Sorglospunks forever von Nifen ================================================================================ Kapitel 10: Große Ereignisse und kleine Schatten ------------------------------------------------ Erwartungsvolle Spannung hatte sich über den Kontinent gelegt, alle fieberten sie dem einen, dem ultimativen Ereignis des Frühsommers entgegen. Und mittendrin, in einem kleinen schwäbischen Fleckchen, die Sorglospunks samt Entourage, Maskottchen und natürlich einem Fußball-EM-Euro-2008-tauglichen Hauptquartier. Dafür hatten Frontfrau Easy und die höchsteigene Bandmuse abranka gesorgt. War ja schließlich Ehrensache, wo man doch im Schwabenland so nah am Eurogeschehen dran war, wie das in Deutschland nur irgend möglich war. Gut, vielleicht gab es noch einen kleinen Zipfel in Bayern, der südlicher war, aber der zählte ja nicht. Auch nicht die etwa 80 Kilometer bis zur Schweizer Grenze. Im Herzen war das Hauptquartier der sorglosesten Punkband südlichster Punkt Deutschlands und somit ganz nah dran am Ball. Und wer wusste schon, vielleicht waren ja in der Schweiz und in Österreich alle Quartiere ausgebucht und irgendwelche spät angereisten Fußballstars mussten deswegen ins benachbarte Deutschland ausweichen… Da würde sich doch bestimmt noch eine Luftmatratze auf dem WG-Dachboden finden lassen. Oder man bot einfach den Vorgarten als Trainingsplatz an. Zum Torschießen könnte man ja dann Lenns Philosophenfass nehmen. Dann hätte der Bandphilosoph wenigstens ordentlich was zu philosophieren. Wen wunderte es da also, dass Easy in mühevoller Kleinarbeit die Post-its an den Wänden zu wahren Fußball-Mosaik-Kunstwerken neu angeordnet hatte – die darauf verewigten Songtexte waren eh schon verinnerlicht und was so Notizen wie „Bitte neues Brot einkaufen“ betraf, so waren die sowieso dauerhaft überholt – und abranka fleißig in alle Schrankschlüsselreiden, Blumenvasen, Schirmständer, herumstehende Konzertgitarren, Blockflöten, Topfpflanzen, etc., etc. Deutschlandfähnchen gesteckt hatte. Ganz zu schweigen von dem Nachmittag, den die beiden fußballverrücktesten Mitglieder dieser WG damit verbracht hatten, mit Hilfe eines Eddings einer ganzen Wagenladung Tischtennisbällen zu einer neuen Fußballoptik und damit einem neuen Deko-Leben zu verhelfen. (Erst als Bluesspezialist Chris freudestrahlend und glückselig durch die Wohnung tanzend – Umeko hatte ihm gerade verkündet, dass sie sich für eine Praktikumsstelle in Deutschland beworben hatte – auf den neuen schwarz-weißen Gefährten ausgerutscht und dabei beinahe in seine geliebte Lady Guitar gerauscht wäre, hatten die beiden Bastler eingesehen, dass sie wohl genug Mini-Fußbälle produziert hatten.) Einzig Nifen hatte sich von dem Fußballfieber bislang reichlich wenig anstecken lassen, sondern sich schlicht mit einem „ruft mich, wenn wir das Viertelfinale erreicht haben“ in ihr Büro verzogen. Schließlich gab es da ja auch noch einen Altador-Cup, auf den es sich vorzubereiten galt, und das war viel (un)wichtiger. Aber die pseudo-ablehnende Haltung der Managerin zählte ja eh nicht, auf die Dauer würde auch sie sich nicht dem Wahnsinn entziehen können und garantiert spätestens am achten Juni mit den anderen Mitgliedern der Band auf dem Sofa sitzen und ihre Jungs anfeuern. Und wenn sie dafür die Internetleitung kappen müssten! Noch aber war es nicht soweit, noch herrschte Ruhe vor dem Sturm und noch saß Easy mit Kiwi allein auf