Tell me the best way I could kill you & Back to reality von abgemeldet (~ Yu Kanda x Tyki Mikk~) ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1: Tell me the best way I could kill you! --------------------------------------------------------- Prolog ~ Leise rieselte der poröse Putz aus dem Mauerwerk, als in weißen Stoff gehüllte Fingerkuppen an diesem entlang strichen. Der trockene Kies des Bodens knackte unter bedächtigen Schritten und eine Gestalt schob sich in eine schmale Seitenstraße. Umgeben von menschenleeren Häusern… die Stille der kargen Mauern war einem scheinbar ziellosen Wanderer ein angenehmer Gefährte. Warm legte sich das Licht der Sonne auf die schmalen Schultern des jungen Mannes, der annähernd schwelgend seiner Wege ging. Der Schatten seiner schlanken Silhouette flüchtete sich über die Außenfassade einer verlassenen Gaststätte und abermals begannen die Finger an dem Gestein entlang zu gleiten. Wild umstob der trockene Staub das Schattenbild einer Gestalt, die sich aus der unendlich erscheinenden Wüstengegend löste. Pfeifend umspielten Windböen die Bewegungen seiner Schritte, während sich ein schwarzer Mantel unter ihnen aufbäumte. Wirr fiel das lange, zu einem Zopf gebundene Haar in die Stirn des jungen Mannes, streifte die Hand, die entspannt zum Schutz vor die Augen gehoben war. Und wie ein Schattengebilde selbst tauchten vor ihm die steinernen Ruinen eines Dorfes auf, als er die Finger spreizte und seine dunklen Augen die trostlosen Gebäude durchmusterten. Entspannt setzte sich der schwarze Stiefel auf die Bordsteinkante einer ehemaligen Hauptstraße und er stieg hinauf auf den Weg, hielt dort inne und wandte sich um. Aufmerksam studierten seine dunklen Augen eine ehemalige Gaststätte. Die eisernen Riemen waren gerissen, schief hing das Schild in den Angeln und bewegte sich quietschend unter dem aufkommenden Wind. Die schmalen Augenbrauen verzogen sich nachdenklich und er blickte zum Ende der Straße und hinaus in die öde Wüstengegend, die dieses Dorf umschloss. Ein Sturm schien aufzukommen. Beiläufig fuhren die weißen Handschuhe über den Stoff des edlen Fracks, glätteten es. Es war beruhigend, sich hier in Sicherheit zu wissen, ungestört in dem friedlichen Spaziergang zu bleiben, den er hier sehr gerne unternahm. Er erinnerte sich. Eine schwarze Locke neckte seinen Nacken und er nahm die Gelegenheit wahr, um sich den Kragen zu richten. Vor einem Monat war er noch hier gewesen. Auf der Durchreise war er den Menschen dieses Dorfes begegnet, hatte gut in jener Gaststätte gegessen. Ein fragwürdiges Erlebnis, da ihm die Einsamkeit dieses Ortes eher gefiel. Es hatte nicht lange gedauert, der Angriff der Akuma endete so schnell, wie er begann und zurück blieb das, was er nun sah. Kurz darauf saß der Kragen wieder ordentlich und in genügsamen Schritten führte er seinen Spaziergang fort. Mit einem Schritt ließ der junge Mann die matt schimmernden Gleisen hinter sich, die das Dorf von der Wüste trennten. Das Kinn gen Brust gesenkt, den Gang verschnellernd, näherte er sich den Ruinen. In einem dünnen Film bedeckte der feine Wüstenstaub den Stoff des Mantels und mit wenigen Handbewegungen befreite er sich etwas von ihm. Kitzelnd glitt eine verirrte Haarsträhne über seine jungen Gesichtszüge und auch diese strich er zurück, bevor sich die Hand hinabsenkte, zielstrebig zum Gürtel fand und an diesem die schwarze kunstvolle Scheide eines Katanas ertastete. Auch diese zog er zu Recht, bevor er die ersten Häuser erreichte und sich in eine Gasse davonstahl, die ihm etwas Schutz gewährte. Der Marsch durch diese Ebene war so Kraft raubend wie unabdingbar gewesen und seine Schritte zeugten von Müdigkeit, als er die Gasse wiederum verließ, in eine Nebenstraße einbog und sich barsch über das Gesicht fuhr. Dieser Staub… er setzte sich in jede Pore, die sich nicht schützen ließ. Er blinzelte, schürzte die Lippen und schüttelte den letzten Sand aus seinem Haar, um sich daraufhin flüchtig umzublicken, eine gewisse Orientierung zu erlangen. Der Auftrag hatte ihn länger und härter gefordert, als erwartet und war trotz alledem von so geringer Wichtigkeit gewesen, dass der junge Mann seit geraumer Zeit weniger zufrieden wirkte. Ungeduldig blickte er um sich, fuhr sich mit dem Unterarm über den Mund und wählte den linken Weg. Ein leises Seufzen ausstoßend, blieb er stehen und genoss den Anblick einer wunderschönen Brücke, die die Menschen über den einstigen Fluss geführt hatte, nun über ein trockenes Bett ragte… und dennoch. Der junge Mann legte den Kopf schief, Neugierde verlieh seinem Gesicht Ausdruck und schlendernd näherte er sich dem Bauwerk. Diese Feinarbeit war entzückend. Vorsichtig stieg er über trockene Gräser, seine Hand tastete nach dem edlen schwarzen Zylinder und mit großen Augen studierte er die Details des hölzernen Geländers. Hier schienen Künstler gelebt zu haben. Er rückte an dem Zylinder, folgte der schmalen Krempe mit den Fingern und beugte sich sogar vor. Zu schade, dass sie es nun nicht mehr taten. Nach wenigen Augenblicken riss er sich von der Betrachtung los und leise pochten die harten Absätze seiner Stiefel über den hölzernen Boden, als er die Brücke überschritt. Und dort… er bettete die Hand auf dem Geländer, hatte schon wieder etwas entdeckt. Dort vor ihm musste der Markt abgehalten worden sein. Ein großer Platz tat sich auf der anderen Seite der Brücke auf, bedeckt mit Pflastersteinen. Und er machte sich auf den Weg zu diesem. Die Schritte des jungen Mannes verlangsamten sich unentschlossen, als er an einem unauffälligen Hinterhof vorbeizog. Skeptisch durchforsteten die Augen die unüberschaubaren Häuserreihen und alsbald blieb er stehen. Noch nie zuvor war er hier gewesen, da diese Art eines Weges weniger seiner Vorliebe entsprach. Stumm bewegten sich seine Lippen aufeinander und nach einem kurzen Grübeln blickte er zurück. Aus dem Norden war er gekommen und nun… er rümpfte die Nase, bog nach rechts und überquerte eine schmale Straße, um sich einen kleinen Pfad zunutze zu machen. Je eher er das Hauptquartier erreichte, desto eher gelangte er auch an anspruchsvolle Aufträge, nach denen er das Gefühl hatte, etwas erreicht zu haben. Seine Schulter schrammte die poröse Ecke eines Hauses, als er sich in die Gasse schob und den Blick auf den großen Platz richtete, der sich hinter ihr erstreckte. Kapitel 2: ~1~ -------------- Kapitel ~ 1 Leise knirschte der Kies unter den Stiefeln, als er den Platz erreichte und sich die glatten Pflastersteine besah. Ziellos schlenderte er über den Platz, zog an einem trockenen Holzbalken vorbei und schlug das Frack zurück, um die Hände galant in den Hosentaschen zu verstauen. Seine langen Beine bewegten sich in weiten Schritten und er begann zu schlendern, senkte den Kopf gen Boden und trat einen Stein fort. Aufmerksam folgten die dunklen Augen den Bewegungen des Steines, flüchteten sich jedoch zielstrebig zur Seite. Ein flüchtiger Argwohn formte seine Brauen und kurz darauf blieb er stehen, um den Neuankömmling akribisch zu mustern. Nicht weit entfernt war ein Anderer aus einer Gasse getreten. Längst hatte Kanda den Fremden erspäht und auch er verlangsamte seine Schritte, seine Bewegungen, bis er ebenso inne hielt. Fest und misstrauisch hafteten seine Pupillen auf dem Größeren und dieser legte in dieselbe Beobachtung vertieft, den Kopf schief. Unauffällig fand Kandas Hand Halt am Gürtel. Nahe dem Schwert hakte sich der Daumen unter das Leder und nach einem kurzen Schweigen näherte er sich dem Anderen lauernd. >Ein Exorzist…?< Tyki verbarg die Tatsache, dass er negativ überrascht wurde, hinter einer erwartungsvollen Miene. Seine Hände verblieben entspannt in den Hosentaschen und er hob die Augenbrauen, als sich die Stimme des Anderen erhob. „Hey.“ Barsch sprach Kanda den Fremden an, während er ihn nicht aus den Augen ließ und erneut inne hielt, sobald er eine gewisse Distanz erreicht hatte. „Wer bist du.“ „Mm?“ Tyki wirkte überrascht. Mit großen Augen blickte er um sich, war sich jedoch bald sicher, dass wirklich er Zeuge der puren Freundlichkeit wurde. So wandte er sich wieder an Kanda, der ihm scheinbar entspannt gegenüberstand und eine jede seiner Bewegungen kritisch verfolgte. „Ah“, ein ruhiges Lächeln verlieh Tykis Lippen Ausdruck und er befreite eine Hand aus der Hosentasche, um knapp mir ihr zu gestikulieren. „Ich bin nur auf der Durchreise.“ Zielstrebig richtete sich sein Zeigefinger auf sein Gegenüber. „Und du?“ „Du hast mir die Frage nicht beantwortet“, unterbrach Kanda ihn beinahe, langsam näherte sich die Hand dem Katana und flüchtig wurde Tyki auf diese Bewegung aufmerksam. „Habe ich nicht?“, murmelte er verwundert, während seine Pupillen das Schwert streiften. „Was macht man alleine an so einem Ort“, fuhr Kanda skeptisch fort, seine Hand hielt in der Bewegung inne und Tyki blähte die Wangen auf, wirkte überfordert. „Spazieren gehen?“ Und die Miene des Anderen brachte eine leichte Enttäuschung zum Ausdruck und er schüttelte auch den Kopf. „Nein“, seufzte er geduldig. „Ich sagte doch, nur eine Durchreise. Von der ich gerade abgehalten werde.“ „Dein Name“, beharrte Kanda und sein Gegenüber streifte sich das Haar aus dem Nacken, stemmte die Hand in die schlanke Hüfte und legte den Kopf schief. „Tyki heiße ich“, verriet er dann mit dem Hauch eines Schmunzelns. „Und ich reise alleine und ohne Gepäck, genau wie du, weshalb du deshalb wohl nicht zu fragen brauchst. Mein Name wird dir wohl genauso wenig sagen und wir beide tun nichts Falsches daran, uns nicht weiterhin aufzuhalten.“ Kanda antwortete nicht. Er schürzte die Lippen, musterte den jungen Mann von Kopf bis Fuß und löste die Hand vom Gürtel. Wenn auch zögernd, er ließ sie etwas sinken. Was für ein Erfolg… Tyki freute sich darüber. Es lag ihm nichts an einem unnötigen Kampf. Ganz im Gegensatz zu dem Spaziergang, den er ebenso entspannt fortsetzen wollte. „Ich bin ein normaler Reisender und führe nichts Schlimmes im Schilde“, fügte er noch hinzu und ein umgängliches Lächeln formte seine Lippen. „Geh und jage die wirklich bösen Jungs, Mr. Exorzist.“ Ein flüchtiges Zucken fuhr durch Kandas Miene, ließ diese noch düsterer erscheinen und dennoch senkte sich seine Hand nun vollends. Seine Haltung entspannte sich, schien die Alarmbereitschaft loszuwerden und nachdem seine Augenwinkel erzitterten, schnalzte er mit der Zunge und trat einen Schritt zur Seite. Zufrieden verfolgte Tyki seine Bewegungen, wurde selbst noch fest in Augenschein genommen und konzentrierte sich dennoch wieder auf seinen Weg. Dort hinter den Häusern, da gab es noch eine Brücke, die man gesehen haben musste. „Es ist gefährlich, alleine hier herumzulaufen“, erhob sich da Kandas Stimme erneut und Tyki hob die Augenbrauen, blickte zu ihm zurück. Mit einem Nicken wies der Jüngere auf die hohen Gebäude zu ihrer Rechten. „Ja?“ Überrascht öffnete Tyki den Mund und Kanda zog die Nase hoch, nickte rüde und wandte sich allmählich ab. „Oh… dann muss ich wohl aufpassen.“ Solange wie möglich hatte Kanda ihn noch gemustert, kehrte ihm nun jedoch den Rücken und gestikulierte lustlos mit der Hand, während er seinen Weg fortsetzte. Ein amüsiertes Schmunzeln zog an Tykis Mundwinkeln, als er sich wieder umwandte. Ein glimpfliches Ende. Die Einfalt der heutigen Exorzisten war belustigend. So setzte er sich wieder in Bewegung, ließ die Hand zu ihrem alten Platz in der Hosentasche zurückkehren und gab sich einem gemütlichen Gähnen hin. Träge kamen seine Pupillen wieder zum Vorschein, richteten sich auf den Weg… und schnellten zur Seite. Sein Körper, der die Gefahr weitaus früher gespürt hatte, reagierte sofort. Der trockene Staub des Bodens stiebte unter seinen Stiefeln, als er gekonnt herumfuhr, sich zur Seite wandte und den Fuß nach einem raschen Schritt zurück gen Boden stemmte. Surrend hatte die glänzende Klinge des Katanas sein Gesicht verfehlt und Kandas Schnelligkeit versetzte ihn in Staunen, als dieser nicht einmal ins Stolpern geriet. Gewandt festigte er sich, riss in derselben Bewegung das Mugen nach oben und führte einen präzisen Seitenhieb aus, der in Tykis Hand endete. Dumpf schlug sich diese um den führenden Unterarm, fing die Wucht des Schlages mit entspannter Lässigkeit ab und widerstand dem kräftigen Druck, als sich Kanda gegen ihn drängte. Mit zusammengebissenen Zähnen packte Kanda das Katana auch mit der anderen Hand und seine funkelnden Augen taxierten Tyki scharf, während er gegen dessen Kraft anzukämpfen versuchte. Schulter an Schulter verharrten sie und Tykis Gesicht offenbarte eine gewisse Verblüffung, während er die Klinge von seinem Hals fernhielt. Ein normaler Reisender also…? „Scheint…“, ein humorloses Grinsen zerrte an Kandas Lippen. Seine Stimme erreichte Tyki als leises Fauchen, „… als hättest du gelogen.“ „Wie hast du das bemerkt?“ Kontrolliert regte sich Tykis Hand an Kandas Arm, spürte die angespannten Muskeln und bevor er sich versah, riss sich Kanda los. Mit einer geschwinden Bewegung entkam er dem Griff mit Leichtigkeit, wich zurück und ließ das Schwert sinken. Doch Tyki schien wirklich erstaunt. „Hast du einfach intuitiv gehandelt?“, erkundigte er sich und kratzte sich am Kopf; Kanda verfolgte eine jede Bewegung alarmiert. „Und das in deinem Alter. Ich bin beeindruckt… habe aber wohl Pech gehabt.“ „Oh ja.“ Kanda nickte, seine Finger schlossen sich fester um den kunstvoll gebundenen Griff. „Wer bist du wirklich… Tyki!“ „Ah.“ Unter einem müden Seufzen ließ Tyki den Kopf sinken. Lustlosigkeit machte sich in ihm breit, wenn er an das Bevorstehende dachte und er scheute jede Anstrengung, diese zu verbergen. In Kandas Miene zuckte die Wut, als er das anmaßende Verhalten verfolgte. „Was würde das zur Sache tun? Weißt du“, nachdenklich legte er den Zeigefinger gegen das Kinn, blickte sinnierend zum Himmel auf, „… ich mag mir eigentlich gar keine Zeit für dich nehmen. Also mache ich dir einen Vorschlag.“ Diese Idee schien ihn selbst zu ermuntern. Begeistert hob er den Zeigefinger und sah Kanda an. „Du steckst das Messer weg, gehst nach Hause und darfst erzählen, dass du mich richtig übel zugerichtet hast. Und dann…“ „Was...?!“, Kanda traute seinen Ohren nicht. „… haben wir beide etwas davon“, fuhr Tyki enthusiastisch fort und Kanda biss die Zähne zusammen. „Du musst mich nicht aufhalten, ich muss dir nicht wehtun. Wäre das nicht toll?“ Kandas Miene verfinsterte sich zunehmend, seine Gesichtszüge begannen zu zucken und seine zweite Hand schloss sich wie die erste auch, um den Griff des Katanas. Sein Atem raste und Tyki bemerkte seine Abneigung. Irritiert ließ er die Hand sinken. „Nicht?“ Er blinzelte verdutzt, presste die Lippen aufeinander und rümpfte die Nase. >Er nimmt seine Arbeit ja ziemlich ernst<, streifte ein Gedanke durch seinen Kopf und er rieb sich den Hals. >Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als es schnell zu tun.< „Mm.“ Kapitulierend hoben sich seine Schultern unter einem tiefen Atem, sanken hinab, als er seufzte und ebenso das Gesicht senkte. Die Krempe des Zylinders senkte sich über seine Augen, ein flüchtiges Grinsen ließ seine hellen Lippen erzittern und sein Gegenüber suchte sich festen Halt auf den Beinen. Kontrolliert tastete er sich durch den Kies, hob das Schwert. „Dann muss es wohl so sein“, vernahm er ein leises Flüstern und rümpfte die Nase. Die Konzentration brannte in seinen Augen, fest schlossen sich die Hände um das Heft des Katanas und den Gegner scharf taxierend, ging er in die Knie. Er musste achtsam sein… konnte den Feind bislang weder einschätzen noch zuordnen. Ein langer Atemzug strich über seine leicht geöffneten Lippen und als Tyki nichts anderes tat, als mit der Schulter zu rollen, knirschte der Kies unter Kandas Stiefeln, als sich dieser in Bewegung setzte. Selbst anzugreifen brachte zumeist einen Vorteil mit sich. Einen kleinen Vorsprung, den er möglicherweise nötig hatte. Er stieß sich ab, die Klinge senkte sich zum ersten Schlag und abrupt hielt er dennoch inne. Schlagartig kam er zum Stehen, Staub umstiebte ihn und der Griff seiner Hände erbebte, während sich seine Augen ungläubig weiteten. Wie eine sich rasend schnell ausbreitende Welle, überzog ein dunkler Schatten die gepflegte Haut seines Gegenübers. Geschmeidig fraß er sich aus seinem Kragen, überzog das markante Kinn des jungen Mannes und ebenso rasch dessen gesamtes Gesicht, welches noch immer gesenkt verharrte. Eine knappe Verwirrung durchzuckte Kandas Gesicht, als er zögerte, jedoch an Ort und Stelle verharrte und sah, wie sich das soeben noch unscheinbare Grinsen seines Gegners unbändig vertiefte. Kantige Zähne blitzten hinter den dunklen Lippen auf, zielstrebig hoben sich die Hände, die Finger spreizten sich und langsam blickte er auf. Mit leicht geöffnetem Mund verfolgte Kanda die Bewegung. Fließend und erhaben richtete sich der junge Mann auf, präsentierte sich in seiner vollen Größe und musterte den Jüngeren mit braunen unergründlichen Augen. Die Mimik, die sich ihm bot, schien ihn nicht zu überraschen. „Ja“, entrann ihm ein leises Hauchen. Bequem rollte er mit der anderen Schulter, bewegte die Hände in den Handschuhen weiterhin und nickte in annähernd höhnischer Überlegenheit. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.“ Mit einem raschen Blinzeln riss sich Kanda aus dem Zögern. Seine Lippen pressten sich aufeinander, als sein Körper die alte Festigkeit zurückerlangte, sich seine Stiefel den alten Halt verschafften und das Schwert erhoben wurde. Und dennoch… seine Augen schnellten bald zurück zu der Stirn seines Gegners. Wie aus dem Nichts hoben sich auf dieser seltsame Zeichen ab. Kreuze, die eine saubere Linie bildeten. Ein Zucken ging durch Kandas Augenwinkel, bevor sich seine Pupillen erneut auf die des Anderen richteten. „Ein Noah…!“, stieß er aus und kraftvoll verstärkte sich sein Griff. Er stieß ein leises Zischen aus, ein Schauer durchzog seinen Körper und er las den Rat, sofort anzugreifen. Nun mehr, als je zuvor. Diese Identität… nichts würde ihn mehr zu einem Kampf herausfordern. Tyki hatte ihn nicht aus den Augen gelassen, mit erhabener Ruhe eine jede Reaktion seines Körpers studiert, bevor er sich nun abermals auf Kandas Gesicht fixierte, geschmeidig die Hand hob und sein Halstuch richtete. Verschmitzt richteten sich seine Pupillen aus den Augenwinkeln auf das junge Gesicht und seine Lippen schürzten sich. „Lass uns spielen“, wisperten sie annähernd lautlos und gleichzeitig setzte sich Kanda abermals in Bewegung. Der Druck auf seinen Schultern schien gewachsen zu sein, als er sich wieder abstieß, die letzte Distanz schnell überwand und mit akkurater Präzision nach Tyki schlug. Der Lauf der Klinge war kaum zu verfolgen und umso weniger die Bewegung des Älteren, in welcher er lediglich den Fuß zurück setzte, den Körper folgen ließ und sich zur Seite schob. Eine Reaktion, die Kanda bereits kannte und vorausgesehen hatte. Beinahe noch, bevor sich das Katana dem Boden näherte, wurde es schon zur Seite gerissen. Gekonnt führte er die Waffe, kontrolliert bewegte sich sein Körper und konzentriert hielt er stand, als der Ellbogen seines Gegners entspannt den Schlag an seinem Handgelenk parierte. Mit spöttischer Zwanglosigkeit bewegte sich Tyki und sicher erfassten seine Augen die andere Hand des Jüngeren, die das Katana rasant übernahm, sobald ihre Arme aufeinandertrafen. Der andere Arm bewegte sich in neuer Freiheit, geschmeidig fuhr Kanda herum und seine freie Hand packte den blockierenden Arm Tykis. Und doch… eine präzise Bewegung, in der sich der Ältere umwandte, den umklammerten Arm in die Höhe riss und sich an der blanken Klinge vorbei stahl. Und sofort spürte er, wie Kandas Griff sich löste, dieser jedoch nicht erst nach einer sicheren Distanz suchte, bevor er abermals angriff. Aus nächster Nähe bewegten sie sich umeinander, der Staub umstiebte ihre sich permanent bewegenden Stiefel, während der Mantel des Jüngeren dessen Beine umspielte. Unbarmherzig suchte Kanda nach Schwachstellen, führte die Klinge gewandt und konnte sie trotzdem nicht zum Ziel führen. Den Atem kontrollierend, trat er um Tyki herum, schlug abermals auch die zweite Hand um den Griff des Katanas und griff sofort wieder an. Einmal dem Zögern entkommen, würde er ihm nicht erneut verfallen. Seine Muskeln verhärteten sich unter fließenden Bewegungen, auf die er sich fixierte. Weniger Kraft legte er in die Schläge und gab die Konzentration allein für die Aufmerksamkeit her. Mit zusammengebissenen Zähnen tauchte er unter Tykis Arm hindurch, führte die Klinge neben sich und spürte abermals keinen Gegendruck, selbst, als er inne hielt, herumfuhr und sie nach Tyki stieß… wich dieser lediglich aus. Mit annähernd unbewegter Miene und es brachte ihn um den Verstand, sich in einen Kampf zu vertiefen, der nur von einer Seite ernst genommen wurde. Dass ER nicht ernst genommen wurde und nicht einmal eine ungeschützte Körperstelle an seinem Widersacher wahrnahm! Kanda war nicht bereit, sich auf ein lächerliches Spiel einzulassen und verschnellter Atem kam über seine Lippen, als er den sofortigen Neuangriff unterließ, den Griff am Heft sicherte und sich aufrichtete. Mit verbittertem Zorn taxierte er Tyki. „Ein außergewöhnliches Mitglied der Noah Familie?“, fauchte er bebend und Tyki hob die Augenbrauen. „Ich dachte nicht, dass ihr Feiglinge seid!“ „Mm.“ Die Beleidigung schien nicht zu Tyki durchzudringen. Entspannt zuckte er mit den Schultern und Kanda senkte den Kopf. „Jeder auf seine Art und Weise.“ „Eine verflucht feige Art und Weise!“ „Nein, nicht doch.“ Ein beschwichtigendes Lächeln formte Tykis Lippen erneut. „Die wahren Feiglinge reden im Kampf zuviel.“ Kanda schien unter einer schweren Woge der Wut förmlich zu erbleichen und Tyki schnalzte mit der Zunge, wirkte wieder belustigt. Sein Atem fiel unterdessen ruhig, nicht weniger seine Stimme, die nicht unter der Anstrengung zitterte. Abermals musterte er den keuchenden Jüngeren von Kopf bis Fuß, bevor er den Kopf legte und auffordernd die Hand hob. „Nun gut.“ Seine Stimme brachte den Ausdruck einer stillen Entscheidung mit sich und er kehrte Kanda die Schulter zu, ihn erneut verstohlen aus den Augenwinkeln musternd. „Wenn du darauf bestehst, komm, und ich zeige mir meine… Art und Weise.“ Und kaum hatte er ausgesprochen, da hatte Kanda ihn erreicht. Mit erhobenem Schwert griff er an, ein fahriger Schrei brach aus ihm heraus und mit weitaus größerer Kraft schlug er zu. Nicht zu spät wurde sich Tyki der Tatsache bewusst, dass er umso rascher reagieren musste und abermals entging er der Klinge. Geschwind wich er zurück, doch Kanda folgte ihm, drängte sich ihm nach und annähernd gegen ihn. Fast prallten ihre Schultern aneinander und von der unerwarteten Glut des Angriffes überrascht, gelang es ihm nur knapp, dem Fuß auszuweichen, der zielsicher in sein Bein stieg. Nahe beieinander gerieten sie kurz ins Stolpern und bevor sich Tyki versah, war er gezwungen, die Hände zu benutzen, um einen weiteren, raschen und beinahe unvorhersehbaren Schlag des Jüngeren zu parieren. Die Klinge surrte an seinem Zylinder vorbei, als er Kandas Arm zur Seite stieß und als er zurückwich, spürte er, wie die teure Kopfbedeckung gefährlich rutschte. Flink den Halt gesichert und sogleich erfasste ihn wieder die Brise einer für ihn riskanten Bewegung. Beinahe streifte Kandas Ellbogen seine Rippen, die letzte Distanz schien an Schrecken verloren zu haben und Tyki fühlte sich allmählich unter Druck gesetzt, während ihm der unangenehme aufgewirbelte Staub in die Nase geriet. Seine Miene verzog sich unter einem flüchtigen Unbehagen und ein fahriges Keuchen streifte sein Ohr, als Kanda an ihm vorbeizog und sich wieder nicht sehr weit entfernte. Nur einen Schritt, bevor er stoppte, das Katana in die Rückhand wendete, es nach hinten rammte… und wieder nur Luft durchschnitt. Tykis Nase rümpfte sich, als er zur Seite auswich und Kanda sofort zu ihm herumfuhr. Die Hand erfasste das Schwert wieder richtig, wendete es surrend und ließ es auf den Gegner niedergehen. Er wich nicht aus…! Seiner Reaktion mangelte es an Schnelligkeit, doch ein unangenehmes Zucken fuhr durch die Nerven des jungen Armes, als die Klinge abrupt gestoppt wurde. Dumpf traf der schimmernde Stahl auf den Unterarm des Gegners. Lautlos durchschnitt sie den Stoff des Jacketts, prallte jedoch an etwas ab, das sie nicht durchtrennen konnte. Ein lautes Ächzen entrann Kanda, als er auf den Arm starrte, mit dem geblockt wurde. Die jähe Fassungslosigkeit raubte seinen Beinen flüchtig das Gleichgewicht und unerwartet setzte Tyki nach, als er zur Seite stolperte. Kanda erfasste seine Bewegung aus den Augenwinkeln, sein Mund schnappte nach Sauerstoff und kaum war die Hand zu spüren, die gezielt seine Rippen streifte. Eher wahrzunehmen war der plötzliche Druck, der sich in seinem Hals aufbaute und laut brach ein Husten aus ihm heraus, stolpernd setzte er das andere Bein nach vorn und ächzte entsetzt, als das Knie seinem Gewicht nicht standhielt und er haltlos zu Boden ging. Seine Lunge schien sich zuzuschnüren und wieder hustete er und rang nach Sauerstoff, während es ihm gerade noch gelang, die Klinge in den Boden zu rammen und einen gewissen Halt auf ihr zu finden. Bebend hielt die Hand den ledernen Griff umschlossen, während er sich röchelnd nach vorn beugte, die freie Hand zur Brust schnellte und sich verkrampft in den Kragen des Mantels schlug. Mit geweiteten Augen starrte Kanda auf das Gestein, welches sich unter seinem gehetzten Atem rot verfärbte. Er blutete…? Wirklich, er schmeckte die bittere Feuchtigkeit auf den Lippen. >Was…<, hinter seinen Schläfen pochte die Erschütterung und verbittert rang er mit seinem Körper, der einer ihm unbekannten Technik zum Opfer gefallen war. Was war passiert…?! Er wollte es nicht wahr haben und seine Augen schlossen sich unter einem sich flüchtig aufbäumenden Schmerz, während das Haar in seine Stirn fiel und sein weit geöffneter Mund nach Sauerstoff gierte. Doch… es ließ schnell nach und gedrungen gelang es ihm, Luft zu holen. Tyki hatte es bei dieser flüchtigen Berührung belassen, war selbst auf seinem Platz verharrt und während das Keuchen an seine Ohren drang, richteten sich seine Pupillen missmutig auf den sauber zerschnittenen Stoff des Ärmels. Er zupfte sogar daran und… ja, dieses Schwert schien wirklich sehr scharf zu sein. Die Nase rümpfend, ließ er den Arm sinken und verfolgte mürrisch, wie sich Kanda neben ihm zu regen begann. Scheinbar etwas benommen, kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, kauerte auf den Knien und bewegte die Hand am Griff. Flink fuhr er sich mit dem Handrücken über die blutigen Lippen, stockend richteten sich seine dunklen Pupillen durch die wirren Strähnen hindurch auf Tyki und dieser verharrte erwartungsvoll. Es war noch nicht vorbei und verbissen zwang sich Kanda zurück auf die Beine. Ein taubes Gefühl beherrschte seine Brust und viel Luft wollte die Lunge auch nicht aufnehmen, als er sich am Katana hochstemmte, die Klinge aus dem Boden riss und zum Stehen kam. Mit annähernd unsicherer Verbissenheit nahm er Tyki abermals in Augenschein, seine Lippen pressten sich aufeinander und seine Bewegungen wirkten durchaus müßig, als er sich ihm um einen Schritt näherte. Eine Bedrohung, die er früh gespürt hatte… und nun am eigenen Leib. Er hatte ihn nicht eingeschätzt, nicht unterschätzt und doch hatte sein Selbstbewusstsein, mit welchem er sich diesem Kampf stellte, sehr gelitten. Eine Berührung, kaum wahrzunehmen und noch mit unheimlichen Folgen, die er sich nicht erklären konnte. Zu was, fragte er sich, war dieser Rivale noch imstande. Und was könnte er selbst erreichen, wenn seine Klinge Tykis Haut nicht verletzte und dieser ihn mit einem knappen Handauflegen! Als er stehen blieb und das Schwert hob, spürte er die Schwere des Armes und die Auswirkung auf den gesamten Körper… und er begriff es nicht, wollte es nicht begreifen. Einem solchen Gegner war er nur selten begegnet… wenn überhaupt und doch bejahte sein Körper den Willen zum weiteren Kampf. Niemand war unverletzlich! Niemand unsterblich! … und diese Tatsache jagte durch seinen Kopf, als er angriff. Die Distanz war nun eine Sache, auf die er großen Wert legte und selbst den Händen versuchte er zu entgehen. Die weiteren Augenblicke des Kampfes verliefen stockend und bei einem raschen Zurückweichen vor der gefährlichen Nähe des Feindes, fiel ihm auf, wie nahe sie der Fassade der Häuser gekommen waren. Gehetzt erfassten seine Augen das marode Gestein und abermals wich er zurück, als seinem Schwert keine Freiheit zum Schlag gelassen wurde. Seine Ferse stieß gegen am Boden liegende Gesteinsbrocken und mit einem Satz entging er der Gefahrenquelle. Kitzelnd streifte das lange Haar seine Augen, orientierungslos blinzelte er und hektisch riss er die Hand vor das Gesicht, um den freien Blick zurückzuerlangen. Sofort starrte er um sich, rasselnd kam der Atem über seine Lippen und versiegte erschüttert, als er seinen Feind aufspürte. Eine Bewegung hinter ihm! Sein Körper brachte nicht mehr die Kraft auf, ausreichende Schnelligkeit in die Reaktion zu lenken. Sofort fuhr er herum, wendete das Katana bebend in die Rückhand, spürte jedoch lediglich einen Schlag, der seine Schulter traf. Eine geringe Wucht erfasste seinen Leib, bevor sich Tyki an ihm vorbei stahl und sich durch wenige Schritte etwas Freiraum suchte. Ohne Kanda weitere Aufmerksamkeit zu schenken, trat er zur Seite und seine Hände tasteten nach dem Revers des Jacketts, um es knapp zu richten. Scharf rammte sich die Klinge des Katanas in den trockenen Boden, als Kandas Hand den Griff freigab. Als wäre den Fingern etwaige Kraft entzogen wurden, öffneten sie sich, gaben nach und ein schmerzerfülltes Ächzen entrann Kanda. Nur kurz erfassten die dunklen Augen die verlorene Waffe, bevor er verkrampft die Augen schloss. Ein hohles Knirschen durchzuckte ein jedes Gelenk, als er Halt auf den Beinen suchte, sich die festen Sohlen der Stiefel unsicher über den trockenen Kies beweckten. Zitternd waren die Knie keiner großen Belastung mehr auszusetzen und nur schwerlich fand die Hand die glühende Schulter. Brennend heiß… taub und unbeweglich. Heftig hob und senkte sie sich unter seinem Röcheln, als sich die Hand in den festen Stoff des Mantels schlug. Knirschend bissen seine Zähne zusammen, bebend versenkten sich die Finger in dem Stoff und blinzelnd kämpfte er um das klare Bild seiner Umgebung. Die dumpfen Schläge seines Herzens beherrschten den erschöpften Körper, verschwommen und undeutlich offenbarte sich die Umwelt den verengten Augen. Und doch… hastig wechselten die Pupillen von einer Seite zur anderen, auf der Suche nach dem Gegner, dem er nun, mehr als je zuvor, ausgeliefert war. Ein abgehaktes Keuchen stieß über seine leicht geöffneten Lippen, wirr hafteten die Strähnen des langen Haares auf seinem erhitzten Gesicht, Schweiß trat ihm in die Augen und rumorend pochte der Gedanke in seinem Kopf, dass der Kampf beendet war. Reglos hing sein Arm hinab, mit letzter Kraft klammerten sich die Fingernägel in die Haut, unter der zerrissene Muskeln pulsierten. Schritte…! Ein fahriges Ächzen drang aus seinem Hals, als er in die Höhe fuhr, undeutlich erfassten seine Augen den Schatten einer großen Gestalt. Zu nahe! Heftig wandte sich sein Körper zur Seite, peitschend schlug das Haar in sein Gesicht und eine flinke Regung erlaubte kein Entkommen. Eine Berührung… kaum wahrnehmbar. Sanft bedeckten zwei Hände seine Ohren, kitzelnd streifte der weiche Stoff der weißen Handschuhe seine Haut und mit geweiteten Augen starrte Kanda auf die Gestalt, die sich vor ihm aufbaute. Ein besinnliches Lächeln umspielte die schmalen Lippen des Älteren, als er die Fingerkuppen in dem dunklen Haar versenkte, Druck ausübte und dem schwächelnden Körper seines Gegners mit leichtem Griff eine Stütze war. Ein leises Knacken durchzog Kandas Hals, als er sich zwischen den Händen zu winden begann, zitternd glitt seine Hand von der Schulter ab und ein dumpfes Surren drang an seine Ohren. Einem Vibrieren ähnlich, welches gleich einer Klinge seinen Kopf durchstach. Entspannt legte der Ältere den Kopf schief, die sanften schwarzen Locken streiften sein Ohr, als er sich sein Gegenüber betrachtete. Die Hände begannen sich leicht zu regen, schienen sich zielstrebig zu postieren und mit annähernd gelangweilter Lässigkeit, presste er beide Handinnenflächen gegen die Ohren des Jüngeren. Ein auffälliges Bebend durchzuckte dessen Körper, qualvoll verkrampften sich die Finger der gesunden Hand und mit einem lauten Aufschrei riss er den Kopf zurück, welcher wohlwollend freigegeben wurde. Die bebende Stimme Kandas zerriss die Stille des trostlosen Ortes, zitternd brach sie sich an den steinernen Gebäuden und hallte wider. Ein betäubender Schmerz pochte hinter seinen Schläfen, als er zurückwich und als wären seine Beine gänzlich ungeübt darin, Halt zu finden, rutschten die Stiefel in dem Staub des Bodens aus. Der Körper, jeglicher Kontrolle beraubt, neigte sich zurück, strauchelnd folgten die Beine und der Hals brannte unter einem schmerzerfüllten Ächzen, welches in einem Röcheln versiegte. Das Gleichgewicht… das Bewusstsein für die Gelenke. Orientierungslos verlagerte er das Gewicht von einem Bein auf das Andere, versuchte den Arm zu bewegen und schüttelte fahrig den Kopf unter dem schrillen Surren, welches in seinen Ohren widerhallte. Mit verkrampft geschlossen Augen stellte er sich dem Versuch, dagegen anzukämpfen und sein Unterkiefer erbebte unter dem heftigen Zusammenbeißen der Zähne. Einen entspannten Atem aushauchend, setzte sich Tyki in Bewegung. Gemächlich trat er über dem Schutt hinweg und näherte sich dem geschlagenen Gegner. Gleichsam fanden seine Hände zueinander und seine Finger begannen die Handschuhe zu bearbeiten. Kontrolliert zupften sie am Stoff, lockerten diesen und befreiten die Hände von ihm, um die Handschuhe anschließend sinken zu lassen. Beiläufig erreichte er auch sein Ziel, nahm sich dennoch lieber Zeit, den edlen Stoff ordentlich zu glätten und hob nur flüchtig die Hand. Es erfolgte keine weitere Gegenwehr, nicht einmal die erneute Präsenz des Feindes schien Kanda zu registrieren, als sich die Kuppe dessen Zeigefingers zielstrebig auf seine Brust setzte und ihn zurückdrängte. Wie eine Puppe unterwarf sich der orientierungslose Körper dem leichten Druck. Strauchelnd wich er zurück und der gehetzte Atem verstummte kurz, als er auf eine nahe Mauer traf. Ungebremst schlug sein Rücken gegen das raue Gestein und noch immer knirschte der Kies unter genügsamen Schritten. Tyki ließ sich eine jede Distanz hinter sich und sein Kopf senkte sich, um die Handschuhe vorsichtig in der Tasche des schwarzen Jacketts zu verstauen. Die Fingernägel… die dunklen Augen blieben an diesen hängen und mit Zufriedenheit betrachtete er sich seine saubere und gepflegte Haut. Annähernd beeindruckt hoben sich die schmalen Augenbrauen, bevor er die Hände sinken ließ und vor Kanda zum Stehen kam. Dessen Lider hatten sich zuckend gehoben, die glasigen Pupillen den Feind fixiert und mit rasendem Atem lehnte er an dem Gestein, drückte die Knie durch und hielt sich oben. Eine ihm unbekannte Technik… sie erfüllte ihn mit Grauen, welches er zu verbergen versuchte. Wie deutlich war die völlige Hilflosigkeit, wie sicher das Versagen in diesem Zustand, in welchem er einem jeden ausgeliefert war. Nur schwerlich und widerspenstig ließen sich die Glieder unter seine Kontrolle bringen. Taub und schwer war sein Arm und nicht zu großer Regung zu zwingen und er presste die Lippen aufeinander, als der Feind in voller Größe vor ihm aufragte. Dass es so schnell geschah, hatte er nicht geahnt… nicht befürchtet, nicht gewusst. Und nun unterlag er und bald auch dem Tod. Sein Blick traf auf den des Anderen. Annähernd erwartungsvoll wurde er gemustert und rang nach Atem, der in seiner brennenden Brust zu versiegen schien. Augenblicke vergingen, in welchen das eigene Keuchen in seinen Ohren rauschte und seinem Körper dennoch nicht die letzte und tödliche Verletzung zugefügt wurde. Man schien es nicht eilig zu haben und er wand sich an dem Gestein, presste den Rücken durch und blinzelte unter den wirren Strähnen, die ihm in die Augen gerieten. Eine Regung! Sofort riss er die Augen auf und folgte der Hand, welche sich in graziler Bewegung hob, zielstrebig zum Kopf fand und die breite Krempe des edlen Zylinders ergriff. Ein widerwärtiges Spiel mit der Zeit… Kanda schluckte den aufkeimenden Schmerz hinab, um diesem kurz darauf erneut zu unterliegen. Seine Mimik zuckte vor Pein und der Zylinder wurde von den schwarzen Locken gehoben, um diese nach einem solchen Kampf mit frischer Luft zu verwöhnen. Ein schwerfälliges Seufzen entrann Tyki, als er den Zylinder zu einem nahen Mauervorsprung warf und dieser sicher auf diesem liegen blieb. Ein dumpfes Ächzen stieß über Kandas blutige Lippen, als er unter einer neuen Welle des Schmerzes erbebte und funkelnd erfassten seine Augen die ruhigen Bewegungen des Feindes, welcher sich die Hände rieb. „Bring es zu Ende…!“, entrann ihm ein gedämpftes Fauchen und immer heftiger sehnte er sich nach dem Tod, um diesen den Schmerzen vorzuziehen, die er nicht mehr ertrug. „Bring es…“, seine Stimme versiegte in einem erstickten Husten und zitternd lehnte er sich nach vorn. „Mm?“ Tyki wirkte annähernd überrascht. Er verlor sogar das Interesse an seinen Händen, ließ sie sinken und senkte den Kopf, um Kandas Bewegung zu folgen. Genügsam betrachteten sich die dunklen Augen die bebenden Schultern des Besiegten und nach einem flüchtigen Grübeln gab er sich einem tiefen Seufzen hin. „Weshalb hast du es so eilig?“, erkundigte er sich verständnislos, griff beiläufig nach Kandas untauglicher Schulter und zog den jungen Mann in die aufrechte Haltung zurück. Schmerzvolles Ächzen vermischte sich mit einem weiteren missmutigen Seufzen und Kanda krümmte sich, als die Hand brutalen Druck aufbaute, ihn an die Wand nagelte. „Warum sollten wir uns nicht Zeit nehmen, wo sie uns doch gegeben ist?“ Tykis Stimme senkte sich zu einem schwelgenden Raunen und mit einem letzten Schritt trat er an Kanda heran. Ein erschrockenes Zucken ließ diesen in die Höhe fahren. Warmer Atem streifte seine Wange, brachte einen Hauch von Tabak mit sich und ließ ihn erstarren. Jede Pore des dunklen Gesichtes, jede Einzelne der langen schwarzen Wimpern war er imstande zu erkennen, so nahe war er ihm. Dumpf traf sein Hinterkopf auf das Gestein, als er das Gesicht heftig zurückzog und in die unergründlichen Augen starrte, die behäbig auf die seinen trafen. Annähernd keck… schmunzelnd verzogen sich die feinen Lippen und ihre Leiber berührten sich beinahe, als er sich näher zu ihm lehnte. Ein schmerzhafter Druck breitete sich in Kandas Hals aus und er versuchte ihn hinabzuschlucken, während er laut durch die Nase atmete und Tyki den Blickkontakt beendete. Er senkte den Kopf, seine Augen tasteten den nackten Hals des Jüngeren ab und die Hand an der verletzten Schulter begann sich etwas zu regen. Zielstrebig und ruhig postierten sich die Finger, vergruben sich im Stoff, schufen sich neuen Halt und kamen nicht umher, erneut und verspielt zuzudrücken. Fasziniert verfolgten die dunklen Augen die Bewegung des Halses, als Kanda unter erneutem Schmerz schwer schluckte und ein abgehaktes Röcheln ausstieß. Wie die Klinge eines Schwertes, welches sich gnadenlos tiefer in seiner Schulter versenkte! Er riss das Gesicht nach oben, unterdrückte ein weiteres Ächzen und bewegte stockend die Hand. Die Situation entglitt seinem Verständnis… und wie verlockend wäre der Gedanke, längst von den Schmerzen befreit zu sein! Seine Zähne umschlossen die Lippen, versuchten einen Gegenschmerz zu erzeugen und hielten in jeglichem Druck inne, als sein Hals unter einer flüchtigen Berührung kitzelte. „Mmm.“ Mit vor Genuss geschlossenen Augen hatte sich Tyki zu diesem hinabgebeugt. Genießerisch streifte er mit der Nasenspitze die bloße Haut, neckte diese mit einem zärtlichen Aufeinandertreffen. Verwirrt öffnete Kanda die Augen. Perplex hetzten seine Pupillen von einer Seite zur anderen, erfassten die geschmeidigen Locken, die sein Kinn streiften. „Du duftest nach Blut.“ Geräuschvoll schnappte Kanda nach Luft, zitternd versuchte sich die Hand zu heben, ertastete den Stoff des Jacketts und glitt an diesem ab. Die Wärme des anderen Körpers legte sich spürbar auf seine Haut, als sich Tyki schwelgend gegen ihn lehnte, mit der Nase das Haar streifte und etwas die Lider hob. „Was soll… das?!“ Kandas vor Wut bebende Stimme stieß gegen sein Ohr und ließ ihn das Gesicht verziehen. „Bring zu Ende, was du angefangen hast!!“ Unter einem erschöpften Stöhnen ließ Tyki den Kopf sinken, bettete die Stirn auf der schmalen Schulter des Jüngeren und schloss die Augen. Erneut ertastete Kandas Hand sein Jackett, diesmal jedoch fanden die Finger Halt und Tyki spürte einen erbärmlichen Druck, dem er keine Aufmerksamkeit schenken musste. Nach wenigen Augenblicken, als es unbequem auf der sich regenden Schulter wurde, richtete er sich auf. Unter einem tiefen Atemzug hob er den Kopf, entfernte sich um ein Stück von Kanda und sah diesen direkt an. Starr und wuterfüllt gaben sich dessen Augen dem Blickkontakt hin und beeindruckt las er die Bereitschaft in ihnen, lobte diese mit einem sanften Nicken und legte den Kopf schief. Vorerst schweigsam erwiderte er Kandas Blick, schürzte die Lippen und wandte das Gesicht zur Seite, um den Stand der Sonne einzuschätzen. Er spürte das Beben der Schulter unter seiner Hand, während er sinnierend die Brauen verzog. Einer Einladung des Grafen zum Mittagessen sollte man nicht mit Desinteresse begegnen, doch es war ihm noch Zeit gegeben und er mochte ungezwungene Beschäftigungen. Seine Miene verzog sich unter einem Gedanken. Beinahe hätte er etwas vergessen… na so etwas. Von sich selbst enttäuscht schüttelte er den Kopf und lauschte dem Keuchen, welches erstickt an seine Ohren drang. „Worauf wartest du…!“ Kandas Stimme war nicht mehr als ein heiseres Fauchen und abermals versuchte er sich gegen den schmerzhaften Griff an seiner Schulter zu wehren. Doch der klägliche Versuch wurde nicht einmal zur Kenntnis genommen. Stattdessen nahm Tyki ihn erneut in Augenschein. „Sag mal, mein Junge, wie heißt du eigentlich?“ Pure Verwirrung befiel Kandas Gesicht, seine Züge zuckten, während eine Schweißperle über sie hinweg rann. Ein schäbiges Spiel musste es ein, welchem er hier zum Opfer fiel. Bebend flüsterten seine Lippen stumme Flüche und Tyki neigte sich mit großen Augen zu ihm, musterte sein Gesicht und runzelte die Stirn. „Bist du Allen Walker?“ Pure Erwartung, umspielt von einem freudigen Hauch der Hoffnung verlieh dem Gesicht des Älteren Ausdruck und Kandas geweitete Augen schweiften zur Seite. Seine Knie drohten in diesem Moment nachzulassen, seinem Gewicht nachzugeben, doch fürsorglich erhöhte sich der Druck auf seine Schulter und ließ ihn aufzischen. „Ja?“ Tyki wartete noch immer und Kanda kämpfte damit, den eigenen Atem zu beruhigen. Keuchend warf er das Gesicht zur Seite, blinzelte benommen und verschloss den Mund fest mit den Lippen. „Nein?“ Geduldig hob Tyki die Augenbrauen und Kanda zog die Nase hoch. „Wenn ich es wäre…?“, brachte er annähernd lautlos hervor und der Ältere gab ein langes Seufzen von sich. „Also nicht.“ „Kch!“ Kandas Leib erzitterte unter einem kurzen Atem und Tyki erkannte ein Grinsen, welches humorlos an den blutigen Lippen des Jüngeren zerrte. Enttäuscht rümpfte er die Nase. „Hätte ich mir ja denken kö...“ „Bring es…“, das Grinsen war verblasst, als Kanda unvermittelt den Kopf in die Höhe riss und seinen Gegner verbissen anfuhr, „… zu Ende!!“ Kitzelnd säumten wenige Blutspritzer die Wangen des Älteren und dieser streckte mit einem Anflug von Ekel das Gesicht zurück. Sofort hob er auch die Hand, um die Feuchtigkeit fortzuwischen und unterdessen spürte er, wie die verkrampfte Bewegung unter seinem Griff zunahm. Da wurde jemand unruhig. Unzufrieden betrachtete er sich die eigene Hand, rieb das Blut zwischen den Fingerkuppen und lugte zu Kanda, der mit sich selbst rang. „Du hast ja Recht“, pflichtete er ihm bei, gab sich geschlagen und zuckte mit den Schultern. „Ich habe schon zuviel Zeit vergeudet.“ Erneut fanden die Zähne zueinander, verkrampft biss er zu und senkte den Kopf. Das wirre Haar fiel in seine Stirn und mit rasendem Atem wartete er auf den letzten Schlag, der ihm die Schmerzen nahm. Mit solch grausamen Fähigkeiten würde es schnell geh… Er spürte eine knappe Berührung. Finger drängen sich in den seitlichen Saum seines Mantels, während die verletzte Schulter stärker gegen das Gestein gepresst wurde. Es geschah schnell und bevor er die Augen öffnen konnte, erfasste ein heftiger Ruck seinen Körper. Sein Leib wurde nach vorn gezogen, die Schulter zurückgestemmt und sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Kein Ton kam über seine Lippen, während das Erwartete ausblieb und die Pein sich steigerte. Das Reißen des robusten Stoffes drang an seine Ohren, das Platzen des Reißverschlusses und als er die Augen aufriss, traf kühle Luft auf die nackte Haut seiner Brust. Perplex starrte er auf den zerrissenen Mantel, welcher seinen halben Oberkörper freigab. Tonlos öffnete er den Mund, erfasste eine Bewegung und wich fahrig zurück. Erneut schlug er mit dem Kopf gegen die Mauer, gleichsam, als sich auch eine dunkle Hand gegen diese rammte und sich Tyki an ihn lehnte, den zitternden Körper zwischen sich und dem Gestein einschloss. Schulter an Schulter, Knie an Knie und der Atem, der die Wangen des Anderen streifte. Erstarrt presste sich Kanda gegen die Mauer, bebend tasteten seine Fingerkuppen nach dem Gestein und der Atem versagte ihm, als Tyki, leise murrend, das Gesicht an dem seinen vorbeischmiegte. Stockend folgten die dunklen Pupillen ihm. „Ich bringe es zu Ende“, versprach er ihm flüsternd und blies zärtlichen Atem gegen sein Ohr. „Aber vom Tod hat niemand gesprochen.“ Und die grinsenden Lippen schnappten verspielt nach dem Ohrläppchen, berührten es kitzelnd und begannen es zu küssen. Ein kaltes Zitternd stieg in Kanda auf, brach ächzend aus ihm heraus und perplex blinzelnd versuchte er den Kopf zu wenden. Doch allein die Position des Gesichtes fixierte ihn in dieser Haltung und krampfhaft versenkten sich die Finger tiefer in dem Stoff des Jacketts. „Was soll…!!