du noch wolltest?“ wollte Tato nüchtern von ihm wissen. „Ja, hab ich“ entgegnete er mit einem harmonischen Ton. „Danke, dass ihr so lange gewartet habt.“ „Schon gut“ winkte Jonny ab. „Wir sind’s ja gewohnt, auf dich zu warten.“ „Ich meinte eigentlich die anderen, die schon länger hier sind“ berichtigte er. „Gab’s irgendwas Aufregendes, was wir wissen sollten?“ „Wir sind ja erst ein paar Tage jetzt hier“ antwortete Balthasar. „Wie hast du eigentlich entschieden, wen du mitnimmst und wen nicht?“ wollte Yugi von ihm wissen. „Das hab ich mich schon die ganze Zeit gefragt.“ „Ich hab alle mitgenommen, die uns helfen können und die wir in der Zukunft entbehren konnten“ war seine Antwort. „Die anderen sollten lieber Zuhause bleiben und sehen, dass die Welt nicht umkippt, während wir hier sind. Aber schön habt ihr es hier“ meinte er und blickte sich um. „Ich kenne das Haus sonst nur von Fotos. Schon merkwürdig durch die Räume zu laufen, die man sonst ganz anders kennt.“ „Man gewöhnt sich aber schnell daran“ tröstete Sharesa. „Also, ich fühle mich schon wie Zuhause.“ „Bist du ja auch“ lachte Jonny. „Wir sind alle Zuhause ... irgendwie.“ „Ja, schon merkwürdig“ lächelte Yugi. „Obwohl ich euch nicht alle kenne, kommt ihr mir persönlich gar nicht unbekannt vor. Als würden wir uns schon ewig kennen.“ „Ein schönes Gefühl, oder Opa?“ lächelte Sethan ebenso zurück. „Irgendwie beruhigend zu wissen, dass man über alle Zeiten hinweg zusammen gehört.“ „Moment mal!“ rief Yami aufgeregt. „Wie hast du ihn eben genannt?“ „Opa“ erwiderte Sethan belustigt. „Yugi und Seto sind für mich Opa und Oma.“ „OMA?!“ Seto kriegte gleich nen Koller. „Also ehrlich, das muss doch nicht sein! Müsst ihr mich immer ärgern?“ Und dass die anderen ihn auslachten, fand er auch nicht eben witzig. Mama war ja schon schlimm genug, aber dann auch noch Oma zu werden, sprengte doch den Rahmen. „Zukünftig wirst du da nichts gegen haben, denke ich“ versuchte er sein Lachen zu unterdrücken. „Aber wenn es dich stört, nenne ich dich Seto. Oder Eraseus. Oder Pascal. Ganz wie du möchtest.“ „Nein, es stört ihn nicht“ beschloss Yugi und griff sich Setos Hand, bevor der noch protestieren konnte. „Es ist schön, dich kennen zu lernen, Sethan. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal meinem Enkel so jung gegenüberstehe.“ „Ich glaube, das hier hätte niemals jemand so für möglich gehalten“ meinte Mokuba ernst. „Wirklich, wir sind doch ziemlich abgedreht, oder?“ „Wir sind die Herrscherfamilie, Onkel Moki. Was erwartest du?“ berichtigte Tato ebenso ernst. „Denkst du etwa, jemand wie wir könnte normal leben? Das ist uns leider nicht vergönnt.“ „Dafür sind andere Dinge wie in jeder anderen Familie auch“ meinte Sharesa. „Nur eben, dass unsere Familie sich nicht auseinander lebt, sondern immer größer wird.“ „Das ist doch etwas Gutes“ wand Seto ein. „Eine große Familie, welche einander liebt und annimmt, bietet Sicherheit für das ganzes Leben. Wenn aus vielen Individuen ein großes Ganzes wird. Das ist etwas Wertvolles.“ „Und wir halten es alle in Ehren, Mama“ versprach Tato. „Auch die Jungen, die sich lossagen wollen und auch dürfen, kehren irgendwann immer wieder zurück. Letztlich weiß jeder, was er daran hat.“ „Und so wird es hoffentlich immer sein“ nickte Sethan abschließend und griff vorsichtig hinter sich. „Aber ich wollte euch doch noch jemand vorstellen, der sich da hinten herumdrückt.“ „Noch jemand?“ guckte Marie. „Mensch, jetzt wird’s echt voll. Gut, dass wir so viel Platz haben.“ „Nur Stühle müssen wir wohl noch ein paar einkaufen“ meinte Noah ernst. Mittlerweile kamen sie wirklich ernsthaft in Platznöte. „Jetzt zeig dich doch“ ermutigte Sethan denjenigen, der hinter ihm stand. „Es beißt dich schon niemand, Schätzchen. Das sind doch dieselben Leute wie Zuhause.“ Etwas widerwillig weil zurückhaltend, kam hinter ihm ein junges Mädchen hervor. Und ihr sah man die Abstammung ebenfalls sofort an. Das konnte kein Irrtum sein. Sie hatte nussbraunes Haar und stechende, leuchtend blaue Augen. Ihre Haut war hell, ihre Wangen gerötet und auch wenn sie noch nicht ganz im Frauenalter war, sah man, dass sie einst sicher sehr hübsch werden würde. Sie war ja jetzt schon hübsch, auch wenn es eher eine niedliche Schönheit war. Ein wenig hatte sie Ähnlichkeit mit Narla, aber ihr fehlte das Wilde, das Ungestüme. Wenn Seto ein junges Mädchen gewesen wäre, hätte er sicher genau so ausgesehen. Sie war einfach zart. Wenn also nicht alles täuschte, hatte der dunkle Seth sich zusätzlich noch eine Tochter gezeugt. Vielleicht wollte er es Rah nachmachen und ebenfalls ein Mädchen sein Eigen nennen. Warum auch immer ... man sah es in ihren tiefen Augen. Sie war ein Drache. „Sag mal, spinnst du?“ Jetzt schrie Tato und stand so plötzlich auf, dass der kleine Laertes überrascht von seiner Schulter flatterte und sich bei Phoenix in Sicherheit brachte. „Ich hab dir gesagt, sie soll Zuhause bleiben!“ „Ich weiß“ antwortete Sethan selbst dann noch ruhig und gelassen als der viel größere Tatodrache schnaubend vor ihm stand. „Aber ich fand es wichtig, dass sie uns begleitet.“ „Das ist mir scheißegal! Treib es nicht zu weit, Sethan!“ „Ich ehre dich sehr. Das weißt du, Onkel Tato“ sprach er sanft. „Aber wer mit uns geht und wer nicht, entscheide ich. Du solltest sie nicht zu sehr einengen.“ „Du hast dich da rauszuhalten!“ Er war wirklich ernsthaft böse. Das hier war kein Spaß. Man hörte es in seiner Stimme, sah es in seinem wilden Blick. Er war anderer Meinung. Und Tato hasste es, wenn ihm was gegen den Strich ging. „Nein, das habe ich nicht“ entgegnete Sethan dafür umso standfester. „Sari ist wichtig für uns und unser Ziel. Sie hat zugestimmt, uns zu begleiten und deshalb wird sie bleiben. Frag sie selbst.“ „Du kannst vielleicht über die ganze Erde bestimmen, aber meine Tochter gehört immer noch mir“ drohte er ihm und stach mit seinen Fingerspitzen warnend in Sethans Schulter. „Du findest einen Weg, sie zurückzubringen oder wir beide geraten ernsthaft aneinander.“ „Das kann ich nicht“ sagte er ihm ernst. „Sie ist wichtig und das weißt du auch. Sei vernünftig, Asato.“ „Was vernünftig ist und was nicht, kannst du nicht beurteilen“ zischte er ihm stinksauer zu. „Bring sie zurück. Sofort.“ „Nein.“ Und Sethan rückte davon nicht ab. „Du hast das mit meiner Mutter bereits diskutiert. Es ist unfair mir gegenüber, wenn du das jetzt wieder infrage stellst, was sie mir gestattet und dir geboten hat. Das ist sehr unfair.“ „Du bist vielleicht mächtiger als ich“ fauchte er mit blitzenden Augen. „Aber du hast keine Ahnung, wie unfair das Leben wirklich ist. Bring sie zurück.“ Und damit ihm seine Worte niemand mehr abstreiten konnte, drängte er durch die Tür und verschwand. Während Tato sich wahrscheinlich erst mal irgendwo abregen musste, stand das junge Mädchen etwas unsicher da. Ihr Erscheinen hier war wohl schon länger umstritten. Und so knetete sie eher nervös den Saum ihres originellen Kleides als den Anschein zu machen, dass sie hier wichtig war. „Das müssen wir jetzt nicht verstehen, oder?“ zeigte Yami dem davongedonnerten Drachen hinterher. Da schien wohl schon länger ein Konflikt zu schwelen, jedenfalls roch es stark danach. „Dazu müsstet ihr erst Onkel Tatos Leben verstehen“ meinte Sethan. „Da liegt vieles, was er sich selbst nicht eingesteht.“ „Ich ... ich glaub ...“ Sie sprach ganz leise und zupfte zaghaft an Sethans Wollpullover. „Ich sollte lieber wieder nach Hause gehen.“ „Aber du bist doch Zuhause, Schätzchen“ tröstete er und sah zu ihr herunter. „Sieh mal, es sind alle da. Sogar Oma und Opa. Du hast doch gesagt, du wolltest sie so gern mal jung sehen.“ „Ich hab sie ja jetzt gesehen“ antwortete sie leise und sah schüchtern zu den beiden herüber, bevor sie ihren Blick senkte. „Jetzt muss ich lieber wieder nach Hause. Ich möchte Papa nicht traurig machen ... ich wusste, er wird böse, wenn ich hier bin ...“ „Unsinn, du weißt doch, wie er ist“ lächelte er sie fröhlich an. „Erst probt er einen riesigen Aufstand und hinterher redet er nicht mehr drüber. Tut er doch, oder? Erst der große Vulkanausbruch und dann Funkstille. Der ist doch’n Schizo.“ Da lächelte sie und hob schüchtern ihren Blick. Ja, ihren Papa kannte sie gut. Und sie wusste, dass er ziemlich aufbrausend sein konnte. „Außerdem ist Spatz doch auch hier“ tröstete er weiter. „Du hast ihm doch versprochen, dass du nachkommst.“ „Stimmt“ sprach auch der ihr ermutigend zu. „Du kannst mich hier doch nicht alleine lassen, Sari. Mit den ganzen Spinnern hier.“ „Wer ist hier ein Spinner, du Spinner?“ Anscheinend fühlte Jonny sich spontan angesprochen. „Außerdem wollen wir dich auch gern kennen lernen.“ Yugi war aufgestanden und zu ihr rübergegangen. Er brauchte sich nicht mal herunterknien, da er ihr auch so in die Augen sehen konnte. Sie hatten in etwa dieselbe Höhe. „Hab ich das richtig verstanden, dass du meine Enkelin bist?“ „Ja“ antwortete sie höflich und ließ Sethan los, um sich ihm ganz zuzuwenden. „Ich heiße Sareth Muto. Guten Tag.“ Sie hielt ihm die Hand hin, als wäre er ein Fremder. Anscheinend wusste sie nicht ganz, wie sie sich verhalten sollte. Genau dieselbe auf Höflichkeit bedachte Art wie sie Seto als Kind auch hatte. „Na, nicht so förmlich“ baute er sie auf und drückte ihr trotzdem die Hand, um sie nicht ganz dumm dastehen zu lassen. Jedoch nicht, ohne ihr einen kleinen Begrüßungskuss auf die Wange zu geben. „Und die anderen nennen dich, Sari? Ist das wegen deiner Kleidung?“ „Ja“ äußerte sie leise und strich sich vorsichtig über die Seiten. Das also war gar kein modischer Tick aus der Zukunft. Sie trug einen Sari wie die Frauen in Indien. Das Gewand war uralt, anstatt originell neu. Und die dunkelblaue Farbe stand ihr gut zu Gesicht, trotz der hellen Haut. „Onkel Noah mag das so gern. Ich wollte hübsch sein für ihn ...“ „Oh, du bist doch sehr hübsch“ lächelte Yugi und legte vorsichtig seinen Arm um das nervöse Mädchen. „Oder, Onkel Noah? Was meinst du? Ist sie hübsch?“ „Ja, natürlich. Wunderschön sogar“ strahlte er mit seinem verführerischsten Herzensbrecherlächeln. „Du hast das extra für mich angezogen?“ „Ja“ gestand sie leise. „Magst du es?“ „Natürlich.“ Das ehrte ihn doch sehr. Sie hatte sich also extra für ihn herausgeputzt? Anscheinend verstanden sie sich in der Zukunft wohl sehr gut miteinander. „Komm doch mal her, Liebes.“ Er streckte seine Arme aus und sie trat zaghaft an ihn heran. Aber sie sah, dass er sie wohl umarmen wollte und lächelte schüchtern zu Boden. Unangenehm würde ihr das also nicht sein. War es auch dann nicht, als er sie tatsächlich in die Arme schloss und liebevoll knuddelte. „Du hattest Recht“ erzählte sie leise und sah ihn mit roten Wangen an. „Was denn?“ lächelte er sanft zurück. „Du riechst gut.“ „Dankeschön“ freute er sich. „Du riechst aber auch gut. Ist das Parfüm?“ „Nein, Badeschaum“ kicherte sie verlegen. „Ich darf doch noch kein Parfüm benutzen, Onkel Noah.“ „Darfst du nicht?“ staunte er. „Aber wie alt bist du denn?“ „Elf“ antwortete sie ganz klar. „In drei Wochen werde ich aber schon zwölf. Und wie alt bist du?“ „29“ gab auch er preis. „Aber ich hatte schon Geburtstag dieses Jahr.“ „Ja, im Februar. Du bist Wassermann.“ Das wusste sie dafür ganz genau. „Ich bin Jungfrau. Meerjungfrau sagt Ati immer. Das passt gut zusammen, oder?“ „Ja, sehr gut“ nickte er. „Onkel Moki ist Fisch. Hast du das gewusst?“ „Ja, wusste ich.“ Sie sah Mokuba an und lächelte ich. „Dann können wir drei zusammen schwimmen gehen.“ „Das können wir wohl“ strahlte er. „Welchen Monat habt ihr denn bei euch, wenn du in drei Wochen Geburtstag hast?“ „Wir haben August“ erzählte sie weiter. Sie schien jetzt langsam wohl aufzutauen, wo sie merkte, dass das hier keine anderen Menschen waren, als die, welche sie von Zuhause kannte. Alle waren genauso lieb. Und sie schien schneller mit der Situation warm zu werden als Phoenix, der noch immer recht leise war. „Wir haben gerade Opas Geburtstag gefeiert. Opa ist 55 geworden. Das ist eine Schnapszahl, weißt du?“ „Ja, stimmt“ nickte Noah. „Da muss Yugi ja einen ausgegeben haben.“ „Ja, stimmt“ nickte sie genauso zurück. „Es gab uralten Whiskey, der war seeeehr teuer hat Joseph gesagt. Aber die Kinder und Oma und Phoenix, wir haben dafür einen bunten Fruchtcocktail in einem großen Glas mit Schirmchen bekommen. Das war viel besser.“ „Na“ lachte er. Das war wohl auch besser, wenn Kinder keinen Alkohol bekamen. Und Seto durfte ja so oder so nicht. „Weißt du auch, woher ich weiß, dass das besser war?“ flüsterte sie ihm verstohlen zu. „Nein“ hauchte er zurück. „Sagst du es mir?“ „Ati hat mir sein Glas gegeben. Da war noch ein bisschen was drin. Aber ich musste husten, so eklig war das. Deswegen weiß ich, dass Alkohol nicht schmeckt.“ „Sari“ schmunzelte Balthasar. „Das hat jetzt jeder hier mitbekommen.“ „Was?!“ So leise hatte sie dann wohl doch nicht gesprochen. Zumal sie im Smalltalk mit dem geliebten Onkel ganz ausgeblendet hatte, dass ihr jeder zuhörte. „Du hast also Schnaps getrunken, ja?“ grinste Jonny. „Soll ich mal bei Papa petzen gehen?“ „NEIN!“ winkte sie sofort hilflos. „Bloß nicht! Bitte nicht!“ „Ach, so schlimm wirst du schon keinen Ärger bekommen“ versuchte Mokuba sie zu beruhigen. „Aber wir sagen ihm auch nichts.“ „Ich glaube, du verstehst da was falsch“ lachte Balthasar. „Asato wird eher Ati zur Schnecke machen als seine Tochter. Der wird ihn wahrscheinlich durchs halbe Haus jagen.“ „Aber ich kann da doch gar nichts für“ meinte der verwundert. „Ich hab doch noch gar nichts getan. Außerdem ... nur mal nippen, kann doch nicht so schlimm sein. Außerdem HAB ich ja noch gar nichts gemacht!“ „Aber du wirst und das reicht schon“ schlussfolgerte auch Yugi. „Also beschließen wir, dass wir ihm nichts sagen, ja?“ „Besser ist das“ meinte Jonny. „Sonst kriegt er noch mit, dass Sari genau so’n Alki ist wie er selbst.“ „Jonathan“ warnte Sharesa ihn ernst und schüttelte den Kopf. „Warum?“ fragte Yugi, der da doch sofort was roch. Anscheinend hatte Jonny dasselbe Talent wie sein Vater - nämlich Geheimnisse unbemerkt auszuplaudern und damit trittsicher jeden Fettnapf zu treffen. „Tato hat doch hoffentlich keine Alkoholprobleme.“ „Sethan sagte es doch“ antwortete Sharesa ihm vorsichtig. „Es gibt da vieles, was er sich nicht eingestehen will.“ „Aber er ... er hat ...“ Yugi sah Seto an, dem bei dem Gedanken wohl auch so einiges im Halse stecken blieb. „Er hat doch gar nichts getrunken seit er hier ist.“ „Alkoholismus soll ja häufig ne Erbkrankheit sein“ bemerkte Mokuba vorsichtig. „Onkel Tato trinkt anders als Oma“ erklärte Sethan. „Er trinkt nicht jeden Tag. Aber er betrinkt sich regelmäßig. Sehr regelmäßig. Und das nicht zu knapp.“ „Vielleicht sollten wir darüber nicht sprechen“ wand Seto mit etwas gesenkter Stimme ein. Schließlich stand seine Tochter hier direkt daneben und musste nicht unbedingt alles mitbekommen. „Ich weiß das“ sagte sie dann von sich aus. „Ich mache mir dann Sorgen um Papa. Ich mag es nicht, wenn er Rotwein trinkt. Dann wird er immer so ... komisch.“ „Dann ...“ „Sprich ihn nicht gleich darauf an“ bat Sharesa sofort, denn sie wusste, was Seto denken würde. „Bei dem Thema kennt er weder Freund noch Feind.“ „Davon können wir ein Lied singen“ erzählte Balthasar. „Es ist gar nicht so lange her, da hat Yugi ihn darauf angesprochen und Asato ist in die Luft gegangen. Ein Wort hat das andere gegeben und Asato hat ihn angepöbelt und gedroht, mit Sari das Land zu verlassen. Er meint, er hat kein Problem und jeder, der ihm so was unterstellt ... nun ja. Selbst bei seinem Papa kennt er da nichts.“ „Umso mehr klingt das nach einem ernsthaften Problem“ sorgte Yugi sich natürlich. Er beobachtete das jetzt schon eine Weile und sein Gespür drängte ihm da auf, dass etwas nicht rund lief bei seinem Sohn. „Was zum Teufel ist mit ihm los? So langsam bekomme ich das Gefühl, dass er da so einiges nicht bewältigt.“ „Sari, mein Schätzchen.“ Sethan legte ihr seine Hand auf den Kopf und lächelte sie liebvoll an. „Geh doch zu Papa und bring ihm seinen Stock. Bevor er wieder Rückenschmerzen bekommt.“ „Du willst nur nicht, dass ich weiß, was du über ihn sagst“ warf sie ihm etwas beleidigt vor. „Unsinn“ versicherte er lieb. „Ich weiß doch, dass du das zu schnell spitz kriegen würdest. So groß ist dein Rücken nicht, dass man da was hinter machen könnte.“ „Hm ...“ Sie glaubte ihm das wohl nicht so ganz. Diesen Blick hatte sie mit allen Drachen gemeinsam. Sie roch, dass da was im Busch war und schätzte es nicht besonders, wenn man sie ausschloss. „Ich hab dir doch schon erzählt, was wir jetzt vorhaben“ betonte er. „Jetzt muss ich es nur noch den anderen stecken. Und in der Zwischenzeit kannst du mal deinen schmollenden Vater besänftigen. Keiner kann das so schön wie du.“ „Aber du denkst dran, was du mir versprochen hast.“ „Ja, natürlich“ lächelte er. „Vorher gehen wir noch Uropa besuchen.“ „Ururopa“ berichtigte sie. „Ich will ihn sehen, bevor wir wegreisen. Ich will seinen Schokoladenkuchen probieren und wissen, ob Opa ihn wirklich ganz genauso macht oder ob er mich verarscht.“ „Opa würde dich nie verarschen“ lachte er und auch die anderen mussten grinsen. Das war ein Wort, welches so gar nicht zu ihrer sonst höflichen Art passte. „Und was du für Wörter kennst, sagen wir Papi lieber auch nicht“ schmunzelte Jonny. „Sei lieb oder ich sag ihm mal, wer die Beule in sein weißes Auto gefahren hat“ drohte sie mal ganz nebenbei und ging zu Tatos leerem Stuhl, um sich seinen Stock zu holen, den er hatte stehen lassen. „Du bist fies, Sari“ zankte er eingeschnappt. „Du hast mich beim Ausparken abgelenkt mit deinem Gequengel.“ „Ist mir egal. Außerdem hab ich nicht gequengelt, sondern du hast am Radio gedreht.“ Aber wo sie gerade schon neben Seto stand, sah sie ihn ganz intensiv an. Schon komisch, wie er dasaß und sie etwas schüchtern vor ihm stand. Irgendwie waren sich die zwei von ihrer Art her so ähnlich. Häufig übersprangen charakteristische Merkmale ja eine Generation von den Großeltern auf die Enkel und bei den beiden war das wohl der Fall. Sareth war wie ihr Großvater Seto früher. „Kommst du mit, Oma?“ fragte sie ihn leise. „Oma“ grummelte er tief. „Muss das sein?“ Warum musste ausgerechnet er immer auf die weibliche Rolle gedrängt werden? Er sah nicht mal annähernd aus wie eine Frau!!! Und wie eine Oma schon gar nicht!!! Doch anstatt ihm etwas zu antworten, kramte Sari schnell unter ihrem Kleidstoff und hatte sich aus irgendeiner versteckten Tasche einen Stift gefischt. Jedenfalls sah es aus wie ein etwas dickerer Kugelschreiber, aber es war silbern und sicher nicht das, wonach es aussah. Sie drehte schnell zwei Rädchen daran und schon schallte eine männlich tiefe Stimme heraus. Ganz ruhig, sanft und liebevoll. Setos Stimme. „Und wenn ich dir sage, du sollst mich nicht Oma nennen ....“ Anscheinend eine Sprachaufzeichnung aus ihrer Zeit. Man erkannte Setos Stimme, aber sie war ein wenig tiefer. Älter eben. „... dann lächelst du einfach so hübsch wie jetzt und gibst mir einen Knutschi. Ich schwöre dir, ich kann dir garantiert nichts abschlagen. Wenn du mich abknutscht, werde ich immer ganz weich. Das weißt du doch.“ „Ist das etwa ein Tonbandgerät?“ zeigte Seto erstaunt auf das Hightechteil. Aber sie lächelte nur, kam ganz dicht und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange. Genau wie er es ihr gesagt hatte. Mit Küssen konnte man ihn bestechen. „Das Ding musst du mir bei Gelegenheit mal näher zeigen.“ Er legte seinen Arm um sie und drückte seine Enkelin, legte sogar seinen Kopf auf ihre Schulter. Und sie war wohl auch erleichtert, dass er sie sofort annahm, obwohl er sie nicht kannte. „Ach Mann, ihr seid so altmodisch“ seufzte Jonny und setzte sich neben Narla auf den Stuhl, der eigentlich noch Joey gehörte. „Wir hätten euch mal Werbung aus unserer Zeit mitbringen sollen. Dann seht ihr mal ...“ „Jetzt spiel dich nicht so auf“ argwöhnte Sharesa. „Das sind immerhin knapp 38 Jahre Unterschied. Und GZSZ läuft sogar hier schon seit Jahren. Also so ab vom Schuss sind wir auch nicht.“ „Was echt?“ staunte er. „Auf diesen alten Fernseherteilen?“ „Ich glaube, du bist derjenige, der nicht so ganz aktuell ist“ frotzelte Balthasar. „Du musst dich halt der Zeit hier angleichen.“ „Ey, wir haben schon extra Klamotten, die der Zeit hier angebracht sind“ betonte er doch sehr intensiv, während Seto und Sareth sich auf den Weg hinaus machten. Nicht nur um Tato seinen Stock zu bringen, sondern auch, um ihn wieder ein wenig gnädiger zu stimmen. „Kannst froh sein, dass die anderen uns alte Bilder gezeigt haben“ erinnerte Sharesa ihn streng. „Du und Balthasar, ihr wärt ja sonst total overdressed gekommen.“ „Ach, Jeans sind ein Evergreen“ winkte Balthasar ab. „War schon komisch, darauf zu achten, was man mitnimmt, aber ich hab mich echt schnell an die Sachen hier gewöhnt. Diese Videokassetten im Wohnzimmer! Ich hätte nicht gedacht, dass die wirklich mal jemand benutzt hat.“ „Na ja, wir steigen ja zunehmend auf DVD um“ meinte Marie. „Ach, Mama“ lächelte er sie mitleidig an. „DVD’s sind doch überholt.“ „Hier aber nicht. Ich finde DVD’s sehr praktisch.“ „Warum bist du überhaupt ausgerechnet in diese Zeit zurückgereist?“ wollte Yami von Sethan wissen, der nur mehr danebenstand und sich lächelnd die Jüngeren betrachtete. Fernando und Dakar schienen sich da wohl eher herauszuhalten. „Du meinst, wenn ich weiter zurückgekehrt wäre, hätte ich verhindern können, dass Seth diese radikalen Weltveränderungsanschauungen entwickelt?“ vermutete er ganz richtig auf Yamis Nicken. „Weißt du, Ati, Zeitreisen sind eine nicht einfache Sache. Selbst für mich. Für jeden Tag, den wir mehr zurückreisen und jeden Menschen, den ich mit mir nehme, verbrauche ich viel Kraft. Auch jetzt in diesem Moment muss ich uns alle hier festhalten.“ „Und nichts auf dieser Welt ist unendlich“ schlussfolgerte er. „Also kannst du nur soweit zurück?“ „Ich hätte auch noch weiter gekonnt“ erklärte er. „Aber ich möchte hier nicht nur die Vergangenheit verändern, sondern auch unsere eigene Zukunft. Und dafür brauche ich nicht nur Kraft, sondern auch Vertrauen in alle, die mir nahe stehen. Wenn ich hätte verhindern wollen, dass Aleseus Seth zum größten Feind der Gegenwart mutiert, hätte ich nur ein ganz bestimmtes Ereignis verhindern müssen. Das hätte zwar die Vergangenheit verändert, nicht aber unsere Zukunft.“ „Welches Ereignis wäre denn das gewesen?“ fragte Mokeph. „Dass er die Liebe zu Atemu verliert oder ...? Damals ging es ihm das erste Mal doch wirklich schlecht und er hat sich zurück nach Hause gesehnt. Wenn du das verhindern könntest ...“ „Nein, ein Ereignis. Kein Prozess“ erwiderte Sethan mit ruhiger Stimme. „Seine Liebe zu verlieren und wiederzufinden, ist ein Prozess. Ich denke, das war sogar wichtig, damit er sich darüber klar wird, an wessen Seite sein Platz ist. Aber letztlich war auch dies nur die Folge eines langen Prozesses.“ „Ich glaube, ich weiß, was du meinst“ vermutete Yugi. „Wir hätten uns nicht trennen dürfen.“ „Nein, nicht ihr“ berichtigte er freundlich. „Seth und Seto hätten sich nicht trennen dürfen.“ „Ähm ... wie jetzt?“ sah Mokeph ihn ratlos an. „Aber es sind doch keine Schäden entstanden oder sonst etwas. Seto geht es doch gut.“ „Darf ich?“ Sethan wies auf den Stuhl neben Yugi, der durch Setos Weggang eben freigeworden war. Im Gegensatz zu anderen war er so höflich, zu fragen, ob er sich setzen durfte. „Ja. Natürlich“ bat Yugi und zog ihm den Stuhl richtig hin, bevor er sich an die anderen wand. „Möchtet ihr euch nicht auch setzen? Wollt ihr vielleicht was trinken?“ „Gibt’ schon Cola?“ wollte Jonny wissen. „Ja, die gibt’s schon“ lachte Yugi und ging an den Kühlschrank, um die zusätzlichen Gäste mit Getränken zu versorgen. „Möchte sonst noch jemand etwas?“ „Nein, Cola ist super“ nickte Fernando, der sich dankend auf Mokubas Stuhl setzte. Der hatte den freigemacht und gab damit nicht nur einen Platz neben Tristan frei, sondern hatte auch mal wieder einen Grund, auf Noahs Schoß herumzuturnen. Einen Stuhl als Ersatz für Joeys geklauten fanden sie auch noch und als Dakar sich auf Phoenix’ Stuhl niederließ, war Yugi doch überrascht, als er sich wieder umdrehte und dem nachsah. „Spatz, wo willst du denn hin?“ fragte er, bevor er noch ganz an der Tür war. „Ich möchte zu Asato“ antwortete er folgsam. „Vielleicht kann ich Sari helfen, ihn ein bisschen zu beruhigen.“ „Ja, geh du nur. Tschüss“ winkte Jonny und mit einem kleinen Kopfschütteln war er dann auch verschwunden. „Das ist bestimmt gut, dass er mitgeht“ meinte er dann lächelnd. „Spatz hat so eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf Tato. Ein bisschen wie Valium.“ Doch über diesen Scherz konnte auch nur er selbst lachen und Joey. Obwohl der den Insider kaum verstand, lachte er trotzdem mit. Die beiden hatten denselben, eigensinnig flachen Humor. „Ist das so, ja?“ Yugi setzte sich zurück auf seinen Stuhl und stellte auch Sethan ein Glas hin. „Oder möchtest du etwas anderes als Cola?“ „Nö, danke“ lächelte der. „Ich bin pflegeleicht.“ „Und du?“ schaute Yugi rüber zu Dakar. „Cola?“ „Später vielleicht. Danke“ antwortete er knapp. „Habt ihr was dagegen, wenn ich rauche?“ „Nein, mach nur“ meinte Nika, griff hinter sich ins Regal und fischte ihm den Aschenbecher heraus. „Die anderen rauchen ja auch hier.“ „Danke.“ Er nahm den Aschenbecher entgegen und zückte seine Zigaretten heraus. „Du redest nicht viel, oder?“ fiel Marie auf. „Bist du auch schüchtern oder ...?“ „Nein, ich bin nicht schüchtern“ lachte der ungewöhnlich dünne Mann mit der dunklen Aura und zündete seinen Glimmstängel an. „Ich schwatze nur einfach nicht so gern. Ich sag was, wenn ich was zu sagen habe.“ „Deswegen hat er auch keine Frau“ frotzelte Jonny ihn. „Er ist zu schweigsam.“ „Stimmt doch gar nicht“ meinte Sharesa. „Wenn mein Herr Bruder erst mal anfängt zu reden, dann aber auch richtig. Nicht Quantität, sondern Qualität. Anders als du, der jedem sein sinnloses Gebrabbel aufdrängt. Dakar ist besser dran, denn wenn er was sagt, hat das Hand und Fuß.“ „Sag ich doch“ schnippte Jonny. „Deswegen hat er auch keine Frau.“ „Du doch auch nicht“ grinste Balthasar. „Seit wann bist du nicht mehr mit Taria zusammen? Drei Tage?“ „Sechs“ berichtigte er wissend. „Und die wievielte Freundin war das jetzt? Die achte?“ „Nein, die siebte“ wusste er genau und sah ihn forschend an. „Versuchst du, mir irgendwas zu sagen, Balti?“ „Ich meine ja nur. Wenn sich einer über gescheiterte Beziehungen nicht auslassen sollte, dann doch du.“ „Das ist nun mal schwer mit dem Job und so. War halt noch keine dabei, die richtig zu mir passte. Ist nun mal nicht jeder so ein Charmingboy wie du.“ „Warum? Was machst du denn beruflich?“ wollte Narla interessiert wissen. „Ich bin Parcour-Künstler“ erzählte er frei heraus. „Ich laufe vom Start an den direkten Weg quer durch die Stadt bis zum Ziel. Das beinhaltet den absolut direkten Weg. Das heißt, über Häuser klettert man rüber, über Mauern und Zäune springt man. Immer den direktesten und schnellsten Weg. Hindernisse sind egal. Und je graziler und komplizierter die Sprünge sind, desto mehr Punkte bekommt man. Ist eine Art zwischen Sport und Kunst.“ „Bei uns ist das ein Kultberuf“ erklärte Sharesa. „Vielleicht kennt ihr das hier in der Zeit schon? Früher hat das nur ne Hand voll Leute in Paris gemacht bis das um sich gegriffen hat und heute ist das ein anerkannter Kunstsport.“ „Hört sich aber gefährlich an“ meinte Tea. „Ich meine, wenn man über Häuser klettert und Mauern runterspringt. Ist das nicht ziemlich heftig?“ „Deswegen hab ich ja auch ne Menge Trophäen“ erzählte Jonny fröhlich und hob seinen Pullover hoch, um seinen blanken Rücken zu zeigen. Überall lauter kleinere Narben. Gut verheilt, aber schon auffällig, dass er sich wohl mehrmals etwas aufgerissen hatte. „Man muss gut sein, sonst bricht man sich was“ erzählt er, während er sich wieder bedeckte. „Aber mehr als nen verstauchten Knöchel hatte ich noch nicht. Ein paar Schürfwunden, aber daran gewöhnt man sich. Und wenn man richtig gut ist, verdient man viel Geld. Letztes Jahr bin ich immerhin zweiter in der Weltrangliste geworden. Ich hab ne Silbermedaille bekommen. Cool, was?“ „Nett“ meinte Yami, wollte dann aber langsam zurück auf anderes kommen. „Du sagtest, Seto und Seth hätten sich nicht trennen dürfen. Ist das der Grund, weshalb er so ... ist wie er ist?“ „Nicht der Grund, aber der Beginn von allem“ nickte Sethan und nippte an seinem Glas. „Kannst du das erklären?“ bat Noah. „Ich verstehe das nicht ganz. Seto hat das doch nicht geschadet. Warum dann Seth? Er war doch immer der Gefestigte von beiden.“ „Ja, er w a r“ erläuterte er ruhig. „Ich will versuchen, es dir zu verdeutlichen. Rah hat es ja nicht ohne Grund so eingerichtet, dass Yami und Hikari sich einen Körper teilen. Seth hat es ihm ja mehr aus Not nachgemacht, da er aus keinem Splitter seines Herzens einen neuen Sohn formen konnte. Ihm fehlte sein Herz zu dem Zeitpunkt. So hat er es getan wie Rah. Nämlich das Herz eines bereits geschaffenen Sohnes nehmen, aus seiner Seele ein Stück heraustrennen und daraus einen neuen Menschen schaffen. Zwei Menschen, die einen Teil ihres Ichs gemeinsam haben. Vielleicht ist das Leben zu zweit mit einem Körper manchmal hinderlich, aber es hat ja einen Sinn. Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt. Als beispielsweise Atemu in meinem Großvater wiedererwachte, fand er sich einem Kulturschock ausgesetzt. Die Menschen lebten anders, die Wissenschaft hatte sich verändert, die Landschaft, das Miteinander, alles. Angefangen darin, dass er eine neue Sprache lernen musste bis dahin, dass er nur noch einer von vielen war, anstatt eines Herrschers.“ „Das stelle ich mir ziemlich schockig vor“ mutmaßte Marie. „Wenn ich mir vorstelle, ich werde 5000 Jahre in die Zukunft katapultiert ...“ „Es reicht ja schon, 5000 Jahre in die Vergangenheit zu reisen. Das ist ebenso ein Kulturschock, obwohl man selbst viel aufgeklärter ist“ versuchte er zu sagen. „Und damit der Yami sich in seiner neuen Umwelt zurechtfindet, braucht er den Halt seines Hikaris. Indem er aus seinem großen Wissensfundus Erfahrungen und Lebenskraft weitergibt, teilt der Hikari seinen Körper leichter und zeigt ihm, wie man dieses veränderte Leben lebt.“ „Das ist wahr“ nickte Yami. „Als Yugi mich damals aus dem Puzzle befreit hat, war ich wirklich geschockt. Alles hatte sich verändert. Ich glaube, ich wäre planlos herumgelaufen, wenn Yugi mir nicht alles gezeigt hätte. Ich hätte ja nicht mal die Sprache verstanden, aber durch Yugi habe ich rasend schnell alles gelernt. Eben weil wir miteinander verwachsen sind. Wir spüren uns ja heute manchmal noch als wären wir eine einzige Person.“ „Aber was ich nicht verstehe“ versuchte Yugi zu formulieren. „Damals haben wir gut darüber nachgedacht und wir waren alle überzeugt, dass diese Trennung etwas Positives ist. So hatte jeder ein ganzes Leben und nicht nur ein halbes.“ „Das ist zu negativ gedacht“ verfocht Sethan. „Yami und Hikari haben nicht jeweils ein halbes Leben, sondern jeder zwei.“ „Das ist wie die halb voll oder halb leer Sache“ meinte Yami. „Du meinst, nach der Trennung hat Seth sich nicht mehr zurechtgefunden? Das sah für mich nicht so aus.“ „Vielleicht. Aber rückblickend gab es viele Faktoren, die zu seiner jetzigen Meinung geführt haben. Damals war Oma, also Seto“ lächelte er. Er musste sich abgewöhnen, ihn Oma zu nennen. So weit war der hier noch nicht. „Seto war damals noch sehr auf ihn angewiesen, trotz des getrennten Körpers. Aber je selbstständiger er wurde, desto weniger fühlte Seth sich gebraucht. Er musste seinem Hikari die Freiheit lassen, ihn sogar für einige Jahre allein in ein anderes Land gehen lassen, damit er sich entwickeln konnte. Aber das bedeutete auch, dass er auf sich selbst gestellt war. Und so etwas kann für einen Yami der K.O.