dem Sofa und übte mit dem Maskottchen die Laola-Welle. Schließlich war Kiwi die intelligenteste Katze unter den Maskottchen und als solche würde sie sicher stolz die Katzen-Laola-Welle durch das heimische Wohnzimmer anführen wollen. Also hieß es üben, üben, üben, damit auch jede noch so kleine Pfotenbewegung saß. Kurz bevor die Bandkatze davor war, sich einen echten Muskelkater einzuhandeln – den hätte sie dann selbst fleißig trainiert und auf Easy losgelassen – verkündete das Klicken des Schlosses an der Eingangstür das Ende der Übungsstunde. Jack, die Drummerin der Band und sonstiges musikalisches Allroundtalent, hatte gemeinsam mit abranka und Chibichi, dem Teufel höchstpersönlich, noch einen Abstecher zum WWWB-Markt gemacht, um sicher zu stellen, dass ihnen während des Fußballgroßereignisses nicht so lebenswichtige Dinge wie Schokolade, Kaffee oder Chips – von dem allgegenwärtigen Brot ganz zu schweigen – ausgingen. „Wir sind wieder da!“, rief Jack auch gleich bedeutungsschwer, während sie die schweren Taschen und Tüten mit den Vorräten gen Küche trug. Aufgeregt maunzend rannte Kiwi hinterher, um zu sehen, was für Katzenfutter das Blockflötenwunder der Band für sie dieses Mal mitgebracht hatte, während Chiiiiiiii ihr beruhigend erklärte, dass sie Jack und abranka extra noch mal an das Futter erinnert hatte und auch aufgepasst hatte, dass die Tüte nicht beim WWWB-Markt zurückblieb. So kam es, dass bei dem allgemeinen Trubel niemand den katzenförmigen Schatten bemerkte, der durch die Eingangstür gehuscht kam und sich rasch hinter dem (geschmückten) Regenschirmständer versteckte. Zwei Tage später war es dann soweit. Und während im ausverkauften St. Jakob-Park in Basel die Fans auf den Beginn der Eröffnungsfeierlichkeiten warteten, wirbelte Easy hektisch durch das Sorglospunk-Hauptquartier. Es gab ja noch so viel zu erledigen! Es mussten alle Thermoskannen mit Kaffee gefüllt werden (damit man nicht im entscheidenden Moment in Versuchung geriet, in der Küche Nachschub zu holen und dann am Ende den Einmarsch der Spieler, das erste Foul oder gar die erste Torchance verpasste, vom eigentlichen Tor ganz zu schweigen), ein paar belegte Brote vorbereitet, die Chips und die Schokolade in Reichweite des Sofas positioniert werden – aber keineswegs in der Rennbahn zum Badezimmer, denn schließlich war selbst in der Halbzeitpause jede Sekunde kostbar, besonders dann, wenn man nicht die einzige war, die dringend auf die Toilette musste – und vor allem die Fernbedienung hinsichtlich der Leistungsstärke der Batterien überprüft werden. Von dem passenden Outfit, das es anzuziehen galt ganz zu schweigen. Und weil Deutschland heute noch nicht spielen würde, gebot die geographische Nähe, dass man zu der Schweizer Mannschaft hielt, also das rote T-Shirt und bloß eine kleine Deutschlandfahne auf die Wange geschminkt. Plötzlich gellte ein durchdringender, spitzer Schrei durch die sonst so sorglose WG! Augenblicklich versammelten sich alle in der Küche. Sogar Nifen kam, trotz der akuten Fußballfieber-Ansteckungsgefahr, aus ihrem Büro geschossen. „Easy, was ist los?“, fragte abranka die kalkweiße Leadsängerin. Noch immer am ganzen Körper zitternd, deutete Easy auf ein harmlos aussehendes, frisch geöffnetes Päckchen Kaffeepulver. Argwöhnisch betrachteten die Versammelten erst die Packung, dann Easy und dann wieder die Packung, ehe sich Nifen ein Herz fasste und den Kaffee genauer unter die Lupe nahm. „Eewwww!