“ Seine Stimme brach, als die gepflegten Zähne seinen Hals erhaschten, die Haut verspielt liebkosten und neckten. Mit geschlossenen Augen drängte sich Tyki unter sein Kinn. Genüsslichen Atem aushauchend schmiegte er sich gegen die Halsschlagader und zog einen feuchten Pfad aus Küssen, welcher ihn zur Kehle des Jüngeren führte. „Hör a…!!“ Ein eiskalter Schauer durchflutete Kanda, als er die kitzelnde Wärme einer Zunge spürte, die dem Verlauf der Kehle behutsam folgte. Er erzitterte, verwirrt jagten seine Pupillen durch die Umgebung, während er sich in das Jackett des Mannes klammerte. „Hör auf!!“ Rieselnd bröckelte feines Gestein auf seine Schulter hinab, als sich Tykis Hand von der Mauer löste. Zielstrebig senkte sie sich, drängte sich an Kandas erhobenen Arm vorbei und bettete sich auf dem Stoff der Uniform, unter welchem sich die Rippen fahrig hoben und senkten. Unermüdlich erkundeten die Lippen unterdessen Kandas Hals, küssten, streichelten und ließen bald den Zähnen den Vortritt, um ihn spielerisch zu beißen. Ein gedämpftes Ächzen drang aus dem Mund des Jüngeren, bevor er es zurückhalten konnte. Fahrig bewegten sich die Lippen in stummen Drohungen und pressten sich aufeinander, als sein Unterkiefer unter einer intensiven Berührung erbebte. Warm waren die Fingerkuppen, die sich auf sein nacktes Schlüsselbein setzten, unter den Stoff der Uniform glitten und die Hand folgen ließen. Erschrocken stemmte Kanda die Hand abermals gegen den Leib des Älteren, versuchte diesen zurückzudrängen und glitt in seiner Hektik ab. Zielstrebig glitt die Hand unterdessen über seine Brust. Zärtlich und leicht waren die Berührungen, fließend und entspannt streichelte sie die Haut und neckte sie gar mit den Fingernägeln. Mit aufeinander gepressten Lippen verharrte Kanda reglos. Verkrampft war ein jeder Muskel seines Körpers, aufmüpfig der Atem, den er zu unterdrücken versuchte. Immer und immer wieder versuchte die Hand währenddessen das Jackett zu erreichen, während die Andere ihr nicht zur Hilfe kommen konnte. Ein heißer Schauer löste den Kalten flüchtig ab, kühl zog sich eine Gänsehaut über seine Arme und verkrampft schloss er die Augen, als sich die geschmeidigen Finger hingebungsvoll der Brustwarze widmeten. Die Schmerzen der Verletzungen vermischten sich mit ihm unbekannten Empfindungen, ließen ihn zwischen Pein und Delirium pendeln. Überfordert war er mit einer jeden Berührung, schreien wollte er bei jedem Kitzeln, welches die Zähne oder Lippen auf seinem Hals hinterließen. Mit genießerischer Genugtuung liebkoste Tyki den Körper des Jüngeren, arbeitete sich tiefer und begann den Hals zu vernachlässigen. Die Haut weinte den Berührungen brennend nach und deutlich nahm er ein Zucken wahr, als er das markante Schlüsselbein zu erforschen begann. „Hör…“ Die Stimme, die ein Schrei hätte sein sollen, wurde von einem lauten Keuchen mitgerissen und eiskalt ließ sich der Schweiß auf seinem Gesicht spüren, als eine Böe sie erfasste. Der unerfahrene Körper, dem keine Fluchtmöglichkeit geboten wurde, ergab sich den Händen erschöpft. Nur ein klägliches Winden in der festen Fixierung des fremden Leibes, machte auf Kandas Angst aufmerksam. Der Atem… er hatte ihn noch nie in dieser Intensität wahrgenommen. Rasselnd rauschte er in seinen Ohren. Unaufhörlich, während die Lunge unter ihm brannte. Ein weiterer Ruck nahm ihm das Gleichgewicht. Weiter wurde der Stoff über seine Schulter gezerrt, um diese zu entblößen. Eine unvorhergesehene Wucht, die ihn in die Knie gezwungen hätte, würde die eine Hand nicht noch immer fest an seiner Schulter ausharren. Immer weiter wurde die Haut der Luft ausgesetzt, energisch der Stoff über seinen Oberarm gestreift, worauf sich die Lippen sogleich zu dem neu eroberten Terrain aufmachten. Die Hand und die letzte Möglichkeit zur Gegenwehr, verlor den Halt im Jackett nun gänzlich. Durch den Stoff des Mantels fixiert, wurde der Arm seiner Freiheit beraubt. Orientierungslos und matt windete er sich in der Fessel. „Mmm…“ Die fleißigen Lippen verzogen sich zu einem anhaltenden Lächeln, als sie die Schulter hinauf strichen, die blutige Haut küssten und eine Wunde knapp umgingen. Schwelgend und genießerisch fand die Hand wieder ihren Platz auf der jungen Brust, strich tiefer und ertastete die kräftige Muskulatur. Sie war verspannt und fest, lud in ihrer Widerspenstigkeit weniger dazu ein, ihr Zärtlichkeiten zu spenden. Später vielleicht, wenn der Leib diese zu schätzen wusste. So folgten die Finger lieber dem Verlauf der bebenden Rippen, erreichten die Seite des jungen Körpers und fanden den alten Schutz unter der Uniform, unter welcher sie sich einen Weg über den Rücken bahnten. Ausgeliefert und wehrlos, war die Kapitulation die einzige Möglichkeit, die Kanda blieb. Die Stimme versagte, sobald er sie erhob. Unverständliche Wortfetzen drangen über seine Lippen und ein Schwindel überkam ihn, unter welchem er die Brauen verzog. Es schien sich zu drehen… alles um ihn. Sein Mund schnappte nach Luft, als sich sein Rücken unter den Berührungen einer geschickten Hand durchstreckte. Fingernägel folgten dem Verlauf seiner Wirbelsäule, während die Lippen zu großes Interesse an der nackten Schulter zu finden schienen, als dass sie diese zu schnell verlassen könnten. Die Hitze, die er mit einem jeden Atem ausstieß, brachte ihm das Gefühl der Betäubung näher, sein Bewusstsein schwankte und er spürte lediglich einen kurzen Druck, als seine Stirn hilflos gegen die Schulter des Älteren sank. Die Hand, welche sich flach auf seinem Schulterblatt gebettet hatte, hielt in ihrer Bewegung inne. Selbst die Lippen lösten sich von der Haut und Kanda spürte unter seinem Kopf eine knappe Bewegung. Tyki gab sich einem amüsierten Lachen hin, richtete sich gar etwas auf und registrierte wohlwollend die Haltung des Jüngeren, spürte den heißen Atem, der allmählich durch den Stoff seines Jacketts drang. Mit geschlossenen Augen verharrte er und bewegte die trockenen Lippen, über die jenes unaufhaltsame Keuchen drang. „Ist das nicht viel schöner, als zu sterben?“, erhob sich Tykis Stimme nahe an seinem Ohr und allein der Hauch, den sie mit sich brachte, ließ ihn abermals erschaudern. Orientierungslos wandte er den Kopf zur Seite, versuchte ihn von der Schulter zu heben. Die Hand hinterließ eine unangenehme Kälte, als sie sich von dem Schulterblatt löste und den Schutz der Uniform verließ. Schmunzelnd und überaus genügsam fixierte er den erhitzten Leib zwischen sich und der Mauer, setzte die Hand auf das lange Haar und folgte genüsslich dessen Verlauf, bis hin zu dem Band, welches sie bändigte. Interessiert betastete sie es, während die Lippen einen weiteren Kuss auf die nackte Schulter hauchten. „Wie empfindlich du bist“, flüsterte er annähernd lautlos und senkte die Lider. Seine Hand begann das Band zu lösen. „Ist jeder Exorzist so leicht zu zähmen…?“ Ein letzter Griff, dann erfreute sich das lange Haar seltener Freiheit. Kitzelnd sanken die Strähnen auf die nackten Schultern hinab. Ein mattes Zucken zog durch Kandas Miene und langsam begann er zu blinzeln. „Nur eine kleine Berührung…“, fuhren die schmunzelnden Lippen andächtig fort und die Hand bahnte sich ihren Weg durch die wirren Strähnen. Kanda gelang es nur schwerlich, die Zähne wieder zusammen zu beißen. Die Sturheit, sowie die Wut vermochte er kaum noch zum Ausdruck zu bringen. Lediglich stumme Flüche… auf die Situation, die eigene Schwäche und sich selbst… Der Verrat seines Körpers durfte ihn nicht zu Grunde richten! Nicht so einfach… Er musste sich zusammenreißen, festigen und… „Aaah!“ Ein lautes Ächzen entrann ihm, ein elektrisierender Schauer ließ ihn in sich zusammen kriechen und erzittern. Triumphierend bewegte Tyki die Fingernägel in seinem Nacken, streichelte und kratzte. „… und schon schnurrst du wie ein kleines Kätzchen.“ Gequält presste Kanda die Stirn gegen die starke Schulter des Anderen, wand sich unter den Berührungen und versuchte ihnen zu entgehen. Ungeschickt bewegte er die Beine und kaum wahrzunehmen war der Druck, mit dem er sich gegen ihn stemmte. Sein Hals zitterte, als er versuchte, den Kopf zu heben, sich aus dieser Haltung zu befreien. Die Demütigung, selbst gegen den eigenen Körper zu versagen, nahm ihm die Luft zum Atmen, drückte ihn nieder, wie es ein Griff nicht könnte. Funkelnd kamen seine Pupillen zum Vorschein und weiterhin rang er mit sich und seiner Betäubung. Ein verzweifelter Versuch, der Tyki nicht entging. Das Lächeln vertiefte sich zu einem Grinsen, mit einem letzten zärtlichen Druck verließ die Hand den empfindlichen Nacken und er selbst begann sich zu bewegen. Knirschend regte sich sein Stiefel im trockenen Kies, bedächtig ließ er den Kopf sinken und überwand die letzte Distanz ihrer Beine. Ein schlankes Knie drängte sich zwischen die des Jüngeren, die eine Brust sich gegen die Andere und ein fester Oberschenkel gegen seine Hüfte. Mit einem Anflug von Ungeduld stemmte er sich gegen Kanda, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen, um zu genießen. Mit ungeahnter Kraft schnellte die Hand des Jüngeren nach oben. Annähernd schmerzhaft schlugen sich die Finger in seinen Oberarm. Der junge Körper erbebte und wand sich zuckend, während sich der Kopf in die Höhe reckte. Ein Hochgenuss für die Sinne… als das verwirrte Stöhnen des Jüngeren in seinen Ohren schallte. Mit weit geöffnetem Mund bäumte sich Kanda auf und seit Herz schien zu zerspringen bei dem Laut, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Er stöhnte hilflos, rang nach Atem, ächzte laut und räkelte sich auf dem Oberschenkel, der in diesen Augenblicken den einzigen Grund darstelle, dass er sich auf den Beinen halten konnte. Ein leises Lachen drang an seine Ohren, fest presste sich der Oberschenkel gegen ihn und er trieb seine Stimme zu einem letzten Schrei, nach welchem er in sich zusammensank und verzweifelten Halt an Tykis Arm suchte. „So ist es gut… nicht wahr…?“ Zärtlich fuhr eine Hand über sein Haar, zielstrebig hinab zu seinem Hals, an welchem sie sich platzierte. Somit beugte er sich hinab, drängte Kandas Gesicht zur Seite und biss nach dem bislang verschonten Ohr. Durchaus schmerzhaft bearbeiteten die Zähne diesmal die empfindsame Haut und nur ein undeutliches Ächzen, welches das Stöhnen kurz unterbrach, bewies, dass Kanda es spürte. Nicht lange verweilte die Hand an seinem Hals, löste sich nach kurzer Zeit und senkte sich zielstrebig hinab zur Hüfte, an welcher sie sich postierte. Den Griff, den er am eigenen Arm spürte, ließ er unbeachtet, als er den schmalen Unterleib zu sich zog, höher auf seinen Oberschenkel und sich am entsetzten Aufschrei labte, welcher daraufhin folgte. Der letzte Widerstand war gebrochen und Tyki verfluchte die Zeit für ihre Existenz. Selbst, wenn ihn noch weitere schöne Momente erwarteten, so wünschte er sich, dass allein dieser nicht endete. Ein tiefer Atemzug entrann ihm und er schloss die Augen, als er den Oberschenkel zu bewegen begann. Auch er genoss, soviel mehr, als man ihm ansehen konnte. Der Schweiß glitzerte auf dem erhitzten Gesicht des Jüngeren. Er registrierte es mit Wohlwollen und seine Zähne nahmen die eigene Unterlippe gefangen, bevor er die Lider wieder senkte, die Hand von der verletzten Schulter löste und sie stattdessen an der anderen Hüfte platzierte, um die volle Macht auf diese auszuüben. Sobald die verletzte Schulter nicht mehr gegen das Gestein gepresst wurde, sank der bebende Leib nach vorn und das vor Verbitterung zuckende Gesicht lehnte an Tykis Schlüsselbein. Ein langer Atem strich über dessen Lippen, gemach sank sein Kopf zur Seite und er hielt inne, als Kandas Körper ihm deutliche Zeichen gab. Er war ein Mensch der Hingabe, nicht auf Hektik aus, da diese einen jeden Genuss zunichte machte. Und doch sollte es nun vorerst genügen. Er keuchte leise, schürzte die Lippen und löste die Hände von den schmalen Hüften. Mit geschlossenen Augen hob er sie zu den Schultern des Jüngeren, tastete nach dem Stoff der Uniform und ergriff ihn sicher. Es verlangte ihm nicht viel Kraft ab, als er den Mantel mit einem Ruck hinabzerrte, die andere Schulter sowie den gesamten Oberkörper entblößte und ein schmerzerfülltes Ächzen dafür erntete. Kanda hatte das Gesicht zur Seite gerissen, die langen Strähnen blieben im Schweiß seiner Haut haften und bevor die Pein seiner Schulter an Stärke verlor, wurde von ihm abgelassen. Der Druck des fremden Körpers entfernte sich von ihm, der Oberschenkel wurde zurückgezogen und kein Griff eingesetzt, um ihn auf den Beinen zu halten. Sofort ließen diese nach. Ohne, dass er versuchte, sich dagegen zu wehren, rutschte er an der Mauer hinab, stürzte auf die Knie und lehnte mit rasselndem Atem an dem Gestein. Brennend protestierte sein Rücken gegen das trockene Mauerwerk und er war zu keiner Regung imstande. Gelähmt und schwer fühlte sich sein Körper an und dumpf pochte der Puls in seinem brennenden Hals. Wie eine Fieberflut… Kälte und Hitze ließen ihn gleichsam frösteln und kaum spürte er den Griff, der sich um sein Handgelenk legte. Gemächlich hatte sich Tyki zu ihm hinabgebeugt, nach diesem gegriffen und den gesunden Arm mit sich gezogen. Kraftlos sank Kandas Hinterkopf in den Nacken, als Tyki ihn mit entspannter Miene von der Mauer fort zog. Wie ein Gepäckstück schliff er ihn auch weiter, bevor er das Handgelenk aus dem Griff befreite und Kanda ächzend zu Boden ging. Tief Luft holend streckte Tyki die Arme von sich, rollte mit den Schultern und ließ den Blick kurz in die Ferne schweifen, während seine Finger flink die Knöpfe des Jacketts öffneten und ihm somit mehr Bewegungsfreiheit gönnten. Auch über das Haar fuhr er sich, zupfte an einer Locke und wandte sich mit einem bestimmten Schritt dem am Boden liegenden jungen Mann zu. Benommen blinzelte Kanda um sich, stockend bewegte sich seine Hand auf dem harten Untergrund und er registrierte die Umgebung mit glasigem Blick. Die Kraft, den Atem zurückzuhalten, fand er seit langem nicht mehr und ungehindert hob und senkte sich seine vor Schweiß glänzende Brust unter heftigem Keuchen. Seine Lenden bebten noch immer unter der fordernden Beanspruchung und seine Stiefel bewegten sich ziellos im Kies. Die noch immer andauernden Schmerzen und die völlig fremde weitere Belastung seines Körpers drohten ihn dahin dämmern zu lassen. Die Welt drang wie durch ein dünnes Tuch zu ihm und der Wind war kaum noch dazu imstande, in seine Wahrnehmung zu finden. Ziellos schweiften seine Pupillen über das unendlich erscheinende Blau des Himmels, welches sich friedlich über ihm erstreckte… sich jedoch verdunkelte, als sich ein Schatten über ihn neigte. Mit einem wirren Blinzeln kam er der Realität wieder näher, starrte auf die Gestalt, die sich über ihm aufbaute und hielt die Luft an, als sich diese über ihn neigte. Ein Versuch, sich zurückzuschieben, der bereits nach dem Gedanken scheiterte. Er verschluckte sich am eigenen Atem, als Tykis Hände abermals nach dem Mantel griffen. Bis zu den Ellbogen wurde dieser bereits herabgezogen und ein begieriger Blick streifte hungrig die nackte tätowierte Brust, bevor er auch Kandas Arme aus dem Stoff befreite. Akribisch und unbeirrt ging er seiner Arbeit nach und flüchtig befeuchtete die Zunge seine Lippen, als er Kanda an der Schulter packte, ihn zur Seite drehte und sich dem zweiten Arm widmete. Etwaiges Ächzen oder heisere Flüche schienen seine Ohren nicht zu erreichen und als er den Mantel endlich ins Freie zog und zur Seite warf, krümmte sich der Jüngere im Kies. Die Selbstheilung, die ihren Fleiß mit einem unangenehmen Brennen bewies, schaffte ihm in dieser Lage keinen Vorteil und krampfhaft hielt er die Augen geschlossen, während seine Hand matt die Schulter zu erreichen versuchte. Seine Situation war ihm gänzlich bekannt… seine Lage und nicht minder das, was ihn erwartete. Die kaltblütige Vorgehensweise stellte eine jede Hoffnung in Frage, zerstörte sie regelrecht, bevor sie aufkommen konnte. Das Entsetzen war es nun nicht mehr, welches Kandas Körper eiskalt erschaudern ließ. Vielmehr die Einsicht, das Kommende nicht aufhalten zu können. Fahrig befeuchtete er die rauen Lippen mit der Zunge, presste sie aufeinander und erreichte endlich die Schulter, die er mit kläglicher Kraft umklammerte. Ein leichter Ruck erfasste ihn, sein Bein wurde gepackt und er hob die Lider. Deutlich erkannte er die schlanke Gestalt des Mannes, der sich, nun mit mangelnder Geduld, einem der Stiefel widmete. Kanda verschluckte sich am eigenen Atem, brach in leises Husten aus und spürte ein Zucken, welches seine Mimik heimsuchte. Es war erbärmlich… Kraftlos versuchte er sein Bein zurückzuziehen, erreichte jedoch nur, dass sich der Griff in dieses verstärkte. Ihm wurde wenig Beachtung geschenkt und nach einem weiteren erstickten Husten, ließ er keuchend das Gesicht zur Seite fallen. Mit einem weiteren Ruck wurde der Stiefel von seinem Fuß gestreift und ebenso zur Seite geworfen. Stockend zog er die Nase hoch, blinzelte gegen das verschwommene Bild und seine trockenen Lippen bewegten sich stumm, als er etwas erspähte. Sein Schwert… Der Kies knirschte unter Tykis Stiefel, als sich dieser mit einem wohlwollenden Seufzen dem jungen Mann zuwandte. Bedächtig ließ er sich auf die Knie sinken, spreizte Kandas Beine mit diesen weiter und rückte zwischen sie, um sich in derselben geschmeidigen Bewegung über ihn zu beugen. Eine Strähne seines Haares kitzelte sein Ohr und er strich sie behutsam zurück. Mit starrem Blick fixierte Kanda die schimmernde Klinge seiner Waffe. Hätte er sie doch… sie lag weit entfernt im Staub des Bodens. ~*to be continued*~ Kapitel 3: ~2~ -------------- Etwaige Gedanken brachen ab, das Schwert versank in der Dunkelheit, als Kanda erschrocken die Augen schloss und das Kinn gegen die Schulter presste. Verspielt neckten die geschmeidigen Locken den bebenden Bauch, als Tyki das Gesicht zur Seite neigte, sich mit der Wange gegen die Haut schmiegte und mit der Nasenspitze den Bauchnabel ausfindig machte. Die Hand des Jüngeren zitterte, als sie sich im Kies zu einer Faust ballte, das Gestein in sich einschloss und presste. Eher stockend und ziellos zuckten auch die Finger der anderen Hand auf, erstarben jedoch in ihren Bewegungen, während Kanda das Kinn mit aller Kraft gegen das gesunde Schultergelenk drängte. Seine Brauen verzogen sich unschlüssig und der leichte Staub wurde aufgewirbelt durch den fahrigen Atem, der aus seiner Nase drang. Zärtlich tasteten sich die gepflegten Hände über die Seiten des zierlichen Leibes, folgten den Fingernägeln, die sich schabend aufwärts bewegten, sich die Brust zum Ziel genommen hatten. Die Nasenspitze gab sich unterdessen ganz der Vertiefung des Nabels hin, umrundete diese mehrmals, bevor die Zunge in sie dippte. Mit gesenkten Lidern folgte er seiner Beschäftigung, gedankenlos schweiften seine Augen über die erhitzte Haut und die Hände verließen ihren Kurs, strichen über die straffe Brust des Jüngeren und verharrten reglos. Da war etwas… Bedächtig hob Tyki den Kopf, betrachtete sich die eigenen Hände und spreizte deren Finger, um dieses Gefühl zu steigern. Ja, er spürte es deutlich und seine Lippen formten sich zu dem alten Lächeln, als er die Augen zu Kandas verzerrter Miene schweifen ließ. Das Herz raste… pulsierte wild in der jungen Brust. Er nahm die Schläge dumpf unter seinen Händen wahr und es war soviel schöner, ein Herz zu spüren, als es zu umklammern und aus dem Leib zu reißen. Schmunzelnd vertiefte er sich in diesen Augenblick, bevor seine Hände weiter strichen und er sich höher reckte, um mit den Lippen die Brust zu erreichen, die sich ihm in dieser Position nahezu anbot. Einen jeden Moment wollte er auskosten, einen jeden Zentimeter der unberührten Haut schmecken und sich einen jeden daraufhin folgenden Laut einverleiben. Noch immer verlieh das Schmunzeln seinen Lippen Ausdruck, als sich diese zum Ziel hinab senkten, sich auf die Haut setzten und… Ein unangenehmer Schmerz ließ ihn innehalten. Seine Miene verzog sich gepeinigt und als er den Kopf zurückziehen wollte, wurde es nur noch schlimmer. Zitternd hatten sich Kandas Finger in seinem Haar verkeilt, umklammerten die seidigen Strähnen und offenbarten eine Kraft, die Tyki nicht mehr erwartet hatte. Es tat wirklich weh und nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, begann er sich kontrollierter zu regen. Flink und zielstrebig sank seine rechte Hand hinab, strich über die Rippen, den Bauch und drängte sich bestimmt zwischen die gespreizten Beine des Jüngeren, um diesem einen annähernd gleichgestellten Griff zukommen zu lassen. „Hahh!“ Der junge Körper bäumte sich entsetzt auf, fahrig riss sich die Hand aus Tykis Haar und schlug sich hinab auf den Boden, in welchen sie sich sofort wieder klammerte. Kanda hatte die Augen aufgerissen, sein Leib stemmte sich nach oben und seine Stimme versiegte in einem atemlosen Röcheln, unter welchem er auf den Kies zurücksank. Entspannt hielt Tyki den Griff bei und seine Mimik beinhaltete keine Anzeichen der Wut, als er sich das Gesicht des Jüngeren betrachtete, welches sich von einer Seite zur anderen warf. Ziellos schabten auch die Füße über den Boden und stöhnend bewegte er die Hüfte, versuchte dem Griff zu entkommen und spürte, wie er alsbald von alleine nachließ. Sein Leib war dem heftigen Atem kaum noch gewachsen, verlangte ihm die letzten Kräfte ab und ermattete dankbar, als sich die Hand von ihm löste. Knirschend gaben Kandas Finger den Kies sowie eine dunkle Haarsträhne frei, spreizten sich und tasteten sich über das raue Gestein, während sich Tyki unter einem enttäuschten Kopfschütteln zu regen begann. Das Interesse an der Brust schien fürs Erste verloren, als er sich aufrichtete. „Du machst es uns nicht einfach“, bemerkte er unzufrieden, strich sich die ruinierten Strähnen zurück und starrte annähernd gekränkt auf einige Haare, die seine Hand mit sich nahm. Er benötigte einige Augenblicke, um über ihren Verlust hinwegzukommen. Dann schüttelte er sie ab, rutschte auf den Knien zurück und blähte die Wangen auf. Zielstrebig richteten sich seine Augen auf den Bund der schwarzen Hose. „Ich verschone dich…“, seine Hände fanden entspannt zu dem Gürtel, strichen über das glänzende Leder hinweg, „… erwähle dich, mir willfährig zu sein…“, die Finger legten sich um die kunstvolle Schnalle, begannen diese zu öffnen. Bebend hoben sich Kandas Lider und starr spähte er nach unten. Geschmeidig wurde das Leder durch die Schnalle gezogen und gelockert, Tyki rümpfte die Nase, seine Augen verfolgten die Arbeit der Hände und wieder schüttelte er enttäuscht den Kopf. „Ich bin sogar liebevoll zu dir… und du reißt mir die Haare aus.“ Der Gürtel war geöffnet und sogleich fanden die Finger zu dem Knopf. Kandas Hals bewegte sich unter einem trockenen Schlucken, ein scharfes Funkeln durchzuckte seine Augen und verbissen richteten sie sich erneut zur Seite und auf das Schwert. „Ich habe das Gefühl, du verstehst es noch nicht ganz.“ Schulter zuckend drehte Tyki den Knopf aus dem Loch und widmete sich dem Reißverschluss. Flink war auch dieser geöffnet und somit harrte er kurz aus. Die Finger am offenen Bund platziert, presste er die Lippen aufeinander, wurde auf die dünnen Härchen aufmerksam, die vom Nabel aus, einen schmalen Pfad nach unten bildeten. Fasziniert verfolgte er ihren Verlauf, bewegte die Lippen aufeinander und schenkte Kandas Gesicht erneute Aufmerksamkeit. Da er nicht dieselbe erhielt, folgte er dem starren Blick und erspähte die Klinge des Mugen. Welch Aufheiterung… Die Enttäuschung schien vergessen und unter einem amüsierten Grinsen drängte er die Finger unter den Bund der Hose. „Kein Herankommen…“, murmelte er beschäftigt und mit einem sanften Ruck begann er die Hose mitsamt Shorts hinabzustreifen. „Traurig, nicht wahr? Allerdings…“, abrupt hielt er inne, verzog sinnierend die Augenbrauen und lachte leise auf, „… allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass dir dieses Schwert etwas gebracht hat.“ Er schob die Hände etwas tiefer unter die Hüften, hob diese etwas an und zog die Hose über sie. Ein undeutliches Zucken ging durch Kandas Miene, als er die Entblößung spürte. Langsam versenkten sich die Finger wieder in dem staubigen Kies. Und noch immer starrte er zu seinem Schwert. „Vergiss den Zahnstocher.“ Schmunzelnd begutachtete Tyki das neu entdeckte Territorium, zog die Hose weiter hinab und richtete sich gezwungener Maßen auf. „Ich werde dir zeigen, wie schnell du es genießen wirst. Und irgendwann…“, ein weiterer Ruck und das Hosenbein wurde über den Fuß gestreift. Er entblößte sein Bein, strafte das Andere mit Desinteresse und rieb sich das Kinn, während er sich einer erneuten Musterung hinab. „… wirst du mir dankbar sei...“ Es gelang ihm gerade noch, den Arm vor das Gesicht zu reißen und heftig prasselte grober Kies gegen den Stoff des Jacketts. Staub geriet ihm dennoch in die Augen und ächzend ließ sich Kanda zurückfallen. Ein leises Husten drang aus Tykis Mund, als er den Staub auch im Hals spürte und sein Gesicht war zu einer missmutigen Grimasse verzogen, als er den Arm sinken ließ und den Kies vom Ärmel schüttelte. Seine Geduld schien unermüdlich. Er schüttelte lediglich den Kopf, rümpfte die Nase und stieß ein enttäuschtes Seufzen aus. „Na gut, dann lassen wir das eben.“ Etwaiger Gefallen am ruhigen Einstieg schien verloren, als er die freie Hand zur eigenen Hose führte. Entspannt begann er diese zu öffnen, als Kanda mit letzter Kraft den Kopf anhob. Das Genick knackte und zitterte, als seine Pupillen zögerlich nach Tyki suchten. Glasig kamen sie zum Vorschein, seine Zähne bissen knirschend aufeinander und sein Gesicht schien auch an letzter Farbe zu verlieren, als seine Augen sich weiteten. Ein erschüttertes Beben durchzuckte seinen Körper und er warf den Kopf zurück zu Boden, stemmte sich mit den Fersen in den Kies und versuchte sich abermals zurückzuschieben. Er wusste das Kommende durchaus einzuordnen, doch erst in diesem Augenblick realisierte er vollends und seinen Gliedern wurden Kräfte abverlangt, die sie nicht mehr inne hatten. Seit langem nicht mehr. Der Kies knirschte unter ihm, als es ihm etwas gelang. Ein kümmerliches Stück schob er sich, bevor sich warme Hände von außen unter seine Kniekehlen schoben und er gemütlich zurückgezogen wurde. Seine geweiteten Augen richteten sich abermals auf das Blau des Himmels… nie wieder auf Tyki. Er ertrug es nicht und nicht minder verwirrte ihn das alles, ließ ihn vor Angst und Wut gleichsam frösteln. Er wusste von den Grausamkeiten, die auf dieser Welt existierten. Hatte von ihnen gehört, gelesen, einige gesehen… Ein selbstquälerischer Fluch kam gebrochen über seine Lippen, erhob sich als unverständliches Murmeln und wieder versenkten sich seine Finger im Gestein. Dass ihn so etwas traf… dass einen Exorzisten so etwas traf… Er wagte es nicht, einzuschätzen, was genau ihn erwartete und sein trockener Hals brannte unter einem erschrockenen Ächzen, als er feuchte Finger spürte, die sich zielstrebig zwischen seine Beine schoben, ihn berührten. Tyki hatte Zeige- und Mittelfinger im eigenen Mund versenkt und begann nun bequem zu tasten. Er spürte die Gegenwehr des jungen Körpers, das Erzittern unter der fremden Berührung. Konzentriert befeuchtete er die Lippen mit der Zunge, hielt die sich fahrig bewegenden Beine in sicherem Griff und rückte näher zwischen sie, während er sich mit dem interessanten und unerforschten Territorium befasste. Und was er spürte, rief Gefallen in ihm hervor. Ein flüchtiges Lächeln formte seine Lippen und hilflos versuchte sich der junge Körper aus der Herrschaft der Hand zu winden, als er vorsichtig und doch gnadenlos einen Finger in ihm versenkte. „Mm…!“ Unbekannter Schmerz durchzuckte Kandas Hüfte und bevor er einen Schrei hervorwürgte, fuhr die Hand zu seinem Gesicht, presste sich auf den Mund. Er hielt den Atem an und seine Muskeln verspannten sich. Es war… widerwärtig! Widerwärtig!! Schierer Ekel stieg in ihm höher und er presste die Lippen aufeinander, um mit dem Arm die Augen zu verbergen. Immer tiefer schob sich der Finger und ein leichter Ruck schob ihn über den Kies, als sich Tykis Arm unter sein nacktes Bein schob und dieses weit nach oben anwinkelte. Der Genuss ließ Tykis Miene zwischen Verzückung und Aufregung pendeln und zum ersten Mal offenbarte er Ungeduld, nachdem er sich etwas in Kanda bewegt und dessen Reaktion wohlwollend registriert hatte. So zog er die Hand auch bald zurück, schob sie über die schmale Hüfte zum Steiß und hob diesen etwas an. Eine jede Regung, zu der sein Körper gezwungen wurde, nahm Kanda wahr, rang jedoch hinter geschlossenen Augen damit, seine Gedanken in andere Richtungen zu lenken, seine Furcht zu ertränken. Gemächlich blickte Tyki zu seinem Gesicht auf und gefällig musterten die goldbraunen Augen die verzerrte bleiche Miene. Soviel hatte er bislang erlebt… soviel Grausames gesehen, soviel Schmerz empfunden und mit Verletzungen gerungen! Zitternd öffnete Kanda die geballte Faust, spürte den Schweiß, der selbst seine Finger überzog. Auch das würde er überstehen… Seine Brust hob sich unter einem fahrigen Atemzug, da erfasste eine ruckartige Bewegung seinen Körper und ließ diesen abrupt enden. Ein Zucken durchstob seine Glieder, schlagartig suchte die Hand nach dem Boden und schlug sich in den Kies. Und seine Lider fuhren in die Höhe. „Ahh…“, ein abgehaktes Ächzen, das ein Schrei hätte sein sollen, drang aus seinem weit geöffneten Mund, stockend bäumte sich der Körper auf und der Kies knirschte unter seinem Kopf, als er diesen in die Höhe riss. Die Luft genügte nicht, der entsetzte Laut versiegte in einem erstickten Würgen und kurz darauf brach Kanda in lautes Husten aus. „Haaah.“ Ein genussvolles Seufzen entrann Tyki, als er sich gegen den jungen Leib presste. Fest umklammerte seine Hand den Oberschenkel, hielt ihn erhoben, während er selbst die Augen schloss, die Lippen mit der Zunge befeuchtete und sich diesen Augenblick verinnerlichte. Einen solchen Schmerz hatte Kanda nur selten verspürt. Ein Schmerz, der gleich eines Tosens durch all seine Glieder jagte, ihn lähmte… kein Atem wollte ihm gelingen. Die Lunge schien sich binnen weniger Augenblicke zuzuschnüren. Ein grausamer Komplott, da das Entsetzen ihm als Schrei entrinnen wollte. Stockend regte sich sein weit aufgerissener Mund… während aus seinem Hals allein ein dumpfes Röcheln drang. Glasig und geweitet verfolgten die Augen die sanfte Bewegung einer Wolke, die unter dem blauen Himmelszelt hinweg zog. Tief hatte sich Tyki in ihm versenkt, sich mit einem Stoß das genommen, worauf er den gesamten Kampf über hingearbeitet hatte und er selbst verspürte einen leichten Schmerz bei der Enge des unberührten Körpers. Doch er war süß… so süß, dass er nicht genug bekommen könnte. Ein vor Erregung zitterndes Grinsen zog an seinen Mundwinkeln und während sich seine Lider bedächtig hoben, tastete sich seine freie Hand unter die Kniekehle des anderen Beines. Fließend und sorgsam hob er auch dieses an, seine Finger strichen über den festen Oberschenkel des Jüngeren und bestimmt fixierte er diesen an der eigenen Schulter. Er spürte das Beben des Körpers, mehr, als je zuvor. Panisch verkrampften sich die Muskeln um ihn, erschöpft versuchten sie den Fremdkörper abzustoßen und doch waren es Versuche, die versiegten. „Wunderschön.“ Tykis Stimme war nicht mehr als ein aufgelöstes Hauchen, als er sich vorsichtig regte, die Gegenwehr spürte und sie mit beharrlichem Druck zunichte machte. Er schob sich gar noch näher, drängte sich tiefer in Kanda und spürte dessen Haut bald darauf auf der Eigenen. Sie glühte… Das trockene Reißen und der stets heftiger auflebende Schmerz, entrissen Kanda der Lähmung. Sichtlich zuckte er zusammen, zitternd hob sich sein Kopf ziellos in die Höhe und sank entkräftet zurück zu Boden, auf welchem sich sein Körper benommen räkelte. Trunken vor Pein durchschweiften seine Pupillen das Nichts, bevor die Lider sie hinter sich verbargen. Laut klackten seine Zähne aufeinander. Gehetzt schnappte sein Mund zu und ein fahriges Ächzen stieß durch seine zusammengebissenen Zähne. Tyki registrierte diese Reaktion mit Wohlwollen und abermals befeuchtete er die Lippen mit der Zunge, glaubte noch, Kandas Geschmack wahrzunehmen und beugte sich weit hinab. Mit dem gesamten Oberkörper neigte er sich nach vorn, wirr fielen die Strähnen seines Haares in seine Stirn und schmunzelnd platzierte er einen Kuss auf dem bebenden Schlüsselbein des Jüngeren. „Wo ist deine Leidenschaft… dein Feuer…?“, hauchte er kühlen Atem über die brennende Haut und erneut drang ein gepeinigter Laut an seine Ohren. „Das ist der beste Augenblick, sie mir zu zeigen.“ Krampfhaft hielt Kanda die Augen geschlossen, unterdrückte gar den Atem für einen Moment, als der Schmerz unerträglich in ihm auftobte. Er wollte es nicht… wollte nicht schreien, nicht wimmern. Welche Genugtuung wäre es für seinen Peiniger, welch ein Ruin für ihn. Der Wille bäumte sich ihm auf… die Härte seiner Persönlichkeit, der verbitterte Widerstand seiner Würde. Der Kampf gegen die schwache Hülle, der es untersagt wurde, sich die Erniedrigung einzugestehen. Kitzelnd rann eine Schweißperle über seine Stirn, als er sich zitternd nötigte, reglos zu verharren. „Was fühlst du…?“ Lüstern folgten die Lippen dem Schlüsselbein. Annähernd lautlos flüsterte er diese Worte, während seine Finger beständig Kandas Oberschenkel entlangfuhren, betasteten, streichelten. „Schmerz…? Leid…?“ Das Grinsen vertiefte sich anrüchig. „Erzähl es mir.“ „Kch!“ Ein Beben erfasste Kandas Körper, starr blieb sein Gesicht erhoben und ein Kitzeln ließ ihn erneut ächzen. Gleich einer brennenden Glut war jede Berührung. Selbst die Lippen, die nach seinem Haar schnappten, rissen ihn von einem Alptraum in den nächsten. „Gleich wird es besser.“ Geschmeidig glitten die langen Strähnen durch Tykis Lippen, als er den Kopf etwas hob. Seine Augen wollten Kandas Gesicht festhalten, sich eine jede Regung einverleiben. Und mit sinnlicher Genugtuung begann er sich zu bewegen. Geschmeidig bewegte er die Hüften zurück, streckte den schlanken Rücken durch und versenkte sich abermals und bedächtig in Kanda. Kontrollierter jedoch rascher Atem strich über seine leicht geöffneten Lippen hinweg, während es seinen Lidern schwer fiel, nicht hinab zu sinken. Der Anblick war es ihm wert, dem sinnlichen Kribbeln seines Leibes noch kurz zu widerstehen. Viel lieber wollte er doch sehen, welche Wirkung er auf andere hatte. Wo war der Wille, als sich Kandas Mund weit öffnete und sein Hals ein geräuschvolles Ächzen ausstieß. Welch eine Selbstüberschätzung… pure Belustigung und Tyki presste die Lippen aufeinander, als sein Unterkiefer vor Verzückung erschauderte. Lange war es ihm nicht mehr so gut gegangen. Lange hatte er nicht mehr gelebt, kein süßes Zittern, welches sinnlich seine Glieder durchstreifte, keine Nackenhärchen, die sich aufrichteten. Keine Haut, die vor Hitze und Kälte zugleich brannte. Dankbar ergötzte sich sein Leib an dem Opfer, welches er ihm darbot. Fließend und geschmeidig vernarrte er sich in die Bewegungen und beglückte sich an den Lauten des Anderen, den Zeugen seines erreichten Zieles. Somit schloss er die Augen, festigte die eigene Haltung und stieß abermals zu. Schwelgend fiel er in einen angenehm langsamen Rhythmus, arbeitete geduldig daran, die Barriere und den Widerstand des jungen Körpers zu brechen. Es war nur eine Frage der Zeit. „Entspann dich“, riet er keuchend und ließ das Kinn zum Schlüsselbein sinken. „Du tust dir… keinen Gefallen.“ Der Schmerz ließ nicht nach. Stockend schob sich Kandas Hand über das Gestein, umklammerte es hastig neu und der gehetzte Atem wurde hinter den zusammen gepressten Lippen verschlossen gehalten, solange, wie es nur möglich war. Er würde keuchen und vor Pein ächzen, wenn er ihm freien Lauf ließ und mit verzerrter Miene ließ er es über sich ergehen. Jede Bewegung… er spürte sie so intensiv. Fühlte jeden besinnlichen Stoß bis tief in sein Inneres. Seine empfindsame Haut litt unter der kontinuierlichen Reibung und ein scharfes Glühen brannte annähernd stark genug, um den Schmerz zu überbieten. Ein Gefühl des Schwindels übermannte ihn und rasselnd holte er Luft. Immerzu wollten seinem Hals erbärmliche Geräusche entweichen und wieder stoppte er den Atem. Tyki lag nicht viel daran, es ihm gleichzutun. Gerne offenbarte er sein Verlangen, stöhnte vor Lust und beugte sich bald nach vorn, um sich neben Kandas Leib abzustützen. Doch allein die Reaktion des Körpers begann ihn zu langweilen, entsprach nicht seinen Erwartungen und in die gemächliche Bewegung vertieft, hob er die Lider ein Stück weit, um Kanda zu mustern. Er wollte ihn hören… verzehrte sich nach dem Beweis seines Könnens, welches nicht unbeachtet bleiben sollte. Nur kurz musterte er die verschlossene Miene des Jüngeren, dann blinzelte er unter dem Schweiß, der kitzelnd seine Stirn säumte und richtete sich wieder auf. Beharrlich setzte er die warmen Fingerkuppen auf Kandas Bauchnabel, strich mit ihnen tiefer und zwischen seine Beine, um ihn liebevoll zu berühren. Bei dem Aufeinandertreffen seiner Finger mit der empfindsamen Haut des Jüngeren, entrann diesem ein erschrockenes Ächzen und zufrieden begann er ihn zu liebkosen, einen jeden Zentimeter zu erforschen und zu necken. „Aaah!“ Das verwirrte Stöhnen brach hinter den Lippen hervor und fahrig löste sich die Hand aus dem Staub, um sich auf diese zu pressen. Gallige Abscheu entbrannte in ihm, als seine Ohren den eigenen Laut vernahmen, Zeuge des Verrates wurden, der sich nicht aufhalten ließ. Er spürte einen bestimmten Griff, ein scharfes Kribbeln, welches seinen Unterleib durchlief und den Schmerz etwas in den Hintergrund drängte. „Hier gefällt es dir, hm?“ Schmunzelnd erfasste Tyki seinen Erfolg und behutsam widmete er sich jener Stelle mit besonderer Hingabe. Erbarmungslos streichelte, drückte und zwickte er, während er sich etwas schneller zu bewegen begann und dafür ein hilfloses Stöhnen erntete, welches durch die Hand hindurch stieß. Immer und immer wieder versuchte Kanda seinen Atem zurückzuhalten, doch er raste so stark und sein Herz pochte so heftig, dass er selbst den Kampf gegen den eigenen Körper verlor und ihm erlag. Seine Schulter begann zu schmerzen, die Hand auf seinem Mund an Kraft zu verlieren und als ein erregtes Beben durch seine Lendengegend schoss, rutschte der Arm zurück zu Boden, auf dem er sich ziellos bewegte, nicht einmal mehr dazu fähig, den alten Griff in den Kies wieder aufzunehmen. Sein Gesicht glühte, als beherrsche es hohes Fieber, kalt loderte der Schweiß auf, als ihn ein lauer Wind erfasste und unterwürfig stöhnte er unter den gekonnten Berührungen. Kein Gedanke beherrschte ihn. Heiße Wogen trieben alles in ihm fort, das nach Widerstand gierte und wehrlos ließ er sich mitreißen. Es gab keinen Stolz in diesen Momenten, keine Würde und sein Gesicht zuckte vor dem dumpfen Prickeln, welches ihn beherrschte. Allmählich hatte sich sein Körper an den Fremdkörper gewöhnt, die Gegenwehr fallen gelassen und sich entspannt. Die Pein des groben Eindringens verlor an Stärke und ließ allein die Hitze zurück, die bei jedem Stoß in ihm entbrannte. Das eigene Aufstöhnen bei jeder Berührung, bei jedem Atemzug, rauschte in Kandas Ohren und drang dennoch nicht in seinen disziplinierten Verstand, welcher imstande war, Gefühle der Scham oder des Ekels zu entsenden. Mit geschlossenen Augen unterlag er, erschlafft ließ sich sein Körper formen und frohlockte unter jeder erfrischenden Böe. Der harte Druck des Gesteins auf seinen Rücken verlor an Dasein, das Pochen der unbrauchbaren Schulter an Existenz und die harte Beanspruchung seines kraftlosen Körpers ließ ihn der Betäubung entgegen dämmern. Die Laute, die aus seinem Hals drangen, verloren alsbald an Intensität und zärtlich geleitete ihn das leidenschaftliche Keuchen des Anderen in die Bewusstlosigkeit. Unter einem genügsamen Seufzen ließ sich Tyki neben dem reglosen Leib nieder und machte es sich bequem. Er setzte sich in den Kies, winkelte die Beine an und platzierte den Zylinder ordentlich auf seinem zuvor gerichteten Haar. Seine Miene war entspannt und offenbarte pure Zufriedenheit, als er die Hände sinken ließ und die Taschen seines Jacketts zu betasten begann. Kurz darauf zog er eine Zigarette hervor und musterte sie. Sie war etwas geknickt… genau wie der Rest seiner Kleider. Konnte man sich so noch sehen lassen? Er klemmte die Zigarette zwischen die Lippen, beäugte sich selbst und gab sich dennoch zufrieden. Es ging wohl noch. Auch die Streichhölzer waren schnell gefunden und er schützte das auflodernde Hölzchen mit der Hand, als er den Tabak entzündete, einen tiefen Zug nahm und sich gemütlich zurücklehnte. Verträumt durchschweiften seine dunklen Augen die Umgebung und nach einem behaglichen Zwinkern drehte er das Gesicht zur Seite, besah sich den Bewusstlosen. Er hatte erwartet, dass er es länger durchhielt. Doch wenn er sein Wegtreten mit seinem Talent begründete, dann wollte er nicht nachtragend sein. Nachdenklich bewegte er die Zigarette zwischen den Lippen, blies den Rauch aus der Nase und richtete sich etwas auf, um sich Kanda zuzuwenden. Die Augen waren entspannt geschlossen, der Kopf zur Seite gelegt… die Brust hob sich unter regelmäßigen ruhigen Atemzügen. Er schien es zu überstehen und Tyki hob die Hand, um sich eine der langen Haarsträhnen zu schnappen, die sich wirr über den Kies schlängelten. Er bewegte sie zwischen den Fingern, folgte ihrer beachtlichen Länge und ließ sie auf das Gestein zurücksinken. Ohne Umwege erreichte die Hand daraufhin das blasse Gesicht. Bedächtig folgten die in den weißen Stoff gehüllten Fingerkuppen der Stirn, strichen das schmale Nasenbein hinab und berührten auch die rauen und leicht geöffneten Lippen. Abwesend verfolgten die Augen die Bewegungen der Hand und seufzend wandte er sich wieder ab. Es war… wirklich schön gewesen. Zu was spontane Einfalle führen konnten, war doch sehr erstaunlich. Er schürzte die Lippen, nahm die Zigarette aus dem Mund und kratzte sich den Nacken, bevor er sich an eine Sache erinnerte und seine Augen nach der Sonne suchten. Sie stand schon sehr hoch… die Zeit wurde scheinbar wirklich knapp und nachdem er sich solch einen Appetit verschafft hatte, beherrschte ihn schon ein gewisser Hunger. Es war ihm nicht danach, schon zu gehen und doch rappelte er sich auf, kam auf die Beine und nahm sich kurz Zeit, den Staub von der Hose zu streichen. Ein weiterer Zug, dann ließ er die Zigarette fallen, trat sie aus und straffte den Sitz des Jacketts. Und wieder senkte er den Kopf und betrachtete sich Kanda grüblerisch. Würde er strikt nach seiner Stellung handeln, so müsste er seinem Leben ein Ende bereiten. Es würde schnell gehen und ihn keine Zeit kosten, doch seine Gedanken widersetzten sich diesem Vorhaben von Anfang an und er hatte keine Lust, sich damit auseinander zu setzen. Walker konnte es kaum sein, lediglich ein unbedeutender Exorzist, den er wohl nie wieder sehen würde. Nichts würde nachweisen, dass sie aufeinander getroffen waren und ebenso wenig würde dieser junge Mann in Zukunft eine Gefahr darstellen. Nein, ihm war nicht danach und an seinen Lippen zog ein flüchtiges Lächeln, als er die Hände in den Hosentaschen verstaute. Stumm verabschiedete er sich, holte tief Atem und wandte sich zum Gehen ab. Der Kies knirschte unter seinen gemütlichen Schritten, das Jackett bäumte sich unter einer kühlen Böe auf und seine Augen richteten sich abwesend auf den Boden. Grübeleien begannen ihn zu beherrschen und schweigsam tauchte er ein in die sandigen Böen des Wüstendorfes. Hitze… er spürte sie an einer Stelle seines Körpers und vermochte nicht zu sagen, welche es war. Er hörte das leise Rauschen seines Atems und nahm ein leichtes Ziehen wahr, als er tiefer nach Luft gierte und sie in sich aufnahm. Die einst so unendlich erscheinende Finsternis, die er vor sich sah, wich einem dunklen Rot, welches ihn blendete, obwohl er glaubte, die Augen noch geschlossen zu haben. Seine Wahrnehmung erwachte aus der Taubheit der Besinnungslosigkeit. Lahm öffnete er den Mund, entließ einen tiefen Atemzug und spürte einen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Ein schweres Gewicht schien ihn niederzudrücken. Seine Arme fühlen sich matt an, er hielt sie weit von sich gestreckt, ebenso seine Beine, an denen er ebenso etwas fror. Wieder atmete er tief ein, tief aus… bewegte die Lider, ohne die Augen zu öffnen und zählte das leise Pochen, das hinter seinen Schläfen festsaß, dem das Stechen wich. Es erhob sich unaufhörlich und nach wenigen Augenblicken wurde er sich der Tatsache bewusst, dass sein gesamter Körper von Schmerzen geplagt war. Sein Bauch rumorte, ein widerliches Gefühl durchflutete seinen Unterleib und ein säuerlicher Geschmack lag auf seiner Zunge. Er verzog die Miene, seine Konzentration suchte den erhitzten Punkt seines Körpers und stockend begann er diesen zu bewegen. Es war seine Hand… seine Finger, die er krümmte und wieder von sich spreizte. Und dann endlich gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Selbst sie ließen dies kaum zu und es war ihm unangenehm, wie er in die dumpfe Röte der untergehenden Sonne hineinblinzelte, bald darauf vor der grellen Farbe floh und die Augen schloss. Ein Juckreiz befiel seine Stirn; er spürte die wirren Strähnen seines Haares, die wild sein Gesicht bedeckten und kämpfte währenddessen mit der rasch aufkeimenden Übelkeit. Kraftlos blähte er die Wangen auf, hob eine Hand vom Boden und bewerkstellige dies nur mit Anstrengungen. Träge hob und senkte sie sich zu seinem Gesicht, ertastete die Haut und die Haare… streifte sie schleppend bei Seite. So blinzelte er wieder, nahm seine Umwelt durch einen trüben undeutlichen Vorhang wahr und ließ das Gesicht zur Seite sinken. Der Schmerz in seinem Kopf bäumte sich auf, er zischte unter seiner Intensität und blieb liegen. Seine Hand glitt unbeholfen über sein Haar, bevor sie reglos auf seinem Kopf liegen blieb. Was war passiert…? Sein Kopf war in diesem Zustand nicht dazu bereit, Erinnerungen preiszugeben. Müde erfassten seine Pupillen den Boden, auch seine andere Hand, die weit von ihm gestreckt auf dem Kies ruhte und durch das Fieber der Selbstheilung glühte. Doch es fühlte sich besser an. Seine Fingerkuppen begannen sich in drückenden Abendröte zu bewegen; eine jede der Regungen verfolgte er abwesend. Es dämmerte zur Nacht… nein… vielleicht auch zum Morgen? Er vermisste jegliches Zeitgefühl, legte bald jedoch keinen Wert mehr darauf, denn sein Körper steigerte sich rasch in einen Zustand, der ihm die benommene Ruhe nahm. Er verzog die