-Schlag sein. Wenn er einsieht, dass der Hikari nicht länger auf ihn angewiesen ist und er somit für diese ganze, für ihn neue Welt unnütz wird. Seth ist Hohepriester mit seinem ganzen Herzen. Hier aber zählt das nicht viel. Er hätte sich durch die Verbundenheit zu Seto an das, ich nenne es mal das moderne Priestertum, daran hätte er sich gewöhnen müssen. Seto ist ein Priester der Moderne, Seth ist ein Priester der Zeit, in welcher die Wurzeln dazu lagen. Indem Seto sich ohne Seth weiterentwickelt hat, ist einer von beiden auf der Strecke geblieben.“ „Aber das ist noch lange kein Grund, die Weltbevölkerung zu reduzieren und den Fortschritt zurückzudrehen“ meinte Yami, der das etwas abgeklärter sah. „Für dich vielleicht nicht. Für ihn schon“ versuchte Sethan zu erklären. „Du bist anders. Obwohl du ebenfalls von deinem Hikari getrennt lebst, sogar drei Jahre davon völlig kontaktlos, hast du dich dennoch weiterentwickelt. Aber dein Geist ist ein anderer, ein übernatürlicher. Seth hat diese Göttlichkeit nicht. Er hängt an seinen alten Gebräuchen und Ansichten. Das ist es, was er als gut und richtig ansieht. Und je weniger das in dieser Welt zählt, umso mehr klammert er sich daran. Es muss ihm vorkommen, als hätte er nicht mehr als nur seine Erinnerungen. Seine Welt ist tot. Er hat keinen Hikari, der ihn aus diesen alten Werten herauslöst. Und er hat einen Eid geschworen, seinem Pharao zu dienen. Und nichts anderes tut er. Er sieht, was diese Welt verloren hat. Und um seinem Pharao ein neues Reich zu geben, lässt er das alte wiederauferstehen.“ „Das ist der Grund?“ schaute er ihn ungläubig an. „Nur, damit ich auf irgendeinem Thron sitze, läuft er Amok?“ „Im Grundsatz ja. Es ist eher ein kontrollierter Amoklauf“ nickte er. „Natürlich spielen noch viele andere Faktoren mit hinein. Ich war so frei, mir die Vergangenheit anzusehen und ich habe gesehen, dass er zunehmend eifersüchtig auf Seto wurde. Eifersucht gegen seinen Hikari ist eine schlimme Sache.“ „Du meinst diesen Kampf gegen den Zirkel“ schloss Yami. „Seto hat so gut wie alle besiegt. Sicher nicht ohne Seths Hilfe, aber ...“ „Seth hat sich zurückgesetzt gefühlt“ sprach Yugi. „Das hat man gemerkt. Während Seto seine Seele aufgeteilt hat, hatte er gar nichts zu bieten. Plötzlich drehte sich alles nur noch um Seto und nicht um ihn. Er hatte das Gefühl, dass er keine Aufmerksamkeit bekam. Er hat ebenfalls hart gekämpft und alles gegeben, aber letztlich bekam er das Gefühl, er wäre seinem Hikari nicht mehr gewachsen.“ „Ja, das hat man gemerkt“ meinte auch Yami. „Ich hab ihm mehrmals gesagt, dass er nicht versagt hat und dass auch er wichtig für den ganzen Kampf war. Aber letztlich hat Seto mehr Aufmerksamkeit bekommen, obwohl auch er alles gegeben hat. Es war doch früher schon so. Als beide wieder Kinder waren, da haben wir darauf geachtet, beiden dieselbe Aufmerksamkeit zu geben, weil sonst einer von ihnen eifersüchtig oder neidisch wurde.“ „Dann ist das auch der Grund, warum er auf ihn losgegangen ist“ meinte Joey. „Seth wollte zeigen, dass er immer noch stark ist. Stärker als Seto. Deshalb hat er sich auch mit Sethos angelegt. Okay, gegen den hat er nichts ausrichten können, aber er wollte einfach demonstrieren, dass er auch mächtig ist.“ „Es ist einfach alles zusammen“ seufzte Sethan und stützte nachdenklich sein Kinn auf die Hände. „Der Kulturschock, der verlorene Hikari und obendrein spricht ihm auch noch mein Vater ständig zu und bestärkt ihn in seinem falschen Weg.“ „Dann ist das der Grund für seine komischen Worte?“ fragte Yami. „Der dunkle Seth hat ihn auf den falschen Weg geführt? Nein, nicht geführt. Eher ihn darin bestätigt?“ „Hm“ nickte er traurig. „Indem er etwas sehr Intelligentes getan hat. Vater verbietet ihm sein Priestertum nicht, sondern nimmt genau das zum Anlass, ihn darin zu erbauen, dass sein Pharao sich ebenso unwohl fühlt wie er. Er bekämpft nicht die Liebe zwischen dir und Seth, sondern er baut auf Seths Versprechen, alles für dich zu tun. Er packt ihn bei seiner Treue. Und wenn ein Priester seinen Pharao unzureichend leben sieht, so wird er daran etwas ändern. Und mit göttlicher Hilfe ...“ „Entschuldigt, wenn ich das so sage“ sprach Noah ruhig. „Aber sind nicht eigentlich die Priester diejenigen, die dem Pharao ursprünglich am Meisten schaden sollen? Ihre natürlichen Feinde?“ „Auch das spielt da mit hinein“ bejahte Sethan. „Es ist so vieles, was seinen Geist beherrscht. Und deshalb ist es auch fast unmöglich, ihn von diesem Weg abzubringen. Selbst die Worte seines Pharaos haben fast keinen Einfluss mehr auf ihn.“ „Aber nur fast“ sprach Yami entschlossen nach. „Und was können wir tun, um ihn trotzdem auf den richtigen Weg zurückzuholen? Ich will Seth nicht so leicht verloren geben.“ „Das solltest du auch nicht“ antwortete Sethan ernst. „Wir sind hier, um die Erde zu retten und die Zukunft zu verändern. Aleseus aber ist dein Priester. Also hast nur du allein die Macht und ein Recht auf ihn. Du entscheidest, was mit ihm geschieht. Das kann dir niemand abnehmen. Und ich denke, du willst sein Schicksal auch nicht in die Hände eines anderen legen.“ „Also bist du nicht hier, um ihn zu töten“ schlussfolgerte er. „Nein. Du allein entscheidest, ob er lebt oder stirbt. Hindern will ich ihn, aber ich werde nicht über ihn richten. Das ist Aufgabe seines Pharaos. Zumal Rah mich um ebendies gebeten hat. Und ich werde seiner Bitte gern entsprechen. Du kennst ihn am besten. Aleseus gehört dir und keinem anderen. Nur du kannst sein Richter sein.“ Nebenbei waren Seto und Sareth unterwegs, um den wutschnaubenden Tato zu beruhigen. Erst gingen sie leise nebeneinander auf dem Flur her bis die Kleine vorsichtig fragte. „Oma?“ sprach sie leise. „Darf ich deine Hand halten?“ „Natürlich, mein Schatz“ antwortete er ebenso ruhig und streckte ihr seine große Hand hin, damit sie sie nehmen konnte. Sofort drückte sie ihn fest und blickte schüchtern zu Boden. Wahrscheinlich hatte sie für diese Frage viel Mut aufbringen müssen. „Darf ich dich auch etwas fragen?“ fragte er nun. „Wenn du willst.“ Sie blickte an ihm hinauf und war gespannt, was er wohl wollen könnte. „Bist du schüchtern oder nur verlegen?“ lächelte er sie lieb an. „Findest du es gruselig hier, weil wir so jung sind?“ „Nein ...“ antwortete sie leise. „Aber du kennst mich ja gar nicht. Keiner kennt mich. Und ich ... ich möchte, dass du mich magst. Ich will nichts falsch machen.“ „Aber in deiner Zeit mögen wir uns doch sehr, oder? Jedenfalls hörte sich das auf dem Tonband so an.“ „Ja“ schmunzelte sie verlegen. „Ich glaube, wir mögen uns. Wir wohnen ja zusammen und du sagst jeden Tag, wie lieb du mich hast. Und Opa Yugi auch.“ „Na siehst du? Dann mag ich dich doch auch jetzt, oder?“ „Ja?“ „Warum denn nicht?“ Er blieb stehen und kniete sich herunter, sodass er sogar noch ein Stück kleiner war als sie. „Ich finde, du bist ein höfliches und ein sehr hübsches Mädchen.“ „Findest du?“ Sie wurde ganz rot, wenn er sie so liebevoll ansah. „Ja, finde ich. Ich möchte dich gern noch ein bisschen mehr kennen lernen und ich bin froh, dass du hier bist. Oder magst du mich nicht so jung?“ „Nein!“ betonte sie sofort. „Du bist doch mein Großvater! Ich liebe dich!“ „Und ich liebe dich auch. Das spüre ich. In meinem Herzen“ lächelte er und streichelte zart ihre roten Wangen. „Und wenn du Probleme hast dann kommst du zu mir, damit ich dir helfen kann, ja?“ „Ja“ hauchte sie und ließ sich vorsichtig nach vorn kippen, damit er sie in den Arm schloss. Anscheinend hatten sich da zwei Kuscheldrachen gefunden. In einem gewissen Sinne, war sie ja nun das erste Weibchen im Rudel. „Und jetzt bringen wir deinem Papa seinen Gehstock, ja?“ „Ja“ antwortete sie sofort und blieb auch dann an seiner Hand, als sie weiter gingen. Sie wollte ihn am liebsten gar nicht mehr loslassen. Und Seto wollte ihr nicht zeigen, dass er sich nicht nur Sorgen um Tato, sondern auch um sie machte. Wenn es stimmte, dass sein Sohn Alkoholiker war, dann war auch sie unglücklich. Denn ganz anscheinend schien es viel zu geben, was sie belastete und worüber sie nicht sprach. Er wusste nicht, wie er es hätte erklären sollen, aber es war einfach so ein Gefühl. Die kleine Sareth war ihm vom Wesen her so ähnlich, genau wie er früher. Schüchtern, sehr höflich, unsicher und ständig liebesbedürftig. Doch Tato schien so sehr mit seiner Trauer beschäftigt zu sein ... er hatte ja nicht mal erzählt, dass er eine Tochter hatte, die noch lebte ... irgendwas lag da, was anders sein sollte. „Halt“ lachte Seto, als sie immer noch weiterlaufen wollte und er schon stehen geblieben war. „Schon da?“ guckte sie ihn verwundert an. „Ja, hier“ zeigte er auf die geschlossene Tür. „Wir haben ihn im alten Schlafzimmer von Yami und Seth einquartiert, weil wir keinen Gästeraum mehr haben. Wir wollten es demnächst wieder zu einem Wohnzimmer machen. Tato sagte aber, er hält es nicht noch eine Nacht mehr mit Balthasar in einem Zimmer aus. Deswegen bleibt er jetzt erst mal da.“ „Ach, das ist ein Wohnzimmer. Das alte Großyami-Schlafzimmer“ wiederholte sie einprägend. „In meiner Zeit ist da Sethans Zimmer drin.“ „Na ja, noch haben wir da fast ein Wohnzimmer. Wollen wir reingehen?“ „Klopfen ist besser“ meinte sie und klopfte vorsichtig an. Nicht laut, aber laut genug, dass er es hören musste. Seto wollte dann auch nicht mehr warten und öffnete die Tür. Wenn Tato eingeschnappt war, würde er wohl kaum antworten. Kaum war die Tür offen, sah er ihn auch schon. Er stand am Fenster und blickte hinaus. In seinen Gedanken versunken, drehte er sich trotzdem herum und blickte die beiden an. Erst Seto und dann etwas tiefer seine Tochter, die ihm seinen Stock hinterherschleppte. „Papa?“ fragte sie vorsichtig. „Du hast deinen Stock vergessen. Du bekommst doch Rückenschmerzen.“ „Ach, Sareth“ seufzte er und setzte sich auf den Sessel, der direkt neben ihm stand, bevor er seine Arme ausstreckte. „Komm mal her, mein Schatz.“ Sie trabte sofort zu ihm hin und ließ sich auf seinem Schoß nieder, schlang ihre Arme um ihn und kuschelte ebenso, wie er sie auch schmuste. Den Stock stellte er dabei erst mal achtlos zur Seite. Sie war jetzt wichtiger. „Tut mir leid, Süße“ entschuldigte er sich und drückte sie noch fester. „Ich hab schon wieder geschimpft.“ „Ist nicht schlimm“ tröstete sie ihn. „Du machst dir ja nur Sorgen um mich.“ „Das stimmt. Aber ich hab dich gar nicht richtig begrüßt. Ich bin doch froh, wenn du bei mir bist, mein Schatz. Tut mir leid, dass ich nur gemeckert habe.“ „Ist nicht schlimm“ wiederholte sie wieder und drückte sich so weit weg, dass sie ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen flüstern konnte. „Ich hab dich lieb, Papa.“ „Ich hab dich auch lieb, Mäuschen.“ Wieder drückte er sie, lehnte sich zurück und seufzte tief. Sie konnte ja nichts dafür, dass Sethan sie mitgenommen hatte. Er wollte sie nicht anschreien oder ihr das Gefühl geben, sie wäre ihm nicht willkommen. Sie war doch alles, was ihm noch geblieben war. Seto wollte die zwei nicht stören, aber dennoch kam er langsam herein. Um es ganz genau zu wissen, warf er einen Blick zur Seite. Tato hatte seine Reisetasche noch gar nicht richtig ausgepackt, da schien er ebenso unfähig wie Seto. Der wäre ohne Yugi, der immer seine Sachen wegpackte, auch aufgeschmissen. Aber das gab ihm Gelegenheit, mit einem magischen Blick, den Pullover ganz obenauf zur Seite zu schieben und er sah, was er lieber nicht gesehen hätte. Es stimmte. Darunter versteckt hatte er eine, dann zwei, ganze drei Flaschen Rotwein im Gepäck. Rotwein, sein Fluch. Seto hatte auch immer mit Vorliebe Wein getrunken, wenn es ihm schlecht ging. Und Tato tat es ebenso. Alkoholismus war also doch erblich. Willentlich rückte Seto das Kleidungsstück auch nicht wieder zurück. Tato sollte ruhig sehen, dass er es wusste. Vielleicht würde er dann ja von selbst das Gespräch suchen ... vielleicht ... aber wohl eher unwahrscheinlich. Er setzte sich zu den beiden neben den Sessel aufs Sofa und legte seine Hand auf Tatos Knie. Der öffnete die Augen und sah ihn an. Mit einem Blick aus Traurigkeit, Sorgen und Tapferkeit. Er wollte sich nicht unterkriegen lassen, aber es war schwer. So ganz allein mit einem abhängigen Kind und einem gebrochenen Herzen. Sein Blick war ähnlich dem von Yugi, als er plötzlich als Witwer dastand und weder ein noch aus wusste. „Du bist nicht mehr böse, oder?“ Sie lehnte sich zurück, um nicht mehr den Kopf auf seiner Schulter zu haben, sondern ihn ansehen zu können. „Nein, ich bin nicht böse“ versprach er sanft. „Mir wäre es nur lieber gewesen, wenn du Zuhause bei Oma und Opa geblieben wärst. Da, wo du sicher bist.“ „Aber Oma und Opa gibt’s doch auch hier. Ich bin lieber bei dir, weißt du? Vielleicht kann ich euch ja helfen. Vielleicht auch nicht, aber ... vielleicht doch. Ein bisschen. Ich hab ein bisschen geübt ... nur ein bisschen.“ „Du hältst dich erst mal bedeckt, Schatzi“ bat er. „Ich möchte nicht, dass dir was passiert. Also sei vorsichtig, dass du keinem Schatten begegnest, hörst du?“ „Und auf Sethan bist du auch nicht böse“ bat sie weiter. „Er muss das doch machen. Ich glaube, er möchte auch lieber Zuhause sein. Aber er muss doch die Welt retten. Und wir müssen ihm helfen. Wenn wir das nicht machen, wer soll denn sonst? Wir müssen furchtlos sein und intelligent. Damit alle Menschen eine schöne Welt haben und Seth nicht alles vernichtet. Und Sethan will, dass es allen gut geht. Er macht das nicht, weil er dich ärgern will.“ „Ich weiß, Schätzchen. Das weiß ich doch. Du hörst dich an wie Nini“ seufzte er resignierend. „Aber pass trotzdem auf dich auf und mach nichts Gefährliches. Wenn was ist, dann lass die großen Jungs kämpfen. Hörst du?“ „Ja“ versprach sie mit gesenkter Stimme. „Ich passe auf.“ „Asato?“ Phoenix steckte seinen Kopf durch die geöffnete Tür und sah ihn besorgt an. Ebenso wie der kleine Laertes, der auf seiner schmalen Schulter bequem Platz fand. „Ist alles in Ordnung?“ „Spatz!“ strahlte die Kleine ihn an. „Und Laertes!“ „Unser Dreamteam“ lächelte Tato und daraufhin kamen die zwei auch herein. Das war wohl als Einladung zu sehen. Zwar fiel auch der Blick von Phoenix kurz auf die Tasche, welche Seto geheim durchwühlt hatte, aber auch er tat als hätte er nichts gesehen. Ihm schien das nicht neu zu sein. „Du hast Sethan ja ziemlich angeraunzt“ sprach Phoenix erstaunlich offen, was Seto überraschte. Vor ihm und Sari schien er ein ganz anderer Mensch zu werden. Viel mutiger. Zwar noch immer sehr sanft und ruhig, aber viel mutiger. Vielleicht aus dem Grund, den Sharesa und Balthasar erzählt hatten. Für ihn hatte Tato eine Art Vaterrolle übernommen und Sareth wurde ihm damit eine Schwester. Und so ging er auch mit ihnen um. Wie mit einem Vater und einer kleinen Schwester. „Willst du mir das etwa vorhalten?“ fragte er beleidigt zurück. „Einfach Sari mitzuschleifen, obwohl sie noch viel zu jung und unerfahren ist.“ „Du weißt, er würde sie nicht mitnehmen, wenn es nicht wichtig wäre. Er würde niemanden von uns in Gefahr bringen“ antwortete er ernst und blieb vor ihm stehen, kraulte den zwergwüchsigen Vogel auf seiner Schulter. „Ich glaube, du tust ihm Unrecht, wenn du ihn so anmachst. Jetzt denken alle, wie skrupellos er ist. Keiner hat ihn richtig geknuddelt. Ich glaube, ihn macht das auch traurig, wenn sich alle von ihm distanzieren. Auch du.“ „Hör auf, so zu reden“ grummelte er und senkte ausweichend seinen Kopf. Für Seto taten sich hier ganz neue Seiten auf. Hatte dieser schwache Junge ihm etwa was zu sagen? Mit dem mächtigen Sethan legte er sich an wie eine Furie und vor diesem nicht mal magischen Jugendlichen senkte er den Kopf? Das tat ein Drache doch nur, wenn er seinen Frieden signalisieren wollte. Wenn er jemanden beschwichtigen und sich wörtlich wegducken wollte. Seto erkannte seine eigene Körpersprache. „Ich finde, du solltest dich bei ihm entschuldigen.“ „Ach, findest du, ja?“ Aber er wäre kein Drache, wenn nicht auch er seinen Stolz hätte. „Ja, finde ich“ verdeutlichte er nochmals. „Für ihn ist das hier sicher auch alles nicht leicht. Alle verlassen sich auf ihn und er braucht jeden Beistand. Besonders deinen. Du weißt, dass er große Stücke auf dich hält und dass du hier der erste Ansprechpartner für ihn bist. Mach es ihm doch nicht so schwer.“ „Du hast leicht reden“ warf er ihm vor. „Ach, hab ich das?“ schaute er dunkel zurück und schüttelte dann aufgebend seinen Kopf. „Ach, Asato. Warum bist du nur so ein Sturkopf?“ „Sag einfach, dass du mich lieb hast.“ „Ja, ich hab dich lieb. Sehr lieb sogar“ gestand er ihm zu und setzte sich zu den beiden auf die Lehne. Er legte seine Arme um Tatos breite Schultern und schmiegte seine Stirn an ihn. „Bitte sei nicht so aufbrausend, ja? Mein Dicker?“ „Ja“ versprach er leise. „Tut mir leid.“ Er drückte die zwei an sich und so saß er nun da. Mit seiner eigenen, jungen Tochter und dem angenommenen Sohn. Alles verließ sich auf ihn ... er hatte eigentlich gar keine Zeit für eigene Probleme. „Du bist nun mal ein kleiner Sturkopf, Papa“ lächelte Sareth und tippte ihm neckisch auf die Nase. „Das sagt ja die Richtige“ brummte er zurück. „Ach, ihr tut euch beide nicht viel“ meinte Phoenix dazu. „Wollen wir vielleicht mal zurückgehen? Sethan erzählt uns jetzt bestimmt, wie es weitergehen soll.“ „Darf ich vorher noch etwas fragen?“ warf Seto bedacht ein. „Ja, Mama. Natürlich“ antwortete Tato sofort. „Tut mir leid, dass ich so ...“ „Nicht deswegen. Ist schon okay“ beruhigte er ihn liebevoll. „Ich kenne das. Ich hab auch ständig so Ausraster, wo ich mich hinterher selbst frage, warum ich eigentlich gebrüllt habe.“ „Das stimmt“ meinte Sareth. „In meiner Zeit bist du auch ein bisschen wie mein Papa. Aber nicht soooo schlimm. Aber Opa sagt immer, das hat er von dir.“ „Den Schuh muss ich mir wohl anziehen“ gab er lächelnd zu. „Aber ich wollte eigentlich etwas anderes fragen. Wegen Sethan.“ „Sethan ist lieb.“ Da musste Sareth doch ein gutes Wort für ihn einlegen. „Er ist mein Cousin und auch dein Enkel. Er ist eigentlich nicht immer so ernst wie jetzt. Aber er weiß, dass es jetzt ganz wichtig ist. Er muss aufmerksam sein, hat er gesagt und aufpassen, dass möglichst viele wieder nach Hause kommen. Aber Zuhause ist er anders. Er lacht immer ganz viel und er kuschelt gerne. Er ist nicht immer so ernst. Ich hab ihn sehr lieb.“ „Er machte wirklich einen angespannten Eindruck“ musste Seto zugeben. „Aber er hat wundervoll klare Augen. Ich glaube auch, dass er ein guter Mensch ist.“ „Das ist er“ nickte Phoenix zustimmend. „Er ist im Augenblick wirklich angestrengt und vernünftiger als sonst. Er weiß, dass es jetzt auf ihn ankommt.“ „Ich an seiner Stelle wäre wohl auch etwas nüchtern“ gestand Seto. „Was mich aber eigentlich interessiert, ist, wie er entscheidet, wer mitkommt und wer nicht. Ich meine, woher weiß er, wen er braucht? Dass er Tato mitnimmt, weil er ein starker Magier ist, verstehe ich ja noch. Aber warum nimmt er einen Chaoten wie Jonny mit und lässt dafür eine starke Hexe wie Narla Zuhause? Sie hätte vielleicht sogar noch eher Einfluss auf Seth.“ „Jonny ist nicht wie Joseph“ erklärte Tato. „Sethan hat nur Menschen mitgenommen, die in einem magischen Kampf bestehen können. Dafür hat er einige Zuhause gelassen, die dort die Stellung halten und andere, vor allem die Jüngeren, ausgewählt, um ihn zu begleiten.“ „Du willst mir erzählen, dass Jonny ein Hexer ist?“ fragte Seto mit einem mehr als skeptischen Blick. Sogar die skeptische Augenbraue hatte sich erhoben. „Er hat doch gar keine Hexen in seiner Blutlinie.“ „Nein“ erzählte Sareth frei heraus. „Jonny ist ein Zauberer.“ „Ein Zauberer? Der?“ Seto fiel heute irgendwann noch ab vom Glauben. „Als Zauberer muss man alles hart erlernen. Wirklich gute Zauberer sind steinalt. Selbst Seth kannte nur eine Hand voll. Ich selbst kenne gar keinen. Und du meinst, ausgerechnet jemand wie er ist so strebsam, dass er Magie entwickelt?“ „Ich weiß. Es passt nicht zu ihm“ murrte Tato. „Jonny ist ein Idiot.“ „Gar nicht! Sag das nicht immer!“ schimpfte seine Tochter und haute ihn auf die Schulter. „Jonny ist sehr schlau und er lernt immer viel.“ „Während er zwischen seinen Rennen Pause macht“ erklärte Phoenix etwas ruhiger als die beiden Drachen. „Von Madesh bekommt er alte Schriften übersetzt, die er dann auswendig lernt. Er spricht es auf Tonband, wie du es nennst und hört es solange bis er es kann. Und dann arbeitet er sich in der Praxis heran, zumal er durch den Sport einen sehr belastbaren, flexiblen Körper hat und auch im Kopf ständig aufmerksam sein muss. Das macht er seit er zehn oder elf ist und er hat bis heute nicht aufgehört. Natürlich lernt er bei Weitem nicht so schnell wie ein Hexer, aber er hat sich einige Fähigkeiten hart erarbeitet.“ „Er kann sehen“ erzählte Sareth. „Er spürt manchmal, dass Sachen geschehen. Dafür guckt er in den Himmel oder auf den Boden. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber er kann das riechen, sagt er. Immer kurz vorher. Da kann er sagen, jetzt fliegt gleich ein Vogel vorbei und dann fliegt wirklich ein Vogel vorbei. Wahnsinn, was?“ „Wer ist Madesh?“ wollte Seto viel lieber wissen. „Madesh Ishtar“ erklärte Tato. „Das Oberhaupt der Grabwächter. Es ist übrigens in 5000 Jahren das erste Mal, dass eine Frau zum Oberhaupt wird.“ „Madesh Ishtar ist also eine Frau“ wiederholte er anerkennend. „Gleichberechtigung in allen Bereichen, was?“ „Sozusagen.“ „Ist sie Mariks eigene Tochter?“ „Das ist wieder eine andere Geschichte, in der Malik ziemlich tief drinsteckt“ wiegelte er ab. „Ich erzähle es dir dann ein anderes Mal.“ „Madesh ist lieb“ lächelte Sareth. „Und sie ist so hübsch. Sie hat ganz lange Haare und glitzernde Augen. Wenn wir sie das nächste Mal besuchen gehen, zeigt sie mir, wie sich eine Ägypterin schminkt.“ „Das sehen wir dann.“ Tato schien von der Idee nicht so angetan. Sie war erst elf und dachte schon ans Schminken ... „Das bedeutet dann aber auch, dass die anderen ebenfalls magische Fähigkeiten haben, oder?“ fragte Seto weiter. „Ja“ antwortete Phoenix. „Fernando ist ein Hexer. Er ist unser Spezialist, wenn’s um Fallen geht. Er kann die Magie eines Gegners für einen Moment anzapfen und sie ihm beim nächsten Angriff entgegenstellen oder daraus für ein bestimmtes Ziel einen Schutzbann errichten. Das kann er bei Schatten übrigens besonders gut.“ „Und Dakar?“ wollte er ebenfalls wissen. „Er hat irgendwas an sich, was ich nicht richtig benennen kann. Vielleicht ein Illusionist? Er ist so undurchsichtig.“ „Dakar“ versuchte Tato ihm dann nachdenklich zu antworten. Als wolle er ihm schonend etwas beibringen. „Aber versprich, dass du nicht ausflippst oder irgendein Wort zu jemand anderem sagst.“ „Okay“ versprach er beobachtend. „Was ist mit ihm? Er ist so ... einfach merkwürdig.“ „Er ist Giftmagier.“ „Ein Magier sogar“ nickte er. „Da lag ich mit Illusionen wohl etwas falsch. Aber er ist so ... ich weiß nicht. Irgendwie glatt.“ „Das ist er wirklich. Er hat seine eigene Geschichte.“ „Vielleicht in Kurzform?“ bat Seto. „Ich finde, man sollte sich kennen, wenn man miteinander arbeiten soll.“ „Er ist der Sohn von Apophis und Mokeph.“ Darauf wusste nicht mal Seto spontan etwas zu antworten. Er bekam ziemlich große Augen und seine Überraschtheit versperrte ihm die Lippen. Deshalb hatte er so rabenschwarze Augen - weil er Mokephs Sohn war. Und die hohe, hagere Gestalt musste er von Apophis haben. Deshalb war er auch so auffällig unscheinbar. „Aber er sagte, Tea hat ihn adoptiert“ kombinierte er zaghaft selbst. „Also hat sie ihn nicht geboren?“ „Mokeph hatte einen Seitensprung“ erklärte Tato. „Er hat Tea niemals etwas gesagt, aber eines Tages war Dakar plötzlich da. Im Alter von 15. Es gab ein großes Hin und Her, wobei Dakar fast auf der Strecke geblieben wäre. Er war über einen traurigen Weg in die Fänge des Zirkels geraten. Er wirkt heute noch manchmal etwas merkwürdig, aber das liegt daran, dass sie ihm die Stimmbänder gekürzt und seine Tränendrüsen verkümmert haben. Seine heisere Stimme und seine regungslosen Augen, dafür kann er nichts. Als er damals zu uns kam, war auf dem Aussteigerweg. Er war vor seinem Meister geflohen. Letztlich endete er in der Obdachlosigkeit. Er kannte die normale Welt außerhalb des Zirkels überhaupt nicht. Deshalb war er sehr orientierungslos. Außerdem hatte er Drogenprobleme, ziemlich schwere sogar. Mit einer Droge namens Dust, die in unserer Zeit zu vielen Todesfällen geführt hat und es noch immer tut. Und zudem wollte Tea ihn natürlich nicht akzeptieren, sich sogar von Mokeph scheiden lassen. Sie war schrecklich enttäuscht und sauer auf ihn und in Dakar sah sie nur Apophis und diese fremde Frau. Für ihn aber war das zuviel und er wollte sein Leben wohl gar nicht mehr. Er hatte ja nichts mehr.“ „Aber was war denn mit seiner Mutter?“ fragte Seto betroffen. „Hat sie sich nicht um ihn gekümmert?“ „Sie hat ihn weggegeben“ antwortete Tato hart. „Sie hat sich vor ihrem Baby geekelt und es einem Fremden gegeben, der Dakar dann als starken Magier im Namen des Zirkels erzogen hat. Sie wussten nämlich sehr wohl, wer ihn gezeugt hatte. Sie haben ihn von der Welt abgeschottet und seit Kindesbeinen an einer Art Hirnwäsche unterzogen. Er sollte das Aushängeschild des Zirkels werden, aber gleichzeitig vollkommen hörig. Aber er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Er versuchte, wegzukommen, aber auch bei Mokeph fand er erst keinen Schutz. Der hatte sich dafür entschieden, seine Ehe zu retten. Er wollte sich zwar um Dakar kümmern, aber ihn von seiner Familie erst mal fern halten. Verständlich, denn er war damals wirklich zum Fürchten. Natürlich fiel ihm das als Vater nicht leicht, aber er konnte ihn nicht ins Haus holen. Er wollte für ihn da sein und ihm helfen, aber was Dakar von ihm wollte, war eine Familie. Und die schien er nicht zu bekommen. Aber als er am Abgrund stand, hat Tea sich letztlich überwunden und ihn als Mokephs Sohn akzeptiert. Sie hat ihn nach Hause geholt und offiziell adoptiert. Sie hat ihm bei seinem Drogenproblem geholfen und ihn sogar in ihrem Bett schlafen lassen, wenn er nachts weinte. Seitdem weicht er nicht mehr von ihrer Seite. Er sieht in ihr die Mutter, die er niemals hatte. Manchmal scheint es, er liebt Tea viel mehr als Mokeph es tut. Er würde alles für sie tun. Sie ist für ihn eine Heilige.“ „Und meine Cousinen haben ihn auch sofort adoptiert“ lächelte Phoenix. „Die Mädchen lieben ihn wie einen großen Bruder.“ „Aber wenn er im Zirkel war“ meinte Seto. „Warum hat Seth sich nicht um ihn gekümmert? Als sein Onkel hätte er das tun müssen.“ „Zu diesem Zeitpunkt hatte Seth den Zirkel noch nicht übernommen“ erklärte Tato ihm geduldig. „Das hat er erst vor etwa zehn Jahren getan und Dakar ist schon vor über 20 Jahren ins Haus gekommen. Kurz bevor Sethan geboren wurde.“ „Mokeph hat also Tea mit einer anderen betrogen“ seufzte er und lehnte sich geschafft zurück. Das musste er erst mal verdauen und hätte Tato ihn nicht um Stillschweigen gebeten, hätte er sicher anders reagiert. „Ihr kommt 38 Jahre aus der Zukunft und Dakar ist jetzt 37. Das heißt, seine Mutter ist jetzt schwanger.“ „Tea weiß nichts davon“ bat er. „Bitte sag ihr nichts. Das sollten die Gardeners unter sich ausmachen.“ „Er hat sie wirklich betrogen“ wiederholte er ungläubig. „Ich hätte nie gedacht, dass Mokis Yami ein Fremdgeher ist. Hat Apophis ihn verführt?“ „Mehr oder weniger“ gestand er ihm zu. „Mama, bitte. Ich hab dir das im Vertrauen erzählt. Lass dir nicht anmerken, dass du es weißt. Ich weiß, dass du Tea liebst, aber trotzdem. Bitte.“ „Die Hoffnung auf ruhigere Zeiten kann ich mir dann wohl in die Haare schmieren“ meinte er und sah ihn enttäuscht an. „Und ich dachte, mit der Zeit wird das Leben ruhiger.“ „Bei allen, nur bei uns nicht“ lächelte Tato entschuldigend. „Du weißt ja.“ „Ja“ seufzte er. „Irgendwas ist ja immer ...“ Chapter 17 „Onkel Tato?“ Er blickt langsam auf, als er diese Stimme hörte. Gerade war er in einem Gespräch mit Seto vertieft und hatte keinen zusätzlichen Besuch erwartet. Und eigentlich war Seto froh, dass Sareth und Phoenix sich eben aus dem Staub gemacht hatten, um zu den anderen zurückzugehen. So wollte er die Gelegenheit nutzen und das ein oder andere Thema antasten, bei welchem er lieber keines der Kinder dabeihaben wollte. Aber mit Sethans Erscheinen musste er das wohl auf später verschieben. „Was?“ fragte Tato kalt zurück. „Im Moment wohne ich hier oder willst du jetzt plötzlich auch noch über mein Zimmer bestimmen?“ „Nein“ antwortete er und kam vorsichtig ganz herein. „Oma, bist du so lieb und lässt uns einen Moment allein?“ „Bleib ruhig sitzen“ sagte Tato sofort dagegen. „Wir haben uns gerade unterhalten. Kannst du nicht später wiederkommen?“ „Nein“ war wieder seine Antwort und sein leuchtend unnatürlicher Blick bekam einen besonderen Glanz. Einen traurigen. Ihm standen die Tränen in den Augen. „Ich möchte gern jetzt mit dir sprechen.“ „Was willst du denn?“ Das klang zwar schon ein wenig entschärft, aber noch lange nicht einladend. Eher als wüsste Tato, dass er gerade etwas harsch gewesen war, es aber nicht einsah, sich dafür zu entschuldigen. „Ich ... ich möchte dich bitten“ begann er vorsichtig und sah ihn verletzt an. „Bitte sei nicht so gemein zu mir.“ „Überleg mal, wer hier gemein ist“ warf er zurück. „Ich sage meiner Tochter, sie soll Zuhause bleiben und du nimmst sie einfach mit. Du stellst vor ihr meine Autorität infrage.“ „Aber es war mit Mama so abgesprochen“ verteidigte er sich schwach. „Warum änderst du so plötzlich deine Meinung?“ „Als ich gegangen bin, hab ich dir gesagt, ich will, dass sie Zuhause bleibt“ wiederholte er nur wieder. „Es ist nicht korrekt, wenn du mich vor ihr infrage stellst.“ „Es tut mir leid“ hauchte er und senkte seinen feuchten Blick. „Aber was soll ich denn machen?“ „Was ist denn los, Sethan?“ Seto war da etwas einfühlsamer, zumal er in diesem Zwist nicht wirklich drin steckte. Er konnte Tatos Sorge verstehen. Der wollte nur seine Tochter beschützen. Aber er meinte, auch Sethan verstehen zu können. Noch hatte er es nicht genau fragen können, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sareth große Magie besaß und er sie brauchte, war doch sehr wahrscheinlich. Und weil er hier dem scheinbar Schwächeren den Rücken stärken wollte, erhob er sich und ging zu ihm, legte ihm den Arm um die Hüfte. „Was willst du Tato denn sagen?“ „Ich will mich rechtfertigen“ antwortete er mit laut bebender Stimme und gestikulierte seinen Onkel wild an. „Warum willst du mich nicht verstehen? Warum bist du plötzlich gegen mich?“ „Ich bin nicht gegen dich. Aber ich muss ja nicht alles gutheißen, was du tust.“ „Ich hab doch keine Wahl! Was würdest du denn an meiner Stelle machen?“ „Ich bin ja nicht an deiner Stelle. Du bist doch viel toller als ich.“ „HÖR AUF!“ schrie er ihn verletzt an und sein Blick bettelte geradezu nach Verständnis. „Ich weiß, dass ich jünger bin als du. Verdammt, ich bin erst 23! Ich bin fast noch ein Kind! Kannst du dir nicht mal vorstellen, wie ich mich fühle?“ „Nein“ erwiderte er abweisend. „Du bist doch ein hochgeborenes Wesen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht in dich einfühlen.“ „Warum tust du das?