Another Day in Paradise von Riafya (Wo bist du, wenn ich dich brauche?) ================================================================================ Kapitel 1: Die Trauerfeier -------------------------- Die Trauerfeier Der Regen traf prasselnd auf den Grabstein und lief langsam auf den Boden herab. Normalerweise herrschte auf dem Friedhof feierliche Stille. Er war ein Ort des Friedens und der Ruhe. Und des Lebens. Menschen brachten immer nur den Tod mit ihm in Verbindung, doch wenn man genau hinsah. Wenn man genau aufpasste, dann konnte man erkennen, dass es nirgends mehr Leben kann. Zumindest nicht innerhalb einer Stadt. Auch hier herrschte pures Leben. Vögel sprangen fröhlich zwischen den von Menschen gemachten Steinen herum und versuchten dem eisigen Regen auszuweichen. Eichhörnchen suchten Schutz unter den Blätter gewaltiger Eichen und selbst ein kleiner Fuchs eilte zu seinem Versteck in der Nähe. [Anmerkung: Tut mir Leid, aber ich habe wirklich keine Ahnung von der Tierwelt Japans...] Ein kleiner Vogel flatterte auf den neuesten Grabstein. Er war grau, aber die dunkle Schrift war noch gut zu erkennen, auch wenn der Vogel sie nicht entziffern konnte. Auf dem Stein stand ein kleines Bild eines jungen Menschenmannes. Er war gutaussehend, mit dunklen Haaren und Augen. Aber obwohl er lächelte, wirkte er traurig. Unter dem Grabstein lagen viele Kränze und Blumen, die bereits vom Regen durchnässt worden waren. Der Vogel drehte sich vorsichtig um und erkannte eine junge Frau. Sie hatte ihren Kopf zum Himmel gewandt und ließ das Wasser über ihr Gesicht laufen. Was sie damit wohl bezweckte? Um sie herum standen noch andere Männer und Frauen, allerdings nicht mehr so viele, wie noch vor ein paar Stunden. Alle waren in schwarz gekleidet und sie hielten Regenschirme über ihre Köpfe, um sich vor dem Wasser zu schützen. Nur die Frau ließ es unaufhaltsam auf sich zukommen. Der Vogel neigte seinen Kopf zur Seite und fragte sich, ob sie weinte. //Warum kann das Wetter nicht einmal so sein, wie ich mich nicht fühle?//, dachte Kaede und starrte in den wolkenverhangenen Himmel. Sie befanden sich auf dem evangelischen Friedhof Tokios [keine Ahnung, ob es so einen wirklich gibt]. Ren war mit vierzehn Jahren konfirmiert worden und sie und ihr Vater waren der Meinung gewesen, dass er auch in einem dementsprechenden Ort, die letzte Ruhe finden sollte. Sie hatten seine Leiche nicht gefunden. Es war noch nicht mal sicher, dass er tot war, aber die Experten meinten, es bestehe kein Zweifel. Sie wünschte, sie hätten das nie gesagt. Dann würde sie nicht hier stehen. Dann würde man nicht erwarten, dass sie von ihm Abschied nehmen sollte. Aber es wurde von ihr erwartet. Und ihr blieb nichts anderes übrig, als den Befehlen der Menschen, die nicht so von Trauer durchzogen waren wie sie, zu hören, so schwer es ihr auch fiel. Ganz plötzlich hörte sie neben sich ein Schluchzen. Sie wandte langsam den Kopf in die Richtung und sah, wie ihrem Vater Tränen die Wangen hinunterliefen. Wann hatte er sie das letzte Mal besucht? Als er auf Grund des Geschäfts nach Japan musste. Einfach so besuchte er seine Kinder wohl nur, wenn sie starben. Auf ihrer anderen Seite stand Yashiro. Er rang deutlich um Fassung. Kaede fragte sich, wen er wohl als nächstes betreuen würde, falls er wieder jemanden betreuen würde. Rens Tod hatte ihn ziemlich mitgenommen, das hatte sie bemerkt, aber er hatte den starken gespielt - um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Sie ließ ihren Blick über die anderen Anwesenden wandern. Kyoko, ganz in schwarz und mit beängstigender ausdrucksloser Miene, Shin, der tröstend einen Arm um sie geschwungen hatte und die ganze Zeit Kanae beobachtete, die an Kyokos anderer Seite Stellung bezogen hatte, der Präsident, Maria, die schon die ganze Zeit weinte, Midori und Sho. Kaede fragte sich, was ihn dazu bewogen hatte, hierherzukommen, besonders, weil er ziemlich mitgenommen aussah. Hatte er Ren nicht gehasst? Sie sah wieder zum Grabstein und sah den Pfarrer ungeduldig von einen Bein aufs andere hüpfen. Er wartet wohl darauf, dass auch sie endlich ihre Blumen auf das leere Grab legten, damit er Feierabend machen konnte. Das Grab war eher eine symbolische Sache. Damit sie einen Ort hatten, an dem sie Ren besuchen konnten und damit auch der letzte