Brauen, kraftlos tastete er mit der Hand nach seinem Haar, glitt mit den Fingern durch die Strähnen und spürte ihre Rauheit. Benommen tastete er auch mit der Zunge, raunte unter dem widerlichen Geschmack und begann seine Umwelt mit trüben Augen weiterhin zu erkunden. Über ihm erstreckte sich der dunkle Himmel. Die rötlichen Strahlen der Sonne vermochten es nicht mehr, ihn erhellen. Selbst ein Stern war schon zu sehen und düster umgaben ihn die verlassenen Häuser, deren Fenster in schierer Dunkelheit gähnten. Er lag nahe einer alten Hausfassade, in naher Entfernung zu einem riesigen leeren Platz und wusste beileibe nicht, wie er dorthin gekommen war. Graue Fetzen der Erinnerung durchstreiften seinen schmerzenden Kopf und verloren an Wichtigkeit, als sich sein Magen rumorend meldete und sich ein langsamer Druck in seiner Lunge aufbaute. Unter einem gepeinigten Ächzen begann er sich zu regen, tastete mit den Händen um sich, suchte nach Halt und rollte sich mühsam auf die Seite. Seine Glieder ließen ihn das dreifache Gewicht spüren… vor seinen Augen schwankte das dunkle Bild und abermals zischte er unter den Schmerzen auf. Seine Schulter knackte unter dem Druck des Körpers und der verletzte Arm war kaum zu belasten. Wirr verdeckte ein Teil seines offenen Haares sein Gesicht, als er sich hochstemmte und sich stockend regte, bis er halbwegs bequem auf dem Kies kauerte. Seine Brauen zuckten und kurz darauf fanden seine Hände zu seinen Schläfen, rieben diese kurz und glitten stockend zu seinen Augen, um diese unter sich zu verbergen. Nur zu einem verwirrten Kopfschütteln war er imstande. Und so lugte er zwischen seinen Fingern hindurch und erblickte das nackte Bein, das er von sich streckte. Lange und verwirrt starrte er es an, blinzelte perplex und ließ die Hände sinken, um sich ungläubig zu betrachten. Stockend sanken seine Pupillen hinab, streiften das Bein, welches noch im Stiefel und der Hose steckte und richtete sich auf seine Blöße. Er war nackt. Kitzelnd glitt sein Haar über seine schmalen Schultern, als er das Gesicht zur Seite wandte, mit leicht geöffnetem Mund und verstörten Augen in die Finsternis einer Gasse starrte. Nur müde und taub begann er nach Erinnerungen zu suchen und ein Schmerz in seiner Hüftgegend ließ ihn zusammenzucken. Ziellos wechselten seine Pupillen von einer Seite zur nächsten… er suchte die Konfrontation mit den Tatsachen, rang um Konzentration und fühlte sich zu nichts fähig. Wieder durchfuhr ihn der reißende Schmerz an einer ungewohnten Stelle und seine Lippen bewegten sich stumm, als er wieder den Kopf senkte, auf seine Oberschenkel starrte und danach… Sein Gesicht verblieb reglos, seine Mimik in der alten Verwirrung und sein Hals bewegte sich unter einem trockenen Schlucken, bevor er zögerlich eine Hand hob. Lahm befeuchtete die Zunge die rauen Lippen und stockend schob er die Hand zwischen die Beine, spürte die Reizung der Haut, das Brennen bei der kleinsten Berührung und… Seine Miene zuckte, als seine Fingerkuppen in einer schmierigen Feuchtigkeit badeten und sofort zurückgezogen wurden. Abermals bäumte sich das unangenehme Gefühl in seinem Magen auf und erstarrt musterte er das Blut, welches annähernd schwarz wirkte. Es bedeckte seine Finger, spannte sich trocken über die Innenseiten seiner Oberschenkel und es gelang ihm weder Luft zu holen, noch den Blick abzuwenden. Seine Augen begannen zu brennen, er konnte nicht blinzeln und einige Augenblicke verharrte er noch, bevor ein heftiger Schauer durch seinen Körper jagte und er den Oberkörper ungelenk zur Seite sinken ließ. Sein Magen begehrte auf, schmerzhaft verengte sich seine Lunge und ächzend übergab er sich. Sein Bauch verkrampfte sich peinigend, röchelnd gierte er nach Luft, bevor er erneut würgte und sein Körper unter Wogen des Ekels erbebte. Er wusste nicht, wie oft er sich übergab, doch irgendwann richtete er sich auf, fuhr sich abwesend über den Mund und blieb mit glasigem Blick kauern. Entrüstet und abwesend tasteten sich seine Augen durch die Finsternis und er zog die Nase hoch. Der Gestank von Schweiß und Blut… er meinte sogar, den beißenden Geruch des Tabaks an sich wahrzunehmen und es brachte ihn um den Verstand, hier zu bleiben. Es widerte ihn an und er drehte sich zitternd zur Seite, starrte hinüber zu seinem Mantel und begann sich bereits zu bewegen. Sein Wille war der einzige, der sich dorthin sehnte, sein Körper jedoch beging weiteren Verrat an ihm, widersetzte sich. Das Schmerzen seines Kopfes, das Knacken seiner Knochen und das marternde Stechen in seiner Hüfte trieben ihn nahe an die Grenzen der Verzweiflung, in der er sich weiterquälte. Die Kraftlosigkeit und die Schmerzen wollten ihm den Zwang des Innehaltens auflasten. Seine Augen deuteten ihm den Weg verschwommen und sein rasch anschwellender Atem führte ihm nur um ein weiteres Mal vor Augen, in welchem Zustand er sich befand. Kein Stolz, kein Hochmut. Der Drang nach dem Mantel trieb ihn dazu, sich ein Stück auf den Knien fortzubewegen. Blind tasteten sich seine Hände über den Kies, kaum nahmen seine Finger den robusten Stoff wahr und er tastete sich erst weiter, bevor er fahrig zugriff. Mit verschlossenem Mund und abwesenden Augen zerrte er den Stoff zu sich, verschloss sich vor jedem körperlichen Leiden und der Schärfung seiner Erinnerungen. Verbissen und mit der möglichen Hast stieg er mit dem zweiten Bein in die Hose zurück, streifte sie über seine Hüften und tastete mit zittrigen Händen nach dem Reißverschluss Es gelang ihm kaum, ihn zu schließen. Immer heftiger wurden seine Bewegungen, immer ungeduldiger sein Handeln und er vergaß den Knopf, als er sich schon den Mantel über den nackten Oberkörper streifte. Den schieren Schmerz hinunterschluckend, fuhr er in die Ärmel, zerrte den Stoff über seine Brust und starrte keuchend um sich. Währenddessen zerrte er den Gürtel aus der Hose, um den beschädigten Mantel noch schließen zu können. Es gelang ihm, ohne, dass seine Augen die Arbeit verfolgten. Heftig zurrte er ihn fest, zog den Mantel enger warf sich das offene Haar von der Schulter. Seine Bewegungen verliefen mechanisch, als würden sie sich nach einem festen Plan richten und ohne sich noch Zeit für irgendetwas zu nehmen, versuchte er sich darin, auf die Beine zu gelangen. Zerrend und peinigend wehrten sich seine Muskeln gegen die Beanspruchung und ächzend kämpfte er dagegen an. Er rang mit der Schwäche des einen und der Verletzung des anderen Armes, mit den bebenden Knien und es nahm viele Momente in Anspruch, bis er stand. Nur schwerlich war das Gleichgewicht zu finden. In der neu gewonnenen Höhe verstärkte sich jenes Gefühl des Schwindels und es entpuppte sich als kaum zu bewältigende Herausforderung, geradeaus zu gehen. Er schwankte, stolperte annähernd über seine eigenen Beine, erkämpfte sich jedoch mit Verbissenheit und Ignoranz den Weg zu seinem Schwert, nach dem er sich umständlich bückte. Weiter und hinkend quälte er sich dann zur Hausfassade und stütze sich an dieser ab. Nur weg… weg… weg… Wie eine Endlosschleife rast dieser Gedanke in seinem Kopf und er blickte nicht zurück, als er sich tastend an der Fassade entlang schob, einem weiten Weg entgegenblickte. Ein Marsch von zwei Stunden, um zum Bahnhof zu gelangen… weitere Stunden im Zug… ein Schauer der Furcht überkam ihn bei diesem Gedanken. Sein Körper schien dieser Beanspruchung nicht mehr gewachsen und er verdrängte diese Angst mit weiteren Schritten, deren Pein ihm die gewünschte Ablenkung verschaffte. Trocken spannte das Blut bei dem Schritt, taub fand seine linke Hand kaum den nötigen Halt an dem alten Gestein und in seinem Unterleib pulsierte der Schmerz in betäubender Intensität. Dämmrig tasteten sich seine Augen voran, nur mit geöffnetem Mund bekam er nötigen Sauerstoff und sein Keuchen brach sich an den steinernen Häusern, als er dem alten Ziel wieder folgte. ~*to be continued*~ Kapitel 4: ~3~ -------------- Langsam und geschmeidig glitt der Zug über die matt schimmernden Gleisen, die grauen Räder gaben ein leises Quietschen von sich, als er über ein Verzweigungssystem rollte und die Richtung änderte, direkten Kurs auf die Einfahrt eines Bahnhofes nahm. Schwache Lichter schienen aus den einzelnen Kabinen hinaus in die tiefe Dunkelheit der Nacht, gurrend erhoben sich Tauben von dem Gleis, als er das Ziel erreichte. Ihre lauten Flügelschläge hallten in der kleinen Halle wider und wider und erst als das laute Quietschen erneut ertönte, verstummten sie. In diesem Lärm bewegten sich die Tauben lautlos und ließen sich auf den schweren Stahlträgern des Daches nieder. Allmählich verlor der Zug an Geschwindigkeit, gemächlich fuhr er den Bahnsteig entlang und kam unter einem weiteren Quietschen zum Stillstand. Zischend schoss Rauch aus den Kurbeln der Räder und kroch über den kühlen Steinboden. Erst mit diesem Eintreffen kehrte etwas Leben in die verlassene Halle zurück. Nur wenige waren hier. Ein älterer Herr saß auf einer der hölzernen Bänke, die wachen Augen auf eine Zeitung gerichtet. Zwei Finder lehnten gegenüber der Gleisen an einer Wand, waren in ein Gespräch vertieft. In der Informationskabine saß eine ältere Frau, hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und starrte in eine Zeitschrift. Einige der Zugtüren öffneten sich nun und eilig stieg eine Frau die etwas rostigen Stufen hinab. Aufmerksam umging sie die Löcher mit ihren Absätzen, schulterte eine Reisetasche und trat auf den steinernen Boden hinab. Sofort machte sie sich über den Weg und laut hallten ihre Schritte durch die Halle. Weitere folgten ihr und das unverständliche Murmeln der Stimmen überschnitt sich, während die Menschen ihrer Wege gingen, auf den Ausgang zusteuerten. Der Rauch der Kurbeln verzog sich und kurz darauf kehrte die Stille zurück, nur die Tauben eilten gurrend von einer Seite zur anderen und die Drehtür quietschte durch die Hast des letzten Reisenden. Das Lachen der Finder erhob sich, die Frau in der Kabine nippte an ihrer Tasse und das Rascheln der Zeitung schreckte eine Taube auf, die nahe der Bank ihrer Wege ging. Langsam tastete sich eine bleiche Hand um die Kante der Zugtür und Kanda beugte sich ins Freie. Sein Haar schien etwas gebändigt worden zu sein, war ein wenig zurückgeknotet und wirkte somit säuberlicher. Ebenso sein Gesicht. Gesäubert und unversehen machte es lediglich auf die Erschöpfung aufmerksam. Müde erkannten seine Augen das Ziel und konzentriert stieg er aus. Auf jeden Schritt musste er achten, um die Knie durchzudrücken, bevor sie nachlassen konnten und er unterdrückte ein angestrengtes Ächzen, als er auf dem steinernen Boden aufsetzte und seine Hände zum Mantel zurückfanden, um ihn zu richten. Die Tatsache, dass er beschädigt war, fiel durch den robusten Kragen nicht auf. Lediglich dunkle Verfärbungen machten darauf aufmerksam, dass es Komplikationen gegeben hatte. Dennoch offenbarte seine Mimik die gewohnte Missstimmung, mit der er jeden unerwünschten Menschen fernhielt. Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf, straffte seine zusammengesunkene Haltung und zwang sich, die, durch die kurzen und durchaus unruhigen Minuten des Schlafes erworbene Kraft, für das äußerliche Erscheinungsbild herzugeben. Seine Schritte wirkten bis auf ein leichtes Hinken gefestigt, während ein jeder Muskel seines Körpers zitterte und bebte. Sein Atem fiel ruhig, während das Herz in seiner Brust raste und seine Miene verharrte steinern in ihrem Ausdruck, während die Brauen vor Schmerz zuckten. Es war nicht besser geworden und der zurückgelegte Weg erschien ihm wie ein Teil eines gnadenlosen Alptraumes, der noch immer nicht überstanden war. Das Hauptquartier war noch weit entfernt und seine Hände ballten sich zu Fäusten, als er den Bahnsteig verließ und auf den Ausgang zusteuerte. Als sich erneutes Lachen erhob, wurde er auf die Finder aufmerksam. Amüsiert gestikulierten sie mit den Händen und schienen sich bester Laune zu erfreuen. Kandas Augenwinkel zuckten und verbittert wandte er sich wieder seinem Weg zu. Er musste es schaffen… bald konnte er sich ausruhen und dennoch gab es davor noch viel zu tun, wenn er sein Ziel erreichte. „Und das fing er natürlich wieder Streit an!“, rief einer der Finder und der andere verdrehte die Augen. „Konnte es wohl wieder nicht auf sich sitzen lassen, was?“ „Mit dem arbeitet niemand gern zusammen.“ „Ich musste es trotzdem einmal. Du weißt doch, das war in…“ Wieder raschelte die Zeitung hinter Kanda und nach wenigen weiteren Schritten, verlangsamte er das Tempo. Seine Mimik gab knappe Grübeleien preis und ohne zu zögern, bog er zur Seite und steuerte auf die Finder zu, die fluchten und lachten und ihn schnell bemerkten. Entschlossen näherte er sich ihnen und sofort senkten sie die Stimmen, um dem Vorgesetzten diszipliniert zu begegnen. Desinteressiert und knapp musterte Kanda die Beiden, achtete nicht auf die flüchtigen Blicke, die seinen Mantel streiften. „Seid ihr hier eingeteilt?“, erhob sich seine Stimme in gewohnten Tonfall und die beiden Finder hoben die Augenbrauen. „Seid ihr im Dienst, meine ich!“ Seine schroffen Worte hallten wider und die Finder schüttelten die Köpfe. „Nein, Kanda-san“, antwortete einer von ihnen und Kanda blieb bei ihnen stehen. „Wir haben keine Schicht.“ „Seid ihr zu Fuß hier?“ „Nein, mit dem Auto“, antwortete der Andere unbeholfen. „Wir wollten gleich…“ „Ab jetzt seid ihr wieder im Dienst“, unterbrach Kanda ihn und lugte finster zur Seite. „Ich muss ins Hauptquartier und ihr fahrt mich sofort hin.“ Mit diesen Worten wandte er sich bereits ab und die Finder wechselten irritierte Blicke, bis sie dem jungen Exorzisten ergeben folgten. Die Fassade seiner unbewegten Miene drohte zu bröckeln, als er sich durch eine große stählerne Tür schob und einen steinernen Zugangsflur betrat. Er war an seinem Ziel und der Weg, den er sonst mit Geduld und Ruhe hinter sich ließ, ein Höllentrip gewesen. In der unbeobachteten Umgebung ergab sich seine Miene den Schmerzen und seine Hand stützte den Steiß, während der verletzte Arm jeglicher Beanspruchung entzogen und gesenkt wurde. Der Boden zu seinen Füßen vibrierte bei jedem Schritt vor seinen Augen. Der vorsichtige Druck des Auftretens erinnerte ihn an die Kopfschmerzen und seine Hüfte bannte seine gesamte Aufmerksamkeit. Er wusste nicht, wie schwer man sich bei dem Erlebten verletzen konnte, kannte nicht die genauen Auswirkungen auf den Körper, spürte sie lediglich. Und es fühlte sich verheerend an. Seit Stunden trug er nun diese Wunden und es beunruhigte ihn, dass der Prozess der Selbstheilung noch nicht so recht eingesetzt zu haben schien. Es hatte sich nichts gebessert. Er hinkte beinahe so, als wäre sein Knie gebrochen und jeder Schritt verlangte ihm so einiges ab. Er musste sich hinlegen… er brauchte Ruhe, sonst wüsste er nicht, wie es weitergehen sollte. Seine Nerven waren keiner Arbeit mehr gewachsen und seine Fiktionen stoben in die verworrensten Gefilde aus. Er konnte nicht klar denken und tat es einfach nicht. Die nächste Tür rückte näher und bevor er sie erreichte, konzentrierte er sich wieder auf seine Fassung. Die Hand löste sich vom Steiß, seine Haltung suchte nach Festigkeit und die Hand des verletzen Armes bettete sich auf dem Knauf des Katanas. Und nach einem tiefen Atemzug verbannte er jede Qual aus seiner Miene, passte sie dem Alltag an und öffnete die Tür. Er trat in das runde Treppenhaus hinaus, ließ die Tür hinter sich zufallen und bog, ohne auf seine Umgebung zu achten, nach links. Eilige Schritte ertönten in einem der oberen Geschosse, Stimmen erhoben sich in naher Ferne. Es war längst nach Mitternacht und dennoch schlief hier kaum jemand. Er ließ einen abzweigenden Weg hinter sich, ebenso weitere Türen, bis er einen Fahrstuhl erreichte und träge die Taste drückte. In diesem Moment öffnete sich nicht weit entfernt eine Tür und Kandas Pupillen schweiften zur Seite, um dort zwei Finder zu erkennen, die einen der Räume verließen. Nur kurz beobachtete er sie, bevor er angespannt auf die Anzeige des Fahrstuhles starrte. Unterdessen waren die Beiden schon auf dem Weg und dieser führte an ihm vorbei. Ihm war nicht danach, Gespräche zu führen, doch das war nichts Außergewöhnliches und nichts, was man nicht von ihm gewohnt war. Er rümpfte die Nase, schluckte und verfluchte innerlich die Kabine, die zu lange brauchte. Indessen hatten die Finder ihn erreicht und deutlich spürte er ihre Blicke, als sie an ihm vorbeizogen. Was möglich und wozu er imstande gewesen war, um äußerliche Beweise des Erlebten zu verbergen, hatte er getan und dennoch waren ihm die Strapazen und die Erschöpfung deutlich anzusehen. Er blinzelte müde, als sich endlich die Türen öffneten und trat in die Kabine, in welcher er sich aufgerichtet in der Mitte hielt, nicht auf die Kamera achten, die auf ihn gerichtet war. Diese Wände luden wirklich dazu ein, sich anzulehnen und er starrte vor sich hin, bis er das gewünschte Obergeschoss erreichte. Nur noch die Meldung stand ihm bevor… er musste sich nur noch blicken lassen, bevor er die dringend notwendige Ruhe bekam. Er biss sich auf die zusammengepressten Lippen, vor ihm öffneten sich die Türen und er trat hinaus. Wieder drangen Schritte an seine Ohren und er bog nach rechts, um die Schritte kurz darauf zu verlangsamen. Seine Augen richteten sich auf einen Punkt und es verlangte ihm nicht viel ab, die bekannte Mimik aufzusetzen. Das erste Gespräch kam schneller auf ihn zu, als ihm lieb war. Einen kleinen Zettel in den Händen wendend und das Gesicht zu diesem gesenkt, schlenderte Allen aus einem breiten Flur. Er vertiefte sich sehr in das Papier und dennoch bemerkte er Kanda sofort und blickte auf. Der junge Mann hatte sich wieder zum alten Tempo gezwungen, ebenso dazu, das Hinken zu unterbinden, was ihm völlig misslang. Der Junge hob unterdessen die Augenbrauen und ließ den Zettel sinken. Beinahe wirkte er überrascht. „Kanda.“ Er ließ den Zettel in seiner Hosentasche verschwinden und starrte auf den blutverschmierten Mantel des jungen Mannes. Seine Mimik offenbarte Sorgen und sofort sprach er es aus. „Ist mir dir alles in Ordnung?“ Erwartungsvoll sah er ihn näherkommen, dennoch traf ihn lediglich ein knapper Blick, bevor Kanda an ihm vorbeizog. Eine Antwort erhielt er nicht und es überraschte ihn nicht, da Kanda bekanntlich vor allem nach anstrengenden Missionen keine Muse für Unterhaltungen hatte. Er drehte sich ihm nach. „Ähm… Komui hat sich nach dir erkundigt“, rief er, bevor Kanda in dem Flur verschwand, aus welchem er soeben gekommen war. „Ich weiß“, hörte er ihn nur murmeln und stieß ein beinahe lautloses Seufzen aus. Verschwiegen, wie eh und je. Vermutlich würde sich nie etwas daran ändern. Der Junge rieb sich die Nase, wandte sich ab und schlenderte weiter. Kanda erreichte unterdessen eine recht große Tür. Ohne zu zögern griff er nach der Klinke, öffnete sie und lehnte sich in den dahinterliegenden Raum. Ein zermartertes Ächzen schlug ihm entgegen und müde klammerten sich die Forscher um ihre Kaffeetassen, während sich Berge von Arbeit auf ihren Schreibtischen stapelten und die Schicht einfach kein Ende nehmen wollte. Flüchtig sah sich Kanda um, seine Hand klammerte sich unscheinbar um die Klinke. „Ah, Kanda.“ River rappelte sich auf und ließ die Tasse sinken. Auch die anderen wurden spätestens jetzt auf den Neuankömmling aufmerksam und River stellte seine Tasse auf einer freien Fläche des Schreibtisches ab. „Komui hat…“ „Wo ist er“, wurde er knapp unterbrochen. „In seinem Büro“, kam die Antwort und bevor man fortfahren konnte, wurde die Tür wieder geschlossen. Kandas Haltung schwankte, als er sich von der Klinke löste und kurzen Halt an der Tür suchte. Er konnte kaum noch laufen und seine Lippen zischten einen leisen Fluch, bevor er die Hand vom Gestein löste und weiterhinkte. Der Weg zu jenem Büro war nicht weit und doch hatte sich sein Zustand immens verschlechtert, als er die Tür erreichte und anklopfte. Er hielt nicht mehr lange durch und hoffentlich stellte Komui nicht zu viele Fragen. Auch, wenn man es kaum glaubte, doch der Mann war nicht zu unterschätzen. „Ja!“, kam sofort die Reaktion und er schöpfte tiefen Atem, bevor er auch diese Tür öffnete. Die am Boden liegenden Unterlagen raschelten, als sich Komui auf seinem Stuhl zurechtrückte und seinen Gast erkannte. „Komm rein“, winkte er ihn näher, rückte wieder zur Seite und lehnte sich zurück, um ein Blatt anzustarren, das sich in dem hinteren Bein seines Stuhles verfangen hatte. Er hörte, wie die Tür geschlossen wurde, wie Kanda näher trat und richtete sich wieder auf. Vor ihm stapelten sich alle möglichen Arbeiten und er nahm sich die Brille von der Nase, griff nach seiner Tasse und runzelte die Stirn, als diese leer war. Unterdessen blieb Kanda auf der anderen Seite des Schreibtisches stehen und Komui fand weitere Ablenkung in den vor sich liegenden Unterlagen, die er flüchtig musterte und zur Seite schob. „Wenn ich mich nicht irre, habe ich vor mehr als zwanzig Stunden mit dir telefoniert und dich zurückbeordert. Also dachte ich, du wärst schon gestern Abend da“, murmelte er unterdessen und wirkte dabei dennoch in keiner Weise missgelaunt. Er war entspannt, so wie meistens. Ja… Kanda biss sich die Unterlippe und straffte die Schultern. Seine Mimik verharrte unbeteiligt. „Auf dem Rückweg wurde ich in weitere Kämpfe verwickelt“, antwortete er und erschauderte, als sich seine Stimme unbeabsichtigt gedämpft und leise erhob. Sofort räusperte er sich und Komui schickte ihm einen knappen Blick, bevor er sich wieder den Unterlagen zuwandte, jedoch in jeglichen Bewegungen inne hielt. Er runzelte die Stirn, blickte abermals auf und schenkte Kanda seine vollendete Aufmerksamkeit. Seine Brauen verzogen sich, als er den blutverschmierten Mantel, das wirre Haar und die leichenblasse Miene musterte. Anschließend lehnte er sich zurück und registrierte die Haltung des jungen Mannes, die von wirklich gewaltigen Gefechten zeugte. „Kämpfe welcher Art?“, erkundigte er sich. „Lediglich Akuma des 1. Levels.“ Kanda umfasste das Handgelenk vor dem Steiß und starrte an Komui vorbei; der direkte Blickkontakt war ihm unangenehm. Komui nickte in sich hinein, schürzte die Lippen und streckte die Beine von sich. „Ich frage nur, weil sich die Kämpfe in letzter Zeit vermehrt haben. Und nicht selten waren Angehörige des Noah-Clans involviert.“ Darauf antwortete Kanda nicht. Abwesend starrte er auf den Rücken eines dicken Buches, während er noch immer gemustert wurde. Ein Schweigen brach über sie herein und Komui beendete dieses mit einem leisen Seufzen, mit welchem er sich wieder aufrichtete und an den Zetteln zu rücken begann. „Jeder Exorzist sollte imstande sein, sie zu erkennen und jede Begegnung sollte sofort gemeldet werden.“ „Verstanden.“ Als Kandas Augen zu brennen begannen, blinzelte er müde, riss sich von dem Buch los und zog die Nase hoch. Es verlangte ihm viel ab, sich auf den Beinen zu halten und er hoffte, schnell entlassen zu werden. Doch Komui machte keine Anstalten, ihn gehen zu lassen. Die Unterlagen waren nicht mehr dazu imstande, ihn abzulenken und kurz darauf wies er mit einem Nicken auf den Mantel. „Bist du verletzt?“ Eine gewisse Besorgnis sprach aus seiner Stimme und Kanda wurde auf die Geste aufmerksam. Langsam senkte er den Kopf und betrachtete sich das trockene Blut, welches sich in den Stoff gesogen hatte. „Nicht meins“, log er und achtete diesmal auf seine Stimme. Er musste glaubwürdig klingen und zwang sich anschließend zu einem festen Augenkontakt. Komui wirkte erwartungsvoll und er räusperte sich wieder. „Der Rest ist nicht schlimm.“ Ein Zögern vonseiten Komui beunruhigte ihn, doch nach wenigen Augenblicken nickte der Ältere erleichtert. „Das ist gut. Ähm…“, wieder griff er nach der leeren Tasse, „… der Bericht?“ „Nachher.“ „Mm.“ Die Tasse war immer noch leer und Komui brummte verdrießlich. „Ja, das ist in Ordnung. Ruh dich erst einmal aus.“ Somit hob er die Hand und gab endlich das Zeichen, dass er gehen konnte. Kanda brachte lediglich ein undeutliches Nicken hervor, Komui starrte wieder auf die Zettelwirtschaft und ein fieberhaftes Blinzeln kehrte Kandas inneren Kampf nach außen, als er sich zu bewegen begann. Seine Hände lösten sich voneinander und er wandte sich ab… als ein Schwindel das Bild der Umgebung vor seinen Augen verzerrte und seinen Beinen kurz die Orientierung nahm. Komui hatte abermals aufgeblickt und beobachtete das ungelenke Straucheln, wie sich der Körper zur Seite neigte und die blasse Hand rasch Halt auf der Lehne des Sofas suchte. Langsam griff er nach einem Füller und kratzte sich mit diesem am Kinn. Unterdessen hatte Kanda das Gleichgewicht wiedererlangt und ohne zurückzublicken humpelte er zur Tür. Komui studierte jeden einzelnen Schritt und der junge Mann kam nicht weit, bevor er es nicht mehr ertrug. „Kanda?“ Die Befürchtung bewahrheitete sich und das Gesicht des Angesprochenen verzog sich verbissen, bevor er sich langsam umdrehte. Den Füller zwischen den Fingern bewegend, starrte Komui ihn an, starrte in die glasigen Augen. „Soll ich dir nicht vielleicht doch Bookman vorbeischicken?“ „Nicht nötig.“ „Ah…“ Von wirklicher Überzeugung konnte nicht die Rede sein, doch es blieb ihm nichts anderes übrig. „Dann ruh dich aber wirklich aus.“ „Ja.“ Kandas Stimme durchbrach kaum die Stille des Raumes und Komui ließ den Stift sinken, als er sein Büro verließ. Der schmale Körper schob sich durch den Spalt, die blasse Hand zog die Klinke mit sich und klackend schloss sich die Tür. Die Mimik des Abteilungsleiters wurde von Nachdenklichkeit befallen und mit einem tiefen Atemzug wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Als sich die Tür zu dem steinernen Zimmer öffnete, wurde dieses in die Helligkeit des Flurs getaucht und ein Schatten ließ das Licht an den Wänden zittern, als sich Kanda in seinen Raum schob. Seine Hand suchte Halt auf der Türklinke, seine Füße ertasteten ungelenk den Boden und er lehnte sich gegen die Tür, um diese schließen zu können. Nun war er an dem Ort, nach dem er sich Stunde um Stunde gesehnt hatte und ein gedrungenes Ächzen drang aus seinem Hals, als er einen Schritt auf das Bett zuging, währenddessen das Katana ergriff und es unter dem Gürtel hervorzog. Noch ein schleppender Schritt, bis er es seinen Knien endlich erlauben konnte, nachzulassen und zu Boden ging. Er sank in sich zusammen, seine Augen schlossen sich verkrampft und mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen beugte er sich nach vorn, stemmte sich auf die Ellbogen und räkelte sich benommen unter der Pein seiner Verletzungen. Laut brach sich sein röchelnder Atem an den steinernen Wänden, während er die kostbare Waffe behutsam neben sich auf dem Boden ablegte und das Kinn auf die Unterarme sinken ließ. Sein schmaler Leib hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen und zischend entließ er einen Teil der Schmerzen. Die Kälte des Bodens zog ihm entgegen und er schmiegte sich an ihn, ließ seinen Körper kraftlos zur Seite fallen, wälzte sich auf den Rücken und streckte die Beine aus, als er lag. Betäubt regte er sich, blinzelte unter dem Licht des durch das Fenster herein scheinenden Mondlichtes und verdeckte kurz darauf die Augen mit der Hand. Hier endete alles… der dumpfe Gedanke rumorte in seinem Kopf und er fühlte sich dem Tod so nahe, wie noch nie zuvor. So abscheulich… Keuchend blieb er liegen und sein Kopf, der sich nun nicht mehr auf die Schritte und die heuchlerisch gefestigte Haltung konzentrieren musste, widmete sich allmählich dem Durchlebten. Er hatte es verdrängt, um nicht den Verstand zu verlieren. Den gesamten Weg über hatte er sich nach seinem Zimmer gesehnt und hier alles angestaut, um sich den Tatsachen nun zu ergeben. Seine Zähne verharrten verkrampft aufeinander, gehetzter Atem stieß durch sie hindurch und als er stockend die Beine anwinkelte, signalisierter sein Körper, dass er diese Haltung nicht ertrug. Stockend kämpfte er damit, sich zur Seite zu drehen, bettete das Ohr auf dem Arm und starrte auf das geschliffene Gestein der dunklen Wand. Noch nie hatte er hier gelegen… Diesen Teil des Bodens hatten stets nur seine Füße berührt und nun tat er es mit allen quälenden Gliedern. Blinzelnd schloss er die Augen, seine Hand ertastete das bleiche Gesicht und rieb es. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Haut und die Fingerkuppen glitten zurück zum Ohr. Es schmerzte noch etwas, ertrug keinen Druck und er betastete sein Ohrläppchen, nur, um zusammenzuzucken und die Hand zurückzuziehen. Die Lippen hatten es gestreichelt, umspielt, die Zähne neckend nach ihm gebissen und er verzog die Miene, um das rasch aufkeimende Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken. Doch bei jedem Luftholen spürte er die Bewegung seiner Brust, die vergangenen Berührungen, denen die Haut brennend nachweinte. Seine Knie, seine Oberschenkel… warm hatte sich die Hand auf diesem gebettet, bevor… Ein dumpfes Zischen stieß zwischen seinen Zähnen hindurch und dumpf ging die geballte Faust auf den Boden nieder. Er spürte den Schmerz nicht, nur seine zitternden Knie und die Kälte des Gesteins, welches allmählich auf seine Glieder überging. Sollte es ihn lähmen und frieren lassen! Zitternd öffnete er die Faust, zog die Hand zurück und presste sie auf die Uniform, auf seinen Bauch. >Wie!!<, schrie es gellend in ihm, wie es seine Stimme nicht mehr vollbracht hätte. >Wie konnte das passieren?!!< Kämpfe um Kämpfe hatte er geschlagen, schwere Wunden davongetragen, sich dennoch behauptet und sich stets wieder erhoben! … und er blieb liegen und verzerrte die Miene. Die Schmerzen waren nebensächlich… ja, er war sie gewohnt und würde sich auch an diese Neuartigen gewöhnen. Es war etwas anderes, das ihn zerstörte! Weshalb war dieser Kampf so anders gewesen?! Weshalb der Gegner so berechnend?! Er fühlte sich einem Spiel ausgeliefert, dessen Regeln er nicht kannte! Und wie blind hatte er sich auf den Feind gestürzt, ohne seine Absicht zu erkennen!! Ein kraftloser Fluch kam über seine Lippen und er drehte sich auf den Bauch, stemmte die Brust auf die angewinkelten Arme und bettete die Stirn zurück auf den Boden. Weshalb war er nicht tot?! Eine Niederlage wusste er in manchen Fällen zu verkraften, doch… … nicht so eine!! Er stoppte den Atem und seine Zähne knirschten, während sich die wirren Strähnen seines Haares über den Boden schlängelten, seine Wangen kitzelten. Die Existenz einer solchen Demütigung hatte er für sich selbst nie angenommen. Seine Gedankenwelt umfasste nicht diese Gebiete und umso erschreckender war die Tatsache, dass man ihn wie eine Frau… Ihn!! Dass Berührungen fremder Lippen… fremder Hände… eine solche Folter darstellen konnten… Er hatte es nicht gewusst. Nicht einmal in den tiefsten Gefilden seiner Alpträume. Sein Gesicht entspannte sich, als die Muskeln die Kraft verließ und ermattet blieb er liegen. Er wollte schreien… er wollte toben, wüten, die unbeschreibliche Wut dieser Entwürdigung aus sich herausbrüllen! Doch seine Stimme versiegte in einem gebrechlichen Murmeln, als er sie erhob. So hilflos… dass er nicht einmal auf seinem Weg versuchen konnte, all das zu verarbeiten…? Damit umzugehen, um möglicherweise darüber hinwegzukommen…? Der Schock saß noch in all seinen Gliedern, die Angst, dass Erinnerungen die Einzelheiten zurückbringen könnten. Warum lebte er noch…? Matt ballten sich die Hände unter seinen Schultern zu Fäusten und er versuchte den Kopf zu heben, nur, um sich selbst in diesem Vorhaben scheitern zu sehen. Er konnte sich nicht mehr bewegen, alles in ihm war erstarrt und als er die Augen öffnete, verschwamm die Struktur des steinernen Bodens. Seine Zähne lösten sich voneinander, seine Lippen öffneten sich einen Spalt weit. Zitternder Atem strich über sie. Nun leise und kränklich. Er… für ihn hatte körperliche Nähe nie existiert. Nie ein Gedanke daran seinen Kopf durchstreift. Nie die Absicht, nie das Verlangen. Nicht einmal für diese Vorstellung hatte er sich Zeit genommen. Sie war nichtig und unbedeutend. Nichts, das ihn beschäftigen musste. Sein Leben bestand aus anderen Faktoren… aus Gefahren, Herausforderungen, Pflichten… er nahm sie alle ernst und bezeichnete sie als seine Existenz. Sein Dasein auf dieser Welt. Und nun hatte man seine Grenzen überschritten und alles, was ihn ausmachte. Nicht umsonst suchte er Distanz zu anderen Menschen, nicht umsonst war er gern auf sich selbst angewiesen und folgte eigenen Plänen. Er würgte ein trockenes Schlucken hinunter… spürte den unersättlichen Durst, den er bislang mit Nichtbeachtung aus seinem Empfinden verstoßen hatte. Wie sollte es nun weitergehen…? Wie sollte er mit etwas umgehen, worauf er nie vorbereitet worden war? Für alles gab es Richtlinien, Notlösungen… aus jeder Situation führte ein vorgeschriebener Weg. Was führte ihn aus dieser…? Seine Brauen zuckten und hilflos richteten sich seine Pupillen zurück zur Wand. Sein Kopf sank zur Seite und abermals starrte er auf das Gestein. Was sollte er tun…? Welchen Weg konnte er gehen, ohne auch den letzten Stolz zu verlieren, indem er sich jemandem anvertraute? Welchen Weg konnte er… alleine gehen? Auf seinem Pfad gab es keinen Platz für einen zweiten und von dieser Position aus, wollte er nicht noch tiefer fallen. „Mmm…“, er blinzelte schläfrig, seine Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen, begannen sie zu bearbeiten. >Tyki…< Wie ein Schreckgespenst kam ihm dieser Name in den Sinn. Wie eine ihn verfolgende Plage und seine Augen weiteten sich starr. Der Noah-Clan also… Ein Gegner, der nicht alleine kam. Allein gegen einen von ihnen war er kläglich gescheitert! Er verfluchte sich und sein Pflichtbewusstsein und stellte sich die Frage, ob er das Schwert nicht vor dem ersten Angriff hätte sinken lassen, hätte er gewusst, wie dieses Treffen enden würde. Es wäre zu keinem Kampf gekommen, eher noch zu einer Verabschiedung und Schritte, die in unterschiedliche Richtungen fortführten. Nichts hätte bewiesen, dass sie sich gesehen hatten… nichts hätte ihn verraten… Er befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge, blinzelte unter einer Strähne, die von seiner Stirn glitt. Er hätte nun hier gesessen… ja, er sah sich dort auf dem Bett. Unbeschadet und dennoch mit finsterer Miene, unter Schuldgefühlen und vermutlich auch Reue leidend und doch wohl auf. Ein Leid, von dem er sich mit weitaus geringerem Wert freikaufen könnte. Er hatte einen Fehler begangen… Ein Fehler… Ein verfluchter Fehler! Der bittere Geschmack der Einsicht legte sich auf seine Zunge und nicht einmal die feige Art dieser Gedanken ließ ihn zurückschrecken. Er hätte es anders gemacht… ganz anders… anders gehandelt und nun auch anders gedacht. Nicht sein Gegner hatte es herausgefordert… er hatte ihm selbst die Freiheit übergeben, zu tun und zu lassen, wonach es ihm beliebte. Und er hatte es getan. Sein Magen meldete sich rumorend und er öffnete die Augen. Sein Zustand war erbärmlich und jedem ersichtlich. Unter dem mitgenommenen Stoff des Mantels verbarg sich widerwärtiger Schmutz und er spürte, wie die Galle in ihm höher stieg, bei auch nur einem Gedanken daran. Er konnte nicht mehr denken, nichts anderes mehr bezwecken, als sein beschädigtes Selbstbild zu zerstören und somit das Letzte, was ihm geblieben war. Das Sinnieren schweifte unbändig in die Richtung des Wutausbruches und es würde ihn wahnsinnig machen, auch nur einen weiteren Moment hier liegen zu bleiben. Aufstehen… er musste wieder laufen… weitergehen… Und doch verharrte er reglos und zog die Nase hoch. Er war nicht mehr in der Verfassung, große Wege zu bewältigen, doch zu einem musste er sich noch zwingen. Reinigung… wenn sie auch nur äußerlich war… Seine Haut lechzte nach ihr und der Gedanke an heißes Wasser, das sich versengend auf seine Haut legte, alles Schändliche fort wusch, zwang ihn zu weiteren Bewegungen. Nicht nachdenken… kein Gedanke! Er presste die Lippen aufeinander und seine Schulter begehrte schmerzhaft auf, als er sie gnadenlos beanspruchte, sich mit beiden Armen in die Höhe stemmte und kniete. Die Wut, die nicht über die schwache Hülle Herr werden konnte, ließ dennoch seinen Atem rasen und er rang nach Beruhigung, als er sich zu seinem Bett neigte, mit zittrigen Händen ein breites Schubfach ergriff und dieses hervorzog. Er tat sich schwer, rutschte etwas näher und tastete zwischen den wenigen persönlichen Habseligkeiten nach sauberer Kleidung, die er schnell fand, ergriff und hervorzog. Somit schob er das Schubfach zurück, tastete sich über die Kante der Matratze und fand eine Hilfe in ihr, um auf die Beine zu kommen. Keine weitere Stunde ertrug er es, diese Kleidung auf der Haut zu tragen, keine weitere Stunde auch den Zustand seiner Haut… es war widerwärtig und er gönnte sich keine Zeit, um mögliche Kraft zu schöpfen, suchte strauchelnd das Gleichgewicht und verließ das Zimmer. Die Duschen… Er erreichte sie nach einem kurzen und ereignislosen Weg und fand sie verlassen vor. Es war seltsam, da die Männer der Wissenschaftsabteilung stets in soviel Arbeit steckten, dass sie fast in jeder kleinsten Pause hier anzutreffen waren. Sich mit der einen Hand an den weißen Fliesen entlang tastend, in der anderen Hand die Kleidung, näherte er sich einer der Kabinen. Vermutlich hatten sich die Forscher heute auf den Onsen fixiert. Prüfend blickte er sich ein weiteres Mal um, bevor er die Kleider auf eine nahe Bank warf und sogleich nach dem Gürtel tastete. Eine Dusche würde sicher gut tun und der anschließende Schlaf ebenso. Er würde sich die nötige Ruhe nehmen, neue Kräfte schöpfen und sich sofort um einen neuen Auftrag bemühen, um notwendige Ablenkung zu genießen. Vermutlich würde der Alltag ihm in der Problembewältigung eine Hilfe sein… Er betete, dass dem so war, setzte seine Hoffnung in diese Sache und wüsste nicht, was er tun würde, würde er keinen Erfolg darin haben. Er schonte seine Arme, ließ den Mantel an ihnen hinabrutschen und versuchte die Stiefel loszuwerden, ohne sich zu bücken. Abermals suchte seine Hand den Halt der Wand und ungelenk versuchte er die Beine zu bewegen, aus den Stiefeln zu schlüpfen, um nach wenigen Augenblicken stöhnend den Kopf sinken zu lassen. Natürlich ging es nicht und er schöpfte mit einem tiefen Atemzug Kraft, bevor er sich tief hinabbeugte und nach den Schnallen tastete. Selbst sein Rücken schmerzte unter dieser Bewegung er biss sich auf die Unterlippe, als er die Riemen ertastete und öffnete. Endlich gelang es ihm dann, die Füße zu befreien und seine Augen fixierten sich starr auf den Sichtschutz der Kabine, als er die Hose öffnete. Er nagelte seine Aufmerksamkeit auf das dunkle Holz und streifte den Stoff hinab. Er wollte sich nicht vorstellen, wie es aussah und stieg aus der Hose und den Shorts, um sie unbeachtet liegen zu lassen. Ungeschickt tasteten sich seine nackten Füße über den kalten Boden und träge schob er sich in die Kabine, um sofort nach dem Ventil zu tasten. Seine Lider senkten sich, ein leises Quietschen ertönte und wie ein Schlag prasselte eiskaltes Wasser auf ihn herab, unter dem er genießerisch aufkeuchte. Ein angenehmer Schock durchstob seinen Körper und stockend betteten sich seine Hände an den Fliesen, als er näher unter den Strahl trat, den Kopf zurücklegte und in dem lauten Rauschen des Wassers versank. Schnell wurde dieses warm, heiß und sein Atem schallte in dem weißen Dunst, der kurz darauf aufstieg. Nass schlängelte sich das lange Haar über seine Schultern, haftete auf seiner Stirn und glitt zur Seite, als er das Wasser auf diese prasseln ließ. Und es tat gut. Die Existenz der Umwelt schwand aus seinem Bewusstsein und nach wenigen Momenten beugte er sich weiter, setzte die Stirn zwischen den Händen gegen die Fliesen und ließ seinem Rücken die angenehme Massage zukommen. Er spürte es förmlich… wie sich blutige Rinnsäle seine Beine hinabschlängelten und im Abfluss versiegten. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem genüsslichen Atemzug und schwelgend blieben seine Augen geschlossen, um sich in diesen Augenblick zu vertiefen, in dem er wieder genoss und all die Gründe, weshalb er nun hier war, in die Vergessenheit drängen konnte. Vorsichtig streckte er die Beine durch, widerstand dem Brennen, als das Wasser einen jeden Zentimeter seines Körpers umspülte. Er rollte mit den Schultern, schürzte die Lippen und konzentrierte sich darauf, nicht einzuschlafen. Die Wärme und das damit folgende Gefühl der Geborgenheit drohten ihn in diesen Zustand zu versetzen und als er die Schwere seiner Lider spürte und wie sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnten, da öffnete er sie, blinzelte müde und löste sich von der Wand. Ebenso tat dies eine Hand, die sich daraufhin nach der Seife ausstreckte und sie ergriff. Zuerst abwesend, dann zielstrebig fuhr er mit dem Stück über seine Schultern, seine Arme, seinen Hals und das Gesicht, nahm sich trotz der Erschöpfung Zeit und vernachlässigte keine Stelle. Apathisch fixierten seine Augen eine dunkle Fuge zwischen den Fliesen, als er sich zwischen den Beinen wusch und die Zähne zusammenbiss. Selbst die eigenen Berührungen schmerzten… Dennoch tat er es immer und immer wieder, verbrachte viel Zeit unter dem rauschenden Wasserstrahl und wurde sich bald der Tatsache bewusst, dass er nie zufrieden sein würde, soviel er sich auch wusch. Etwas würde zurückbleiben und keine Seife konnte etwas daran ändern. Er wusste nicht, wie lange er sein Körper dem Wasser ausgesetzt hatte, als er wieder das Ventil ergriff und es zudrehte. Die Müdigkeit hatte rapide zugenommen und er hielt sich fest, als er die Hand an dem hölzernen Sichtschutz vorbeistreckte und nach einem der Handtücher tastete. Die Stiefel an der Hand baumeln lassend, die anderen Kleider unter den Arm geklemmt, machte er sich auf den Rückweg zu seinem Zimmer. Das frische weiße Hemd und die saubere Hose waren angenehm auf der gereizten Haut und er hielt sich nahe an der Wand, als er barfuss die Gänge hinter sich ließ, apathisch seinem Ziel folgend und auf niemanden achtend. Vermutlich kamen ihm Menschen entgegen, vermutlich starrten sie… Kanda wusste es nicht, als er endlich seine Tür öffnete, strauchelnd das Zimmer betrat und die Kleider an Ort und Stelle fallen ließ, um abwesend zum Bett zu gelangen. Seine Augen wirkten abgestumpft, eines jeden Ausdruckes beraubt und absent, als seine Hand die Decke ergriff und sie anhob. Stockend und lahm schob er sich unter sie, schloss bereits die Augen und drehte sich auf die Seite, sofort in dieser Haltung verharrend. Nur die Beine winkelte er etwas an, zog die Decke bis zum Kinn und spürte das weiche Kissen unter seinem schmerzenden Ohr. Somit blieb er liegen, atmete ruhig und schwach durch die leicht geöffneten Lippen und zog die Arme nahe zu sich an den Körper, presste sie an die Brust und kroch in sich zusammen, während er aller Erschöpfung nachgab. Später, wenn die Sonne aufging und sich das volle Leben im Hauptquartier zeigte, würde er sich unter die Menschen mischen, in ihrer Menge untergehen… und einer von ihnen sein. Nicht mehr und vor allem nicht weniger. Es sollte sein wie immer und seine rauen Lippen formten stumme Worte, als sein Bewusstsein sich gegen die letzte Beanspruchung wehrte und er binnen weniger Momente dem tiefen Schlaf verfiel. Er driftete hinab in eine angenehme Finsternis, die milde Wärme für ihn bereit hielt, ihn umfing und in sich einschloss wie in einen Kokon, der vor den Grausamkeiten der Außenwelt Schutz bot. Nichts konnte ihn erreichen, nichts ihm Schmerz zufügen und reglos verbarg sich der junge Körper unter der Decke. Die Schulter hob und senkte sich ruhig und eine herab gerutschte Haarsträhne bewegte sich unter den warmen Atemzügen, die über die blassen Lippen hinweg strichen. Entspannt war die Miene des jungen Mannes, gelöst gesenkt die Lider und erst nach einigen Augenblicken begann er sich etwas zu regen. Das Ohr suchte eine weichere Stelle des Kissens, die Lippen bewegten sich flüchtig und ein ungewisses Murmeln drang aus seinem Hals. Kalt und hell warf das Mondlicht Schatten auf den steinernen Boden, matt schimmerten die blassrosanen Blätter der Lotusblüte, die sauberes Glas umgab und die goldenen Stützen der kunstvollen Sanduhr verdunkelten sich, als eine Wolke den Mond hinter sich verbarg. Ein leises Keuchen erhob sich in dem Raum, ein langer Atemzug folgte und die Schulter regte sich ziellos unter der Decke, bevor sie wieder bewegungslos verblieb. Glitzernd hatte sich neuer Schweiß auf der blassen Stirn des jungen Mannes gebildet und fröstelnd schob sich sein Körper tiefer unter die Decke. Eine plötzliche Unruhe schien ihn zu befallen, selbst nach den wenigen Augenblicken offenbarte sie sich in einer Intensität, die etwaige Entspannung gar nicht erst aufkommen ließ. Die Decke regte sich unter den ziellosen Bewegungen der Glieder. Unerwartet suchte die Anspannung einen jeden Muskel heim, fahrig spreizten sich die Finger, ballten sich die Hände zu Fäusten und verharrten. Auch der Atem des jungen Mannes verschnellerte sich Besorgnis erregend, wandelte sich alsbald in ein fortwährendes Keuchen, unter dem sich der Oberkörper bebend wand. Und als würden die Augen alles andere vor sich sehen, als die Dunkelheit und die Finsternis des Schlafes, wechselten sie von einer Seite zur anderen, ließen die geschlossenen Lider zucken… sich regen. Ein ersticktes Ächzen drang aus seinem Hals und unter einem gequälten Stöhnen stemmte er den Rücken durch, tastete nach der Decke und schloss diese in verkrampftem Griff ein. Heftig zerrten seine Hände an dem Stoff, weit öffnete sich sein Mund und unverständliche Wortfetzen entrannen ihm, als er das Gesicht zur Seite warf, es fahrig gegen das Kissen schmiegte und nach Atem rang. Seiner Lunge schien es schwer zu fallen, an diesen zu gelangen, zitternd verstärkte sich sein Griff in den Stoff und orientierungslos bewegten sich seine Beine unter ihm. Der gesamte Körper des jungen Mannes wurde von Keuchen und Schrecken erschüttert und laut durchschnitt ein rasselnder Schrei die Stille des Raumes, als sich seine Augen aufrissen. Geweitet kamen seine Pupillen zum Vorschein und heftig fuhr er in die Höhe, saß aufrecht im Bett und stöhnte verstört in der Dunkelheit. Heiß glühte der Schweiß auf seiner bleichen Stirn und das Entsetzen ließ ihn nach dieser Bewegung erstarren. Beißend hatte sich der Schmerz in seiner Hüfte aufgebäumt und nach einem erstickten Ringen nach Luft, lösten sich die Hände aus der Decke, fanden zum Unterleib und pressten sich auf diesen. Wirr schlängelten sich die Strähnen des Haares über seine Schultern und nur stockend schien er die Realität wahrzunehmen. Er war wieder hier… in seinem Zimmer… der Traum endete abrupt und ließ ihn hier fassungslos zurück. Seine Augen begannen zu brennen und benommen blinzelte er sich frei von den Hirngespinsten, schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander, um den rasselnden Atem zu unterbinden. Es schmerzte… der Druck seiner Hände auf den Unterleib verstärkte sich und kraftlos neigte er sich nach vorn. Was war das…? Träume erreichten ihn nur selten… Erlebtes verarbeitete er schnell und war an einen ruhigen Schlaf gewöhnt. Doch es war nicht verwunderlich und verkrampft versuchte er sich davon zu überzeugen, dass Träume falsch waren… und wenn, nur die Vergangenheit offenbarten. Verzweifelt schüttelte er den Kopf, löste eine Hand von seinem Unterleib und verbarg das Gesicht unter ihr. Die Vergangenheit… Ein heftiger Atemzug ließ ihn erbeben und er kannte keine Antwort, keine Erklärung… Orientierungslos pendelte er von Erinnerungen zurück zur Realität und keine nahm der anderen etwas an Grausamkeit. Er würgte ein trockenes Schlucken hinab, kämpfte gegen den Druck an, der sich in seinem Hals ausbreitete, sich bis hinab in seine Brust drängte. Matt löste sich seine Hand unterdessen etwas vom Unterleib, begann diesen beruhigend zu reiben. Pochend stach der bittere Nachgeschmack an den Traum in seinem Kopf und gepeinigt neigte er sich etwas zur Seite, löste die Hand vom Gesicht und starrte hinab auf die Decke, die seine Beine wärmte. Er fühlte sich so ausgelaugt, wie zuvor… wenn nicht sogar schlimmer. Weshalb…? Es konnte nicht einmal eine halbe Stunde gewesen sein und die Reaktion seines Körpers auf das Wahrgenommene brachte beinahe scharfe Ironie zustande. Ein guter Wille, die Kapitulation seiner Glieder und sarkastisch setzte man ihm ein Resultat vor, mit welchem er nicht gerechnet hatte. Weshalb gönnte man ihm keine Ruhe…? Verbissen schloss er die Augen, legte die Faust gegen die Stirn und versuchte sich in einem tiefen Durchatmen zu sammeln. Gut… weiter… Nicht stehen bleiben. Das Mögliche hatte er versucht, dem Dringenden nachgegeben und nun war er an dem Punkt angelangt, an welchem er nicht vielmehr ausrichten konnte. Er war hilflos, selbst dem eigenen Körper gegenüber, dem ihm stets treue zu Diensten gewesen war. Verbittert zerrte er die Decke zur Seite, spürte die Kälte auf seinen Beinen und setzte sich auf. Die Pein seiner Hüften ließ nicht nach, als er zur Bettkante rutschte und nach dem Schlussstrich suchte, den er unter all das setzen konnte. Der Traum war vorbei. Es war vorbei und er war hier in der Wirklichkeit. Benommen fuhr er sich mit dem Unterarm über die Stirn, wischte den Schweiß fort und rieb sich die Augen. Wenn man ihm diesen Schlaf versagte, dann wandte er sich eben anderen Dingen zu. Ungelenk tasteten seine Hände nach dem langen Haar. Er spürte es kaum auf der Haut, als er es zurückstreifte und gleichsam in die Stiefel stieg. Noch immer lag die tiefe Nacht vor seinem Fenster und seine geröteten Augen durchschweiften ziellos den Raum, als er den straffen Zopf band, annähernd fieberhaft nach dem oberen Knopf des Hemdes tastete und diesen einhakte. Das Hemd war etwas zerknittert, das Haar hing strähnig vor seinem Nacken und seine Schultern knackten, als er sich vorsichtig hinabkniete und die Riemen der Stiefel straffte. Er musste raus aus diesem Zimmer, das Scheitern des Schlafes in Tätigkeiten ertränken, die hier nicht lange auf sich warten ließen. Bald würde es zum Tag dämmern… ewig konnte die Nacht nicht andauern und er verzog das Gesicht, als er wieder auf die Beine kam, sofort die Tür öffnete und unter dem hellen Licht des Treppenhauses blinzelte. Seine Augen widersetzten sich den Lampen stechend und er beschattete sie mit der Hand, als er die Tür hinter sich schloss und seiner Wege ging. Seinem Körper war keine erhebliche Entspannung zugekommen und doch hatte er bei jedem Schritt das Gefühl, die unerträglichsten Schmerzen hätten sich gemildert. Zumindest solange, wie er aufrecht stand und ging. Ein leichtes Humpeln gestaltete es umso erträglicher und er versuchte nicht dagegen anzukämpfen. Verletzungen gab es hier oft und es würde nicht sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, bis sich sein Leib ausreichend regeneriert hatte, um sich auch um diese Verletzungen zu sorgen. Ein leichter Kopfschmerz begleitete ihn, als er um eine Ecke bog und er rieb sich die Schläfen. Trotz dem Wunsch nach Ablenkung und Taten, setzte er sich keiner anstrengenden Hast aus. Monoton schallten seine Schritte in den Gängen und verlangsamten sich erst, als er sein Ziel erreichte. Blinzelnd bekämpften seine Augen die verschwommene Sicht und die Müdigkeit. Er rieb sie, ließ beide Hände sogleich über die Stirn gleiten und strich sich die letzten verirrten Haarsträhnen zurück. Nach dieser Bewegung verlangte seine verletzte Schulter bereits wieder nach Erholung und er ließ den Arm sinken, während er die große Tür öffnete. Das Rascheln vieler Zettel drang ihm abermals entgegen und Geräusche, die von wahrlich großem Tatendrang zeugen mussten. Langsam schob er sich in das dahinterliegende Zimmer und die Wissenschaftler unterbrachen ihre impulsive Diskussion, als sie den erneuten Gast bemerkten. Ohne die Aufmerksamkeit zu erwidern, schloss Kanda die Tür hinter sich und River lehnte sich aus seinem Stuhl, unterdrückte sichtlich ein Gähnen. Ein Tablett auf den Unterarm gestützt, lehnte auch Linali an einem der Schreibtische und gierig schnappte sich Johnny den Kaffee, den sie ihm soeben gereicht hatte. „Willkommen zurück“, wurde Kanda vom Leiter der Wissenschaftler begrüßt und antwortete mit einem knappen Nicken. „Komui ist immer noch in seinem Büro, falls du ihn wieder suchst.