Fußballmagie von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Fußballmagie ----------------------- Es war das große Spiel, das ihnen heute bevorstand. Die Gruppe zehn- und elfjähriger Jungen scharrte sich um ihren Trainer und lauschte aufmerksam seinen Anweisungen. Es war das Endspiel des kleinen Londoner Turniers. Wobei die Bezeichnung „klein“ in diesem Zusammenhang äußerst relativ war, handelte es sich bei diesem Fußballturnier doch um eine Veranstaltung, an der sämtliche Teams ihrer Altersklasse teilgenommen hatten. Und jetzt standen sie im Endspiel! Das allein war schon absolut genial, wie Dean und sein bester Freund Jordan fanden. Und noch viel genialer war es, dass ihrer beider Familien es geschafft hatten, zu diesem Spiel zu kommen. Ihnen ging es ähnlich, beide stammten sie aus Großfamilien, bei denen Vater und Mutter hart arbeiten mussten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die klassischen, dunkelhäutigen, britischen Arbeiterfamilien eben. Doch während Dean drei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern hatte – die nächsten zwei Familienmitglieder waren außerdem bereits unterwegs –, hatte Jordan nur drei ältere Brüder, um die Dean ihn wiederum brennend beneidete. Ältere Brüder zu haben war definitiv viel cooler, als selbst der Älteste zu sein! „Dean, du bist unser bester Spieler“, kam in diesem Augenblick die übliche Ansprache des Trainers an den knapp elfjährigen Jungen – er war zehn neunzehntel, wie er immer betonte, da sein elfter Geburtstag kurz vor der Tür stand – und Jordan drückte ihm fest die Hand. Sie beide, Jordan im Mittelfeld und Dean im Sturm, sie waren das Traumpaar ihres kleinen Vereins aus Westlondon. Wenn sie zusammenspielten, passte einfach alles. Mittlerweile hatte der Trainer mit ihrer beider Familien gesprochen und die Hoffnungen, dass sie einmal Profifußballer werden und sogar für die Nationalmannschaft spielen konnten, waren astronomisch hoch. Dean wusste, dass seine Eltern sehr darauf hofften. Auch, weil ihr Sohn sich die Verwirklichung dieses Traums so sehr wünschte. Und wie sehr Dean davon träumte, einmal seinen Nachnamen Thomas und seine Nummer sieben als Trikot der Nationalmannschaft auf seinem Rücken zu tragen! Und da ihm manchmal regelrechte Fußballwunder gelangen, standen die Chancen dafür wirklich nicht schlecht. Hin und wieder, da versenkte er den Ball aus vollkommen unmöglichen Winkeln irgendwie doch noch im Tor. Schnell ratterte der Trainer noch einmal seine Ansprüche und Forderungen an Dean herunter. Gut zu sein brachte auch Erwartungen von anderen mit sich, das hatte Dean schnell gelernt – und diesen Ansprüchen wollte er genügen. Nein, wenn es ging, dann wollte er sie noch übertreffen! „So, und jetzt auf den Platz mit euch! Los, los!“ Der Trainer klatschte in die Hände und die Jungs stürmten davon. Schon nach zehn Minuten hatten sie das erste Gegentor kassiert. Und dann auf einmal zog sich die andere Mannschaft ganz in ihre Hälfte zurück. Dean war frustriert. Ganz egal, wie gute Bälle Jordan ihm zuspielte, es gab einfach kein Durchkommen! Keins! Selbst mit Gewalt wäre da absolut kein Weg gewesen! Dean wusste nicht, wie oft er innerhalb der ersten Halbzeit von den Beinen geholt worden und durch den Schlamm gerutscht war. Seine Knie waren mittlerweile beide dick verpflastert und Dreck bedeckte sein Trikot und sein Gesicht. Nur der Schweiß hatte etwas hellere Spuren darin hinterlassen. Ansonsten fühlte er sich so langsam wie einer dieser getarnten Marines in den Lieblingsfilmen seines Dads. Grauenhaft! Keuchend wischte er sich über das Gesicht, als endlich der Halbzeitpfiff kam. „Jungs, ich weiß, das ist die reinste Schlammschlacht da draußen“, begann der Trainer und erntete schwaches Gelächter von seinen Jungs. Der Regen in der Nacht hatte den Platz schlammig und den Boden tief gemacht. Von dem üblichen Rasen war absolut nichts mehr zu sehen. „Aber ihr dürft nicht aufgeben. Nutzt den Schlamm! Ihr könnt besser und weiter rutschen als sonst! Und lasst euch nicht unterkriegen! Ihr packt das!