“ Jetzt weinte er doch und Seto fühlte, wie er am ganzen Körper zu beben begann. Der mächtigste aller Könige hatte also auch eine menschliche Seele und fürchtete sich vor dem, was die Zukunft für ihn bereithielt. Er war gar nicht so cool wie er vorgab. „Ich hab noch lange nicht deine Reife, deine Erfahrung. Aber jeder erwartet, dass ich die Welt rette. Andere in meinem Alter gehen auf Partys und amüsieren sich und ich muss König spielen. Mich hat nie jemand gefragt, ob ich das machen will.“ „Du scheinst aber sehr darin aufzugehen“ gab er wertfrei zur Antwort. „Es ist doch super, wenn man so wichtig ist.“ „Ich finde das nicht super“ weinte er. „Ich hasse es. Viel lieber wäre ich ein Durchschnittjugendlicher mit einer Durchschnittfamilie und einem Durchschnittsjob. Mich hat nie jemand gefragt, ob ich ein göttergleiches Wesen sein will.“ „Kommt dir das nicht bekannt vor?“ versuchte Seto seinen Sohn zu erinnern. Auch Tato hatte geäußert, dass er viel lieber durchschnittlich und normal wäre. Konnte er sich denn nicht wenigstens da in den jungen Sethan einfühlen? Seto wusste nicht genau, weshalb der sonst so gelassene Tato plötzlich so aggressiv reagierte. Auf den Sohn seiner eigenen Schwester, seiner Pharaonin. Und auch nicht, warum der so abgeklärt und positiv scheinende Sethan plötzlich so verletzt war. Ganz anscheinend waren da wohl schon Sachen gelaufen, über die Seto einfach nichts wusste. „Sethan, du sollst die Welt retten. Nicht ich“ erklärte er trocken. „Mich hat auch niemand gefragt, ob ich hierauf Bock habe. Aber jeder hat nun mal seine Pflichten.“ „Ich weiß.“ Er versuchte seine Stimme zu beruhigen, aber wirklich gelingen, tat es ihm nicht. „Ich versuche auch, meine Pflicht wahrzunehmen. Aber ich brauche Hilfe. Die Hilfe von Sari. Die Hilfe von Nando. Die Hilfe von Narla, von allen. Und vor allem brauche ich deine Hilfe. Verdammt, ich bin doch gar nicht reif für so etwas. Ich habe riesige Angst vor dem, was kommen wird. Aber ich darf das niemandem zeigen. Ich bin der Stärkste von uns. Ich hab mir das nicht ausgesucht, aber wenn ich nicht zuversichtlich bin, wird es auch kein anderer sein. In mir drin, fühle ich mich nicht wie der größte Pharao, der mächtigste Gott aller Zeiten. Aber alle erwarten, dass ich mich so benehme. Was soll ich denn tun? Wenn wir hier scheitern, wird auch unsere Zukunft sterben. Dann ist es egal, wo Sari sich aufhält. Als Priester meiner Mutter warst du mir immer ein Vorbild. Aber jetzt, wo ich dich am meisten brauche, da machst du es mir so schwer. Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist, weil ich deine Autorität unterwandert habe. Ich kann auch verstehen, wenn es dir schwer fällt auf jemanden zu hören, der so viel jünger und unreifer ist als du. Aber was soll ich tun? Sag mir, was ich tun soll!“ „Sethan ...“ „Ich brauche dich, Onkel Tato“ schluchzte er. „Ich hab Angst, dass ich versage. Davor, dass mein Plan nicht aufgeht. Aber ich will die Welt beschützen, die Menschen darauf und alle, die ich liebe. Ich will Gutes tun, aber ich kann das nicht alleine. Ich brauche dich ... bitte sei für mich da. Ich weiß, du bist nicht mein Priester, aber auch ich brauche jemanden, der mir den Rücken stärkt. Mama kann nicht hier sein ... bitte steh du mir an ihrer statt bei.“ „Weiß deine Mutter, dass du mit so unsicheren Gefühlen aufgebrochen bist?“ Selbst Tato schien überrascht über diese emotionalen Worte zu sein. Auch wenn er es hinter einer tonlosen Maske verbarg, sah man doch ein wenig Verwirrung durchscheinen. „Nein“ antwortete er leise. „Ich hab doch keine andere Wahl. Wenn ich zeige, wie viel Angst ich habe ... du weißt, was ich für ein Schisser bin.“ „Du bist kein Schisser“ meinte er fest. „Du warst doch der Erste, der sich beim Bungee freiwillig gemeldet hat.“ „Das war kein Kunststück, sondern Vertrauen. Du hättest mich ja aufgefangen.“ „Hätte ich nicht“ sagte er kalt. „Du weißt, dass ich nicht fliegen kann.“ „Aber ich weiß, du hättest mich aufgefangen“ flüsterte er. „Bitte ... überwinde dich und lass mich dir vertrauen. Schluck runter, was dich stört und stärke mir den Rücken. Ich gebe mir Mühe, stärker zu sein als ich bin. Und vielleicht kannst du dir Mühe geben und ein bisschen von deinem Stolz ablegen.“ Und damit verlangte er wirklich viel. Tato war ein sehr stolzer, ein geradezu eingebildeter Mensch. Das abzulegen und einen Jungen als mächtiger anzuerkennen, sich von ihm etwas sagen zu lassen, fiel ihm sicher schwerer als jedem anderen. „Okay.“ Nach einem kurzen Überlegen stimmte er dennoch zu. Aber er wäre nicht Tato, wenn er nicht Gegenforderungen stellen würde. „Aber nur unter einer Bedingung.“ „Und welche?“ Seine Stimme war von Hoffnung erfüllt, aber auch von Unsicherheit, ob er dies Forderung erfüllen konnte. „Ich will, dass Sareth unverletzt nach Hause zurückgehen kann“ forderte er klar. „Ob unverletzt oder nicht, kann ich dir nicht garantieren“ erwiderte er. „Aber ich will versuchen, sie besonders zu beschützen. Ich weiß, wie wichtig sie dir ist.“ „Versprich es mir“ forderte er vehement. „Und wenn es Tote gibt. Selbst wenn ich sterbe. Ich will, dass du sie am Ende nach Hause bringst. Und wenn sie die Einzige ist, die zurückkehrt. Ich will, dass sie hier lebend rauskommt.“ „Ich verspreche es dir“ nickte er und wischte sich die Tränen fort. „Auch wenn es nicht viel bringt. Wenn wir hier scheitern, nützt ihr auch eine Rückkehr in die Zukunft nichts. Aber wenn das die Bedingung für deine Loyalität ist, dann werde ich sie erfüllen.“ „Gut dann.“ Tato erhob sich, stützte sich auf seinen Stock und kam langsam die wenigen Schritte auf ihn zu, um ihn ruhiger anzusehen. „Solange du mir versprichst, meine Tochter zu beschützen, kämpfe ich für dich wie für meine Schwester.“ „Ich beschütze sie“ versprach er deutlich. „Ich verspreche es dir.“ „In Ordnung. Komm her, du Schisser.“ Er breitete seine Arme aus und Sethan hatte sich schneller angeschmiegt, als er gucken konnte. „Wenn ihr was passiert, ist unser Pakt gestorben. Verstanden?“ „Ja“ hauchte er und drückte sich an ihn. „Danke, Onkel Tato.“ „Schon gut. Und ab jetzt keine Schwächeleien mehr.“ „Nein ...“ „Sei ein Mann.“ „Ja ... Onkel Tato ...“ Seto erkannte, dass sie vielleicht mit ganz falschen Erwartungen an Sethan gedacht hatten. Er war als so groß und mächtig prophezeit worden, dass man insgeheim glaubte, einen Übermenschen vor sich zu sehen. Vielleicht war er das sogar, aber nicht so, wie man es erwartet hatte. Er war selbst erst ein Jugendlicher und er hatte Angst davor, die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen. Er stand unter großem Druck. Er sollte die kleine Armee der Mächtigen in eine Schlacht gegen den dunkelsten aller Götter und seinen verblendeten Sohn führen und einen fast aussichtslosen Streit beenden, der seit Jahrmilliarden tobte. Dabei war er selbst erst 23 Jahre. Seine Zweifel waren vollkommen verständlich. Jeder hätte Zweifel, dieser Sache gewachsen zu sein. Und dann kam jemand wie Tato, der es verstand, anderen Leuten das Leben schwer zu machen. Jemand, der immer versuchte, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Man musste ihn nicht gegen sich haben, um in einem Kampf zu wanken. Schlimm genug war es schon, ihn nicht sicher auf seiner Seite zu wissen. Und bei Tato wusste man nie genau - der hatte seinen eigenen Kopf. Aber in einem solchen Kampf musste Sethan sich einfach auf ihn verlassen können. Es ging schlechter ohne ihn. Doch wenn Tato eines war, dann war er ein Mann der Ehre. Wenn er etwas versprach, dann hielt er sein Wort. Und er hielt sich an einen geschlossenen Pakt. Solange Sethan seine Tochter schützte, würde er die Priesterschaft für ihn übernehmen. Und das bedeutete, ihn und seine Entscheidungen vollkommen anzuerkennen und danach zu handeln. Für jemanden, der so viel jünger und unerfahrener war als er selbst. Am Ende fiel es beiden nicht leicht, einen solchen Pakt zu schließen. Aber es machte vieles einfacher. Seto seufzte schwer und stellte sich hinter Sethan, schlang seine Arme um ihn und umarmte ihn von der anderen Seite. Dieses junge Überwesen schien es wahrlich nicht leicht zu haben. Hierher zu gehen und einen Kampf zu kämpfen, den außer ihm niemand bestehen konnte, die Zeit zu beeinflussen und gleichzeitig allen etwas recht zu machen ... für einen jungen Menschen war das wirklich ein schweres Los. Das wäre es auch für jeden anderen. „GRUPPENKUSCHELN!“ Und als Yami das sah, hopste er sofort herein und quetschte sich irgendwo dazwischen. Ob er da reinpasste oder nicht, war ihm ziemlich egal. Wo gekuschelt wurde, wollte er mitmachen. „Wollen wir uns nicht lieber hinlegen? Auf Dauer wird das ungemütlich“ schlug er irgendwo zwischen Setos Ellenbogen, Sethans Knie und Tatos Kinn gedrückt vor. Nicht nur stören, sondern auch noch Ansprüche stellen! „Was willst du schon wieder?“ grummelte Seto und löste sich beleidigt. Und damit löste sich auch die gesamte Runde auf. Genug geschmust für den Moment. „Du kannst so nett sein, du Engel“ murrte Yami zurück. „Ich bin das hol-mal-die-anderen-Kommando. Wir warten alle, dass uns mal jemand erzählt, wie’s weitergeht.“ „Ich glaube, das weiß eh nur einer“ meinte Tato und sah Sethan mit offenen, geklärten Augen an. „Also, walte deines Amtes und führe uns.“ „Hör auf. Das hört sich komisch an, wenn du so redest“ sah er beunruhigt an ihm hinauf. „Dir kann man auch nichts recht machen. Da will ich mal nett sein und du ...“ „Also, ich hab irgendwie auch Angst vor dir, Tato“ gestand Yami und nahm Sethan scherzend in den Arm. „Er ist doch echt gruselig, oder?“ „Ach. Und warum?“ brummte Tato als sie sich gemeinsam auf den Weg hinaus machten. „Tja, einfach nur so“ lachte Yami. „Du bist noch viel unheimlicher als Seto manchmal.“ „War das ein Kompliment oder eine Beleidigung?“ brummte der dann von der anderen Seite. „Was wäre denn für mich vorteilhafter?“ überlegte Yami und sah nachdenklich die Decke an. „Was meinst du, Sethan? Wenn ich sage, das war ein Kompliment, dann nuschelt Seto wahrscheinlich irgendwas Unverständliches und redet die nächste Stunde gar nicht mehr mit mir. Und wenn ich sage, dass das eine Beleidigung war, dann wird er versuchen, mir irgendwelche schrecklichen Dinge anzutun. Wobei ...“ „Du stehst doch auch schreckliche Dinge“ schmunzelte Sethan. „Stimmt“ schmunzelte der zurück. „Du auch?“ „Na ja ... nicht so sehr, um ehrlich zu sein. Ich hab’s lieber friedlich.“ „Bist du schwul?“ „Öhm ...“ „YAMI!“ machte Seto ihn wütend an und griff ihn am Kragen, um ihn von dem armen Jungen wegzuziehen. „Was denn?“ quengelte der in diesem kalten Griff. „War doch ne ganz normale Frage.“ „Nein, das war eben keine normale Frage.“ „Also, ich bin bi“ erzählte er frei heraus. „Ich mag Männer und Frauen. Aber am meisten mag ich Seth. Seto ist aber auch geil. Und Yugi erst ... hmmmm. So, jetzt bist du dran.“ „Lass ihn in Ruhe damit“ schimpfte Seto und schubste ihn nach vorn. Er konnte ihn ja nicht ewig festhalten. „Also?“ Und schon klebte er wieder an Sethans Seite. „Bist du auch anders oder ganz normal hetero? Mit wem hast du schon alles und wann?“ „Noch gar nicht“ gab er freizügig zu. „Wie ... noch gar nicht?“ Das war eine Formulierung, die kannte Yami nicht. Man musste doch alles mal gemacht haben. „Na ja. Weißt du ... ich bin noch Jungfrau.“ „Buff“ uffte er dann und sah ihn planlos an. „Echt? Mit 23 noch? Noch nie Sex gehabt?“ „Nein, noch nie“ lächelte er sanft. „Noch nicht mal geknutscht?“ „Nein. Ich warte auf den richtigen Menschen. Auf denjenigen, der mir alles bedeutet.“ „Ach, so einer bist du“ stellte er enttäuscht fest. „So ein Romantiker.“ „Wenn du es so ausdrücken willst, Ati. Bist du sehr enttäuscht?“ „Na ja, ein bisschen schon“ gab er seufzend zu. „Ich dachte, du erzählst mir mal ein bisschen was nettes. Aber na gut ...“ Und da er jetzt Tato leuchtend ansah, zog der schon mal langsam den Kopf ein. „Und du, Tato? Wie ist es so mit deinem Sex?“ „Lass das“ raunzte Seto ihn von der Seite an. „Hör auf mit deinen Fragen.“ „Ach, sei ruhig. Du bist uninteressant“ lachte er. Was Seto so an Sex hatte, wusste er aus erster Hand. Da musste er nicht mal fragen, das erzählte Yugi ihm immer brühwarm. „Tato, erzähl mal. Was macht ein Mann wie du mit seiner ganzen Manneskraft?“ „Meinen Blick auf andere Dinge wenden als auf unnützes Rumhuren“ entgegnete er und sah ihn drohend an. „Zum Sexhaben ist die Jugend da. Irgendwann sollte man auch mal erwachsen werden, Atemu.“ „Ne ziemlich traurige Einstellung finde ich das“ antwortete er enttäuscht. „Hast du denn gar keinen Spaß mehr in deinem Leben?“ „Es gibt anderes als immer nur dem nächsten Fick hinterherzulaufen. Du solltest dich lieber auf Sachen konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Dann wäre Seth vielleicht jetzt woanders.“ „Tato. Bitte.“ Jetzt musste Seto ihn mal anmahnen. Yami war nun mal jemand, der seine Trauer hinter Scherzen verbarg. Der sich niemals in seinem Elend auflösen wollte. Aber ihm solche Vorwürfe zu machen, war gemein. Es war nicht seine Schuld, dass der größte und gefährlichste Feind aus ihren eigenen Reihen kam. „Schon gut. Danke, Seto“ dankte Yami und wand seinen Blick von Tato ab nach vorne. „Auch wenn es dich nicht interessiert, Asato. Ich habe seit über einem Jahr mit keinem anderen mehr als mit Seth geschlafen. Vielleicht ist er deshalb fortgegangen, weil ich ihn zu sehr eingeengt habe. Denn Treue definiert jeder anders. Und die eigene Definition von Zuneigung ist das Wichtigste im Leben. Denn Mut zum Individualismus ist, denke ich, einzig und allein wirklich erwachsen. Und man sollte sich immer treu bleiben, um jemand anderen im Herzen zu halten.“ Das nahm selbst ihm den Wind aus den Segeln. So fröhlich und herzlich und aufdringlich Yami sich auch gab, so tief und vernünftig waren auch seine Gedanken. Und ihm Gedankenlosigkeit vorzuwerfen, wurde seiner Art bei Weitem nicht gerecht. „Da seid ihr ja endlich!“ Gut, dass sie eben in die Küche zurückkamen und damit das alte Thema beendet war. Joey war schon ganz gespannt. „Und? Was sollen wir jetzt machen? Wen schlagen wir als nächstes in die Flucht?“ „Na, immer ruhig bleiben“ ermahnte Narla ihn und schubste ihn zurück auf seinen Stuhl. „Aber ich wüsste jetzt eigentlich auch gern wie es weitergeht“ gestand Sharesa. „Ich meine, wollen wir sitzenbleiben und warten bis Seth endlich kommt oder wie hast du dir das gedacht?“ „So ähnlich hatte ich das wirklich im Kopf“ gestand Sethan ehrlich. „Da kannst du aber wohl lange warten“ meinte Yami. „Der war schon zur letzten Mondphase nicht hier. Dann kommt er übermorgen auch nicht.“ „Das meinte ich auch nicht“ sprach er weiter und nahm sich sein angebrochenes Glas Cola vom Tisch. Wohl auch, um sich ein bisschen daran festzuhalten. „Egal, was passiert. Es wird da passieren, wo wir sind. Deshalb möchte ich, dass ihr eure Sachen packt und mit mir verreist.“ „Verreisen?“ hakte Noah nach. „Etwa sofort?“ „Ich weiß, dass du Termine hast, Onkel Noah“ erwiderte er mit offenem Blick. „Aber vielleicht kannst du es einrichten.“ „Ich weiß nicht. Wie lange sollen wir denn wegbleiben?“ „Ich weiß es nicht. So lange, wie es eben dauert.“ „Also ...“ „Noah“ unterbrach er ihn ruhig. „Du bist vielbeschäftigt, das weiß ich. Aber wir können niemanden zurücklassen. Es ist doch so: Egal, wo ein Kampf stattfindet, er geschieht immer dort, wo wir sind. Die Schatten suchen gezielt nach uns. Wenn ein oder zwei Leute allein zurückbleiben, wären sie leichte Opfer. Und die Schatten werden immer stärker, da die Engel immer weniger werden. Somit sind nicht nur wir, sondern auch unsere Umgebung betroffen. Deshalb sollten wir an einen Ort gehen, wo wenige Menschen sind und wo ein Kampf nicht so große Schäden anrichten würde. Nur dort können wir uns wappnen und die Pharaonen die nötige Kraft in der Abgeschiedenheit sammeln.“ „Und wo willst du hin?“ fragte Narla. „Es gibt doch auf der Erde kaum noch Orte, wo keine Menschen sind. Vielleicht noch in der Wüste, im Regenwald oder irgendwo in abgelegenen Bergen.“ „Nein, nicht an solch einen Ort“ verneinte er. „Ich weiß nicht, wie lange unser Aufenthalt dort dauern würde. Es könnte eine Woche sein, aber auch ein Jahrzehnt oder mehr. Wenn wir wirklich beispielsweise nur ein Jahr irgendwo im Urwald verbringen, sind wir viel zu geschwächt. Außerdem muss auch die Kaiba Corp. irgendwie weitergeführt werden. Ohne das Geld aus der KC werden uns viele Türen geschlossen, was nicht passieren darf. Wir brauchen die Macht, welche das Kapital mit sich bringt. Also brauchen wir mindestens einen Internetanschluss und den gibt es nun mal nur in besiedeltem Gebiet. Außerdem soll auch unsere Motivation durch eventuelle Menschenleere nicht gemindert werden, was höchstwahrscheinlich geschehen würde, wenn wir uns völlig zurückziehen.“ „Du hast dir darüber wohl schon viele Gedanken gemacht, was?“ stellte Marie fest. „Mehr als das“ lächelte er. „Ich habe uns bereits einen Ort ausgesucht. An einem abgeschiedenen Fjord in Norwegen. Die Temperaturen sind dort erträglich und es gibt in der Nähe nur ein kleines Dorf, welches man mit dem Boot erreicht. Außerdem ist die Natur einmalig schön. Ich bin mir sicher, ihr werdet es mögen. Auch wenn es sehr abgeschieden ist und wir absolut unter uns sein werden.“ „Und wie sollen wir da wohnen?“ wollte Tea vorsichtig wissen. „Ich will nicht meckern, aber diese Fjorde sind doch meistens unberührte Schutzgebiete. Mit Kleinkindern, Babys und einer Schwangeren in Zelten zu wohnen ... na ja, das wäre nicht so einfach.“ „Nein, wir werden nicht campen. Um Rahs Willen“ lachte er. „Ich habe ein paar Bungalows angefordert. Es gibt sogar die Möglichkeit, Wasser mit Solarkraft warm zu machen. Und Strom gibt es im Notfall auch aus dem Generator. Es lässt sich dort aushalten.“ „Und wie hast du das angemietet?“ fragte Tristan neugierig. „Du bist doch nicht mal ne Stunde hier.“ „Das Land gehört uns Mutos“ erklärte Sethan und sah Tato versichernd lieber noch mal an. „Tut es doch, oder?“ „Ja“ nickte der. „Ich habe es in Mamas Namen gekauft, sobald ich hier war. Gustav war sehr kooperativ und hat es sofort umgesetzt. Ursprünglich war es ein Privatbesitz im Naturschutzpark, aber jetzt gehört es uns und es ist sofort bezugsfertig.“ „Also, was du machst, das machst du richtig, Onkel Tato“ lächelte er beruhigt. „Dank dir.“ „Schon gut, Kleiner.“ Tja, ab und zu tat er eben doch mal, was man ihm sagte. Das sollte man sich im Kalender eintragen, damit man diesen denkwürdigen Tag nicht irgendwann wieder vergessen hatte. „Aber Sethan?“ fragte Sareth leise. „Ja, Schätzchen“ lächelte er zurück. „Ich hab’s nicht vergessen. Keine Sorge.“ „Warum? Was denn?“ fragte Joey interessiert. „Wir wollen noch zu Opa fahren“ erklärte sie schnell. „Das hat Sethan mir versprochen. Bevor wir kämpfen, gehen wir noch Opa besuchen. Also Ururopa.“ „Ach ja, du sagtest so was“ erinnerte Yugi sich. „Wann wolltest du denn aufbrechen, Sethan?“ „Am liebsten vorgestern?“ antwortete er vorsichtig. Auch wenn das jetzt etwas überstürzt kam, aber nun, wo sie komplett waren, gab es keine Zeit mehr zu verlieren. „Na ja, wir haben unsere Taschen ja noch nicht ausgepackt“ meinte Jonny. „Also kann’s gleich weitergehen. Aber den alten Opa Muto möchte ich irgendwie auch gern mal sehen. Seto erzählt ja immer so viel von ihm.“ „Aber nicht alle auf ein Mal“ bat Yugi. „Opa ist zwar noch ganz rüstig, aber das wäre vielleicht etwas viel Aufregung.“ „Dann machen wir es doch so“ schlug Seto vor. „Ich hole die Kinder aus dem Kindergarten ab und packe unsere Taschen. Und die anderen packen auch ihre Taschen. Unsere Gäste gehen in der Zwischenzeit Opa besuchen und heute Abend fahren wir dann los.“ „Möööp, ganz schlecht“ schmunzelte Yugi. „DU fährst mit zu Opa und ICH werde die Kinder abholen und die Taschen packen.“ Wobei die Betonung wahrscheinlich auf dem Taschenpacken lag. Denn wenn Seto packte, hatten sie hinterher das halbe Haus im Frachtraum und die Hemden waren trotzdem geknittert. Seto hatte viele Talente, aber Taschenpacken gehörte eindeutig nicht dazu. „Ich kann Opa ja aus dem Auto anrufen und ihn schonend vorwarnen, dass ihr kommt.“ Yugi hatte eben noch immer die Besten Ideen. UND er kannte seine Pappenheimer. Chapter 18 „ONKE NOOOOAAAAAH! IS WILL EIN GNUUUUUUUTS!“ Als Tato hereinstürmte, wusste jeder, dass der Rest der Truppe nun auch endlich eingetroffen war. Der kleine Drache war die Treppen zum Flugzeug noch gar nicht ganz hereingeklettert, da schrie er schon, dass er geknutscht werden wollte. Und Noah war da immer ein, seiner Meinung nach, dankbares Opfer. „Na, du Kuschelterrorist“ seufzte er und fing den Mini auf, setzte ihn auf seinen Arm, ließ sich von den kleinen Armen umfangen und seine frisch gepuderten Wangen küssen. Ohne ausreichend Kuscheln kam er ja doch nicht wieder weg. Selbst ein Onkel Noah war da lernfähig und begann irgendwann sich mit seinem Schicksal anzufreunden. Irgendwas würde ihm doch fehlen, wenn er das Kampfgnuutsgeschrei des Minidrachen nicht mehr hörte. „Wir waren Opa besuchen“ erzählte Nini als sie ihm direkt hinterherlief und bei Joey auf dem Schoß landete. „Er hat sogar Schokotorte gehabt. Eigentlich war die ja für Yoshimoto, weil der morgen Geburtstag hat, aber Opa sagte, dann muss er eben eine neue machen. Wir haben auch alles aufgegessen. Weißt du, dass Opas Schokotorte die beste der Welt ist? Keiner kann die so gut wie er. Papa vielleicht ein bisschen, aber irgendwas ist da anders. Papa sagt, in dem Rezept steht alles drin, aber Opa sagt, da steckt Liebe drin und die kann man nicht in Packungen kaufen. Papa macht ja auch seine Liebe in den Kuchen rein, aber das ist ja dann Liebe von Papa und nicht von Opa. Deswegen schmeckt Opas Torte ein ganz kleines bisschen anders. Ist doch eigentlich logisch, oder?“ „Guten Tag, Ilani“ nickte Joey ihr grinsend zu. „Bonjour, Joey“ lächelte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Erst erzählen, dann kuscheln. Das war bei Tato sonst andersrum. „Ihr habt also Opa die Torte weggefuttert, ja?“ fragte Tristan, als auch die anderen so nach und nach hereinkamen. „Habt ihr wenigstens was mitgebracht?“ „Nini hat’s doch schon erzählt“ meinte Yami und fläzte sich gemütlich auf den schönen Sessel. „Es ist nichts übrig geblieben.“ „Wenn du dabei warst, kein Wunder“ muckschte Mokuba und streckte Noah deprimiert über den Zweisitzer seine Füße entgegen. „Mokuba, setz dich anständig hin“ wies Seto ihn zurecht, als der hinter Tato in den Flieger stieg. „Wir wollen gleich starten.“ Aber er war ja auch der große Bruder. Also murrte Mokuba nicht mal, nahm die Beine herunter und setzte sich aufrecht hin. Den Gurt legte er sich auch schon zurecht. Tja, kleine Brüder blieben eben immer kleine Brüder. „War es denn schön?“ fragte Marie als Phoenix sich einen Platz direkt bei ihr suchte. „Ja“ lächelte er leise. „Opa Salomon ist wirklich ein lieber Mensch. Genau wie Seto immer erzählt.“ „Ja, Mama. Wirklich.“ Balthasar setzte sich zu ihrer anderen Seite und sah auch ganz glücklich aus. „Er meint es wirklich total gut mit allen. Die ganze Zeit war er am Herumlaufen und hat uns mit tausend Dingen versorgt, damit es uns bei ihm auch ja gut geht. Erst als Yugi kam, konnte der ihn zwingen, sich mal hinzusetzen. Und Seto hat bei ihm ja wohl gar keine Durchsetzungskraft.“ Der hörte das zwar, aber murmelte irgendwas in die andere Richtung. Es gab Dinge, da hatte er sich langsam seine Kommentare abgewöhnt. Wenn er sich aufregte, schaukelte das manchmal die Sache nur unnötig hinauf. Und dass er sich gegen Opa nicht durchsetzen konnte, war niemandem neu. „Und Asato auch“ erzählte Phoenix leise und wurde ganz rot auf den Wangen. „Opa hat ihn ständig abgeknutscht und er hat gar nichts dazu gesagt. Obwohl er das eigentlich nicht mag.“ „Schnall dich an, Phoenix. Wir starten gleich“ warf der ihm etwas dunkel herüber. Übersetzt sollte das wohl heißen, dass er sich jeden weiteren Kommentar verkneifen sollte. Tato war eben auch ein Opfer höherer Pädagogik. „Sind dann jetzt alle an Bord?“ fragte der Pilot, welcher als Letzter in die Maschine stieg. Ein freundlich aussehender, etwas älterer Herr. Eine kleine Wampe und einen dunkelgrauen Vollbart. Und in der hellgrauen Uniform, welche die Angestellten des Außendienstes der Kaiba Corp. in den letzten Jahren zunehmend trugen. „Ja, wir sind alle komplett, Captain“ lächelte Noah ihn an. „Und wir haben alles, was wir brauchen. „Sehr gut.“ Er schloss die schwere Tür hinter sich und verriegelte sie fachmännisch mit drei festen Hebeln. „Dann schnallen Sie sich doch bitte schon an. Wir werden unsere Starterlaubnis wohl sofort bekommen.“ „Na, dann komm mal her, du Räuber!“ Yugi fischte sich den kleinen Tato auf den Arm, der dann auch umgehend quengelte und sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlte. „Nein! NEEEIIIN! Papa! Manno! Bei Onke Noah bleiben! Bring mis wieder surück!“ „Nichts da. Du kommst jetzt in den Kindersitz, damit wir starten können.“ „Nein! Is will nis in Tinnasits! Das is doof! Is bin kein Kind mehr! Is bin soon awacksen! Is kann selba fliegen!” „Das dauert noch ein paar Jahre bis du selbst fliegen kannst, Minidrache“ belehrte Yugi und schnallte ihn trotz des Protestes in seinem Kindersitz fest. „Nein! Manno, Papa!“ schimpfte er und haute ihm auf den Fingern rum. „Lass das! Alter Swede, lass das do mal! Das is voll doof! Du masst mis peinlis!“ Yami fand das nur köstlich und amüsierte sich prächtig. „Hast du das gehört, Yugi? Du machst ihn peinlich, Mann!“ „Guck mal, Tato. So schlimm ist das gar nicht“ tröstete Nini und krabbelte ganz selbstständig in ihren eigenen Kindersitz, der direkt neben seinem stand. Sie war ja leider etwas klein für ihr Alter und da bestand Papa Yugi darauf, dass sie beim Starten und Landen im Kindersitz saß. „Du bis ja au ein Mädsen“ guckte er sie beleidigt an. „Mädsen sind soon peinlis geborn!“ „Selber peinlich.“ Jetzt war sie auch beleidigt. „Wenigstens kann ich meinen Kindersitz auch alleine zumachen. Guck?“ Klack und das Ding saß. War ja auch nicht schwer, denn im Gegensatz zu Tato, hatte sie nur einen Becken- und keinen Kreuzgurt. „Ich bin nicht peinlich.“ „Tato, bitte“ ermahnte Yugi, als der ihn wohl eben ziemlich fies gekniffen hatte und er kurz zurückzuckte. „Das tut doch weh. Nach dem Starten darfst du dich wieder abschnallen.“ „Manno! PAPA!“ Tato kriegte gleich nen Koller hier! Aber je fester er Papa auf die Finger haute, desto ungemütlicher wurde sein Gurt. Kleine Drachen ließen sich doch so leicht nicht zähmen! „Lass das, Mann! Geh ma weg! Is will in den dooßen Sitz ohne Fessel!“ „Das sind doch keine Fesseln, Tato.“ Endlich war auch Seto da und unterstützte seinen Mann mal beim Kinderzähmen. Er kniete sich zu ihm und hörte schon, wie die Triebwerke angelassen wurden. „Schau mal“ wies er nach hinten. „Der große Tato hat sich auch angeschnallt. Das ist cool.“ „Gar nis“ antwortete er und verschränkte skeptisch seine Arme vor dem Bauch. Irgendwann würde das Überkreuzen schon klappen. „Du weiß ja gaa nis, was kuhl is. Du bisja soon so lange unten, Mama.“ „Wie bitte?“ Da fiel ihm doch gleich alles aus dem Gesicht. „Tato, wer bringt dir so einen Quatsch bei?“ Und der Schuldfinger zeigte direkt auf ... „Y a m i !!!“ „Oh oh” guckte er der erschrocken zurück, griff ganz weit nach links und klaute dem überrumpelten Phoenix die Brille von der Nase. „Leute mit Brillen schlägt man nicht.“ „Und Leute mit Kindern verpfeift man nicht“ grummelte Seto zurück. „Wir sprechen uns noch.“ „Kann ich meine Brille wiederhaben? Bitte?“ Ohne konnte er ja so gut wie nichts sehen. **Gruß an meine Beta. Na, wo steht das Kamel auf dem Balkon? ^^** „Warte noch ...“ Yami beobachtete ganz genau wie Seto sich neben Yugi setzte und sich auch gleich anschnallte. „Jo, danke für den Schutz.“ Dann erst konnte er ruhigen Gewissens die Brille zurückgeben. Wenn Seto angekettet und sicher in Yugis Handgepäck verstaut war, war die größte Gefahr gebannt. Außerdem setzte sich der Flieger auch schon in Bewegung. „Bist du dir sicher, dass wir die Kinder mitnehmen sollten?“ bangte Joey, der seine Tochter lieber bei Narla in den Armen wusste. Für sie und Theresa war der sicherste Platz noch immer bei Mama, auch wenn sie hier in ihrem etwas überdimensionierten Hartschalensitzen steckten und pennten. „Seit wann hast du Angst vorm Fliegen?“ schaute Yugi ihn überrascht an. „Nein, nicht deswegen“ erklärte er. „Aber wenn es wirklich so gefährlich ist, wie Sethan sagt, dann sollten wir die Minis doch lieber irgendwo in Sicherheit bringen. Oder nicht?“ „Am sichersten sind Kinder immer bei ihren Eltern. In den meisten Fällen zumindest“ versuchte der zu rechtfertigen. „Und wenn wir wirklich etwas länger bleiben? Du möchtest doch sicher nicht, dass Joey dich nicht mehr erkennt, wenn du irgendwann zurück bist.“ „Kann is setz wieder raussteigen?“ wollte Tato quengelnd wissen. „Das Sitzen snürt meine Inttelens ein.“ „So ein Unsinn. Wer sagt denn, dass Sitzen deine Intelligenz einschnürt?“ meinte Seto und zeigte mal zum Fenster raus. „Guck mal, Tato. Wenn du rausguckst, siehst du gleich, wie der Boden weggeht.“ „Gaa nis“ guckte er ungläubig zurück. „Der Boden is immer da.“ „Na, dann lass dich mal überraschen. Guck.“ „Ich will auch gucken“ forderte Nini und lehnte sich zu Tato rüber, um mit ihm zusammen rauszusehen. „Das war damals auch so lustig. Das kribbelt im Bauch, wenn man fliegt.“ „Tato erinnert sich gar nicht mehr daran, wie fliegen ist. Damals als wir aus Paris kamen, war er noch viel zu klein“ lächelte Yugi, der seine kleine Familie einfach nur liebte. Seto war so süß mit den Kleinen. „Genau wie unser Tato.“ Als Jonny das sagte, hörten die anderen schon den nächsten Fettnapf heransausen. „Der hat auch vergessen, wie man fliegt.“ „Jonny“ sah Sharesa ihn mahnend an und schüttelte den Kopf, worauf der junge Wheeler dann auch etwas kleiner wurde. Tato sah zwar zum Fenster heraus und tat so als hätte er das nicht gehört. Aber wenn es nicht am veränderten Licht lag, dann waren seine Augen feucht. Das war ein Kommentar, der wehgetan hatte. „AAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHH!“ Dafür kreischte Risa ganz außer sich, als sie auch aus dem Fenster guckte und fasziniert war von dem Kribbeln im Bauch und dem Ausblick, dass der Boden tatsächlich verschwand. „Mama! Tuck! Da! Da! Tuck ma! Mama!” „Ja. Schön, mein Schatz“ lächelte sie und hielt ihr Haar zurück, wenn sie sich nach vorn lehnte. „Das ist fliegen, Mäuschen.“ „Das ist wie fliegen, dis einfa su lieben!“ sang der kleine Tato fröhlich drauf los. „Is spür dis su vermissen, dis einfa su güssen!“ Nicht schön, aber selten. „Ja. Super, Tato“ lachte Nini und wuschelte ihm fröhlich durchs Haar. „Du bist ein guter Sänger.“ „Is weiß“ brüstete er sich stolz. „Is bin eine Sahnpasta.“ „Nein, nicht Zahnpasta“ belehrte sie fachmännisch. „Ein Superstar.“ „Aso. Na gut. Das bin is au” meinte er nebenbei und guckte wieder nach draußen. Ob nun Zahnpasta oder Superstar - Tato fand sich immer toll. „Du? Großer Tato?“ guckte Nini ihn neugierig an. „Kannst du denn auch singen?“ „Nein“ meinte der und sah weiter teilnahmslos aus dem Fenster. „Doch, kannst du“ sprach Sareth und kuschelte sich an seinen Arm. „Immer wenn ich traurig bin, dann singst du mein Lieblingslied.“ „Ist das schlimm, wenn du jetzt mal ein bisschen traurig bist?“ fragte Nini schlau wie ein Fuchs. „Dann kann der große Tato auch mal was singen.“ „Ja, Tato“ meinte auch Yami interessiert. „Sing uns mal was vor.“ „Ich bin keine Jukebox, okay?“ giftete der zurück. „Macht doch ne CD an, aber lasst mich mit eurem Scheiß in Ruhe!“ „Is will raus, Mann!“ Und den kleinen Tato ließ das dann doch relativ unberührt. Singen war ihm egal, aber gefesselt sein nicht. Zumal Rausgucken jetzt auch schnell langweilig wurde, wenn man nur Wolken sah. Der zappelte in seinem Sitz und riss an dem festen Gurt. Auf Stillsitzen hatte er keinen Bock. „Manno, lass mis weg! Das is alles voll doof!