“ Doch Kanda hatte bereits eines der Regale erreicht, neigte sich zu einem Schubfach und begann zwischen dicken Mappen zu tasten. „Mm-mm“, brummte er nur und Linali setzte das Tablett auf dem Schreibtisch ab, um die annähernd erschrockene Musterung fortzusetzen. Auf welche Art und Weise sich Müdigkeit in Kandas Gesicht offenbarte, wusste sie zu deuten, doch eine solche krankhafte Blässe hatte sie lange nicht mehr gesehen. Hinter Kandas Rücken tauschte sie einen flüchtigen Blick mit Johnny, der sich jedoch lieber der Tasse zuwandte. In diesem Augenblick zog Kanda einen Block hervor und River rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. „Ich will nur meinen Bericht schreiben.“ Träge ließ er den Block sinken und sah sich nach passenden Schreibutensilien um, die hier überall zu finden waren. Seine Augen erfassten das Zittern der eigenen Hand, als er nach einem kunstvollen Füller tastete, diesen jedoch flink ergriff. In diesem Moment erwachte Tapp Topp unter einem lauten Gähnen und rappelte sich von seiner Arbeitsfläche auf, auf der er es sich bequem gemacht hatte. Auch River wandte sich seinen Unterlagen zu und ein knappes Grinsen zog an seinen Lippen. „Und das morgens um 5. Das nenne ich Pflichtbewusstsein.“ Schmunzelnd griff er nach einer Kopie und die Augen der jungen Frau folgten Kanda, der sich mit gesenkten Schultern zu einigen freien Arbeitplätzen aufmachte. „Kanda?“, erhob sich ihre Stimme, noch ehe sie es beabsichtigte und der Angesprochene warf den Block auf eine freie Stelle des Tisches, lugte zu ihr. „Magst du auch einen Kaffee?“ „Mm-mm.“ Nur ein Kopfschütteln und schon zog die blasse Hand den Stuhl zurück. „Oh… gut.“ Die junge Frau hob die Augenbrauen, räusperte sich leise und wandte sich dem Tablett zu, auf dem nur noch eine Tasse übrig geblieben war. Heiter grinste ein rosa Hase sie an und nach einem weiteren besorgten Blick zu Kanda, ergriff sie das Tablett und machte sich auf den Rückweg zur Tür. Unterdessen hatte sich Kanda auf das weiche Polster des Stuhles sinken gelassen. Bedacht hatte er einen gewählt, der es ihm leichter machte und dennoch verzerrte sich seine Miene unauffällig, als er saß, die müden Beine von sich streckte und die Finger bewegte, um dem Zittern Einhalt zu gebieten. In seinem Rücken wurde die Diskussion nun fortgesetzt und das Rascheln vieler Blätter drang an seine Ohren, als er sich selbst an die Arbeit machte. Nun, wo er sich mit dem vergangenen Auftrag zu beschäftigen hatte, wurde er sich der verschwommenen Erinnerung bewusst. Einzelne Tatsachen schienen ihm sogar gänzlich entfallen zu sein und lange bearbeiteten seine Zähne die Unterlippe, bevor er sich stockend über den Block beugte und zu schreiben begann. Die Lärmkulisse, die hier herrschte, tat ihm gut. Selbstverständlich stellte sie auch eine Belastung dar, doch jede andere war ihm bei weitem lieber und nicht umsonst hatte er sich diesen Ort ausgesucht, hätte er auch an jedem anderen schreiben können, wo ihm Ruhe zuteil wurde. Ruhe, auf die er unbedingt verzichten wollte. Er brauchte sich nicht für sein Hier sein zu rechtfertigen. Er wollte nicht alleine sein und anstrengende Gesellschaft zu finden, war hier nicht schwer. Bald darauf leistete auch Rokujugo den Wissenschaftlern Gesellschaft und Kanda zuckte zusammen, als in der Hektik eine Tasse zu Bruch ging. Nur ein unerwartetes Klirren und doch… annähernd entglitt seiner Hand der Füller und von der eigenen Schreckhaftigkeit erschüttert, starrte er kurze Zeit nur auf das Blatt. „Johnny!“ „Es tut mir leid, es tut mir leid!“ Lautes Rascheln ertönte, ein Stuhl quietschte und Tapp Topp stöhnte genervt auf, bevor River schrie. „Das sind nicht DIE Unterlagen, oder?!“ „Oh, Mist!“ „Mach das sauber, Mensch, worauf wartest du?! Komm schon, hilf mir!“ Schnelle Schritte trabten quer durch das Zimmer und Kanda presste die Lippen aufeinander, schöpfte tiefen Atem und schloss kurz die Augen. Gut, wo war er? Er griff den Füller wieder sicherer, rückte sich auf dem Polster zurecht und vertiefte sich wieder in seinen Text. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen, rumorend wehrte sich sein Kopf gegen die Beanspruchung und doch fühlte er sich mit dieser selbstquälerischen Abwechslung gut. Verbissen klammerte er sich auch an die Geduld, als die Spitze des Füllers zitternd das Blatt antippte und eine unschöne Spur hinterließ. Er schürzte lediglich die Lippen, stemmte das Kinn in die freie Hand und lugte zu einer der Uhren. Die Zeit wollte nicht vergehen und sein brummender Magen machte ihn darauf aufmerksam, dass er in diesen Momenten lieber woanders wäre. Im Essenssaal zum Beispiel, um etwas zu tun, das knapp zwei Tage zurücklag. Er zwinkerte zermürbt, unterdrückte ein Gähnen und starrte auf den weiteren Tintenfleck, den der bebende Füller hinterlassen hatte. Er gab sich wenige Sekunden der Erstarrung hin, bevor er einfach mit dem nächsten Wort weitermachte, nach Beendigung inne hielt und sich den gesamten Satz noch einmal zu Gemüte führte. Nicht vorhandene Grammatik… er selbst zweifelte daran, den Sinn zu verstehen und nach einem angestrengten Grübeln strich er die letzten beiden Worte durch. So setzte er seine Arbeit fort, während in seinem Rücken der Krieg tobte und sich fahrige Stimmen erhoben. Irgendwann gelang es ihm, sich von diesen Geräuschen abzuschotten und nicht einmal die Zeit zu überwachen. Jedenfalls beendete er seinen Bericht nach drei Seiten, schürzte die Lippen und legte den Füller ab, sich sein fragwürdiges Werk betrachtend. Mm… Er rümpfte die Nase und rieb sich stockend das Gesicht. In diesem Moment öffnete sich die Tür ein weiteres Mal und kurz verstummten die Stimmen der Wissenschaftler. „Einen wunderschönen guten Morgen, meine Herren!“ Es war Komui, der die Fleißigen mit annähernd unheimlicher Lebensfreude begrüßte. Auch er hatte die Nacht durchgearbeitet und ein laues Stöhnen folgte. „Zeig ihm bloß nicht die Unterlagen…!“, hörte man Tapp Topp leise fauchen und Kanda schob sich mitsamt Stuhl zurück. Beiläufig tastete seine Hand nach den Zetteln und er musste mehrfach zugreifen, bevor er sie zu fassen bekam und sich erhob. Die Umwelt drehte sich vor seinen Augen, als er aufrecht stand, verzog sich zu seltsamen Gebilden und er täuschte vor, sich umzudrehen, um nach dem Füller zu greifen. Die Hand erwischte ihn auch, doch gleichsam schloss er die Augen, blinzelte sich von dem Schwindel frei und war längst erspäht worden. Die bunte Tasse in der Hand, war Komui neben River stehen geblieben, hatte auch das Interesse an den Kopien verloren, die ihm dieser beinahe unter die Nase hielt. Stattdessen schien er seinen Augen nicht zu trauen, als er den jungen Mann, den er im Bett geglaubt, nein, gehofft hatte, auf sich zukommen sah. Seine Brauen hoben sich, die Tasse sank tiefer und River gab es auf und zog ächzend die Blätter zurück. Irritiert registrierten die wachen Augen des Abteilungsleiters das offensichtliche Humpeln der Schritte, die kraftlos gesenkten Schultern und die geröteten glasigen Augen, die scheinbar nur mit viel Konzentration offen gehalten wurden. Seine Nase rümpfte sich und er gab sich nicht sehr begeistert, als Kanda vor ihm zum Stehen kam. Raschelnd hob der junge Mann die Blätter, begegnete Komuis Blick trübe und hielt selbst inne, als er den Zustand seines Werkes bemerkte. Wie der Abteilungsleiter auch, starrte er auf die Eselsohren, die verschmierte Tinte und die durchgestrichenen Worte, von denen in jeder Zeile mindestens eines auftauchte. Es schien ihn selbst zu überraschen und stockend ließ er die Blätter sinken. „Ich schreibe es noch mal.“ Mit einem Nicken wies Komui auf die Blätter und neben ihm ließ sich River auf den Tisch sinken. „Ist das dein Bericht?“ „Mm.“ Mit einer abwesenden Bewegung rieb sich Kanda das Kinn, seine Augen durchschweiften ziellos die Umgebung und Komuis Miene verlor auch den letzten Teil der heiteren Stimmung. Beinahe offenbarte sie Missbehagen und mit einem undefinierbaren Brummen griff er nach den Blättern und nahm sie an sich. „Ich versuche, es zu lesen“, murmelte er und Kanda nickte dankbar, wurde weiterhin und streng in Augenschein genommen. „Weißt du“, flink nippte Komui an der Tasse, „als du ‚nachher’ gesagt hast, dachte ich eigentlich, dass du dir etwas mehr Zeit lässt. Habe ich dich nicht ins Bett geschickt?“ „Mm.“ Wieder brachte Kanda nur ein ungewisses Murmeln hervor, wirkte kaum noch ansprechbar und wurde förmlich von Komuis Augen durchbohrt. „Ich habe mich ausgeruht.“ „Sieht man.“ Die Blätter raschelten, als Komui kurz mit ihnen fuchtelte, sie nur noch mehr zerknitterte. „Dann tu mir den Gefallen und geh frühstücken. Das hast du sicher auch noch nicht getan?“ Daraufhin presste Kanda nur die Lippen aufeinander und es kam nicht sehr überraschend. „Iss was Ordentliches.“ Entspannt traf Komuis Hand auf Kandas Schulter, wurde jedoch sinken gelassen, als das Gesicht des jungen Mannes selbst unter dieser Berührung zuckte. Erschöpft seufzend, schüttelte Komui den Kopf. „Vitamine, Mineralien… Jerry soll dir etwas zusammenstellen, was dich wieder auf die Beine bringt.“ Spätestens jetzt reagierte Kanda bewusst auf seine Worte. Eine knappe Irritation verlieh seinem Gesicht Ausdruck und verständnislos starrte er Komui an, der ihm noch immer seine vollendete Aufmerksamkeit schenkte. Die trockenen Lippen bewegten sich unentschlossen und nach einem ungewissen Murmeln, legte er den Kopf schief. „Mir geht es gut“, nuschelte er, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass sein Vorgesetzter daran zweifelte. Und dieser fand selbst keine Worte mehr. Mit einem strikten Nicken wies er zur Tür, streckte auch die Tasse in die Richtung. „Jetzt geh einfach.“ Kanda setzte an, um fortzufahren, sich möglicherweise zu verteidigen, unterließ es jedoch, als er Komuis Miene musterte. Ein Widerspruch war nicht erlaubt und so wandte er sich unter einem stummen Nicken ab und machte sich auf den Weg. Düster sah Komui ihm nach, schüttelte abermals den Kopf und legte den Bericht auf dem Schreibtisch ab, um sich den Kopien zuzuwenden, doch… Rivers schwerer Oberkörper lag auf diesen und empört begann er an ihm zu rütteln. Allmählich wurde der Hunger selbst zu einem Gefühl der Übelkeit und so ließ sich Kanda keine Zeit, nahm keine Umwege, um den Speisesaal zu erreichen. Der frühen Uhrzeit war es zu verdanken, dass es noch recht leer war. Als Kanda den Saal betrat, sah er nur wenige, die auf den Holzbänken saßen und es sich schmecken ließen. Zwei Exorzisten, auch ein paar Finder… Absent schweiften seine Augen zur hohen steinernen Decke, folgten auch flüchtig den Arkaden. Hinter ihm fiel die Tür zu und er holte tief Luft, als der Geruch des Essens in seine Nase stieg. Nun, da er hier war… es war seltsam. Der Geruch sagte ihm herzlich wenig zu, ebenso glaubte er nicht, Appetit zu verspüren, nur einen brennenden Hunger, der sich nicht definieren ließ. Langsam hob sich seine Hand zum Bauch und kratzte diesen. Und gerade setzte er sich unentschlossen in Bewegung, da öffnete sich hinter ihm die Tür erneut und zwei weitere Frühaufsteher betraten den Speisesaal. Mit gemischten Gefühlen streiften Kandas Augen das delikate Frühstück eines Exorzisten, an dem er vorbeizog, da erreichte ihn der Klang einer bekannten Stimme und ebenso eine kühle Brise, als sich jemand neben ihm einfand. „Einen schönen guten Morgen dir, Yu.“ Entspannt hob Lavi die Hand, hinter ihnen schlenderte Allen. Nur knapp lugte Kanda zu seinem unerwarteten Weggefährten, bevor er sich wieder auf die Arbeit seiner Beine konzentrierte und etwas Undefinierbares zurücknuschelte. Lavis Hand blieb unterdessen erhoben und der junge Mann schien zu zögern, als er sich den Anderen näher betrachtete. Seine Brauen verzogen sich unauffällig, die Hand stützte sich leger in die Hüfte und seine Augen studierten Kandas Haltung nur flüchtig, jedoch intensiv. Und somit wandte er sich auch schon wieder nach vorn, schien der alten Heiterkeit zu verfallen. Hinter ihnen seufzte Allen und rieb sich den knurrenden Bauch. „Seit wann bist du wieder da?“, erhob Lavi vor ihm die Stimme, ohne seinen Nebenmann erneut in Augenschein zu nehmen. Lässig schlenderte er neben Kanda und dieser schien es mit der Antwort nicht eilig zu haben. Nur kurz lauschte Lavi seinem Schweigen, bevor er fortfuhr. „Komui hat einen ziemlichen Aufstand gemacht, weil du sonst immer pünktlich bist.“ „Mja…“ „Na ja.“ Lavi schien die Absenz seines Gesprächspartners nicht zu beachten. Genüsslich atmete er ein und somit erreichten sie die Ausgabe. „Jetzt hauen wir erst einmal ordentlich rein, nicht?“ „Worauf du dich verlassen kannst.“ Allen war der Einzige, der ihm antwortete. Auch seine Augen blieben des Öfteren an Kanda hängen. Jedoch nur, bis Jerry auf der anderen Seite der Theke erschien und sich galant präsentierte. Mit starrem Blick fixierte Kanda das Holz der Theke, schien abzudriften. Schweigend harrte Lavi neben ihm aus, während Allen den fleißigen Koch begrüßte und selbst herzlich empfangen wurde. „Jerry!“ Mit großen Augen lehnte er sich über die Theke, seinem Gesicht entsprang pure Freude. „Was hast du heute für uns?“ „Für euch alles!“, kam die euphorische Antwort und Lavis Augen richteten sich versteckt auf Kanda, als dieser das Gesicht in die entgegengesetzte Richtung wandte. „Salate, gesundes Obst und Gemüse…“ „Ahh.“ Allen wirkte nicht sehr überzeugt. Knauserig zog er eine Grimasse und Jerry schnappte erschrocken nach Luft. „Etwas Herzhaftes für den Herren?!“, machte er sofort einen weiteren Vorschlag und sofort erstrahlte Allens Gesicht in einem Licht, um das die Sonne ihn beneiden würde. „Kuchen?“ „Aber natürlich!“, keuchte Jerry sofort. „Ramen?!“ „Selbstverständlich!“ „Ohh!“ In gespielter Ohnmacht fuhr sich Allen über die Stirn. „Yakitori?! „Alles da!“, juchzte Jerry und konnte sich bislang nur auf diesen einen Gast konzentrieren, der ihn aber auch immer vollends in Beschlag nahm. „Gyôza?!“ „Sicher, sicher!“ „Sushi?!“ „Siiiicher!“ „Dann mal her damit!“ Lachend schlug Allen auf den Tresen und Jerry wollte sich gerade aus dem Staub machen, da bemerkte er die anderen beiden Gäste und einen von ihnen ganz besonders. Sein Gesicht erblich und er lehnte sich zur Seite, um erschrocken Luft zu holen. „Mein Gott, Kanda!“, ächzte er und erst jetzt starrte dieser ihn an. „Geht es dir nicht gut??“ Auch Allen wandte sich zu dem jungen Mann um, musterte ihn jedoch nur flüchtig, während Lavi sich heraushielt. Wieder schien Kanda keine Antwort einzufallen. Seine Miene offenbarte lustlose Grübeleien, bevor er die Wangen aufblähte und die Luft ausstieß. Und Jerry wirkte wirklich, als hätte ihn der Blitz getroffen. „Hast du schlecht geschlafen?“, keuchte er, hielt dann jedoch kurz den Atem an. „Ich weiß, was wir machen!“, keuchte er weiter und Kandas Miene zeigte noch immer keine Regung. „Ich mache dir eine heiße Brühe… oder doch etwas richtig Gesundes? Ich habe einen wundervollen Obstsalat gemacht! Oder hast du Appetit auf Soba-Nudeln?!“ Er war wirklich bestrebt, doch Kanda schüttelte den Kopf, suchte nach Worten. „Gib mir…“, er rümpfte die Nase und sah Jerry zerstreut an, „… Reis.“ Der Koch schien enttäuscht. „Nur Reis?“, wunderte er sich. „Hast du Magenverstimmungen? Von Reis alleine wirst du doch nicht sa…!“ „Würdest du mir… bitte… Reis bringen.“ Nur leise erhob sich Kandas Stimme, brachte jedoch deutlich zum Ausdruck, dass er kein weiteres Wort daran verschwenden wollte. Und Jerry gab sich geschlagen. Mit offener Besorgnis betrachtete er sich sein Gegenüber, bevor er sich seufzend an Lavi wandte. „Und was darf es für dich sein?“ „Ich koste den Obstsalat“, antwortete der junge Mann verträglich und Jerry schien überaus erfreut. „Wird alles erledigt!“, verkündete er, bevor er sich umdrehte und davoneilte. „Aaach ne!“, hörten ihn die drei noch stöhnen. „Wie zur Hölle bekommst du das alles immer runter?“, wandte sich Lavi grinsend an Allen und lehnte sich an die Theke. „Du frisst dem Orden noch die letzten Haare vom Kopf.“ Während Allen lachte, verschränkte Kanda die Arme vor der Brust, schürzte die Lippen und verfolgte durch die halboffene Tür Jerrys Treiben. „Da gibt’s bestimmt genug Haare“, erwiderte Allen in diesem Moment und Lavi schloss sich seinem Lachen erheitert an. Und in diesem Moment öffnete sich die Tür bereits wieder und mit einer dampfenden Schüssel Reis kehrte Jerry zu ihnen zurück. Und doch… Kanda wirkte nicht sehr begeistert, als die Schale vor ihm abgestellt und auch die Stäbchen sauber in den Vertiefungen des Randes abgelegt wurden. Die Schale war riesig. Netter Versuch. Dennoch griff Kanda mit einem stummen Nicken danach und wandte sich ab, um sich einen ruhigen Platz zu suchen. Allen sah dem kargen Frühstück kritisch nach, während sich Lavi abermals desinteressiert gab. Ganz im Gegensatz zu Jerry, der sich in einem Anflug von Heimlichkeit zu ihnen lehnte und den Mund mit der Hand abschirmte. „Was ist denn mit ihm los?“ Wieder eine besorgte Frage und während Allen nur mit den Schultern zuckte, jedoch selbst zu grübeln schien, winkte Lavi nur ab. „Jeder hat mal einen schlechten Tag.“ „So sieht ein schlechter Tag bei ihm aus?“, hauchte Allen ergriffen und Jerry seufzte erneut, bevor er in die Küche zurückkehrte. Die Augen des jungen Mannes folgten ihm dabei ungeduldig und Lavi kehrte dem Tresen den Rücken, lehnte sich bequem gegen ihn und sah Kanda mit heuchlerischer Beiläufigkeit nach. Aus dem Augenwinkel schien er sich mit einem jeden Schritt zu beschäftigen, die gesamte Körperhaltung zu studieren und verfolgte die Beobachtung umso auffälliger, als Kanda einen passenden Platz gefunden hatte, sich ihnen zuwandte und die Schale abstellte. „Wie lange dauert das denn?“ Jammernd ließ sich Allen neben ihm auf das Holz sinken und Lavi schenkte ihm kein Gehör, verfolgte vielmehr die Bewegungen, in denen sich Kanda auf der harten Bank niederließ. Stockend und vorsichtig. Er stützte sich sogar auf die Lehne und die Haltung, in der er letztendlich verharrte, wirkte alles andere, als entspannt. Vielmehr schien jeder Muskeln in sich verzerrt und zögernd starrte er auf die Schale, ohne sie anzurühren. Lavi schürzte die Lippen und als er hinter sich eine Bewegung sah, löste er seine Aufmerksamkeit von Kanda, um freudig seinen Obstsalat entgegenzunehmen. „Sieht wirklich lecker aus“, lobte er den fleißigen Koch, als er die Schale nahm und sich die vielen Leckerbissen betrachtete. Allen zog unterdessen die Nase hoch und erhielt einen tröstenden Klaps auf die Schulter. „Ich gehe dann schon mal.“ „Ja.“ Deprimiert nickte Allen. „Lass mich hier ruhig zurück.“ Und das tat Lavi auch. Gnadenlos trödelte er davon und ließ sich zufällig an einem Tisch nieder, von welchem aus er Kanda von der Seite sah. Sie saßen nicht weit voneinander entfernt und der junge Mann hatte den Reis noch immer nicht angerührt, als Lavi es sich bereits schmecken ließ. Bei dem verlockenden Dunst, der Kanda in die Nase stieg, als er sich nach vorn lehnte, meldete sich sein Magen knurrend und doch runzelte er nur die Stirn. Unentschlossen tasteten sich die Finger neben der Schale über den Tisch und seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. Er hatte einen solchen Hunger, dass er allmählich glaubte, verrückt zu werden! Nun hatte er Reis vor sich, der ihm nicht viel abverlangte und doch… er begriff es nicht. Dieses Gefühl der Abscheu, wenn er den Reis auch nur ansah. Das nächste Knurren seines Magens konnte ebenso gut von Übelkeit wie von Hunger zeugen und er befeuchtete die Lippen mit der Zunge, bevor seine zitternden Hände nach den Stäbchen tasteten und sich schwer taten, sie richtig zu erfassen. Er musste essen… Soviel wie er auch selbst erdulden konnte… sein Körper würde eher scheitern und alles war ihm lieber, als vor aller Augen zu Boden zu gehen und im Krankenflügel wieder zu sich zu kommen. Und er fühlte sich, als wäre er diesem Dilemma sehr nahe. Er zog die Nase hoch, wendete die Stäbchen zwischen den Fingern und presste die Lippen aufeinander. Der Appetit fehlte und er vermisste die Freude seines Gaumens an gewohnte Speisen. Soba-Nudeln… allein der Gedanke an die Gewürze… nein. Er verbannte diese Vorstellung aus seinem Kopf, lehnte sich zurück, beugte sich nach vorn und holte erneut tief Luft, bevor er die Stäbchen im Reis versenkte. In diesem Moment kämpfte sich Allen mit so einigen Tellern zu Lavi durch, lud sein schweres Gepäck ab und schenkte dessen Unaufmerksamkeit keine Beachtung. Viel zu sehr zogen ihn die Düfte in ihren Bann und mit der gewohnten Ruhe ließ er es sich schmecken, während sein Gegenüber etwas verloren in dem Obst stocherte und das Auge auf einen bestimmten Punkt hinter Allen fixierte. Die Mimik des jungen Mannes zeigte keine Regung, doch umso akribischer war seine Beobachtung, in welcher er verfolgte, wie Kanda sich regelrecht dazu zwang, den ersten Reis zu essen. Als wäre dieser eine unerträgliche Mahlzeit, zu der man ihn auf Leben und Tod verpflichtete. Sein Gesicht zuckte vor Widerwille und an seinem Gesicht war zu erkennen, wie er den Reis lange im Mund wendete. „If daf lecka!“ Schwärmerisch verdrehte Allen die Augen, zog sich die Stäbchen aus dem Mund und starrte Lavi mit aufgeblähten Wangen an. „Deinf auch?“ „Yupp.“ Lavi ließ ihn nicht lange warten. Grinsend stocherte er wieder nach den kleinen Stückchen und gegenüber ging das Gestopfe sofort weiter. Weitere Aufmerksamkeit wurde von ihm nicht erwartet und er ließ es sich selbst schmecken, während er bemerkte, dass Kanda den Reis noch immer nicht hinuntergeschluckt hatte. Na? Er kaute genügsam und endlich schluckte Kanda. Er würgte es regelrecht hinab und beileibe konnte es nicht daran liegen, dass Jerry in der Küche nicht talentiert war. Das Grinsen verblasste auf Lavis Lippen und seine Hände verharrten still, als Kanda ebenso in etwaigen Bewegungen versteinerte. Mit erneut zusammen gepressten Lippen starrte er auf den Reis, starrte bald an ihm vorbei und senkte das Kinn zur Brust. Das Haar fiel über seine Schultern und diese hoben sich stockend, erbebten kurz darauf und somit erwachte er zum Leben. Als würde ihn plötzliche Eile antreiben, stemmte er sich nach oben, kam auf die Beine und schob sich am Tisch vorbei. Seine Schritte verschnellerten sich rasch und bevor er den Ausgang des Saals erreichte, presste sich seine Hand auf den Mund. Hastig schob er sich durch die Tür und Lavi fixierte sich wieder auf das eigene Essen, als er aus seinem Blickfeld verschwunden war. „Mm!“ Flink schnappte sich Allen das nächste Sushi und kurz darauf fanden auch noch ein Zweites und ein Drittes in seinem Mund Platz. Genießerisch seufzend, gab er sich der Mahlzeit hin, während seinem Gegenüber der Appetit vergangen zu sein schien. Ein leises Murmeln ausstoßend, stemmte Lavi den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche, blinzelte der steinernen Wand entgegen und rümpfte die Nase. Wie sollte er sich mit aller Ruhe dem Essen hingeben, wenn es in seinem Kopf rumorte und seine Gedanken mit einer Sorge zu ringen hatten? Der Appetit hatte wirklich keine Spuren hinterlassen und er spürte die Unruhe, die sein Körper plötzlich heimsuchte. Er regte sich auf der Bank, streckte die Beine durch, kreuzte sie, winkelte sie wieder an und blähte die Wangen auf. Irgendetwas musste es doch geben, das er tun konnte. Er hatte es gesehen, es eingeschätzt, sich damit beschäftigt und nun fehlte ihm das Recht, sich herauszuhalten. Sein Auge durchschweifte in ernsthafte Grübeleien vertieft, den Saal und nach wenigen Momenten des Schweigens, schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er rappelte sich auf, kam auf die Beine und wurde überrascht gemustert. „Wo willft du hin?“ Hastig schluckte Allen hinter und erkannte ein legeres Grinsen auf den Lippen des Älteren. „Nur etwas regeln, geht schnell.“ Somit hob er schon die Hand, schnappte sich seine Schale und brach auf. Wieder ließ er Allen im Stich. Diesmal jedoch in einer Situation, in der es dem Jungen weitaus weniger ausmachte. Den leckeren Salat musste er schweren Herzens zurückgeben und nachdem er Jerry mit gewählten Worten beschwichtigt hatte, verließ auch er den Speisesaal und ging seiner zielstrebigen Wege. Die Hände entspannt in den Hosentaschen verstaut, durchquerte er die steinernen Gänge und schien währenddessen in tiefe Grübeleien verstrickt. Seine Zähne bearbeiteten abwesend die Unterlippe und sein Ziel schien er schon nach einem kurzen Weg zu erreichen. Vor einer großen Tür blieb er stehen, klopfte ohne zu Zögern an und tastete nach der Klinke. „Hab ich das gesagt?“ Verwirrt blickte Komui von einer Mappe auf, starrte zu River, der zermürbt den Kopf sinken ließ. „Habe ich das wirklich so gesagt?“ „Sie haben es mir sogar aufgeschrieben!“, verteidigte sich der Leiter der Forschungsabteilung mit schwindenden Nerven und fuchtelte aufgebracht mit den Händen. „Genau so!“ Und er wies auf die Mappe, über die Komui einen Kugelschreiber kreisen ließ. Leise schloss Lavi die Tür hinter sich und bahnte sich einen Weg zum Schreibtisch des Abteilungsleiters. Und da dieser soeben noch beschäftigt war, machte er es sich vorerst auf dem Sofa bequem, streckte die Beine aus und lehnte sich zurück, das Geschehen unbeteiligt verfolgend. „Das sieht aber komisch aus.“ Ningelnd rückte Komui an dem aufgesetzten Schreiben. „Was ist denn daran komisch?!“ River raufte sich die Haare und Lavi begann an seinen Fingernägeln zu piepeln. „Anders kann man es nicht machen! Was stört Sie überhaupt? Der Ausdruck? Die Länge?“ „Na, alles.“ Komui rückte an seiner Brille und verbittert wurde ihm die Mappe wieder entrissen. „H-hey…!“ „Ich schreibe es noch einmal, in Ordnung?“ Schnaufend fuchtelte River mit den Unterlagen und Komui schmiss den Kugelschreiber trotzig auf den Schreibtisch zurück. „Und dann unterschreiben Sie!“ Somit stürmte er davon und Komui schnitt ihm eine Grimasse, bevor die Tür donnerte und sich draußen im Flur laute Flüche erhoben. Und dann wurde Komui auf den weiteren Gast aufmerksam. Ein gebrochenes Seufzen ausstoßend, lehnte er sich nach vorn, stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände ineinander. Sein Gesicht erhellt sich flink. „Lavi, was kann ich denn für dich tun?“, erkundigte er sich bester Laune und der junge Mann richtete sich auf, rutschte zur Kante des Polsters und kreuzte die Beine. Ein Zögern schien ihn zu packen und in kurzem Schweigen durchschweifte sein Auge das Zimmer, bevor er seinen Vorgesetzten offen ansah. „Es geht um Yu.“ „Ah.“ Komui wackelte mit dem Kopf und es hatte den Anschein, als müsste Lavi nichts Weiteres sagen. Dieser blinzelte perplex und folgte Komuis Blick, der sich wissend auf drei Blätter richtete, die in einem üblen Zustand waren. Er reckte den Kopf und Komuis Mimik fand zur Ernsthaftigkeit zurück. Seufzend lehnte er sich zurück und begann den Kugelschreiber zwischen den Fingern zu bewegen. „Hat er sich im Speisesaal blicken lassen?“ „Ähm… ja.“ Lavi schnalzte mit der Zunge, seine Hand hob sich zum Stirnband und kratzte kurz. „Nur leider ohne Erfolg.“ „Oh.“ Selbst das schien Komui nicht zu verwundern. Erfreut war er jedoch auch nicht, denn er verdrehte etwas die Augen. Es schien ihn selbst nicht minder zu beschäftigen und wieder wies er mit dem Kugelschreiber auf die liederlichen Blätter. „Seinem Bericht, soweit ich ihn dechiffriert hab, konnte ich keine Erklärungen entnehmen aber ich kann nicht vielmehr tun, als ihm Ruhe zu verordnen.“ Hilflos zuckte er mit den Schultern und Lavi grübelte. „Daran hält er sich nicht und zum Reden zwingen kann ich ihn auch schlecht. Also, irgendwelche Vorschläge?“ „Yu wird seinen Zustand schon einschätzen können“, gab Lavi seine Meinung zum Besten und Komui lauschte dem angehenden Bookman aufmerksam. „Und wenn er wirklich Hilfe braucht, dann wird er sich die schon holen. Nur vielleicht könntest du ihn etwas schonen?“ „Hm?“ Komui hob die Augenbrauen und Lavi räusperte sich, suchte nach Worten. „Vielleicht und wenn überhaupt ein Auftrag, der ihm nicht viel abverlangt?“ „Ah, so meinst du das.“ Komui nickte, drehte an der Hülle des Kulis und ließ die dünne Spitze auf einen verschmierten Notizzettel niedergehen. „Die Angelegenheiten, um die wir uns zu kümmern haben, nehmen gerade etwas überhand aber wo bliebe mein Verantwortungsbewusstsein, wenn ich ihn an die Front versetze, obwohl er schon an einer schriftlichen Aufgabe scheitert?“ Und wieder wies er auf den Bericht. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“ Lavi nickte besänftigt und Komuis Hand gab den Kuli frei. Plumb kippte dieser um und der Abteilungsleiter rutschte auf seinem Stuhl herum. „Ach, hast du Crowley gesehen? Ist er schon wieder da?“ Und er starrte zu einer kleinen Wanduhr. „Müsste eigentlich… wieso lassen sich alle plötzlich soviel Zeit?“ „Ähm… ich habe ihn nicht gesehen.“ „Ach, Mensch.“ Komui griff nach seiner Tasse und ließ sich tiefer rutschen. Murrend nahm er einen Schluck. „Um die andere Angelegenheit kümmere ich mich schon“, versprach er, als er die Tasse wieder sinken ließ. „Da mach dir keine Sorgen.“ Nickend kam Lavi auf die Beine und Komui gab sich wieder seinem Kaffee hin. „Hoffentlich bringt das etwas“, äußerte er seine Zweifel und der Ältere sah ihn über den Rand der Tasse an. „Das werden wir sehen“, meinte er. „Behalte ihn einfach etwas im Auge und wenn es sich verschlechtert, werde ich härter durchgreifen müssen. Auf jeden Fall“, er atmete tief ein, „lasse ich es nicht weit kommen.“ Röchelnd ließ sich Kanda von der Toilettenschüssel rutschen und lehnte sich gegen die naheliegende Wand. Dumpf traf sein Rücken auf das Gestein und er streckte die Beine aus, um seinem Bauch auch die geringste Belastung zu ersparen. Als wäre es erst jetzt in seine Wahrnehmung gedrungen, spürte er das Fieber, welches in ihm brannte und schwer atmend verbarg er das Gesicht unter der Hand. Es konnte nicht sein und er wollte sich nicht damit abfinden, dass sein Körper ihm selbst das Essen verweigerte! Er saugte an seinen Zähnen, keuchte unter dem widerwärtigen Geschmack und rieb sich die Augen. Kein Schlaf, keine Nahrung… und er wusste beim besten Willen nicht, wie die nächsten Stunden verlaufen sollten. Nicht freiwillig würde er sich abermals hinlegen, um sich den erschütternden Traumgebilden auszuliefern! Nicht freiwillig würde er wieder das Essen anrühren, nur, um nun das Krampfen seines Magens zu spüren und all die verlassenen Kräfte. Angespannt tauchte sein Gesicht hinter der Hand auf und diese strich das Haar zurück, glitt an dem Zopf vorbei und in den Nacken, auf welchem sie verharrte. Vielleicht waren Medikamente das Einzige, das ihn aus dieser Notlage retten konnte, doch der Tiefpunkt, an welchem er Bookman aufsuchte und die Wahrheit sagte, war noch nicht erreicht. Und Fragen würde es geben. Mehr, als er verkraften könnte. Nein, an diesen Tiefpunkt würde er nicht gelangen. Es musste andere… bessere Möglichkeiten geben! Endlich schien sich sein Atem zu beruhigen und mit geschlossenen Augen blieb er noch etwas sitzen. Wie würde es ihm nur gehen, wenn er zumindest zwei Stunden und halbwegs ruhig geschlafen hätte…? Die Frage und die ungewisse Antwort rumorten in seinem Kopf, wie Plagegeister, die er nicht zu fassen bekam. Doch was brachte es letzten Endes, sich mit solchen Fragen zu quälen? Er würde es nicht herausfinden und allmählich drängten sich die Stunden in sein Gedächtnis, die er bei den Wissenschaftlern verbracht hatte. Er hatte den Bericht geschrieben und er meinte, es wäre lange her, bis er konzentrierte Grübeleien zustande brachte. Erst vor einer Stunde hatte er sich auf den Weg zum Essensaal gemacht und zuvor eine gewisse Ablenkung durch die Schreibarbeit gefunden, auch, wenn deren Resultat fragwürdig war. Er öffnete die Augen. Ja, Ablenkung. Er brauchte nicht zu essen, wenn er keinen Gedanken daran verschwendete. Und er brauchte keinen Schlaf, wenn ihm keine Zeit dazu blieb. Er brauchte neue Arbeit, in die er sich vertiefen konnte. Bestenfalls außerhalb des Hauptquartiers. Mit etwas Glück könnte er seinen Körper zum Durchhalten zwingen und dadurch einen kleinen Hoffnungsschimmer für sich beanspruchen. Er nickte still in sich hinein, seine Hand glitt über die Fliesen und gemartert zwang er sich zurück auf die Beine. Weiter… immer weiter und den Blick allein auf das Kommende richten. Nicht umdrehen zum Vergangenen, das man nicht ertrug. Die Augen auf den Boden gerichtet, streifte er sich das Haar zurück, rieb sich den Nacken und stemmte sich auf das Waschbecken. Unsicher bekamen die Finger das Ventil zu fassen, schraubten es auf und glitten sofort unter das kalte Wasser. Somit beugte er sich tiefer, stützte den Ellbogen auf die Keramik und bewegte abwesend die Finger unter dem Wasserstrahl. >Es geht weiter<, sagte er sich und schloss kurz die Augen, um sich das eindeutige Gefühl der Kälte einzuverleiben. >Es geht immer weiter… ich muss mich nur treiben lassen.< Er schöpfte tiefen Atem, hob die Hand zum Mund und begann diesen auszuspülen. Gemächlich bewegte er das Wasser im Mund, spuckte es aus und benetzte auch den Nacken mit dem kühlen Nass. Es ging bestimmt weiter… wenn sein Weg mit keinen einschneidenden Erlebnissen gepflastert war, nahm er den Fluss der Zeit in einer Deutlichkeit wahr, die annähernd schockierend war. Doch nun… Die Hand sank in das Waschbecken zurück und sein Keuchen vermischte sich mit dem Rauschen. Es schien still zu stehen. Stunden um Stunden trennten ihn von jenen Momenten und doch schienen sie noch immer bei ihm zu sein. Die Hand ballte sich zu einer Faust und seine nassen Lippen bewegten sich zu stummen Worten. Keine Reinigung, keine Zeit, kein Verdrängen… >Ich werde es nicht los!<, pochte die Angst in ihm und hastig schnellte die Hand zum Ventil und das Rauschen des Wassers verstummte. Sofort wurde das Sinnieren unterdrückt und er griff nach einem der Tücher, trocknete seinen Mund und schleuderte es in den nahen Papierkorb, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte und somit auf den Weg zu seinem nächsten Ziel. „Ja!“ Als Komui ein energisches Klopfen vernahm, antwortete er und blickte dennoch nicht von der Arbeit auf. Heute schien wieder einmal ein Tag zu sein, an dem er sehr gefragt war und dabei hatte er selbst genug zu tun. Er setzte seine Unterschrift, lauschte nebenbei den Schritten und drehte am Kuli, als er zumindest diese Arbeit als beendet ansehen konnte. Die Tür schloss sich und als er kurz auflugte, hoben sich seine Augenbrauen in einem Anflug von Verwunderung. Mehr oder weniger… er hatte es erwartet, vermutlich nur nicht so schnell. Unachtsam trat Kanda über die am Boden liegenden Unterlagen hinweg, erreichte das Sofa und blieb neben ihm stehen, erwartungsvolle Augen auf sich gerichtet. Konzentriert hielt er seine Hand davon ab, sich auf der Rückenlehne des Sofas abzustützen, festige seine Haltung und sah, wie sich Komui zurücklehnte und wieder mit dem Kuli zu spielen begann. „Hast du schön gefrühstückt?“, erkundigte er sich nebenbei gelöst und erkannte nach kurzer Zeit ein Nicken. „Ah, und? Da geht es einem doch sofort viel besser, nicht wahr?“ Er grinste keck und erhielt erneute Zustimmung. „Ja.“ Pure Ernsthaftigkeit glühte in Kandas Augen, als er die Hände in den Hosentaschen verstaute. Die Bewegung wirkte entspannt und lässig, jedoch vielmehr dazu gedacht, das Zittern vor den Augen des Vorgesetzten zu verbergen. Es hörte nicht auf… Und versteckt ballten sie sich zu verspannten Fäusten. „Ich will den nächsten Auftrag“, erhob sich seine Stimme daraufhin erneut und ein Funkeln durchzuckte die dunklen Pupillen. Keine Absage, kein Herauszögern! Er benötigte diesen Auftrag, wie die Luft zum atmen und eindringlich studierte er die Reaktion des Vorgesetzten. „Auftrag“, wiederholte Komui mit einem Hauch von Irritation und sinnierend wandte er den Blick ab, rieb sich auch das Kinn und ließ Kanda eine kurze Zeit warten. „Mm.“ Ein undefinierbares Raunen entrann ihm und er lugte zu seiner Tasse, die wieder einmal leer war. Kanda verfolgte sein Verhalten angespannt und erkannte kurz darauf eine seltsame Handgeste. „Die sind gerade etwas rar.“ „Bitte was?“ Er traute seinen Ohren nicht. Die Fassung bröckelte aus seinem Gesicht, doch Komui präsentierte sich mit derselben heuchlerischen Überzeugung. Er gab sich verständnislos, zuckte mit den Schultern. „Nicht rar, nur schwierig aufzuteilen, verstehst du?“ „Wovon redest du“, wurde er beinahe und durchaus etwas schroff unterbrochen. „Aach.“ Seufzend warf er den Kuli auf den Tisch und faltete die Hände auf dem Bauch. „Ich mache dir einen Vorschlag.“ Starr blieben Kandas Augen auf ihn gerichtet und er machte keinen Hehl um seine kurzen Überlegungen. Je länger er den jungen Mann vor sich hatte, desto absurder wurde der Gedanke, ihn auf eine Außenmission zu schicken. „Ich werde sehen, was ich habe und du kommst heute nach dem Mittagessen noch einmal zu mir.“ Die schmalen Augenbrauen des jungen Mannes zuckten erzürnt, doch Komui ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hob den Zeigefinger. „Das heißt, dass du auch Mittag essen solltest.“ Es fiel Kanda schwer, die Antwort hinter den Lippen zu versiegeln und so blieb es dabei, dass er verbittert den Blick abwandte. Wie lästig es war, solche Banalitäten vorgeschrieben zu bekommen! Eine Rolle, in der er noch nie gesteckt hatte und in die er auch nicht passte. Es drückte ihn nieder und er starrte düster auf den Boden, während Komui berechnend den Kopf schief legte. „Denkst du denn, dass du in der Verfassung wärst, wieder aufzubrechen?“ Eine Frage, die sich eigentlich nicht stellte und mit der er dennoch den Schein wahrte. Unwissend gab er sich und abwartend, doch Kanda antwortete nicht sofort. Und so zermürbt und erschöpft er auch wirkte, nicht alles schien ihm zu entgehen und sein Blick offenbarte puren Argwohn, als er ihn zurück auf seinen Vorgesetzten lenkte. „Kommt diese Frage nicht, bevor man einen Auftrag verspricht?“, erkundigte er sich mürrisch und Komuis Miene entspannte sich empört. „Was…“, hauchte er. „Du glaubst mir nicht?“ „Nein“, schlug ihm sofort die harte Antwort entgegen und drängte ihn gegen die Rückenlehne. Nun, um Kandas Gutgläubigkeit hatte es noch nie allzu gut gestanden und dieses Misstrauen allem und jeden gegenüber, zeigte dennoch, dass er noch er selbst war. Eine gewisse Erleichterung also, der Komui trotzdem nicht ohne Bedenken nachgeben wollte. „Die Jugend und ihre Ehrlichkeit“, seufzte er, als ihm nichts Weiteres dazu einfiel und er wieder nach dem Kuli griff. Kanda verharrte reglos und abwartend. „Wir bleiben trotzdem dabei. Heute nach dem Mittagessen bekommst du deinen Auftrag.“ Zufriedenzustellen schien Kanda diese Antwort nicht einmal im Entferntesten. Er blähte die Wangen auf, seine Pupillen wechselten bitter von einer Seite zur anderen und nach einem stummen Kopfschütteln, kehrte er Komui den Rücken, schien keine Lust auf weitere Worte zu haben. Das Ziel hatte er hier nicht erreicht. All das roch nach dem befürchteten Zeitschinden und die notwendige Ablenkung rückte in weite Ferne, als er die Tür öffnete und das Büro verließ. Die Mine des Kugelschreibers klackerte gegen das Gehäuse, als Komui ihn zwischen den Fingern wippen ließ und geduldig abwartete, bis sich die Tür schloss. In diesem Zustand war es schon eine Höchstleistung, den Weg vom Speisesaal zu seinem Büro zu bewältigen und doch konnte er Ruhe bewahren. Ideen kamen ihm stets sehr schnell und sobald er wieder völlig ungestört war, zog er das Telefon zu sich und lehnte sich zurück. Nur eine Kurzwahltaste betätigt und schon lauschte er dem Rufsignal. Einige Methoden, um ein Ziel zu erreichen, mochten wohl etwas heimtückisch sein. Aber gerade diese Dinge waren es, die er beherrschte und die zumeist das gewünschte Resultat erzielten. Er kratzte sich an der Nase und kurz darauf wurde der Anruf entgegengenommen. „Hier Komui“, antwortete er der Stimme des älteren Mannes, die sich meldete. „Bookman, Sie müssten mir mal was mixen.