Der alltägliche Wahnsinn des Todes von inkheartop (Der Tod hat so seine Tücken [Es geht weiter!]) ================================================================================ Kapitel 2: Tod ganz weit unten ------------------------------ Der (alltägliche) Wahnsinn des Todes II Es war dunkel. Scheiße, war das dunkel. So dunkel hatte ich das gar nicht in Erinnerung gehabt. Kein Wunder, ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. So um die dreihundert, vierhundert Jahre? Vielleicht mehr. Ziemlich lange auf jeden Fall. Trotzdem. Dunkel blieb dunkel und hier war es nicht mal nur dunkel. Es war auch noch verdammt kalt. Glaubte man gar nicht von diesem Ort. Glaubte man wirklich nicht. „Nur noch mal zum Mitschreiben“, durchbrach eine Stimme die Dunkelheit. Das zugehörige Gesicht konnte ich mir nur zu gut vorstellen. Sah es ja eigentlich den ganzen Tag, die ganze Nacht. Das ganze Leben… oder wie immer man das nennen mochte. Und, ganz ehrlich, ich war sehr froh darüber, dass ich dieses gottverdammte (und das meine ich wortwörtlich!) Gesicht mal für eine kurze Weile nicht sehen musste. Schade, dass ich die Stimme immer noch hören konnte Wirklich schade. „Warum sind wir noch mal hier?“ Ich unterdrückte ein tiefes, sehr tiefes Seufzen. Ich hatte es ihm doch wirklich oft genug erklärt. Wirklich oft. Und er kapierte es immer noch nicht. Dabei sollte man doch denken, dass so ein Engel ein besseres Gedächtnis hat. Na gut. Ex-Engel. „Weil“, sagte ich und bemühte mich, den genervten Ton möglichst offensichtlich darzustellen. „Weil das hier zum Job gehört. Unumgänglich. Glaubst du ehemaliges Federvieh etwa, ich bin gerne hier?“ Dem Grinsen nach zu urteilen, das ich sogar durch die Finsternis sah – und es war wirklich verdammt finster –, glaubte er das wirklich. Frechheit. Ich knurrte etwas Unverständliches, was er wohl nur als „Federvieh“ auffassen konnte. Mein Name für ihn. Passte aber auch einfach zu perfekt. Obwohl… gerupftes Federvieh würde vermutlich noch besser passen. Wäre allerdings zu lang für eine ordentliche, eindrucksvolle Beleidigung. Und ich musste immer eindrucksvoll sein, immerhin bin ich Tod. Leibhaftig. „Und was machen wir genau hier?“ Warum war eigentlich ausgerechnet ich mit dieser Nervensäge gestraft? Warum war ausgerechnet er mein erster – und hundertprozentig auch letzter – Azubi? Es gab doch noch so viel mehr gefallene Engel… Gut, die gab es nicht, aber es gab sicherlich ein paar bessere. Aber nein, die bekam natürlich mal wieder Luzifer, der alte Feuerschnösel. Konnte den noch nie leiden. „Wir müssen jemanden abholen, der versehentlich hier gelandet ist“, seufzte ich, bestimmt zum tausendsten Mal. Ich weiß es nicht genau. Bei siebenhundertfünfunddreißig hatte ich aufgehört zu zählen. Tatsächlich geschah in letzter Zeit ziemlich viel versehentlich. Erst dieser idiotische Vorfall mit dieser geflügelten Landplage (das konnte nur versehentlich gewesen sein. Wer sollte denn Tod so etwas zumuten wollen?), dann dieser eigenartige Vorfall mit Zerberus (dieser sabbernde Riesenköter hätte mich fast zerfleischt. Mich!) und als wäre das nicht genug, kam plötzlich so eine Touristengruppe vom Olymp, bestehend aus den schlimmsten, aufdringlichsten, unsterblichsten Halbgötterfritzen, die mir je untergekommen waren, in mein Büro marschiert, weil sie ihren Führer verloren und sich verlaufen hatten. Irgendwann würde ich die da oben verklagen. „Wie kann jemand versehentlich hier landen?“, hakte er weiter nach. Seltsamerweise klang seine Stimme auf einmal leiser. „Fehler in der Datenübertragung zwischen hier und dort, vielleicht ist der Hauptrechner abgestürzt, der ist ja sowieso schon uralt, oder vielleicht hat sich ein Bote verlaufen“, knurrte ich und es war klar, worauf ich anspielte. Er lachte unverschämterweise. „Du hättest mal dein Gesicht sehen müssen! Zum Sterben!