Mensch einsah, dass er tot war. Tausende von Fans waren bis vor einigen Momenten noch da gewesen und hatten sich tränenreich von ihrem Lieblingsstar verabschiedet. Doch nun war nur noch der engste Kreis da, wie Familie und Freunde. Da niemand anderes Anstalten machte, auf das Grab zuzugehen, seufzte sie und lief angemessenen Schrittes los. Der Pfarrer trat erleichtert zur Seite und alle anderen richteten sofort ihre Blicke auf sie. Ganz langsam kam sie direkt vor den anderen Blumen zum Stillstand und betrachtete sie. Sie waren vom Regenwasser ganz nass und leuchteten alle in demselben öden weiß. Ren hätte das nicht gefallen. Er hatte solche eintönigen Beerdigungen schon immer gehasst. Früher glaubte Kaede, es wäre wegen dem Abschiednehmen gewesen, doch nun begriff sie, dass nicht der Friedhof der Ort war, an dem man Abschied nahm. Manchmal nahm man niemals Abschied. Sie kniete sich nieder und legte eine Kornblume auf die anderen Blumen. Dann erhob sie sich und atmete tief durch. “Nun ist es endlich soweit”, sagte sie zu dem Bild, “Nun bist du Zuhause angekommen. Ich wünschte nur, du hättest mich mitgenommen, Kuon.” Kaede blickte noch einmal auf die Kornblume herab, dann wirbelte sie herum und eilte schnellen Schrittes davon. Sie konnte es nicht aushalten, an diesem Ort zu bleiben. Die anderen sahen ihr mit starren Blicken hinterher. Schließlich tat Kuu es ihr nach. Auch er ging zu dem Grab seines Sohnes und legte eine weiße Blume ab, wie es sich eigentlich bei Beerdigungen gehörte. Er seufzte tief und sah hinauf in den Himmel. Ob es seinem Sohn dort besser ging, als auf der Erde? Ob er Julie, seine Mutter wiedersah? “Kein Vater sollte seinen Sohn zu Grabe tragen”, sagte er mit zitternder Stimme. “Kein Vater sollte das tun.” Als nächstes gingen Rory und Maria zum Grab und legten. Das kleine Mädchen klammerte sich verzweifelt an ihren Großvater und schluchzte unentwegt. Rory versuchte sie mit trauriger Miene zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht. Deshalb entschuldigte er sich und brachte sie nach Hause. Kyoko hatte sie alle durch einen Schleier der Leere beobachtet. Ihr Kopf tat furchtbar weh und sie war hundemüde, da sie lange nicht mehr geschlafen hatte. Doch das nahm sie nur nebenbei wahr. Ihrer Welt war der Mittelpunkt genommen worden. Der Grund des Lebens. Denn Ren war tot. Sie konnte und wollte es nicht begreifen. Wie konnte er tot sein? Sie hatten doch noch viele schöne Tage miteinander verbringen wollen. Wie konnte er es nur wagen, sie einfach so zu verlassen? Sie umklammerte die rote Rose in ihren Händen fester und stach sich mit den Dornen die Finger. Blut lief an ihrer Hand herunter, doch der Schmerz war nur ein lästiges Pochen, nichts im Vergleich zu ihrem seelischen Schmerz. Plötzlich spürte sie, wie jemand an ihren Schultern rüttelte. “Kyoko, willst du nicht auch deine Blume hinlegen?” Sie blinzelte und wandte mühsam den Kopf. Shin hatte sie angesprochen. Er sah sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck an. Sie drehte ihren Kopf zum Grabstein und sah, wie Yashiro davor zusammengesunken dasaß. Sein Körper zitterte unbeherrscht und Midori hatte sich neben ihn gesetzt und sprach ihm beruhigend zu. Ob sie auch so aussehen würde, wenn sie sich dem Grab auch nur einen Schritt näherte? “Kyoko”, hörte sie abermals Shins Stimme, diesmal etwas drängender. Sie atmete tief ein und ging auf den schluchzenden Yashiro zu. Er blickte auf, als sie näher kam und ruschte zur Seite. Nun stand sie vor dem Grab. Allein. How can you leave me standing? Alone in a world that's so cold? Langsam, ganz langsam ging sie in die Knie und hockte sich auf die Nasse Erde. Ihren Regenschirm hatte sie irgendwo fallen lassen. Maybe I'm just too demanding Maybe I'm just like my father too bold Sie legte die rote Rose neben Sakuras blaue Kornblume und sah hinauf zu Rens Bild. Der Regen traf rücksichtslos auf ihren Körper und ließ sie unwillkürlich Frösteln. Maybe you're just like my mother She's never satisfied “Ich liebe dich”, flüsterte sie. “Sag, warum hast du mich verlassen?” Why do we scream at each other This is what it sounds like When doves cry Sie erhielt keine Antwort. Wütend schlug sie mit der Faust auf die Erde und schrie: “Warum hast du mich verlassen, du Blödmann? Warum hast du mich allein gelassen? Warum bist du dorthin gegangen, wohin ich dir nicht folgen kann?” Sie spürte, wie die Tränen an ihrem Gesicht hinabliefen, wie sooft in den letzten Tagen und wurde etwas ruhiger. “Wie kannst du nur denken, dass ich ohne dich weiterleben kann?” Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte hemmungslos. “Kyoko”, hörte sie Shin sagen. “Beruhige dich, bitte.” Sie ignorierte ihn, auch seine warme Hand, die offenbar tröstend wirken sollte und auf ihrer Schulter lag. Sie ignorierte alles und ließ sich vollkommen von ihrem Schmerz, ihrer Trauer übermannen. Die klare Flüssigkeit traf geräuschvoll auf den Boden des Glases, das bald zur Gänze gefüllt war. Manchmal ist es gut sich zu betrinken, aber es sollte immer einen geben, der einen klaren Kopf behält. Kaede sah sich im Raum um. Alle saßen in kleinen Gruppen zusammen und lachten sich kaputt, unter Einfluss zu vielen Alkohols. Auch ihr Vater lachte laut und kräftig, auch wenn sein Gesicht tränenüberströmt war. //Ist das wirklich eine Lösung? Sich zu betrinken, bis der Grund des Trinkens vergessen ist?// Offensichtlich ja. Denn warum taten das sonst alle? Sie nippte an ihrem Wasserglas und ging langsam auf die Tür zu, die nach draußen führte. Der Regen hatte aufgehört und das Licht der untergehenden Sonne brach bereits wieder durch die dunkle Wolkendecke. Kyoko saß auf einer Bank, mit dem Rücken zu ihr und sah hinüber zu der hochgewachsenen Hecke, hinter der der Friedhof lag. Kaede seufzte und ging zurück in die Gaststätte, die sie extra für die Trauerfeier gemietet hatten. Anwesend waren rund fünfizig Personen, von denen höchstens ein Viertel wirklich eine Beziehung zu Ren gehabt hatten. Langsam bahnte sie sich einen Weg zu den Getränken und füllte einen Becher mit warmen Tee. Dann ging sie wieder nach draußen. “Hier bitte”, sagte sie zu Kyoko und hielt ihr den dampfenden Becher hin. Diese wandte langsam den Kopf und sah sie verständnislos an. Schließlich schien sie zu begreifen, dass der Becher für sie bestimmt war, denn sie nahm ihn mit zitternden Händen entgegen und begann daran zu nippen. Kaede ließ sich neben ihr nieder. Gemeinsam schwiegen sie und lauschten den leisen Lachern, die von innen nach draußen drangen. “Verlaufen alle Trauerfeiern so ab?”, fragte Kyoko schließlich. Kaede nickte. “Ja, das tun sie.” “Na toll.” Die Ältere nickte und seufzte. “Kuon hat Beerdigungen nie gemocht. Er ist meistens geblieben bis die Person unter der Erde war und ist dann irgendwohin abgehauen, wo er erst einmal eine Zigarette geraucht hat. Ich wünschte, ich könnte es ihm nachtun.” “In diesem Fall ist es unmöglich”, murmelte die Schwarzhaarige. “Wir haben keine Leiche.” Kaede legte ihr einen Arm um die Schulter. Kyoko lehnte sich dankbar an sie und versuchte ihre erneuten Tränen zu unterdrücken. “Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich weiß, wie du dich fühlst, aber ich kann es nicht. Das einzige, was ich dir mit Sicherheit sagen kann, ist, dass irgendwann der Tag kommen wird, an dem du es akzeptieren und weiterleben kannst. Im Moment denkst du zwar, dass das nicht sein kann, aber es wird passieren und dann wirst du einfach nur froh sein, eine so schöne Erinnerung haben zu können.” Die Jüngere nickte und nahm einen weiteren Schluck Tee, während die Tränen weiter an ihren Wangen hinabliefen. In diesem Moment brach der Himmel auf und ließ das Licht der Sonne auf ihre Gesichter strahlen. Alles hat ein Ende. Auch der Tag. ____________________________________________________ So, hier melde ich mich nun zum ersten Mal in Another Day in Paradise. Ich begrüße hiermit alle, die wieder mit dabei sind und jene, die neu dazugekommen sind. Ich hoffe, ihr lasst mir ein paar Kommentare da. ^^ Ja, was gibt es denn so zu sagen... *überleg* Ah, ja. Der Titel hab ich mir von meinem Lieblingslied von Phil Collins ausgeliehen und der kursive Text in diesem Kapitel war ein Stück des Textes von dem Song When Doves Crys, aus dem Soundtrack von Romeo und Julia, mit DiCaprio. Ich finde, er passt ganz gut zu der Stelle. Aber ihr fragt euch sicher, warum der Titel dieser FF so ist, wie er ist. Nun, ich bin schon auf eure Spekulationen gespannt. ^^ Ansonsten hoffe ich, dass euch diese FF gefällt und ihr mir weiterhin treu bleibt. ^^ Bis bald Eure Ayako Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)