“ Kandas Miene war von purem Missbehagen gezeichnet, als er abermals die steinernen Gänge durchquerte. Das Treffen mit Komui lag ihm schwer im Magen und er grämte sich selbst, da sich all die Bemühungen, sich wacker zu zeigen, scheinbar im Nichts verliefen! Seine Miene konnte Festigkeit offenbaren, seine Haltung geheuchelte Kraft und seine Worte Entschlossenheit beinhalten… dennoch wurde er zurückgewiesen, vertröstet, und das mehr als offensichtlich! Er bog um eine Ecke, suchte sich neue Ziele, neue Beschäftigungen, in die er sich vertiefen konnte. Und doch… er wagte es nicht, es in Worte zu fassen, Komuis legere Lässigkeit als Intrige aufzudecken und ihm erneut begreiflich zu machen, dass es ihm gut ging… dass es ihm… an nichts fehlte. Seine Brauen verzogen sich sinnierend und orientiert ging er seinen Weg, erreichte kurz darauf das Treppenhaus. Untätig blieb hier niemand. Immerfort galt es, Arbeiten zu verrichten und ihrer gab es viel. Beschäftigungen wären schnell gefunden und doch verlangte es ihm unweigerlich danach, dieses Gebäude zu verlassen, einen Auftrag anzunehmen und das sofort und nicht erst später! Später! Er stieß einen geräuschvollen Atem aus, öffnete ruppig die nächste Tür und betrat sein Zimmer. In seine Gedanken verstrickt, griff er lediglich nach dem beschädigten Mantel und nahm auch das Katana an sich, bevor er in das Treppenhaus zurückkehrte, den Mantel über den Arm warf und auf den Fahrstuhl zusteuerte. Wenn man all die Vernunft verwarf und sich die Tatsachen kritisch und empfindlich betrachtete, kam es einer Verletzung seines Stolzes gleich, dass man ihn von Dringendem abhielt… selbst an seinem Können zweifelte… an seinem Willen, einen jeden Auftrag mit Ernsthaftigkeit und Präzision auszuführen. Sein Körper bewegte sich von allein und seine Finger tasteten nach dem Schalter des Aufzuges, ohne, dass er es ihnen befahl. Somit blieb er stehen, senkte den Kopf und schloss die Augen. Nebenbei raffte er den Mantel höher, umfasste die Scheide des Katanas sicher und lauschte dem Klicken der Anzeige. Rar… Er rümpfte die Nase und funkelnd kamen seine Pupillen zum Vorschein. Etwas Lächerlicheres hatte er noch nie von Komui gehört! Auftrage waren noch nie ‚rar’ gewesen und ihre derzeitige Lage mit dem neu erwachten Feind würde es auch nie soweit kommen lassen! Die Türen des Fahrstuhles öffneten sich und er trat ein. Höchstwahrscheinlich warf Komui in diesen Momenten nur so mit Aufträgen um sich und dass er seine Dienste ablehnte, bestätigte all die Befürchtungen, die Kanda hegte. Er war durchschaut und fühlte sich kleiner, denn je. Nutzlos… Seine Hoffnung richtete sich auf den Mittag. Erneut vertrösten würde er sich nicht lassen und sein Kopf schien unter all den Grübeleien bereits zu schmerzen, als er sein Ziel im Erdgeschoss erreichte, die Hand um den kalten Griff einer Schiebetür legte und sich gegen sie stemmte. Sie ließ sich schwer öffnen… er spürte ihr Gewicht, wie noch nie zuvor. Er betrat einen großen Raum, in dem einige Weißkittel tätig waren. Stoffe wurden gewendet, Kleidungsstücke sortiert und Regale gefüllt. Es war die Wäscherei… ebenso die Abteilung, die für sämtliche Uniformen zuständig war und während man bereits auf ihn aufmerksam wurde, warf er den untauglichen Mantel auf einen hohen Tresen. Einer der jungen Männer war kurz darauf schon bei ihm und selbst der üble Zustand der Uniform ließ ihn nicht erschrecken. Beinahe täglich kam ihm etwas Derartiges unter die Augen und so traf ihn lediglich ein fragender Blick. „Kanda war der Name?“ Er antwortete mit einem stummen Nicken und sein Ellbogen stemmte sich auf die Theke, während der Mann mit dem Mantel seiner Wege eilte. Er mochte den Innendienst nicht, zu dem man ihn wortlos verurteilt hatte. Seine Stimmung senkte sich gefährlich gen Tiefpunkt und abwesend starrte er auf die schimmernde schwarze Schwertscheide. Ein unauffälliger Widerstand war das Einzige, was ihm blieb und soweit es ihm möglich war, würde er die Zeit für sich selbst nutzen. Er ließ die Scheide sinken, umschloss sie fester und erfasste den Mann, der zu ihm zurückkehrte, ihm eine neue Uniform vorlegte. Und wortlos griff er nach ihr, nickte knapp und verließ den Raum. Anschließend führte ihn der Weg weiterhin durch das Erdgeschoss. Ein schmaler Weg war es, den er einschlug und innehalten tat er vor einer kleinen Blechtür. Als er sie öffnete, tat sich eine große steinerne Halle vor ihm auf. Erhellt wurde sie durch das Tageslicht, welches durch hohe, arkadenförmige Fenster drang und die Dunkelheit, die in den verborgenen Winkeln lag, sagte ihm sehr zu. Ein leises Dröhnen durchzog die Halle, als er die Tür hinter sich schloss und laut schallten die harten Absätze seiner Stiefel, als er an einer hölzernen Bank vorbeizog, den Mantel zu dieser warf und zielstrebig in die Mitte der weiten Ebene trat. Den Blick fest auf die gegenüberliegende Wand fixiert, umfasste er die Scheide sicherer, legte die andere Hand um den ledernen Griff und verdrängte den Schmerz seiner Schulter, als er die blanke Klinge hervorzog. Kurz erhob sich das Zischen des kalten Stahles in der Stille und matt schimmerte er unter dem Tageslicht, als das Katana erhoben wurde. Merklich rang die Miene des jungen Mannes um Konzentration, kontrolliert füllte er seine Lunge mit Sauerstoff und regte die Finger an dem Griff, um die mögliche Belastung seiner Schulter zu testen. Weit streckte er den Arm nach vorn, stemmte ihn durch und ließ das Mugen nach wenigen Momenten sinken. Seine Haltung verlor augenblicklich an Festigkeit, als er in die Knie ging, die Scheide behutsam ablegte und sich wieder erhob. Seine Knie erbebten, als er sie belastete und der gesenkte Arm zuckte knapp unter einem flüchtigen Stechen der Schulter. Die Zeichen wurden nicht beachtet und erneut nahm er Haltung an. Eisern bewegte er den Körper, schob das linke Bein zurück, verlagerte das Gewicht auf dieses und straffte den Rücken. Eine simple Grundstellung, die ihm viel abverlangte. Fest schlossen sich die Finger um den Griff und abermals begegnete die Klinge dem warmen Tageslicht. Auch mit der zweiten Hand umfasste er das Heft, platzierte den Griff konzentriert und schloss die Augen. Sein Körper begehrte auf… mit jedem Augenblick, in dem er so verharrte, umso mehr. Das belastete Bein zitterte, die Schulter pochte und ein dumpfer Schmerz zog sich seine Wirbelsäule hinab, bis hin zum Steiß, auf welchem er verharrte. Stunden um Stunden hatte er diese Stellung eingehalten, sie mit keiner Anstrengung auf sich genommen… und nun versagte er nach weniger als einer Minute. Ein unauffälliges Zucken formte seine Miene und so gab er die Haltung auf. Das lange Haar tanzte unter einer geschwinden Bewegung, surrend durchschnitt die Klinge die Luft und er fuhr herum, führte einen sauberen Seitenhieb aus. Ohne innezuhalten, setzte sich das andere Bein nach vorn, fand sicheren Halt und die Klinge surrte weiter, wurde gerade nach vorn gestoßen und verharrte reglos. Bebend umklammerten die Hände das Leder, geplagt pressten sich seine Lippen aufeinander und stramm verblieb er in der neuen Haltung. Doch nicht lange… bevor der Schmerz ihn übermannen und zum vorzeitigen Abbrechen zwingen konnte, setzte er sich abermals in Bewegung. Singend löste die Klinge die Stille der Halle ab, zischend bewegte sie sich im Licht, tauchte ein in den Schatten und blieb in permanenter Bewegung. Es war schwer… und schmerzhaft und doch wurde der Körper an seine Grenzen getrieben. Mit übertriebener Strenge achtete Kanda auf eine jede Bewegung, konzentrierte sich auf einen jeden Muskel seines Körpers und führte das Training unbarmherzig fort. Er tat es oft und nichts stellte eine Ausnahme dar. Seine Fähigkeiten konnten nicht beibehalten und weiterhin geschult werden, wenn er sich durch nichtige Gründe eine Auszeit nahm und viele Augenblicke vergingen, bis sich sein Keuchen erhob. Das Leder des Schwertheftes knackte unter dem verbissenen Griff und Zorn schlich sich in den sicheren Bewegungen ein, als die Füße sich schwer damit taten, den Halt zu finden und sein Körper oft das Gleichgewicht verlor. Strauchelnd löste er sich aus impulsiven Techniken, stieß leise Flüche aus und blinzelte unter dem marternden Schwindel, jedoch stets die alte Haltung wieder einnehmend. Was brachte ihm die Selbstheilung, wenn sie auf sich warten ließ? Die Verletzungen der Rippen, der Lunge… sie hatten nicht mehr auf sich aufmerksam gemacht, waren behoben worden. Weshalb ging die Milderung der anderen Wunden so stockend vonstatten! Er forderte sich, trieb sich an die Grenzen und erst, als seine Beine sein Gewicht nicht mehr hielten, versagten und er sich auf dem Boden wiederfand, zwang er sich dazu, es dabei zu belassen. Das Möglichste hatte er nun getan, seinen Körper darauf vorbereitet, dass es keine Ruhepause geben würde. Und er blieb noch etwas sitzen, stemmte sich zurück und streckte die Beine von sich, bis er diesen wieder vertrauen konnte. Aufzustehen stellte eine weitere Schwierigkeit dar, doch irgendwann verließ er die Halle wieder und wurde sich der Tatsache bewusst, dass er es nur zwei Stunden ertragen hatte. Es blieb ihm noch Zeit… Zeit, die er nutzen musste und er gab sich nur dem kurzen Umweg zu seinem Zimmer hin, bevor er sich auf die Suche nach anderweitigen Aufgaben machte und jene Menschen aufsuchte, die gerne und immer welche abgaben. So kam es dazu, dass er bald wieder dem müden Stöhnen lauschte, Tapp Topp’s Schnarchen vernahm und unter Rivers temperamentvoller Stimme das Gesicht verzog. Ja, er war den Wissenschaftlern eine Hilfe und vertiefte sich zermürbt in unzählige Unterlagen und Mappen, die sich vor ihm stapelten. Die Beine von sich gestreckt, harrte er auf einem bequemen Stuhl aus, stemmte den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche, während er ein Schreiben überflog, sich vorsichtig zur Seite neigte und das Blatt auf einem kleinen Stapel ablegte. Diese Arbeit… war perfekt, nämlich von einer solchen Eintönigkeit, dass die Gedankenwelt automatisch erstarb. Ermüdend… und oft blinzelte er gegen die Schläfrigkeit, musste darauf achten, dass ihm keine Zettel aus der Hand rutschten und seine Finger die dünnen Mappen richtig zu fassen bekamen. Doch er folgte der Arbeit fließend, schottete sich rasch von dem anstrengenden Treiben der Wissenschaftler ab und bemerkte, wie die Zeit vergangen war, als er zur Uhr lugte. Weitere zwei Stunden hatte er nun hier gesessen und das Mittagessen rief. Weniger begeisternd, als das, was ihn im Anschluss erwartete. Träge ließ er die Mappe auf den Tisch zurückfallen, rieb sich mit beiden Händen das bleiche Gesicht und gab sich einem kurzen Gähnen hin, bevor er sich schwerfällig vom Stuhl erhob, die restliche Arbeit liegen ließ und sich auf den Weg zum Speisesaal machte. Nach einem kurzen und durchaus etwas trägen Marsch erreichte er sein Ziel und gähnend stemmte er sich gegen die Tür, trat in den Speisesaal und machte sich daran, den linken Ärmel umzuschlagen, während er durch die Tischreihen zog. Die Bänke waren zu dieser Zeit etwas besetzter. Viele Stimmen erhoben sich zu einem einzigen Geraune, überall klackerten Stäbchen und klirrte Geschirr und all das schien für Kanda an Lautstärke zuzunehmen, je länger er zu der Theke brauchte. Nur beiläufig sah er sich um, setzte sich mit den Gerüchen auseinander und versuchte sich bestmöglich auf das Essen vorzubereiten. Diesmal musste es ihm gelingen. Wenigstens etwas… und der Sieg war erlangt, sobald das Essen auch im Magen blieb. Herabgeschraubte Ansprüche, wie er feststellte. Selbst eine Normalität wurde für ihn zur Herausforderung und er stemmte sich auf der Theke ab. Als würde Jerry seine Anwesenheit spüren, wurde er im Gemenge der Küche auf ihn aufmerksam und er musste ihm keine Fragen stellen, um zu wissen, was der junge Exorzist zum Mittag aß. Flink war alles vorbereitet und Kanda löste sich vom Tresen, als sich Jerry aus der Küche kämpfte und ihm grinsend ein Tablett hinstellte. In einer hölzernen Schale dufteten die gewohnten Nudeln und säuberlich lagen die Stäbchen neben einem Schälchen Wasabi. Wenn sein Magen an etwas gewöhnt war, dann war es wohl das und wenn auch zögerlich, Kanda griff nach dem Tablett, setzte zu einem Nicken an und hielt inne, als das Tablett plötzlich weiterhin belastet wurde. Da wurde eine dampfende Tasse abgestellt und Stirnrunzelnd sah er Jerry an, der grinsend die Hände in die Hüften stemmte, recht zufrieden wirkte. „Was ist das?“ „Ein Kräutertee“, kam die heitere Antwort und er legte den Kopf schief. „Ja!“ Mit großen Augen neigte sich Jerry zu ihm. „Den habe ich extra für dich zubereitet! Er beruhigt den Magen und sorgt für das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele.“ Er spitzte die Lippen, als die Begeisterung ausblieb und richtete sich auf. „Der wird dir gut tun.“ „In Ordnung.“ Der junge Mann gab sich geschlagen, nickte und hob das Tablett an. „Danke.“ „Aber immer doch!“ Jerry winkte ihm grinsend, ließ die Hand jedoch sinken, als Kanda ihm den Rücken zuwandte und sich zu einem freien Platz aufmachte. Irgendwie… er fühlte sich wie ein kleiner Schurke. Glucksend drehte er sich um und kehrte in die Küche zurück. Nachdem sich Kanda niedergelassen hatte, galt seine Aufmerksamkeit weniger den Nudeln. Seine Augen richteten sich auf den Tee und er war von Jerrys Mitdenken überrascht, annähernd auch zufrieden und er beschloss, sich zuerst dem Tee zuzuwenden. Gegen ihn konnte sein Magen nichts einwenden und er rückte sich zurecht, bevor er nach der Tasse griff und an ihr roch. Und dann, wenn er diese Tasse geleert hatte und sich immer noch gut fühlte, soweit es sein Zustand eben zuließ, dann würde er sich auch um die Nudeln kümmern. Er unterdrückte ein weiteres Gähnen, blinzelte müde und nippte an dem Tee. Er hatte lange keinen mehr getrunken und er schmeckte wirklich gut. So gut, dass er sich zurücklehnte, die Beine unter dem Tisch ausstreckte und kühlen Atem über das Getränk blies. Sofort stieg weiterer Dunst auf und er nippte wieder, nahm einen größeren Schluck und genoss die Wärme, die sich sogleich in seinem Körper ausbreitete. Er spürte, wie der Tee in seinen Bauch floss und dort auf keinerlei Widerstand traf. Und welche Wohltat war es, dem Magen endlich wieder etwas zu gönnen. Er fühlte sich sofort etwas besser und die nächsten Schlücke ließen nicht lange auf sich warten. Danach könnte es ihm nur besser gehen und der versprochene Auftrag würde das Seine dazu beitragen. Kanda schürzte die Lippen, schloss die Augen und nahm abermals den würzigen Geruch in sich auf. Der Tee hinterließ sogar einen sehr angenehmen Geschmack auf der Zunge… es musste Salbei sein und die Nudeln waren längst in Vergessenheit geraten. Die Hände wärmend um die Tasse gelegt, blieb er entspannt sitzen und es dauerte nicht lange, da musste er die Tasse immer höher heben. Der Tee leerte sich schneller, als er dachte und nach wenigen Minuten nahm er den letzten Schluck, bewegte den Tee im Mund und stieß ein stummes Seufzen aus, nachdem er hinter geschluckt hatte. Bedächtig ließ er auch den Kopf sinken, stellte die Tasse unterdessen auf den Tisch zurück und schöpfte tiefen Atem. Jetzt hatte er eigentlich wirklich keine Lust mehr auf die Nudeln, doch der Moment musste genutzt werden. Es war eine gewisse Überwindung, die bequeme Haltung aufzugeben und nach den Stäbchen zu tasten, doch er setzte sich durch, atmete erneut tief ein und saugte an seinen Zähnen. Wieder fiel es ihm schwer, die Stäbchen zu greifen und er blinzelte schläfrig, als er sie endlich unter den Fingerkuppen spürte und mit ihnen etwas absent ihrem Verlauf folgte. Die Ruhe und die Haltung, in der er keine Schmerzen hatte, waren überaus entspannend und er fühlte die rasch zurückkehrende Müdigkeit, der er sich jedoch widersetzte. Er musste essen und wieder ein Gähnen unterdrücken, als er die Nudeln etwas unentschlossen durchmengte, mit den Stäbchen in ihnen rührte und wenige zu fassen bekam. „Mm.“ Ein wirres Murren entrann ihm, als er die Stäbchen zum Mund hob, jedoch inne hielt, da sich dieser unter einem widerborstigen Gähnen weit öffnete. Na gut, dann gähnte er eben. Ein dumpfes Rauschen durchflutete seine Ohren, als er sich so etwas nach vorn lehnte, dem Gähnen freien Lauf ließ und sich wieder aufrichtete. Da rutschte schon eine Nudel auf den Tisch zurück und er schmatzte etwas benommen, als er sie anstarrte. Er spürte eine leichte Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln und blinzelte, bevor er die Nudeln endlich im Mund verschwinden ließ. Ah ja, diesen Geschmack kannte und mochte er und er kaute träge, starrte vor sich auf den Tisch und verzog das Gesicht, als sein Gaumen ein weiteres Gähnen ankündigte. Was war nur plötzlich los? Er wendete die Nudeln im Mund, lugte zu der leeren Tasse und schluckte hinter. Er hätte lieber noch etwas von dem Tee, wollte die bequeme Haltung jedoch nicht dafür aufgeben und blieb also sitzen, um vor sich hinzustarren. In nicht allzu weiter Entfernung machte es sich auch Lavi bequem und selbstverständlich hatte er den Träger seiner derzeitigen Sorgen längst erspäht. Gemächlich zückte er die Stäbchen, versenkte sie in der Suppe und rührte erst einmal um. Die Tatsache, dass Kanda noch an seinem Platz verharrte, obgleich es ihm hin und wieder gelang, eine Nudel im Mund verschwinden zu lassen, beruhigte ihn. Auch seine Haltung wirkte vielleicht etwas entspannter. Er konnte es nicht verhindern. Das Studieren des äußeren Erscheinungsbildes war ihm beigebracht worden und es war ähnlich der Schrift, die man sich nicht betrachten konnte, ohne das Wort zu lesen. Es steckte in ihm und da er diesmal keine Begleitung hatte, war ihm alle Zeit gegeben, um seinen Beobachtungen nachzugehen. So neigte er sich nach vorn, schnappte sich die Nudeln und begann zu schlürfen. Erneut wurde Kanda von einem Gähnen unterbrochen und er senkte das Kinn zum Schlüsselbein, um kurz die Augen zu schließen. Es war so seltsam. Der Arm wurde immer schwerer und selbst die Hand, die die Stäbchen hielt, stellte sich schwerfällig an. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und er bewegte die Lippen aufeinander. Seine Gedankenwelt erwachte stockend und er wunderte sich über die plötzliche Schläfrigkeit. Sie nahm mit jedem Augenblick zu und als er die Augen länger geschlossen hielt, meinte er beinahe, eine warme Decke zu spüren, die sich um ihn legte. Ebenso die Geräusche, die an Lautstärke… an Existenz verloren und irritiert hob er die Lider und richtete sich auf, um in die Gegenwart zurückzukehren. Die Stimmen und Laute drangen wieder an seine Ohren und er blinzelte sich frei vom verschwommenen Umfeld, sah sich perplex um und regte die Beine. Es wäre verständlich, würde sein Körper nun vollständig kapitulieren, doch an einem solchen Ort, an dem nichts, aber auch gar nichts zum schlafen einlud? Gerade hier erwartete er doch permanente Ablenkung? Seine Nase rümpfte sich und begann sich wieder mit den Nudeln zu befassen. Träge begannen sich die Stäbchen wieder zu bewegen und er fischte nach den neuen. Seit wann war die Handhabung dieses Besteckes so kompliziert? Er räusperte sich leise, richtete sich etwas auf und nahm noch mehr Konzentration dafür in Anspruch. Ah, endlich. Die nächsten Nudeln verschwanden in seinem Mund und während er kaute, spürte er die seltsame Schwere seiner Lider. Matt beugte er sich etwas nach vorn, schwankte gen Tisch und kämpfte sich in die aufrechte Haltung zurück. Als gäbe es ein Strick, der ihn nach vorne zog, sobald er das Gleichgewicht dem Zufall überließ. Deshalb suchte sein Rücken den Halt an der Lehne und er kreuzte die Beine, fuhr sich mit der freien Hand über den Bauch und kratzte sich. So etwas hatte er noch nicht erlebt und doch erstarb der feste Wille zum Widerstand, bevor er sich richtig erheben konnte. Es war zu angenehm… dieses warme geborgene Hinwegdämmern. Wieder fischten die Stäbchen nach den Nudeln und die Schale kippelte gefährlich, als seine Hand schwerer wurde, sich auf den Rand stützte und sich von diesem löste, bevor sich die Nudeln auf dem Tablett verteilen konnten. Er rollte mit der Schulter, räusperte sich abermals und ließ das nächste Gähnen gewähren. Sein Unterkiefer schmerzte, so intensiv war es und er hob die Hand vor den Mund, abwesend gen Tisch blinzelnd. Tief atmete er ein, verdrehte die Augen unter dem sanften Schwindel und lehnte den Kopf zurück. Dumpf traf dieser auf die Rückenlehne und die Hand senkte sich zum Bauch zurück, auf dem sie entspannt verweilte. Wieder diese Wärme… er starrte auf die hoch liegende Decke des Speisesaals, spürte jedoch, wie seinen Fingern ein Stäbchen entglitt. Schaffte er es denn nicht, sie festzuhalten, ohne sich darauf zu konzentrieren? Seine Mimik zuckte verdrießlich und es gestaltete sich als äußerst schwer, sich erneut aufzurichten. Gefährlich neigte sich sein Körper zur Seite, seine Hand klammerte sich um die Tischkante und auch das zweite Stäbchen rutschte auf das Tablett hinab, als er vorn über sank und seine Lider unter der Schwere nachließen. Kitzelnd streifte das Haar seinen Nacken, als er den Kopf senkte und ihm kein Sinnieren mehr gelingen wollte. Warm… schwer… und die Umwelt verblasste in all ihren anstrengenden Einzelheiten. Selbst die kühle Brise nahm er kaum wahr, die ihn plötzlich erfasste. „Yu?“ Besorgt hatte sich Lavi zu ihm gesellt. Vorsichtig bettete sich seine Hand auf der Schulter des jungen Mannes und er neigte sich hinab, um dessen Gesicht zu erkennen. „Hey, was ist los?“ Verschwommen erreichten Kanda diese Wortfetzen und er bewegte sich nur etwas, ohne die Augen zu öffnen. Seine Lippen nuschelten etwas Unverständliches und Lavis Hand musste mehr Druck auf seine Schulter ausüben, um ihn davor zu bewahren, mit dem Gesicht in die Nudeln zu fallen. Aufgeregt fasste er ihn sicherer, hockte sich neben ihm auf die Bank und rüttelte etwas an dem schlaffen Körper. „Kannst du mich hören? Yu? Kanda?“ „Mm.“ Schlaftrunken kamen dessen Pupillen kurz zum Vorschein und eine fleißige Hand streifte sein Haar zurück, um direkte Sicht auf ihn zu haben. „Hast du Schmerzen?“ Die nächste fürsorgliche Frage ließ nicht lange auf sich warten und endlich reagierte Kanda. Sein Kopf schüttelte sich etwas und Lavi verstärkte den Griff, da der gesamte Oberkörper sich den trägen Bewegungen anschloss und beinahe zur Seite kippte. Somit spürte Lavi schon einmal eine gewisse Erleichterung und nachdem er ihn kurz gemustert hatte, entspannte sich auch sein Gesicht. „Schläfst du etwa gerade ein?“, fragte er verdutzt und runzelte die Stirn, als ein kaum erkennbares Nicken die Antwort brachte. Gut… das war weniger schlimm, als das, was er befürchtet hatte. Mit geschlossenen Augen und ruhigem Atem verharrte Kanda in der bequemen Position und Lavi sah sich etwas beirrt um. „Oh man… hey“, wandte er sich wieder an den Jüngeren. „Soll ich dich in dein Zimmer bringen?“ „Mmm…?“ „Ich bringe dich in dein Zimmer, ja?“ „Mmm…“ „Gut.“ Er holte tief Luft, hob Kandas Hand vom Tablett und schüttelte eine verirrte Nudel von seinem Daumen. Er ging zielstrebig vor, drängte Kanda sanft zurück gegen die Lehne und umfasste ebenso vorsichtig sein Handgelenk, das er sich über die Schulter zog. Hoffentlich war er schnell genug auf den Beinen, bevor Kanda gänzlich einschlief. Alleine brachte er ihn nirgendwohin. Er fixierte den Arm auf seiner Schulter, beugte sich etwas nach vorn und hielt inne. Voller Befürchtung richtete sich sein Auge auf das gesenkte Gesicht des jungen Mannes und er zog eine kurze Grimasse. „Yu? Hey?“ Dessen Lider waren entspannt gesenkt, tiefer und hörbarer Atem strich über seine leicht geöffneten Lippen und kein Muskel seines Körpers wurde auch nur der geringsten Beanspruchung unterzogen. Er schlief tief und fest und Lavi ließ ächzend den Kopf sinken. Na herrlich, ohne Mithilfe konnte er es vergessen. „Ich glaube das nicht“, flüsterte er leise bei sich, als er Kandas Arm von seinen Schultern hob und sinken ließ. Ungläubig starrte er ihn an, rümpfte die Nase und ließ sich träge auf die Bank sinken. So etwas hatte er noch nie erlebt und er verschränkte die Arme vor dem Bauch, um verwirrt auf den Tisch zu starren. Und dann noch Kanda… dass er so etwas erlebte, hätte er sich nicht träumen lassen. Und doch war es nur ein weiterer Beweis, wie nötig er es gehabt hatte. Unentschlossen blieb er sitzen, tat es Kanda gleich und streckte die Beine aus. Einige Minuten vergingen und seine Mimik offenbarte Grübeleien, als er sich wieder zu regen begann. Er richtete sich auf, wandte sich Kanda zu und hob die Hand, um sie auf dessen Stirn zu betten. Und wie er es sich gedacht hatte… die Haut glühte vor Fieber und der Schlaf schien so tief zu sein, dass ihn nicht einmal diese Berührung weckte. Abermals runzelte der junge Mann die Stirn und zog die Hand zurück, als er eine Bewegung neben sich wahrnahm. Überrascht wandte er sich um und erkannte ein vertrautes Gesicht, dem es verräterisch an Verwunderung mangelte. Komui hatte sich mit seiner Tasse hierher verirrt, hatte vermutlich seine Etage verlassen, um ausnahmsweise auch einmal etwas zu sich zu nehmen. Und nun stand er da und starrte auf Kanda. „Eingeschlafen“, kommentierte Lavi und hob hilflos die Hände. „Einfach so.“ „Nein!“ Die Augen des Vorgesetzten weiteten sich in endlosem Entsetzen und verwirrt verfolgte Lavi, wie er auch schon nach zwei Findern rief, die nicht weit entfernt saßen und soeben im Begriff gewesen waren, aufzustehen. „Hier…“, er fuchtelte in Kandas Richtung und hob die Tasse zum Mund, „… der getraut sich was! Bringt ihr ihn mal schnell…“ und er fuchtelte in Richtung des Ausganges und die Finder nickten seufzend. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Somit schien Komui äußerst zufrieden und als er wieder zu Lavi wandte, wurde er argwöhnisch angestarrt. „Was denn?“ Mit großen Augen nippte er an der Tasse und Lavi kam langsam auf die Beine. „Du hast doch nicht etwas damit zu tun, oder?“ Die Antwort lag bereits klar vor ihm und doch wollte er den Tatsachen keinen Glauben schenken, wenn sie ihm immer wieder vor Augen führten, dass Komui keine Grenzen kannte. Dieser wendete den Kaffee im Mund, schluckte hinter und trat zurück, als sich die Finder bei ihnen einfanden. Und während sich die Beiden kurz von Kandas Zustand überzeugten, ließ er unter einem Seufzen den Kopf sinken. „Was seht ihr nur alle in mir?“, erhob sich seine Stimme gebrochen und wehleidig. Lavi verfolgte unterdessen, wie sich die Finder des jungen Mannes annahmen. Flink zogen sie sich seine Arme über die Schultern, hielten seine Handgelenke und stützten seinen Rücken, bevor sie ihn auf die Beine zogen. Leblos sackte Kandas Gesicht nach vorn und seine Beine waren den Findern keine Hilfe, als sie sich mit ihm auf den Weg machten, anhand ihrer Größe jedoch keine Probleme hatten. Lavi drehte sich ihnen nach und wieder seufzte es neben ihm. „Keiner glaubt mir und sogar die Finder stöhnen, wenn ich sie lieb um etwas bitte!“ Theatralisch fuhr er sich über das Gesicht und mürrisch lugte Lavi zu ihm. „Als ich dich bat, ihn zu schonen, meinte ich damit nicht, dass du ihn einschläfern sollst.“ „Öh?“ Komui gab sich verwundert. Kurz sahen sie sich an, bis er trotzig den Kopf schief legte. „Hab ich nicht.“ „Aah.“ Ächzend rieb sich Lavi das Gesicht und sein Vorgesetzter gab sich wieder dem Kaffee hin. „Nein, mal ehrlich.“ Lavi ließ die Hand sinken, hakte den Daumen in den Gürtel und wandte sich ihm zu. „Yu’s Selbstheilungskräfte sind zu immens, als dass er fast einen Tag nach der Verletzung noch solche Beschwerden haben dürfte.“ Komuis Gesicht entspannte sich und nachdenklich sah er sein Gegenüber an, hob erneut die Tasse. Lavi gestikulierte mit der Hand, die Umstände schienen ihn sehr zu beschäftigen. „Aber er hinkt, fiebert, übergibt sich…“, flüchtig lugte er zur Seite, verfolgte, wie die Finder mit Kanda den Saal verließen, „… ist apathisch, sterbensbleich und… ich verstehe das nicht. Äußere Verletzungen sehe ich ihm nicht an.“ Hilfesuchend sah er seinen Vorgesetzten an. „Vielleicht mache ich mir auch zu viele Sorgen aber könntest du ihn nicht zu Bookman schicken?“ „Vor kurzem sagte noch jemand, dass er sich die Hilfe selber holen würde“, erinnerte Komui ihn und er verdrehte die Augen. „Solange er keinen Schaden anrichtet, kann ich ihn nicht zwingen, sich untersuchen zu lassen und wenn ich ihn darum bitte und so, wie ich ihn kenne, erreicht das nicht einmal annähernd seine Ohren.“ Da musste Lavi ihm leider Recht geben und doch gefiel es ihm nicht. Er murmelte etwas Undeutliches und erhielt einen Klaps auf die Schulter. „Jetzt lassen wir ihn erst einmal schlafen und dann sehen wir weiter.“ Da war Komui optimistisch und während Lavi abermals zur Tür lugte, wurde er auch etwas anderes aufmerksam. Neugierig lehnte er sich zur Seite, fixierte sich auf etwas. „Was gibt’s denn heute Feines? Das schau ich mir mal an. Also dann.“ Verabschiedend hob er die Tasse und bevor sich Lavi versah, war er auch schon fort. „Vorsichtig.“ Behutsam gingen die Finder in die Knie, ihre Beine fixierten die des Schlafenden und mit einer fließenden Bewegung ließen sie diesen auf das Bett sinken. Weich betteten sie Kanda auf der Decke, zogen seine Arme von den Schultern und während der eine seinen Rücken stemmte und ihn aufrecht hielt, ging der andere in die Knie, kauerte sich vor seine Beine und tastete nach den Schnallen der Stiefel. Geschwind streifte er das Hosenbein höher, wurde fündig und machte sich daran, seine Füße zu befreien. Regelmäßig hoben sich die Schultern des jungen Mannes unter tiefen Atemzügen und die erstarrte Regung seiner Mimik bewies seine völlige Abwesenheit. Keine Umwelteinflüsse vermochten in sein Bewusstsein zu dringen und nur seine Lippen bewegten sich stumm, als er in einer fließenden Bewegung niedergelegt wurde. Gleichzeitig hob man seine Beine nach oben, bettete seinen Kopf auf dem Kissen und zufrieden betrachteten sich die Finder ihre Arbeit, sahen sich knapp an und nickten. So dürfte es reichen. Noch kurz die Stiefel neben das Bett gerückt und somit verließen sie das Zimmer. Leise schloss sich die Tür hinter ihnen und die alte Stille kehrte zurück. Bewegungslos blieb Kanda liegen, mit entspannt geschlossenen Lidern schlief er und sein Körper labte sich an der durch Schlafmitteln verstärkten Ruhe, in die kein Traum, keine Erinnerung drang… die ihn tief und dunkel, warm und geborgen in Bann hielt. Kein Zittern plagte seine Glieder, keine Augenbewegung war unter den Lidern auszumachen und Stunde um Stunde rauschte sein leiser Atem in dem Zimmer, während geschäftige Schritte an seiner Tür vorbeizogen, Wortfetzen zu ihm drangen und den Schlafenden dennoch nicht erreichten. Entspannt hob und senkte sich der flache Bauch unter einem tiefen Luftholen und träge begannen sich die Arme zu bewegen. Stockend drehte er sich auf die Seite, bewegte den Kopf auf dem Kissen und verharrte sofort wieder still. Der gesamte Nachmittag zog so an ihm vorbei und erst, als es vor seinem Fenster zum Abend dämmerte und die Sonne gen Horizont sank, kehrte etwas Leben in den schlaffen Körper zurück. Ziellose Bewegungen erfassten ihn, ließen ihn sich von einer Seite zur anderen wälzen, geräuschvoll ausatmen und die Lippen bewegen. Allmählich und schleppend erwachte sein Bewusstsein aus dem betäubten Ruhezustand und er ließ sich auf den Rücken sinken, streckte die Beine aus und regte die Finger auf der warmen Decke. Tastend glitten seine Fingerkuppen über den Stoff, die Lider zuckten unter einer Augenbewegung und sein Mund öffnete sich zu einem tiefen Gähnen, während die eine Hand zu den Rippen fand und diese kratzte. Leise klackten daraufhin die Zähne aufeinander und die Nase rümpfte sich. Die Wirkung des Schlafmittels verlor an Wirkung und dennoch blieb er lange liegen, dämmerte vor sich hin und nahm nur schleppend die Geräusche im Treppenhaus wahr, ohne sich vorerst an ihnen zu stören. Begierig versuchte sein Körper einen jeden Augenblick dieser Möglichkeit zu nutzen und ein wirres Murmeln kam über seine Lippen, als sich im Treppenhaus ein lauter Ruf erhob. Wieder folgten Schritte und Kanda runzelte die Stirn, als eine Haarsträhne diese zu kitzeln begann. Zum Gesicht zu finden, fiel der Hand schon schwerer und nachdem seine Finger das geschlossene Auge getroffen hatten, wurden sie fündig, strichen das Haar zurück und versenkten sich in diesem. Mit erhobenem Arm blieb er liegen, sein Bauch hob sich unter einem befreiten tiefen Atemzug und nach wenigen weiteren Minuten kamen seine Pupillen zum Vorschein. Zwinkernd öffnete er die Augen, starrte trübe in die Dämmernis seines Zimmers und schien diese als uninteressant zu empfinden, denn kurz darauf bewegte sich sein Körper wieder zur Seite, die Lider sanken hinab und bequem winkelte er die Beine an und schob die Hände unter die weiche Decke. Es nahm wirklich eine lange Zeit in Anspruch, bis er die Augen abermals öffnete und sich aufmerksam das Gestein der Wand betrachtete. Rasch drang auch seine Position in sein Bewusstsein und matt bewegte er die Beine, um sich zu vergewissern, dass er wirklich in seinem Bett lag. Auch die Schulter bewegte er, um die Matratze unter sich zu spüren und nach einem weiteren Gähnen verzogen sich seine Brauen misstrauisch. Wenn er langsam wieder Gebrauch von seinen Gedanken machte… konnte er sich nicht daran erinnern, hierher gefunden zu haben. Nur das verschwommene Bild des Speisesaals kam ihm ins Gedächtnis und perplex rieb er sich die Augen, stieß ein leises Stöhnen aus und machte sich daran, sich aufzurichten. Noch immer fühlte er eine gewisse Benommenheit und der Schlaf saß in jeder Pore seines Körpers. Als wäre er noch nicht richtig wach… Stockend schob er die Beine über die Bettkante, zog sich auch an dieser in die aufrechte Haltung und blieb erst einmal so sitzen, um abwesend und gedankenlos auf den gegenüberliegenden Tisch zu starren. Lange verharrte sein Gesicht reglos, bis ihm genauere Erinnerungen gelangen. Nur undeutlich streiften sie durch seinen Kopf und die erste Tatsache, der er sich sicher war, war ein geplanter Besuch bei dem Vorgesetzten. Der Auftrag! Seine Miene erhellte sich und sofort suchten seine Augen nach der Tür. Er setzte dort an, wo er aufgehört hatte. Aufgehört… er legte den Kopf schief, beirrt versenkten sich seine Fingerkuppen im wirren und lockeren Haar, kratzten und zogen einige Strähnen mit sich, als sie sinken gelassen wurden. Das Denken fiel ihm immer leichter und es war nicht schwer, sich an diesen Tee zu erinnern. Er hatte also geschlafen… lange und intensiv und der Zustand seines Körpers wurde von einer finsteren Einsicht überschattet. Ihm entrann ein dumpfes Murren und träge stemmte er den Ellbogen auf den Oberschenkel und ließ die Stirn in die Handfläche sinken. Natürlich… nun, da er in die Falle getappt war, wurde er sich ihrer bewusst. Vermutlich kam es Komui äußerst gelegen, dass er den gesamten Nachmittag verhindert und ans Bett gebunden war. Sprachlos schüttelte er den Kopf, schöpfte tiefen Atem und richtete sich auf. Weshalb seine Stiefel säuberlich neben dem Bett standen, war kein Teil seiner Neugierde und beiläufig griff er nach ihnen. Nun gut, Komui hatte wohl gesiegt und er würde dem Sieg ein Teil seiner Würze nehmen, in dem er den Besuch sofort nachholte. Seine Miene wirkte finster, als er in den ersten Stiefel stieg und nach den Schnallen tastete. Sein Ziel stand fest und doch hielt er in den Bewegungen inne, als sich sein Magen meldete. Ein verlangendes Knurren drang an seine Ohren, ließ sich deutlich spüren und er runzelte die Stirn. Gegessen hatte er an diesem Morgen nicht wirklich… die Gelegenheit des Mittagessens war ihm auch genommen wurden und der belastende Hunger zwang seine Planung, einen Umweg zu machen. Es würde nicht schaden, wenn er seinem Appetit eine zweite Chance gab und Komui noch wenige Minuten der Ruhe. Er gab nach, gab sich geschlagen und schlüpfte in den zweiten Stiefel. Anschließend legten sich seine Hände um die Kante der Matratze und es versetzte ihm einen überraschten Stich, als die ungezwungene und fast fließende Bewegung seine Beachtung fand und er sich kurz zum Bett umdrehte. Er war recht schnell auf die Beine gekommen und sie hielten sein Gewicht nur mit geringem Widerstand. Abermals rümpfte er die Nase, tastete nach dem Band und zog es aus dem Haar, um dieses zu zähmen und neu zu binden. Natürlich… er konnte nicht leugnen, dass dieser unverhoffte Schlaf einen positiven Effekt hatte, unter anderen Umständen vielleicht noch länger auf sich hätte warten lassen. Er spürte wirklich eine Besserung, doch die Methoden, die dazu geführt hatten, waren es, die das Bild des wohlwollenden Vorgesetzten zerstörten. Beiläufig löste er die Hände vom straff gebundenen Zopf, fuhr mit ihnen über das Hemd und glättete es, soweit es möglich war. Dann und unter einem erneuten Kopfschütteln, machte er sich auf den Weg zur Tür und zurück zum Speisesaal. „Einen schönen guten Abend!“ Als hätte Jerry einen geheimnisvollen Triumph gefeiert, präsentierte er sich mit einer Stimmung, die die Normale etwas überstieg. Er grinste breit und Kanda runzelte die Stirn. „Gut siehst du aus! Besser, als heute morgen!“ Er erwartete keine Antwort und erhielt sie auch nicht. Nur Kandas Augen, die ihn misstrauisch musterten. „Was kann ich dir denn bringen? Das Gewohnte? Oder wieder Reis?“ „Wie immer.“ „Ah!“ Jerrys Gesicht erhellte sich weiterhin. „Das höre ich gerne!“ Und lachend machte er kehrt und verschwand wieder in der Küche. Kanda gelang daraufhin nur ein stummes Kopfschütteln und seine Augen schweiften zur Seite, drifteten durch den Saal und richteten sich auf Lavi, der sich mit Allen und Crowley eine Bank teilte, heitere Gespräche führte und es sich schmecken ließ. Er beobachtete sie nur kurz, seine Hand tastete sich über den Tresen und abwesend begannen seine Finger einen langsamen Takt auf dem Holz zu trommeln, bevor er dem Saal wieder den Rücken kehrte. Es dauerte nicht lange und nachdenklich erfassten seine Augen die zügigen Bewegungen in der Küche, bevor Jerry mit dem gewünschten Tablett zu ihm zurückkehrte. Doch nicht nur die Soba-Nudeln waren dort zu sehen. Auch eine Tasse, aus der frischer Dampf aufstieg. „Bitteschön!“ Grinsend setzte Jerry das Tablett ab, folgte Kandas Blick und wies stolz auf die Tasse. „Den habe ich dir noch mal gemacht“, erklärte er heiter und der Jüngere rümpfte die Nase. „Er scheint dir geschmeckt zu haben.“ „Mm.“ Kanda hielt sich nicht lange bei der Beobachtung auf, griff nach dem Tablett und wandte sich unter den glänzenden Augen des Kochs ab. Auch ein Seufzen drang an seine Ohren, als er sich bequem auf den Weg machte und kurz darauf war Jerry auch schon wieder in der Küche verschwunden, um seinen zahlreichen Arbeiten nachzugehen. „Der Garten war völlig verwildert.“ In diesen düsteren Erinnerungen schweifend, stemmte Crowley die Wange in die Handfläche und schüttelte den Kopf. Allen hielt nur kurz inne, rammte die Gabel in den Kuchen und ließ das Stück im Mund verschwinden. Lavi schenkte seinem Leiden etwas mehr Aufmerksamkeit. Verständnisvoll nickte er, runzelte daraufhin jedoch die Stirn und senkte den Blick zu seiner Suppe. „Da muss es einmal wunderschöne Blumen gegeben haben“, fuhr Crowley fort. „Rosen, Hyazinthen, Orchideen. Aber jetzt…“ Er verstummte und schnell wurde der Grund deutlich. Das Tablett sicher auf dem Unterarm, war Kanda an ihrem Tisch stehen geblieben und dies war beileibe ein seltener Besuch. Irritiert richtete sich Crowley auf, Allen starrte und Lavi hob die Augenbrauen. Knapp und desinteressiert lugte Kanda zu dem Berg aus Geschirr, der sich vor dem Jüngsten stapelte und ohne ein Wort griff er nach der dampfenden Tasse und hob sie vom Tablett. Das überraschte Schweigen hielt an und sie staunten auch nicht schlecht, als Lavi die Tasse vorgesetzt bekam. Selbst dieser wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, doch Kanda legte herausfordernd den Kopf schief. „Das ist Kräutertee“, murrte er lustlos und Lavi öffnete unentschlossen den Mund. „Für das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele.“ „Ah… ja?“ Die Verwirrung befiel Lavi deutlich und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich am Kopf zu kratzen. Und Kanda wandte sich bereits ab. „Lass es dir schmecken“, hörten sie ihn noch nuscheln, als er sich auf die Suche nach einem stillen Plätzchen machte. „Äh… Danke.“ Unentschlossen hob Lavi die Hand, zog eine irritierte Grimasse und ließ sich gegen die Rückenlehne fallen, um auf die Tasse zu starren. Die anderen Beiden taten es ihm gleich und Allen gelang es endlich, hinterzuschlucken. Von der Tasse starrte er zu Kanda, der sich in sicherer Entfernung auf einer Bank niederließ und sich sofort den Nudeln zuwandte. „Hach.“ Crowley hatte das Geschehene sichtlich bewegt. „Ist das rührend.“ „Und gerade das ist das Komische dran“, bemerkte Allen und fixierte sich wieder auf die Tasse. „Irgendetwas stimmt wirklich nicht mit ihm.“ Er schien kurz zu grübeln, gab es jedoch schnell auf und machte sich wieder über den Kuchen her. Lavi blähte die Wangen auf, suchte nach Worten und wurde nicht fündig. >Ist das der Dank für heute Mittag?<, fragte er sich und kratzte sich erneut. „Genieße diesen Tee.“ Crowley starrte ihn flehend an und er musste grinsen. „Es ist wahrlich ein Tee der Freundschaft!“ „Okay.“ Es war seltsam aber eine gewisse Freude gab es da schon und er nahm die Tasse an sich, um den Tee sofort zu kosten. Während Allen sich weiterhin nur um seinen Hunger kümmerte, verfolgte Crowley aufmerksam die Reaktion. Und ungenießbar schien der Tee nicht zu sein, denn die Braue des jungen Mannes hob sich verzückt und sofort nahm er noch einen Schluck. „Lecker!“ Begeistert sah er Crowley an und dieser musste erneut seufzen. „Möchtest du kosten?“ „Wenn ich darf?“ „Bitte, bitte.“ Bereitwillig wanderte die Tasse also über den Tisch und kurz darauf ertönte wieder ein Laut des Genusses. „Exzellent.“ „Komm, wir teilen ihn uns.“ „Du bist so gut zu mir!“ Crowleys Unterlippe erbebte vor Rührung und sofort genoss er weitere Schlucke. Dieser Tee ließ wirklich nichts zu wünschen übrig und während die Tasse zügig geleert wurde, schweiften Kandas Pupillen des Öfteren zu ihnen. Abwägend und erwartungsvoll behielt er sie im Auge und nahm kaum den zurückgekehrten Appetit wahr, in dem er die Schale fließend und ununterbrochen leerte. Er bemerkte es erst, als noch eine Kleinigkeit übrig blieb und seine Bewegungen verlangsamten sich berechnend. Lavi, Allen und Crowley hielten ihre Plätze auch noch und die Tasse wanderte nur so von einem Genießer zum Anderen, wurde bald auch Allen gereicht. „Magst du nicht kosten?“, fragte Lavi, doch der Jüngere rümpfte nur die Nase und winkte ab. „Ich mag keinen Tee. Der macht nicht satt.“ „Alles klar.“ Das amüsierte Lavi und mit dem letzten Schluck leerte er die Tasse, stellte sie ab und lehnte sich bequem zurück. „Wie kommt es, dass ihr alle hier seid?“ Crowley hatte seine spärliche Mahlzeit bereits verzehrt und blickte nun neugierig in die Runde. Aus Allens Richtung drang nur ein beschäftigtes Murmeln, doch Lavi antwortete gern. „Ich bin auch erst heute Morgen zurückgekommen.“ Grinsend wies er mit einem Nicken auf Allen. „Er schon einen Tag eher.“ „Heißt, ich muss bald wieder los“, nutzte Allen kurz den leeren Mund, bevor er etwas daran änderte. „Mit wem warst du denn unterwegs?“, wollte Crowley weiterhin wissen und der Jüngste kaute flink, während Lavi versteckt zu seinem großzügigen Gönner linste. „Mm… mit Miranda.“ „Aber wo ist sie denn?“ Crowley sah sich um und Allen wackelte mit dem Kopf, konnte das auch nicht beantworten. „Ach ja.“ Unter einem tiefen Atemzug streckte sich Lavi aus, bettete die Arme auf der Rückenlehne und gab sich einem bequemen Gähnen hin. Auch Crowley war dabei zu ertappen, wie er sich die Augen rieb und Kanda fischte nach der letzten Nudel. Das, was er da beobachtete, kannte er irgendwoher und es überraschte ihn weniger. Nicht einmal die Frage nach dem Drahtzieher musste er sich stellen. Ein bitteres Zucken zog durch seine Miene, als er sich daran erinnerte, was man mit ihm gemacht hatte. Und doch… er legte die Stäbchen ab, rieb die Hände aneinander. Auch wenn es fragwürdig gewesen war… er fühlte sich besser, hatte einen großen Nutzen aus dem ungestörten Schlaf gezogen und würde diese Sache auch nicht ansprechen, wäre dem nicht so. Wieder spähte er zu seinen Kollegen und nun rieb sich Lavi das Gesicht und Crowley sah sich verwirrt nach der Uhr um. Es war wirklich zu früh, um so müde zu werden. Und doch würden sie nun die Opferrollen einnehmen, in die Falle tappen, die ihm gestellt wurde. Und er würde nun den Drahtzieher aufsuchen, um die Umsetzung eines Versprechens einzufordern. Es schien doch zu funktionieren und seine Finger kribbelten voller Ungeduld, als er sich erhob, das Tablett mit sich nahm und zur Theke zurückkehrte. „Gott, was bin ich müde“, vernahm er Lavis Nuscheln, als er sein Ziel erreichte, das Tablett abstellte und sich gemächlich auf den Weg machte. Sicher und fest fanden seine Beine Halt auf dem Boden, deutlich und klar präsentierte sich ihm die Umwelt und eine gewisse Klarheit in seinem Kopf brachte die Entschlossenheit mit sich, allem gewachsen zu sein. Weit war er noch von seiner Höchstform entfernt, doch wenn er nicht aktiv wurde, würde er sich dieser auch nicht nähern. Bedächtig richtete er sein Hemd, als er die Gänge hinter sich ließ und die Schritte verlangsamte, als sich der alte Schmerz seiner Schulter wieder meldete. Wie ein deutliches Zeichen, dass Optimismus fehl am Platz war, der direkte Nachfolger der Entschlossenheit, um diese zu stauchen. Er verzog das Gesicht, bewegte den Arm und nahm sich vor, ihn einfach etwas zu schonen. Auch, wenn es der Schwertarm war… schwere Kämpfe standen ihm sicher nicht bevor und sollte es doch so sein, so waren es Schmerzen, die er ertrug. Er betastete das Schultergelenk, überzeugte sich von der Kontrolle über seine Finger und blickte kurz auf, um sein Ziel schon vor sich zu erkennen. Solange sich kein Angriff direkt gegen die Schulter richtete, sah er keine Schwierigkeiten auf sich zukommen und ohne zu zögern klopfte er an und öffnete die Tür zum Büro des Abteilungsleiters. Komui mochte Talent für Hinterhältigkeiten besitzen, doch das Erstaunen konnte er nicht aus seinem Gesicht bannen, als er seinen Raum abermals betrat und dies alles andere als müde. Er hatte ihn nicht erwartet und Kanda genoss den Augenblick, in welchem er angestarrt wurde. Den Kuli reglos in der einen, die Kaffeetasse ebenso reglos in der anderen, sah Komui den jungen Mann nähertreten, schürzte die Lippen und gelangte jedoch rasch zur alten Fassung zurück. „Ja?“, fragte er dennoch und bekam keine Zeit, Vergesslichkeit vorzutäuschen. „Der Auftrag“, erinnerte Kanda ihn knapp und blieb auf der anderen Seite des Schreibtisches stehen. „Ah ja.