“ „Weißt du, was wir jetzt machen, Tato?“ beschloss Yugi und pulte ihm die Schnalle auf. „Ich hole dich jetzt raus und dann gehen wir schön Heia machen, ja?“ „Neeeeeeiiiiiiiin“ jammerte er und bekam ganz feuchte Augen. „Nis Heia. Is will nis slaafen.“ „Aber du bist doch schon ganz müde, Schatzi“ meinte Papa und setzte ihn sich auf den Arm. Wenn er begann, so herumzuquengeln, war das ein eindeutiges Zeichen, dass er bettreif war. „Papa, is bin nis müde. Nene muss au nis innie Heia gehen.“ „Ja, Yugi. Lass ihn doch noch ein bisschen aufbleiben“ bat Jonny. „Ich finde den kleinen Tato echt knuffig.“ „Aber er ist ja schon ganz quengelig“ meinte auch Seto und übernahm den Kleinen, der eigentlich viel müder war, als er zugeben wollte. „Wir haben nebenan ein paar Ruheräume. Eigentlich für die Crew auf langen Flügen. Was meinst du, Tato? Hm? Wollen wir uns ins Bettchen legen und ein bisschen kuscheln?“ „Vielleist“ guckte er ihn skeptisch an. „Muss is Sääähne putsen?“ „Nein, heute ausnahmsweise mal nicht.“ „Dann will ich auch mitkommen und kuscheln“ beschloss Nini und heftete sich an seine Versen. „Willst du auch mitkommen, Risa? Mit Papa kuscheln?“ „Papa tusseln“ wiederholte sie und sah fragend an Mokeph hinauf. „Papa tusseln?“ „Nein, mit meinem Papa“ erklärte Nini, hoppelte zu ihr rüber und nahm sie an die Hand, womit Mokeph auch schon ihren Sitzgurt öffnete. „Schön kuscheln mit Tato und Papa Seto und mir?“ „Mit Nene tusseln. Nä, Papa?“ guckte sie weiter fragend an ihrem eigenen Papa hinauf. Es war ja auch nicht ganz leicht, wenn so viele Männer Papa hießen. „Ja. Geh mal mit, Schätzchen. Geh mit Nini kuscheln“ lächelte er und gab ihr einen kleinen Kuss. „Und schlaf gut, Prinzessin.“ „Slaaf duut, Sesse“ winkte sie mit ihren kleinen Händen und ließ sich von Nini mitziehen. An der Hand gehen konnte sie ja schon ganz gut. Nur allein klappte das noch nicht so gut. Aber man lernte ja noch. „Aber schlaf du nicht auch ein, Liebling“ lächelte Yugi. „Warum?“ guckte der zurück. „Weil du immer einschläfst beim Kuscheln. Und ich vermisse dich hier ja auch.“ „Ooooooh“ freute er sich und kam ganz schnell wieder zurück, um ihm einen Kuss zu geben. Er war doch so weichherzig und er wollte ja nicht, dass Yugi ihn vermisste. „Is will aba nis ins Bett. Is no nis sekks“ beschloss der kleine Tato. Noch versuchte er, sich irgendwie aus dieser Schose herauszumanövrieren. „Nein, es ist schon gleich halb neun“ belehrte Yugi. „Du bist doch schon ganz müde. Das sieht man in deinen Augen.“ „Dann mass is die Augen eben su. So“ beschloss er und kniff die Augen zusammen. Aber dann riss er sie wieder auf und starrte Papa böse an. „Du willst mis reinlegen. Is ma die Augen NIS su. So slau bin is au.“ „Tato, jetzt wird hier nicht diskutiert“ beschloss Seto und nahm Yugi mal den schwarzen Peter weg. Sonst war Yugi immer der Strengere von beiden, aber vielleicht sollten sie doch auch langsam anfangen, sich gegen Tato zu verschwören, bevor dessen Dickkopf noch schlimmer wurde. „Guck mal, Nini und Risa sind schon vorgegangen. Die kuscheln schon ohne dich.“ „Is geh nis ins Bett“ bekräftigte er und verschränkte böse seine kleinen Ärmchen. Jedenfalls versuchte er es, aber sie waren noch nicht lang genug, womit er doch eher lustig aussah, wenn er ständig seinen Bauch umarmte und Mama imitierte. „Der gooße Tato isja au nis innie Heia. Is bin au Tato, also muss is au nis ins Bett.“ „Ich bin aber auch müde“ eröffnete der, küsste seine Tochter und stützte sich auf seinen Stock, um sich zu erheben. „Lass mal, Mama. Ich bringe die Kinder ins Bett. Bleib du bei Papa.“ „Du bis ein Kolbenswein“ guckte der kleine Tato ihn böse an, als er langsam herüberkam. „Tato“ ermahnte Seto ihn jetzt ernsthaft. „Kollegenschwein sagt man nicht. Wo hast du so böse Worte her?“ „Is rede gar nis mehr mit dir, Mama“ muckschte er und guckte in die andere Richtung. „Immer muss is nur ins Bett dehn. Und der gooße Tato is setz au doof.“ „Ich weiß, Kleiner“ seufzte und ließ ihn sich auf den freien Arm geben. „Du musst aber jetzt wirklich nicht Babysitter spielen“ bat Seto. „Kein Problem. Wie gesagt, ich bin wirklich ein bisschen müde“ seufzte der große, doofe Tato. „Und hier passiert bis zur Landung in ein paar Stunden doch eh nichts.“ „Na ja, dann danke“ nickte er und nahm ihn kurz in den Arm. Irgendwie schien der große Tato nicht nur körperlich, sondern auch seelisch müde zu sein. Und das hier war doch ein guter Vorwand, sich ein wenig aufs Ohr zu legen. „Schlaf gut, Papa“ verabschiedete Sareth ihn lieb. „Ich darf noch aufbleiben?“ „Natürlich. Aber auch nicht mehr so lange“ lächelte er zurück. „Und irgendwer muss doch auf Laertes aufpassen, damit sein Abendgesang heute mal ausbleibt.“ „Hast du das gehört?“ tippte sie den Vogel an, der bis eben dösend auf ihrer Lehne gesessen hatte und jetzt verwirrt zu ihr aufsah. „Nicht singen heute Abend.“ Er gab einen gurrenden Ton von sich und ließ sich den Kopf kraulen. Mal sehen, ob er da noch Lust zum Singen bekam. Der große hatte sich inzwischen mit dem kleinen Tato darangemacht, den beiden Mädchen zu folgen und sich ein paar Stunden schlafen zu legen. Nur noch ein etwas wehleidiges „Tsössi und dute Nacht, alter Swede“ war noch zu hören, bevor sie sich in den Nebenraum flüchteten. „Hab dis do lieb, Mama ...“ Also doch. Tato hatte ihn eben doch lieb. Er war nun mal einfach etwas mürrisch, wenn er müde wurde. „Ich mache mir Sorgen um ihn“ gestand Seto, der sich selbst wieder zu Yugi kuschelte, wo er sofort in den Arm genommen wurde. „Tato ist so traurig und er versucht, es zu verstecken. Warum redet er denn nicht mit uns?“ „Würde mich wundern, wenn ihr den geknackt bekommt“ meinte Balthasar frei heraus. „Zuhause ist er auch so. Mal macht er den Dicken, an dem keiner vorbeikommt und dann ist er wieder total niedergeschlagen. Das sind Stimmungen, die kommen und gehen.“ „Trotzdem“ meinte er leise und lehnte sich betrübt an Yugis Schulter. „Er muss doch nicht alles in sich reinfressen. Das geht doch nicht ewig gut.“ „Er kann es aber nicht anders“ meinte Dakar, dessen Stimme so beruhigend gelassen war, als er sich schon die nächste Zigarette anzündete. „Das ist aber keine Entschuldigung“ war Setos Meinung. „Haben wir ihn denn so schlecht erzogen, dass er kein Vertrauen hat?“ „Nein, das hat mit Erziehung nichts zu tun, sondern mit Herz“ sprach er ruhig. „Sari kann euch ein Lied davon singen. Asato ist immer offenen Ohres für alle, aber wenn es um ihn selbst geht, ist er sehr verschlossen. So war er aber nicht immer. Als ich ihn damals kennenlernte, war er ein anderer Mensch. Erst nachdem seine Frau und sein Sohn gestorben sind, ist er so geworden. Er lastet sich selbst die Schuld für ihren Tod an und das hat sein Selbstbewusstsein erschüttert. Es fällt ihm schwer, darüber zu sprechen. Nicht, weil er uns nicht vertraut, sondern einfach, weil ihm dann seine eigene Schwäche bewusst wird. Und Schwäche ist etwas, was er sich nicht leisten will. Seine größte Angst ist es, dass jemand seiner Tochter etwas antun könnte. Er beschützt sie so sehr, dass er sie einengt. Aber das will er sich nicht klarmachen.“ „Dakar“ mahnte Sharesa leise. „Sari sitzt hier.“ „Ich sage ja nichts, was sie nicht auch weiß“ meinte er und sah sie mit seinen tiefschwarzen Augen an. „Oder, Prinzessin?“ „Ich möchte auch schlafen gehen“ beschloss sie daraufhin und nahm Laertes erst vom Sitz, bevor sie aufstand. „Hey“ bat Dakar leise und hielt sie sanft am Arm fest, als sie an ihm vorbeiging. „Ich wollte nichts sagen, was dich verletzt. Tut mir leid, Sari.“ „Ich will nur nicht hören, wie du über Papa redest. Das ist mir peinlich“ gestand sie und nahm ihn überraschend in den Arm. Sie schien ihn nicht als gruselig oder dunkel zu empfinden, obwohl er auf Fremde so wirkte. Für sie war er ein Freund. Er drückte sie zurück und ließ sie dann wieder los, damit sie gehen konnte. „Ich begleite dich“ bot Phoenix an und erhob sich ebenfalls. „Hier gibt es doch bestimmt mehrere Schlafräume, oder?“ „Klar“ zeigte Noah den Gang entlang. „Quasi jede Tür nach den ersten zweien. Da sind Badezimmer und Küche drin. Sucht euch was aus.“ „Danke, Spatz“ blickte sie traurig an ihm hinauf. „Na komm. Legen wir uns auch etwas hin. Gute Nacht, zusammen.“ Er legte ihr den Arm auf die Schulter und verschwand mit der Kleinen und den allgemein erwiderten „Schlaft gut“’s in der gegenüberliegenden Tür. Dort, wo noch ein leerer Raum war, denn zu Tato und den Kindern wollten sie sichtlich nicht. „Meine Güte“ sang Yami als die zwei dann weg waren. „Was ist denn nur bei euch los? Total gedrückte Stimmung.“ „Zuhause ist es sonst nicht so schlimm“ erklärte Sharesa. „Aber hier können wir uns nicht ausweichen. Und weil ihr ja wohl auch was über uns wissen wollt, kommt mit den Erzählungen eben auch der Schmerz wieder hoch. Und das verbreitet schlechtere Stimmung als eben Zuhause. Jetzt wird alles aufgewühlt, was wir eigentlich lieber vergessen würden.“ „Dann erzählt ihr uns doch etwas“ bat Yami neugierig. „Wir haben jetzt genug Zeit. Also klärt uns auf, damit wir nicht ständig im Dunkeln tappen.“ „Könnte etwas schwer werden, 38 Jahre in wenigen Minuten zu erzählen“ meinte Dakar mit dem nächsten Zigarettenzug. „Wir haben ja auch ein paar Stunden Zeit“ bat Seto trotzdem noch mal und hob seine Hand, an welche Lady sofort ihren Kopf schmiegte. Da wartete sie doch nur drauf, dass sie auch endlich gekrault wurde. „Bitte, erzählt uns, was Tato passiert ist. Mit dem fröhlichen Jungen, wie wir ihn kennen, hat er doch kaum noch etwas gemeinsam.“ „Du machst dir Sorgen“ stellte Dakar schlicht fest. „Merkwürdig. Erst wenn man den kleinen Tato sieht, erkennt man, wie schnell man sich an seine Lethargie doch gewöhnt.“ „Ich hab eher das Gefühl, dass Sari unter seiner Stimmung leidet“ meinte Yugi etwas vorsichtiger. „Ich will nicht sagen, dass er ein schlechter Vater ist, aber ... seine bedrückte Art, scheint sie zu verunsichern.“ „Es verunsichert sie nicht nur, sie leidet darunter ganz extrem“ erklärte Sethan. „Sie ist eine Tochter des Seth und besitzt große Macht. Aber sie kann sich selbst nicht entfalten, weil sie Angst hat, sie könnte etwas falsches tun und ihren Vater damit verletzen.“ „Erzähl uns davon“ bat Seto inniglich. „Sag uns, was wir verhindern können.“ „Auch wenn er mich dafür in Teufels Küche jagt“ seufzte Sethan mit einem verzweifelten Lächeln. „In Ordnung, ich versuche mal, das Leben meines Onkels in Kurzform zu bringen. Ihr gebt ja sonst keine Ruhe.“ Er nahm die Wasserflasche entgegen, die Sharesa ihm wie den anderen herüberreichte und erzählte langsam, während er sie aufschraubte. „Den Kleinen kennt ihr ja und er hat sich eigentlich gut entwickelt. Tato war schon immer ein Dickkopf und sehr von sich selbst überzeugt, fast egoistisch eitel. Er ist mit fünf Jahren in die Schule gekommen und hat mit elf seinen Abschluss an der Uni gemacht. Das ist ihm nicht ganz leicht gefallen, weil er trotz seiner hohen Begabung doch noch immer ein Kind war und auch eine kindliche Psyche besaß. Aber Gleichaltrige konnten mit ihm nie mithalten und er wusste das. Ihr habt ihm angeboten, dass er ganz normal zur Schule geht, auch um ihm keinen so großen Druck auszusetzen. Aber er hat sich gegen kindische Freunde und für seine eigene Förderung entschieden und ich glaube, er hat das nie bereut. Er hat auf Kontakt zu Gleichaltrigen nie viel Wert gelegt. Er hatte zwar einige Freunde, aber Bildung hat ihn mehr gereizt. Mit 13 hat er in Wirtschaftswissenschaften promoviert und mit 14 in Sozialwissenschaften.“ „Ein Doppel-Doktor“ staunte Mokuba. „Mit 14 war Tato schon zweifacher Doktor?“ „Sein Potential wurde eben anders erfasst und ausgebaut“ meinte Sethan dazu schlicht. „Das war vielleicht auch gar nicht so schlecht, denn später hat er die Berufslaufbahn relativ ruhen lassen. Nachdem er mit 14 zum zweiten Mal die Uni abgeschlossen hatte, wollte er in den Vorstand der KC, aber seine Eltern waren dagegen, ihn jetzt schon arbeiten zu lassen. Tato sollte nicht schon als Kind ins harte Business gehen, denn er hatte vielleicht die fachliche Reife, nicht aber auch die psychische. Das hat ihn natürlich ziemlich gewurmt und deshalb hat er angefangen, zu rebellieren. Das war schon immer so, dass er sehr empfindlich reagiert, wenn er nicht das bekommt, was er will. Er hat so gut wie jedes Verbot übertreten, was man ihm gestellt hat. Er hatte mit 14 geraucht und kurz vor seinem 15. Geburtstag ersten Sex mit Mädchen, obwohl es ihm verboten war. Grenzen waren ihm völlig schnurz, er wollte nur sein eigenes Ding machen. Dass er in seiner Magie ein Meister ist und schon immer war, brauche ich wohl nicht zu sagen. Aber auch seine übersinnlichen Fähigkeiten hat er zu seinem eigenen Vorteil genutzt. Er wollte einfach provozieren, um jeden Preis. Er hat es so weit getrieben, dass er mit 16 sturzbesoffen und mit ausgebreiteten Flügeln in einem Bordell gefunden wurde.“ „Bitte?“ Yugi und Seto machten wohl die größten Augen von allen. Ihr Tato? „Haben wir ihn so schlecht ...?“ „Nein, lass mich ausreden“ bat Sethan gleich und erzählte ruhig weiter. „Natürlich hat das einen Heidenärger gegeben. Seto hat die Erinnerungen aller gelöscht, welche ihn gesehen hatten. Die Polizei besaß ein Videoband, welches Onkel Noah inklusive Kopien zum Glück vernichten konnte. Mit viel Geld konnte einiges wiedergutgemacht werden. Aber Tato hat so viel Ärger bekommen wie noch nie zuvor. Immerhin war das Vertrauen zu ihm damit sehr angeschlagen. Es hat Zuhause einen riesigen Streit gegeben, seine Magie wurde geblockt und er hat Ausgehverbot bekommen. Das Schlimmste war aber wohl, dass seine Väter ihm gezeigt haben, wie enttäuscht sie von ihm waren, aber er hat es spontan nicht verstanden. Eine kleine Wendung brachte es erst, als er sich mit Seto gestritten hat. Er hat ihn beschimpft und einige verletzende Dinge gesagt. Dass ja nicht jeder so ein Psychopath sei, so ein schwuler Softie und weinerliches Weichei und was weiß ich noch alles. Er hat es so weit getrieben, dass sein Vater nicht mehr mit ihm gesprochen hat. Er hat geweint und ist ihm von da an tagelang aus dem Weg gegangen. Tato hatte es zu weit ausgereizt.“ „Und dazu gehört wohl einiges“ meinte Joey mit Seitenblick auf Seto. Tato musste wirklich ganz tief aus den Vollen geschöpft haben, wenn Seto die Kommunikation zu ihm abbrach. Da hatte ihn sein Sohn wohl extremst verletzt. „Aber du sagtest, es war eine Wendung“ hakte Noah nach. „Nur eine kleine, aber immerhin“ verdeutlichte er. „Opa Yugi hat mit ihm gesprochen und ihm erzählt, was mit ihm passiert ist ... von seiner Kindheit. Weshalb er eben auf bestimmte Dinge, anders reagiert. Und weshalb ihn seine harten Worte so verletzt haben.“ Welche er hier anscheinend nicht noch mal breittreten wollte. Seine Vergangenheit kannte Seto selbst gut genug. „Danach tat es Tato so leid, dass er wohl sogar laut geweint hat. Er ist zu ihm gegangen, hat sich entschuldigt und um Verzeihung für seine Taten und für seine harten Worte gebeten. Von da an, hat er sich mehr zusammen gerissen und sich an Absprachen gehalten. Aus Reue. Weil er wusste, dass er seinen Vätern Unrecht tat, wenn er sie beschimpfte. Das hat aber nichts daran geändert, dass er den Frauen hoffnungslos verfallen war und sich von niemandem verbiegen ließ. Seine Eltern behandelte er seitdem immer mit fast übertrieben großem Respekt, selbst heute noch. Aber sonst niemand anderen. Es hat nicht lang gedauert und er war wieder der alte Partygänger - nur mit dem Unterschied, dass er sich etwas bedeckter hielt, was gewisse Dinge anging. Er legte von da an mehr Schwerpunkt auf seine musischen Begabungen als auf seine intellektuellen Fähigkeiten. Er wurde professioneller Eiskunstläufer im Herreneinzel und ist insgesamt fünf mal in Folge Weltmeister geworden, zwei Male davon bei Olympia und später hat er noch drei mal Gold geholt, als schon seine Kinder geboren waren. Außerdem ist er Flötist geworden und hat als Teeniestar die klassische Musik zu einem neuen Trend gemacht. Aber viel lieber war er dann mit seiner Rockband unterwegs, in welche er seine Flöte eingebracht hat. Er hat ganze Stadien gefüllt und außerdem hat er sich als Bildhauer einen Namen gemacht. Ton, Stein, Holz, einfach alles hat er in Form gebracht. Sein größtes Meisterwerk steht in Eis gemeißelt mitten am Nordpol und ist das Bildnis eines weißen Drachen, der über zweihundert Meter hoch ist. Er war ein Künstler, der sämtliche Rekorde gebrochen hat. Inklusive seiner Anzahl an weiblichen Fans, die ihn auch ‚näher’ kennen gelernt haben ... wenn ihr versteht. Er wurde ein Verführer, ein Weiberheld und ein Künstler. Ein Leben, was sich wohl jeder wünscht.“ „Aber er hat Risa geheiratet“ warf Tea fragend ein. „Ja, das hat er“ nickte Sethan mit einem Lächeln. „Sie hat ihn vollkommen verändert. Trotz seiner steilen Kunstkarriere, welche so viel Feingefühl erforderte, war er ein schrecklich eingebildeter, selbstverliebter Kerl, der zu anderen immer herblassend und ungerecht sprach. Obwohl er damals wirklich ein großer Egoist war, hat sie ihm auf einer Feier ihre Liebe gestanden. Er aber hat sie vor allen Anwesenden laut ausgelacht und ist mit einem Fan abgezogen, hat sich lieber mit anderen Mädchen die Nacht vertrieben. Sie hat Monate mit gebrochenem Herzen Daheim gesessen bis sie irgendwann auf das Drängen der Mädchen Zuhause eingegangen ist, sich auch andere Männer anzusehen. Und das war der Knackpunkt“ schnippte er lachend. „Er ist so rasend eifersüchtig geworden, dass er ihr fast liebeskrank den Hof gemacht hat. Er hat sie mitten in der Schule mit Rosen überschüttet, hat ihr Liebeslieder geschrieben, ihr Gesicht in Übergröße an Hauswände gemeißelt, Radiodurchsagen gemacht, den Nachrichtensender gestürmt, er war total durchgeknallt. Die verrücktesten Sachen, ihr könnt es euch nicht vorstellen. Er hat sogar seine Fans dazu aufgefordert, Lichterketten zu bilden, damit sie ihn anhört. Er konnte es einfach nicht ertragen, dass sie sich einem anderen als ihm zuwenden wollte. Er schwor ihr die ewige Treue und überhaupt. Innerhalb von kurzer Zeit wandelte er sich komplett.“ „Schon komisch, oder?“ meinte Nika skeptisch. „Erst so ein selbstverliebter Weiberheld und dann die Essenz des Romeo?“ „Onkel Tato war schon immer ein extremer Charakter. Und ich sagte doch. Er konnte es noch nie haben, wenn er nicht das bekam, was er wollte“ lächelte Sethan, als ob ihn das entschuldigen könnte. „Es war ihm egal, ob er sich zum Affen machte. Wenn er etwas wollte, dann wollte er es. Und je weniger er es bekommen konnte, desto mehr wollte er es. Egal, was es war. Und er wechselt nun mal von einem Extrem zum anderen. Aber Risa hat ihn zappeln lassen. Und als sie sich endlich erweichte, stellte sie harte Bedingungen.“ „Na, das hoffe ich doch“ nickte Narla entschieden und wurde alsbald mit verdutzten Blicken bombardiert. „Was denn?“ guckte sie ebenso zurück. „Das steht ihr doch nur zu, was zu fordern. Er hat sie immerhin verletzt, wenn er sie ausgelacht und verspottet hat.“ „Ja ja“ meinte Joey und schüttelte den Kopf. „Und dann? Musste er sie heiraten?“ „Er musste ihr etwas versprechen“ erklärte Sethan. „Er hat immer nach dem Motto gehandelt, dass er nur ein Mal lebt und deshalb nichts versäumen will. Er wollte niemals etwas auslassen. Man lebt ja nur ein Mal. Das musste er für sie umformulieren. Er hat ihr das Versprechen gegeben, niemals wieder etwas zu tun, was ihm später leid tun könnte. Sonst ist er ja immer wie eine Dampfwalze überall durchgefegt, ohne Rücksicht auf Verluste. Für sie aber hat er darauf geachtet, was er tut, mit wem und weshalb. Er hat angefangen nachzudenken über sein Handeln“ erzählte er und das klang ganz logisch. „Das war die Reife, die seine Väter an ihm immer vermisst hatten. So begabt er auch war, er war ein Kindskopf. Aber für Risa ist er erwachsen geworden. Nicht seine Bildung musste erwachsen werden, sondern seine Gefühle. All die Schulbildung konnte bei ihm nicht das erreichen, was er wirklich brauchte. Und dazu brauchte er Risa.“ „Und zur Belohnung hat sie ihn geheiratet“ schwärmte Tea. „Was für eine schöne Liebesgeschichte.“ „Ja, sie hat den Drachen gezähmt“ lächelte Sethan zurück. „Nach einer kurzen Bewährungszeit hat sie sich heiraten lassen. Er war zwar noch immer ein Rebell, der sich nur schwer unterordnen konnte, aber seitdem machte er Unterschiede zwischen den Menschen. Seine Familie begann, einen fast heiligen Status für ihn zu bekommen. Es tat ihm leid, dass er die Menschen, welche ihm nahe standen, so verletzt hatte. Und er wurde dankbar für die Tatsache, dass er trotz seines teilweise sehr verletzlichen Benehmens mit offenen Armen nach Hause zurückkehren durfte und niemals ein anklagendes Wort hörte. Im Nachhinein war klar, dass diese Phase wichtig für ihn war, um sich selbst zu finden. Für jemanden, der alles kann und dem alle Wege offen stehen, kann auch das sehr erdrückend sein.“ „Inwiefern?“ fragte Tristan genauer. „Das finde ich nicht bedrückend, wenn man die Freiheit hat, alles zu tun, was man will. Wenn es weder an Bildung noch an Geld scheitert.“ „Doch, genau das stelle ich mir sehr beängstigend vor“ versuchte Noah seine Meinung zu erklären. „Stell es dir bildlich vor. Du hast sämtliche Waffen, sodass dir niemand jemals etwas antun kann. Du hast Unmengen an Geld und alle Wege stehen dir offen. Du kannst tun, was immer du willst. Die ganze große Welt gehört dir. Wohin willst du dann gehen? Es gibt nichts mehr, wofür du dich anstrengen musst, weil dir alles in den Schoß fällt. Und du hast niemals Angst, dass du die Menschen verlierst, die du liebst. Liebe ist für dich eine Selbstverständlichkeit. Für ihn muss es sich angefühlt haben, als wäre er ein Kind inmitten eines Süßigkeitenladens in Größe des Mount Everest. Du hast so viel, dass du gar nicht weißt, wo du anfangen sollst. Da ist es doch klar, dass er gewaltsam die wenigen Türen öffnet, die ihm Widerstand bieten. Einfach um zu sehen, wie stark er wirklich ist und wo die Grenzen sind. Was nützt dir die ganze Welt, wenn du keinen Stadtplan hast? Und inmitten dieses Süßigkeitenladens sieht er einen Korb Gemüse. Etwas, was er nicht kennt und niemals hatte. Etwas Ungewöhnliches in seiner Welt. Und dieser Korb steht unter Verschluss, als wäre er nicht für ihn bestimmt. Natürlich ist ihm da alles andere egal und er will nur noch das eine. Verstehst du, was ich meine?“ „Und Risa war so gesund für ihn wie nichts anderes“ nickte Sethan. „Er hat sie vergöttert und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sie war die erste Frau, die ihm Kontra gegeben hat, für die er sich anstrengen musste. Sie hat das Beste aus ihm herausgekitzelt und ihm gefiel das. Kurz nach der Hochzeit hatte er endlich die psychische Reife, dass er in die KC-Leitung geholt wurde und damit ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Damals war er knapp 24 Jahre alt. Seine Kunst wurde Hobby, andere Frauen und Partys interessierten ihn gar nicht mehr. Er lebte nur noch für seine Familie, seine Freunde und für seinen Beruf. Er ist vom Jungen zum Mann geworden und knapp ein Jahr nach seiner Hochzeit wurde er das erste Mal Vater. Als Tadashi Salomon Muto geboren wurde, hat er geweint vor Freude und Stolz. Endlich hatte er etwas gefunden, was ihn seelisch erfüllte und auslastete. Leisten konnte er vieles, aber wirklich ausgefüllt wurde er durch das, was ihn forderte. Und nichts fordert einen so sehr wie zwischenmenschliche Beziehungen und die Verantwortung für ein kleines Leben. Als sein Sohn ein Jahr alt wurde, zog Tato mit seiner kleinen Familie aus der Villa aus. Nicht weit weg, aber er wollte seine eigene Existenz gründen und sich als Familienvater beweisen. Er kaufte für Risa und Dashi ein Haus etwas außerhalb der Stadt, etwa eine Autostunde entfernt. Nicht zu weit weg von der Großfamilie, seinen Eltern und den anderen, aber genug Platz, um sich selbst zu entfalten. Nur Mama zog zu ihm, da sich beide gar nicht voneinander trennen mochten. Aber sonst war Tato wohl froh, sein eigenes Leben gründen zu können. Dort wurde drei Jahre später auch Sari geboren und Tato war auf dem Höhepunkt seines Lebens. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn niemals glücklicher gesehen habe. Ich bin eine Weile mit Dashi und Sari aufgewachsen, als wären wir richtige Geschwister. Und es war eine tolle Zeit. Mama und ich waren sehr glücklich und Risa auch. Und Tato damals auch. Er hat viel gelacht, war enthusiastisch und schrecklich verliebt. Er war zufrieden und wunschlos glücklich. Bis dann all sein Glück in sich zusammenbrach. Und das war das erste Mal, dass ich die Schattenseiten eines Lebens sah.“ „Und wie ist das passiert?“ fragte Yami besorgt. „Wenn er doch so stark und so glücklich und so vernünftig war ... warum sind Sari und er jetzt alleine?“ Sethan seufzte und nahm noch einen Schluck von seinem Wasser. Das Kommende stimmte ihn traurig, betrübt und wohl auch mitleidig. „Er machte Risa ein Geschenk“ begann er langsam. „Sie wünschte sich eine Ballonfahrt am Strand entlang. Also mietete er ihr einen riesigen Ballon mit Fahrer, fast so groß wie ein Zeppelin. Ein gigantisches Teil. Bei ihm musste immer alles überdimensioniert sein. Er überraschte sie mit seiner Idee und damit sie hinterher eine schöne Erinnerung hatte, wollte Joey mitkommen und einen Erinnerungsfilm machen. Einen ganz altmodischen mit richtigem Filmband in schwarzweiß, denn Risa liebte diese alten Filme vom Band. Aber wie Joey so war, kam sie zu spät. Risa und die Kinder waren schon eingestiegen und Tato half seinem Püdelchen mit der alten Videoausrüstung, die ja nun nicht eben so handlich war wie eine moderne. Während die beiden noch schleppten, startete der Ballon ohne sie. Tato ärgerte sich natürlich unbändig, zumal er nicht hinterherfliegen konnte, weil der Ballonfahrer kein Eingeweihter war. Aber er wollte zum Landeplatz fahren und seine Familie dort wieder in Empfang nehmen. Als er und Joey im Auto dem Ballon folgten, hörte er dann mit seinen feinen Drachenohren einen panischen Schrei und da hielt ihn nichts mehr. Er flog hinauf zum Ballon und ... sein Sohn war bereits tot.“ „Was?“ Das fragte zwar Yami, aber denken tat es jeder. „Warum?“ „Seitdem hat Onkel Tato einen unbändigen Hass auf Seth ... deinen Seth“ erzählte er mit gedämpfter Stimme. „Seth tötete einst einen Mann, der Kinder hatte. Dessen jüngster Sohn hatte seine Hexenkräfte geerbt und zog aus, sich an allen Hohepriestern zu rächen, sie auszulöschen. Er hatte lange gewartet und Tato war ihm in die Falle gegangen. Dieser Mann war ein Klingenhexer, er konnte alles mit seinen Gedanken wie mit Klingen durchstoßen. Angefangen hatte er bei seinem Sohn, um ihn hinauf zu locken und als Tato da war, hatte er schon Sari in seinen Fängen. Da sie auch ein Drache ist und somit eine potentielle Priesterin, wollte er sie als nächstes töten und dafür sorgen, dass der Vaterdrache es mit ansah. Es entbrannte ein kurzer Kampf, in welchem der Ballon Schaden nahm und abstürzte. Tato schaffte es, sich Risa und Sari zu greifen und den toten Körper seines Sohnes mitzunehmen. Den Attentäter ließ er oben zurück, während er seine Familie selbst herunterflog. Aber auf diesem Wege, schoss der Hexer seine Gedanken auf ihn und zerfetzte seinen linken Flügel. Tato stürzte kläglich ab.“ „Aber er hat es überlebt“ plädierte Mokuba. „Wie kann das sein? Wenn die Flügel Schaden nehmen, bedeutet das den sicheren Tod. Eigentlich dürfte er dann gar nicht mehr am Leben sein.“ „Du hast Recht“ erwiderte er ruhig. Auch wenn er wusste, dass er hier eine schreckliche Geschichte erzählte, musste er doch die Ruhe bewahren. „Als Tato auf dem Boden aufschlug, war er halb tot. Sein linker Flügel war bis auf einen kleinen Stumpf, ein paar Knochensplitter und Hautfetzen völlig abgerissen, aber er drehte sich mit letzter Kraft seines verbleibenden Flügels gen Boden, damit seine Frau und seine Tochter weicher landeten. Dort lag er dann im Sterben und konnte nicht mal mehr mit Risa sprechen. Er wäre auch ganz sicher qualvoll verendet, wenn Risa nicht ihr Leben gegen seines getauscht hätte.“ Er machte nur eine kleine Atempause, aber das war schon zu viel. „Wie soll das gehen?“ fragte Tea aufgewühlt. „Sie ist doch keine Hexe oder etwas ähnliches. Wie kann sie ihr Leben einfach so tauschen?“ „Durch ein Gebet“ erwiderte er selbst berührt. „Sie weinte und betete zu Rah. Mit ihrem ganzen Herzen flehte sie ihn an, ihren geliebten Mann nicht sterben zu lassen. Die Welt brauchte ihn, die junge Pharaonin brauchte ihn und ihre gemeinsame Tochter brauchte einen Vater, der sie besser verstehen konnte als eine unmagische Mutter es könnte. Risa sah sein Leben als bedeutsamer an. Rah sprach zu ihr und spendete ihr Trost. Zuerst war er dagegen, ihn zu retten, da dies ein tiefer Eingriff ins Schicksal gewesen wäre. Aber ihre Tränen und ihre Liebe rührten ihn und ließen ihn gegen seine eigenen Gesetze handeln. Er konnte Tato nicht selbstlos retten, da er diese starke Kraft nicht von der Erde abzweigen konnte. Aber er konnte sein verlöschendes Leben gegen etwas Gleichwertiges tauschen. Gegen das Leben einer liebenden Frau. So blieb das Gleichgewicht der Energien erhalten. Er nahm Risas Leben und gab es dem jungen Hohepriester. Er schenkte ihm einen Falkenflügel aus goldenen Lichtfedern als Ersatz für seine verlorene Drachenschwinge. Da Tato der seelische Sohn eines Pharaos war und kein gewöhnlicher Drache, half ihm das Gold, seine verlorene Seelenenergie mit Risas Lebensenergie auszugleichen und damit weiterzuleben. So starb Dashi durch einen Anschlag und Risa als Opfer für den Mann, den sie liebte. Doch Tato lebt seit dem Tag in dem Gedanken, seine Familie verraten zu haben. Er gibt sich selbst die Schuld dafür, dass es soweit gekommen ist und er leidet darunter, dass er selbst noch lebt. Und er hat sich geschworen, Rache zu nehmen.“ „Rache an Seth?“ fragte Yami besorgt. „Aber er kann doch nichts dafür, wenn ...“ „Dieser Hexer war wegen des Priesters Aleseus Halbwaise“ verdeutlichte Sethan ernst. „Tato gibt Seth die Schuld daran, dass sich dieser Sohn ungerechtfertigt an Unschuldigen rächt. Und er gibt sich die Schuld, dass er es nicht verhindern konnte. Er sucht Schuld, wo es nur geht.“ „Aber es macht ihn anscheinend nicht glücklicher“ seufzte Yugi, dem ganz schwer ums Herz wurde. Sein Tato ... sein süßer Sohn ... er konnte sich sein Leid vorstellen. Er wusste, was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren, allein für die gemeinsamen Kinder sorgen zu müssen und jemanden zu suchen, dem man die Schuld dafür geben konnte. Im Zweifel immer sich selbst. „Dann ist das also der Grund für das alles“ kombinierte Marie. „Deshalb humpelt er so schlimm. Er kann mit nur einem Flügel keine Balance halten.“ „Ja, der Lichtflügel hat kein Eigengewicht“ erklärte Sethan. „Sein Drachenflügel aber wiegt einige Kilo. Auch wenn diese Flügel nur in seiner Seele existieren, haben sie doch Auswirkungen auf seinen Körper. So wie jede Seele immer körperliche Auswirkungen hat. Deshalb braucht er seinen Stock, weil er auf Dauer einen Rückenschaden bekommen würde. Und seine Karriere als Eiskunstläufer ist damit auch beendet gewesen. Doch Freude an der Kunst findet er seit dem Tod der beiden eh nicht mehr. So wenig, wie er an allen anderen Dingen noch Freude empfindet.“ „Deshalb trägt er auch immer schwarz, oder?“ fiel Nika auf. „Das hab ich schon beobachtet. Er trägt nur schwarze Kleidung. Als würde er Trauer tragen.