“ Auffordernd sah er sie an. Dean fühlte sich einfach nur wie zerschlagen. Normalerweise machte es ihm gar nichts aus, neunzig Minuten durchzuspielen, aber heute ging gar nichts. Jeder Schritt tat weh. Ganz erbärmlich weh und er war verdammt hart im Nehmen. „Ja!“, jubelte in dem Moment Jordan. „Wir machen sie fertig!“ „Ach, und wie?“, kam es von Albert, ihrem Torwart. „Du siehst da vorne vielleicht nicht, wie die mauern, aber ich von hinten schon! Und Dean hauen sie um, sobald der Ball auch nur in seine Nähe kommt!“ Da sagte er etwas wirklich Wahres, fand Dean. Seine Beine sprachen dahingehend schon ihre eigene Sprache. Er wusste, dass sich seine Mum höllische Sorgen wegen ihm machte und dass sein Dad dauernd auf sie einreden müssen würde, damit sie sich beruhigte und nicht auf seine Gegenspieler losging, um diese ordentlich zu verdreschen. „Dann hauen wir sie eben auch um! Wir sind in England, verdammt!“, kam es von Lewis, ihrem Kapitän. Er war ein grobschlächtiger Junge, der am Ball zu einem wahren Künstler mutierte, jedoch auch nicht davor zurückschreckte, etwas mehr Körperkontakt zu seinen Gegnern zu suchen. Gelächter antwortete ihm. Sie waren das fairste Team ihrer Liga, da würden sie doch nicht jetzt anfangen zu foulen! „Hey, ich meine nicht, dass wir foul spielen sollen! Das nicht. Aber wir sind Engländer, oder nicht? Und Engländer spielen hart! Zeigen wir ihnen, was Härte ist! Benutzen wir die Kraft, die wir haben!“ Lewis schlug sich auf die Oberschenkel und sah sie an. „Sind wir Männer oder Mäuse?“ „Männer!“, scholl es ihm augenblicklich entgegen. Der Trainer grinste breit. „Also, Jungs, ihr habt’s gehört! Haut sie um, aber spielt den Ball! Wenn sie nicht anders wollen, holen wir eben auch den Holzhammer raus und gebrauchen Gewalt!“ Sie fassten sich an den Händen und bildeten einen Kreis. „Wir machen sie fertig! Wir machen sie fertig! Wir machen sie fertig! Wir machen sie fertig!“, skandierten sie und ließen mit lautem Gegröle ihre Hände los. Zeit für die zweite Halbzeit. Langsam lief es besser, auch wenn sie immer noch nicht zum gegnerischen Tor durchkamen. Dean und sein Stürmerkollege Luke wurden ständig ausgebremst und gefoult. So langsam taten ihm Körperstellen weh, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass sie ihm weh tun konnten. Er hatte die Schnauze so gestrichen voll! Und sie hatten doch nur noch zehn Minuten! Zehn Minuten, um wenigstens den Ausgleich zu schießen und somit ein Elfmeterschießen zu erzwingen. Verlängerung gab es bei diesem Turnier nicht. Jordan tunnelte einen Gegner, dann einen zweiten, trickste einen dritten aus und passte. Es war ein Traumpass. Einer von denen, wie Dean sie im Schlag annehmen konnte. Den Ball endlich mal wieder an seinem Fuß zu haben, fühlte sich absolut genial an. Und er wusste, jetzt würde alles gut gehen. Jetzt würde es ein gottverdammtes Tor für sie geben! Er konnte den Frust und die Wut in seinem Bauch heiß glühen fühlen. Sie gaben ihm Energie. Und manchmal, wenn er sich so fühlte, dann geschahen Dinge, die normalerweise eigentlich nicht geschehen sollten. Die nicht geschehen durften. Und die es dennoch taten. „Schneller, Dean! Schneller!“ Die Stimme seines Mitspielers peitschte den elfjährigen Jungen vorwärts. Er glaubte neben sich den Gegner atmen hören zu können. Mit pfeifenden, tiefen Zügen. Seine Beine waren schwer und wollten nicht mehr so recht, aber... er musste weiterrennen! Er musste! Dean brauchte den Kopf nicht zu wenden, um zu wissen, dass sein Gegner jetzt Schwung nahm, um zu grätschen. Dass er ihm jetzt gleich von der Seite entgegenkommen und ihn dann von den Beinen reißen würde – und dann all ihre Chancen verschwunden waren... Aber das durfte nicht passieren! Nein, nicht heute! Denn wenn es so etwas wie das Wichtigste in seinem Leben gab, so war das gerade dieses Spiel. Dieses eine verdammte Spiel! Mit einem quatschenden Geräusch ließ sich der andere Junge fallen, kam