“ Stirnrunzelnd legte Komui den Kuli nieder, räusperte sich leise und rückte im Stuhl zurück. Es war also misslungen… eigentlich zu erwarten, da es ein Wunder gewesen wäre, hätte es zweimal funktioniert. Doch wenn er sich Kanda so betrachtete, schwächten seine Befürchtungen etwas ab. Der Schlaf schien Wunder bewirkt zu haben und der junge Mann schien standhaft und gestärkt genug, um neu beauftragt zu werden. „Also gut“, gab er sich geschlagen, lehnte sich zur Seite und öffnete eines der Schubfächer. Kanda verfolgte eine jede Bewegung konzentriert, erkannte eine schwarze Mappe und nahm sie sogleich entgegen. „Inspizieren eines Bergwerkes“, erläuterte Komui gemächlich und lehnte sich im Stuhl zurück. Die Mappe wurde bereits geöffnet und wissbegierig überflogen. „Zwei Arbeiter meldeten die Beobachtung einer nicht zu identifizierenden Lichtquelle im Untergrund, an die niemand herankommt, da das Gestein den Zugang versperrt und auch nicht abgebaut werden kann, was als unnormal zu bezeichnen ist. Also möglicherweise die Barriere eines Innocence. Das gilt es, herauszufinden.“ „Mm.“ In den Text und die Karte vertieft, nickte Kanda und Komui stemmte den Ellbogen auf die Armlehne, fuchtelte mit der Hand und stützte das Kinn darauf. „Die Inspizierung wird zu zweit durchgeführt.“ Das war der Moment, in dem Kanda inne hielt. Missgestimmt blickte er von den Unterlagen auf und da diese Reaktion keine Besonderheit darstellte, fuhr Komui achtlos fort. „Aufbruch in einer Stunde. Das Phänomen wurde nur nachts beobachtet, also liegt das nahe.“ „Mm.“ Naserümpfend wandte sich Kanda wieder den Unterlagen zu. Sehr weit war dieses Bergwerk nicht entfernt und auch wenn ihm der sofortige Aufbruch überaus zusagte, befürchtete er, der Auftrag selbst wäre zu schnell bewältigt. Komui richtete sich unterdessen auf, langte nach der Tasse und brummte, als diese leer war. „Als Partner nimmst du Lavi mit.“ „Mm-mm.“ Die Augen nicht von der Mappe lösend, schüttelte Kanda nur den Kopf und Komui zeigte offen, dass er mit so einer Reaktion nicht gerechnet hatte. „Und wieso nicht?“, murmelte er und traf auf Kandas Augen, die ihn berechnend und vielsagend musterten. „Der schläft.“ „Was?“ Komui traute seinen Ohren nicht. Sofort wollte er weitere Fragen stellen, verriet sich jedoch schon allein durch das Zögern. Auch er wurde sich dieser Tatsache bewusst und obwohl Kanda schon wieder Desinteresse zeigte und seine Bestätigung längst hatte, holte er sich die Fassung mit einem Räuspern zurück. „Na so etwas.“ Er juckte sich an der Schulter und grübelte kurz. „Dann… kommt Crowley eben mit.“ „Schläft auch“, nuschelte Kanda in die Mappe vertieft und Komui verdrehte die Augen, verstand die Welt nicht mehr. „Wieso denn das?“, verlangte er zu wissen und der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Mochten beide Kräutertee.“ „Ah.“ Komui schnitt eine Grimasse und spätestens jetzt fühlte er sich übel ertappt. Er regte sich verbissen auf seinem Stuhl. „Die trauen sich was. Warte, wer ist noch da?“ Er blätterte kurz in einigen Unterlagen und als Kanda die Mappe schloss, wurde er fündig. „Schläft Walker auch?“ Das Befürchtete trat ein und Kanda schürzte die Lippen. „Bestimmt nicht“, raunte er gedämpft und klemmte sich die Mappe unter den Arm. „Dann haben wir es ja!“ Zufrieden schloss Komui die Unterlagen und grinste. „Noch Fragen?“ Ein mürrisches Kopfschütteln folgte. ~*to be continued*~ Kapitel 5: ~4~ -------------- Das richtige Glück wollte ihm scheinbar nicht hold sein und die Erleichterung über den Auftrag, über die ersehnte Mappe, die er nun bei sich trug, schwächte ab bei dem Gedanken, dass er nun sogar jemanden suchen durfte. Nur kurz kehrte er in sein Zimmer zurück, warf die Mappe zum Bett und streifte sich den neuen Mantel über. Es war ein gutes Gefühl… Als wäre er an den Zeitpunkt vor drei Tagen zurückgekehrt. Der Auftrag war von großer Dringlichkeit gewesen und genau wie jetzt hatte er sich den Mantel übergestülpt und sich tatkräftig gefühlt. Begierig richteten sich seine Augen bereits auf das Mugen und flink legte er sich den tiefen weißen Gürtel um, zurrte ihn fest und beugte sich sofort nach dem Schwert. Keine Schmerzen… er schluckte sie hinunter, befestigte die Scheide an dem Gürtel und nahm die Mappe wieder an sich, bevor er in zügigen Schrittes das Zimmer verließ. Es war bitter, doch nach den Vorschriften hatte er sich zu richten und einen jeden, der daraufhin seinen Weg kreuzte, stellte er dieselbe Frage. Wo trieb sich Walker herum und nach kurzer Zeit erhielt er die Antwort. Im Speisesaal war er gesehen worden. Immer noch. Also führte ihn sein Weg ohne Umwege zu diesem und als er die Tür aufstieß, herrschte noch immer reges Treiben in der Halle. Es wurde gegessen, sich unterhalten und laute Geräusche erfüllten die Luft, als er sich knapp umsah und schnell fündig wurde. Die leeren Teller stapelten sich noch immer auf dem Tisch, doch Allen war mit anderen Dingen beschäftigt. Die Heiterkeit seiner Gesellschaft hatte sich gelegt und während Lavis Oberkörper reglos auf dem Tisch und das Gesicht zwischen den Armen gebettet lag, hatte sich Crowley zurückgelehnt, den Hinterkopf auf der Rückenlehne abgelegt und schnarchte friedlich in Richtung Decke. „Lavi!“ Empört und zugleich verwirrt neigte sich Allen über den Tisch, rüttelte erneut an dem jungen Mann und zog eine Grimasse. „Hey, was ist denn plötzlich los?!“ In dem Augenblick regte sich Crowley, stieß ein leises Grunzen aus und rutschte von der Lehne zur Seite, um entspannt auf der Bank liegen zu bleiben. Perplex verzog sich die Miene des Jungen und er kratzte sich am Kopf, konnte sich all das nicht erklären. „Hey, Bohnenstange!“ Ein seltsamer Reflex, in dem er sich sofort angesprochen fühlte und aufsah. Nicht auf die Schlafenden achtend, war Kanda neben dem Tisch stehen geblieben, wandte bitter den Blick ab und hob die Mappe. „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, antwortete Allen seufzend und wurde auf die Unterlagen aufmerksam. Er hob die Augenbrauen, ließ sich auf die Bank zurücksinken und wirkte selbst nicht so recht erfreut. „Ein Auftrag?“ Doch Kanda wandte sich bereits ab. „Jetzt komm!“ Ohne auf Allen zu warten, kehrte er zum Ausgang zurück und der Junge stieß ein leises Stöhnen aus. „Und was ist mit den Beiden?!“, rief er ihm widerstrebend nach und erspähte eine ruppige Handbewegung. „Schlafen können die ja wohl alleine!“ Na herrlich… Allen fügte sich, schob sich von der Bank und tätschelte im Vorübergehen Lavis Schulter, sich daraufhin sofort darum bemühend, aufzuholen. Weshalb gerade Kanda? Er konnte sich weitaus bessere Partner vorstellen. Doch bedauerlicher Weise schliefen zwei der gewünschten Partner und letztendlich ließ man ihm keine Wahl. Als Kanda die Halle verließ, erreichte Allen ihn. Hinter ihm schob er sich in den Flur und wieder wurde mit der Mappe gefuchtelt. „Hol deinen Kram!“ Doch der Junge spurte nicht. Eine rege Erschöpfung befiel sein Gesicht und lässig blieb er stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du mich weiterhin so anschreist, bist du müde, bevor wir unser Ziel erreichen“, meinte er und offen richteten seine Augen auf den Älteren, der ihn anstarrte. Er hob die Augenbrauen. „Ehrlich, das können wir auch ruhiger gestalten. Tu mir den Gefallen. Und jetzt…“, entspannt wandte er sich zur Seite, seine Pupillen blieben an Kanda hängen, „… hole ich meinen Kram.“ Somit schlenderte er davon, ließ sich dennoch nicht zuviel Zeit und verschwand in einem naheliegenden Zimmer. Kanda versiegelte den schnellen Atem hinter den Lippen, seine Hand umklammerte die Mappe fester und nach einem dumpfen Murren warf er einen erneuten Blick auf die Unterlagen. Das besagte Bergwerk wurde schon vor einiger Zeit gegründet. Vor knapp zwei Jahren war dort wertvolles Material festgestellt und bis heute dennoch weite Gebiete des Untergrundes noch nicht erforscht worden. Flüchtig überflogen seine Augen die Zeilen und lösten sich von ihnen, als er das Geräusch der Tür vernahm. Den Mantel zuknöpfend, kehrte Allen zu ihm zurück, flink umschwirrte Timcanpy ihn und er wirkte noch immer äußerst ruhig und bedacht. Eine Entspannung, um die Kanda ihn annähernd beneidete und bevor der Junge ihn erreichte, wandte er sich ab und ging. Keine Stunde später, erreichten sie den Bahnhof und in der Zwischenzeit hatte Allen die Mappe in die Hände gedrückt bekommen. Aufmerksam vertiefte auch er sich in den Auftrag, ließ sich auf einer der hölzernen Bänke nieder und bearbeitete abwesend sein Kinn, während er las. Kanda stand in sicherer Entfernung am Gleis und die Ungeduld beherrschte ihn sichtlich, als er zur großen Uhr schaute. Der Zug wäre gleich da und doch hätte er es bereits sein können. Nun durften sie also noch warten und er verschränkte die Arme vor dem Bauch, während hinter ihm die Unterlagen raschelten. „Mm.“ Allen blätterte um und studierte die Landkarte, auf der das Ziel deutlich markiert war. Es würde mindestens fünf Stunden in Anspruch nehmen, es zu erreichen und der Junge streckte die Beine aus. Erst gegen Mitternacht wären sie dort und es würde eine lange Nacht werden. Nachdenklich richteten sich die grauen Augen auf den älteren Exorzisten und wieder bemerkte er die eigene Unzufriedenheit. Aufträge mit Kanda waren stets etwas… angespannt und still. Mit Lavi, Crowley oder Miranda konnte man sich wenigstens schön unterhalten und auch mit Linali war er sehr gerne unterwegs. Eigentlich mit allen, außer diesem einen… doch er tat, was getan werden musste und versuchte das Beste daraus zu machen. So oder so waren Außenmissionen nicht zum Spaßhaben gedacht. Aber ein kleines bisschen schadete nie. Er schürzte die Lippen, schloss die Mappe und beobachtete Timcanpy, der sich auf ihr niederließ. Wenigstens ihn hatte er dabei und lächelnd tippte er ihn mit dem Finger an. Die Hauptsache war doch, dass man sich im Kampf eine Stütze sein konnte und aus Erfahrung konnte er sagen, dass auf Kanda, seine Fähigkeiten und seine Aufmerksamkeit Verlass war, sobald sich ein Gefecht entwickelte. Zu den merkwürdigsten Momenten entwickelte er einen Teamgeist, den er im Alltag verbittert zurückzuhalten schien. Aus ihm wurde man nicht schlau. Schweigsam begann er sich mit Timcanpy zu beschäftigen und es dauerte wirklich nicht lange, bis das Gleis zu surren begann und sich der Zug aus der Dunkelheit der Nacht in den Bahnhof schlängelte. Also klemmte sich Allen die Mappe unter den Arm und kam auf die Beine. Auch die Fahrt verlief ruhig. Wie befürchtet und Allen versuchte sich wieder selbst zu beschäftigen, da Kanda nicht einmal in Sichtweite war. Vermutlich hatte er sich einen Platz in weiter Ferne gesucht und der Junge schloss die Augen und nahm sich vor, noch etwas zu ruhen, bis sie das Ziel erreichten. Vor seinem Fenster lag die tiefe Schwärze der Nacht und da es nichts gab, das man sich im Vorüberfahren anschauen konnte, war das die beste Entscheidung. Kurz rückte er nach vorn, machte es sich bequem und spürte, wie sich Tim auf seinem Schoß niederließ. Nur etwas ausruhen… gemütlich bewegte der Junge die Lippen und bevor er sich versah, war er eingeschlafen. Eine unbestimmte Zeit döste er etwas vor sich hin begann sich wieder zu regen, als man ihm liebevoll gegen das Bein trat. Ohne Worte zog Kanda somit an ihm vorbei, öffnete die Tür und verließ den Zug. Dieser hatte an einer unauffälligen Station gehalten und sofort sprang Allen auf und folgte seinem Kollegen. Dieser war auf den steinernen Bahnsteig hinabgetreten, schöpfte in der frischen Nachtluft tiefen Atem und verschaffte sich eine knappe Orientierung. Hinter ihm tastete sich nun auch Allen die schmalen Stufen hinab und sobald seine Stiefel den Boden berührten, fuhr der Zug auch wieder an. Geschmeidig setzte er sich in Bewegung und der Junge lugte zu der kleinen verstaubten Bahnhofsuhr. Kurz nach Mitternacht. Er wandte sich ab, betrachtete sich die finsteren Umrisse der Berge, die sich von dem klaren Sternenhimmel abhoben und beiläufig tastete seine Hand nach der Kapuze, um sie sich überzustreifen. Ein leises Rascheln ertönte, als Kanda die Mappe zückte und einen kurzen Blick hineinwarf. Weit konnte das Bergwerk nicht mehr entfernt sein und er drehte sich zur Seite und erspähte einen schmalen Weg, der in die Dunkelheit führte, von keinen Lampen erleuchtet wurde… ihr Weg. Ohne zu zögern schloss er die Mappe und in diesem Augenblick vernahmen die Beiden eilige Schritte. Aus der Dunkelheit drangen sie zu ihnen und kurz darauf erspähten sie einen Finder, der herangeeilt kam. Die Miene des älteren Exorzisten offenbarte wenig Interesse und abermals betrachtete er sich die steinige Umgebung, während der ältere Mann sie erreichte. „Kanda-san, Walker-san?“, begrüßte er sie und sein Atem bewies, wie sehr er sich beeilt hatte. Kanda würdigte ihn nicht eines Blickes und so wandte sich der Finder an Allen. „Mein Name ist Roko. Ich führe Sie zum Zielort.“ Schweigend setzte sich Kanda bereits in Bewegung und Allen tat es ihm gemeinsam mit dem Finder nach einem kurzen Zögern gleich. Sie schlugen den dunklen Pfad ein und während Kanda zügigen Schrittes voranging, herrschte hinter ihm nicht lange Stille. „Wie weit ist es von hier aus?“, erkundigte sich Allen nach wenigen Augenblicken. „Ein Fußmarsch von einer Stunde“, wurde ihm sofort geantwortet. „In der Nacht wird die Arbeit im Bergwerk unterbrochen aber ich habe dafür gesorgt, dass man Ihnen den Zugang gewährt.“ „Das ist nett“, freute sich Allen und Kanda verdrehte die Augen. Er klemmte sich die Mappe unter den Arm und als der erhellte Bahnsteig fern hinter ihnen lag, entzündete der Finder eine Öllampe, die ihren Weg erleuchtete. Dieser führte sie bald durch einen engen Bergpass und kurz darauf zu ihrem Ziel. Als ein steiler Abhang an ihnen vorbeizog, tauchte vor ihnen das riesige Lager auf. Kleine Häuser waren hie und da errichtet worden unter hinter einigen Fenstern brannte noch Licht. Auch die Bewegung vieler Arbeiter war zwischen den großen Zelten wahrzunehmen und für diese Uhrzeit herrschte noch immer geschäftiges Treiben. Geräusche drangen an ihre Ohren und überall brannten Öllampen, die die Gegend weitreichend erhellten. Finster klafften die mit Holzbalken gestützten Eingänge des Bergwerkes und still standen die schweren Transportwagen auf den schmalen Gleisen. Hinter Kanda war das Gespräch nur selten ins Stocken geraten und sobald Allen das Ziel erblickte, ging es weiter. „Wie viele arbeiten hier?“, wollte er beeindruckt wissen und der Finder ließ die Öllampe sinken, um ihn auf ein steiniges Hindernis aufmerksam zu machen. „Derzeit sind es zweihundert aber jeden Tag kommen neue Arbeiter dazu“, bewies er seine Kundigkeit und der Junge weitete die Augen. Auch Kanda hatte das Gebiet gemustert. Seine Lippen blieben versiegelt und akribisch tasteten sich seine Augen durch die Dunkelheit, die der offene Berg ausspie. Und hier sollte etwas sein? Nach wenigen Minuten erreichten sie die ersten Zelte und sahen überall die Männer, die scheinbar lieber draußen saßen. Mit Blechtassen und vertieft in Gespräche, saßen sie überall. Laut schnarchend wälzten sich auch einige in ihren Betten, die die einzeln geöffneten Zeltwände preisgaben. Noch immer beschäftigte sich Kanda mit der intensiven Musterung und blieb alsbald stehen. Auch Allen und der Finder hatten inne gehalten und die Flamme der Öllampe wurde gelöscht. „Wir müssen auf die andere Seite des Lagers“, erklärte er und wies in die Richtung. „Dort werde ich dem Leiter Bescheid geben.“ Kanda machte sich bereits auf den Weg und wieder folgten sie ihm. Lautes Lachen drang an die Ohren des jungen Mannes, als er ein Zelt nach dem anderen hinter sich ließ und viele misstrauische sowie auch überraschte Blicke blieben an ihm hängen. Die Beobachtung der Erscheinung schien hier nicht überall verbreitet worden zu sein und Allen führte das Gespräch mit dem Finder den gesamten Weg über fort. Auch Dinge, die nichts mit dem Auftrag zu tun hatten, interessierten ihn und gerne stand der Finder ihm Rede und Antwort. „Die Wertmetalle werden mit dem Zug abtransportiert und…“ Seine Stimme versiegte in Kandas Ohren und flüchtig lugte er zu einer großen Gruppe, die gemütlich auf dem Boden saß, heiter Bier herumgab und schallend lachte. „Und da suchte er nach seinem Schuh“, brüllte ein korpulenter Mann und die Augen seiner Kumpane stierten neugierig. „Und? Sag nicht, dass er…“ „Doch!“, schrie der Mann und beugte sich nach vorn. „Er hatte ihn an!!“ Das Lachen brach laut und ungestüm aus den Männern heraus und Kandas Lippen pressten sich aufeinander, als er den schmalen Pfad zwischen zwei Zelten nahm. „Ja ja, so ist er!“, erreichte ihn noch eine kräftige Stimme und er schöpfte tiefen Atem. Die Geräusche, die Stimmen… all die Umwelteinflüsse erreichten ihn und er spürte eine unerklärliche Nervosität. Allein das Gebrüll und das Lachen, das ihm aus unterschiedlichen Richtungen entgegen zog, ließ ihn unweigerlich zusammenzucken und bald heftete er den Blick stur auf den Boden. Natürlich… er brauchte Zeit, um sich in all das einzufinden, zu all dem zurückzufinden und er ertränkte seine seltsame Sensibilität in Nichtbeachtung und erreichte nach einem kurzen Marsch das Ziel. Wieder waren es kleine Häuser, die sich vor ihm erhoben und er blieb stehen. Es dauerte nicht lange, da holten die anderen Beiden auf und perplex starrte der Finder auf die finsteren Fenster des Hauses. „Der Leiter scheint nicht da zu sein“, murmelte er und Kanda verschränkte die Arme vor dem Bauch, unterdrückte ein mürrisches Ächzen. Wo war die Organisation und wozu gab es Finder, die für diese verantwortlich waren! „Und wo ist er?“, fragte Allen und der Finder rückte an seiner Kapuze, sah sich flüchtig um und wurde auf eine weitere kleine Gruppe aufmerksam, die nicht weit entfernt saß und sich guter Lauen unterhielt. „Verzeihung?“, rief er sie sofort und ein Mann kratzte sich an seiner Mütze, als er sich umdrehte und die Gäste bemerkte. Auch die anderen wurden auf diese aufmerksam und Kanda starrte wieder auf den Boden, während sich Allen der Beobachtung des Finders anschloss. „Ich suche den Leiter!“ „Was?“ Mit erfreulicher Bereitschaft kam der Mann auf die Beine und gesellte sich zu ihnen. Kandas Augen schweiften unterdessen über die finsteren Gleise, die durch das gesamte Lager zu führen schienen. „Der ist vor wenigen Minuten weggegangen.“ Unzufrieden rümpfte der Finder die Nase und Allen legte den Kopf schief, als er sich den hilfsbereiten Mann so betrachtete. Der Finder schien sich kurz in Gedanken zu verheddern und Allens Aufmerksamkeit wurde prompt erwidert. „Äh…“, unentschlossen öffnete der Junge den Mund und der Mann neigte sich etwas nach vorn, starrte ihn an. Doch ihm schien es schneller einzufallen und nach wenigen Momenten erhellte sich sein Gesicht. „Ah!“, rief er frohgemut und brach in leises Lachen aus. „Dich kenne ich doch!“ „Ich dich auch“, erwiderte Allen gedämpft und kratzte sich an der Nase. „Aber… woher…?“ „Na, wir haben Karten gespielt!“, erinnerte ihn der Mann und hob den Zeigefinger. „Im Zug! Du hast uns tierisch ausgenommen!“ „Ah, natürlich!“ Nun wusste es Allen und das unerwartete Wiedersehen schien ihm zu gefallen. Er schloss sich dem Lachen des Anderen an und mit finsterer Miene wurde Kanda darauf aufmerksam. „Gedulden Sie sich bitte kurz?“, hob da der Finder an und wandte sich ab. „Ich gehe den Leiter schnell suchen.“ „Ja, bitte.“ Nur kurz hob Allen die Hand, entzog seinem neuen Gesprächspartner jedoch nicht die Aufmerksamkeit. „Arbeitet ihr hier?“ „Richtig!“ Der Mann schnalzte mit der Zunge, ein spielerischer Klaps traf Allens Schulter und sofort wandte er sich ab und riss die Hand in die Höhe. „Tyki!! Hey, komm mal her! Schau mal, wen wir hie…“ Ein dumpfes Pochen, welches sich in Kandas Ohren erhob, ließ die Stimme des Mannes abbrechen. Binnen der kürzesten Zeit bröckelte eine jede Festigkeit aus seinem Gesicht und die Augen weiteten sich unter eiskalter Fassungslosigkeit. Reglos verharrte er an seinem Platz, perplex lösten sich die Augen von dem Arbeiter und ziellos starrte er um sich. Ein schmerzhaftes Stechen in der Herzgegend entriss ihm eine jede Haltung und er wurde sich der Tatsache bewusst, dass sein Atem stockte. Ein abgehacktes Keuchen drang über seine Lippen und strauchelnd wandte er sich zur Seite, verbarg den Mund unter dem Handrücken und erbebte unter einem kalten Schauer, der durch einen jeden Muskel raste. Was geschah…? Die Geräusche seiner Umgebung wurden in dem dumpfen Pochen seines Pulses ertränkt und mit bleicher Miene rang er nach Atem, während seine Pupillen sich fahrig über den dunklen Kies bewegten, ohne hängen zu bleiben. „Tyki heiße ich… Tyki… Tyki…“ Abermals zerbrach sein Atem an dem Schall der bekannten Stimme, die verbunden mit einer düstren Erinnerung in ihn eindrang. Zitternd presste sich seine Hand auf das Gesicht und er drehte sich weiter, kehrte einem jeden den Rücken und beugte sich leicht nach vorn. Diese Stimme…! Er hatte sie gehört… immer wieder… und verdrängt! Ihr keinen Gedanken gewidmet! Und sein Körper verzerrte sich unter einem schweren Druck, der sich auf seine Schultern legte. Keuchend rang er nach Halt, nach Festigkeit, schluckte schwer gegen den Druck in seinem Hals und richtete sich stockend auf. „Lass uns spielen… lass uns…“ Gleich der verzerrten Stimme eines Schreckgespenstes tobten die Erinnerungen in seinem Kopf, entrissen ihn der Realität. „Blut…“, schallte es in seinen Ohren, „… du duftest nach Blut.“ Ungelenk fuhr die Hand über das bleiche Gesicht und verkrampft schloss er die Augen. „Tyki!“, erhob sich wieder Ruf des Arbeiters, drang nur vernebelt in seine Wahrnehmung. „Wo bleibst du? Wir haben Besuch!“ „Ist das nicht viel schöner…“, rauschte das leise Wispern in Kandas Ohren und er unterdrückte ein ersticktes Husten. Fahrig suchten seine Augen nach dem Arbeiter, „… als zu sterben?“ Seine Augenwinkel zuckten, verbittert zwang er sich dazu, die Hand sinken zu lassen und der Vorhang eines Zeltes wurde zurückgeschlagen. „Mm… wunderschön.“ Der sanfte Klang der dunklen Stimme… Kanda schüttelte den Kopf, flüchtig bedeckten seine Hände die Ohren und perplex erfassten seine Augen die Bewegungen eines jungen Mannes, der aus dem Zelt stürmte, mit dem Fuß im Vorhang hängen blieb und stolperte. „Ich komme!“, ächzte er, kämpfte um das Gleichgewicht und balancierte die Tasse aus, die sich bei dem beinahen Sturz zur Hälfte geleert hatte. Heiß bedeckte der Kaffee den Ärmel seines ausgefransten Hemdes und er zog eine Grimasse, während er näher eilte. „Schau mal!“ Grinsend präsentierte der Mann den jungen Exorzisten und die ungepflegten Augenbrauen über der dicken Brille hoben sich überrascht. Auch die etwas spröden Lippen verzogen sich und heiter hob er die Hand zum Gruß. „Du!“ Er erkannte den Jungen sofort und Allen lachte auf. Es war ein freudiges Wiedersehen und Kanda, der sich etwas im Schatten eines Zeltes hielt, starrte auf das wirre lockige Haar. Lachend fand sich Tyki bei den Beiden ein und mit höflicher Zurückhaltung wurde Allens Schulter angestupst. „Was machst du denn hier?!“ „Ich bin im Dienst“, antwortete Allen und kratzte sich am Kopf. „Das gibt es ja nicht!“ Berauscht fuchtelte Tyki mit der Tasse und weiterer Kaffee schwappte über den Blechrand. „Dass wir uns noch einmal sehen, hätte ich ja nicht gedacht!“ Seine Stimme brach sich in einem wirren Leiern, als er sie erhob und Kanda schluckte erneut. Das Bild, welches sich ihm bot, dürfte eigentlich für Beruhigung sorgen, doch selbst die Tatsache, dass es allein der Name war, der sich hier ähnelte, brachte ihm nicht den geringsten Teil seiner Ruhe zurück. Er spürte das Zittern seiner Hände stärker denn je, ballte sie unter der kalten Gänsehaut und entzog Tyki seiner Aufmerksamkeit, um sich selbst und so gut wie möglich zu festigen. >Es ist alles in Ordnung!<, sagte er sich verbittert, rieb sich das Gesicht erneut und straffte die Schultern, den gehetzten Atem hinter den Lippen verbergend. >Es ist alles… in Ordnung!< „Wo ist denn dein Freund?“, erkundigte sich Tyki unterdessen neugierig und nippte an dem schwarzen Kaffee. „Der mit den hübschen Unterhosen.“ „Ah…“, Allen gluckste amüsiert und stemmte die Hände in die Hüften. Ja, er wusste sofort, worum es ging. „Diesmal bin ich nicht mit ihm unterwegs.“ „Mm?“ Die verfransten Augenbrauen hoben sich und unweigerlich wurde er auf den weiteren Exorzisten aufmerksam. Zielstrebig lugte er zu ihm und nur kurz traf ihn Kandas starrer Blick, bevor er ihn verbittert an den Boden nagelte. Flüchtig und unscheinbar erblasste etwaiger Ausdruck in dem Gesicht des Arbeiters. Die stetig grinsenden Lippen entspannten sich und die versteckten Pupillen tasteten sich über das etwas wirre Haar des jungen Exorzisten, bevor ein sanftes Schmunzeln seine Mundwinkel umspielte und sich seine Schultern unter einem genießerischen Lutfholen hoben und senkten. Seine Reaktion nahm nur wenige Sekunden in Anspruch und bevor sich Allen versah, neigte sich Tyki zu ihm. Sein Gesicht war schmollend verzogen und er verbarg den Mund heimlichtuerisch hinter der Hand. „Was schaut der so böse?“, flüsterte er und der Junge wackelte mit dem Kopf, wusste auf die Schnelle keine gute Antwort. „So ist er immer“, flüsterte er nach einem kurzen Grübeln und Tyki richtete sich mit einem verständnislosen Kopfschütteln auf. Wieder hob er die Tasse zum Mund, ließ sie jedoch wieder sinken und wandte sich ab. Mit wenigen Schritten hatte er Kanda erreicht. Mit bleichem Gesicht sah dieser ihn näherkommen. Sein Körper signalisierte ihm, dass er zurückweichen wollte, doch angespannt blieb er stehen und starrte auf die undurchsichtigen Gläser der Hornbrille. Es fiel schwer, das Keuchen zu unterdrücken und unscheinbar zuckte seine Miene unter einem weiteren Stechen der Entrüstung. >Es ist alles in Ordnung!< Er presste die Lippen aufeinander, als er von oben bis unten gemustert wurde und das äußerst auffällig. >Das ist nur ein Arbeiter!< „Hoh?“ Tyki richtete sich wieder auf, tollpatschig rückte er an der Brille und legte den Kopf schief. Intensiv musterte er das Gesicht seines Gegenübers und nach wenigen Momenten verzogen sich seine Lippen zum alten Grinsen. „Hey!“, stieß er perplex aus. „Du siehst ja aus, wie eine Frau!“ „Wa…“ Eine plötzliche heiße Woge riss Kanda mit sich. Die aufkeimende Wut ließ ihn erbeben und das Wort blieb in seinem Hals stecken. Grinsend stand Tyki vor ihm und seine Miene verzerrte sich unkontrolliert. „Du… verfluchter…“, bevor er es seiner Hand befahl, schnellte sie zum Griff des Katanas und wuterfüllt setzte er zu einem Schritt an. Eine Reaktion, die er von sich nicht gewohnt war, die ihn im Nachhinein erschütterte und ein fahriges Keuchen brach aus ihn heraus, als sich ihm ein Arm in den Weg streckte, eine Hand ihn zurückhielt. Allen war aufgetaucht und ihm in die Quere gekommen. „Kanda.“ Bestimmt regte er die Hand auf seiner Brust und sobald Kanda die Position der Eigenen registrierte, löste er sie vom Schwert. „Hey, beruhige dich. Das war nur ein Witz.“ Aufgebracht starrte Kanda sein Gegenüber noch immer an, konnte nicht die Augen abwenden und trat dennoch zurück. Tyki hatte sich unterdessen nicht geregt. Nicht einmal das Grinsen war verblasst und bevor sich Kandas Gesicht entspannte, lachte er auf. „Genau!“, stimmte er Allen freudig zu und in einer lässigen Bewegung und mit geballter Faust, schlug er dem jungen Exorzisten gegen die Schulter. Zielstrebig und mit weitaus mehr Kraft, als er bei Allen eingesetzt hatte. „Du solltest etwas lockerer werden!“ Die unscheinbare Wucht des Schlages erfasste Kanda wie ein Stromstoß und seine Miene verzerrte sich unter dem Schmerz der alten Wunde, der neu in ihm auflebte. Strauchelnd setzte er den Fuß zurück, presste die Lippen aufeinander und starrte zu Boden. Die Fassung entrann ihm augenscheinlich und Allens Gesicht entspannte sich verblüfft. Zorn wäre man auch in dieser Lage von Kanda gewohnt, doch die Pein der Schulter machte jeden Willen dazu zunichte und sein Mund blieb schweigsam, als sich der Schmerz lang anhaltend gestaltete. Noch immer musterten ihn die grauen Augen des Jungen, lenkten sich jedoch schnell auf Tyki zurück. „Was führt euch denn hierher?“, entzog dieser Kanda der Aufmerksamkeit und nach einer letzten beirrten Musterung seines Kollegen, wandte sich Allen ab. „Ah…“, er blinzelte und sammelte sich. „Es soll eine unerklärliche Lichtquelle gesichtet worden sein“, erklärte er dann und Tyki nagte an der Tasse. „Wir werden das untersuchen.“ „Aach?!“, brach es plötzlich aus Tyki heraus und Allen hob die Brauen. „Deshalb seid ihr hier?!“ Der Mann hörte sich ungläubig an und als Allen nickte, brach er in lautes Lachen aus und leerte auch den Rest des Kaffees, als er mit der Tasse zu gestikulieren begann. „Davon hab ich gehört! Ich hab es nicht selbst gesehen aber ganz so mysteriös war das gar nicht!“ Er lachte immer noch und sein Kollege rückte wieder an seiner Mütze. „Was soll daran mysteriös gewesen sein?“, raunte er und Tyki rieb sich die Nase, schien sich langsam wieder zu beruhigen. Schweigend harrte Kanda noch immer neben ihnen aus und sein Gesicht offenbarte völlige Absenz. Nur wenige der Worte drangen in sein Bewusstsein und noch immer schweiften seine Augen verstört über den Boden. Er führte seinen stillen Kampf. „Das war in einem Schacht“, half Tyki aus und Allen lauschte ihm aufmerksam. „Und heran kam man nicht, weil wir noch keine Werkzeuge für so ein übles Gestein haben.“ „Der Durchgang war zu schmal“, wisperte sein Kollege und Allen legte den Kopf schief. „Es war eine Öllampe“, lüftete Tyki endlich das mysteriöse Geheimnis und der junge Exorzist traute seinen Ohren nicht. „Sie muss irgendeinem Deppen reingerutscht sein. Brannte zwei Nächte und einen Tag und war so grell, weil das Gestein ihr Licht reflektiert hat.“ „Heute Morgen ist sie ausgegangen.“ Tykis Kollege kratzte sich das Kinn und Allen rümpfte die Nase. „Crack hat’s gesehen. Hey, wo ist der eigentlich?“ „Keine Ahnung.“ „Und ihr seid euch sicher?“ Allen wirkte weder enttäuscht, noch erfreut. Er trug die Tatsache, dass die Reise hierher vermutlich ein Fehltritt war, mit der ihm gegebenen Ruhe. Die hilfsbereiten Arbeiter nickten einstimmig und Tyki wurde auf die leere Tasse aufmerksam. „Aber trotzdem nett, dass ihr vorbeigeschaut habt“, nuschelte er daraufhin und grinste. Die Befürchtungen wurden bestätigt, als der Finder daraufhin mit dem Leiter zurückkehrte. Die Nachricht, dass das Licht verblasst war, war bereits zum schwarzen Orden geschickt worden, schien diesen nur nicht rechtzeitig erreicht zu haben. Und nun standen sie hier in der Nacht und der Leiter zuckte mit den Schultern. „Tja.“ Allen tat es ihm gleich und wandte sich an Kanda, der sich abwesend den Mund rieb. „Da haben wir es. Ein Irrtum.“ Er erhielt keine Reaktion und begann kurz zu grübeln. Seine Augen durchschweiften das Camp, richteten sich dann auf den dunklen Eingang. „Dürfte ich es mir trotzdem anschauen? Nur, um ganz sicherzugehen?“ „Natürlich“, antwortete der Leiter und Tyki begann mit seinem Kollegen zu schwatzen. „Aber finden werden Sie nichts.“ „Gut möglich aber danach werde ich trotzdem beruhigter sein.“ „Warten Sie, ich hole eine Lampe und führe Sie hin.“ Der Leiter trödelte zu einem der Häuser und Allen wandte sich abermals an Kanda. „Kommst du mit? Ein kleiner Blick kann nicht schaden.“ Und endlich schien Kanda ihn wahrzunehmen. Er sah ihn an, schürzte die Lippen und fuchtelte mit der Mappe. „Geh alleine, für mich ist das erledigt.“ „Oh… okay.“ Die Antwort kam nicht überraschend und als der Leiter mit der Lampe zurückkehrte, wurde es Zeit für den Abschied. „Also, vielleicht sehen wir uns ja wieder?“ Entspannt reichte Allen den beiden Arbeitern die Hand und sofort wurde diese geschüttelt. Tykis Griff ließ sich nur träge spüren und während sein Kollege lediglich mit den Schultern zuckte, nickte er freudig. „Ach, ich denke schon.“ „Na, hoffentlich.“ Allen ließ die Hand sinken und Tykis Bewegungen verrieten kein Zögern, als er erneut zu Kanda lugte. Ruhig betrachtete er ihn sich, versenkte die Finger in den wirren Locken und kratzte sich ausgiebig. „Kopf hoch“, erhob sich plötzlich seine Stimme in einem ruhigen Tonfall und stockend blickte Kanda auf, sah ihn an und erkannte ein mildes Schmunzeln. „Wenn man sich durch alles runterziehen lässt, kommt man nicht weiter.“ Kandas Hals bewegte sich unter einem trockenen Schlucken und stumm starrte er auf den Boden zurück. „Also dann!“ Die alte Heiterkeit erfasste Tyki und seine Hand versank in der weiten Tasche der ausgeleierten Hose. „Macht’s gut!“ „Du auch.“ Allen lächelte und daraufhin trennten sie sich. Tyki und sein Kollege kehrten zu den anderen zurück, um die letzten Stunden der Nacht totzuschlagen und der Finder begleitete Allen und den Campleiter bis zum dunklen Eingang des Berges, um sich anschließend neben diesen zu setzen und zu warten. Kanda blieb zurück und nur kurz sah er ihnen nach, bis er sich abwandte, sich in trägen Schritten der steinernen Treppe eines Hauses näherte und sich auf dieser niederließ. Achtlos wurde die Mappe in den Kies geworfen und schweigsam betastete er seine Schulter, stützte sie mit der Hand und spürte, wie sich die Schmerzen allmählich linderten. Noch immer raste das Herz in seiner Brust und er streckte die Beine aus, um sich die frische Luft einzuverleiben. Mit den Ellbogen stemmte er sich auf die obere Stufe und ekdemisch folgten seine Augen den Bewegungen eines einsamen Wolkenfetzens, der über ihn hinweg zog. Dieser Auftrag… forderte ihn auf eine Art und Weise, auf die er nicht aus gewesen war. Eine üble Ablenkung, die sich in die entgegengesetzte Richtung lenkte und Kanda wurde sich der Tatsache bewusst, dass er es bereute. Hier hatte nichts von dem Erhofften auf ihn gewartet und trübe blickte er dem Heimweg entgegen. In dem Berg verbarg sich nichts… die Reise… ohne das kleinste Vorkommnis und er senkte das Kinn zum Schlüsselbein, um die Augen zu schließen. Lahm kreuzte er die Beine und holte tief Luft. Es ging ihm schlecht… Er fühlte sich deprimiert. Keine Taten, kein Erlebnis… nichts und nun saß er schweigend hier, während Lachen und Heiterkeit an seine Ohren drang. Den Schock spürte er noch immer. Dass ihn ein Name… nur ein Name… derartig aus der Fassung zu bringen vermochte, drückte ihn nieder und abwesend ertasteten die immerfort zitternden Finger die saubere Scheide des Katanas. Er fühlte sich so gebrechlich, wie er es nicht für möglich gehalten hatte und mit düsteren Gedanken kämpfend, verharrte er an dem Platz, achtete auf nichts und niemanden und rieb sich nach einigen Augenblicken das Gesicht. Es durfte nicht sein… Er rappelte sich auf, legte die Ellbogen über die Knie und befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Es war nur ein geringer Zwischenfall… nichts, das ihn aus der Bahn werfen durfte. Kein Rückfall zu verdrängten Ängsten. Seine Gedanken hatten sich auf das Hier und Jetzt zu richten. Wenn sie zu sehr in die Vergangenheit schweiften, würden sie zu Grunde gehen und alles, was ihn ausmachte, mit sich reißen. Die schönen Seiten des Lebens, hm? Ein kraftloses Grinsen zog an seinen Lippen und seufzend ließ er den Kopf sinken. Es tat weh und das Grinsen schwächte augenblicklich ab. Im Hauptquartier war es ihm besser ergangen. Vor Unerwartetem konnte man sich an diesem Ort schützen, niemanden treffen, den man nicht kannte… es war leicht, sich dort vor etwaiger Gefahr zu verstecken und in diesem Augenblick war ihm danach. Könnte man sich von der Welt abgrenzen… Könnte man alles abschalten, was sie ausmachte… all die Gefühle, die Gedanken… Könnte man sich zurückziehen an einen Ort, der leer und still war. Er würde es tun. Wenn auch nur für kurze Zeit. Er trieb zu dem Sinnieren zurück, von welchem er sich zu lösen versuchte und zu spät wurde er sich dessen bewusst und richtete sich auf. >Weiter…<, nur undeutlich und kraftlos erreichte ihn der Gedanke. >Es geht… immer weiter.< „Du tust dir… keinen Gefallen…“, durchdrang eine sanfte Stimme die Stille, die er für sich geschaffen hatte und trübe starrte er auf die steinerne Stufe unter sich. >Ja…< Er nickte matt und presste die Lippen aufeinander. Fremder Atem erreichte ihn und gleichzeitig eine kühle Böe. Kitzelnd streifte das Haar seine Wangen. „Entspann dich“, ein Keuchen rauschte in seinen Ohren, vermischte sich mit dem Pfeifen des Windes. „Du tust dir… keinen Gefallen.“ Er kannte diese Worte… Er kannte sie…! Fahrig presste er die Augen zu, stemmte sie gegen die Hände und hielt den Atem an. >Ich verliere den Verstand!< Peinigend erfasste ihn diese Angst und er biss die Zähne zusammen. Es ließ sich nicht verhindern. Die Panik fraß sich durch ihn wie alles versengende Flammen und er kroch unter ihnen in sich zusammen. >Ich verliere den… ich werde es nicht los… nicht los…!< Sein Gesicht verzerrte sich und die bebenden Hände ballten sich zu Fäusten. Er bekam es nicht aus dem Kopf! Wie eine Krankheit rumorte es ihm! Geräusche… Stimmen…? In nicht weiter Entfernung knirschte der Kies und er fuhr in die Höhe, starrte auf Allen, der, gemeinsam mit dem Campleiter und dem Finder zu ihm zurückkehrte. Ein letzter hastiger Atemzug, dann schloss Kanda den Mund, räusperte sich und kam gezwungen auf die Beine. Ein schmerzhafter Zwiespalt unter der ersichtlichen Hülle. Allen sah ihm nur einen gewissen Teil der Aufregung an, als er stehen blieb und hilflos die Hände hob. „Fehlalarm“, bestätigte er und der Leiter machte sich wieder auf den Weg zu eigenen Aufgaben. „Mit dem Bergwerk ist alles in Ordnung.“ ‚Wir können zurück’… das war das Einzige, was Kanda seinen Worten entnahm und schweigsam nickte er, während sich der Finder nach der Mappe bückte. „Ich begleite Sie zur Bahnstation.“ Somit brachen sie auf und verließen das Lager. Derselbe Weg führte sie durch die Dunkelheit und erneut ging Kanda vorne. Die eine Hand fest um die Schwertscheide gelegt, die andere gesenkt, schob er sich durch einen schmalen steinigen Pass und trat auf die freie Fläche hinaus. Er entfernte sich von jenem Ort und dennoch gab es einen ständigen Gefährten, der seine Gedankenwelt dorthin zurückzog… zu jenem Moment, als der Name an seine Ohren drang, ihn erbeben ließ. Er blickte nicht zurück. Starr verfolgten seine Augen das Gestein, das langsam unter ihm vorbeizog und bald auch seinen Schatten, der voranging. Hinter ihm leuchtete die Öllampe und beinahe permanent vernahm er die Stimmen seiner Begleiter. Wie leicht Allen all dies nahm… ein Fehltritt… und? Dann kehrten sie eben zurück und sahen, wie es weiterging? Kanda wünschte sich, die Sache mit denselben Augen sehen zu können, so leicht zu nehmen. Für ihn war all das ein herber Rückschlag, ein weiterer Schritt, mit dem er sich vom schier unerreichbaren Ziel entfernte. Er fühlte sich abscheulich und mit jedem Schritt entbrannte der Kampf in ihm neu. Er fühlte sich verformt… zärtliche Berührungen hatten ihn verbogen. Er war nicht mehr der Alte. Wie ein Siegel, das die Lippen in seine Haut gebrannt hatten… und stockend glitt die Hand über seinen Bauch hinweg. Was war er noch? Was stellte er dar? Bald erhoben sich in weiter Ferne die Lichter der Bahnstation und er konzentrierte sich auf das leerstehende Gleishaus. Auf die finsteren Fenster und ein jedes Detail. Die Glühbirnen erfasste er bald deutlicher und vernahm ihr defektes Summen, als er den Bahnsteig betrat und zur Uhr blickte. Es war halb vier und er folgte dem Verlauf der beiden Gleise in beide Richtungen, bevor er sich dem alten Fahrplan zuwandte und diesen studierte. Der Zug würde noch eine halbe Stunde auf sich warten lassen und er suchte sich eine etwas entfernte Holzbank, auf die er sich sinken ließ, um weiterhin und teilnahmslos gen Horizont zu starren. Des Öfteren richteten sich Allens Augen auf ihn, auch jetzt musterte er ihn flüchtig, bevor er von dem Finder abgelenkt wurde. Auch dieser hatte sich kurz in den Plan vertieft. „Ich muss noch weiter“, erklärte er und wies in die andere Richtung. „Ich werde Sie nicht zum Hauptquartier zurück begleiten.“ „Wann kommt dein Zug?“, erkundigte sich Allen sofort und ließ die Mappe sinken, als Tim diese anstupste. „In fünf Minuten.“ So wurde die entspannte Konversation weitergeführt und als sich ein leises Surren erhob, erwachten Kandas Augen zu altem Leben. In den letzten Minuten noch starr und reglos, richteten sie sich nun auf die Gleise. Der Zug kam… wie herrlich, dass das pausenlose Gerede nun sein Ende fand. Er drehte das Gesicht zur Seite, starrte finster auf den Finder und anschließend auf die matten Lichter, die sich langsam aus der Dunkelheit der trostlosen Ebene hervorhoben. Er verfolgte die Bewegungen der Scheinwerfer und legte den Hinterkopf auf die Rückenlehne, als der Zug sie erreichte und sich der Finder von Allen verabschiedete. Kurz starrte er gen Himmel, bevor er die Augen schloss und das Quietschen der Bremsen vernahm. Gemächlich machte sich der Finder auf den Weg zu einer der Türen und er konnte sich auch Zeit lassen, da der Zug diesmal einen Zwischenstop einlegte. Allen hob die Hand, winkte dem Finder ein letztes Mal und hielt in seinen Bewegungen inne, als er jemanden erspähte. Eine andere Tür öffnete sich und mit einem entspannten Satz stand Lavi auf dem Steig. Flink erkannte er Allen, hob lässig die Hand und schlenderte näher. Der Schal rutschte von seinem Hals und entspannt warf er ihn zurück. Unterdessen war der Finder im Zug verschwunden und müde trat auch der Schaffner ins Freie, um sich eine Zigarette zu gönnen. „Lavi?“ Allen war überrascht und der Angesprochene grinste heiter, als er vor ihm zum Stehen kam. Ja, er wirkte wirklich putzmunter und labte sich kurz seufzend an der Nachtluft. „Was machst du denn hier?“ „Neuer Auftrag“, erwiderte er entspannt und stemmte die Hände in die Hüften. Seine Augen machten sich auf die Suche und fanden ihr Ziel, als er sich an dem Jungen vorbeilehnte. Reglos verharrte Kanda und schien zu schlafen. Das Gesicht des Rothaarigen erhellte sich und mit einem Nicken wies er auf den jungen Mann. „Du wirst wohl alleine zurückfahren müssen. Ich hole Kanda ab und fahre gleich mit ihm weiter.“ „Ach so.“ Ein knapper Blick zur Uhr bewies, dass ihnen noch genug Zeit blieb, bis der Zug weiterfuhr und so nutzte Allen den Moment, um ihn besorgt zu mustern. „Als ich gehen musste, haben du und Crowley tief und fest geschlafen“, murmelte er und Lavi zog eine Grimasse. Unweigerlich richteten sich seine Augen abermals auf Kanda. „Ist alles in Ordnung?“ „Tjaha.“ Lavi lachte auf und kratzte sich am Kopf. „Aber natürlich… was die Müdigkeit eben so mit einem macht.“ Eine düstere Erinnerung schien ihn einzuholen und er ließ die Hand sinken. „Der Panda-Opa hat uns wieder wach gekriegt.“ „Oh.“ „Nja.“ Schmatzend stemmte Lavi die Hände in die Hüften, schien das Erlebte zu verdrängen und grinste kurz darauf wieder. „Ich werde Kanda dann mal Gesellschaft leisten. Tut mir leid, dass wir dich hier zurücklassen müssen.“ „An der Unterhaltung wird sich nicht viel ändern.“ Allen legte den Kopf schief und Lavi, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, hielt inne. „Ist etwas passiert?“, erkundigte er sich und Allen grübelte nur kurz. „Er hat sich mit einem der Arbeiter in die Haare gekriegt… etwas überreagiert, wenn du mich fragst. Und seitdem…“, er schloss sich Lavis Beobachtung an, „… er ist völlig teilnahmslos.“ Kritisch sah er den Älteren an. „Bist du dir sicher, dass er einem weiteren Auftrag gewachsen ist? Auf mich wirkt er eher so, als bräuchte er dringend etwas Ruhe.“ Lavi nahm seine Besorgnis augenscheinlich sehr ernst. Grüblerisch verzog sich seine Braue, während er die Haltung des jungen Mannes studierte. „Komui hat gesagt, dass ich ihn mitnehmen soll. An der Entscheidung kann ich so oder so nichts ändern, also werde ich es wohl auf mich zukommen lassen.“ „In Ordnung.“ „Also, man sieht sich.“ Somit zog Lavi an ihm vorbei und Allen hob flüchtig die Hand. „Mach’s gut.“ Zielstrebig schlenderte er so über den langen Bahnsteig, näherte er sich der kleinen Unterdachung und somit dem jungen Mann, der es sich auf einer der Bänke bequem gemacht hatte. Seine Bewegungen offenbarten nicht das geringste Zögern, als er sich gemütlich neben ihm niederließ. „Halli Hallo.“ Sofort öffnete Kanda die Augen. Man hatte nicht damit gerechnet, ihn hier zu treffen und eine leichte Verwunderung war ihm anzusehen, als er das Gesicht zu dem Älteren wandte, ohne den Kopf von der Lehne zu heben. Lavi grinste ihn flüchtig an und begann kurz in seinen Hosentaschen zu wühlen. Zwei Blätter waren es, die er hervorzog und sie waren in so einem üblen Zustand, dass er sie kurz zurecht rupfte, bevor er sie seinem Nebenmann reichte. „Bereit für den nächsten Auftrag?“ Trübe erfassten Kandas Augen die Zettel und mit einem Schlag schien eine jede Trägheit von ihm gefallen zu sein. Beinahe übertrieben schnell richtete er sich auf und Lavi wurden die Blätter förmlich aus der Hand gerissen. „Wir fahren hier gleich weiter. Die Angelegenheit ist dringend“, erklärte er, als Kanda den Inhalt studierte und wies mit einem Nicken auf den Zug. An Kandas Gesicht konnte man nicht erkennen, wie er diesen weiteren Auftrag auffasste. Er las geschwind, wendete das Blatt und starrte auf den Plan. Weitere Stunden würde er nun also mit dem Zug reisen und das, worum sie sich anschließend zu kümmern hatten, klang nicht wie eine Sache, die sich als Missverständnis entpuppen konnte. Er schürzte die Lippen und wandte sich dem anderen Blatt zu. Ein ernster Auftrag, der offensichtliche Gefahren barg - eine glückliche Fügung des Schicksals. Er spürte ein Kribbeln in den Händen und neben ihm kam Lavi gemächlich auf die Beine. Der Schaffner schmiss die Zigarette bereits zur Seite. Es wurde langsam Zeit, dass sie aufbrachen und Lavi machte sich bereits auf den Weg. „Kommst du?“ Es fiel Kanda sichtlich schwer, sich von den Unterlagen loszueisen und seine Augen vertieften sich noch immer in die Schrift, als er auf die Beine kam und dem Älteren folgte. Ohne Allen zu beachten, stieg er in den Zug, bog zu den Kabinen ab und ließ sich auf der erstbesten Bank nieder. Sein Blick hatte sich kein einziges Mal von den Zetteln gelöst und erst, als sich Lavi ihm gegenüber niederließ, sah er auf und starrte ihn an. Die Beine an den seinen vorbeigestreckt und die Hände auf dem Bauch ineinander gefaltet, hatte Lavi es bequem und ein kurzer Augentontakt baute sich auf, bevor Kanda sich wieder den Unterlagen zuwandte… und schwieg. Lavi registrierte es wohlwollend und ein flüchtiges Schmunzeln verlieh seinen Lippen Ausdruck. „Nochmals Danke für den Tee“, hob er dann plötzlich an und Kanda rümpfte die Nase. „Er war wirklich köstlich.