“ „Ja, das tut er. Er trauert nun seit mittlerweile seit fast zehn Jahren“ seufzte Sethan mit schwerem Kopf. „Er gibt sich Mühe, es zu verbergen, aber es ist zu stark. Jeder, der sich länger mit ihm unterhält, sieht seine Verzweiflung. Seine Familie war sein Leben, seine Erfüllung. Und nun ist Sari alles, was ihm noch geblieben ist.“ „Und ich hab mich schon gefragt, warum sie so verschlossen ist“ stellte Mokuba da fest. „Ist es, weil sie sich auch Vorwürfe macht?“ „So ähnlich“ erzählte Sethan weiter. „Sari ist eine starke Magierin und in ihr trägt sie die Macht von vier Drachen. Aber sie fürchtet sich davor, etwas zu tun, was ihren Vater verletzen könnte. Er passt fast übertrieben fürsorglich auf sie auf, er hat Probleme, sie loszulassen. In ihrem Alter von zwölf Jahren sollte sie eigentlich schon lange fliegen können, aber sie schafft es nicht mal, ihre Flügel auszubreiten. Auf der einen Seite will sie endlich erwachsen werden, aber auf der anderen Seite will sie ihren Vater nicht allein lassen. Sie ist im Zwiespalt mit sich selbst und Tato ist ihr keine große Hilfe. Wenn sie älter und stärker wird, wird sie irgendwann ihre Freiheit suchen und er befürchtet, dass sie ihm dann entgleitet und ebenfalls allein lässt. Die beiden verbindet ein so festes Band, dass es fast schon eine Fessel ist. Ihr habt doch gesehen, wie zornig er war, dass ich sie mit hergebracht habe. Sari ist eine starke Kämpferin und hat viele Fähigkeiten. Aber sie zögert davor, sich weiterzuentwickeln. Und er verteidigt sie wie ein Bluthund. Jeder, der es wagt, ihm reinzureden, verfeindet sich mit ihm.“ „Deshalb können wir da nur schwer eingreifen“ erzählte Sharesa. „Sobald wir ein falsches Wort sagen, droht er damit, fortzugehen. Es gab ein paar Mal einen Vorstoß von Seto und Yugi, mit ihm zu sprechen. Aber als es ernst wurde, packte er seine Taschen und war nur unter größten Anstrengungen vom Gehen abzuhalten. Er ist eben noch immer ein verbohrter Dickkopf.“ „Herrje ...“ Mit einem Seufzen lehnte Yugi sich zurück und atmete durch. „Das sind ja keine tollen Zukunftsaussichten.“ „Können wir nicht irgendwas machen?“ sorgte Seto sich und sah Yugi ratsuchend traurig an. „Wir können doch nicht zulassen, dass unser Tato ... dass er so traurig wird.“ „Ich glaube, auch Eltern stoßen irgendwann mal an ihre Grenzen, Liebling“ gestand er sich schweren Herzens ein. „Außerdem sind die anderen nicht hier, um Tato zu helfen, sondern um die Welt zu retten.“ „Dann willst du es nicht mal versuchen?“ warf er ihm enttäuscht vor und ließ zur Strafe seine warme Hand los. „Das habe ich nicht gesagt. Reg dich nicht gleich so auf“ bat er umso sanfter zurück und entgegnete seinem funkelnden Blick mit betonter Ruhe. Dass besonders Seto die Trauer seines Sohnes aufwühlte, war verständlich. „Aber auch ein Vater kann seine Kinder nicht rund um die Uhr beschützen. Und wenn doch, ist das auch nicht der richtige Weg. Dann würden wir mit ihm dasselbe tun wie er mit Sari. Wir können Tato nicht einsperren. Wir können nur für ihn da sein und ihn auffangen. Wir können ihn aber zu nichts zwingen.“ „Doch, das können wir“ bestand Seto darauf und ballte seine Fäuste. „Wir haben ihm was zu sagen und er soll gefälligst auf uns hören. Was er tut, ist doch nicht gut. Es ist in Ordnung, traurig zu sein, aber wenn er damit Sari auch noch schadet und sein eigenes Leben gefährdet, hört der Spaß auf.“ „Aber mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, ist nicht der richtige Weg, mein Herz“ sprach er und legte seine Hand zurück auf sein Knie, während er ihn liebevoll anblickte. „Du weißt doch selbst, wie es ist, wenn man in Trauer und Verzweiflung versinkt. Wenn das Leben fast sinnlos scheint. Was unseren Tato belastet, das sind schwere Depressionen. Da kannst du nicht mit Befehlen und Anweisungen gegen angehen. Was du dafür brauchst, sind warme Worte und viel Geduld. Wir müssen ihm erst zeigen, dass er es selbst wollen muss. Er muss sein Leben selbst ändern wollen und nur dann können wir ihn unterstützen. Genauso wie du damals erst einsehen musstest, dass auch dein Leben noch einen Wert hat. Genauso wie du muss Tato erst wieder Vertrauen fassen und den Willen zum Kämpfen finden. Er muss sich öffnen und bis er das tut, müssen wir ihm zeigen, dass wir da sind. Und bis er so weit ist, sehen wir, was wir für unsere Enkelin tun können. Ich denke, es ist noch nicht alles verloren. Er hat sich vielleicht aufgegeben, aber wir haben das nicht. Oder siehst du das anders?“ „Nein ...“ Er senkte seinen Kopf und es brauchte nur einen kleinen Zug, damit er niedersank und sich in den Arm nehmen ließ. Seto war nun mal leicht verletzlich und es war schwer für ihn, wenn er seinen Sohn so niedergeschlagen und ohne jede Hoffnung ansehen musste. Er wollte etwas dagegen tun. Am liebsten sofort. Aber er musste in dieser Situation mehr auf Yugis Spürsinn vertrauen, denn der hatte schon mehr als nur eine Seele gerettet. Und er wusste, wie man mit verletzten Drachen umgehen musste. Immerhin hatte er auch Setos Leben in den Griff bekommen, da wusste er sicher auch, was das Beste für seinen Sohn war. Aber wusste der Yugi in der Zukunft das denn nicht auch? Chapter 19 Als sie am Ende eines langen Fluges auf dem Boden aufsetzten und die Treppe aus dem Flugzeug hinunter auf den asphaltieren Platz stiegen, machte sich doch zusehends Verwirrung breit. Das Klima war warm, geradezu heiß. Der Himmel zeigte nicht eine Wolke und ein trockener Wind wehte an dem erschreckend kleinen Terminal vorbei, welcher mehr eine Holzhütte war. Der einzig sichtbare Flughafenangestellte war der, welcher die Treppe ans Flugzeug gebracht hatte und sich dann auch wortlos wieder von dannen machte. Rundherum keine anderen Menschen zu sehen, keine Fluggeräte oder sonstiges. Und um diesen verlassenen Flughafen herum nur trockener Sandboden mit verdorrtem Gestrüpp. Das hier war doch nie und nimmer der kühle, grüne Norden Europas! „Ich werde den Piloten feuern“ meinte Seto ganz definitiv. „Ja, der hat wohl die Karte nicht gelesen“ meinte auch Tristan, als der sich hier so umsah. „Wo sind wir gelandet?“ „Das kenne ich! Das kenne ich voll!“ jubelte Nini als sie Tristan sogleich auf die Schultern kletterte, um besser in die Ferne sehen zu können. „Das ist die große Sandkiste am Arsch der Welt. Nä, Joey?“ „Aas“ grinste der kleine Tato von Setos Armen aus. „Na“ mahnte der sofort und sah ihn dunkel an. „So was sagt man nicht, Asato.“ „Sag das nis immer!“ guckte er ebenso dunkel zurück. „Du solls nis Atato saagen.“ „Und du sollst nicht Arsch sagen.“ „Setz hassdu au Aas gesaagt“ grinste er triumphierend und schlug ihn mit einem frechen Griff an die Nase. Hatte er seine Mama doch beim Schimpfen ertappt. „Tja, wo könnten wir wohl sein?“ rätselte Jonny in weiser Ahnung. „Sand, Sonne, Hitze ... schwer zu erraten. Hundert Punkte sind zu angeln.“ „Wir sind in Ägypten“ sprach Tato und zog mit seinem dunklen Ton sämtliche fragende Blicke zurück auf sich. Zumal er mit seiner Ernsthaftigkeit dem fröhlichen Jonny ziemlich den Spaß verdarb. „In der Nähe von Gashe, um genau zu sein.“ „Gashe?“ fragte Yami überrumpelt und scharbte mit seinem Fuß forschend über den Boden. Das war gar kein richtiger Asphalt. Es war eher eine Art zementartige Lehmmischung und die Farbe war auch kein richtiges Grau, sondern eher sonnengeblichenes Gelb. „Ist das hier der Tempelboden vom Nut-Palast?“ „Du hast es erkannt“ nickte Sethan lächelnd. „Eigentlich werden diese Überreste erst in 20 Jahren entdeckt, aber wir haben Tato gebeten, dass er gleich bei seiner Ankunft den Sand fortblasen lässt und hier einen provisorischen Flugplatz einrichtet. Ich finde es faszinierend, dass ihr Ägypter damals schon einen Baustoff kanntet, der die Landung eines Großflugzeuges aushalten kann.“ „Viel eher finde ich es faszinierend, was du in der kurzen Zeit mit einem Laptop und ner Internetverbindung anstellen kannst“ meinte Noah bewundernden Blickes zu Tato hinauf. „Gibt es noch irgendwelche Überraschungen, die du geplant hast? Ich meine ... Yami?“ Er unterbrach seine Fragen, als Yami still und heimlich auf den Boden sank, seine Hände auf den geblichenen, flachen Boden legte und den Kopf senkte. „Ist dir nicht gut?“ „Der schöne Tempel“ flüsterte er traurig, als Yugi sich zu ihm kniete und ihn in den Arm nahm. „Früher war das hier ein Prachtbau. Und heute ist der Festplatz nur noch ein flaches Flughafengelände. Was ist aus den Türmen geworden? Aus der großen Halle? Aus den Ställen und wo ist die hohe Tempelmauer? Und der bunte Marktplatz? Wo sind all die Priester, die Händler und die Wüstenkinder? Es ist nichts mehr übrig ...“ „Es tut mir leid, dass wir den Tempel deiner Mutter auf diese Art nutzen“ entschuldigte Sethan, der das wahrhaft aufrichtig meinte. Es tat ihm wirklich leid, denn er wusste, wie wichtig einem Ägypter seine Tempel waren. Besonders ein solcher Gigantenbau, der heute unter dem Sand verschüttet nur noch in Ruinen lag. Und besonders Atemu, dessen Vater seiner Königin einst diesen heiligen Palast zum Zeichen seiner Liebe errichtete. Und heute war davon nur noch ein flaches Steinfeld geblieben, was früher ein Platz für rauschende Feste war. „Hier auf diesem Stein haben meine Eltern getanzt. Einst stand hier der zweitgrößte Palast im ganzen Reich ... das alles hat meiner Mutter gehört“ erzählte er mit bebender Stimme. „Ich weiß.“ Auch Sethan kniete sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Yami weinte nicht, aber seine Augen waren tränengefüllt. Es war aufwühlend an einen Platz zurückzukehren, welchen er früher ganz anders gekannt hatte. „Aber, Atemu, alles ist vergänglich. Der Bau existiert vielleicht nur noch als langes Feld unter dem Sand, aber deine Erinnerungen halten ihn lebendig. Er hat seinen Zweck erfüllt und musste dann gehen. So wie die Menschen, werden Bauten geboren und sterben. Sei nicht traurig.“ „Du kannst das nicht verstehen“ hauchte er und lehnte sich traurig gegen Yugi, der sich seine Trauer auch nur vorstellen konnte. Yami hatte in einer Welt gelebt, welche untergegangen war. Verschüttet unter Sand. „Doch, verstehen kann ich es“ tröstete Sethan und suchte seinen Blick, um ihn ein wenig zu trösten. „Ich kann verstehen, dass du Heimweh hast und dass es dich schmerzt, deine Paläste zerstört zu sehen. Aber du musst die Kraft finden, stark zu bleiben. Du darfst deinem Priester keine so starke Waffe in die Hand geben, für dich die Welt zurückzudrehen. Du musst ihm die Stirn bieten, damit die Welt deines Hikaris nicht untergeht und dieselbe Chance behält wie sie auch deine Welt hatte. Nämlich die Chance, sich weiterzuentwickeln und neue Welten hervorzubringen.“ „Aber ein bisschen traurig sein, darf er doch wohl“ bat Yugi und drückte seinen Yami tröstend an sich. „Warum hast du uns überhaupt hergebracht?“ fragte er dann schlicht weiter. „Doch sicher nicht, um Yami zu zeigen, dass sein prächtiger Festplatz nun als Landebahn dient.“ „Nein, sicher nicht“ schüttelte er den Kopf. „Es tut mir auch leid, dass wir genau hier Halt machen. Aber es ließ sich wegen der drängenden Zeit leider nicht verhindern.“ „Gashe ist der letzte Ort vor dem alten Grab“ versuchte Noah dem auf die Spur zu kommen. „Bis vor fünf Jahren war hier ein kleines Dorf in der Nähe, aber die letzten, wenigen Bewohner sind fortgezogen, da die Brunnen ausgetrocknet sind. Jetzt liegen hier nur noch ein paar verlassene Hütten.“ „Und woher weißt du das?“ staunte Joey. „Weil ich ab und zu mal mit Marik telefoniere“ antwortete er. „Er war ganz erleichtert, dass die Menschen gegangen sind, denn jetzt ist rund um das Grab rein gar nichts mehr. Erst in über 60 Kilometern gibt es das nächste Dorf. Aber Fahd Adh kennen wir ja schon. Ich denke mal, dass die Leute aus Gashe sich wohl dort angesiedelt haben.“ „Vielleicht“ brummte Seto, der sich jetzt schon den schnell trocknenden Schweiß aus der Stirn wischte. „Was wollen wir hier denn? Ins Grab oder nicht?“ Das hieß übersetzt wohl eher: ‚Scheiße, ist das warm hier. Ich hasse mein Leben.’ „Du hast es erfasst“ lächelte Sethan ihn beschwichtigend an. „Aber du kannst auch gern im klimatisierten Flugzeug bleiben. Es dauert nicht lange.“ „Was willst du denn da überhaupt? Ich dachte, du wolltest nach Norwegen, wo es schön kühl ist.“ „Nur ein ganz kurzer Besuch“ versprach er mit einem neckischen Zwinkern. Er wusste, dass es Seto hier viel zu warm war und er da immer etwas mürrischer wurde als sonst. „Ich hab noch etwas zu erledigen und dann können wir sofort weiter.“ „Ich find’s gut“ beschloss Balthasar frei heraus. „Ich bin gespannt, wie es dort wohl aussieht.“ „Ich glaube, in so einem Grab verändert sich nicht viel“ meinte Mokeph aus Erfahrung. „Dort hat sich seit 5000 Jahren nichts verändert.“ „Oh, das ist nicht ganz richtig“ musste Yami da doch berichtigen. „Es gibt einen Notstromgenerator und andere, kleine Hilfsmittel. Früher zum Beispiel gab es kein batteriebetriebenes Radio und einen Satteliten mit Internetverbindung hatten die Grabwächter auch nicht.“ „Aber sie müssen ja auch irgendwie mit euch in Kontakt bleiben“ meinte Fernando und sah mit vorgehaltener Hand in den Himmel. „Haben wir überhaupt Schutzkleidung gegen die Sonne mit?“ „Natürlich nicht“ schüttelte Sharesa ihren schwarzen Kopf. „Selbstverständlich hat Sethan uns ja nicht vorgewarnt, dass wir in die Wüste fliegen.“ „Wie gesagt, könnt ihr gern auch da bleiben“ betonte er nochmals. „Ich muss wirklich nur ganz kurz hin. Dauert nicht mal drei Minuten und zu Fuß ist man auch in vier Stunden am Grab.“ „Dann mal frohes Laufen“ meinte Jonny. Klang nicht so, als hätte er da große Lust zum Mitkommen. „Marik hat aber versprochen, uns Strandbuggys hinzustellen“ meinte Sethan und sah Tato fragend an. „Hat er doch, oder?“ „Ich denke mal, die stehen da hinten in der Hütte“ nickte er ein paar hundert Meter nach vorn, wo ein recht altes Holzhüttchen stand. „Mehr als sechs konnte er uns aber nicht anbieten.“ „Na, das reicht doch auch“ meine Sethan nickend. „Auf jedem Buggy können zwei mitfahren und alle müssen ja nicht mitkommen. Ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn jemand aufs Flugzeug und die Kinder aufpasst.“ „Is pass auf!“ meldete klein Tato sich sofort. „Is bin ein duuter Aufpasser. Nä, Mama?“ „Heißt aufpassen, dass wir hier bleiben müssen?“ war Ninis kleine Sorge. „Ich will aber Odions neue Freundin sehen, wenn wir ins Grab gehen. Die ist so lieb am Telefon. Und ich will Marik knuddeln. Marik ist ein hübscher Mann.“ „Ich glaube, Seto und die Kinder bleiben am besten hier“ vermutete Yugi, wenn er seinen Ehemann so ansah. Der stand gerade mal ein paar Minuten in der Sonne und schüttete bereits lauter Unglückshormone aus. Nicht nur, dass er keine passende Kleidung mit sich führte, sondern innerlich war er schon auf den kühlen Norden eingestellt. Sand und Hitze gehörten nicht zu seinen liebsten Hobbys. „Und wenn wir hier weiter rumstehen, schaffen wir gar nichts mehr“ murrte Tato von der anderen Seite. Er schien die Hitze etwas besser zu vertragen, auch wenn er nicht gerade begeistert aussah. „Ja, wie ist das denn eigentlich?“ fragte Joey und sah ihn rätselnd an. „Was?“ giftete Seto zurück. „Was soll wie sein? Drück dich klarer aus, wenn du schon quatschen musst.“ „Dass du dich hier unwohl fühlst, weiß ich ja“ winkte er den schimpfenden Drachen ab. „Aber Seth hat sich in so einer heißen Umgebung immer wohl gefühlt. Wie ist denn das beim Wind? Hat der auch so eine typische Landschaft?“ Als wäre er gar nicht angesprochen, antwortete Tato darauf nicht. Er setzte nur seinen Blick gegen Joeys und gab keinerlei Auskunft. Warum auch? Die Frage an sich war ihm schon zu blöd. „Am liebsten Städte und Menschen“ antwortete Dakar für ihn. „Der Wind hat keine Heimat, aber er braucht Bauten und Wesen, die er umwehen kann, ohne festgehalten zu werden. Aber gern mit Zugang zu freien Flächen, eben wie Wüsten aus Sand und Wasser. Der Wind ist heimatlos. Eher ein Träger für andere Elemente. Was wäre ein Sandsturm oder eine Sturmflut ohne Sturm? Deshalb sind Windmagier meistens flatterhafte, aufbrausende Männer, die aber eigentlich nie alleine sein mögen.“ „Sonst noch ein Horoskop?“ zischte Tato ihn an. „Sei doch nicht gleich so aufbrausend“ meinte Balthasar. „Dakar hat nur auf eine ganz normale Frage geantwortet. Reg dich ab, Alter.“ „Du ...“ Doch bevor Tato seinen alten Zwist mit dem Feuersohn aufnehmen konnte, quasselte Nini schon wieder dazwischen. „Du? Sari?“ fragte sie die von Tristans Schultern herunter. „Du bist doch auch so ein Drache, oder?“ „Dragge!“ rief Tato und zeigte auch noch auf sie. „Dragge. Weiß is. Nä? Mach ma GROOAAAARRRR! Du uns is, nä? Und Mama und Tethi. Und no ein Tethi. Gibs ganz viele, nä?“ Sie wusste darauf gar nichts zu sagen. Das Thema schien ihr peinlich zu sein und sie stand da etwas einsam zwischen Sharesa und Phoenix. Wäre ihr Papa neben ihr gewesen, hätte sie sich wohl versteckt. „Darüber habt ihr uns ja noch gar nichts erzählt“ bat Noah ganz lieb und trat ein paar Schritte zur Seite, um seinen Arm um sie zu legen. „Darf ich dich fragen, ob du auch ein Element hast?“ „Die Erde“ antwortete sie zaghaft und sah zu ihm hoch. „Die Erde ist wie das Eis. Aber dunkler, verschlossener, sagt Opa. Opa sagt auch, die Erde ist schwerer in Bewegung zu bringen. Aber wenn sie sich erst bewegt, dann sind das entfesselte Kräfte.“ Vor welchen sie anscheinend mehr Angst hegte, als ein eventueller Feind. Sie war also wirklich das letzte, ausstehende Element. Jetzt waren alle vier Elemente auf der Erde vertreten. Das Feuer, der Wind, die Erde und das Eis als Vertreter des Wassers. Alle vier ... ob das eine Bedeutung hatte oder nur zufällig so geschah? „So, genug geplauscht jetzt“ beschloss Tato, trat dazwischen und schirmte seine Tochter ab. Genau so wie die anderen es berichtet hatten. Er ließ nichts und niemanden an sie heran, was schädlich oder unruhig wäre. Er wollte nicht, dass sie ihre Kräfte fand und in einen gefährlichen Kampf zog. Er wollte sie nicht auch noch verlieren. „Du bleibst hier bei Oma und hilfst ihm bei den Babys, okay?“ „Aber ich wollte auch mit zum Grab“ bettelte sie mit großen, dunkelblauen Augen ihren großen Übervater an. „Ich wollte so gern sehen, wie Marik in jung aussah.“ „Ich bringe dir ein Foto mit. Wir sind doch gleich wieder zurück.“ „Lass sie doch mitgehen, Tato“ versuchte Yugi ihn zu überreden. „Es dauert doch nicht lange und ...“ „Und ich sage, sie bleibt hier“ unterbrach er ihn fest. In seiner Erziehung ließ er sich nicht reinreden, von niemandem. Und Yugi sah es auf sich zukommen. Das würde ein großes Stück Arbeit werden, seinen verängstigten Panzer zu knacken. Die sechs Strandbuggys bekamen sie schnell verteilt. Selbstverständlich bekam Sethan einen, den er sich jedoch von Yami fahren ließ, der immer vornan der Schnellste sein wollte. Selbst wenn Joey ihm immer wieder sagte, dass dies hier kein Rennen war und sich insgeheim eher darüber ärgerte, dass er und Jonny zusammen nicht mal halb so schnell fuhren und regelmäßig zusammen mangels gutem Fahrstil im Sand landeten. Balthasar wollte ja auch gern ein bisschen wilder fahren, aber da der seinen etwas ängstlicheren Bruder auf dem Rücksitz hatte, ließ er es mit den Rennen doch lieber ganz ausbleiben. Ebenso wie Dakar und Sharesa sich ein Gerät teilten. Sie hätte sich ja gern ein Wettrennen mit Yami geliefert, aber dann hätte Dakar seine Zigarette nicht in Ruhe rauchen können und daran zu denken, dass er das Steuer abgab, war auch nicht. Tato bestand da von Anfang an auf seinen eigenen Fahrerplatz und wollte auch niemanden hinten draufhaben. Einfach weil er es so wollte und Punkt. Den letzten Buggy verlosten dann die restlichen Willigen unter sich und das große Los zogen Mokeph und Tristan. Zwar wollte Fernando auch gern mit, Nika hätte nicht nein gesagt und Yugi hätte den Grabwächtern auch gern einen Besuch abgestattet. Aber das Los hatte entschieden und so mussten nur noch Tristan und Mokeph sich darum streiten, wer denn nun fahren durfte. Man einigte sich also darauf, dass Tristan hin und Mokeph zurückfahren durfte und das nächste Mal wurde der Besuch einfach nicht so spontan geplant, damit sie wieder den schönen Reisebus nutzen konnten. Auch wenn Sethan immer wieder betonte, dass so viel Begleitung nicht nötig war, weil er ja nur ganz kurz etwas erledigen wollte, aber der Weg nach Ägypten war ja leider so weit, dass sie ihre Freunde untertage nicht häufig zu Gesicht bekamen und entsprechend groß war damit auch der Ansturm. Kaum hatte Joey seine Wasserflasche leer gemacht und klagte im Minutentakt über Durst, hatten sie die Ruinen des Außengrabes auch schon erreicht. Außer den paar verfallenen Steinbauten mitten im Sand deutete nichts darauf hin, dass hier überhaupt etwas lag. Und da dieses Grundstück in mehreren Hektar ein altes Erbgut der Ishtars war, blieben sie glücklicherweise auch vor Forschern verschont. Denn die uralte Familie war zwar in den Akten eingetragen, aber es gab keine Kontaktdaten, sodass nicht mal eine Möglichkeit in Aussicht stand, eine Grabungserlaubnis zu bekommen. Und im Zweifelsfalle würde sich schon ein einflussreicher Freund finden, der seine schützende Hand über das unterirdische Geheimnis legte. So mächtig war der Name Kaiba allemal. Sie stellten ihre Buggys im Schatten einer sandumwehten Wand ab und streckten sich nach der holprigen Reise. „Boah, Alter ey“ schwitzte Jonny und rückte sich seine übertrieben große Sonnebrille zurecht. „Bin ich froh, wenn wir erst mal im Kühlen sind.“ „Glück, dass Seto nicht mit ist. Der hasst diese sonnigen Reisen und hätte uns nur die Ohren vollgequakt“ meinte auch Joey. „Aber Sonne bei Drachen ist doch was Schönes“ grinste Yami in zweideutiger Richtung auf Tato, um den mal etwas aus der Reserve zu locken. „Oder, Tato? Wollen wir uns ein bisschen zusammen sonnen und mal gucken, was passiert?“ „Reicht, wenn du mir sagst, wann ich dich wenden soll“ antwortete der trocken. Selbst wenn er den Spaß verstanden hatte, fand er die Idee jetzt weder lustig noch ansprechend. „Du bist humorlos“ warf er ihm beleidigt vor. Doch darauf bekam er dann gar keine Antwort mehr. Stattdessen zog der Griesgram sich lieber seine Schuhe aus, um besser stehen und laufen zu können. Nicht nur, dass es barfuß angenehmer war, sondern mit seinem Stock konnte er im Sand auch nicht wirklich gut laufen. Da brauchte er wohl mehr Bodenkontakt. „Aber wie es aussieht, werden wir schon erwartet“ wies Tristan sie auf die bereits geöffnete Bodenluke in der Nähe eines zerfallenen Unterschlupfes hin. Normalerweise war diese immer verschlossen und unter dem Sand versteckt, aber nun stand sie einladend offen. „Komisch“ fiel Mokeph da sofort auf. „Warum ist die denn offen, ohne dass Wachen hier oben sind?“ „Vielleicht lüften sie ja nur aus“ versuchte Balthasar zu beruhigen. „Wir sollten nicht gleich in Panik ausbrechen.“ „Trotzdem ist es ungewöhnlich“ meinte Yami. „Gehen wir mal rein und schauen, ob wir jemanden finden. Ich hab nämlich auch Durst.“ „Und wir gehen ein Foto von dem jungen Marik machen, was?“ zwinkerte Balthasar seinem Brüderchen zu. „Sonst macht Sari uns die Hölle heiß.“ „Na kommt, Jungs“ beschloss Sharesa und schritt mutig voran. Wie ein zerbrechliches Mädchen benahm sie sich nicht gerade, reiste sogar freiwillig in nur männlicher Begleitung durch die Wüste. Aus ihr hätte wirklich problemlos auch ein Junge werden können. Und die Jungs folgten ihr auch ebenso freiwillig. Aus dieser Hitze herauszukommen und sich für die Rückfahrt vielleicht etwas Wasser und Schutzkleidung geben zu lassen, war doch eine ebenso gute Aussicht wie endlich in die kühle Erde hinabzusteigen. Ausgerechnet zur Mittagshitze unvorbereitet durch die Wüste zu reisen, war eh eine Schnapsidee. Sie waren nur wenige Meter vor der Bodenluke, als sie jedoch vor Schrecken stoppten. Es kam ihnen jemand entgegen, den sie hier ums Verrecken nicht erwartet hätten. Seth. Er stieg ruhigen Schrittes hinaus in die brennende Sonne und wer vermutet hatte, ihn als nächstes geschwächt oder verzweifelt zu sehen, wurde eines Besseren belehrt. Das Gegenteil war der Fall. Er sah blendend aus. Kräftiger noch als das letzte Mal, er hatte seine Höchstform wiedergefunden. Auch seine pseudomoderne Kleidung hatte er abgelegt und trug wieder sein altes Priestergewand. Selbst seinen ursprünglichen Silberschmuck an den Armen und Beinen trug er wieder und sogar am Hals prangte ein glänzender Silberring, obwohl er es immer unangenehm fand, wenn ihn jemand oder etwas am Hals berührte. Doch er sah genau aus wie im alten Ägypten und damals gehörte dieser Schmuck zu seinem ehrenhaften Stand. Nur eben mit dem Unterschied, dass er nun erwachsener wirkte durch sein langes Haar und den feinen Bart. Und auch seine Augen hatten sich verändert, als er aufblickte und den unverhofften Besuch sah. Sein Blick war hart geworden, spitz funkelnd und unergründlich tief. Die Sanftheit und Besonnenheit war aus ihm gewichen und glichen nun eher denen eines Drachen auf Jagd. Er sah gesund aus aber nicht besonders fröhlich. „Atemu.“ Aber seine Lippen wandelten sich zu einem Lächeln, als er ihn erblickte. Den Rest würdigte er nicht mit Aufmerksamkeit. Yami hatte einen Moment gezögert, aber dann schritt er entschlossen auf ihn zu, ballte seine Fäuste und erdolchte ihn mit einem strafenden Blick noch beim Näherkommen. „Sag mal, was ist in dich gefahren?“ schimpfte er ihn an und blieb fest vor ihm stehen. „Du verschwindest einfach so und ich ...“ „Bitte sei nicht böse mit mir“ lächelte er ihn sanft an und legte seine heißen Hände an Atemus ohnehin schon roten Wangen. „Ich habe dich sehr vermisst, mein Pharao.“ „Das meine ich nicht!“ Er schob langsam seine Hände weg und musste sich zusammenreißen, um beherrscht zu bleiben. „Ich weiß mittlerweile, was deine kryptischen Worte zu bedeuten haben. Und ich verbiete dir, deine Pläne noch in irgendeiner Form weiter zu verfolgen. Ich will, dass du ab jetzt nicht mehr von mir weichst und mich bei allem was du tust um Erlaubnis bittest. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht mehr vertrauen, Aleseus.“ „Wenn das so ist“ sprach er mit sanfter Stimme weiter. „Ich bitte darum, meine Majestät küssen zu dürfen.“ „Nein! Ich will, dass du mich ernst nimmst!“ schimpfte er. „Verdammt, Seth! Warum benimmst du dich so? Wer hat dir ins Hirn gepustet?“ „Bitte sei ganz ruhig“ bat er, fasste ihn am Kinn und beugte sich langsam zu ihm herab. „Schimpf nicht mit mir. Ich liebe dich, Atemu.“ Und seinen Kuss bekam er doch. Er legte ihm seine Lippen auf, seinen Arm um die Schultern und zog ihn zu sich heran. Seine Zunge hatte noch immer dieselbe Hitze und Yami musste feststellen, dass Seth nicht fremdgesteuert wurde. Wäre er unter Hypnose oder besessen, hätte er es in seinem Kuss gespürt. Aber er war er selbst. Alles, was er tat, tat er aus freiem Willen heraus. Ebenso wie er ebenso nach einem Kuss verlangte wie früher. Und es war gemein. Yami liebte ihn und er wusste das. Er liebte es, ihn zu küssen, in seinen Armen zu liegen. Ihn zu schmecken, seine Hitze zu spüren und ihm einfach nahe zu sein. Die Zeit, in welcher sie nicht zusammen waren, wurde lang und lang und immer länger. Aber dieser neue Seth machte ihm auch Angst. Nein, Angst war das falsche Wort, denn wirklich fürchten tat er ihn nicht. Viel eher machte es ihn besorgt. Als wäre Seth vom Wahnsinn befallen. Nicht ein solch ‚harmloser’ Wahnsinn wie Yugi ihn aus Trauer empfunden hatte. Eher ein Gefühl, dass sein treuer Priester sich auf den Gedanken versteift hatte, sich an der ganzen Welt für seine verletzte Ehre rächen zu wollen. „Seth, bitte“ flüsterte Yami, als sie sich nach dem Kuss in den Armen lagen. Er an seine Brust geschmiegt, hörte sein schlagendes Herz und seinen tiefen Atem, spürte seine starken Arme um sich. Es könnte alles so schön sein. „Bitte komm endlich zur Vernunft. Komm mit nach Hause. Niemand wird dir Vorwürfe machen. Komm mit nach Hause und lass uns über alles in Ruhe sprechen. Lass mich dir helfen.“ „Nein, du hast schon genug getan, geliebter Pharao“ antwortete er ihm mit tiefer, rauchiger Stimme. „Jetzt werde ich dir ein Zuhause schaffen, in welchem wir beide glücklich leben werden. Du wirst sehen. Ich werde dir die Welt zu Füßen legen.“ „Ich will das alles nicht“ bat er, drückte sich ein paar Zentimeter fort und sah an ihm hinauf. „Bitte hör mir zu, Aleseus. Ich will, dass du mit mir kommst und deine Pläne ruhen lässt. Was du vorhast, will ich nicht. Verstehst du das? Ich w i l l es nicht.“ „Du wirst es wollen, das weiß ich. Wenn erst alles perfekt ist, wirst du mir dankbar sein. Ich weiß es.“ „Hör mir doch zu!“ versuchte er so deutlich wie möglich zu sagen. „Ich will es nicht.“ „Ich weiß, dass du jetzt im Augenblick dagegen bist, Atemu“ lächelte er ihn an als wäre er ein kleines, ahnungsloses Kind. „Aber dein Blick ist getrübt von dieser schmutzigen Zeit. Wenn ich erst alles neu geschaffen habe, wirst du es für gut befinden. Das weiß ich. Ich werde dir dein Leben zurückgeben.“ „Aleseus, hör mir doch zu! Versteh es endlich!“ Er fasste seine Handgelenke und war angehend verzweifelt. Was musste er denn noch tun, damit seine Worte ankamen? „Verzeih, ich habe nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen.“ Sein Lächeln wollte nicht weichen. Als sei alles in bester Ordnung so schien er guter Dinge zu sein. Erschreckend. Er war im Begriff, die ganze moderne Zivilisation zu vernichten und sprach darüber so beruhigend, fast schon vorfreudig. „Ich muss noch viel tun. Aber ich werde bald zu dir kommen und gemeinsam werden wir die Nacht zum Leben erwecken. Dann haben wir ausreichend Zeit, unsere Sehnsüchte zu stillen. Ich verspreche es dir, Atemu. Bald sehen wir uns wieder.“ „Du kannst jetzt nicht einfach gehen!“ Er hielt ihn gerade noch am Arm fest, bevor er sich ganz von ihm entfernt hatte. „Seth, bitte lass es nicht zu einem Kampf kommen! Sieh doch, wer gegen dich steht.“ Er wies auf die anderen, welche es bis jetzt nicht gewagt hatten, einzuschreiten. Selbst Sethan besah sich das alles von einer noch beobachtenden Position aus. „Es sind unsere Kinder aus der Zukunft. Sie sind gekommen, um deine Pläne zu vereiteln. Seth, wie soll das ausgehen? Willst du etwa gegen deine eigenen Söhne kämpfen? Lass es nicht so weit kommen! Bitte! Alle sind gekommen, um dich zu stoppen. Es wird einen Kampf geben, wenn du nicht zur Vernunft kommst!“ „Ich weiß, Atemu“ lächelte er ihn beruhigend an. Das alles schien ihm weder neu, noch schien es ihn zu erschrecken. Wenn er wirklich mit seinem dunklen Göttervater im Bunde stand, hatte der ihn sicher bereits eingeweiht über das, was vor sich ging und was ihm drohte. „Sei bitte unbesorgt. Es wird alles seinen besten Weg gehen. Wir werden wieder glücklich sein.“ „Ich bin glücklich, so wie es ist. Hörst du meine Worte? Ich will nicht, dass sich etwas ändert.“ „Und damit du eine unveränderte Welt vorfindest, werde ich für dich kämpfen. Ich werde dir ein Denkmal setzen, Atemu. Dir und meiner unendlichen Liebe zu dir. Hab noch ein wenig Geduld. Unser Reich ist ewig.“ Er schenkte ihm noch einen Kuss auf die Stirn und ließ ihn so stehen. Yami selbst war so perplex, dass er sich kaum bewegen konnte. DAS war nicht der Seth, den er kannte. Er war wahnsinnig! Er war besessen von dem Gedanken, für seinen Pharao etwas Gutes zu tun. Sein Seth hätte so etwas nie getan. Sein Seth war genügsam, vernünftig und besonnen. Ein bisschen wild war er immer schon, aber er stellte sein ruhiges Verständnis und seine Vernunft über alles. Aber was er nun plante, war ein verrücktes Unterfangen. Wer hätte geahnt, dass er als Hohepriester einst der stärkste Feind des Pharaos werden würde? „Vater, warte bitte.