Der Regen von Jadelady (Stille Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 3: Krankenhaus ---------------------- Es war am Mittwochmorgen, als mich Janette anrief. Ich wusste sofort, dass etwas passiert sein musste. „Josch liegt im Krankenhaus“, sagte sie und ich konnte die Sorgen in ihrer Stimme hören. „Es ist die übergangene Grippe. Er war noch nicht ganz gesund gewesen“, erzählte sie. Ich versprach ihr so schnell wie möglich zurück zu fahren. Josch hatte eine Lungenentzündung und als ich das hörte, hatte ich selbst keine Ruhe mehr. Panisch sprudelte ich damit heraus, als ich den Hörer aufgelegt hatte. Da meine Eltern und meine Großmutter meine Reaktion nicht verstanden, sah ich mich dazu gezwungen, ihnen von Joschs Bruder zu erzählen. Das hatte ich eigentlich nicht gewollt, da ich ja nicht wusste, ob es Josch oder seiner Mutter recht war, dass meine Familie davon erfuhr. Aber nun gab es kein zurück mehr. Ich ließ mich von meinen Eltern gleich am Krankenhaus absetzen. Janette wartete schon auf mich. „Momentan schläft er“, sagte sie leise. Wir standen vor dem Haupteingang des Krankenhauses. Janette flüsterte und ich fragte mich, ob das der Schock war. Vielleicht hatte sie einfach auch nur Angst, es zu realisieren, wenn sie es laut aussprach. „Es ist vielleicht besser, wir setzten uns in das Krankenhauscafé. Dort kann ich dir alles in Ruhe erzählen.“ Wir hatten uns kaum gesetzt, als ich mit meiner Geduld am Ende war und sofort wissen wollte, was nun passiert war. „Nichts Besonderes eigentlich“, begann Janette. „Josch hustete nur und zu anfangs wehrte er sich dagegen, überhaupt zu einem Arzt zu fahren. Aber sein Husten wurde immer stärker und gestern hatte er nicht mehr die Kraft sich zu weigern und ich bin mit ihm sofort ins Krankenhaus gefahren. Das war so gegen elf Uhr und ich wollte dich nicht stören, aber heute Morgen hab ich es nicht mehr ausgehalten“, erzählte sie mir. Ich war froh, dass sie mich angerufen hatte. Ich konnte ihre Sorge gut verstehen, schließlich sorgte ich mich ja auch. Nach einem Kaffee gingen wir in Joschs Zimmer. Er schlief immer noch und er sah schlimm aus. Ich erkannte ihn fast nicht wieder. Blass war er und bleich. Jetzt verstand ich, warum Janette nicht länger warten konnte, und mich so früh schon angerufen hatte. Ein eigenartiges Gefühl bildete sich in meiner Brust, als ich ihn da so liegen sah und ich gestand mir selbst ein, dass ich Angst hatte. Angst um ihn. Es waren jetzt fünf Wochen vergangen, seit ich ihn das erste Mal getroffen hatte und in diesen Wochen war er mir ans Herz gewachsen und ich hatte Angst, ihn wieder zu verlieren. Immerhin war er mein einziger Freund. Und ihn schon nach so kurzer Zeit schon wieder zu verlieren, würde ich auch nicht so einfach wegstecken können. ***** Jeden Tag ging ich ins Krankenhaus, um ihn zu besuchen. Aber meistens schlief er und so verbrachte ich die Zeit damit, Janette zu beruhigen. Denn je länger es dauerte, desto nervöser wurde sie. Schließlich war es wieder Wochenende und sein Zustand hatte sich noch nicht verbessert. Die Ferien dauerten noch eine Woche, was sehr gut war, denn ich verbrachte so gut wie die meiste Zeit im Krankenhaus. Mittlerweile war ich sogar schon allen Krankenschwestern bekannt und wurde von allen Seiten begrüßt, wenn ich wieder zu Besuch kam. Aber auch die nächste Woche verging. Sein Zustand verschlechterte sich und Janette war bald mit den Nerven am Ende. Mir ging es ähnlich, aber ich ließ es mir nicht so anmerken. Sie sollte sich nicht auch noch Sorgen um mich machen müssen. Meine Mutter tat das schon zu genüge. Am Donnerstag verlegten sie Josch dann auf die Intensivstation. Und ich konnte nicht mehr an sein Bett. Von da an musste ich draußen auf dem Flur warten. Nur Janette durfte hinein. Wieder ging es auf das Wochenende zu und ich verbrachte den Freitag, Samstag und Sonntag im Krankenhaus. Am Montag wollte ich zuerst gar nicht in die Schule. Ich war müde und fühlte mich zerschlagen. Wenn ich in den Spiegel schaute, sah mir ein blasses Gesicht mit dunklen Augenrändern entgegen und ich fragte mich, ob ich vielleicht auch zu einem Arzt gehen sollte. Aber mein Pflichtbewusstsein siegte und ich ging zur Schule. Der Lehrer bemerkte recht schnell, dass ich mit den Gedanken ganz woanders war, aber das störte mich wenig. Josch war wichtiger. Die spitzen Bemerkungen, „ich