“ Darauf antwortete Kanda nicht. Es wirkte nicht einmal so, als hätte er ihn gehört. Stumm machte er sich mit dem Kommenden vertraut und dann entrann ihm ein ungewisses Murmeln, das seine Aufmerksamkeit bewies. In diesem Moment erfasste sie ein leichter Ruck und der Zug setzte sich in Bewegung. Ein Schweigen brach über sie herein und Lavi ließ es recht bald enden. „Ich war überrascht, euch schon an den Gleisen zu finden“, wunderte er sich, ließ Kanda unterdessen nicht aus den Augen. „Gott, ich habe damit gerechnet, euch überall suchen zu müssen und dann seid ihr schon da. War es ein Fehlalarm?“ Ein stummes Nicken brachte die Antwort und endlich schien Kanda fertig zu sein. Raschelnd ließ er die zerknitterten Blätter sinken, holte tief Luft und lehnte sich zurück. Seine Pupillen richteten sich auf das Fenster, starrten in die Dunkelheit, die hinter diesem lag. Kurz wirkte es so, als wolle er etwas sagen, doch dann blieben seine Lippen versiegelt und die Augen nach draußen gerichtet. Er schwieg und Lavi beschloss, es ihm gleichzutun. Er spürte den Zeitpunkt, an dem er es aufgeben konnte, auf ein Gespräch hinzuarbeiten. Er war gerne ein Mensch vieler Worte, fand jedoch auch in der Stille seinen Vorteil. Also verharrte er reglos, vertiefte sich in den eigenen Atem und bereitete sich auf das Kommende vor. Zwei Exorzisten galt es zu bergen. Deren Auftrag, einen Akuma zu zerstören, gestaltete sich schwerer, als erwartet und nun waren sie auf dringende Unterstützung angewiesen… die sie auch erhielten. Bald gab es nur noch das leise Rattern der Räder und weit entfernte Stimmen anderer Reisender. Tief in Gedanken versunken starrte Lavi auf den Horizont, der sich allmählich erhellte und Kanda hatte die Augen geschlossen. Seine Hand lag auf den Zetteln gebettet und allein seine Finger, die sich hin und wieder regten und über die Schrift glitten, bewiesen, dass er nicht schlief. Seine Gesichtszüge wirkten entspannt, seine Haltung nicht minder und da der vorherige Auftrag ihm keine Kraft gekostet haben konnte, zweifelte Lavi kaum daran, dass er ihn bewältigte und sich mit der gewohnten Entschlossenheit zeigte. Vielleicht war es genau das, was er benötigte…? Abwägend begann er ihn bald zu durchmustern, stemmte den Ellbogen auf die Armlehne und die Wange in die Hand. Man ermöglichte ihm die uneingeschränkte Beobachtung und er ging ihr sorgfältig nach. Er selbst hatte eingewilligt und Allen nicht die Wahrheit gesagt. Komui hatte ihm die Wahl gelassen und in diesen Augenblicken könnte er ebenso mit Crowley reisen. Eine kurze Beratung hatte stattgefunden und er hatte sich entschieden. Es verschaffte ihm etwas Beruhigung, mit Kanda unterwegs zu sein… nicht mit einem anderen Exorzisten und neben diesem mit dem Gedanken, dass Kanda an einem anderen Ort… auf dem Weg zu einem anderen Auftrag war. Mit einem anderen Kollegen an seiner Seite. Es war eine Herausforderung, wohl auch eine leichte Belastung, doch er hatte sich die Möglichkeit gegeben, auf Kanda einzuwirken und Obacht zu geben. Er fühlte sich dazu verpflichtet und seine Miene schweifte selbst in eine leichte Absenz, während er sich sein Gegenüber betrachtete. Blass war er… anders, als zu dem Zeitpunkt, an welchem er nach dem Schlaf den Speisesaal betreten hatte. Und selbstverständlich entging ihm auch das Zittern der Finger nicht. Er bewegte die Lippen, runzelte die Stirn und wandte den Blick ab. Sie erreichten das Ziel nach zwei Stunden. Längst schon schlängelte sich der Zug durch bewohnte Gegenden und erreichte eine Kleinstadt nahe den Bergen, die in der Morgensonne erstrahlten. Früh war Lavi der hier herrschende Zustand aufgefallen. In der Nähe des Bahnhofes herrschte reges Treiben. Viele Menschen scharrten sich an den Gleisen und man könnte meinen, es sei eine Flucht. Als der Zug dann den Bahnhof erreichte, richtete sich Lavi im Polster auf und sofort wurde auch Kanda aufmerksam. Er hob die Lider, bemerkte das Treiben vor dem Fenster griff nach den Unterlagen. Lautes Stimmengewirr drang sogar durch das Glas und als sie die Türe des Zuges öffneten, um auszusteigen, erhob es sich beinahe unerträglich. Es war eine riesige Menschenmenge, durch die sie sich kämpften, die sich ungeduldig in den Zug drängen wollte. Mit finsterer Miene wand sich Kanda zwischen den Menschen, bahnte sich einen Weg und erreichte erleichtert einen freien Platz in der Nähe des Ausganges. Keuchend erreichte ihn auch Lavi und während sich der junge Mann noch auf die Knie stützte, um sich zu erholen, erspähte Kanda einen Arm, der aufgeregt über den Köpfen der Menschen auf und ab wippte. „Hier! Hier!“, erreichte sie gedämpft eine Stimme und kurz darauf kämpfte sich ein Finder zu ihnen durch. Auch er sah mitgenommen aus, als er bei ihnen stehen blieb. „Kanda-san! Lavi-san! Endlich sind Sie da! Bitte folgen Sie mir!“ Es galt, keine Zeit zu verschwenden und kurz darauf folgten sie dem Finder bereits durch die Straßen. Reges Treiben herrschte überall. Menschen strömten aus einer Richtung in die andere und es war nicht schwer, die Staubwolke zu erkennen, die schwer über einem entfernten Stadtteil hing. Dort schien sich der Kampf abzuspielen und sie beeilten sich, sahen andere Finder umhereilen und erreichten nach einem zügigen Marsch von einer halben Stunde einen breiten Fluss. Mit jedem Meter, den sie auf dem Weg hierher hinter sich gelassen hatten, hatten die Menschenmassen abgenommen und vor der Brücke, die zu jenem Stadtteil führte, waren lediglich noch ein paar Finder stationiert, die sie aufgeregt erwarteten. „Der Kontakt zu den beiden Exorzisten ist abgebrochen!“, empfing sie sogleich einer von ihnen und gestikulierte aufgeregt in Richtung des anderen Ufers. „Es handelt sich um einen einzigen Akuma?“, vergewisserte sich Lavi skeptisch, als er an der Staubwolke den Grad der Verwüstung einschätzte. Kanda war kaum stehen geblieben und steuerte bereits auf die Brücke zu. Kurz sah Lavi ihm nach. „Soweit wir wissen, ja!“, erhielt er die aufgebrachte Antwort und nickte, sich ebenso abwendend. „In Ordnung.“ Knapp hob er die Hand, drehte sich um und folgte Kanda. In zielstrebigen Schritten betrat dieser die Brücke, als er eingeholt wurde. „Du hast dir das Ziel des Auftrages verinnerlicht?“, wandte er sich mit einem Hauch von Besorgnis an Kanda, der lediglich nickte. „Die Rettung der Exorzisten steht an erster Stelle.“ Daraufhin stieß Kanda nur ein wirres Brummen aus und Lavi wusste, dass jedes weitere Wort nichts mehr brachte. Also schwieg er und holte tief Luft. Er wusste nicht, worauf er sich hier einließ und unauffällig lugte er zu seinem Nebenmann. Doch wie gesagt, er würde es auf sich zukommen lassen. Eine andere Möglichkeit blieb ihm nicht. Als sie die Brücke beinahe überquert hatten, verschnellerten sich ihre Schritte und auf höchste Vorsicht angewiesen, achteten sie von nun an strikt darauf, wo sie hintraten, um etwaigen Lärm zu unterbinden. Unter keinen Umständen wollten sie es dem Zufall überlassen, ob der Akuma auf sie aufmerksam wurde und leise pirschten sie sich in die Stadt. Wachsam tastete sich Lavi an eine Ecke heran, lehnte sich hinter dieser hervor und verschaffte sich kurz einen Überblick. Ein großer Innenhof lag vor ihnen. Übersät mit Mauerwerk und Gesteinsbrocken… verlassen und leer. „Ist er noch hier?“, hauchte er etwas angespannt in Kandas Richtung, als er zur Seite trat, aufmerksam über das Gestein hinweg und zu einer nahen Gasse spähte. Die dunklen Augen seines Kollegen richteten sich auf den Himmel. Pure Konzentration ließ sie funkeln und nachdem er kurz in die Stille ihrer Umgebung hineingelauscht hatte, löste er sich von der Mauer und näherte sich Lavi. „Sicher“, flüsterte er zurück und der Rothaarige nickte. „Sauber.“ Sicheren Schrittes pirschte sich Kanda also an ihm vorbei. Auf die Beobachtung Lavis vertrauend, überquerte er den ungeschützten Innenhof, schob sich in die Gasse und blickte kurz zurück. Auf eine knappe Handbewegung folgte Lavi und gemeinsam kämpften sie sich weiterhin durch die Trümmerhaufen des erbitterten Kampfes. Leise bewegten sich ihre Füße auf dem Boden, flink waren ihre Bewegungen und abermals hielten sie inne, als sie einen großen Marktplatz vor sich erspähten. Hinter einem Mauervorsprung gingen sie in die Knie und musterten die Fassaden, die den Platz umgaben. Kontrolliert senkte sich Kandas Hand zum Boden und er stützte sich ab, während sich Lavi auf den Knien nach vorn schob, um die andere Seite des Platzes im Blick zu haben. Einen Akuma, der zwei Exorzisten solche Probleme bereitete, hatten sie lieber vor sich, als im Rücken und ein Hinterhalt galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Sie waren die Unterstützung, hatten selbst auf keine zu bauen. Schweigend lauschten sie in die Stille hinein und gleichzeitig wandten sie sich zur Seite. Leise rieselte der gebrochene Putz aus der Fassade neben ihnen und ebenso schnell wandten sie sich wieder nach vorn. Dieser Platz war groß… es würde seine Zeit in Anspruch nehmen, ihn zu überqueren und ein leichter Hauch der Gefahr lag in der Luft, deutlich spürbar. Kanda atmete tief durch, Anspannung verlieh seinem Gesicht Ausdruck und nach einem kurzen Grübeln, stemmte er sich ab. „Ich gehe zuerst“, flüsterte er in Lavis Richtung und als dieser nach einer letzten Beobachtung die Hand hob, setzte er sich in Bewegung. Geschmeidig kam er auf die Beine, verließ die schützende Mauer und überquerte den Platz. Es schien, als würde es seinem Körper an nichts mangeln, als er über einen umgeworfenen Stützpfeiler hinweg sprang. Den Blick stur nach vorn gerichtet, setzte er sein Vertrauen in Lavis Aufmerksamkeit, doch dieser verhielt sich still und nach kurzer Zeit rutschte er in die nächste Gasse, sicherte seine Position und suchte Blickkontakt zur gegenüberliegenden Seite des Platzes. Akribisch suchten seine Ohren nach dem kleinsten Geräusch und langsam hob er die Hand. Aufmerksam verfolgte Lavi seine Bewegung, er war bereit, richtete sich auf und fixierte Kanda fest. Dessen Hand blieb reglos erhoben, das Haar schnellte durch die Luft, als er das Gesicht zur anderen Seite drehte, sich umsah und zögerte. Lavi leckte sich die Lippen, blinzelte und erfasste eine abrupte Handbewegung, die ihn warnte. Eine strikte wagerechte Bewegung und gleichzeitig schoben sich beide zurück. Ein leises Donnern hatte sich hinter Kanda erhoben, das Bröckeln schweren Gesteins und er stoppte den Atem, als er sich tiefer in die Gasse zurückzog. Lavi war zurückgewichen, presste sich gegen den Mauervorsprung und wurde nun auch darauf aufmerksam. Beunruhigt sah er sich um, verließ jedoch nicht den schützenden Ort und zog die Beine an, als sein Auge eine heftige Bewegung erfasste. Dort!! Sein Mund öffnete sich wortlos und sein Auge weitete sich bei dem Anblick, der sich ihm bot. Wie ein Pfeil war eine schwarze Kreatur in die Lüfte geschossen und nach einem riesigen Satz ging sie donnernd auf das Dach nieder. Sicher fanden ihre klauenartigen Hände und Füße Halt. Klirrend zerbrachen die Ziegel unter ihnen und scheppernd rutschten sie die Schräge hinab. Den Atem zurückhaltend, drehte Kanda das Gesicht nach oben, sofort erfassten seine Pupillen Bewegungen und rasch hob er die Arme über den Kopf und senkte ihn, als kleine Teile der Ziegel auf ihn niederprasselten. Lavi war noch immer in die Musterung vertieft. Dieser Akuma war von normaler menschlicher Größe, wies jedoch einen Körper mit wendiger dürrer Form auf. Die langen dünnen Beine, die sehnigen Arme… Lavi verengte das Auge, neigte sich nach vorn und erblickte eine von schwarzen Stacheln übersäte Haut. Lange Krallen bohrten sich unterdessen durch das halbe Dach des Gebäudes und weiteres Gestein rieselte hinab. Der Kopf des Akuma war von seltsamer länglicher Form, nicht minder geschützt durch Stacheln und ein riesiges Maul, in welchem scharfe Zähne übereinander ragten. Ein Level 2… so, wie er es vermutet hatte. Er dankte Kandas Aufmerksamkeit, entspannte sich bei einem tiefen Atemzug und verfolgte, wie der Akuma sich tief hinabbeugte, sich kurz darauf abstieß und mit einem weiten Satz über zwei weitere Dächer hinwegsetzte. Er verschwand zwischen ihnen und endlich löste Kanda die Hand vom Mund, um unter all dem Staub und Dreck zu husten. Eilig wischte er sich über das Gesicht und der Schmutz rieselte von all seinen Gelenken, als er auf die Füße sprang, dennoch knien blieb und wieder nach Lavi suchte. Kurz lauschten sie in die zurückgekehrte Stille und Kanda gab erst das Zeichen, als sich in weiter Entfernung erneutes Dröhnen erhob. Auch Lavi überquerte den Platz daraufhin und gemeinsam pirschten sie sich weiter. Die Gasse führte sie zu einer breiten Straße und das fortwährende Wüten des Akuma in weiter Ferne war beruhigend. Annähernd unaufmerksam konnten sie sich bewegen und leise traten sie auf die Straße hinaus, hielten sich nahe der Häuserwände und kamen schnell voran. Dicht hielt sich Kanda hinter Lavi, übernahm die Überwachung des zurückgelegten Weges und reagierte rechtzeitig, als Lavi abrupt inne hielt und die Hand hob. Erneut drang das Dröhnen an ihre Ohren, doch etwas anderes war der Grund für das rasche Halt machen. Eine flüchtige Handbewegung Lavis machte Kanda auf die andere Seite aufmerksam und er starrte dort in einen schmalen Durchgang. Ein Trümmerhaufen bot sich dort seinen Augen und sofort erfassten diese mehr, als das. Der Stoff einer schwarzen Uniform war unter dem Gestein auszumachen und reglos ragte eine Hand ins Freie. Kurz trafen sich ihre Blicke und als der Akuma erneut die weite Entfernung zu ihnen bewies, setzten sie sich in Bewegung. Die Straße ließen sie schnell hinter sich, verschwanden zwischen den Häusern und eilten zu den Trümmern. Nur kurz betrachtete sich Kanda die reglose Hand, bevor er zur Seite trat, sich an der Fassade postierte und die Umwelt im Auge behielt. Lavi war unterdessen in die Knie gegangen und zielstrebig streifte er den Ärmel der Uniform höher, tastete am Handgelenk und hielt konzentriert inne. Ein Zucken durchfuhr seine Miene, verbissen senkte er den Kopf und als Kanda zu ihm lugte, erkannte er ein bitteres Kopfschütteln. Für einen der Exorzisten kam eine jede Hilfe zu spät und die Ungewissheit über den Verbleib des Zweiten zwang sie dazu, weiterzugehen. Lavi kam auf die Beine, flüchtig fuhr er sich über den Mund und Kanda drehte sich zur anderen Seite. „Folgen wir dem Akuma“, riet er und lehnte sich nach vorn, die Beobachtung fortsetzend. „Der Exorzist ist sicher nicht weit.“ „Der Exorzist hat Priorität“, erwiderte Lavi und abwägend richtete sich sein Auge auf den Jüngeren. „Wir lassen uns auf keinen Kampf ein, wenn nicht sein Leben davon abhängt.“ „Und wenn er tot ist?“ Kandas Hand bettete sich auf dem Heft des Katanas, seine Stimme verriet Anspannung. „Sollen wir ihn den Rest der Stadt auch noch zertrümmern lassen?“ „Zuerst einschätzen, dann handeln“, beharrte Lavi und Kanda setzte sich bereits in Bewegung. Die Zustimmung blieb aus und Lavi konnte sich dennoch keine Zeit dafür nehmen. Er presste die Lippen aufeinander und eilte ihm nach. Aufmerksam und gewandt folgten sie also den Geräuschen, koordinierten ihr Vorankommen und immer wahrscheinlicher wurde es, dass der zweite Exorzist in der Nähe des Akuma war. Dieser schien sich an einem Ort festzusetzen und sie mussten die Richtung nicht ändern und spürten bald, wie der Erdboden unter dem Grollen erbebte. Eine entsetzliche Kraft musste all das Gestein zertrümmern und Lavi würde alles Menschenmögliche tun, um einem direkten Aufeinandertreffen aus dem Weg zu gehen. Entschlossenheit formte sein Gesicht, als er um eine Ecke schlitterte, sich an einer Wand abstützte und weiter rannte. Kanda war ihm dicht auf den Fersen und Lavi hoffte inständig, dass er dieselben Gedanken hegte, demselben Vorhaben folgte. Vielleicht hatte er sich eine zu große Verantwortung aufgebürdet. Sie näherten sich dem Ort des Geschehens schnell und fanden den Akuma auf einer großen Hauptstraße. Sie eilten aus einer Gasse, fahrig erfassten ihre Augen den Akuma nicht weit neben sich und sofort suchten sie Schutz hinter einer Ansammlung schweren Gesteins. Sie warfen sich auf die Knie, neigten sich hinab und schöpften erst einmal Atem. Keuchend stemmte sich Lavi auf den Ellbogen, sah zu Kanda, der sich mit dem Rücken an das Gestein lehnte und nicht minder schwer atmete. Rasselnd zogen sich die Krallen der Pranke durch die Fassade eines Wohnhauses und nachdem der Putz zu Boden gerieselt war, hielt der Akuma inne. Pure Zerstörung umgab ihn und knackend richtete sich der sehnige Körper auf, während schiefe Augen und hastige Pupillen die Umgebung überwachten. Zuckend bewegten sie sich in verschiedene Richtungen und die Krallen quietschten auf den blanken Pflastersteinen, als er zur Seite herumfuhr, über den Gesteinshaufen hinweg zu einer Mauer stierte, die bislang halbwegs unbeschadet geblieben war. „Koooomm raaaaus“, erhob sich plötzlich seine leise wispernde Stimme. Dünne Lippen verzogen sich zu einem tiefen Grinsen und scharfe Zähne fletschten sich. Eine gefährliche Stille war eingetreten und konzentriert achtete Lavi darauf, dass das feine Gestein unter ihm nicht geräuschvoll bröckelte. Er lag an einer riskanten Stelle. Nicht so wie Kanda, der sich lautlos aufrichtete, sich geduckt zur Seite schob und in einem seltsamen Anflug von Intuition zur nahegelegenen Mauer starrte. Nur kurz schweiften seine Augen über sie hinweg, bevor er auf einen Stiefel aufmerksam wurde, der etwas hinter den Steinen hervorragte, jedoch zurückgezogen wurde. Dort verbarg sich jemand und ebenso lautlos schob sich Kanda zurück, blieb knien und gab Lavi ein knappes Zeichen. Sie hatten ihn gefunden und er lebte! Doch der Erfolg des Auftrages war in der Lage, in der sie sich befanden, noch weit entfernt. Was tun? Sinnierend ließ Lavi die Lider sinken, atmete leise aus und presste die Lippen aufeinander. Unterdessen hielt Kanda den Akuma unter permanenter Bewachung. Nur etwas neigte er den Kopf an einem großen Stein vorbei, erfasste den Rücken des Feindes und schien ihn kurz zu studieren. Die Bewegungen wirkten jählings und unkalkulierbar, zuckend und kraftvoll und Kanda ließ sich sinken, als er im Begriff war, sich umzudrehen. Seine Miene offenbarte eine leichte Verbitterung, als er sich gegen den Boden schmiegte. Doch bald ertönte wieder das Kratzen der Krallen und kurz darauf erfassten sie aus den Augenwinkeln, wie der Akuma neben ihnen auf dem Dach aufsetzte, sofort in den nächsten Sprung überging und sich ihren Blicken entzog. Er verschwand, schien die Suche woanders fortzusetzen und als ein eindeutiges Geräusch die neue Position verriet, begannen sich Lavi und Kanda zu regen. Als wäre es abgesprochen, rappelten sie sich auf, kamen auf die Beine und bewegten sich annähernd lautlos auf die Mauer zu. Erneute Regungen waren hinter dieser wahrzunehmen und als Kanda um die Ecke schlitterte, erschrak der Exorzist. Er schien verletzt und erschöpft von der Verfolgungsjagd und heftig schnappte er nach Luft, bevor sich eine Hand auf seinen Mund presste und seinen Schrei unterband. Keuchend hatte sich Kanda gegen ihn gelehnt und während er den Mund des Mannes zuhielt, tauchte auch Lavi auf. Gewandt sprang er über die Mauer hinweg, setzte leise auf und war sichtlich erleichtert über den Zustand des Kollegen. Dieser wurde in diesem Moment von der Hand befreit. Kurz hatte Kanda ihm Zeit gelassen, zu realisieren. Nun schob er sich auf den Knien zurück und übernahm die aufmerksame Betrachtung der Umwelt. „Gott sei dank“, zermürbt hob der Exorzist die Hand und Lavi rückte näher an ihn heran, war sofort auf die andere Hand aufmerksam geworden, die sich in die Uniform klammerte, von Blut benetzt wurde. „Bist du verletzt?“, fragte er sofort, ergriff die Hand und zog sie zu sich. Sie hatte zerrissenen Stoff unter sich verborgen, sowie die Verletzung seiner Rippen. „Es ist nicht schlimm.“ „Ich werde es trotzdem so schnell wie möglich versorgen.“ Flüchtig klopfte Lavi ihm auf die Schulter, nutzte die Gelegenheit auch gleich, um sich die Augen des Mannes zu betrachten. Geschult betastete er sein Gesicht, konnte jedoch nur noch mehr Erleichterung verspüren und setzte sich zurück. Unterdessen hatte sich das Donnern erneut erhoben… und es war nicht mehr weit entfernt. „Wie gehen wir vor?“ Kanda strich sich das Haar zurück, rückte näher an die Mauer heran und lehnte sich mit der Schulter gegen das Gestein. „Abwarten?“ Ihm war anzusehen, dass das die Möglichkeit war, die ihm überhaupt nicht gefiel. „Wie viele seid ihr?“, keuchte der Exorzist, musste jedoch enttäuscht werden. „Nur zwei?“ „Ich bin mir sicher, dass wir bald weitere Verstärkung erhalten.“ Lavi rückte sich das Stirnband zurecht und zog die Nase hoch. „Nur jetzt gerade sind wir auf uns selbst angewiesen.“ „Habt ihr den Akuma wenigstens verletzt“, meldete sich Kanda wieder zu Wort und seine Stimme brachte einen klaren Vorwurf rüber. Auch seine Augen taten es, als sie sich scharf auf den Mann richteten. „Mein Partner hat ihn verletzt.“ Der Exorzist schien den Vorwurf nicht zu bemerken, ganz im Gegensatz zu Lavi. „Bevor er star…“ „Wir sind zu dritt“, unterbrach Kanda ihn. „Zu zweit“, widersprach Lavi bestimmt und angespannt. „Das waren sie auch. Wen von uns beiden hättest gerne als Toten und Verletzten!“ Unter einem leisen Zischen wandte sich Kanda ab und Lavis Blick haftete funkelnd länger an ihm, bevor er sich auf die Umgebung richtete. In diesem Augenblick war das Dröhnen der Zerstörung verstummt und auch Kanda richtete sich auf. Zurück blieben ihr schneller Atem und ihre Pupillen, die sich konzentriert auf einen Punkt fixierten. Unter Schmerzen biss der Exorzist die Zähne zusammen und Kanda unterdrückte den Atem, während Lavi sich langsam zu regen begann. Das Gestein knirschte unter den harten Sohlen seiner Stiefel, als er sich langsam in die Hocke aufstemmte. Angestrengt starrte er auf den Boden und Kanda hob den Kopf. Seine Augen erfassten eine Bewegung, erschüttert weiteten sie sich und gehetzt schnappte er nach Luft, bevor er sich hastig zu regen begann. Er sprang auf die Beine und auch Lavi fuhr in die Höhe. Ein entsetztes Keuchen entrann ihm, als die schwarze Kreatur pfeilschnell auf sie herab ging und donnernd auf der Mauer landete. Schwere Steine lösten sich aus dieser und es gelang ihm keine rechtzeitige Reaktion. Er fuhr zu dem Exorzisten herum, als dieser bereits gepackt wurde. Kraftvoll schlugen sich Kandas Hände um seine Stiefel und sofort rutschte der Mann von der Mauer, wurde über den Boden geschliffenen und in Sicherheit gebracht. Eine unüberlegte Schnelligkeit und ächzend ließ Kanda ihn los, als seine Schulter unter der plötzlichen Belastung schmerzhaft aufbegehrte. Er schluckte es hinunter, richtete sich auf und in derselben Bewegung verließ das Mugen zischend die Scheide. Fließend senkten sich auch die Fingerkuppen zur Klinge, betteten sich nahe des Heftes und ließen ein gleißendes Licht zum Leben erwachen. „Innocence aktiviert!“ Fließend folgten die Finger dem Lauf der Klinge und rasch wurde diese von dem hellen Strahlen erfüllt. Auch Lavi war zurückgewichen und selbst der dritte Exorzist rappelte sich kraftlos auf. Knirschend bewegten sich die dürren Kniegelenke des Akuma, als sich dieser tiefer hockte, den verformten Kopf schief legte und sich seine Pupillen ziellos über die drei Gegner hinwegbewegten. „Gefuuunden“, zischelte er zwischen den langen Zähnen hindurch und die schmalen Schultern zuckten unter einem heiseren Lachen. ~*to be continued*~ Kapitel 6: ~5~ -------------- Augenblicklich zog Lavi den Hammer und das Zischen schmaler Messer machte darauf aufmerksam, dass sich auch der verletzte Exorzist dem Kampf stellte. Schon einmal hatte sich diesem Akuma gestellt und seine Haltung zeugte weder von Kraft, noch von Entschlossenheit, ganz im Gegensatz zu seinem linken Nebenmann. Den Griff des Mugen fest umschlossen, studierte er seinen Gegner mit wachem Blick und Lavi fand sich in der befürchteten Lage wieder. Der Auftrag, den Exorzisten zu retten, stand auf Messers Schneide und er offenbarte eine gewisse Nervosität. „Ich…“, knackend hob sich die Klaue, richtete sich auf den Verletzten, während das bestialische Grinsen nicht verblasste, „… nehme dich!“ Und ohne weitere Zeit zu vergeuden, beugte es sich hinab, machte sich daran, sich abzustoßen. „Kanda!“ Fahrig rief Lavi den Namen des Jüngeren und in diesem Augenblick barst das Gestein unter den langen Krallen und der Akuma schoss auf sie zu. Zielstrebig in ihre Mitte und dem Exorzisten war keine Zeit gegeben, Gebrauch von seinen Waffen zu machen… doch Kanda hatte verstanden und er reagierte sofort. Die Bewegung des Akuma war kaum nachzuvollziehen und er fuhr herum, holte weit mit dem Schwert aus… noch während Lavi den verletzten Kollegen packte und zur Seite riss. Beinahe gleichzeitig schoss die Kreatur an Kanda vorbei und surrend ging die Klinge hinab, verfehlte den Leib und traf dennoch auf einen Widerstand. Das Bein des Akuma war es, durch den sich die schneidige Klinge fraß und dumpf brach das Gestein, als sie ungelenk und haltlos gegen eine nahe Mauer prallte. Nur kurz hatte Kanda ihr nachgesehen, bevor sich Lavis Stimme erhob. Der Exorzist war gestolpert, seine Kräfte gingen zur Neige und er stützte ihn. „Wir müssen ihn in Sicherheit bringen!“, rief er und Kandas Hände umschlossen das Schwert sicher. „Ich lenke ihn ab!“ Rasselnd glitt der Schutt vom dürren Leib des Akuma, als sich dieser aufrichtete und ins Freie kämpfte. Lavi hatte kein Zögern gezeigt, den Exorzisten sicher ergriffen und ihn fortgezogen. Sein Leben galt es unter allen Umständen zu schützen. Das eigene stand an zweiter Stelle und er rannte durch einen schmalen Durchgang, während hinter ihm das Gestein bröckelte und Kanda die Stellung hielt. Der Akuma wirkte etwas überrascht. Schwer hatte die Klinge ihn verletzt und strauchelnd suchte er Halt auf den dünnen Beinen. Fahrig suchten seine Pupillen unterdessen die Umgebung ab und er schenkte dem jungen Mann wenig Aufmerksamkeit, als er die Fliehenden in der Nähe ausmachte. Kein Zögern… sofort setzte er sich in Bewegung und schnell registrierte Kanda, dass er es wirklich nur auf einen abgesehen hatte. Die Beine des Akuma bewegten sich in einem weiten Schritt und bogen sich tief hinab, setzten zum Sprung an und wurden gestoppt. Heftig wich der Akuma zurück, als sich die Gestalt des Exorzisten vor ihm erhob und mit einem kraftvollen Schlag hielt er den Akuma von seinem Vorhaben ab. „Ich bin dein Gegner!“ Ohne ihm Zeit zu geben, folgte Kanda ihm und klirrend glitt die Klinge des Katanas ab den schwarzen Stacheln ab, als der Akuma den Arm in die Höhe riss, sie einfach zur Seite schlug und sich wirklich daran machte, an dem stolpernden Kanda vorbeizugelangen. Hastig bewegte er sich, bevor sich ein Fuß zwischen seine Beine streckte, ihm zum Straucheln brachte und sich ein Ellbogen zielsicher gegen seinen kurzen Hals rammte. Erneut ging er zur Boden, trocken umstiebte ihn der Staub, als er sich dort regte und sich zur Seite warf. Tief versenkte sich die Klinge knapp neben seinem Körper und ebenso schnell wurde sie wieder aus der Erde gerissen und gegen den Feind erhoben. Dieser schob sich zurück. Geduckt und fauchend tastete er sich nach hinten, wirr kreisten seine Pupillen und Speichel spie zwischen den langen Zähnen hervor, als er seinen Gegner anfauchte. „Geeeeh!“, zischte er aufgebracht und drehte sich, als Kanda lauernd um ihn herum schritt, stets den Fluchtweg der Beiden im Rücken. „Dich will ich nicht!“ Eine leise Verbitterung zog an Kandas Lippen, als er das Mugen schwang, stehen blieb. „Rede nicht“, forderte er ihn auf und hob die Klinge. „Komm her!“ Kaum hatte er ausgesprochen, sprang der Akuma auch schon auf. Sofort war Kanda bereit, doch seine Pupillen hetzten zur Seite, als die Kreatur an eine nahe Hauswand sprang, mit den Krallen Halt in dieser fand und sofort zum neuen Satz ansetzte. Ein Umweg… sie versuchte den Weg noch immer zu erreichen und nur kurz verfolgte Kanda ihre Hast, bevor er sich dem Boden zuwandte. Ein klobiger Pflasterstein war es, unter den er die Spitze des Stiefels stieß und in die Höhe trat. Wendig war seine Bewegung, in der er zu dem Weg herumfuhr, gleichsam den Stein ergriff und in derselben Bewegung mit ihm ausholte. Ausreichende Schnelligkeit und kaum hatte der Akuma nach dem zweiten Satz den Boden berührt, traf ihn die Wucht des Steines dumpf am Hinterkopf und er strauchelte zur Seite, prallte gegen die Wände und blieb benommen auf den Beinen. Und er hielt inne, obgleich er sein Ziel erreicht hatte. Es musste weh getan haben und starr richteten sich die Pupillen zurück. Entspannt streckte sich ihm eine Hand entgegen, winkte ihn heran und die Glieder schienen Kanda gute Dienste zu leisten, als er einen Fuß zurücksetzte, in die Knie ging und auch die zweite Hand um den Griff seiner Waffe schloss. Und endlich wurde ihm die Aufmerksamkeit geschenkt, die er benötigte, um den Exorzisten sicher zu wissen und der Akuma stürzte nach einem kurzen Zögern auf ihn. Ein Satz genügte, um ihn zu erreichen und dumpf schlugen ihre Leiber gegeneinander. Kraftvoll stemmte sich das Katana gegen die Klaue, die nach ihm stieß, wendig schlug er sie zur Seite, brach das Gleichgewicht des Gegners und versetzte diesem einen harten Tritt gegen das verletzte Bein, woraufhin sich ein qualvolles Zischen erhob. Doch die Schnelligkeit, mit der sich der Akuma dem Schmerz entwand, war beachtenswert und Kanda blieb kaum die Möglichkeit, Luft zu holen, als die andere Klaue ihn erreichte und er heftig unter ihr hinwegtauchte. Wenige Haarsträhnen sanken zu Boden, als er sich zur Seite schob, seine Augen den erneuten Angriff erfassten und seine Arme sofort reagierten. Abermals trafen die Klinge und die Klaue aufeinander, hektisch wich er zurück, als auch die Zweite auf ihn niederging und behäbig folgte der Akuma ihm, wich dem surrenden Hieb des Katanas aus, wirbelte herum und ein dumpfer Schlaf erfasste Kandas Bauch. Die Stacheln fraßen sich durch den Stoff seiner Uniform, erreichten seine Haut nur minder und doch nahm ihm die Wucht für einen Moment die Fähigkeit, zu atmen. Sein Gesicht verzerrte sich, hastig schlug sich sein Schwert gegen die erneut herannahenden Klauen und kurz stolperten beide auseinander. Röchelnd holte Kanda Luft, schnell erholte er sich und auch der Akuma vertiefte sich rasch in einen weiteren Angriff. Ein heftiger Kampf entbrannte und mit jeder Vorsicht ließ sich Kanda auf eine geringe Distanz ein. Spitz waren die Stacheln, denen er ausweichte oder mit der von der Uniform geschützten Haut begegnete. Das Haar peitschte in sein Gesicht, als er herumwirbelte, seine Klinge eine tiefe Furche zwischen groben Stacheln hinterließ und sich die Krallen gleichzeitig in seinem Oberschenkel versengten. Ein dumpfes Ächzen entrann ihm, als er das Bein durchdrückte, zischend räkelte sich der Akuma unter der eigenen Verletzung und mit einem wuchtigen Hieb durchstieß er Kandas Verteidigung, fand einen ungeschützten Punkt und schmetterte ihn zurück. Hart schlug Kanda gegen die Mauer. Das Gestein rieselte auf seine Schulter hinab und nachdem er stockend die Augen öffnete, stieß er sich ab, warf sich zur Seite und spürte das Donnern des Gesteins, als der Akuma die Mauer zerlegte. Eine flinke Rolle nach vorn, sicher führte die Hand das Katana mit sich und kurz darauf stand er wieder auf den Beinen, schüttelte kurz den Kopf und fühlte das wiederholte Stechen seiner Schulter. Er hatte es befürchtet und verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, als er sich in Bewegung setzte, die Mauer erreichte und somit den Akuma. Kraftvoll schlug er auf ihn ein, drängte ihn zurück auf die breite Hauptstraße und rutschte fast in dem dünnen Staub aus, der die glatten Pflastersteine bedeckte. Er schlitterte zur Seite, stolperte zurück und spürte den scharfen Luftzug der Krallen, die an seinem Gesicht vorbeizogen. Lavi war nicht weit gekommen. Die Beine des Exorzisten hatten nach zwei Ecken nachgegeben und die Verletzung der Rippen entpuppte sich als weitaus gefährlich, als er vermutet hatte. Der Kampf tobte… Lavi hörte es unentwegt und keuchend hockte er neben dem Mann, griff nach dessen Mantel und riss ihn auf. Er durfte Kanda nicht lange sich selbst überlassen und rasch zog er den Stoff zur Seite, betrachtete sich die Wunde genauer und wurde sich der Tatsache bewusst, dass sie den Exorzisten, verbunden mit der Schwäche des Körpers, wehrlos machte. Er hatte schon stundenlang gegen diesen Gegner gefochten, bevor sie hier aufgetaucht waren und röchelte unter Kraftlosigkeit. „Kriegst du Luft?“, erkundigte sich Lavi hastig, riss sich den Schal vom Hals und beugte sich über den Verletzten, der stockend nickte. Flink schob er den Schal unter seinem Rücken hindurch, zog ihn über die tiefe Wunde und zurrte ihn fest. Ein lauter Schrei drang aus dem Mund des Exorzisten und in der Aufregung registrierte er es kaum, rückte den festen Stoff zurecht und öffnete eine kleine Tasche an seinem Gürtel. Soeben noch voll und ganz auf Kanda konzentriert, hielt der Akuma plötzlich inne und hastig riss sich sein Kopf in die Höhe. Sein Gegner jedoch, hatte nicht vor, ihm Zeit zu geben und rasch erreichte er ihn, holte weit aus und stolperte ins Leere, als sich der Akuma mit einem Sprung in die Luft erhob. Die dunklen Augen folgten ihm sofort, sahen ihn auf dem Dach aufsetzen und sofort weiterhasten. Mit einem weiteren Fluchtversuch hatte er nicht gerechnet und er stieß einen Fluch aus, biss die Zähne zusammen und stieß sich ab. Sprintend folgte er dem Akuma, rannte die Straße hinab, schlitterte in eine Gasse und erspähte den Schatten des Akuma über ihm. Laut schallte sein schneller Atem in der schmalen Gasse, die er hastend hinter sich ließ. „Iss das!“ Lavi rollte eine kleine Kugel zwischen den Fingern, drängte diese an den Mund des Exorzisten und bereitwillig nahm dieser die Medizin an und hustete unter ihrer Bitterkeit. „Die Schmerzen lassen gleich nach“, fuhr Lavi fort, betastete die Stirn des Mannes und fühlte die Hitze des Fiebers. Wenn ihm nun nichts mehr geschah, dann bestand keine Gefahr und der Auftrag konnte dennoch als erfüllt betrachtet werden. Aufgeregt keuchte Lavi, richtete sich auf und hielt in jeder Regung inne, als er sich der Stille bewusst wurde. Die Geräusche des Kampfes waren verstummt und er schluckte angespannt, starrte um sich und führte die Hand zum Oberschenkel, zum Hammer. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als lautlos den Mund öffnete… und nach Luft schnappte, als sich ein fahriger Schatten über sie neigte. Zu spät!! Er fuhr herum, seine Finger umschlossen den Griff seiner Waffe und gerade hatte er dies getan, da stürzte der Akuma auf sie zu. Weniger Meter trennten sie und schneidig preschte die Kreatur auf sie zu, als eine surrende Klinge die Luft durchschnitt. Wie aus dem Nichts wirbelte das Schwert aus der schmalen Gasse und knackend versenkte es sich in der ausgestreckten Klaue des Akuma, ließ diesen sofort zurückweichen und sich krümmen. Nun erst, hatte Lavi den Hammer gezogen und sich aufgerappelt und nur kurz vernahm er hastige Schritte, bevor Kanda um die Ecke strauchelte. Er wirkte etwas mitgenommen deutlich waren ihm die Verletzungen anzusehen, die ihn jedoch nicht aufhielten. „Danke!“ Schützend stellte sich Lavi vor den Verletzten und schreiend wurde die Klinge aus der Klaue gerissen und nach Kanda geschleudert, der ihr knapp auswich. Nicht weit entfernt versenkte sie sich in einer Fassade und flüchtig suchten Kandas Augen nach ihr, ohne, dass er sofort zu ihr eilte. Zuckend und gequält wand sich der Akuma vor ihnen und knapp trafen sich die Blicke der beiden jungen Exorzisten. „Bring ihn in Sicherheit!“ Fahrig wies Lavi auf den Verletzten. „Ich löse dich ab und komme nach!“ „Ich kann noch kämpfen!“, widersprach Kanda jedoch und in diesem Momenten gelang es dem Akuma, sich aufzurappeln. Die Verletzungen machten ihm sichtlich zu schaffen und nur kurz schweiften seine Pupillen über die Gegner… bevor er sich abwandte, mit einem kraftlosen Sprung das tiefe Dach eines Schuppens erreichte… und zur Flucht ansetzte. Ungläubig wurde Lavi darauf aufmerksam und er nahm die Bewegung seines Nebenmannes nicht wahr, als er erleichtert nach Luft schnappte. Es war geglückt! Der Auftrag erfolgreich und der Exorzist in Sicherheit! „Ka…“, er drehte sich zur Seite, erstarrte jedoch. „Kanda?!“ Eilig hatte dieser das Schwert ins Freie gerissen und als Lavis Ruf ertönte, bereits zur Verfolgung angesetzt. Er sprintete dem Akuma nach und dem Rothaarigen blieb das nächste Wort im Hals stecken. Verwirrt sah er Kanda hinter der nächsten Ecke verschwinden, wurde jedoch auf den Verletzten aufmerksam, der in diesem Moment aufkeuchte und kraftlos zur Seite rutschte. „Verflucht!“ Verbittert schüttelte er den Kopf, kniete sich zurück zu dem Exorzisten und überzeugte sich kurz von seinem Zustand. Nur bewusstlos. Kurz fühlte Lavi seinen Puls, bevor er die Augen schloss, das Gesicht verzog und den Kopf schüttelte. Das war kein Bestandteil des Auftrages!! Das war es beileibe nicht! Kanda stürzte sich in die Gefahr und er konnte ihn nicht unterstützen, wenn er sich um den Exorzisten zu kümmern hatte! Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er riss sich von den Gedanken los, packte den Arm des Mannes und zog ihn sich über die Schulter. Er musste ihn fortschaffen… in Sicherheit bringen. Es fiel schwer, auf die Beine zu kommen und den schweren Körper mit sich zu ziehen. Welche Hilfe wäre Kanda hier gewesen! Mit zusammengebissenen Zähnen quälte er sich vorwärts, umfasste das Handgelenk des Mannes sicher und presste dessen Leib an den Eigenen. Der Weg zurück zur Brücke war weit und doch wartete dort die Rettung. In dem Zustand, in dem sich der Akuma befand, würde er sich keinen Menschenmengen nähern. Verdammt, er wäre geflohen!! Ächzend hievte er den Exorzisten höher, ging fast in die Knie und stemmte diese durch. Auf diese Art und Weise würde er eine Ewigkeit benötigen und tief in seinem Inneren hoffte er inständig, dass Kanda den Akuma verlor… vielleicht sogar wieder zu Verstand kam und ihn hier unterstützte, doch bald darauf dröhnte das Gestein nicht weit entfernt und er blieb kurz stehen. Der Kampf ging weiter… natürlich hatte Kanda den Gegner eingeholt. Aufgewühlt starrte der junge Mann um sich, lauschte der rasch zurückkehrenden Stille und verschwendete keine Zeit. Er bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer, durch schmale Pfade und seine Bewegungen verloren einen Teil ihrer Nervosität, als das Lärmen des Kampfes ein für allemal zu verstummen schien. War es beendet…? Keuchend lehnte sich Lavi gegen eine Hauswand, versuchte den Mann zu festigen und senkte kurz den Kopf. Auch die Augen schloss er und rang nach Atem. Nur kurz, bis er sich abstieß und weiterging. Ein leises Grollen zog über den Himmel hinweg und kurz blickte er auf. Eine dunkle Wolkendecke zog sich über ihnen zusammen und er verdrehte die Augen und stieg über große Steine hinweg. Ein Regen fehlte ihm gerade noch. Seine Gedanken brachen abrupt ab, als ein lauter Knall neben ihm ertönte. Plötzlich rauschte Staub vor seinem Auge und dumpf prasselte das Bauwerk zu Boden, als der schwarze Körper des Akuma eine Hausfassade durchbrach, knapp vor Lavi auf dem Boden aufschlug und weiterschlitterte. Nur kurz folgte Lavis Pupille der Kreatur und ihm entrann ein entsetztes Ächzen, als die gesamte Hauswand neben ihm nachzugeben schien. Er riss den Kopf zur Seite, sah die hölzernen Träger brechen und strauchelte zurück. Der Exorzist!! Er verlor das Gleichgewicht, neben ihm brach alles in sich zusammen und hastig fuhr er herum, brachte sich zwischen die Wand und den Verletzten und stieß diesen von sich, als er sich seiner mangelnden Schnelligkeit bewusst wurde. Er konnte nicht ausweichen und hart schlug der Verletzte auf den Pflastersteinen auf, während dumpf das Geröll auf Lavi niederging. Schützend hob er die Arme über das Gesicht, stieß sich ab und sprang. Ein weiteres Stolpern behinderte ihn in dem Fluchtversuch und laut ächzte er auf, als ein Holzbalken auf sein Bein niederging. Abgefangen durch andere Trümmer, brach er den Knochen nicht, hielt das Bein jedoch unter sich eingequetscht und verbissen versuchte Lavi freizukommen, während der Staub wie Regen auf ihn niederging, ihn husten ließ. Im sandigen Staub erhob sich zuckend die dunkle Gestalt des Akuma und benommen erfasste er sie, während er sich wand, die Zähne zusammenbiss und laut fluchte. Dieser Auftrag nahm Wendungen, mit denen er sich nicht einmal in seinen düstersten Befürchtungen befasst hatte! Er ballte die Hände zu verkrampften Fäusten, zerrte an seinem Bein und hielt nach dem Verletzten Ausschau. Reglos lag dieser dort… war jedoch von allem verschont geblieben. Das wuterfüllte Schnauben der Kreatur drang unterdessen an seine Ohren und abermals starrte er zu dem Schatten ihres dürren Körpers, erspähte jedoch auch einen Zweiten, der sich auf sie stürzte, sie zurückdrängte. „Kanda!!“ Lavis Stimme erhob sich nur undeutlich in dem Rauschen des Schutts und verbissen stemmte er sich nach vorn. „Kandaaa!!“ Doch dieser schien ihn nicht wahrzunehmen und als sich der Staub legte, verfolgte Lavi, wie ein dumpfer Schlag seine Schulter traf, ihn zur Seite schmetterte und zu Boden gehen ließ. Hastig wischte sich Lavi den Staub aus dem Auge, wendete sich auf den Rücken und richtete sich auf. Eine jede Nervosität hatte ihn nun mit gutem Grund eingeholt und verbittert stemmte er sich gegen den Holzbalken, versuchte an ihm zu rücken, sich selbst zu befreien. Etwas anderes blieb ihm nicht übrig und der Kampf in seinem Rücken wurde fortgesetzt. Unter Schmerzen und verlassen von seinen Kräften, kam Kanda dennoch auf die Beine und in der Zwischenzeit schien jeder Wunsch nach Flucht in dem Akuma erstorben zu sein. Wahnsinnig stürzte er sich auf den Exorzisten und dieser schob sich an einem Pfeiler vorbei, wich zurück und suchte nach neuem Freiraum. Somit verschwanden sie aus Lavis Sicht und dieser ließ sich verzweifelt auf den Rücken fallen, setzte den anderen Fuß gegen den Balken, drückte dagegen und spürte endlich, wie er sich etwas regte. Er war so schwer und Lavi schloss die Augen, bäumte sich auf und setzte all seine Kraft in sein Bein. Nur stockend bewegte sich das Holz, nur langsam und doch kam er allmählich frei. Erneut zog das leise Grollen durch die dunkle Wolkenschicht und er ächzte erleichtert, als er sich aufrappeln und auf die Beine kommen konnte. Sofort sprang er über den Balken hinweg, eilte zu dem Verletzten und warf sich neben ihm auf die Knie. Es war ihm wirklich nichts passiert! Das Tuch saß noch immer fest, stoppte die Blutung und die Bewusstlosigkeit ließ ihn nichts von alledem wahrnehmen. Er betastete sein Gesicht, blickte dann jedoch auf und starrte in die Richtung, in der Kanda mit seinem Gegner verschwunden war. Er begriff es nicht!! Der Akuma war geschwächt gewesen, hatte kaum stehen können und dennoch wurde dieser Kampf ausgefochten?! Er zog die Nase hoch, rieb sich das Gesicht und traf einen Entschluss. Auch Kanda hatte nicht weniger erschöpft auf ihn gewirkt. Seine Entschlossenheit könnte sich schnell gegen ihn wenden und er nahm sich vor, den Exorzisten an eine ruhige Stelle zu bringen… und sich anschließend um Kanda zu kümmern, ihm Verstand einzuflößen. Dieser Kampf war unnötig und es hätte durchaus passieren können, dass das Leben des Exorzisten dadurch in weitere Gefahr geriet! Strauchelnd verließ Kanda die Grundfassaden eines zerstörten Hauses, trat auf einen kleinen Platz hinaus und drehte sich sofort um, da er verfolgt wurde. Röchelnd sprang ihm der Akuma entgegen, klirrend glitt die Klinge an den Stacheln ab, wurde fehl gelenkt und bevor sich der junge Mann versah, schlug sich eine Klaue um sein Handgelenk, umschloss es mit solch einer Kraft, dass die Finger den Griff aufgaben und die Waffe zu Boden fiel. Perplex folgten ihr die Pupillen und ein Blinzeln genügte, damit ihm die wendige Bewegung des Feindes entging und die Augen weiteten sich entsetzt, als sich der Akuma direkt vor ihm aufbaute. Der Hals rang nach einem Keuchen, bevor sich die wuchtige Klaue des Akuma um ihn schlug, ihn augenblicklich mit sich riss. Den Beinen war nicht die Schnelligkeit gegeben, der Wucht zu folgend und stolpernd folgten sie dem Körper, der zurückgestemmt und gegen eine Mauer geschlagen wurde. Der dumpfe Stoß fuhr Kanda durch Mark und Bein und benommen setzten seine Füße auf dem Boden auf, fanden Halt und die Kraft, sich abzustützen. Ein pochender Schmerz raste hinter seinen Schläfen und laut ächzte er, als er die merkwürdige Freiheit seines Halses spürte. Die Klaue packte nicht zu, würgte ihn nicht. Tief hatten sich die Krallen zu seinen Seiten im Gestein versengt und ließen der Lunge genug Freiraum zum atmen. Die Mauer schabte gegen seinen Rücken, als er wieder zu sich kam und zögernd die Augen öffnete. Dicht vor ihm ragte der Kopf des Akuma auf und wirr kreisten die Pupillen in den schmalen Augäpfeln, bevor sie sich starr auf ihn richteten. Hastig zog er den Kopf zurück, stieß gegen den Widerstand und riss die Hände in die Höhe, um sie um die Klaue zu schlagen. Doch ihre Haltung war eisern und er bewegte sich um kein Stück, als er die Finger um das dürre Handgelenk schloss. „Ks.“ Mit einem trockenen Fauchen neigte sich der Kopf näher und Kanda rutschte ab. Seine Hände verloren an der Haut den Halt und schlitterten über die stachelübersäten Unterarme. Die Linke glitt daraufhin ab, während die Rechte verbitterten Halt fand und sich um den schmalen Ellbogen klammerte. Warm drang das Blut aus den tiefen Schnitten seiner Finger und er verzog das Gesicht unter dem fauligen Atem, der ihm entgegen stieß. „Duuu Wuuurm!“ Ein leises Zischen folgte und langsam regte sich die Klaue an seinem Hals. Kandas Herz begann zu rasen… schneller, als es durch die Anstrengungen des Kampfes möglich war. Verwirrt spürte er das dumpfe Pochen in seiner Brust, sein Atem, der sich zu einem fortwährenden trockenen Keuchen erhob. Eingeengt zwischen dem Akuma und der Mauer wand er sich und rang mit der plötzlichen Überreaktion seines Körpers. Der madige Atemzug, der ihn erneut erfasste, ließ ihn erzittern und keuchend schloss er die Augen, während er die Hand tiefer in den Stacheln des Ellbogens versenkte. Seine Lage versetzte ihn in eine jähe Nervosität, die er sich nicht erklären konnte. Die Gefahr war ersichtlich, die Situation heikel und doch… Perplex blinzelte er, erblickte seine verletzte Hand, die den Griff dennoch verkrampft beibehielt und meinte, den Schmerz nicht zu spüren, der von den Stacheln ausging. Der Akuma schien die Momente zu genießen, zu nutzen, um sich in seiner Überlegenheit zu suhlen und er fügte Kanda keine Verletzungen zu. Locker war der Griff an seinem Hals und doch erbebte der junge Mann unter ihm. Die Enge… er begriff, wie wenig er sie vertrug. Die Angst vor der festen Fixierung seiner Glieder… und wieder streifte ihn der warme Atem und er schloss hastig die Augen. >Weg!