auf ihn zugerutscht und Dean sprang hoch, den Ball noch am Fuß. Eigentlich durfte das hier nicht klappen. Er konnte nie im Leben so einer Attacke ausweichen, vor allem nicht, wenn sie schräg von hinten kam und er noch nicht einmal wusste, wo genau er hinspringen sollte und doch... reichte sein Schwung. Er hörte einen frustrierten Aufschrei, als sein Gegenspieler ins Leere rutschte. Doch das war nicht genug. Vor ihm baute sich die Abwehr auf, drei Mann, die er noch überwinden musste, ehe er endlich zum Torschuss kam. Drei Mann! Ein kurzer Blick zur Seite verriet ihm, dass Luke zu stark gedeckt wurde. Keine Chance, den Ball da durchzubekommen. Jordan und Lewis waren auf dem Weg nach vorne, aber sie waren dennoch zu weit hinten. Keine Chance. Er musste einen Alleingang wagen. Fest biss er die Zähne zusammen und ließ den Ball tanzen. Mal nach rechts, mal nach links, dann wieder rechts, wieder links, eine kleine Drehung, ein Schritt zur Seite, zwei zur anderen. Den Gegner schwindelig spielen. Was blieb ihm denn sonst noch übrig? Nichts, oder? Der erste der drei war heran. Zack, der Ball sauste an ihm vorbei und klebte nur einen Sekundenbruchteil später wieder an Deans linkem Fuß, nur um sofort zu seinem rechten zu wechseln und den zweiten Spieler doof stehen zu lassen. Die Bogen, die der Ball machte, waren schon nicht mehr normal. Es war, als wenn er ihn dazu zwingen würde, mitzuspielen. Das zu tun, was er wollte. Wie Magie. Fußballmagie. Ein winziges Lächeln lockerte die Konzentration auf Deans Gesicht auf. Fehlte nur noch einer. Dann kam er in den Strafraum. Mit einem lauten Kampfschrei kam der blonde Junge ihm entgegengerannt. Dann warf er sich hin, raste Dean regelrecht quer entgegen. Scheiße. Dean tat das einzige, was er tun konnte. Er kickte den Ball in einen hohen Bogen und sprang. Nicht, dass er eine Chance gehabt hätte. Er hatte viel zu wenig Schwung. Er hatte viel zu wenig Maß genommen. Der Ball musste ihm einfach wegspringen. Es gab gar keine andere Chance. Es war... absolut unmöglich. Wut und Frust loderten nur noch heißer in seinem Bauch. Er konnte doch nicht ihre einzige Chance vertun! Nein! Es musste klappen! Es musste, musste, musste! Dieser beschissene Ball musste zurück an seinen Fuß und dann ins Tor! Und wenn diese dumme Ding das nicht freiwillig tat, dann eben mit Gewalt! Ein komisches Gefühl machte sich in ihm breit. Wie so oft, wenn etwas von diesen Dingen geschah. Der Ball tickte nicht fort, nein, er schien regelrecht zu warten. Auf ihn. Auf ihn, der viel zu weit sprang für diesen Anlauf. Der viel zu leicht über die Beine seines Gegners hinüberhechtete und dann den Ball wieder an seinem Fuß spürte. Das war Magie! Totale Magie! Wahnsinn! Er konnte Jordan und Lewis jubeln hören. Er musste lächeln. Na, den Torwart würde er auch noch fertig machen, oder? Er stürmte vorwärts. Und jetzt, jetzt war alles nur noch Fußball. Magie würde er dafür nicht brauchen. Nicht für ein einziges Tor! Als ihm seine Mannschaft jubelnd entgegengerannt kam, wusste Dean, wie sich Terry Butcher nach seinem Spiel bei der Weltmeisterschaft dieses Jahr in Italien gefühlt hatte. Verdammt, er hätte die Welt aus den Angeln heben können! Das hier, das war das Spiel seines Lebens gewesen! Ganz egal, wie das Elfmeterschießen ausgehen würde! Vierzehn Tage später hatte Dean Geburtstag. Das beste Geschenk hatte er sich selbst gemacht, fand er, und blickte auf den Pokal, der neben den Medaillen von diversen Sportfesten im Wohnzimmer stand. „Dean, du hast Post bekommen!“ Seine Mutter kam herein und reichte ihm einen Brief. „Hast du von dieser Schule schon mal gehört? Hogwarts?“ Dean zuckte die Achseln und riss den Umschlag auf. Ob das ein Fußballinternat war? Doch zwei Minuten später wusste er, dass er niemals Profifußballer werden würde. Nein, er würde ein Zauberer sein. Jetzt wusste er auch, woher diese Magie immer gekommen war – und dass es wirklich Magie gewesen war. Und er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)