“ Eindeutig hatte sie zuletzt in ihrem englischen Chat gesurft. „Scheint als hätte die Packung irgendwie Feuchtigkeit gezogen. Das hier drin sieht aus wie der Kaffeefilter nach unserem letzten Urlaub.“ Im Eifer des NASA-Expeditionsgefechts hatte die Truppe nämlich den letzten Kaffeefilter in der Maschine vergessen und dieser hatte munter vier Wochen lang mit allen Schimmelsporen in der Luft Freundschaft geschlossen. „Alles halb so wild“, versuchte abranka Easy zu trösten. „Zum Glück hat Jack ja mehr als nur das eine Päckchen mitgebracht. Nehmen wir einfach das nächste und dieses hier reklamieren wir beim nächsten Besuch im WWWB-Markt.“ Doch auch das zweite Päckchen lächelte ihnen bläulich-grün entgegen, und das dritte und das vierte und das fünfte und das sechste und das.... Kurz und gut, alle Päcken waren innen drin verschimmelt. „Hehehehehe!“ Ein feines, leises, fieses Lachen schwebte durch die Luft; nicht von dieser Welt und somit allenfalls von Kiwi, abranka oder Chiiiiiiii wahrnehmbar, aber diese drei waren gerade zu sehr mit der aktuellen Krise beschäftigt, als dass sie diesen unirdischen Laut gehört hätten. Schließlich galt es Easy davon zu überzeugen, dass selbst wenn alle Kaffeevorräte der Welt verschimmelt waren, es noch lange nicht die Apokalypse bedeutete, diese sei nämlich in vertraglich festgelegter Übereinkunft zwischen Himmel und Hölle erst für das Jahr 2222 (nach muslimischem Kalender) geplant. Und während Muse und Teufel die Frontfrau damit zu trösten versuchten, dass man an diesem Tag halt einfach auf die eiserne Reserve in Form von löslichem Kaffee zurückgreifen würde, machte sich Kiwi mit dem Felinopyximatic 2000 daran, systematisch alle Dosen Katzenfutter zu öffnen, um sicherzustellen, dass ihr Futter nicht auch von dem mysteriösen Schimmelbefall betroffen war. Doch bis auf die Tatsache, dass sich ihr aus unerfindlichen Gründen das Fell aufstellte, war in dem von Futter und Schlaf geprägten Universum des Maskottchens alles in Ordnung. Eine halbe Stunde später war die Küche wieder aufgeräumt und angesichts des stetig runterzählenden Countdowns hatte sich Easy dann doch mit löslichem Instant-Kaffee zufrieden gegeben. Denn jetzt galt es erst mal Posten zu beziehen. Couch – wir kommen! Plötzlich hallte abermals ein durchdringender, spitzer Schrei durch die WG, dieses Mal aber in vierfacher Lautstärke. Erneut kam Nifen aus ihrem Büro gestürzt – sie hätte eben gleich dableiben sollen – nur um zu erfahren, dass der Fernbedienung die Batterien fehlten. „Und? Dann tut ihr eben neue rein, oder bedient den Fernseher auf die altmodische Art und Weise direkt am Gerät.“ Oh, oh! Das hätte die Managerin wohl besser nicht so lapidar in die Runde werfen sollen. Denn prompt wurde sie mit aller Deutlichkeit darüber aufgeklärt, dass eine Bedienung am Gerät gar nicht in Frage käme, weil dann ja immer einer durch das Bild liefe und so mindestens einem Sofa-Fußball-Fan die Sicht auf weltbewegende Fußballereignisse nehmen würde. Nicht auszudenken, wenn ausgerechnet dann ein Tor fiele. So ignorant und herzlos konnte doch wohl mal bitte niemand sein! Was allerdings den Vorschlag von Ersatzbatterien betraf, so wurde dieser schon gnädiger aufgenommen, weshalb Jack und Chris auch gleich auf die Suche nach neuen Batterien das ganze Sorglospunk-Hauptquartier auf den Kopf stellten. Nur, um schließlich einsehen zu müssen, dass sie zwar so ziemlich alles an Batteriesorten vorrätig hatten, nur nicht die dünnen AAA-Batterien für die Fernbedienung. Noch nicht mal abranka hatte welche in ihrer sonst für alle Notfälle gerüsteten Musenwolke. Easy, schon einem Herzkoller nah, japste bloß: „Supermarkt... neue...