“ Balthasar fasste sich ein Herz und sprach ihn nicht nur an, sondern ging auf ihn zu, bevor er fortgehen konnte. Seth stoppte auch und blickte sich nach ihm um. Auf diesen jungen Mann, der ihm zum Verwechseln ähnlich sähe, hätte er nicht diese grauen Stahlaugen. Aber den Mut, den hatte er geerbt. Er war das Kind, welches er um jeden Preis nun früher hatte zeugen wollen. Auch wenn er es noch um Dunkeln ließ, wofür er ihn so nötig brauchte. „Du bist Balthasar, nicht wahr?“ fragte er als sein Sohn ihn erreichte und fest anblickte. „Ja“ nickte er. „Und das ist mein Bruder Phoenix.“ Obwohl er auf ihn wies, nahm Seth seinen Blick nicht von dem stärkeren, dem besseren Sohn. Genau wie die anderen es aus der Zukunft berichtet hatten. Phoenix existierte für ihn scheinbar gar nicht. Seth lächelte und strich ihm über die Wange. Fast eine liebevolle Geste, wenn auch etwas distanziert. „Bitte lass uns nicht gegeneinander kämpfen“ eröffnete Balthasar ihm mit entschlossener Stimme. Auch wenn er sich sicher gern in seine väterlichen Arme fallen lassen würde, so hielt er doch nur seine zaghafte Berührung aus. „Wir können deine Pläne nicht gutheißen und werden dich nicht unterstützen. Bitte tu, was Atemu dir sagt und mach nicht weiter. Bleib bei unserer Mutter und sei uns ein Vater. Wir brauchen dich mehr als die Welt es tut.“ „Sorge dich nicht“ tröstete er ihn beinahe väterlich. „Du wirst deinen Platz im neuen Reiche finden, mein Sohn. Noch bist du jung und naiv, aber du wirst verstehen lernen.“ „Wenn dich zu verstehen, bedeutet, dir zu folgen und die Menschheit auszulöschen, bleibe ich lieber naiv!“ Es war ihm egal, ob sein Vater stärker war oder leicht reizbar. Es war ihm auch gleich, ob er in einem Kampf gegen ihn bestehen konnte. Mut hatte er in jedem Falle und er würde für seine Ideale eintreten. Genau wie Seth änderte er seine Meinung nur schwer. Und in einer neuen alten Welt zu leben, konnte er sich kaum vorstellen und wollte es auch gar nicht. „Was wir brauchen, ist ein Vater. Du hast uns gezeugt, also steh auch zu deiner Verantwortung. Es ist grausam, wenn ein Vater seine Söhne ignoriert. Spatz und ich wollen keinen Vater, wie du ihn hattest.“ Doch da wandelte sich die streichelnde Hand und nach einem lauten Klatschen fiel Balthasar in den Wüstensand. Seth hatte ihn geschlagen für seine freche Äußerung. „Maße dir nicht an, über meinen Vater zu sprechen“ wies er ihn zurecht und sah auch dann auf ihn herab, als Phoenix zu ihm gelaufen kam und ihm auf die Beine helfen wollte, was sein Bruder aber auch ganz allein schaffte. „Balthasar hat aber Recht“ bat er mit seiner hellen, weichen Stimme und seine grauen Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte ignorier uns nicht. Die Welt braucht keine neue Ordnung, sondern wir brauchen einen Vater. I c h brauche einen Vater.“ „Was du brauchst, ist kein Vater, sondern jemanden, der sich erbarmt, dich von deinem Leiden zu erlösen“ entgegnete er kalt und spätestens da verstand Yami, dass sein Seth nicht mehr derselbe war. Seinem Sohn so etwas zu sagen. Ihm so das Herz zu zerstören und ihm zu zeigen, dass er ungewollt war. Auch wenn Seth von seinem eigenen Vater dasselbe erfahren hatte, durfte er es dennoch nicht an seine Söhne weitergeben. Der Seth, den er kannte, der hätte sich liebevoll um seine Kinder gekümmert. Doch aus dem weisen Priester war ein wahnsinniger Weltfeind geworden. „Jetzt reicht es! Was bist du nur für ein Vater?!“ Und das rief Tato auf den Plan. Für ihn waren die beiden wie seine eigenen Kinder. Sein Sohn war gestorben und er hatte in den Zwillingen einen Ersatz gefunden. Und als ein solcher Ersatzvater würde er nicht zulassen, dass ihnen jemand wehtat. Weder körperlich noch im Herzen. „Was willst du denn, Sato?“ lachte er ihn fast aus als der ohne Stock etwas schief auf ihn zukam. „Mach dich nicht lächerlich.“ „Wer sich hier lächerlich macht, bist ganz allein du“ erwiderte er und stellte sich schützend vor die beiden Jungs. „Im Gegensatz zu dir, sorge ich nämlich für deinen Nachwuchs, du Rabenvater.“ „Doch auch nur, weil du Ersatz für deinen toten Sohn suchst“ reizte er ihn ohne Skrupel. „Du konntest ihn nicht beschützen und suchst jetzt nach einer Buße. Was du hast, sind keine Vater- sondern Schuldgefühle. Mein Sohn hat eine große Zukunft vor sich im Gegensatz zu deinem.“ „Du hast zwei Söhne, du Arschloch“ zischte er. „Was ist nur aus dir geworden? Sieh dich doch mal an. Nichts bist du mehr. Du hinkst der Zeit hinterher und schaffst es nicht, dich anzupassen. Nichts außer bemitleidenswert bist du noch.“ „Sieh du dich doch an“ grinste er. „Für was hältst du dich? Du säufst, lässt deine Familie sterben und nimmst dir fremde Kinder als Ersatz. Wenn hier jemand bemitleidenswert ist, dann du. Du flügellahmer Möchtegern.“ Noch bevor jemand anderes sich einmischen konnte, trat Sethan dazwischen. Und sich zwischen zwei rivalisierende Drachen zu stellen, war nicht ungefährlich. Zumal Tato gerade drauf und dran war, einen echten Kampf anzuzetteln, wenn Phoenix sich nicht an ihm festkrallen würde. „Seth, bitte“ versuchte auch Tristan auf ihn einzureden. „Komm zur Vernunft. Warum redest du so, Mann? So bist du doch eigentlich gar nicht.“ „Wirklich, du bist nicht mehr derselbe“ meinte auch Mokeph, der sich sogar neben ihn stelle und ihn am Arm berührte. „Was ist aus meinem wunderbaren, großen Bruder geworden? Wo ist unser Sethi, der auf uns aufpasst und uns mit seinem vernünftigen, weisen Wissen zur Seite steht?“ „Da wende dich getrost an Seto, mein Bruder“ funkelte Seth zurück. „Seto kann dich aber nicht ersetzen“ argumentierte Tristan. „Ja, vielleicht kennt er die Götterwelt, aber er ist nicht du! Er ...“ „Lass es. Das hat keinen Sinn“ bat Sethan ruhig und blickte warnend mit seinen schimmernd surrealen Augen an Seth hinauf. „Ich warne dich nur dieses eine Mal, Aleseus. Nimm Abstand von deinen Plänen oder unser nächstes Treffen wird ein Kampf, den du nicht gewinnen kannst.“ „Und wenn du doch so stark bist, warum hältst du mich dann nicht jetzt auf?“ wollte er von ihm wissen. Auch wenn er nicht gerade so klang als würde er diesen gegen ihn schmächtigen Jungen als mächtiger ansehen. „Ich weiß, mein Vater hat dir viel Wissen gegeben“ antwortete er ruhig. „Aber es gibt Dinge, die weiß nur ich.“ „Na, wenn das so ist“ lächelte er spöttisch und trat ein paar Meter zurück, wand seinen heißblauen Blick dann zurück auf Atemu, der den Rest nur noch hilflos verfolgt hatte. Er konnte es einfach nicht fassen, was mit seinem treuen Priesterchen geschah. „Atemu“ sprach er in einem verliebt ruhigen Ton. „Ich komme bald zu dir. Du wirst sehen. Es wird sich alles zum Guten für uns wenden. Wir werden wieder zusammengehören. So wie früher.“ „Warum tust du uns das an?“ hauchte er mit aufsteigenden Tränen. „Ich liebe dich“ verabschiedete er sich, deutete eine Verneigung an und schon toste der Sand um ihn zu allen Seiten. Er schlug ein paar Mal kräftig mit seinen mattweißen Schwingen, erzeugte eine Menge Wind und verschwand dann in Richtung der Sonne. Fort, um weiter seine Pläne zu verfolgen und seinen Pharao so glücklich zu machen, wie er es früher war. „VERDAMMT! HÖR MIR DOCH ENDLICH ZU!“ schimpfte Yami, ließ sein Puzzle aufleuchten und schickte ihm wie Blitze so helle Lichtsäulen hinterher. Es sah aus als würde er ein Lasso nach ihm auswerfen. Er wollte nicht, dass er ging. Er wollte, dass er blieb und sich zur Vernunft bringen ließ. Für gewöhnlich war dies die einzige Macht, die einen so starken Magier augenblicklich niederringen konnte und es hatte bisher immer funktioniert. Nur dieses Mal nicht. Selbst geschockt, musste Yami beobachten wie seine Macht scheinbar an ihm abprallte, gen Boden fiel und noch in der Luft verglühte. Genau wie damals als er ihn nicht aufhalten konnte, vom Balkon zu fliehen. Als wäre es gar nichts. Diese Lichtfesseln hatten ihn bisher immer aufgehalten, waren etwas woraus er nicht entkommen konnte. Und nun? Nun war es als hätte es sie nie gegeben. Die ursprüngliche Kraft des Pharaos war wirkungslos. Mit einem Mal. „Ich konnte ihn nicht aufhalten“ klagte er, als er seine Freunde ansah. „Ich kann ihn einfach nicht aufhalten! Er ist wahnsinnig! Ich kann sagen, was ich will! Warum funktioniert es nicht? Was ist mit meiner Macht? Ich kann ihn nicht aufhalten!“ „Doch, das kannst du“ tröstete Sethan mit ruhiger Stimme. „Und du wirst auch bald wissen, wie.“ „Aber er ist wahnsinnig!“ rief er voller Tränen. „Aber du bist es nicht. Und das ist es, was zählt.“ „Ich bin völlig machtlos! Ich kann nicht ...“ „Hey, Alter.“ Joey legte ihm seine Hand auf die Schulter und nahm ihn dann tröstend in den Arm. „Ist doch alles okay. Wir schaffen das schon. Wir haben bisher doch immer alles geschafft.“ „Aber da hieß unser Gegner auch nicht Aleseus“ weinte Yami und nässte Joeys Schulter langsam ein. „Warum er? Warum ausgerechnet er? Hätte Seth sich nicht einen anderen suchen können, der gegen mich kämpfen soll? Warum er? Warum ausgerechnet er?“ „Weil die Hohepriester die natürlichen Feinde ihrer Pharaonen sind“ fand Sethan die passendste Erklärung. „Aber man muss seinen Gegner nicht töten, um ihn zu besiegen. Man muss ihn nur genug lieben.“ **Für die Detektive unter euch: Das war ein Hinweis. ^^** „Und warum hast du ihn jetzt einfach so gehen lassen?“ warf Jonny ihm vor. „Wir hätten uns ne Menge Arbeit gespart, wenn du die Sache jetzt beendet hättest.“ „Wie gesagt, es gibt Dinge, die weiß nur ich“ zwinkerte er froher Dinge aufgelegt. Aber dann sah er Tato an, der noch immer in den Himmel blickte und vor Wut leise schnaubte. „Und dir danke ich, Onkel Tato“ sagte er leise. „Du hast dich zurückgehalten. Ich weiß, dass dir das sehr schwer gefallen ist.“ „Das nächste Mal mache ich ihn kalt“ zischte er und drehte sich beleidigt um. Mit seinem einseitig belasteten Rücken humpelte er auf die noch immer geöffnete Luke zu und sonderte sich ein Stück von der Gruppe ab. Es war ihm wirklich schwer gefallen, nicht auf Seth loszugehen. Er gab ihm noch immer Mitschuld an dem Tod seiner Frau und seines Sohnes. Hätte Phoenix sich nicht an ihm festgehalten, wäre es sicher anders gekommen. „Ach, Mann. Da haben wir uns ja wen ausgesucht, was?“ seufzte Yami und legte dem armen Phoenix seinen Arm um die Hüfte. Der sah auch so aus als wolle er jeden Moment weinen. Immerhin hatte sein Vater ihn mit seinen Worten und seiner Ignoranz tief verletzt. Dabei sehnte er sich so sehr nach seiner Wertschätzung. „Ich hab ihn mir nicht ausgesucht“ flüsterte er mit bebender Stimme. „Warum kann er mich nicht lieben? Ich kann doch nichts dafür, dass ich so bin.“ „Hey, du bist gut so wie du bist, Spatz“ meinte Jonny. „Lass dir von ihm nichts einreden. Der hat doch keine Ahnung.“ „Eben“ tröstete ihn auch Balthasar. „Du bist ein topp Fighter, da kann sich so mancher noch ne Scheibe abschneiden. So don’t worry, Brother.“ „Du hast ja auch leicht reden ... du mit deiner Kraft“ flüsterte er zurück und trat lieber einen Schritt zur Seite, um sich an Sethans Arm zu hängen. „Na, dann kommt mal ins Kühle, ihr Hitzköpfe“ seufzte Sethan die anderen an und führte sie Tato hinterher hinab ins kühle, dunkle Grab. Balthasar seufzte nur tief und versuchte schon gar nicht mehr, seinen Bruder zu trösten. Egal, was er sagte, es würde immer das falsche sein ... Im Inneren der dunklen Katakomben war zuerst gar niemand zu sehen. Wahrscheinlich war alles noch in hellem Aufruhr und woanders unterwegs. Sicher hatte auch Seth hier mehr gewollt als nur kurz mal ein Teechen trinken. „Wow, es hat sich echt nichts verändert“ stellte Sharesa zuerst mal fest. „Aber leben will ich hier unten ja auch nicht“ meinte Jonny. „Echt mal. Grabwächter wäre kein Job für mich.“ „Dafür gibt es ja auch die Ishtars“ sprach Dakar ganz ruhig. „Also, Sethan. Was genau willst du hier?“ „Da entlang“ zeigte er und ging auch gleich voran. Er schien genau zu wissen, wo er hinwollte und wo es lag. Und das war wichtig. Immerhin war das hier ein großes Labyrinth, in welchem sich selbst Eingewiesene manchmal verliefen. Sie gingen die dunklen, leicht feuchten Gänge entlang, atmeten die kalte Luft und bogen mal hier und mal dort ab. Einige der Gänge waren kahl und schroff oder glatt geschliffen und mit Fackeln behängt. Nicht mal alle Fackeln waren angezündet. An manchen Ecken war es stockduster und umso anders fühlte man sich, wenn man plötzlich im die Ecke wieder ein paar prächtige Gänge hatte. Diese waren dann reich geschmückt mit Gold an den Wänden, feinen Zeichnungen in tausend Farben, mit gewebten Teppichen behangen oder kunstvoll mit Kerzen beschienen. „Für ein Grab ja nicht schlecht“ staunte Jonny mit großen Augen. „Ich meine, die Ägypter haben ja echt Sinn für Grabmähler was?“ „Die meisten Pharaonen haben ja mehr geprotzt“ erklärte Mokeph. „Ich meine, die Pyramiden sind ja wirklich reines Geprotze. Eigentlich sind die Gräber dafür gedacht, den Körper des Verstorbenen zu bewahren, damit er im Jenseits weiterleben kann. Und der viele Schmuck und die Kunst sind das, was man im Jenseits besitzen soll. Dies aber überall zur Schau zu stellen, ist Angeberei. Oder, Atemu?“ „Das war bei uns anders“ erinnerte er sich. „Meine Vorfahren haben alle unterirdische Gräber, um vor Grabräubern sicher zu sein. Ich weiß nicht mal, wo genau mein Großvater überhaupt begraben liegt. Als Kind war ich bei seiner Beisetzung und weiß, dass seine Grabkammer reich geschmückt war. Sie wurde nur geöffnet, um ihn zu Großmutter zu legen. Aber danach wurde alles zugeschüttet und es gab nur wenige Eingeweihte. Meist waren die Eingeweihten sehr alte Männer mit todbringenden Krankheiten, die mit ihrem Geheimnis bald verstarben und sich durch die Arbeit am Königsgrab einen Platz in Rahs Reich erhofften. Die Grabräuber waren schon damals die größte Gefahr für das jenseitige Leben. Deshalb sind die Pyramiden wohl auch alle geplündert. Aber diese Dinger wurden erst Jahrhunderte nach mir erbaut. Uns wäre es nie in den Sinn gekommen, ein so offensichtliches Grab zu bauen.“ „Aber das hier ist ja mehr als nur ein Grab“ sprach Mokeph. „Normale Gräber sind nicht so weit verzweigt und haben eigentlich auch keine Wächter, die über Generationen darin leben. Hier liegt doch noch etwas anderes als nur dein Körper.“ „Was heißt denn ‚nur’ mein Körper?“ schaute Yami ihn an. So war das zwar nicht gemeint, aber bevor Mokeph sich noch erklären konnte, huschte ein Gespenst vorbei. Sie waren gerade an einer Abzweigung angekommen, als direkt vor ihnen ein weißer Schein von links nach rechts wuselte. „Hey, Marik!“ rief Tristan, der ihn wohl gerade noch erkannt hatte. „WAS?!“ Okay, er hatte sie aber wohl nicht gesehen. So hörte man ein paar noch schnellere Schritte und gerade als sie um die Ecke biegen wollten, war er auch schon wieder zurück zu ihnen gekommen. Er war etwas aus der Puste, strich sich sein platinblondes Haar zurück und ordnete sein Grabgewand, welches nicht wirklich weiß, sondern eher beige war. „Was macht ihr denn schon hier? Ich dachte, ihr kommt erst morgen.“ Da fielen ihm auch die anderen ins Auge, die er nicht kannte. Und er zwinkerte doch ein paar Mal. „Und wer seid ihr alle?“ Speziell als er Tato anblickte, der seinem Vater ja nun zum Verwechseln ähnlich war, wenn auch ein paar Jahre älter. Aber er schüttelte erst mal den Kopf, verneigte sich und küsste Yami die Hand, wie es sich doch so gehörte. „Herzlich willkommen. Schön, dich gesund wiederzusehen, mein Pharao.“ „Hallo Marik“ lächelte Yami und damit waren die wichtigsten Formalitäten auch erst mal erledigt. „Darf ich dich vorstellen?“ „Ja, bitte“ nickte er und sah die anderen wieder fragend an. Er wusste zwar, dass einige vorbeikommen würden, aber auf das hier war er nicht gefasst gewesen. „Na gut. Also, das ist Besuch aus der Zukunft. Etwa 38 Jahre entfernt von hier.“ „Okay ...“ Das musste er erst mal so hinnehmen. Hörte sich zwar relativ abstrus an, aber wenn Yami ihm das so ehrlich sagte, hatte er daran nicht zu zweifeln. „Aber Seto hat in seiner Mail gar nichts davon erwähnt.“ „Das ist mein Verschulden“ outete Tato sich alsgleich. „Die Mail war von mir. Ich hab nur Mamas Account benutzt. Entschuldige, bitte.“ „Ähm ...“ „Das ist Tato“ half Yami dem überrumpelten Oberhaupt der Grabwächter lachend auf die Sprünge. „Und die beiden Wuschel dort sind Sharesa und Dakar. Die Kinder von Tea und Mokeph. Das dort ist Jonny, der Sohn von Joey und Sara. Die beiden Jungs da sind Balthasar und Phoenix, die Zwillinge von Seth und Marie. Und der hübsche Bursche hier“ zeigte Yami. „Das ist Sethan.“ „Herrje ... entschuldigt, aber ich ...“ Und vor Verlegenheit musste er sich doch mit einem Lachen entschuldigen. „Sorry, ich bin etwas überrascht.“ „So ging es uns auch“ meinte Joey. „Aber man gewöhnt sich ganz schnell daran.“ „In Ordnung. Darf ich?“ Er streckte Sethan respektvoll seine Hand entgegen und hauchte einen Kuss darauf, als er auch seine gereicht bekam. „Wie darf ich dich ansprechen? Prinz oder Pharao?“ „Korrekter Weise nur Prinz. Gekrönt bin ich nämlich nicht“ lächelte er als Marik sich wieder erhob. „Aber Sethan reicht. Bitte frei von Etikette, ja?“ „Danke“ lächelte er zurück und trat auch noch einen Schritt zur Seite, um sich ebenfalls vor Tato zu verneigen. Aber ihm hob er seine Hand nur entgegen, ohne ihn zu küssen. Musste wohl auch eine altägyptische Begrüßung sein. „Schön, dich zu sehen, Marik“ brummte auch Tato und legte ihm die Hand ans Kinn, um ihn wieder hinaufzuziehen. Manchmal waren solche Begrüßungen eben doch aufschlussreicher als ein Handschlag. „Und was kann ich für euch tun?“ fragte er dann frei heraus. „Wisst ihr ... wir hatten eben einen ebenfalls etwas überraschenden Besuch.“ „Ich weiß. Wir haben ihn draußen getroffen“ meinte Tristan, denn es war klar, von wem Marik sprach. „Hast du eine Ahnung, was er hier wollte? Ich meine ... er ist merkwürdig, oder?“ „Merkwürdig ist untertrieben“ war auch seine Meinung. „Ich weiß nicht, was er hier wollte. Natürlich ist uns jeder Hohepriester immer willkommen, aber so unangemeldet, waren wir doch etwas überrumpelt. Er hatte es auch ziemlich eilig. Er war nur kurz hier und hat nicht viel gesprochen. Zuerst war er in der Grabkammer und hat sich seinen alten Schmuck, sowie einige Kleidung zurückgeholt. Dann ist er in den Katakomben verschwunden und eben rief meine Schwester nach mir. Wir wissen nicht genau, was er getan hat.“ „Er hat sich Kleidung geholt?“ fragte Jonny skeptisch nach. „Ist denn die Kleidung, die seit 5000 Jahren in der Grabkammer liegt nicht schon lange unbrauchbar?“ „Nein, gar nicht“ schüttelte er den Kopf. „Wir tauschen sie alle zehn Jahre gegen neue aus. Ebenso wie wir alle zehn Tage frische Speisen in den Vorraum stellen.“ „Oh, das könnt ihr aber abstellen“ bat Yami. „Ich wusste nicht, dass ihr das immer noch macht. Seth und ich sind doch beide lebendig.“ „Ja, wissen wir“ lächelte er. „Aber es ist doch so üblich, um eure Seelen zu versorgen. Und ich will mir nicht vorhalten lassen, die alten Gebräuche nicht zu pflegen. Sonst hätte Aleseus mich wohl persönlich gerufen, wenn ihm etwas sauer aufgestoßen wäre. Aber er hat nichts gesagt. Die frische Kleidung war ja immerhin seinem jetzigen Körper angepasst. Aber ein Lob gab es nicht“ seufzte er und fuhr sich erneut das Haar aus dem Gesicht. „Aber wie gesagt, was ...“ „Marik!“ rief eine weibliche Stimme über den Flur. Ishizus Stimme. „Wo bist du denn? Wir brauchen dich, um ...“ „Halt doch mal die Klappe, du blöde Zicke!“ shoutete er zurück. Aber jeder, der sich im ersten Moment über den Ton wunderte, wunderte sich auf den zweiten Moment nicht mehr. Marik würde seine große Schwester niemals so anschreien. Malik hingegen schon. „Hallo, alte Krampfader“ lachte Joey. „Was geht ab?“ „Gar nichts“ kämpfte Marik ihn auch schon wieder zurück und atmete tief durch. „Och Mann“ grinste Yami. „Ich hätte mich gern ein bisschen mit ihm unterhalten.“ „Mit dem kannst du dich derzeit nicht unterhalten. Der hat seine Tage“ meinte Marik entnervt. „Es ist schrecklich. Er und Ishizu kotzen sich nur noch an, wenn Odion nicht ständig dazwischensteht. Wird Zeit, dass er bald wieder zurück ist.“ „Warum, wo ist er denn?“ wollte Yami wissen, als Marik nickte und sie gemeinsam seinen Weg weitergingen. „Einkäufe in Fahd Adh erledigen. Hätte ich gewusst, dass heute so viel los ist, hätte ich ihn nicht gehen lassen.“ „Und seine Freundin? Pama?“ „Pama ist natürlich mitgegangen“ schmunzelte er. „Die beiden sind doch unzertrennlich. So hab ich meinen Bruder noch nie erlebt. Seit sie hier ist, scheint er richtig zufrieden und ausgeglichen. Ich freue mich für ihn.“ „Und bei dir?“ wollte Joey neugierig wissen. „Irgendeine Frau in Aussicht?“ „Ich bin ja froh, wenn ich überhaupt mal Aussicht hätte. Eigentlich wollte ich demnächst für einige Wochen verreisen und verschiedene Ausgrabungsstellen besuchen, die das Forschungsministerium bewilligt hat. Um zu sehen, ob sie nicht irgendetwas mitnehmen, was uns gehört. Hauptsächlich Schriftrollen oder wichtige Gegenstände aus der goldenen Epoche. Die sollten lieber bei uns sein als in Besitz der Regierung. Aber ich werde wohl doch Odion schicken. Ich meine, derzeit kann ich hier schlecht weg.“ „Du bist aber sehr pflichtbewusst“ meinte Tristan. „Sei doch mal ehrlich. Ist es nicht etwas belastend, Tag um Tag hier zu sein und keine Möglichkeit zu haben, eine weibliche Bekanntschaft zu machen?“ „Es ist nicht ganz leicht, aber die Pflicht geht vor“ seufzte er doch ein wenig bedrückt. Immerhin war er auch ein junger Mann, der gern gewisse Erfahrungen machen würde. „Wenn es an der Zeit ist, wird Rah mich bedenken. Das hoffe ich zumindest.“ „Davon bin ich überzeugt“ tröstete Yami. „Das darfst du auch sein“ lächelte Sethan. „Marik, in unserer Zukunft hast du nämlich eine tolle Tochter, die deinen Platz einnimmt. Falls dir das ein Trost ist. Du sorgst also durchaus für einen Nachfolger.“ „Eine Tochter?“ schaute er überrascht auf. „Aber es ist unüblich, ein weibliches Oberhaupt zu haben.“ „Tja“ lachte er und zuckte mit den Schultern. „Ich kann dir nur sagen, dass du es so beschlossen hast und sich die Pharaonen damit einverstanden erklärten.“ „Marik!“ Da tauchte ein junges Mädchen mit tiefschwarzem Haar im schlichten Laken vor ihm auf, stutzte aber als sie den ungewöhnlichen Besuch sah. Sie machte ganz große Augen und ließ fast die Fackel fallen, welche sie mit sich trug. „Begrüße den Pharao“ flüsterte er ihr zu und sofort kniete sie sich ausgesprochen tief vor Yami. „Ich grüße den Pharao Atemu und sein Gefolge“ sagte sie folgsam, auch wenn ihre junge Stimme bente. „Sehr schön. Gut gemacht, Nirapai“ lobte er sie und hob sie vorsichtig wieder vom kalten Boden auf. „Was möchtest du denn von mir?“ „Ishizu sucht dich“ erzählte sie ihm aufgeregt. „Sie sucht dich in allen Gängen. Du sollst schnell in den Westkreis kommen.“ „Wenn du sie siehst, sag ihr, ich bin schon unterwegs“ bat er, klopfte ihr auf die Schulter und schon lief sie weiter ihrer Wege. „Sie ist die Nichte von Ephrat“ erklärte er gleich beim Weitergehen. „Ihre Eltern sind bei einem Erdbeben vor zwei Monaten umgekommen. Ephrat bat darum, sich um sie kümmern zu dürfen und da wir derzeit niemanden entbehren können, blieb ihm nur die Möglichkeit, sie hier herein zu holen oder in ein Waisenheim zu geben. Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, denn wenn sie erst hier ist, kann sie nicht so einfach wieder gehen. Aber nun ist sie hier und lebt sich langsam bei uns ein. Für sie tut es mir leid, aber für uns ist es gut, denn wir brauchen Kinder, die sich ans Grab binden lassen. Wir sollten uns rechtzeitig über die nächste Generation Gedanken machen.“ „Ephrat ist der Grabdiener mit der Narbe am Arm, oder?“ meinte Tristan sich zu erinnern. „Ein sehr zurückhaltender, aber freundlicher Mann“ nickte er. „Seine Mutter war schon damals im ... oh je.“ Da sah er die Bescherung, als er um die Ecke trat. Es war ein Gang, der auf den ersten Blick völlig verwüstet schien. Die Wände wie aufgebrochen und es waren überall Steinbrocken zu Boden gefallen. Als wäre hier jemand mit einem Presslufthammer durchgelaufen und hätte wahllos mal hier und mal dort etwas zerstört. Was den Blick des Familienoberhauptes aber am meisten fesselte, war die Tür ganz am Ende. Scheinbar hatten dort einst zwei Säulen gestanden, wovon aber eine umgestürzt und die andere stark beschädigt schien. Die überbreite, überhohe Tür stand weit offen und zeigte in ihrem Inneren nichts als schwarz. Es war aber kein Schatten, sondern schlicht unbewegliche Dunkelheit als würde darin eine sternenlose Nacht herrschen. Man konnte es nicht beschwören, aber es waberte ein dunkler Hauch am Stein entlang. Nicht sichtbar, aber wie ein Wind, wie eine Ahnung beschlich es einen, je näher man kam. „Jetzt wissen wir ja wohl, was Seth hier getrieben hat“ meinte Jonny. „Er ist hier durchgewütet.“ „Nein, das war nicht er. Jedenfalls nicht alles“ vermutete Marik und hielt Balthasar an der Schulter fest, damit er nicht weiterging, worauf auch die ganze Gruppe stehen blieb. „Er hat die Schattentore geöffnet“ stellte Yami fest, was aber eindeutig eher an Marik gerichtet war. „Dann sieht es im Ostgang sicher nicht anders aus“ befürchtete der. „Verdammt, warum tut es so was?“ „Viel eher wüsste ich gern, wo er diese Macht her hat“ fragte er sich. „Die Tore zu öffnen, vermag nur ein Pharao oder derjenige, der die Erlaubnis hat. Also nur Yugi, du und ich. Nicht mal unsere Hohepriester haben eine ausgesprochene Erlaubnis.“ „Aber weißt du, wer sie noch öffnen kann?“ schaute er ihn böser Ahnung an. „Jemand, der vom besitzenden Gott beauftragt ist“ antwortete Yami ihm ebenso unheimlich. „Dann hat er die Tore für den Gott Seth geöffnet. Wenn das so ist, lassen sie sich vor der nächsten Mondfinsternis nicht schließen. Wann ist denn die nächste?“ „In drei Jahren. So ungefähr, denke ich“ antwortete Marik. „Dann muss ich den Bereich solange absperren lassen bis ich einen Weg finde, sie wieder zu schließen. Bevor Mächte auf die Erde kommen, die hier nicht hingehören ... oder umgekehrt.“ „Wer sagt denn, dass du sie schließen musst?“ mischte Sethan sich ein und wurde nicht nur von Marik, sondern auch von Yami mit einem mehr als fragenden Blick bedacht. „Natürlich müssen wir die Schattentore wieder schließen“ argumentierte der alte Pharao. „So eine Verbindung sollte es nicht geben. Du weißt wohl nicht, was sonst passieren kann.“ „Was denn?“ fragte Jonny freimütig heraus. „Ich sehe da nur eine offene Tür.“ „Hier im Grab liegen mehr Geheimnisse als zu vermuten wäre“ erklärte Sethan und zeigte, dass er durchaus sehr wohl bescheid wusste. „Dieser Ort hier ist eine Verbindung zwischen der Erde und dem Götter-, sowie Totenreich. Genau deshalb liegt hier auch das Grab des goldenen Pharaos. Und dies dort“ nickte er wissend nach vorn. „Dies ist viel mehr als nur eine offene Tür. Dies ist die Tür des Westens und sie führt durch die Welt der Schatten hindurch und in die Unterwelt des Gottesreiches des Seth. Ebenso wie die Tür des Ostens durch das Schattenreich hindurch direkt in seinen Himmel führt. Wenn sie geöffnet bleibt, können die Götter des Seth leichter ihre Macht auf der Erde ausüben oder eventuell gar selbst in einem eigenen Körper niederfahren. Vorausgesetzt, dass genug Schattenübergewicht auf der Erde herrscht, was derzeit eindeutig der Fall ist.“ „Dann will der Gott Seth, dass unser Seth die Türen öffnet, damit seine Götter auf die Erde können?“ „Ich denke, das ist nur mehr ein Nebeneffekt“ vermutete Sethan. „Es geht um die Macht, die er dadurch ausüben kann. So können die Schatten leichter auf die Erde und wieder zurück. Es stärkt sie, ähnlich wie in ihrem eigenen Schattenreich. Denn Schattenreich und Erde nähern sich dadurch an. Er erreicht dadurch einfach mehr Einfluss und kann die Pläne seines Sohnes leichter unterstützen.“ „Dann war es gar nicht mein Fehler“ bemerkte Yami, der langsam nachkombinieren konnte. „Ich wollte ihn zurückhalten. Doch obwohl meine Fesseln ihn bisher immer seiner Kraft beraubt haben, konnte er sie einfach abschütteln als wären sie nichts. Es ist, weil das West- und das Osttor geöffnet sind. Es schwächt meine Macht und stärkt die des dunklen Seth.“ „Und der hält eine schützende Hand über seinen Sohn“ nickte Sethan. „Mit Kraft kannst du ihm derzeit nicht beikommen.“ „Aber wie denn dann?“ wollte er verzweifelt wissen. „Wenn er meine Worte nicht versteht und meine Macht ihn nicht übertrumpft? Wie soll ich ihn denn noch aufhalten, die Zivilisation zu vernichten? Wie soll ich das machen, wenn die Macht des Pharaos nichts mehr wert ist?“ „Das ist das Rätsel, welches du lösen musst“ antwortete Sethan gelassener als es der Situation entsprach. „Wir sind auch nicht hier, um gegen Seth zu kämpfen, sondern um die Zukunft zu verändern. Und deshalb möchte ich das Süd- und das Nordtor öffnen.“ „Das wird doch aber etwas viel“ gab Marik skeptisch zu bedenken. „Lass uns lieber noch warten und bei nächster Gelegenheit diese Tore wieder schließen. Das wird das Gleichgewicht auch wieder herstellen.“ „Ohne Engel können wir das Gleichgewicht niemals wirklich wieder herstellen. Deshalb müssen wir auch Atemu und Yugi in Sicherheit bringen“ argumentierte er dagegen. „Außerdem möchte ich dich bitten, die Tore nicht zu schließen. Ich möchte, dass alle vier Tore geöffnet bleiben.“ „Bitte, was?“ Marik war erschrocken. Alle vier Tore offen halten? Das wäre wie eine Verschmelzung von Götter- und Menschenwelt. Es hatte seinen Grund, weshalb die Tore seit ihrer Schaffung geschlossen blieben und streng bewacht, sowie geheim gehalten wurden. Sie alle vier zu öffnen, schien ihm unverantwortlich. „Ich denke, so langsam solltest du uns in deine Pläne einweihen“ bat Yami. „Alle vier Tore zu öffnen und offen zu halten, ist auf Dauer zu viel. Nicht nur für die Erde, sondern auch für uns Pharaonen. Wir sind ohne Engel eh schon schwer belastet, aber nun auch noch zusätzlich nicht nur die Energie der Erde, sondern auch noch die Ausläufe der beiden Gottesreiche zu lenken, das halten wir nicht lange durch.“ „Es soll ja auch nicht für lange sein“ beruhigte er und blickte ihn bittend an. „Bitte vertraue mir, Atemu. Wenn mein Plan aufgeht, wird die Erde durch mich eine Chance erhalten, wie es sie nie wieder so geben kann.“ „Und wenn dein Plan nicht aufgeht?“ fürchtete er. „Dann werden wir alle mit der modernen Welt kläglich zugrunde gehen“ lächelte er unpassend fröhlich. Das waren ja keine tollen Aussichten. Es breitete sich ein kurzes Schweigen aus nach dieser Äußerung. Anscheinend hatten nicht mal Sethans Begleiter eine Ahnung davon, was genau er plante. Und es war schwer, jemandem zu vertrauen, der so undurchsichtig war. Sicher, er war Ninis Sohn und insofern einer von ihnen. Aber er war auch der fleischliche Sohn des dunklen Seth und insofern ein begabter Verführer. Es war nicht sicher, ob er wirklich für oder gegen sie kämpfte und diese Ungewissheit und Verschwiegenheit machte es nicht leichter, ihm zu vertrauen. „Sethan“ sprach Yami mit fester Stimme. „Bitte schwöre mir, dass du nichts vorhast, was gegen unsere Interessen ist. Dass du nicht für deinen Vater arbeitest.“ „Ich arbeite weder für Vater, noch für Rah, noch für euch. Nur für das, was ich als richtig empfinde“ antwortete er. „Aber was ich dir versprechen kann, ist, dass ich die Opfer so gering wie möglich halten will. Ich will weder Menschen töten, noch Dunkelheit bringen. Was ich will, ist Frieden und euer Vertrauen.