“ Nach all der unendlichen Zeit bei mir (hier ist Zeit nun mal unendlich, weil sie eben nie endet) hatte er seinen Hang zu geschmacklosen Witzen immer noch nicht ablegen können. Sehr zu meinem Leidwesen. „Ich meine… du sahst einfach zu gut aus, als Herakles die Türklinke zum Bad abgerissen hat. Oder als… AAAAAAAAAHHHHHHHHHHHH!!!!!!!“ Ich zuckte zusammen, der Schrei ging mir durch Mark und Bein. In so einem Moment musste selbst ich mir Sorgen machen, immerhin war das hier kein besonders ungefährlicher Ort. Und das Federvieh schrie eigentlich nicht ohne Grund auf – zumindest nicht, seit er versucht hatte, mich zu erschrecken. Ha! Als würde das jemand schaffen können. Schließlich bin ich Tod! „Was hast du jetzt schon wieder angestellt, Nervensäge?“, murmelte ich in mich hinein und tastete mich langsam vor. Vermutlich war er irgendwo reingefallen, bei der verdammten Finsternis hier schließlich auch kein Wunder. Dann hatte ich mich also nicht getäuscht, als ich gedacht hatte, seine Stimme würde leiser werden. Idiot. Ich hatte ihm vorher extra noch gesagt, er solle in meiner Nähe bleiben. „Hey?“, rief ich, allerdings ohne Hoffnung auf Antwort. Aber ich musste zumindest so tun, als würde ich mir Sorgen machen. Verdammte Verantwortung. Von tausend Seiten kam mir auf einmal ein „Hey?“ entgegen. Gut, das war gruselig. Aber, wie gesagt, Tod lässt sich nicht so leicht erschrecken. „Nicht witzig!“, fauchte ich. „Nicht witzig!“ „Nicht witzig!“ „Nicht witzig?“ „Nicht witzig!“ „Nicht witzig?“ „Nicht witzig!“ Okay, das fand ich noch viel weniger witzig. Gewöhnliches Echo, schön und gut, aber bei der Variation in der Aussprache konnte ich nur zu einem Schluss kommen: Da waren mehrere. „Wer ist da?“, rief ich in die Dunkelheit und hätte mich im gleichen Augenblick ohrfeigen können. Schön blöd… „Wer ist da?“ „Wer ist da?“ „Wer ist da?“ „Wer ist…“ „Aufhören!“, knurrte ich in die Dunkelheit. Sofort verstummten die Stimmen. „Hier ist Tod!“ „Tod?“ „Tod!“ „Oh.“ Dieser neuerliche Ton machte mich stutzig. Dann Schritte. Ich konnte nicht sagen, aus welcher Richtung sie kamen, aber auf jeden Fall kamen sie näher. War das jetzt gut oder schlecht? „Hey, Tod, alter Kumpel!“ Schlecht, eindeutig schlecht. Ich kannte diese Stimme, dieses heuchlerische Lachen. „Was treibt dich den hierher?“, fragte die Stimme, dessen Besitzer ich immer noch nicht sehen konnte. „Der Job“, knurrte ich, hoffend, dass er mich aufgrund des bissigen Untertons in Ruhe ließ. Aber er war noch nie besonders helle gewesen. „Ist ziemlich dunkel hier“, meinte er auch, zwar völlig zusammenhanglos, aber ausnahmsweise musste ich ihm Recht geben. „Kann mal jemand das Licht anmachen?“, brüllte er plötzlich und ließ mich zusammenzucken. Der glaubte doch nicht wirklich, dass das… Ich blinzelte in das helle Licht, das eine nackte Glühbirne verbreitete, die nur wenige Meter von mir entfernt von der Decke hing. „Hey, Tod, alter Kumpel!“, wiederholte er noch einmal, kam mit großen Schritten auf mich zu und schon fand ich mich in einer festen Umarmung wieder und musste erst einmal nach Luft schnappen, als er mich wieder losließ. „Lange nicht mehr gesehen, was?“, grinste er mich breit an. „Und dann ausgerechnet hier.“ Er lachte dröhnend auf „Wirklich schade“, murmelte ich sarkastisch und fragte mich ernsthaft, ob es jetzt noch schlimmer werden konnte. Die Reisetruppe, der Zerberus, das Federvieh… Oh, den hatte ich fast vergessen. Obwohl ich nicht glaube, dass das sonderlich schlimm gewesen wäre. Sterben konnte er schließlich nicht mehr… hahaha… „Was treibste denn hier?“, fragte er mich, als ich nichts mehr sagte. „Ist doch nicht dein Aufgabenbereich.“ Ich grinste schwach. Er war wirklich genauso schlimm, wie mein Azubi. Hoffentlich trafen die niemals aufeinander, das wollte ich der Welt (und mir natürlich) ersparen. „Jemand ist hier gelandet, aber fälschlich“, meinte ich knapp und hoffte, dass er mir schnell weiterhelfen konnte. „Ach, du meinst sicher dieses junge Gör…“ Plötzlich klang er komisch verstimmt. „Kleine Hexe ist das, ne kleine Hexe…“ Ich hob nur eine Augenbraue. War das jetzt sarkastisch oder ernsthaft gemeint? Im Mittelalter kamen die doch immer wieder vor. Und in der Neuzeit seit Kurzem auch, aber das waren Stümper. „Verwöhntes Balg“, knurrte er. „Hat einen ganz schönen Radau gemacht, als se hier gelandet is.