“, während sie in ihre Schuhe stürzte, um zum nächsten Endverbraucherversorger zu hetzen. „Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!“ Das Wehgeheul war sogar bis ins heimische Wohnzimmer zu hören. Ausgerechnet an diesem Tag hatte der örtliche Discounter und einzige Supermarkt am Platz wegen der Fußball-EM früher geschlossen. „Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii! Die sind soooooooooo gemein!“ Schluchzend klammerte sich Easy, nach einem schier endlos scheinenden Rückweg, wo die Füße vor lauter Niedergeschlagenheit mit jedem Schritt schwerer geworden waren, an den Teufel. Und selbst abranka war mittlerweile der Verzweiflung nahe – ein für Musen eigentlich nahezu unmöglicher Gemütszustand. Auch ihr entrang sich ein mitleidig flehendes „Chiii!“, das den Teufel wohl zu einer wie auch immer gearteten Rettungsaktion inspirieren sollte. Was bei so materiellen Dingen wie Batterien meist auf einen Expresstrip zum WWWB-Markt hinauslief. „Sorry Leute, aber der Wundbar-Wundersames-Wunderbar-Billig-Markt hat heute wegen Inventur geschlossen“, erklärte Chibichi schließlich leise. „Hehehehehe!“ Und wieder lag dieses fiese, unirdische Lachen in der Luft. Doch dieses Mal verhallte es nicht ungehört. Augenblicklich richtete sich Chibichi zu ihrer wahren dämonischen Größe auf, und auch abranka suchte ihre spitzesten Pfeile für die stumpfsten Ideen – so sinnfrei, dass es nur wehtat – heraus. „Murphy!“, polterte das Höllenoberhaupt dann laut und vernehmlich. „Murphy? Klar, kann man wohl sagen. Alles was schief gehen kann, geht auch schief“, murmelte Nifen wenig hilfreich. Chibichi aber ließ sich von diesem Zwischenkommentar nicht ablenken. „Murphy, komm sofort raus, du räudiger Fellball von einem Dämonenkater!“ Und tatsächlich erschien plötzlich hinter der großen Topfpflanze ein schwarzer, katzenförmiger Schatten, teilte sich, verdichtete sich und dann stand auf einmal der schwarze Kater, den Kiwi seinerzeit im WWWB-Markt kennengelernt hatte, samt seinem Schatten im Sorglospunk-Wohnzimmer. Überrascht starrte ihn die ganze WG an, während Kiwi nicht recht wusste, ob sie sich über das plötzliche Wiedersehen freuen oder den frechen Eindringling anfauchen sollte. Derweil hatten Teufel und Dämon stumme Zwiesprache gehalten. Schließlich seufzte Chibichi und sagte kopfschüttelnd: „Also gut, meinetwegen kannst du hierbleiben und mit uns die EM schauen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass du die Batterien wieder rausrückst und morgen neuen Kaffee kaufst. Und wenn dich Kiwi attackiert, werde ich nicht eingreifen.“ Kurzes, bedeutungsvolles Schweigen. „Oh nein, mein Lieber, nichts da mit Dämonenkräften. Die habe ich vorübergehend gebunden. Du wirst also auf die altmodische Art und Weise Kiwi von deinem Charme überzeugen müssen.“ Und so kam es, dass die Sorglospunks dann doch noch rechtzeitig zum Eröffnungsspiel Schweiz gegen Tschechien den Fernseher einschalten konnten. Sogar Nifen hatte schlussendlich beschlossen, für die nächsten neunzig Minuten Altador Cup Altador Cup sein zu lassen und stattdessen Fußball zu sehen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)