“ „Ich glaube ihm. Wenn dir das hilft“ meldete sich Tato nach langer Schweigsamkeit zugunsten seines Neffen. „Sethan ist vielleicht nicht gerade durchschaubar und noch sehr jung, aber ich glaube ihm seine Worte. Und deshalb bitte ich für ihn, dass auch ihr ihm glaubt und ihm vertraut.“ „Danke, Onkel Tato“ erwiderte er, fasste seinen Arm und lächelte an ihm hinauf. Diese Worte bedeuteten ihm viel. Tato ergriff selten für jemanden ein gutes Wort und es war eine große Wohltat, einen mächtigen Mann wie ihn auf seiner Seite zu haben. Zumal das Verhältnis zu ihm wegen der neuen Machtverhältnisse eh ein wenig angespannt war. Aber er gab sich alle Mühe, ihm ein guter Leih-Priester zu sein. „Na gut“ seufzte Yami besiegt. „Wenn Tato das sagt, dann lasse ich dich mal schalten und walten. Ich denke, das wird auch in Yugis Sinne sein.“ „Dank dir, Atemu“ nickte er und wand sich dann wieder an Marik. „Dann lass bitte die Tore offen, ja?“ „Natürlich. Wenn der Pharao es so möchte“ antwortete er mit Seitenblick auf Yami. Letztlich war er als Grabwächter ähnlich wie ein Hohepriester immer dem regierenden König unterwiesen. „Dann lasst uns rüber gehen und danach zurück zum Flugzeug, bevor die anderen uns als vermisst melden.“ „Und wohin rüber?“ wollte Jonny wissen und trabte Sethan fröhlich hinterher. „Rüber zum Nordtor und dann zum Südtor“ antwortete er. „Wenn du zum Nordtor gehst, gehe ich zum Südtor“ bot Yami an. „Wenn jeder eines öffnet, sind wir schneller durch.“ „Das ist eine gute Idee“ stimmte er dankbar zu. „Treffen wir uns dann gleich am Eingang wieder?“ „Jupp. Bis gleich!“ Und schon wanderte Yami in die entgegengesetzte Richtung. Tore öffnen konnte er auch locker. „Warte, ich komm mit dir!“ beschloss Joey und hoppelte ihm nach. „Du kannst auch gern mit den anderen gehen“ lachte Yami, als alle anderen in Richtung Norden davonzogen. „Ich möchte aber bei dir bleiben. Schließlich bist du ja irgendwie der Pharao zu dem ich eher gehöre. Oder was meinst du?“ „Sehe ich auch so“ schloss sich auch Mokeph an, der sich in letzter Sekunde auch eher dazu entschlossen hatte, mit Yami zu gehen und den beiden nachlief. „Du bist unser Pharao, also bleiben wir an deiner Seite. Sethan hat seine eigene Begleitung.“ „Ja, ist schon irgendwie komisch“ überlegte Joey mit nachdenklichem Blick auf den Boden. „Hättet ihr gedacht, dass wir mal unsere eigenen Kinder als Erwachsene treffen? Ich finde, das fühlt sich merkwürdig an. Aber das kann ich denen ja nicht so sagen.“ „Ich glaube, sie wissen schon, dass wir uns daran erst gewöhnen müssen“ meinte Mokeph. „Ich hab mich gestern ausgiebig mit Sharesa unterhalten und sie sagte, dass es natürlich auch für die anderen ungewohnt ist. Uns kennen sie nur als ältere Leute und sehen uns hier so jung. Ich glaube, die Situation ist für alle nicht leicht.“ „Zumal ihr ja beide ganz eigenartige Verstrickungen habt“ vermutete Yami. „Dass Joey noch mal wieder mit Sara zusammenkommt, lässt sich im Moment gar nicht denken und ... „Nein, gar nicht!“ betonte der noch mal emsig. „Ich liebe Narla total. Für Sara sind null Gefühle da. Also so Freundschaft schon, aber nicht s o l c h e Gefühle.“ „Solange Narla dir das glaubt, ist doch alles okay“ lächelte Yami. „Sie scheint damit ja ganz gut klarzukommen. Und Jonny ist dir wirklich ziemlich ähnlich. Ich mag ihn.“ „Ich mag ihn irgendwie auch“ kratzte er sich verlegen am Kopf. „Aber schon irgendwie komisch, dass wir im Moment ziemlich gleich alt sind.“ „Sie dir doch Tato an. Der ist sogar noch älter. Oder dein Dakar“ blickte er auf Mokeph. „Ich will dich nicht beleidigen, er ist wirklich okay, aber ... findest du nicht, dass er etwas merkwürdig ist?“ „Ich weiß nicht ...“ „Na ja, er hängt total an Tea dran“ war selbst Joey schon aufgefallen. „Außerdem hat er ganz merkwürdige Augen. Sie sind so schwarz wie deine, aber manchmal, wenn er so abwesend schaut, schimmern sie so leicht gelb. Mal ehrlich, glaubst du, dass der von Tea ist? Ich finde, er benimmt sich eigenartig. Nett, aber eigenartig.“ „Was ich merkwürdig finde, ist, dass er Magier zu sein vorgibt“ beteiligte sich auch Yami an der allgemeinen Mutmaßung. „Du bist doch Hexer, Mokeph. Es ist so gut wie unmöglich, als Hexer einen Magier zu zeugen können. Umgekehrt ist das eher der Fall, wenn überhaupt. Zumal du und Tea doch sonst nur sechs Mädchen zustande bekommen haben, wovon nur eine Hexe geworden ist. Dakar fällt aus dem Schema doch arg heraus.“ „Vielleicht hast du ja später mal was mit ner anderen Frau“ rätselte Joey. „Die muss dann aber Magierin sein. Oder, Yami?“ „So viel später kann das dann aber nicht sein“ meinte der. „Dakar ist 37. Haben die anderen doch erzählt. Wenn sie also 38 Jahre aus der Zukunft kommen, ist er bereits gezeugt oder wird es in Kürze sein. Tea hat aber gerade mal vor acht oder neun Wochen ihr Baby zur Welt gebracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt schon wieder schwanger wird, ist doch relativ gering. Also kann es sich nur um eine Magierin handeln. Aber wir kennen gar keine. Vielleicht aus dem Zirkel eine.“ „Entweder ein Seitensprung oder Samenraub“ schlug Joey vor. „Mokeph legt ne Magierin flach oder es wird wie bei Seth, dass ihm einer sein Sperma klaut.“ „Das funktioniert nicht“ schüttelte Yami seinen Kopf. „Das würde mit Seths Sperma auch kein zweites Mal klappen. Das ist nur der aller erste Erguss eines Magiers. Es sei denn, Mokephs Gift wirkt irgendwie konservierend. Aber so gut kenne ich mich da nicht aus.“ „Könnt ihr damit bitte mal aufhören“ schlug er dann doch mal dazwischen. „Ich liebe Tea und ein Kind mit einer anderen Frau kommt gar nicht infrage! Niemals! Ich würde niemals etwas tun, was sie verletzt!“ Auch wenn er genau wusste, dass es nur eine Möglichkeit geben konnte, wie er einen Sohn hätte zeugen können. Die Frau damals, sein Einmalfick. Ein einziges Mal nur und er wusste jetzt schon kaum noch wie sie aussah. Verdammt, aber er war nun mal fruchtbar und die Wahrscheinlichkeit, dass er sie zudem noch ohne Verhütung geschwängert hatte, war ziemlich hoch. Aber davon durfte Tea niemals etwas erfahren. Sie wäre verletzt und würde weinen und ihn zum Teufel jagen. Vielleicht war das der Grund, weshalb der große Dakar so sehr an ihr hing. Aber war diese Frau damals wirklich Magierin gewesen? Hätte er das nicht gespürt? Verdammt, wo kam dieser Mann mit den gelb schimmernden, schwarzen Augen her? „Ist ja gut, reg dich nicht gleich so auf“ beruhigte Joey, der eigentlich mehr Angst vor juckendem Ausschlag hatte, den man beim Mokephärgern gern mal bekam. „Wir überlegen doch nur. Wir fragen Dakar einfach nachher.“ „Das werdet ihr schön sein lassen!“ regte er sich nur noch weiter auf. Wenn sie ihn fragten und diese Sache an Teas Ohren drang. So einen Trubel wollte er nicht und konnte ihn derzeit auch nicht gerade gebrauchen. Sie würde sehr verletzt sein, wenn sie erfuhr, dass er eine andere Frau gepoppt hatte. „Ganz wie du willst“ beruhigte Yami ihn mit eindeutigen, geradezu blinkenden Fragezeichen im Gesicht. „Ist ja letztlich deine Sache. Aber früher oder später kommt Tea eh auf die Idee, ihn zu fragen.“ „Dann können wir ihn doch auch jetzt schon fragen.“ „Joseph! Nein!“ fauchte er jetzt ziemlich angefressen. „Du hältst dich da raus. Hast du mich verstanden?“ „Regt euch nicht auf, Jungs. Wir sind da“ sagte Yami, blieb stehen und wies auf eine Tür vor ihnen. „So schnell?“ war Joey doch überrascht. „Im Gegensatz zu dir kenne ich die kürzesten Wege hier“ schmunzelte er. Ja, Yami kannte sich hier unten aus. Man konnte stundenlang herumlaufen, ohne an einen Ort zwei Mal zu kommen. Aber man konnte auch in wenigen Minuten vom Einen Ende bis zum anderen gelangen. Man musste nur die richtigen Abbiegungen kennen. „Hey, das hier kenne ich!“ zeigte Joey verblüfft auf die einzige Tür, die hier noch vor ihnen war. **An alle, die mich gefragt haben, was das im letzten Teil für eine Tür war, die Joey entdeckt hat. Jetzt habt ihr die Lösung. ^^** Auch an dieser Tür waren zwei Säulen angebracht, wie bei der Tür des Seth. Nur im Gegensatz zu dem zerstörten Westgang konnte man hier noch die fein eingemeißelten Hieroglyphen erkennen und in der Mitte von allem das alles überragende Zeichen des Sonnengottes Rah. Ganz schlicht gehalten, aber kunstvoll mit viel Liebe in den Stein gehauen. Genau hier hatte er gestanden und versucht, sie zu öffnen. Aber er hatte es nicht geschafft und nun wusste er auch, weshalb. Normalsterbliche konnten ohne Erlaubnis solch eine Tür nicht öffnen. „Woher kennst du denn das hier?“ schaute Yami ihn an. „Ich bin hier mal irgendwann vorbeigekommen, als ich mich verlaufen hab“ erklärte er aufgeregt. „Die Tür hat mir einen ziemlich fiesen Blitz verpasst.“ „Dann hast du versucht, sie zu öffnen?“ „Na ja ...“ Er wusste ja, dass ungeöffnete Türen im Grab hier ein Tabu waren. Sollte er denn zugeben, dass er trotzdem versucht hatte, dahinter zu sehen? „Schon okay, du hättest sie eh nicht aufbekommen“ lachte Yami. Das war so typisch Joey. Allein sein Schweigen verriet ihn und mit seiner neugierigen Nase konnte er auch nirgends rausbleiben. Genau aus dieser Neugierde heraus besaß er ja eine Beobachtungsgabe, die manche Leute nur noch staunen ließ. Dass Dakars Augen in anderem Licht leicht gelblich schimmerten, war sicher noch niemandem aufgefallen. Aber eben weil er so neugierig war, stöberte er überall ein Geheimnis auf. Genau das war es ja, was Seto so nervte. „Was wäre denn passiert, wenn ich weiter gedrückt hätte?“ wollte er dennoch neugierig wissen. „An dieser Tür wahrscheinlich gar nichts“ lächelte Yami. „Ein paar Schmerzen vielleicht, aber nichts Bedrohliches. An Seths Tür hätte das anders ausgesehen. Kennst du die Geschichte des Grabwächters, der davon mal tot umgefallen ist?“ „Was? Nein!“ Schock! Tot umgefallen? Na, da hatte er ja Glück, dass er sich zu Rahs Tür verlaufen hatte und nicht woanders hin. „Das war Mariks Ururururururgroßonkel Phiachdemto.“ „Wie viele Urs waren das jetzt?“ „Etwa 280 Jahre ist das jetzt her“ erklärte Yami. „Also noch gar nicht mal so lange. Er war damals nicht selbst das Oberhaupt, sondern der Bruder der Frau des Oberhauptes. Er hat versucht, das Osttor zu öffnen. Beim ersten Mal brach er sich den Arm. Als er wütend gegen die Tür trat, vergiftete er sich und war tot, bevor er ganz auf den Boden fiel. Die Flüche, die darauf liegen, haben ihn getötet. Und der große Seth ist gütig, wenn er ein Mal warnt.“ „Aber das ist doch ziemlich gefährlich!“ argumentierte Joey. „Ich meine, wenn da ein Kind vorbeikommt und ...“ „Dann darf da eben kein Kind vorbeikommen“ sagte Yami ganz hart. „An den Wänden sind genügend Warnhinweise. Deshalb muss jedes Kind hier die alten Hieroglyphen lernen und wissen, wo es hindarf und wo nicht. Und sich vor allem daran halten, keine verschlossenen Türen zu öffnen. Absperren ist nicht drin, weil dann der Energiefluss verändert würde. Du kannst das Böse nicht wegsperren, sondern du musst es ebenso akzeptieren wie das Gute. Das muss jeder Grabdiener und jeder Grabwächter lernen.“ „Und wenn die Kinder das nicht lernen?“ „Dann gehören sie nicht hier her“ antwortet Mokeph für ihn. Als alter Ägypter war seine Toleranz da auch eingeschränkt. Wenn ein Kind an solch einem heiligen Ort nicht gehorchte, dann durfte es auch nicht hier sein. Da konnte ja jeder Dahergelaufene im alten Grab arbeiten - eben das durfte nicht sein. Für sozial eingestellte Menschen wie Joey durfte so etwas nicht sein. Für alte Ägypter jedoch war es eine Selbstverständlichkeit. Hart, aber so wurden die alten Mächte geschützt. „Ich finde das ungerecht“ meinte Joey persönlich beleidigt. „Man kann doch nichts dafür, wenn man neugierig ist.“ „Doch, leider schon. Wenn man’s nicht unter Kontrolle hat“ klopfte Yami ihm brüderlich auf die Schulter. Er war da ja auch so ein Kandidat, der Probleme mit Geheimnishaltung hatte. Nur mit dem Unterschied, dass das bei einem Pharao noch immer anders aussah. „Aber lass uns mal zur Tat schreiten, bevor Sethan noch schneller ist als wir. Wir alten Leute wollen uns doch nicht blamieren, oder?“ „Yami, aber eins noch“ hielt Joey ihn kurz auf, bevor er auf die Tür zuging. „Hier bricht doch gleich nicht auch alles zusammen, oder?“ „Rah ist nicht Seth“ lächelte er beruhigend und drehte sich nach vorn, um das Tor zu öffnen. Das war auch Antwort genug. Rah war zwar nicht weniger mächtig, aber wesentlich weniger furchteinflößend. Vor Rah brauchte man keine Angst haben und sicher auch nicht vor seinen Türen. Und das bestätigte sich auf eine Weise, die Joey fast schon wieder enttäuschte. Hatte er doch damals noch einen warnenden Blitz abbekommen, drückte Yami nur gegen die Tür und diese ließ sich anstandslos öffnen. Kein Leuchten, kein Knarren, nicht mal kräftiges Schieben. Gar nichts. Sie ließ sich einfach so ohne Widerstand aufmachen. Völlig unspektakulär. Er legte nur seine Hand darauf und schob ein bisschen und schon war alles vorbei. Unspannend. „Jetzt seid ihr enttäuscht, oder?“ lachte Yami die beiden glotzenden Gesichter an. „Na ja, ein bisschen schon“ gab Mokeph ehrlich zu. „Ich dachte, wir sehen vielleicht ein kleines Lichtschauspiel oder so was.“ „Ja, Mann. Drüben fegt voll die Lawine durch und hier nicht mal ein gruseliges Knarren. Was ne Verarsche“ meinte auch Joey. Er wurde von der Tür verkloppt und Yami bekam nicht mal nen Schrecken. War das ungerecht oder was? „Na ja“ schmunzelte er. „Ich darf das ja auch.“ „Und was ist da jetzt hinter? Auch das Schattenreich?“ fragte er frei heraus und hoppelte auf die offene Tür zu. Und was sah er da? Genau. Unerwarteter Weise rein gar nichts. „Ne Wand“ beantwortete er sich die Frage selbst. Direkt hinter der Tür war eine schlicht beige, flache Wand. Keine Bemalungen, keine Zeichen, kein Leuchten, gar nichts. „Wie langweilig.“ Tja, nicht alle weltbewegenden Dinge waren laut und spektakulär. Auf die kleinen, leisen Dinge kam es manchmal an. Chapter 20 Die zweite Landung jedoch brachte die Gruppe genau dorthin, wo sie auch tatsächlich planten, hinzugehen. Also keine weiteren Überraschungsbesuche in der Wüste. Der Flughafen jedoch war nicht wesentlich größer als der in Gashe. Jedoch war die Piste hier etwas befestigter, es gab mehr Mitarbeiter und sogar ein kleines Abfertigungsterminal. Zivilisation war also nicht ganz so fern. Etwas fern jedoch lag noch ihr Endziel. Vom Flugzeug aus ging es in zwei größeren Hubschraubern weiter. Sie flogen etwa drei Stunden über kleine Städte, über Meer, Küsten und Seen und sahen viel grün, grün, grün. Je länger sie flogen, desto grüner wurde die Landschaft. Bei ihrer Endlandung jedoch war die Sonne bereits untergegangen und so war von der Landschaft eher wenig zu sehen. Hauptsache die beiden Piloten in Form von Noah und Seto wussten, wo sie hinflogen und fanden auf ihren vorbereiteten Karten das richtige Ziel. Vom Flughafen aus war nämlich nach Verladen des Gepäcks auf Personal verzichtet worden. Man wollte ungestört sein und letztlich musste man sich immer vor bestimmen Leuten in Acht nehmen. Der Zirkel besaß ein unübersichtliches Netzwerk an Mitgliedern und wenn sie schon irgendwann aufflogen, so musste es ja nicht unbedingt sofort sein. Sie landeten die Hubschrauber etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang und segneten in Gedanken die moderne Technik. Ohne Nachtsichtgeräte und ein ausgeklügeltes Navigationssystem wären sie niemals so sicher am Boden angekommen. Reich sein hatte manchmal noch viel mehr Vorteile als man dachte. Jedoch so ganz unbeleuchtet landeten sie nicht. Auf dem kahlgeschorenen Grasfeld nahe eines kleinen Sees standen ein paar elektronisch betriebene Lampen und leuchteten ihnen das Feld. Ebenso wie eine Ansammlung von 15 bis 20 kleinen Häuschen aus schlichtem Ziegelstein, von welchen drei um diese Uhrzeit noch beleuchtet waren. Aus der Luft sah das nicht wie ein Dorf aus, eher wie eine Art Wohngemeinschaft. Nach der sicheren Landung öffneten sie die Türen und plumpsten nach und nach hinaus in die spärlich beleuchtete Nacht. Den Damen und den müden Kindern wurde etwas handfester geholfen und dann erst mal durchgeatmet. „Seht mal. Die Sterne!“ zeigte Tea fasziniert in den Himmel. Hier, wo die nächste Großstadt so weit weg lag, sah man noch richtige Sterne. Und zwar alle! Nicht nur die großen, sondern selbst die Milchstraße war klar zu erkennen. „Wie damals in Ägypten“ staunte auch Mokeph nach oben und hielt glücklich seine Frau im Arm. Trotz verstrichener Jahrtausende hatten sich nicht mal die Sternenbilder verändert. Als würde die Zeit am Himmel spurlos vorbeiziehen. „Papa, wo ist die Venus?“ wollte Nini neugierig wissen und zuppelte weniger müde an Yugis Arm. „Die Venus ist der Planet, wo die Liebe wohnt. Kann ich den sehen? Papa, wo denn?“ „Da, mein Schatz“ half Noah und zeigte weit nach links. „Siehst du die Sterne, die da aussehen wie ein Dreieck?“ „Nein ... wo ist denn ein Dreieck?“ „Dann vielleicht da. Den großen, der so stark leuchtet.“ „Ja ...“ Ja, den sah sie. Den großen. „Und wenn du jetzt daaaaa rüberguckst“ bewegte er mit der Hand ihren Blick noch weiter nach links. „Siehst du da zwischen den ganzen kleinen Sternen noch einen, der besonders hell und gelb ist?“ „Ja!“ staunte sie mit offenem Mund. „Ist das die Venus?“ „Ja, das ist die Venus.“ Tja, Onkel Noah wusste bescheid. „Das soll ein Planet sein?“ fragte sie dann doch etwas enttäuscht. „Die Venus ist aber klein. Viel kleiner als der Käsemond. Wo ist denn der Mars? Ist der besser?“ „Der ist genauso klein“ musste Noah sie lächelnd enttäuschen. „Den kann man auch erst nächstes Jahr wieder ein bisschen sehen. Der ist jetzt zu weit weg.“ „Dann gucken wir nächstes Jahr noch mal in den Himmel, nä?“ „Das können wir machen“ wuschelte er ihr übers Haar und nahm dann seine von Tristan aus dem Helikopter gehobene Tasche entgegen. „Bleiben wir denn lange hier?“ wollte Joey wissen, der ihm ausnahmsweise mal tatkräftig half. „Sind wir überhaupt schon da?“ „Packt nicht zu viel aus“ riet Tato und fischte sich seine Tasche selbst aus dem Lagerraum. „Wir bleiben hier nur eine Nacht und fahren dann morgen mit der Fähre rüber. Komm, Schatz. Ich helfe dir“ sagte er und nahm auch seiner Tochter die Tasche ab, weil die anscheinend selbst ziemlich müde war und sie nicht unbedingt selbst schleppen sollte. „Fähre? Was für eine Fähre?“ fragte Seto, der auch ganz gern wissen würde, was hier jetzt weiter vorging und wo sie überhaupt genau waren. Doch da wurde seine Antwort von einem alten Mann verwährt. Eine der Türen eines beleuchteten Hauses hatte sich geöffnet und er trat heraus. Beim Näherkommen sah man viel mehr als nur einen dunkelbraunen Wollmantel, sondern auch, dass er sich das weiße Haar auf seinem Haupt kürzer geschoren hatte, als sein Bart lang war. Er hielt seinen langen Mantel gegen die Nachtkälte fest geschlossen und lächelte breit, als er in seinen ausgetretenen Lederschlappen herüberkam. „Du musst Gustav sein“ begrüßte Sethan ihn gleich und ging ihm nur zwei Schritte entgegen, bevor der Alte ihn erreichte und ihm die Hand gab. „Dann seid Ihr Sethan“ lächelte er mit einnehmend großem Mund zurück. „Wir freuen uns, dass Ihr hier bei uns Unterschlupf sucht. Wir hoffen, Ihr hattet eine gute Reise ohne Komplikationen?“ „Ja, alles ist gut verlaufen“ nickte er und stellte ihn dann auch den anderen vor. „Ihr Lieben, dieser stattliche Herr ist Gustav. Er ist der Älteste hier in der Gemeinde und unser Ansprechpartner in allen Belangen. Außerdem ist er über alles eingeweiht und wir können ihm absolut vertrauen.“ „Es ist mir eine Ehre“ lächelte er und verbeugte sich ein Stück. Für seine tiefen Falten, die ein hohes Alter verrieten, schien er noch äußerst rüstig zu sein. Schwer zu schätzen, wie viele Jahre er wirklich auf dem Buckel hatte. „Du hast aber einen langen Mantel“ begrüßte Nini ihn auf ihre ganz eigene Art, hopste Yugi vom Arm und lief zu ihm hin. „So einen ähnlichen zieht mein Papa auch immer an. Aber der ist dann nicht so dick und so kuschelig. Wo hast du den gekauft? Bei einer Booti oder im Einkaufszentrum?“ „Wir haben hier leider weder eine Boutique noch ein Einkaufszentrum, Prinzessin Ilani“ lachte er sie mit seinen fast weißen Augen an. „Wir machen hier alles selbst. Diesen Mantel hat meine Tochter für mich gemacht.“ „Oh! Du hast eine Tochter?“ strahlte sie. „Wie alt ist die? Kann ich mit ihr spielen morgen? Vielleicht?“ „Meine jüngste Tochter ist 50 Jahre alt und selbst schon Oma.“ „Das ist aber alt ... werden alle Töchter mal so alt? Was meinst du? Ob ich auch mal so alt werde? Vielleicht kriege ich dann ja auch so einen Bart wie du. Mein Opa hat auch einen Bart. Aber dafür hat mein Opa auch noch mehr Haare. Aber du siehst gut aus mit so einer Glatze auf dem Kopf und noch Haare um die Ohren. Ich finde das gut. Wenn ich alt bin, will ich auch mal eine Glatze haben. Aber nur mal gucken, wie das aussieht. Danach kann ich meine Haare ja wieder wachsen lassen oder eine Perücke aufsetzen. Ich hab neulich eine Perücke gesehen mit blauen Haaren. Kannst du dir das vorstellen? BLAU! Das ist für ganz coole Mädchen, die in die Disco gehen. Zu meinem Geburtstag will ich auch mal eine Disco machen mit Musik. Willst du dann auch zu meiner Disco kommen? Du musst aber keine Perücke aufsetzen. Aber kannst du, wenn du willst. Musst du aber nicht. Das ist ja eigentlich auch nicht wichtig. Wichtig bei einer Disco ist aber, dass da ganz viel ...“ „Nini“ seufzte Yugi, war ihr nachgegangen und legte ihr freundlich die Hand auf den Kopf. Das reichte meist schon, um sie zum Schweigen zu bringen. „Fasse dich kurz“ wiederholte sie streng. „Genau. Entschuldigen Sie bitte“ bat er dann den alten Mann. „Sie ist etwas zu aufgeweckt. Vielleicht hätten wir sie an Bord lieber nicht schlafen lassen sollen.“ „Aber im Hubschrauber kann man ja nicht gut schlafen. Das ist ja so laut“ meinte Nini ganz logisch. „Aber Tato hat geschlafen. Und Thesi auch. Risa und Feli aber nicht und Joey hat geweint. Also die kleine Joey, nicht der große Joey. Das muss man immer sagen, weil sonst weiß man ja nicht, wer gemeint ist, weißt du? Also ...“ „Fasse dich kurz, Nini.“ „Ja, Papa.“ Und damit war sie dann auch wieder still. Wenn sie aufgeregt war, musste sie einfach reden und sich mitteilen. „Morgen können wir uns ja noch etwas mehr unterhalten, verehrte Prinzessin“ tröstete der alte Gustav und lächelte den Erwachsenen höflich zu. „Herzlich willkommen in unserem bescheidenen Dorf. Ihr seid sicher sehr müde von der Reise.“ „Ja, wirklich“ sprach Sethan wieder im Namen von allen. „Vielleicht können wir noch etwas essen und dann ins Bett?“ „Natürlich. Es ist bereits alles vorbereitet“ bestätigte der Alte. „Ich bitte schon im Vorwege um Entschuldigung, denn auf so große Gruppen sind wir eigentlich nicht eingestellt. Aber ich hoffe, wir konnten für diese eine Nacht eine Möglichkeit finden, welche Eure Zustimmung trifft.“ „Wir sind anspruchslos und danken dir und deinen Leuten für die kurzfristige Unterstützung und für dein Vertrauen“ gab er mit einer dankenden Verbeugung zurück. „Nicht doch. Wir sind dankbar, dass wir den Pharaonen und Euch einen Dienst erweisen dürfen. Leider sind derzeit alle für ein paar Nächte zu einer Geburt ausgereist, sodass Ihr mit meiner Frau, meiner Enkelin, mir und ein paar Kindern Vorlieb nehmen müsst. Es kreuzten sich da leider ein paar unserer Pläne.“ „Kein Problem. Wir freuen uns darauf, deine Familie bald kennen zu lernen und sind nicht böse über die Abwesenheit, Gustav. Ich kann nur wiederholen, wie verbunden ich dir bin, dass du mir sofort vertraut hast und uns zur Seite stehst.“ „Ich mische mich ja nur ungern in euren Austausch von Höflichkeiten ein“ mischte Tato sich dennoch ein und drückte seine kleine Tochter unter seinen wärmenden Mantel. „Einige von uns wären ganz froh, ein Bett zu sehen.“ „Natürlich, entschuldige“ besänftigte er ihn ruhig. „Gustav, bist du so nett und zeigst uns unser Quartier? Alles Weitere besprechen wir dann morgen.“ „Selbstverständlich. Es ist gleich hier hinten. Ich hoffe, wir haben die Betten gut abgezählt“ lachte er, drehte sich herum und führte die Gruppe über den Rand des Grasfeldes hin zu der kleinen Haussiedlung, von welcher im Augenblick nur drei Bauten beleuchtet waren. Das Haus, aus welchem er selbst eben gekommen war und zwei andere. Und zu dem Größten davon führte er sie hin. Beim Näherkommen schien es wie eine Scheune auszusehen, aber nicht ganz so heruntergekommen. Man erkannte in der Dunkelheit nicht viel, aber hier schien alles sehr gepflegt zu sein und so auch ihre Unterkunft. Beim Eintreten erkannte man mehr. Schlicht war es hier und bei Weitem kein Luxushotel. Trotzdem hatte es auf Anhieb einen ganz eigenen, einen ländlichen Charme. In dem großen Bau ohne Zwischenwände waren sehr weit oben ein paar Fenster eingelassen, welche aber durch Regen und Staub verschmutzt waren, sodass man nur schwerlich die Sterne erkennen konnte. Dafür aber den fast vollen Mond, welcher sein schummriges Licht durch die abwechselnd geöffneten Fensterchen warf. Dieses Licht vermischte sich mit dem Licht der Kerzen im Inneren. Im ganzen Raum standen Betten. An der Stirnseite zwei etwas größere Doppelbetten, ansonsten mehrere Hochbetten mit jeweils einem Schlafplatz oben und unten. Ein bisschen wie ein sehr ländliches Schullandheim aus dem beginnenden, letzten Jahrhundert. Aber die Matratzen sahen nicht aus wie aus Stroh, sondern wie gekauft und neu. Ebenso die Bettwäsche, welche durch den ganzen Raum nach Waschmittel duftete und mit seinem flauschigen Daunen hoch aufgeschlagen war. Mit den vielen Betten schien der Raum fast überladen, aber wie Gustav schon angedeutet hatte, war dieses Dörfchen nicht auf große Besuchergruppen ausgelegt. Dafür hatten sich die Bewohner aber viel Mühe mit den Schlafplätzen gegeben und auch mit dem Abendessen. In der Mitte standen zwei längliche Tische, auf welchem mehrere Laibe Brot aufgetischt waren. Dazu ein paar Platten mit Fleisch, Fisch und Früchten und kleinere Schälchen mit süß duftendem Kompott. In den runden Krügen waren sicher Getränke. Für so eine große Mannschaft war das natürlich viel Aufwand, aber in der Kürze der Zeit schienen sie ihr Bestes getan zu haben, um diese Scheune einigermaßen wohnlich zu machen. „Es ist vielleicht nicht das, was Ihr gewöhnt seid“ entschuldigte der Alte, als auch die Letzten nach und nach mit Staunen eintraten. „Aber Ihr müsst wissen, wir sind hier sehr abgeschieden und ...“ „Nein, es ist wunderbar“ unterbrach Sethan ihn dankbar. „Wir werden uns hier sehr wohl fühlen. Bitte richte deinen Leuten unseren Dank aus.“ „Das werde ich gern tun“ nickte er doch etwas erleichtert. „Habt Ihr noch einen Wunsch oder ein anderes Anliegen? Ich würde gern die Lampen draußen ausschalten, bevor unser Generator den Geist aufgibt.“ „Nein, geh nur“ lächelte er. „Wir sehen uns dann morgen früh. Und danke nochmals.“ „Sanitär- und Waschmöglichkeiten sind dort durch die Tür im Nebengebäude“ zeigte er noch kurz zu einer geschlossenen Holztür. „Wenn es irgendwelche Probleme gibt, bitte klopft einfach bei mir. Mein Haus ist das mit der grünen Tür und dem großen Giebel. Das vierte von links, wenn man davorsteht.“ „Wir werden schon alles hinkriegen. Danke, Gustav“ dankte er nochmals und begleitete ihn noch zur Tür. „Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht.“ „Dir auch. Danke.“ Und mit einem letzten Lächeln schloss der Alte die Tür hinter sich und ließ die Truppe allein. Jetzt hieß es erst mal sortieren und sich in der unbekannten Umgebung einfinden. „Woher wusste er, dass wir kommen?“ fragte Mokuba, als er seine Tasche auf dem Boden absetzte. „Ich habe ihm eine Vision geschickt, bevor die erste Gruppe bei euch eintraf“ antwortete Sethan. „Ich dachte, hier ist der beste Ort für uns. Morgen früh reisen wir noch ein kurzes Stück mit dem Boot und dann bleiben wir erst mal. Hier werden wir nur die Nacht überdauern.“ „Du sagtest, dieser Alte ist eingeweiht“ erinnerte Jonny sich. „Wie genau meinst du das? Ist er vom Zirkel, oder ...?“ „Um Himmels Willen, nein“ lachte er. „Gustav lebt seit Generationen hier mit seiner Familie für nur einen Zweck. Glaubt mir, wir können ihm vertrauen.“ „Für welchem Zweck?“ war selbst Tato etwas skeptisch. „Wäre nett, wenn du uns mal aufklären würdest.“ „Der Rest ist eine nette Überraschung“ zwinkerte er. „Aber die kommt später. Jetzt ruhen wir uns erst mal aus.“ „Ich will oben schlafen“ meldete Jonny sich sofort und schmiss seine Tasche aufs nächstbeste Etagenbett. Wer zuerst kam, schlief zuerst. „Ja, wie ist das überhaupt mit der Bettenverteilung?“ fragte Marie, die sich hier so umblickte. „Hast du da auch irgendwas geplant oder sucht sich jeder etwas?“ „Ich würde mal folgendes vorschlagen“ schmatzte Yami, der sich noch vor einem Bett lieber eine Schüssel mit Fruchtkompott geklaut hatte uns sie genüsslich mit dem Finger futterte. „Wir haben doch zwei große Betten“ zeigte er mit dem verschmierten Fingerchen. „Ich denke, die Paare mit den meisten Kindern sollten das große Bett bekommen. Der Rest sucht sich halt einen Einzelplatz. Das ist mit einem Kind doch auch zu schaffen, oder?“ „Die Idee finde ich auch gut“ meinte Nika. „Dann nehmen Seto und Yugi das eine und Tea und Mokeph das andere große Bett. Und die anderen, so wie ich, nehmen das eine Baby unter den Arm. Das geht schon. Oder, Feli?“ „Feli ...“ Die war schon halb wieder am Schlafen und hing eher müde auf ihrem Arm. Der war es wohl alles ziemlich egal, so lange es warm und in Mamas Nähe war. Die hatte sicher nichts gegen nächtliches Kuscheln. „Natürlich geht das“ meinte auch Narla und setzte sich auf das Bett, über welchem Jonny sich schon postiert hatte. „Zuhause schläft das Krümelchen ja auch bei uns im Bett. Nicht wahr, Schatz?“ „Und was ist mit mir?“ sorgte Joey sich und blickte seine Frau unverhohlen verzweifelt an. „Soll ich etwa alleine schlafen?“ „Sei nicht so selbstsüchtig. Sonst schläfst du bei mir im Bett“ grinste Yami und nach einem geschockten Block breitete Joey doch schnell seine eigene Tasche neben dem Bett von Narla aus. So wichtig war es ja nun auch wieder nicht. „Schlafen wir jetzt hier?“ wollte Nini neugierig wissen und krabbelte forschend auf eines der beiden großen Doppelbetten. „Sieht so aus. Gefällt’s dir?“ lächelte Seto und setzte sich zu ihr. Auch um den leise schnarchenden Tato vorsichtig hinzulegen und ihm die Schühchen auszuziehen, ohne dass er aufwachte. „Das ist kuschelig. Hier schlafen wir bestimmt gut“ freute sie sich und war auch flugs unter eine der dicken Daunendecken gekrabbelt. „Danke, Leute“ bedankte Yugi sich, als jeder so nach und nach in den Raum hineinging und sich ein anderes Bett suchte. „Wofür denn?“ lächelte Sethan. „Dass ich euch ins hinterletzte Eckchen der Welt ohne fließend Warmwasser schleife?“ „Nein. Dafür, dass wir das große Bett haben dürfen. Wir könnten auch ...“ „Jetzt tu mal nicht so“ meinte Yami und krabbelte in das Etagenbett über Tristan. „Zu meiner Zeit wäre es selbstverständlich gewesen, dass der Pharao selbst vor Großfamilien das komfortabelste Bett bekommt. Also bedank dich nicht. Das steht dir zu, Hikari.“ „Dann müssten wir uns ja bedanken“ lachte Tea und zog erst mal der kleinen Theresa ihr Mützchen vom Kopf. „Danke, dass du deinen Platz für uns räumst, Pharao Yami.“ „Aber falls irgendwem mal kalt wird“ grinste er gleich in die Runde. „Na ja, mit Heizung ist es hier ja eh nicht so weit her“ meinte Balthasar und nahm sich ebenfalls ein oberes Bett über seinem Bruder. Typisch Feuermensch, die mochten es nicht unbedingt gern kühl. „Soll ich dich wärmen kommen?“ lachte Yami. „Nur, wenn du dich mit meiner Freundin anlegen willst“ scherzte er zurück. „Och, jeder Mann sollte mal ein schwules Erlebnis haben. Du weißt gar nicht, was dir entgeht. Ich lasse dich auch oben liegen.