sollte am Abend vor der Schule nicht so viel trinken“ und „Drogen sind ungesund, junge Dame“, gingen mir zwar auf die Nerven, aber ich versuchte, die nasale Stimme des Lehrers zu überhören. Jeden Tag nach der Schule ging ich ins Krankenhaus und ließ mir von Janette erzählen, wie es Josch ging. Und jeden Tag wurde ich enttäuscht, wenn ich wieder nur erfuhr, dass sein Zustand unverändert war. ***** In der Nacht zum Dienstag klingelte mein Handy und als ich auf das Display schaute und Janettes Nummer erkannte, wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Mit zitternden Händen und hellwach nahm ich den Anruf entgegen. „Josch“, weinte Janette am anderen Ende. „Er… er hatte einen Herzstillstand…“ Mir wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen. „Ist er…?“ Ich brachte das Wort „tot“ nicht über meine Lippen, aber sie wusste auch so, was ich fragen wollte. „Sie versuchen, es wieder zum Schlagen zu bringen“, schluchzte Joschs Mutter. Für mich gab es kein Halten mehr. Mir war egal, dass es halb zwei in der Nacht war und auch, was meine Eltern denken würde. Ich wollte zu Josch. In dem Warteraum vor der Intensivstation saß eine tränenüberströmte Janette und ich bemerkte nicht einmal, dass mir die Tränen genauso übers Gesicht liefen, als ich mich neben sie setzte und sie mich einfach umarmte. Es dauerte noch einmal eine halbe Stunde, bis sich die Tür öffnete und ein müde aussehender junger Arzt mit einem glücklichen Lächeln sagte: „Wir haben es geschafft.“ Janette und ich weinten weiter. Diesmal vor Freude. Die restliche Nacht wartete ich im Krankenhaus. Ich hätte sowieso nicht schlafen können. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster und dachte an Josch. Der Nachthimmel war klar und ich konnte die Sterne sehen. Aber ich sah es nicht. Ich sah Joschs wortlosen fragenden Blick, das Lächeln in seinem Gesicht und die dunklen Haare, die es umrahmten. Am Morgen dann ging ich vom Krankenhaus direkt in die Schule. Ich wusste, dass ich katastrophal aussah und die Frage des Lehrers ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit meiner Antwort hatte keiner gerechnet. Jeder in der Klasse war geschockt. Zwar hatte ihn keiner so wirklich gemocht, ja keiner hatte ihn wirklich gekannt, aber das war ja egal. Plötzlich fühlten sie alle mit ihm und ich kam mir nicht mehr so verlassen vor. **** Joschs Zustand besserte sich nach und nach. Als ich das hörte, war ich überglücklich. Schon nach wenigen Tagen wurde er von der Intensivstation auf die normale Station verlegt. Zwei Tage danach durfte ich ihn besuchen. Zum ersten Mal seit Wochen war Josch wach und sah mich an. Er war noch immer blass und sah krank aus, aber ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. Und seine Augen funkelten schon wieder schelmisch. „Wehe, du jagst mir wieder so einen Schrecken ein“, schimpfte ich gespielt und strahlte dabei übers ganze Gesicht. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, frage ich ihn. Er lächelte nur. Seine Antwort bestand nur aus einem noch breiteren Lächeln. Leise erzählte ich ihm von der Schule und den Reaktionen unserer Mitschüler. Es tat gut, wieder mit ihm zu reden und zu wissen, dass er gesund werden würde. Ich erzählte eine ganze Weile und sprach auch weiter, als er müde die Augen schloss. Bald zeigten mir seine ruhigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war. Ein Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht und ich beobachtete ihn eine Weile. Dann stand ich auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Es regnete, wie so oft und meine Gedanken drifteten zurück zu jenem Tag, als Josch sich neben mich auf die Schulbank setzte. Obwohl seitdem erst ein paar Monate vergangen waren, erschien es mir wie Jahre. So gut kannte ich Josch jetzt schon. Damals hätte ich nie gedacht, dass es so etwas geschehen würde. Und mir war auch klar, dass es hätte nie geschehen dürfen. Diese Familie hatte doch schon genug durch machen müssen… Es musste eine geraume Zeit vergangen sein, als ich ein Geräusch hörte und zusammenschreckte. Ich drehte mich zu Josch um und bemerkte, dass er mittlerweile aufgewacht war und mich aus wachen grauen Augen anschaute. „Es regnet“, sagte er leise. Seine Stimme klang rau. Aber für mich war sie die Schönste, die ich jemals gehört hatte. THE END Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)