“ Ich bezweifelte, dass es sich um eine echte Hexe handelte, sonst redete er nicht so. Und darum war ich also hier? Um jemanden dorthin zu bugsieren, der es vermutlich noch nicht mal verdient hatte? Manchmal hasste ich meinen Job. In letzter Zeit immer häufiger. „Wo ist sie?“, fragte ich seufzend. Lieber das Ganze schnell hinter mich bringen, lautete meine Devise. „Da unten.“ Sein Finger zeigte auf ein Loch. Ein Loch, nur wenige Meter von mir entfernt. Ich ahnte schreckliches… „Ähm… ist da kürzlich jemand reingefallen?“, fragte ich und betete. Ja, ausgerechnet ich betete, aber das waren besondere Umstände. „In den letzten hundert Jahren?“ „In den letzten zehn Minuten?“ Und da lachte er wieder grölend. Ich hasste es, wenn sich meine Vorahnungen bestätigten. Da betete man schon mal und dann… „Der lustige Wicht gehört also zu dir?“ Er ging zu dem Loch hinüber und steckte den Kopf hinein. „Hey, Kleiner!“, hörte ich ihn gedämpft brüllen. „Dein Boss ist da!“ Dann grinste er mich wieder an. „Und bring SIE gleich mit!“, schrie er noch mal in die Tiefe. Kurz darauf streckte das Federvieh seinen altbekannten Kopf ins Freie und blinzelte erst einmal, wegen dem grellen Licht. Dann strahlte er mich an. „Ich hab sie!“ Und er kletterte aus dem Loch, zog jemanden hinter sich her. „Auftrag ausgeführt!“ Ausnahmsweise hatte er mal was richtig gemacht, na gut. „Wer oder was bist du denn?“, fragte plötzlich eine abschätzige Stimme. Das Balg mit den blonden Locken, das sich noch immer an die Hand des Federviehs klammerte, schaute mich an, als wäre ich ein Kaugummi unter ihren Lackschuhen. Bitte? Niemand redete so mit Tod! „Wer bist du?“, fragte ich zurück, versuchte mir den Ärger über diese Respektlosigkeit nicht ansehen zu lassen. „Ich bin tot“, stellte das freche Gör fest. „Und ich will in den Himmel!“ Gott, die willst du wirklich? „Sei still, du…“, knurrte er und ich musste ihm wieder Recht geben. Dass das bloß nicht zur Gewohnheit wurde. Das Balg streckte ihm die Zunge entgegen und zog dann am Arm des Azubis. „Ich will weg! Ich will in den Himmel! Ich will…“ Ich stöhnte auf. So ein verwöhntes Gör und ausgerechnet ich hatte es auf dem Hals. War ich nicht schon genug gestraft worden? Er grinste mich wissend an und ich beeilte mich, meine Stimme wieder zu finden. „Dann gehen wir jetzt“, sagte ich tonlos. Das Gör jubelte und riss dem Federvieh beinahe den Arm aus. Selber Schuld, wenn er sich mit dieser kleinen Nervensäge anfreundete. „Na dann, Tod, alter Kumpel“, wollte er sich verabschieden, da kreischte das Gör auf. „TOOOOD? Du bist TOOOOD?“ „Jaaa“, knurrte ich gereizt. „Und das da ist Luzifer.“ Ich deutete auf ihn. Sie sah mich nur verständnislos an. „Asrael?“, versuchte ich es weiter. „Beelzebub? Mephistopheles?“ Immer noch keine Reaktion. „Der Teufel, verdammt! Er ist der Teufel!“ Jetzt machte sie große Augen. „Echt? Wo sind denn die Hörner? Und du bist doch eigentlich rot!“ „Vorurteile“, winkte Luzifer ab. „Alles Vorurteile.“ Ich fand es nicht fair. Als Tod wurde man angeschrieen und als Teufel kam nicht einmal ein ängstlicher Pieps. Ich wusste doch, dass ich den falschen Berufszweig gewählt hatte. „Federvieh, wir gehen!“, knurrte ich und zerrte ihn, mitsamt Anhang, zu mir. Der Engel grinste mich an. „Ist sie nicht süß?“ Ich funkelte zurück. Was konnte man an der schon süß finden? „Solange ich mich nicht um sie kümmern muss“, murrte ich kurz angebunden. Nur nicht zu lange hier bleiben. Ich erwähnte ja schon, dass ich diesen Ort nicht mochte. Gott, was hast du mir da eingebrockt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)