Tethe'allas abandoned ones von Hyacinthley (Die Flucht der zwei Halbelfengeschwister) ================================================================================ Kapitel 1: Good bye... ---------------------- „Nein, Mommy…ich will dich nicht verlassen!“ Schluchzend klammerte sich Raine an den Hals ihrer Mutter, die ihre Tochter in einer innigen Umarmung fest an sich drückte. „Ihr müsst gehen, mein Schatz…du und der kleine Genis seid hier nicht sicher!“ Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen, doch ihrer Tochter entging das Zittern darin nicht. Raine presste ihr tränennasses Gesicht gegen den rauen Hemdsstoff ihrer geliebten Mama. Für ihre acht Jahre war sie ein außerordentlich kluges und wissbegieriges Kind. Es war ihr nicht entgangen, dass sie, ihre Mutter und sogar ihr kleiner Bruder Genis, der kaum ein paar Monate alt war, von den meisten Leuten anders behandelt wurden als die anderen… obwohl sie nicht verstand, warum. Ihre Mama sagte immer, die Leute seien nur neidisch auf die kleine Familie- auf Raine, weil sie in ihrem Alter mit ihrer erstaunlichen Intelligenz manchen Erwachsenen ausstechen konnte und mit ihrem seidigen, weißsilbrigen Haar, den eisvogelblauen Augen und ihrer zarten Porzellanhaut später zweifelsohne zu einer ungewöhnlich hübschen Frau heranwachsen würde, auf Genis, weil dieser schon jetzt im Babyalter Anzeichen dafür zeigte, dass er seiner Schwester in beiden Punkten in nichts nachstehen würde, und auf die Mutter, weil sie mit zwei so herrlichen Kindern beschenkt worden war. „Versteh doch, Raine…ich möchte doch nur, dass ihr ein besseres Leben führen könnt, weit weg von dieser grausamen Welt!“ Das kleine Mädchen schüttelte heftig den Kopf. „Warum kannst du nicht mit uns kommen, Mama? Wie soll ich mich denn allein um Genis kümmern? Ich bin doch noch viel zu klein..!“ Nun standen auch der Mutter Tränen in den Augen. „Es geht nicht anders, Liebling…ich muss dafür sorgen, dass ihr sicher durch das Tor der Welten schreiten könnt, falls der Patriarch uns in letzter Minute doch noch aufspürt!“ Der Patriarch. Er war der eigentliche Grund für ihre Flucht. Vor ein paar Wochen hatte sich Raine in der Wissenschaftsstadt Sybak verlaufen, in der die Mutter in dieser Zeit bei einem barmherzigen alten Mann als Haushaltshilfe angestellt war, der ihr dafür Nahrung und Obdach gewährte. Dies war eine ausgesprochene Seltenheit, denn normalerweise fand die Mutter nicht einmal Arbeit für den kleinsten Hungerlohn, überall erntete sie nur Gelächter und abschätzende Blicke. Das kleine Mädchen wollte eigentlich nur kurz einen Blick auf eine der großen Touristenattraktionen der Stadt werfen- die größte Bibliothek in ganz Tethe’alla. Im Schatten der umliegenden Gebäude hatte sie stundenlang sehnsüchtig das Ein- und Ausgehen der Menschen beobachtet. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, nur einmal die unerschöpfliche Menge an Lexika, Romanen, Biografien, Fachbüchern und Gedichtbänden mit eigenen Augen sehen zu können...doch sie wusste, dass dies für immer ein Wunschtraum bleiben würde, denn der Zugang war nur reinblütigen Menschen gestattet. Gedankenverloren hatte sie sich vorgestellt, zwischen den hohen, von oben bis unten mit Büchern bestückten Regalen entlang zuschlendern, den Duft der antiken Schriften einzuatmen und hin und wieder eines der Bücher von seinem Platz zu nehmen und darin zu schmökern. Raine hatte weder bemerkt, dass die Straßen der Stadt sich langsam leerten, noch das sich ausbreitende Dämmerdunkel, das langsam durch die Gassen zog und von Minute zu Minute schwärzer und unheimlicher wurde. Erst als mit einem Mal die gesamte Beleuchtung des Bibliotheksgebäudes erlosch, war das Kind aus seinen Tagträumen erwacht. Erschrocken über die plötzliche Dunkelheit stockte Raine für einen kurzen Moment der Atem. War der Tag so schnell an ihr vorbeigezogen? Wie spät war es jetzt? Ihre Mutter machte sich doch bestimmt Sorgen! Rasch wandte sie sich um und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war. Die erste Straße links, dann die kleine Gasse rechts, durch den niederen Torbogen, wieder links, an der Kreuzung geradeaus, dann noch einmal links…jetzt sollte sie gleich am alten Steinbrunnen sein. Doch zu ihrem Entsetzen öffnete sich vor ihr nicht der vertraute Innenhof ihrer derzeitigen, geheimen Unterkunft, sondern eine unnachgiebige, hohe Backsteinmauer. Ungläubig starrte Raine auf die raue Oberfläche. So etwas war ihr noch nie zuvor passiert. Sie musste sich wohl in der Kreuzung geirrt haben, die es in der Stadt in dieser Gestalt zu hauf gab. Oder war sie in ihrer Eile falsch abgebogen? Das wäre ein fataler Fehler...! Mit zittrigen Beinen schritt Raine zurück zur Kreuzung, um sich noch einmal genau umzusehen. Unglücklicherweise kam ihr aber keines der Häuser bekannt vor, die schmalen Gassen wirkten bedrohlich fremd und kalt. Langsam fühlte sie heiße Panik in ihr hochsteigen. Angestrengt versuchte sie, einen klaren Kopf zu behalten und das unangenehme Gefühl in ihrer Bauchgegend zu ignorieren. Wenn sie einfach den falschen Weg wieder zurückging, würde sie die verlorene Orientierung schon wieder finden! Dies war jedoch leichter gesagt als getan. Mit jeder verstrichenen Minute drängte sich das Bild ihrer Mutter in ihr Bewusstsein, das Gesicht sorgenerfüllt, mit dem kleinen Bündel auf dem Arm- dem Baby, dessen Geburt ihr so zugesetzt hatte, dass sie selbst drei Monate danach noch manchmal Kreislaufprobleme bekam. Ohne es zu merken beschleunigte Raine ihre Schritte, immer schneller hastete sie die unbekannten Straßen entlang, ohne sich umzuschauen oder darüber nachzudenken, wohin sie ihre Beine trugen. Zusehends wurde ihr Blick trüber und unklarer, aus ihrem Mund drang ein leises Schluchzen. Wieder eine Sackgasse. Nun hielt es das Mädchen nicht länger aus, kraftlos sank es zu Boden, vergrub sein Gesicht in den schmutzigen Händen und begann, haltlos zu weinen. Wie sollte sie jetzt wieder zu ihrer Mami kommen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)