“ „Das tue ich eh schon. Haaaaach ...“ seufzte er und machte sich auf seinem oberen Bett ganz lang. „Ist doch gemütlicher als es aussieht.“ „Ein bisschen wie Camping“ meinte Fernando und packte seine Klamotten aus. Mit einem leisen Knall gingen draußen dann mit einem Mal alle Lichter aus. Das war wahrscheinlich Gustav gewesen, der das elektrische Licht für die Hubschrauberlandung ausgeschaltet hatte. Jetzt gab es nur noch das Licht der Kerzen und das des hellen Mondes. „Mamaaaa?“ meldete sich der kleine Tato leise, als Seto gerade dabei war, ihm seinen Schlafanzug über den Kopf zu stülpen. Entweder davon oder von dem Knall machte er doch einen Spalt seiner Äuglein auf. „Was denn, Großer?“ flüsterte er und gab ihm einen lieben Kuss auf die Stirn. „Schlaf weiter, Knutschi.“ „Seehnsen pudsn?“ „Nein, heute brauchst du keine Zähnchen putzen. Dafür morgen zwei Mal“ versprach er. „Schlaf weiter, Tato. Papa passt auf dich auf, okay?“ „Okeee.“ Und damit war er auch so gut wie wieder eingeschlummert. „Ich mag unseren Urlaub“ beschloss Nini und nahm von Yugi ihr Nachthemd entgegen. „Wenn man keine Zähne putzen muss, finde ich das super.“ „Das wird aber nicht zur Gewohnheit“ stellte Yugi da gleich mal richtig. „Möchtest du noch was essen oder aufs Töpfchen, bevor wir schlafen gehen?“ „Nein, ich bin ohne Wunsch glücklich“ freute sie sich und zog sich auch schon ihr Kleidchen über den Kopf. „So schöne Kuscheldecken haben wir Zuhause nicht. Hier ist das zwar ein bisschen kälter, aber dafür wärmen wir uns wie die Pinguine. Nä, Papa? Wie die Pinguine, nä?“ „Genau, Mäuschen“ nickte Seto und deckte Tato mit der warmen Decke vorsichtig zu. Dem war der Tag wohl auch sehr lang geworden und so aufregend. „Pinguine wärmen sich nämlich gegenseitig“ erklärte Nini, während im Raum durcheinander alle verschiedene Sachen regelten. Mokuba ging noch mal raus, um nach den Waschmöglichkeiten zu schauen, Narla zog ihr Baby um, Yami plünderte das Büfett, andere packten ihre Sachen aus und zogen sich selbst um oder suchten sich auch noch etwas zu essen. Würde sicher nicht mehr lange dauern und jeder krabbelte müde in die Federn. Und Nini ersetzte das Abendprogramm. „Weil da, wo die Pinguine wohnen, da ist es auch immer kalt. Da schneit es die ganze Zeit und es ist immer Winter. Und deswegen stellen die sich alle immer ganz dicht zusammen. Das hat Papa mir erklärt. Weil dann bleiben immer alle gemütlich warm, auch wenn die ohne Schuhe auf dem Schneeboden stehen. Das macht denen gar nichts. Papa macht das ja auch nichts, aber der mag ja lieber keine kalten Füße. Deswegen ist er ja auch ein Drache und kein Pinguin.“ War doch logisch, oder? „Und die haben ihre Eier immer unter dem Bauch und passen mit den Füßen auf, dass das nicht auf dem Boden liegt und immer warm bleibt, weil sonst schlüpfen keine Babys. Pinguine sind sehr intellent und die sind ein Leben lang treu. Das heißt, die heiraten nur ein Mal im Leben. Süß, nä?“ „Ja, Schatz“ seufzte Yugi und half ihr, das Nachthemd richtig herum anzuziehen. So ein bisschen Hilfe brauchte sie dann eben doch noch. „So macht ihr das ja auch, nä?“ plapperte sie fröhlich weiter. „Ihr habt ja auch geheiratet und ihr heiratet nie wieder jemanden anderen. Nur ein Mal im Leben und immer treu. Nä, Papa?“ „Jupp“ lächelte Yugi und zupfte ihr die Spangen aus dem Haar. „Ich heirate nie wieder jemand anderen als deinen Vater. Ein Mal reicht mir.“ „Ein Mal reicht dir oder ein Mann reicht dir?“ frotzelte Joey. „Ich würde Seto ja eher nicht heiraten.“ „Dich hat ja auch keiner gefragt!“ meckerte eben der zurück. Jedoch in seiner Lautstärke etwas gedämpfter, damit er die Babys nicht weckte. „Außerdem würde ich dich auch nicht heiraten wollen. Du wärst mir zu anstrengend.“ „Ich glaube, ich bin pflegeleichter als du, Drache“ vermutete er und stopfte sich eine Hand voll Brot in den Mund, während er sich zu Narla aufs Bett kuschelte. „Du kannscht dasch beschtetigen. Ne Schatsch?“ „Wenn du nicht gerade alles vollkrümelst, ja“ warnte sie ihn mit heißem Blick. „Da ist mir Seto ganz lieb“ meinte Yugi. „Ist euch schon mal aufgefallen, dass er essen kann, ohne zu krümeln?“ „Nur weil er immer gleich alles quer in den Mund schiebt“ lachte Yami. „Großer Mann, großer Mund. Und noch einiges anderes, was groß ist.“ „Was denn?“ fragte Nini gleich neugierig. „Große Hände?“ „Die auch“ musste Yugi schmunzeln. Ja, so ein großer Mann hatte so manch einen Vorteil. Viel zum Lieben dran. Doch noch bevor die beiden weiter den armen Seto ärgern konnten, sprang Noah mit einem mehr als peinlich schwul kreischenden „AAAAAAHHHHHHHHH!“ sicher zwei Meter zurück und sah so aus als würde er ganz gern noch höher zu Phoenix aufs Bett hopsen. „Noah!“ atmete der Kleine und hatte sich selbst mindestens genauso erschrocken. „Was ist denn?“ schaute auch Sareth neugierig, die sich eben mit ihm ein Stück Käse teilte. „Eine Maus?“ „Nein, ne Katze.“ Es fehlte nur wenig und man hätte das Knirschen seiner Zähne bis nach draußen gehört. Dafür ging er aber dann selbst mit einem wütenden Stampfen zur Tür, riss sie auf und brüllte in die Nacht hinein. „MOOKUUBAA!“ „Wiiiiilmaaaa!“ lachte Joey. „Wo ist mein Dinoburger?“ „Halt die Klappe“ schimpfte er und wartete mit trommelnden Händen am Türrahmen. „Noah, mach die Tür zu“ bat Nika. „Es wird langsam kalt hier drin.“ „MOKUBA KAIBA! TRAB AN HIER! ABER S O F O R T!!!“ „Irks“ machte Seto nur leise und duckte schon mal seinen Kopf. Wenn der ruhige Noah wirklich mal ausflippte, wollte er das eigentlich gar nicht erleben. „Was denn, Hase?“ erschien Mokuba in der Tür, hatte ein Handtuch im Arm und seinen Bademantel an. „Ich wollte gerade unter die Dusche. Aber Wasser gibt’s nur lauwarm. Zum Glück funktioniert die Heizungstherme mit Holzscheiten. Du musst also nicht noch mal anfeuern, wenn du noch mal reinwillst. Ich bin froh, dass ich das hingekriegt habe. Hast du ...?“ „Komm mal mit, Freundchen.“ Er packte ihn am Arm und zog ihn bis zu dem Flecken, wo er eben meterweit fortgesprungen war. Nämlich zu seiner geöffneten Tasche und wies hinein. „Erklär mir das!“ „Was denn?“ guckte Balthasar von seinem Hochbett herunter. „Ui“ machte er dann doch etwas beeindruckt. „Katze?“ „Kater würde ich sagen“ mutmaßte Noah und strafte seinen Wuschel mit Todesblicken. „Wo ist das Vieh? Ich hab dir gesagt, ich will keine Viecher mitnehmen.“ „Du weißt, dass ich Happy und die Babys mitgenommen habe“ versuchte er sich herauszureden. „Die Kleinen sind doch noch so mini und Happy kann ich doch problemlos mitnehmen. Sie fährt doch sogar Auto mit mir, wenn sie nicht gerade Babys säugen muss. Wir haben doch zusammen ...“ „Ich meine das Monster“ knurrte er. „Wo ist er?“ „Hello?“ fragte er ganz unschuldig. „Wie kommst du darauf, dass ...?“ „Weil ich seine Kotze unter Millionen erkenne“ zeigte er in seine Tasche. „Lange, braune Haare. Die sind weder von Happy noch von den Babys. Wie zum Teufel kann das Vieh mir in die geschlossene Tasche kotzen?“ „Na ja, vielleicht hast du sie offen gelassen, als du dir im Flieger ein anderes Hemd angezogen hast?“ „Nein, ich hab sie zugemacht. Das weiß ich ganz sicher. Außerdem, was heißt hier im Flieger?“ „Ich hab vorhin unsere Taschen im Helikopter verwechselt“ meldete Tristan sich. „Ich wollte eigentlich eine Strumpfhose für Feli holen und hab in der Dunkelheit aus Versehen deine aufgemacht. Ich dachte, ich hätte sie geschlossen ... tut mir leid?“ „Es geht nicht um die Tasche, sondern um den Inhalt und wie der da reinkommt“ zischte er Mokuba giftig an. „Wie kann das Monster mir in die Tasche kotzen, wenn ich dir verboten habe, ihn mitzunehmen?“ „Du hast es nicht verboten“ erwiderte Mokuba leiser. „Du hast nur gesagt, ich soll ihn dir vom Leib halten.“ „Das ist doch identisch! Der Gremlin will mich wahnsinnig machen! Nicht nur, dass er mich ständig anfaucht und kratzt und mir in die Schuhe scheißt! Jetzt kotzt er auch noch meine Sachen voll! Warum immer ich?“ „Ich glaube, du riechst gut“ vermutete Mokuba. „Eigentlich mag er dich.“ „Das beruht aber nicht auf Gegenseitigkeit!“ Noah war echt verzweifelt. Von allen Menschen im Haus hasste Helloween ihn am meisten. Jeden Morgen hatte er neue Kratzer und wenn nicht morgens beim Aufwachen, dann spätestens beim Aufstehen, wenn er auf ihn drauftrat oder ihn irgendwo bei Sachzerstörung überraschte. Von den Kot- und Kotzangriffen mal ganz zu schweigen. Die Beziehung zwischen Noah und Helloween war als Kleinkrieg zu bezeichnen. „Aber Happy liebt ihn doch. Er ist der Vater ihrer Babys“ verteidigte er ihn zaghaft. Er wusste, dass Noah den Kater eigentlich schon lange im Tierheim wissen wollte. „Und außerdem ist er doch schon ganz zahm geworden. Und er hat kaum noch Flöhe. Ich hab ihn neulich gebadet und nicht einen einzigen Kratzer abbekommen.“ „Abreagiert hat er sich dann an meinen Seidenhemden“ schimpfte er. „Mokuba, ich will, dass du dieses Monster los wirst. Er stinkt, er kratzt, er faucht, er kotzt und er scheißt. Und er pisst in jede Ecke! Mal davon abgesehen, dass alle meine Klamotten voller Haare sind! Ich hasse dieses Tier!“ „Aber er kann doch auch ganz lieb sein“ versuchte er ganz kleinlaut. „Neulich lag er neben mir im Bett und hat sich sogar streicheln lassen. Er hat sogar geschnurrt.“ „Weißt du, was DAS ist?“ meckerte er und schob den Ärmel seines Hemdes hoch. Und dort prangte noch ein wunderbar roter Striemen. „DAS ist sein letzter Bettbesuch bei MIR heute morgen! Das Vieh will mich rausmobben!“ „Noah, das ist doch nur ein Tier“ versuchte Seto es leise. „Du halt dich da raus!“ schimpfte er und funkelte Mokuba wütend an. „Ich weiß nicht, wie du das Monster bis hier her geschmuggelt hast, aber ich will, dass du ihn mir ab jetzt vom Hals hältst. Inklusive meiner Sachen. Haben wir uns verstanden?“ „Jaaaa“ murrte er und senkte seinen Blick beleidigt auf den Boden. „Soll ich deinen Arm heilen oder ...?“ „Nein, das sind wichtige Beweisstücke“ schimpfte er, griff sich Mokubas Kosmetiktasche und auch das von ihm zur Benutzung gedachte Handtuch, da seine eigenen Sachen ja nun kaum noch zu gebrauchen waren und stampfte auf die Tür zu. „Und meine Sachen darfst du persönlich von Hand waschen, Herr Kaiba.“ Und damit war die Tür zu und Noah unter der kalten Dusche. „Oh oh“ sagte Yami vorsichtig. „Da hast du aber einen Einlauf bekommen.“ „Ach, der regt sich schon wieder ab“ lachte Mokuba und schien plötzlich gar nicht mehr so betroffen. „So sind Tiere nun mal. Er soll sich mal nicht so haben.“ „Na ja, in deine Tasche reihert der Kater ja auch nicht rein“ meinte Fernando. „Ich kann schon verstehen, dass er sich aufregt.“ „Ach, über sein zerfleddertes Rüschenhemd hat er sich mehr aufgeregt“ sang er fröhlich, schloss Noahs Tasche und schubste sie mit dem Fuß einfach unters Bett. Aus den Augen, aus dem Sinn. War ja nur Noah. „Aber jetzt mal wirklich, kleiner Bruder“ fragte Seto neugierig. „Wie hast du Hello bis hier her geschmuggelt, ohne dass jemand was merkt?“ „Ich bin doch gut, was?“ grinste er und griff in seine eigene Tasche nach der Haarbürste. „Jetzt ist er aber mit seiner Familie sicher verstaut. Ich hab extra die Heizung für die Babys angelassen.“ „Du weißt aber schon, dass die Batterie davon schnell leer geht und wir dann nicht mehr fliegen können?“ „Nein, nicht im Heli“ meinte er beiläufig. „Im Waschraum neben der Heizungstherme. Da hab ich bis morgen das Körbchen hingestellt. Was meinst du, warum ich als erstes wieder raus bin? Ich will doch nicht, dass die Kleinen sich einen Schnupfen holen und ...“ „MOOOOKUUUUBAAAA!“ Noahs Schreien war noch über Meilen zu hören. Sicher war er auf das Monster im Waschhäuschen gestoßen ... „Ich glaube, ich schlafe heute Nacht lieber getrennt“ lachte er und hüpfte auf das letzte, freie Hochbett. Er hatte da mehr Mitleid mit sich als mit dem armen Hasen ... Es dauerte noch eine knappe Stunde, aber dann waren alle im Bett verschwunden. Die Lichter wurden bis auf eine Notkerze gelöscht, der fast volle Mond schien romantisch durchs Zimmer herein und draußen war kaum mehr zu hören als das leise Säuseln des Windes durch die Baumkronen. So ließ es sich doch gemütlich einschlafen, selbst wenn es nicht ganz so komfortabel war wie Daheim. Und als dann noch das leise Schnorcheln von klein Tato dazukam, dämmerte jeder langsam mit einem Schmunzeln weg. Solange die Kinder gut schliefen, sollte es der Rest doch auch können. Nur als dann später mit einem Mal ein lautes Sägen einsetzte, trübte das die romantische Stimmung ein wenig bei denen, die noch nicht ganz schliefen. Während so kleine Atmer von Baby-Tato ganz süß klangen, war das ausgewachsene Schnarchen des großen Tato eine echte Qual. Tja, alle Kinder wurden eben irgendwann mal erwachsen. Damit musste man leben. Nur ein Kind hatte noch Probleme mit dem Erwachsenwerden. Es war am sehr frühen Morgen als sich der Himmel ein wenig bezog und das helle Licht des Mondes von der Nacht trennte. Eigentlich nicht weiter schlimm, aber da auch noch die Kerze im Zimmer zwischenzeitlich abgebrannt war ... Yugi wachte auf von irgendeinem komischen Gefühl. Er schlug vorsichtig die Augen auf und konnte es erst nicht einordnen. Was genau war es denn, was ihn geweckt hatte? Alles war ganz ruhig, der Morgen dämmerte noch lange nicht, der Wind hatte sich gelegt und Tato schnarchte, dass die Hütte bebte. Dieser Stein in seinem Bauch ... vielleicht war es doch das ungewohnte Hefebrot, das er zum Abendbrot hatte. Er wollte sich gerade wieder umdrehen, als er neben sich ein leises Keuchen hörte. Komisch? Seto schnarchte doch sonst auch nicht. Er lauschte noch einen Augenblick, aber es kam nichts. Alles wieder ruhig. Also kuschelte er sich vorsichtig an seinen Liebling heran, passte auf, dass er ihr Baby nicht zwischen ihnen zerquetschte und schmiegte sich an seinen Arm. Da vernahm er ein zweites Keuchen mit einer leisen Stimme gemischt. Das war ungewöhnlich, wenn nicht sogar besorgniserregend. Seto redete nachts nur im Schlaf, wenn er einen intensiven Traum hatte. Aber irgendwie ... es mischte sich mit diesem merkwürdigen Gefühl in ihm drin. Das waren nun bereits zwei Ungewöhnlichkeiten und damit zu viel. „Liebling?“ fragte er leise, richtete sich auf und suchte mit der Hand nach seinem Gesicht. „Alles okay bei dir?“ Als seine Antwort aber nicht mehr war als ein Wimmern, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die einzige Kerze im Zimmer war abgebrannt, der Mond schien nicht mehr und in ihrer Hütte war es stockdunkel. Das war kein Schnarchen, was ihn geweckt hatte. Seto war wach! „Ach, du Scheiße!“ Sofort nach seinem leisen Fluch sprang er auf, aus dem Bett heraus und suchte nach der Tasche des nächstbesten Rauchers. Mokuba schlief nur zwei Betten weiter und der hatte doch bestimmt ein Feuerzeug irgendwo. „Yugi?“ murmelte Yami verschlafen in die Dunkelheit hinein. Der hatte wohl einen leichten Schlaf heute. „Was machst du?“ „Ich suche ein Feuerzeug“ antwortete er möglichst leise, um nicht alle zu wecken. „Willst du rauchen?“ Auch Yami stieg nicht sofort dahinter. Yugi war doch sonst auch kein Nachtwandler. „Nein“ erwiderte er schnell als er Mokubas Tasche unter dem Bett herauszog und nur hoffte, dass es wirklich seine war und er nicht gleich in Noahs Katzentasche hinein langte. „Seto hat eine Attacke.“ „Hmwas?“ rieb Yami sich müde die Augen. „Was für ne Attacke?“ „Eine Panikattacke.“ Da sagte es auch bei ihm Klick. Natürlich! Es war stockdunkel und wenn Seto da wach wurde, bekam er natürlich Angst. Die Dunkelheit war etwas, womit er sich nie hatte anfreunden können. Er war ein starker Mann, aber hatte schreckliche Angst im Dunkeln. „Warte, ich helfe dir.“ Grundsätzlich ne gute Idee, Yami - nur an der Durchführung haperte es ein wenig. Er wollte aufstehen und herunterkrabbeln, verfehlte aber die einzige Sprosse des Bettes, plumpste herunter, stieß das wenige Geschirr vom Tisch und mit dem Scheppern war jetzt sicher auch der Letzte wach. Zumal sofort irgendein Baby abfing zu plärren und sein übriges zum nächtlichen Weckdienst tat. Sogar das laute Schnarchen endete, was garantierte, dass auch Tato wach war. „Was ist denn los?“ fragte Marie und hatte die zündende Idee. Sie nahm einfach ihr Handy, klappte es auf und hatte genug Licht, um die Szenerie zu beleuchten. „Super, gib mal her.“ Yugi kannte da auch kein Bitte mehr. Er schnappte ihr das Ding aus der Hand und fand so ein paar Zigaretten schon auf dem Tisch liegen. Wem auch immer sie gehörten, es war auf jeden Fall ein Feuerzeug da. Genau das nahm er sich, lief im Schein des Handys zurück und entzündete mit schnellen Händen die Petroleumlampe auf dem von Yami geräumten Tisch. Sofort wurde es hell im Zimmer und zeigte einen wachen Yami der im übrig gebliebenen Abendbrot auf dem Fußboden wühlte. „Mann, Yami ... Yugi“ rieb sich auch Tristan verschlafen über die Augen. „Was macht ihr denn für’n Terz hier?“ „Ja, Mann. Ist doch noch gar nicht morgens“ murmelte auch Joey müde und langte rüber ins andere Bett, wo Narla gerade seine schreiende Tochter beruhigte. „Yugi, weißt du eigentlich wie früh es ist, Alter? Mach das Licht aus.“ Aber dafür hatte der gerade gar keine Zeit. Er stellte die Lampe so hoch es ging und erhellte sogar willentlich den gesamten Raum mit vergleichsweise grellem Licht. Neben Yami, der sich den Po reibend vom Boden aufrappelte und sich den Arm mit irgendwelchen Resten übergossen hatte, sah man, wie Yugi sich sofort zurück aufs Bett setzte, an Setos Nacken griff und ihn mit einem kräftigen Ruck ein Stück höher legte. Unglaublich, dass er, obwohl er viel kleiner war, den Großen einfach so bewegen konnte. Er kannte einfach die richtigen Handgriffe. Und sein Liebling sah wirklich zum Fürchten aus. Seine Augen blutunterlaufen, seine Lippen schon bläulich und sein Gesicht so aschfahl wie Papier. Er starrte mit aufgerissenen Augen ins Nichts und tat außer einfach nur steif sein nicht viel. Nicht mal richtig atmen wie es schien. Er war völlig panisch und gelähmt vor Angst. So hatte man ihn seit Jahren nicht gesehen. „Liebling, ganz ruhig“ sprach er ihm zwar liebevoll, aber fest genug zu, um seiner Stimme Stärke zu verleihen. „Sieh mich an. Hörst du mich? Sieh mich an. Ganz ruhig, Liebling. Du bist nicht allein.“ Doch Seto reagierte kaum. Er starrte weiter ins Nichts mit einem Blick, in welchem schiere Panik herrschte. Seine blauen Augen vernebelt vor Angst in einer eigenen Welt. „Was ist denn los?“ wollte Nini durchgewuselt wissen. Das Problem war, dass eben auch die Kinder wach geworden waren und natürlich wissen wollten, was da vor sich ging. Doch wenn Nini und Tato ihren Papa so sahen, würden sie einen Schrecken fürs Leben bekommen. „Nichts.“ Yami machte seine lautstarke Attacke sofort wieder gut, indem er sich geistesgegenwärtig die beiden unter die Arme krallte und mit samt Bettdecke hinaus schleifte. „Wusstet ihr eigentlich, dass Graspflücken mitten in der Nacht großes Glück bringt?“ „Niiii~iiiissss!“ Tato wollte lieber im Bett bleiben, aber der wurde einfach mitgenommen. Sein Glück war ihm da ziemlich wurscht. Er wollte im warmen Bettchen bleiben und nicht spazieren getragen werden. „So ein Quatsch“ meinte Nini etwas verwirrt über den plötzlichen Weckruf und den nächtlichen Ausflug auf Yamis Armen. „Lass mich runter.“ „Nein, wirklich“ betonte der, während er beide gegen sämtlichen Widerstand mitnahm. „Aber nur, wenn man an einem fremden Ort ist. Das haben wir in Ägypten früher immer gemacht. Das bringt großes Glück in Liebe und Beruf.“ Und weg waren sie. Manchmal hatten Yamis bunte Einfälle eben doch was märchenhaft Gutes. „Was ist denn passiert?“ fragte Mokuba, der sich ganz schnell zu seinem großen Bruder aufs Bett setzte und ihm die Hand auf die Stirn legte. „Weil es so dunkel war?“ „Denke ich mal“ antwortete Yugi selbst etwas aufgewühlt. „Keine Ahnung, wie lange er schon so ist. Erst mal muss er wieder richtig atmen.“ Solch eine schlimme Attacke hatten sie lange nicht mehr gehabt. Aber Yugi wusste noch, wie er ihn wieder zurückbekam. Er schob seinem Liebling das Hemd hoch, legte ihm beide Hände auf die kalte Brust und versuchte, seine Energien zu spüren. Aber fließen tat da nicht mehr viel. Eher fühlte es sich an wie eingefroren, fest, geradezu hart. In solchen Momenten blieb sein ganzes Leben einfach stehen. „Ganz ruhig. Dir kann nichts passieren“ sprach er ihm weiter beruhigend zu. „Du bist in Sicherheit. Spürst du meine warmen Hände? Atme ganz leicht ein. Ganz vorsichtig. Hörst du meine Stimme?“ Aber noch tat sich da nichts. Er war völlig verkrampft, steif und regte sich nicht ein Stück. „Seto, hey“ sprach auch Mokuba leise und nahm sanft seine eiskalten Ohren, um sie zwischen seinen warmen Fingerspitzen zu stimulieren. „Ganz ruhig, Großer. Alles ist okay. Keine Sorge.“ Ein lauteres Wimmern war die erste Antwort und es bedeutete, dass immerhin genug Luft dafür da war. Im zweiten Zuge begann er langsam zu zittern, was noch mehr ein gutes Zeichen war, da sich dadurch seine Muskeln wieder regten. Wenigstens schien er ansprechbar, auch wenn er nicht antwortete. Yugis Energielösung zeigte ihre ersten Effekte. „Gut so. Ganz langsam“ bestärkte der ihn und drückte liebevoll seine warmen Hände auf die feste Haut. „Versuch zu atmen. Hörst du mich? Es ist alles in Ordnung. Alles in bester Ordnung. Du bist in Sicherheit. Ganz ruhig.“ „Her khommth nhichth whiedher ...“ keuchte Seto und sein Zittern steigerte sich schnell in ein krampfendes Beben. „Her khommth nhichth ... her khommth nhichth …” „Ganz ruhig bleiben, Liebling.“ Was auch immer gerade in seinen Kopf vorgehen mochte, es war auf jeden Fall nicht real. „Du bist in Sicherheit. Ganz ruhig. Sieh mich an, mein Herz. Sieh mich an ...“ „Aaahhh ... nheeiiihn ... nheeiiihn ...“ Er ließ sich einfach zur Seite fallen und entzog sich diesen Berührungen, er hustete und hustete und hustete seine verkrampften Lungen frei. Wenigstens sein Atem war wieder zurückgekehrt, aber er zitterte noch immer am ganzen Körper und sein Denken war auch noch irgendwo anders. „Können wir irgendwas tun?“ wollte Fernando vorsichtig wissen und war schon dabei, aufzustehen und herüberzukommen. „Nein, kommt bloß nicht alle her“ bat Yugi und winkte ihn gleich wieder zurück. Ebenso wie den großen Tato, der sicher auch gern irgendwas tun wollte. Doch wenn jetzt auch noch alle aufstanden und sich um ihn scharrten, würde Seto nur noch mehr Panik kriegen. Zwei Leute reichten doch. „Nein, wirklich“ betonte Mokuba noch mal, als Dakar trotzdem aufstand und sich anschickte, zu ihnen zu kommen. „Nicht alle rüberkommen jetzt.“ „Schon okay“ murmelte der nur und ließ sich nicht abhalten. Er stieg über die heruntergestoßenen Reste des Abendessens und kniete sich vor das Bett. „Er hat doch schon genug Angst“ bat Mokuba, als müsste er seinen hustenden, bebenden Bruder vor ihm beschützen. „Dakar. Wehe du tust Mama weh“ drohte Tato mit funkelnden Augen. „Pass auf oder wir kriegen tierisch Ärger miteinander.“ „Ich weiß“ beruhigte er und legte nur seine Hand an Setos freie Hüfte, welche in dem hellen Feuerlicht ein Stück seiner schönen Zeichnung, ein Stück des aufwändig gestalteten Falkenflügels zeigte. Mehr tat er zwar nicht, aber nach nur wenigen Sekunden wurde das Husten leiser und auch das Krampfen am ganzen Körper nahm langsam ab. „Nur ein leichtes Nervengift“ erklärte er, noch während Yugi seinen Mund öffnete. „Es senkt den Blutdruck und entkrampft die Muskeln. So fällt ihm wenigstens das Atmen leichter.“ Und mit Seitenblick auf den beobachtenden Sohn ergänzte er noch kurz: „Es tut ihm nicht weh.“ „Danke“ sagte Mokuba perplex, als Dakar seine Hand wieder fortnahm. „Warum bist du da nicht früher drauf gekommen?“ „Bei festgefahrenen Energien verteilt sich das leichte Gift nicht schmerzlos. Das ist der Nachteil bei Magiern“ meinte er und stand schon wieder auf, um selbst zurück ins Bett zu gehen. „Nur aufstehen sollte er jetzt für zwei oder drei Stunden lieber nicht. Könnte sein, dass seine Beine nachgeben.“ „Papa, ist alles okay mit ihm?“ wollte der große Tato lieber wissen und sah besorgt hinüber. Auch wenn er direkt daneben lag, konnte er ja leider nicht viel tun, wenn schon zwei an ihm dran waren. „Wird schon wieder“ beruhigte er und legte sich neben seinen Liebling, um einen Versuch zu starten, in seine Augen zu sehen. Mittlerweile lag der nämlich nur noch hechelnd da und tat nicht mal mehr ein Zucken. Vollkommen gelähmt von dem Gift und den schlimmen Gefühlen in sich drin. „Liebling, alles okay bei dir?“ sprach er ihn vorsichtig an. „Bleib ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Du musst keine Angst ...“ „Er khommt nhicht whieder ...“ keuchte er leise vor sich hin, hatte seine Augen aufgerissen und sah panisch in Yugis Gesicht, auch wenn er ihn wohl nicht wirklich sah. Dakar konnte vielleicht seinen Körper zur Ruhe zwingen, nicht aber seinen Geist. „Keine Angst, es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit“ sprach er ihm wieder gut zu, doch es war, als kämen seine Worte gar nicht an. „Mhir ist khalt“ atmete er und bewegte sich nicht ein Stück. „Es ihst khalt ... so khalt ... so khalt ... ich erfrhierhe ... ich stherbhe ...“ Doch wirklich gruselig war der panische Blick, den er Yugi entgegenbrachte. Er blickte ihn an, sah ihn aber nicht. Er sprach, ohne zu wissen, was er eigentlich sagte. „Nein, du stirbst nicht“ beruhigte er und strich ihm zärtlich durchs Haar, zog die Bettdecke sanft über seinen Körper. „Es ist alles in Ordnung. Es ist schön warm. Hörst du? Ich bin doch hier. Du frierst nicht. Es ist schön warm unter der Decke. Ich wärme dich.“ „Ich whill stherbhen ...“ bettelte er leise und schloss seine Augen, kniff sie schmerzhaft zusammen. „Bhitte, lhieber Ghott ... lhass mhich stherbhen ... ich whill stherbhen ... es isth so khalt ... er khmommth nhichth mher ... lhiebher Ghotth, pass auf Mhokhuba aufh ...“ „Was redest du denn da?“ schüttelte Yugi seinen Kopf und streichelte ihm warm über die Wange. „Komm zu dir, Liebling. Wir sind hier. Hörst du? Alles ist in Ordnung.“ „Mhokhuba ... pass aufh Mhokhuba aufh … pass aufh ihhhn aufh … lhiebher Ghott ... bhitte ... bhehüthe hihn ...” „Er halluziniert“ versuchte Mokuba zu erklären. „Früher, wenn Gozaburo ihn bestraft hat, hat er ihn eingesperrt. Manchmal im Kühlhaus, im Dunkeln, tagelang. Einige Male hatte ich auch Angst, dass er ihn da nie wieder rausholt. Wenn man tagelang im Dunkeln sitzt und friert, verliert man doch fast den Verstand. Deshalb hat er doch so Angst im Dunkeln. Das kommt nicht von unserer Mutter, sondern von Gozaburo.“ Ihm damals noch weitere Traumata mitzugeben, war nicht schwer. Gozaburo hatte ihn manchmal tagelang nicht nur im Kühlhaus eingesperrt, das war Seto gewohnt - nein, er hatte ihn von Mokuba getrennt und in ihm damit die schlimmste aller Ängste geweckt. Die Dunkelheit war ihm zuwider, weil er dann ganz allein war und niemanden bei sich hatte. Dunkelheit bedeutete Einsamkeit, Gefangenheit, Kälte und wahnsinnige Verlassensangst. „Das ist doch vorbei, Liebling“ versprach Yugi, legte sich ganz nahe an ihn heran und versteckte den ausgekühlten Kopf zwischen seinen Armen. Wenigstens war es gut zu wissen, dass er ihn anfassen konnte, ohne es schlimmer zu machen. Eigentlich war Seto nach jahrelanger Therapie und viel Liebe kein Nervenbündel mehr. Aber wenn seine weichen Stellen zu lange traktiert wurden, brach er zusammen. So eben, wenn er plötzlich im Dunkeln lag. Die Dunkelheit war eine Angst, die er bisher nicht besiegen konnte und die Wahrscheinlichkeit, dass er jemals so weit kam, war verschwindend gering. Hier würde er immer Hilfe brauchen. Jemanden, der ihm klar machte, dass ihm die Dunkelheit nicht alles wieder wegnahm. „Es ist alles in Ordnung, mein Herz. Du musst keine Angst mehr haben. Ich bin doch hier. Ich liebe dich.“ „Er khmommth nhichth mhehr ...“ „Wir beide bleiben für immer zusammen. Weißt du noch? Erinnerst du dich noch damals als wir im Sommer in Paris eine Rohrverstopfung hatten?“ Yugi redete einfach drauflos, einfach nur, um ihn seine Stimme hören zu lassen. „Weißt du noch, was wir gemacht haben, weil es so heiß war und am Sonntag keine Handwerker zu kriegen waren? Jean und Sylvie waren nicht da und wir konnten nicht duschen. Wir hatten kein Wasser. Erinnerst du dich, was wir da gemacht haben? Du und ich?“ „Es ihsth so khalth ... so khalth ... ich whill stherben ... lhieber Ghott ...“ „Es war schon morgens fast 30 Grad heiß und du konntest gar nicht so viel trinken, wie du geschwitzt hast“ redete er beruhigend weiter, legte so viel Sanftheit in seine Stimme und senkte sie, damit sie wohlig in Setos Ohren klingen möge. „Du warst die ganze Zeit am mosern und arbeiten wolltest du auch nicht. Du kannst dich bei Hitze ja nicht konzentrieren und es war so heiß. Du warst ungenießbar und das stundenlang. Wegen des fehlenden Wassers konnten wir nicht mal duschen. Das hat dich total aufgeregt. Es war so heiß. Ganz heiß war es. Erinnerst du dich, wie heiß es war? Weißt du noch, was wir gemacht haben? Na? Erinnerst du dich?“ „Sommher ...“ „Ja, im Sommer. In Paris. Unser erster Sommer, Liebling. Weißt du noch? Wie heiß es war und als wir kein Wasser mehr hatten? Was haben wir da gemacht?“ „Whir ...“ „Genau, wir beide. Wir zusammen“ lächelte er. So langsam schien sein Gerede ja Früchte zu tragen. „Wir sind raus gegangen. In den Park. Alles war grün und die Bäume haben ein bisschen Abkühlung im Schatten gebracht. Wir sind ein wenig gegangen. Wir haben einen Spaziergang gemacht. Hand in Hand. Und dann hatten wir großes Glück. Weißt du noch, warum?“ „So heiß ... khein Wasser ...“ „Es war so heiß und wir hatten kein Wasser. Genau. Du erinnerst dich. Wir sind rausgegangen in den Park und was stand da? Weißt du noch, was da stand?“ „Brunnhen ... ein Brunnhen ... schönhes Whasser ...“ „Ein Brunnen mit schönem Wasser. Genau“ lächelte er aufbauend und sprach weiter in einer ruhigen Tonlage mit ihm. „Und da sind wir baden gegangen. Das war schön, nicht wahr? Es war ganz heiß und das Wasser hat gut getan. Alle Leute haben geguckt, aber das war uns egal. Ein paar Leute sind sogar mit reingesprungen, weil es so heiß war. Und dann haben wir Brote gegessen und im Schatten gelegen. Und was haben wir gemacht? Weißt du das noch?“ „Nhein ... Küsschen ...“ „Ja, wir haben uns Küsschen gegeben“ lobte er und gab ihm ein ebensolches auf seine Stirn, welche mit kaltem Schweiß bedeckt war. „Whir haben gebadhet ... und dann ...“ „Und was dann?“ ermutigte er ihn weiter. „Was ist dann passiert, nachdem wir baden waren? Erinnerst du dich?“ „Es whar ... es hat gehregnet ... so einh Scheiß ...“ „Ja, so ein Scheiß“ lachte er. „Da geht man baden und was passiert? Es regnet. Mitten im Sommer. Wir können echt Pech haben, was?“ „Hich bhin ... ein Phechvogel ...“ „Ja, du bist ein Pechvogel“ seufzte er und kuschelte sich ganz dicht an ihn, womit auch die anderen, die alle wach waren, ein wenig aufatmen durften. Ja, ihr Seto war nun mal ein Pechvogel. Und eben auch alle anderen, die durch ihn eine ziemlich kurze Nacht hatten. „Aber ich liebe dich.“ „Yugi ...“ schluchzte er und begann leise zu weinen. Die aufgestauten Gefühle einer solchen Angstattacke mussten ja irgendwie raus und er war einfach zu aufgewühlt, um sie zurückhalten zu können. Aber er wusste, dass Yugi ihn liebte und er sich bei ihm ausweinen durfte, wenn er sich schlecht fühlte. „Dhu verlässth mich nhicht. Bhitte, du lässt mhich nicht allheine.“ „Nein, ich lasse dich nicht allein, Liebling. Ich liebe dich doch.“ Ja, aber lieben taten sie ihn trotzdem. Auch wenn er dieses Mal nicht nur Yugi den Schlaf raubte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)