< Fast erschrak er selbst vor diesem intensiven Gedanken, der urplötzlich in ihm rumorte, ihm ein ersticktes Ächzen aufzwang. >Weg! Weg!!< „Lass mich los…!“ Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen und er konnte sich nicht erklären, weshalb dem so war. Sein Körper begehrte auf, stieß gegen den Griff der Klaue und sackte in sich zusammen. Matt sank sein Gesicht vornüber, sein Unterkiefer erzitterte und die Augen des Akuma begannen abermals zu kreisen. Er schien eine gewisse Ablenkung zu empfinden und ohne sich zu bewegen, überblickte er sein Umfeld. Dunkel und schwarz wurde das Bild, als Kandas Lider schwer wurden und sich sein Gesicht verzog. Ein eiskalter Schauer erfasste ihn, ließ ihn abermals erbeben und keuchen. Merklich scheuerte das Gestein gegen den festen Stoff seines Mantels, als er die Knie durchdrückte. Die Klaue an seinem Hals… er stieß mit dem Kinn gegen sie, riss den Kopf sofort in die Höhe und zuckte in sich zusammen, als sie sich beiläufig bewegte. Fließend streiften die Krallen seinen ungeschützten Hals, kitzelnd eine Strähne sein Ohr und er presste die Lippen aufeinander, als ein leises Rauschen in seinen Ohren zu hallen begann. Ein schwerer Druck baute sich auf seinen Schultern auf und verwirrt rang er nach Atem. Was geschah…? Er fühlte etwas… etwas Übermächtiges… Unabwendbares… Angst… Angst, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Fest schien sie ihn zu umschließen, seinen Körper an etwaigen Berührungen zu hindern… zu fesseln. Er spürte das Zittern seines erhobenen Armes so stark, dass sich selbst die Hand ungebremst in den Stacheln bewegte, hörte, wie seine Zähne aufeinander klapperten, als würde Eiseskälte ihn plagen. „Lass mich…“, ein abwesendes Murmeln drang über seine Lippen, brachte kaum einen Ton mit sich und in aller Ruhe befasste sich der Akuma auch weiterhin mit der Umgebung, hielt ihn an der Mauer wie einen Gegenstand, dem er sich später wieder zuwenden wollte. „Lass…“, Kandas Stimme brach, lautloser Atem folgte und das bittere Gefühl der Niederlage überkam ihn. Er stand aufrecht hier… fühlte sich jedoch, als würde er mit dem Gesicht im Dreck liegen. Dreckig… so dreckig… „Mmm…“ Das Rauschen in seinen Ohren legte sich, formte sich zu einem tiefen Atemzug. Fremder Atem, der ein genüssliches Raunen mit sich brachte. Wie ein Fetzen düsterer Erinnerungen erreichte ihn der Laut und bebend öffnete er den Mund, rang zitternd nach Luft. Wieder eine Berührung…! Sein Hals…!! „Aahh…“, ein kraftloser Ton kam über seine Lippen, scheiterte an einem Schrei, den er hervorwürgen wollte. Sein Magen verkrampfte sich, zwang seinen Oberkörper nach vorn und abermals sank das Kinn gegen die Klaue. „Du… duftest nach Blut…“ Heftig schüttelte er den Kopf, ziellos hob sich seine freie Hand, tastete nach der Stimme, versuchte sie fortzuwischen und in diesem Augenblick wandte sich das spitze Gesicht des Akuma knarrend zu ihm. Das alte Grinsen zerrte an den schwarzen Lippen und starr fixierten sich die Augen zurück auf das Gesicht des jungen Mannes. Mit weit aufgerissenem Mund ächzte dieser und langsam hob der Akuma die freie Klaue. Allmählich wollte er es beenden und flüchtig berührten die langen Krallen den bebenden Körper. Zufällig strichen sie über Kandas Bauch hinweg, hoben sich zur Brust und wollten die Kehle erreichen. „Nein…“, gepeinigt zuckten Kandas Lider und ein jeder Muskel seines Körpers verzerrte sich, ließ ihn krampfen und sich winden. Leidlich versuchte er der Berührung zu entgehen, presste sich hilflos gegen das Mauerwerk. Die Hand geriet ihm außer Kontrolle. Zuckend glitt sie von den Stacheln und in schnellem Takt tropfte das Blut von seinen Fingerkuppen, als sie hinab sank. „Nein…“, ein gebrechliches Flüstern drang dem Akuma bebend entgegen und Kandas Hals bewegte sich unter einem trockenen Schlucken. „… Bitte… nei…“ Ein leises Fauchen stieß daraufhin durch die spitzen Zähne der Kreatur und von bloßem Schrecken erfasst, fuhr Kandas Gesicht in die Höhe. Glasig rissen sich die Augen auf und die nackte Angst durchstach die dunklen Pupillen, als sie sich auf das wohlgeformte Gesicht des jungen Mannes richteten, der sich behäbig gegen ihn schmiegte. Fest war der Griff an seiner verletzten Schulter und den geweiteten Augen gelang kein Blinzeln. Erstarrt erfassten sie das sanfte Lächeln, das an den gepflegten Lippen Tykis zog, die weißen Zähne, die daraufhin zum Vorschein kamen. „Ich bringe es zu Ende“, wisperten sie zärtlich und ein Knie streifte die seinen. „Aber vom Tod hat niemand gesprochen.“ Die Krallen näherten sich seinem Hals und der Akuma näherte sich ihm um einen weiteren Schritt. Das dürre Knie streifte die des jungen Exorzisten, als er die letzte Distanz überwand, genüsslich die Spitze einer Kralle auf die bebende Kehle setzte. Kandas Augen folgten der Bewegung nicht. Gelähmt blieben sie auf einen nicht existenten Punkt gerichtet und kurz bewegte sich der Unterkiefer unter einem erstickten Würgen. Ein Druck… ein schmerzhafter Druck breitete sich in seiner Kehle aus und brachte ihm augenblicklich das Gefühl des Erstickens näher. Er konnte… nicht mehr atmen! Röchelnd versuchte er es und brach in leises Husten aus, als er das eigene Stöhnen vernahm… laut schreien wollte. „So ist es gut… nicht wahr…?“ Ein leises Lachen folgte… diese Stimme… Panik… sie durchfloss ihn wie das Blut selbst, welches gefroren zu sein schien. Angst… er hatte Angst… solche Angst!! Ein klägliches Wimmern kam über seine zitternden Lippen und seine Knie drohten nachzugeben. Gemächlich schabte die Kralle unterdessen über seine Kehle hinweg, wurde bedächtig postiert. „Haah!“ Ein geräuschvolles Keuchen erhob sich daraufhin, versiegte in einem Würgen. Seine Brust… alles in ihm schien sich zu verengen und orientierungslos hob er die Hand, tastete nach ihr… fand sie nicht. Leise bröckelte das Gestein unter hastigen Schritten und fahrig wechselten die Pupillen des Akuma die Richtung, als diese an Lautstärke gewannen. Reglos verharrte die Kralle am Hals des jungen Mannes und mit gehetztem Atem schlitterte Lavi um eine Ecke. Augenblicklich erspähte er den Feind und sein Auge weitete sich erschrocken, als er auch Kandas Lage sah. Stolpernd hastete er weiter, hielt nicht inne und sofort zückte er den Hammer. „Kanda!!“ Er rief seinen Kollegen und sofort gewann der Hammer an Größe, als er ihn in die Höhe riss, woraufhin der Akuma augenblicklich von Kanda abließ. „Lauf!!“ Geschwind fuhr der Akuma zu ihm herum und sobald sich seine Klaue aus dem Mauerwerk riss, sank Kanda in sich zusammen. Kraftlos stürzte er auf die Knie und Lavi holte weit aus. Es geschah innerhalb weniger Sekunden. Die tiefe Wunde am Knie des Akuma ließ diesen in seinen Bewegungen stocken und mit voller Wucht erfasste ihn die riesige Fläche des Hammers. Ein jeder der dünnen Knochen schien zu bersten. Ein morsches Knacken erhob sich, als der Akuma wie eine lose Hülle zur Seite geschleudert wurde, sich krachend in einer Häuserwand versenkte, das Gestein mit sich riss und im leeren Innenraum des Gebäudes unterging. Aufgeregt sah Lavi ihm nach und der Hammer schrumpfte in seiner Hand, als er sich stolpernd auslief und stehenblieb. Seine Schultern hoben und senkten sich unter purer Erleichterung und unter einem tiefen Seufzen wandte er sich um. „Ka…“ Seine Stimme versagte, als sein Auge den jungen Mann erfasste und als wäre er zu Eis erstarrt, blieb er stehen. Wir verdeckte das Haar das bis zum Boden gesenkte Gesicht, während der schmale Leib unter lautem Röcheln erbebte. Zusammengesunken kauerte er vor ihm und verkrampft klammerten sich die Finger in den Stoff des Mantels, der die Brust bedeckte. Tief waren sie in ihm versenkt und ebenso heftig presste sich der andere Arm gegen den Unterleib, wurde fest eingeklemmt von dem Bauch und den angewinkelten Beinen. Ein Fiepen nahm den Platz des Röchelns ein… er kämpfte mit dem Ersticken und mit wenigen Schritten hatte Lavi ihn erreicht. Pure Verwirrung prägte seine Züge, als er sich vor ihm auf die Knie warf, die Hände hob, sich über ihn beugte… und doch zögerte. Was war passiert…? War er verletzt…?! „Kanda…?!“ Aufgebracht setzte er die Hände auf seine Schulterblätter, spürte die Härte der in sich verzerrten Muskeln, das heftige Zittern. Und ihm wurde nicht die Möglichkeit gegeben, ihn erneut anzusprechen. Erschrocken wich er zurück, als Kanda unter einem erstickten Aufschrei in die Höhe fuhr. Zerzaust blieb das Haar im Schweiß seines bleichen Gesichtes haften und glasig richteten sich die dunklen Augen auf Lavi, dessen Gesicht bei diesem Anblick selbst an Farbe zu verlieren schien. Mit erhobenen Händen blieb er knien und schutzlos streckte sich ihm eine blutige Hand entgegen, als sich Kanda stockend und orientierungslos im Gestein zurückschob. Die nackte Panik schien ihn zu jagen und als würden in seinem Unterleib unerträgliche Schmerzen toben, hielt er diesen auch weiterhin umklammert. „Fass mich nicht…!!“, die hysterische Stimme brach und versiegte in einem fahrigen Keuchen. Nur kurz hatten seine geweiteten Augen Lavi gestreift, glitten nun in die Höhe, richteten sich auf die schlanke Gestalt des Mannes, der sich vor ihm aufbaute, ihm in langsamen Schritten folgte. Das Gestein… es gab unter den edlen geputzten Stiefeln nach und Kandas Hand rutschte aus. Röchelnd stürzte er auf den Ellbogen, panisch scharrten seine Fersen durch den Kies, vermochten es nicht mehr, den Körper zu bewegen. „Ich werde dir zeigen, wie schnell du es genießen wirst“, flüsterten die wohlgeformten Lippen, als Tyki ihn bequem erreichte. Es war kalt… er fror und seine Augen erfassten die verzweifelten Bewegung der nackten Beine. „Hör auf…“, seine Lunge gab nach, ein tiefer Atemzug gelang ihm und ein angsterfüllter Schrei. „Fass mich nicht an!!“ Panisch schlug er nach der Gestalt, doch bedrohlich neigte sie sich schon über ihn. „… nda…“ Säuselnd drang das Summen des Windes an seine Ohren und ohnmächtig vor Schwindel neigte sich sein Kopf zur Seite. „Und irgendwann…“ „… anda…!“ Stimmen…! Sie waren überall… wie grausame Gestalten, die ihm zuwisperten!! „… wirst du mir dankbar sein.“ „Hör a…“, mit letzter Kraft stemmte er sich in die Höhe, klammerte sich in das Gestein, bäumte sich kläglich gegen die dunkle Gestalt auf und blinzelte ihr hilflos entgegen. Das Lächeln… beständig formte es diese Lippen und er spürte die Hitze der Nähe. Der Leib neigte sich zu ihm hinab… Saubere Hände streckten sich nach ihm aus…! „Kanda!!“ Kraftvoll schlug Lavi die Finger in seinen Mantel, zerrte ihn nach vorn, versuchte ihn verzweifelt in die Wirklichkeit zurückzuholen. Die Angst beherrschte auch ihn und er verzagte, als sich Kanda kläglich gegen den Griff zu wehren begann. Stockend hoben sich seine Arme, zusammengesunken versuchte er sich den Händen zu entwinden und Lavi ließ ihn los. Hilflos blieb er vor Kanda hocken, starrte auf dessen gesenktes Gesicht und hob eine Hand zum Eigenen. Fassungslos verbarg er den Mund unter ihr, als Kanda sich keuchend vor ihm regte, auch den zweiten Arm gegen den Unterleib presste und sich benommen nach vorn sinken ließ. Er ächzte, röchelte, sein Haar glitt durch den Staub des Bodens und Lavi verfolgte eine jede Bewegung erschüttert. >Was soll ich tun…?< Die Frage stellte sich ihm, ohne dass er eine Antwort wusste. >Was soll ich tun?!< „Ah…“, ein gepeinigtes Ächzen drang an seine Ohren und stockend verfolgte seine Pupille, wie sich Kanda erneut zu regen begann. Sein Oberkörper richtete sich etwas auf und zögernd lösten sich die Hände vom Unterleib. Sie waren blutüberströmt… tiefe Schnitte klafften und fassungslos spreizte Kanda die Finger, starrte sie an. „… Ich…“, nur undeutlich kam das heisere Flüstern über seine blassen Lippen, „… blute…“ „Yu…?“ Vorsichtig hauchte Lavi seinen Namen, doch es wurde nicht reagiert. Für Kanda gab es lediglich seine Hände und er drehte sie, verfolgte, wie das Blut über seinen Handrücken perlte. Es war seltsam… er hatte gedacht, es wäre weniger gewesen. Und er hatte geduscht… ja, hatte er nicht all das von sich gewaschen? Mit einem hastigen Blinzeln versuchte Lavi sich zusammenzureißen. Er musste sich beruhigen, sich fassen und verbissen wandte er den Blick von Kanda ab, erhob sich langsam auf die Knie und rückte etwas näher an diesen heran. Er kannte keine Lösung für diesen Fall… welchen Fall? Was sah er hier? Und was sah Kanda in diesen Momenten…? Er wusste es nicht. Die geweiteten Augen des jungen Mannes begannen zu brennen und absent schweiften sie an den blutigen Händen vorbei, richteten sich auf die nackten Beine und zwischen sie. Sein trockener Atem stieß ungläubig hervor und die Hände bewegten sich stockend zur Seite. Nein… es war immer noch da… Das Blut… Gelähmt starrte er auf seine Beine, das Herz drohte ihm aus der Brust zu springen und entsetzt ächzte er auf, als sich eine Hand unter sein Kinn schob, Druck auf dieses ausübte und sein Gesicht anhob. Eine klägliche Gegenwehr, die Lavi kaum registrierte. Seine eigene Hand zitterte, als er Kandas Gesicht erhoben hielt, die andere zu einer Faust ballte und weit ausholte. Perplex folgten die starren Augen der Bewegung und Lavi biss die Zähne zusammen, bevor er unbarmherzig und kraftvoll zuschlug. Das lange Haar peitschte in Kandas Gesicht, als dieses zur Seite gerissen wurde. Matt folgte der Körper und der Schlag schmetterte ihn zu Boden. Haltlos schlug er auf und blieb liegen, während der trockene Staub ihn umstiebte. Die Dunkelheit senkte sich über den Platz, als sich die finstere Wolkendecke verdichtete, die Sonne hinter sich verbarg. Reglos lauschte Lavi dem leisen Grollen, welches abermals über ihn hinweg zog. Ein stummer Lichtblitz durchstach die Düsternis und geräuschvoll ging der erste Regentropfen auf die Pflastersteine nieder. Platschend schlug er auf und der junge Mann blinzelte. Er hatte es eine Weile nicht mehr getan, während er auf Kanda starrte und auf die stockenden Bewegungen, die allmählich in diesen zurückkehrten. Die Fingerkuppen begannen sich auf dem Untergrund zu regen, tasteten sich über die glatte Oberfläche und der Kopf des jungen Mannes neigte sich zur Seite. Wirr hing das Haar aus dem lockeren Zopf und ein gedämpftes Ächzen entrann ihm, als er auch die Beine regte. Der Schlag ihm ein Teil seines Bewusstseins geraubt zu haben, soweit er es noch besessen hatte. Er schien perplex und doch wirkten seine Bewegungen kontrolliert. Die Wirklichkeit schien ihn wieder zu haben und tief atmete Lavi ein. Leises Plätschern begann sie zu umfangen und kurz darauf blickte er durch einen trüben Regenvorhang. Die Gestalt vor ihm machte sich nun daran, sich aufzurichten. Nur matt fanden die Hände den nötigen Halt und es schien dem Körper schwer zu fallen, sich in die Höhe zu stemmen. Erst sank er zu Boden zurück, versuchte es erneut und gelangte auf die Knie, die er stockend anwinkelte. Nass hafteten die Strähnen bereits auf seinem Gesicht und das Wasser perlte von seiner Stirn, als er es langsam hob. Sein Keuchen ging in dem sich rasch steigernden Rauschen des Regens unter. Lavi sah allein seine Schultern, die sich heftig hoben und senkten, erblickte auch seine Augen, die durch den Regenvorhang zu ihm drifteten, sich auf ihn richteten… verstört. Er schien es selbst nicht zu begreifen und lange Zeit kauerte er nur dort und starrte orientierungslos um sich, während der Regenguss das Blut von seinen Händen wusch. Lavi fand sich noch immer regungslos vor… die Entschlossenheit war noch nicht zu ihm zurückgekehrt und schweigend hob er die Hand zum Gesicht, um sich den triefenden Pony zurückzustreifen. Kanda schien es weniger zu stören. Er blinzelte zwischen den nassen Strähnen hindurch, löste die Hände vom Boden und setzte sich auf. Seine Gestik, seine Mimik… sie bewiesen, dass die vergangenen Minuten annähernd unbemerkt an ihm vorbeigestrichen waren und annähernd schien er perplex über seine Haltung, sein Kauern auf diesem Platz. Bald blickte er zu Lavi zurück. Still saß er vor ihm im Regen und die Lippen zitterten unsicher, bevor sich ein trauriges Lächeln auf ihnen abzeichnete. Perplex studierte Kanda diese Mimik und er schluckte schwer, bevor er blinzelte und das Wasser über seine Wimpern perlte. „Wir sind hier fertig“, drang Lavis Stimme durch das laute Rauschen zu ihm. Sie erhob sich nur leise, wurde dennoch sofort wahrgenommen. Waren sie das…? Kanda zögerte, der Ausgang des Kampfes schien ihm entfallen zu sein und flüchtig betrachtete er sich die Verletzungen seiner Hände. Deutlich hoben sich die Schnitte von der blassen Haut ab, die Finger zitterten, wie noch nie zuvor. Die gesamte Hand bebte und er ballte sie, ließ sie sinken. Seine Lippen bewegten sich stumm, seine Pupillen schweiften zur Seite und sein Gesicht senkte sich mit einem Hauch von Bitterkeit. Die Irritation verblasste und Lavi registrierte, wie sich seine Festigkeit aufzubauen versuchte, wie sein Körper um Haltung rang und er an alledem scheiterte. Das äußere Bild schien ihm zu gelingen und war dennoch unglaubwürdig in der Sicht des jungen Mannes, der die letzten Momente erlebt hatte. Er nickte still, wandte den Blick ab und begann sich zu regen. Kanda sah ihm nicht nach. „Wir können gehen.“ Platschend versenkten sich seine Stiefel in einer kleinen Pfütze, als er aufstand, sich das Haar erneut zurückstreifte und flüchtig zum Himmel aufblickte. Ein Unwetter, noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hatte. Es schien alles zusammenzupassen und er zog die Nase hoch, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und verfolgte, wie sich auch Kanda langsam zu regen begann. Auf die Beine zu kommen, war eine weitaus größere Herausforderung und er fand keinen rechten Halt, schwankte und benötigte eine Zeit, um die Knie zu der nötigen Kraft zu zwingen. Die vergangene Panik hatte seinen Körper völlig ausgelaugt, sandte ihm die Nachfolgen des heftigen Atems, ließ ihn straucheln, kurz das Gleichgewicht verlieren. Ihm war schwindelig und er rieb sich die Augen, als er irgendwann aufrecht stand. Bebend fiel es den Händen schwer, das Ziel zu ertasteten. Die Fingerkuppen gaben das Gefühl der Haut kaum an ihn weiter und er hustete schwer, presste sich die andere Hand auf den Bauch und starrte um sich. Lavi stand neben ihm… wartete auf ihn, brachte es jedoch nicht fertig, hilfsbereit nach seinem Arm zu greifen, als er die Unsicherheit seiner Beine bemerkte. Seine Hände hoben sich, hielten jedoch inne und wurden nach einem kurzen Sinnieren sinken gelassen. Er setzte Kanda keiner Hast aus und sein Mund blieb versiegelt. Was sollte er denn sagen? Sollte er ihn fragen, ob es ihm gut ging? Ob er Schmerzen hatte? Er schürzte die Lippen und Kanda blähte die Wangen auf, bevor er sich stockend in Bewegung setzte. Ruhig hielt sich Lavi an seiner Seite, ließ eine sichere Distanz zwischen ihnen und hielt sich davon ab, ihn anzusehen. Stattdessen glitt seine Pupille über den Boden und nach wenigen Schritten erreichten sie die Grundmauern des Hauses. Ein Schritt über die Bordsteinkante und der Rothaarige nahm ein dumpfes Geräusch neben sich wahr. Abermals hustete Kanda… die Hand verblieb auf seinem Bauch und plötzlich wandte er sich ab, krümmte sich nach vorn und stemmte sich gegen die alte Fassade. Er übergab sich heftig und Lavi schloss das Auge, stemmte eine Hand in die Hüfte und starrte in die entgegengesetzte Richtung, während er dem lauten Schnaufen und Röcheln lauschte. Es war ein Trauerspiel und Kanda hörte sich an, als würde er sich die Seele aus dem Leib würgen. Es hörte nicht auf und Lavis Besorgnis vertiefte sich erschüttert, als er nach wenigen Minuten zu ihm lugte. Die Ellbogen gegen das Gestein gestemmt, verharrte Kanda nach vorn gebeugt und wieder erbebte sein Körper unter einem Krampf. Wieder… und Lavi schöpfte tiefen Atem, wischte sich das Wasser vom Auge und blickte zum Platz zurück. Nachdenklich betrachtete er ihn sich und nach wenigen Momenten hob er die Augenbraue. Beinahe wäre es ihm entfallen… er hob an, etwas zu sagen, unterließ es dann jedoch und wandte sich einfach ab, um die wenigen Meter zurückzukehren. Er erreichte das am Boden liegende Mugen, bückte sich danach und nahm es mit. Kanda hätte es liegen gelassen… es vergessen? Er betrachtete sich die saubere Klinge, an der sich die Regentropfen brachen, drehte sie und sah den Rest des fremden Blutes, welches vom kunstvollen Heft rann. Er hätte es wirklich vergessen… Er gab sich einem kurzen Zögern hin, bevor er zu Kanda zurückkehrte und sich dieser endlich von der Mauer löste. Er schien es hinter sich zu haben und ungewandt fuhr er sich über den Mund, spuckte zur Seite und starrte auf das Mugen, das ihm gereicht wurde. Ruhig hielt Lavi es ihm hin und träge griff die Hand danach. In derselben Bewegung wandte sich Kanda auch schon ab, setzte seinen Weg stockend fort und tat sich schwer damit, die Klinge in der Scheide zu verstauen. Bebend betteten sich die Finger an dieser, zitternd zog er die abgestumpfte Seifte über sie hinweg, versuchte sie in die schmale Öffnung zu dirigieren und rutschte zweimal ab, bevor das Schwert sich unter einem leisen Zischen endlich in ihr versenkte. Der Auftrag… erfüllt. Selbst verbunden mit der gefährlichen Abweichung und dem daraus entstandenen Risiko. Sie waren erfolgreich gewesen und doch fühlte sich Lavi nicht danach, als hätte er einen Triumph gefeiert. Er verlor Kanda aus den Augen, als er die Finder über die Brücke holte, mit ihnen erneut nach dem Exorzisten suchte und sie beruhigen konnte. Der Akuma war zerstört und keine Gefahr lauerte nun noch zwischen den zertrümmerten Bauwerken. Nur kurz meinte er, den jüngeren Exorzisten zu sehen, als er sich auf den Rückweg in den Stadtteil machte. Er verschwand in einem der Häuser, sah sich nicht um, folgte abwesend einem unbekannten Weg und Lavi konnte sich keine Zeit dafür nehmen, da er sofort abgelenkt wurde. Und das benötigte er auch. Einiges gab es noch zu tun, bevor sie sich auf den Rückweg machen konnten. Schnell wurde der Verletzte geborgen, fortgebracht und augenblicklich versorgt und gemeinsam mit den Findern machte sich Lavi anschließend auf den Weg zu dem zweiten Exorzisten. Auch diesen würden sie hier nicht zurücklassen und Lavi versuchte gegen all die Gedanken anzukämpfen, die nicht an diesen Ort, nicht in diesen Moment gehörten, als er die Leiche des Mannes gemeinsam mit den anderen aus dem Schutt befreite, sein Innocence an sich nahm. All das brachte er zurück zum schwarzen Orden und die bevorstehende Reise erfüllte ihn mit der alten Nervosität und er hoffte inständig, dass Kanda, ganz gleich, welchen Ort er aufgesucht hatte, wieder etwas zur Ruhe fand, dass er sich auf die Fahrt vorbereitete. Bereute er es? Wieder stellte er sich diese Frage, als er dem Zug der Finder folgte. Sie trugen die Leiche zwischen sich und eingewickelt in einem weiten Tuch. Es war kein schöner Anblick gewesen. Ja, was wäre gewesen, hätte Crowley ihn begleitet? Oder ein anderer Kollege, auf den er sich verlassen könnte. Irgendjemand, es spielte keine Rolle. Einiges wäre ihm erspart geblieben. Möglicherweise hätte sich dieser Auftrag als einfach entpuppt und sie hätten die Zerstörung des Akuma der Nachhut überlassen können. Es waren wirklich weitere Exorzisten eingetroffen. Zwei von ihnen traf er rasch und schickte sie zu jenem Platz, an dem er dem Akuma den Schlag verpasst… ihn fortgeschleudert hatte. Sie würden sich überzeugen, ob es der Todesstoß gewesen war und Lavi blieb seinem Ziel treu, begleitete sie nicht und sah nach einem kurzen Marsch wieder die Brücke vor sich. Es wäre alles anders gekommen, dessen war er sich sicher und als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass Gedanken nichts an dem Erlebten änderten, unterdrückte er diese. Die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Er war in der Realität, im Hier und Jetzt. Er schluckte das Sinnieren hinunter, ließ die Brücke hinter sich und beschloss, sich kurz von dem rauschenden Regen zu befreien. Eine nahe Polizeistation war es, die er betrat, die vielen Menschen bereits als Zufluchtsort diente und schüttelte die gröbste Nässe aus seinem Haar, bevor er sich mit der Schulter gegen die Tür stemmte und ein großes Foyer betrat, in welchem viele Menschen saßen. Doch nun war es überstanden und kurz verschaffte er sich einen Überblick, bog in einen schmalen Flur ein und machte sich auf die Suche nach einem Telefon. Mit respektvoller Bereitschaft stellte man ihm sofort eines zur Verfügung und erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen, klemmte die Knie hinter die Kante des Schreibtisches und öffnete eine kleine Gürteltasche. Flatternd erhob sich sofort der schwarze Golem und entspannt wurde er durch das Kabel mit dem Telefon verbunden, hielt sich ruhig in der Luft, während Lavi eine Nummer wählte. Dieser Auftrag hatte ihn mehr mitgenommen, als er dachte. Er spürte es erst jetzt und blinzelte matt, als er dem Rufsignal lauschte. „Verzeihung?“ Ein junger Beamter war es, der ihn ansprach und mit großen Augen starrte er auf die Tasse heißen Tees, die man ihm reichte. Etwas Besseres konnte es nicht geben und dankbar nahm er sie an, als der Anruf auch schon entgegen genommen wurde „Hier Lavi“, meldete er sich, wendete den Hörer in die eine Hand und umschloss mit der anderen die Tasse. „Der Auftrag ist teils erfüllt.“ Er pustete über die dampfende Oberfläche des Getränkes, lauschte der Stimme seines Vorgesetzten und nickte. „Die Verstärkung ist eingetroffen, der Akuma höchstwahrscheinlich zerstört. Ja…“, wieder nickte er, starrte auf die Tasse und sah kurz einem Mann nach, der auf der anderen Seite des Schreibtisches vorbeieilte. „Den einen Exorzisten haben wir verloren, sein Innocence ist sichergestellt.“ Erneut verstummte er, pustete über den Wasserdampf und rückte sich kurz zurecht. Er lauschte Komui aufmerksam, ließ kurz darauf die Tasse sinken und schien kurz zu grübeln. „Wenn es hier keine dringenden Aufgaben mehr für uns gibt, würde ich lieber sofort zurückkommen.“ Eine Frage folgte, die in seinen Befürchtungen aufgetaucht war und er schürzte die Lippen, sah sich flüchtig um. „Wir sind größtenteils unversehrt geblieben.“ Er ging der direkten Antwort aus dem Weg, wieder lauschte er in den Hörer, schüttelte jedoch den Kopf. „Nicht am Telefon“, meinte er. „Ich melde mich bei dir, sobald wir zurück sind.“ Somit verabschiedete er sich knapp, legte den Hörer auf und wandte sich wieder der Tasse zu. Seinen kalten Händen ging es bereits besser und kurz schloss er sie noch einmal beide um die warme Keramik, bevor er die Tasse abstellte, ohne vom Tee zu trinken und sich erhob. Flink wurde der Golem abgekoppelt und in der Tasche verstaut. Er wollte keine Zeit verschwenden und seine Schritte waren zielstrebig, als er das Zimmer verließ. Wenn sie Glück hatten, könnten sie schon spät abends zurück im schwarzen Orden sein und kurz grübelte er, wo er Kanda suchen und auch finden könnte. Hoffentlich hatte er sich nicht zu weit entfernt und als er auf den überdachten Vorbau des Hauses hinaustrat, erblickte er wahre Menschenmassen, die ihn schon von der Suche abbrachten, bevor er sie begann. Fröstelnd verschränkte er die Arme vor dem Bauch, trat zurück und suchte sich eine stille Ecke. Seine Hand glitt abermals in die kleine Gürteltasche und kurz darauf spannte der schwarze Golem erneut seine Flügel, erhob sich in die Lüfte und flatterte vor ihm. Allmählich wurde es wirklich kalt und er verschränkte die Arme abermals. „Yu? Kannst du mich hören?“ Ein leises Rauschen drang daraufhin an seine Ohren und er lugte nach draußen. Der Regen wollte nicht nachlassen. Es schüttete, wie lange nicht mehr und Lavi erhielt keine Antwort. „Yu“, sagte er also wieder. „Melde dich.“ Und endlich brach das Rauschen ab. „Ja“, antwortete die bekannte Stimme und Lavi fühlte eine gewisse Erleichterung bei ihrem gewohnten Klang. „Wir wurden zurückbeordert. In einer halben Stunde auf dem Bahnsteig?“ „Ja“, ertönte es wieder und bevor sich Lavi versah, drang wieder das Rauschen an seine Ohren und er machte sich auf den Weg. Flink huschte der Golem in die Tasche zurück und er hob den Arm über das Gesicht, als er sich durch die Menschenmengen und den Regen kämpfte. Nass haftete seine Kleidung an seiner Haut, selbst die Kälte nahm gnadenlos zu und er erhoffte sich im Zug etwas Ruhe. Nur kein Gedränge, keine anstrengenden Stimmen, auch nicht die daraufhin entstehende allgemeine Lärmkulisse. Ihm stand überhaupt nicht der Sinn danach und er stellte mit Erleichterung fest, dass sich die Menschen recht schnell auf den Rückweg machten. Viel Bevölkerung gab es nicht und bei den Massen, wie ihm entgegenströmten, konnte der Bahnhof unmöglich immer noch so voll sein. Er fand den Weg schnell, wich bald auf kleine leere Gassen aus und war sehr gut in der Zeit, als er den kleinen Bahnhof vor sich sah und dort weitaus weniger Gedränge. Hoffentlich kam der Zug auch bald und er beeilte sich, bevor er endlich unter eine trockene Unterdachung sprang, tief durch atmete und sich stöhnend das Stirnband vom Kopf zog. Nass und schwer raubten seine Haare ihm das Sichtfeld und er nahm sich kurz Zeit, sie mit der Hand etwas trocken zu schütteln, bevor er sich auf die Suche nach den Fahrplänen machte. Kanda kam ihm noch nicht unter die Augen seine Hände wrangen des Stirnband aus, als er sich zu dem Plan neigte, diesen studierte. In zehn Minuten schon? Welche Freude. Das Stirnband an der Hand baumeln lassend, trat er vor zu den Gleisen und sah sich auch dort um. Wenn Kanda nicht auch überpünktlich war, würden sie ihn trotzdem verpassen und weitere zwei Stunden in der kalten Nässe aushaaren. Entspannt strich er sich das Haar mit beiden Händen zurück, schob das Stirnband wieder an den alten Platz und wich einer aufgeregten Gruppe aus, die an ihm vorbei rannte. Mürrisch sah er ihnen nach, machte sich auf den Weg zu einigen leeren Bänken und ließ sich auf einer nieder. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine von sich und starrte auf die gegenüberliegenden Bahnsteige. Die Hände faltete er auf dem Bauch und durchaus etwas ungeduldig schweifte seine Pupille des Öfteren zur Uhr, die in solchen Augenblicken viel zu schnell zu ticken schien. Nach weiteren Minuten war noch immer keine Sicht von Kanda, dafür tauchte jedoch der Zug auf und hoffnungsvoll sah Lavi ihn heran nahen. Er richtete sich auf, stemmte die Ellbogen auf die Knie und sah sich nach beiden Seiten um. Doch Kanda ließ ihn nicht im Stich und tauchte ebenso überpünktlich auf, als der Zug quietschend hielt. Beruhigt erkannte Lavi ihn, als er neben ihm aus dem Torbogen trat, hob kurz die Hand und kam auf die Beine. Gemeinsam nahmen sie also diesen Zug und Lavi erwartete weitere Zufriedenheit. Viele freie Plätze waren noch vorhanden, viele Kabinen und als Kanda in einer dieser verschwand, folgte er ihm einfach. Er tat es mit Leichtigkeit, schloss die Tür hinter sich und erntete einen weiteren Blick, der ihm deutlich machte, dass er sich auch an jedem anderen Ort aufhalten könnte… und dass dieser Fall beweiten angenehmer wäre. Doch er beachtete es nicht, ließ sich auf die gepolsterte Bank sinken und wischte sich ein Regentropfen von der Stirn, als sich dieser noch aus seinem Haaransatz löste. Ihm gegenüber saß nun Kanda und seine auffällig zitternden Hände verschwanden, als er die Arme um die Brust legte, sie hinter ihnen verbarg. Mit dem Gesicht konnte er das jedoch nicht tun und die geröteten Augen richteten sich stur auf das Fenster, brachten deutlich zum Ausdruck, dass er direkten Blickkontakt unter allen Umständen vermeiden wollte. Lavi registrierte eine jede seiner verräterischen Bewegungen und es überraschte ihn nicht. Er selbst hatte den Grund für das weitere Zittern und die Blässe gesehen und so gelang es ihm, sich auf die eigenen Stiefel zu konzentrieren. Als der Zug anfuhr, bewegte er etwas die Füße, verfolgte die Bewegungen vertieft und schloss sich Kandas Beobachtungen an. Es versetzte ihn in Unruhe, nun mit ihm hier zu sitzen. Mit niemandem konnte man besser schweigen, als mit Kanda und doch war diese Stille seltsam dumpf und finster. Sie war annähernd unerträglich und als das Zittern auch auf Kandas Arme überging, verkrampfte sich seine Haltung zunehmend. Erstarrt verharrte auch sein Gesicht und seine Pupillen schimmerten, als lägen sie hinter nassem Glas. Keine Tränen, kein Schmerz in den Zügen des jungen Gesichtes und doch wurde Lavi Zeuge eines inneren Kampfes, der härter und grausamer nicht sein konnte. Er spürte es… fühlte, wie es unter der starren Hülle schrie und wütete. Wieder lauschte er dem leisen Rattern der Gleise und es verging keine halbe Stunde, da kam er auf die Beine und augenblicklich folgten Kandas Pupillen ihm, starrten ihn an… und sahen ein knappes Grinsen, als Lavi die Tür ihrer Kabine öffnete, in den Flur hinaustrat. „Ich hole mir was zu Essen“, erklärte er, bevor er die Tür schloss und verschwand. Und das tat er wirklich. Auf Außenmissionen wurde ihnen nur selten Zeit für eine ruhige Mahlzeit gegönnt. Ihm war es ebenso ergangen, also holte er es nun nach. Sein Magen knurrte und brummte und nach kurzer Zeit fand er die gewünschte Person. Der Rest war ebenso schnell erledigt und fast fiel es schwer, die Tür der Kabine wieder aufzukriegen. Verschiedene Packungen und anderes balancierend, öffnete er die Klinke mit dem Ellbogen und konnte auch keine Hilfe erwarten. Reglos starrte Kanda wieder aus dem Fenster und schenkte ihm nicht einmal Beachtung, als sich Lavi ihm gegenüber auf das Polster warf, die Mitbringsel neben sich auf die Bank rutschen ließ und sich sofort über die erste Sandwich-Verpackung hermachte. „Willst du auch etwas essen?“, nuschelte er entspannt, während er das Papier aufriss und nahm sofort ein knappes Kopfschütteln wahr. Welch Überraschung. Er kümmerte sich nicht weiter darum, biss ab und begann in dem Berg zu wühlen. Seine Hand wurde fündig und schnappte sich eine Büchse mit Tee. Kauend neigte er sich somit nach vorn und reichte sie seinem Gegenüber. Zumindest trinken sollte er etwas und die glasigen Augen blieben lange auf die Dose gerichtet, bevor er sie wortlos entgegennahm. Ein Dank wurde nicht erwartet und Lavi ließ es sich schmecken, während Kanda die Büchse noch etwas unentschlossen in der Hand hielt. Zum Glück gab es darin keine Kohlensäure. So wie er sie unbeabsichtigt schüttelte, würde es eine böse Überraschung geben. Er verfolgte seine Bewegungen beiläufig, sah, wie er sich bald an den Verschluss heranwagte und hoffnungslos mit den bebenden Fingern abrutschte. Lavi sah es sich lange an, bevor er sich nach vorn neigte, die Hand ausstreckte. „Soll ich…“ „Lass mich in Ruhe“, wurde er energisch unterbrochen und auch die Dose augenblicklich zurückgezogen. Selbst das kam nicht unerwartet und Lavi machte sich nichts daraus, lehnte sich zurück und vertiefte sich hungrig in die leckere Mahlzeit. Irgendwann schaffte es Kanda. Der Verschluss klickte, ein leises Zischen folgte und sofort schwappte etwas Tee durch die kleine Öffnung. Die zitternde Hand konnte die Dose nicht einmal annähernd ruhig halten und unauffällig lugte Lavi zu ihm, verfolgte, wie er die Dose zum Mund hob, inne hielt und sie kurz darauf wieder sinken ließ. Der Tee schwappte bereits auf den Ärmel seiner Uniform und kurz darauf verloren die Finger einfach den Halt. Die Dose rutschte unter ihnen weg und weiterer Tee vergoss sich, als sie auf Kandas Bein landete. Ein spontaner Anflug von Hilfsbereitschaft, in dem sich Lavi erneut nach vorn neigte, noch versuchte, an die Dose heranzugelangen… und abrupt inne hielt. „Ich habe gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!!“ Plötzlich wurde er haltlos angeschrien und ruppig wischte Kanda die Dose von sich, schmetterte sie zu Boden. Wutentbrannt fixierten sich seine Augen auf Lavi und dieser setzte sich langsam zurück. „Bist du dumm?! Geht das nicht in deinen Kopf rein?!“ Schweigend schluckte Lavi hinter und Kanda kam auf die Beine. Bevor er sich versah, wurde auch schon die Tür aufgerissen und unbeeindruckt sah er ihm nach. „Vollidiot!“, verabschiedete sich Kanda noch, bevor die Tür hinter ihm schepperte und er im Flur verschwand. Gemächlich richtete sich Lavis Auge auf das Glas und es war ein Wunder, dass es dieser Wucht standhielt. Er verharrte kurz reglos, bevor er tief Luft holte, das Sandwich zum Mund hob und sich unter einem weiteren gemütlichen Bissen zurücklehnte. Dann eben nicht. Das, was soeben passiert war, war das Geringste, was er befürchtet hatte. Er war nun einmal zuvorkommend. Er ließ sich nicht stören, griff bald nach dem nächsten Sandwich und offenbarte dennoch eine rege Ernsthaftigkeit, als er den Hunger weiterhin bekämpfte. Er hatte es nicht beabsichtigt, doch nun, da sich Kanda woanders abreagierte, fiel ihm das Denken leichter und er tat es. Die weitere Fahrt verlief ruhig und die beiden brachten sie voneinander getrennt hinter sich. Die Kabine stand Lavi die gesamten Stunden über alleine zur Verfügung und die leeren Verpackungen quollen förmlich aus dem kleinen Papierkorb, als er sie irgendwann abrupt verließ. Nachdenklich hatte er sich die Gegend betrachtete, die an dem Fenster vorbeizog und nach kurzen Grübeleien, kam er flink auf die Beine und machte sich auf die Suche nach Kanda. Die nächste Haltestelle war nahe und er beeilte sich, offenbarte eine plötzliche Entschlossenheit und war höchst erfreut, als er Kanda schon sehr bald fand. Er saß außerhalb der Kabinen, recht weit hinten im Zug auf einer Bank und streckte die Beine von sich. Und als er Lavi erspähte, verringerte der Zug auch schon seine Schnelligkeit, näherte sich einem kleinen Bahnsteig. „Wir müssen hier aussteigen.“ Grinsend wies Lavi auf die Tür, machte sich auch schon auf den Weg zu ihr und winkte heiter. Doch Kanda bewegte sich nicht, wirkte nicht nur desinteressiert, sondern auch skeptisch, als er Lavi anstarrte und dieser immer noch winkte. „Wir müssen umsteigen. Genau hier, komm schon, auf die Beine mit dir.“ „Daran kann ich mich nicht erinnern“, wurde endlich murrend geantwortet und der Rothaarige stemmte seufzend die Hände die Hüften, während die Bremsen bereits quietschten. „Du hast die Karte nur kurz gehabt, ich dagegen ziemlich lange“, beharrte er und Kanda wandte trotzig das Gesicht ab. „Pass auf, ich zeige es dir.“ Eilig begann er in seinen Hosentaschen zu tasten, zog jedoch eine Grimasse und ein durchweichtes Knäuel hervor, das auch sogleich auseinander riss. Die Karte… „Ups.“ „Ts.“ Kopfschüttelnd schloss Kanda die Augen, machte immer noch keine Anstalten, sich zu bewegen und der Zug kam zum Stillstand. Doch bevor er sich versah, wurde er am Handgelenk gepackt und auf die Beine gezogen. „Los, los!“ Lachend schob Lavi ihn vor sich her und bevor Kanda sich wehren konnte, stand er bereits auf dem hölzernen Bahnsteig. Auch Lavi verließ den Zug mit einem galanten Satz und dem Blick, der ihn traf, schenkte er besser keine Beachtung. Stattdessen atmete er genüsslich durch, stemmte die Hände in die Hüften und verschaffte sich eine knappe Orientierung. In diesem Augenblick fuhr der Zug an und ratterte davon. Die Gegend hier war größtenteils von Bauern und Farmern bewohnt. Weite Felder erstreckten sich zu ihren Seiten und ein langer Weg wartete auf sie, bevor sie auf die Route eines anderen Zuges trafen, der sie direkt Nachhause brachte. Angenehmer Sonnenschein erwartete sie und hier sah es nicht aus, als hätte es überhaupt geregnet. In nahen Bäumen zwitscherten die Vögel und Lavi streckte sich ausgiebig, bevor er doch auf Kanda aufmerksam wurde. Mit finsterer Miene stand dieser neben ihm, stierte ihn an, als wolle er sich auf ihn stürzen. „Die übernächste wäre die Richtige gewesen“, fauchte er leise und Lavis Gesicht verzog sich verblüfft. Mit großem Auge starrte er zurück, lachte nervös und kratzte sich am Kopf. „Na so etwas!“, gluckste er und Kanda stieß ein dumpfes Stöhnen aus. „Da hatte ich es wohl etwas zu eilig!“ Kanda verschränkte die Arme vor dem Bauch, schürzte die Lippen und starrte verdrießlich auf eines der schönen hellen Felder. Neben ihm wurde unterdessen intensiv nachgedacht und eine Lösung schien schnell gefunden. „Weißt du was?“, hob er heiter an und gestikulierte mit der Hand. Dieses Missgeschick schien ihn weder zu überraschen, noch zu stören und seiner Freude wurde kein Abbruch getan. Eher im Gegenteil. Mit sonniger Miene grinste er Kanda an. „Bei der übernächsten Haltestelle wären wir umgestiegen, also machen wir einfach einen kleinen Spaziergang und suchen die Route unseres nächsten Zuges.“ Er sah sich um. „Die dürfte nicht so weit entfernt sein.“ „Oder wir folgen den Schienen“, murmelte Kanda lustlos, doch in dem Moment drängte ihn schon eine Hand zur Seite, schob ihn in Richtung eines schmalen Feldweges. Ruppig befreite er sich von dem sanften Griff, schickte Lavi eine stille Warnung und folgte dem vorgeschlagenen Weg trotzdem. Somit hatte Lavi das Ziel erreicht und er folgte ihm entspannt und schlendernd. Ein kleiner Umweg… hoffentlich würde Komui die kleine Verspätung verzeihen. Bequem betrachtete sich Lavi den Weg, der vor ihnen lag. Es würde Spaß machen, hier zu spazieren und er hielt sich hinter Kanda, entschied sich von vornherein für das Schweigen und war angenehm überrascht, als Kanda nach einer Weile die Schritte verlangsamte, sich allmählich zu ihm zurückfallen ließ. Es war stille Reue und Lavi schmunzelte, während er die Hände entspannt in den Taschen bewegte und unter der Sonne blinzelte. Es war Kanda unmöglich, es in Worte zu fassen, doch Lavi akzeptierte es und letztendlich war es ihm gleichgültig, auf welchem Weg er ihm beikam. Sofort entspannte sich die Atmosphäre und lange Zeit gingen sie schweigsam nebeneinander. Kandas Miene bewies permanente Grübeleien und auch Lavi ging Eigenen nach. Seine Pupille tastete sich über den trockenen Schotterweg und bald glitt sie versteckt zur Seite. Er betrachtete sich Kandas Beine, lugte auch kurz zu seinem Bauch und presste die Lippen aufeinander, als er wieder nach vorne schaute… und dort auf etwas aufmerksam wurde. „Hey“, wurde Kanda aufgeregt angestupst und es blieb ihm keine Zeit für einen stummen Fluch, da entdeckte er es auch und Lavi blieb stehen. Fasziniert zeigte er auf ein recht großes Dorf, das sich nicht weit neben ihnen erstreckte. „Sieh dir das an!“ Er war wirklich begeistert. „Wollen wir da nicht mal vorbeischauen?“ „Nein.“ Die Antwort kam schnell und schmollend wandte sich Lavi ihm zu. „Warum nicht? Da gibt es sicher tolle Sachen zu kaufen“, bettelte er und Kanda offenbarte deutlich, dass es ihm mehr als gleichgültig war. „Wir haben keine Zeit für so einen Blödsinn“, widersprach er strikt und wandte sich dem alten Weg zu. Aber Lavi blieb trotzig stehen. „Nur kurz, ganz kurz“, versprach er, gab nicht auf und Kanda rümpfte die Nase. „Eine Stunde, okay? So oft fährt der andere Zug sowieso nicht.“ Diesmal antwortete Kanda nicht und Lavi nutzte das Schweigen rasch als Zustimmung. Schon wandte er sich ab und nahm sich einen schmalen Feldweg, der zu dem Ziel führte. Guter Laune betrat er ihn und winkte nach seinem Kollegen. „Na komm, komm schon!“ Es ließ sich nicht verhindern. Kanda schien keine Kraft für eine lange Diskussion zu haben und so folgte er Lavi stumm und mürrisch. Sie erreichten das Dorf schnell und fanden sich kurz darauf in wahren Menschenmassen wieder, die sich auf einem großen Marktplatz tummelten. Sie schienen den richtigen Tag erwischt zu haben und von überall drangen die Stimmen fleißiger Verkäufer zu ihnen. Hier schien es alles zu geben und Lavi nahm sich Zeit, die Stände und Geschäfte zu erforschen. Begeistert blieben seine Augen an einzelnen Schaufenstern hängen und vorerst achtete er nicht auf Kanda, der sich in dieser Umgebung alles andere als wohl zu fühlen schien. Natürlich, es war sicher eine Belastung, dem Gedränge, sowie der Geräuschkulisse ausgeliefert zu sein, doch Lavi war sich sicher in seinem Vorhaben. Ja, der Plan war aufgegangen und das, was Kanda als lächerliches Gehabe interpretierte, war ein Versuch, ihm angenehme Ablenkung zu verschaffen. Schweigend und durchaus etwas unsicher folgte er seinem älteren Kollegen, wich einzelnen Menschen aus, sah sich permanent um und wirkte, als wäre er lieber an einem anderen Ort. Ganz gleich an welchem, Hauptsache nicht hier. Selbstverständlich registrierte Lavi seine Nervosität und er ließ ihn nicht lange unbeachtet. „Yu!“, rief er ihn von einem kleinen Stand aus und fuchtelte mit einer kleinen, niedlich verpackten Schachtel. „Sieh dir das an! Soll ich das für Allen mitnehmen?“ Darauf wusste er keine Antwort. Verlangte Lavi es ihm wirklich ab, ihn in Sachen süße Mitbringsel zu beraten? Für Menschen, an die er nicht einmal freiwillig das Wort richtete? Seine Miene brachte diese Gedanken deutlich zum Ausdruck, als er auf die Verpackung starrte und Lavi wartete nicht auf seine Antwort. „Ich nehme es“, lachte er und machte sich auf den Weg zum Verkäufer. „Mein Gott“, seufzte er, als er kurz darauf zu Kanda zurückkehrte. „Da wird er sich riesig freuen.“ Zermürbt wandte Kanda den Blick ab. Seine Augen schweiften zu einer kleinen Gasse und es war deutlich, wie gerne er sich nun in diese zurückziehen würde, um all dem Trubel zu entgehen. Doch Lavi zog ihn fürsorglich weiter, hielt sich neben ihm. „Weißt du was? Wir bringen den Anderen auch noch etwas mit!“ Erschöpft und müde unterwarf sich Kanda und es dauerte nicht lange, da blieb Lavi an einem anderen Stand hängen. Kanda achtete nicht darauf, was er sich da ansah, doch kurz darauf wurde ihm ein kleines Stofftier unter die Nase gehalten. Es war wirklich winzig und während Lavi grinste, starrte Kanda es säuerlich an. War das ein…? „Panda…“, hauchte er wenig begeistert und der Rothaarige lachte und zog es zurück. „Sieht aus wie Panda-Opa, findest du nicht? Das kaufe ich auch!“ Gesagt getan und kurz darauf war Lavi um ein weiteres Mitbringsel reicher. „Der wird sich grün und blau ärgern“, gluckste er voller Vorfreude und wendete das kleine Stofftier in der Hand. Neben ihm wurde tief durchgeatmet und so schlug Lavi unauffällig etwas ruhigere Wege ein. Sie nahmen einen kleinen Umweg durch beinahe leere Gassen, um zur anderen Seite des Marktes zu gelangen und aufmerksam behielt Lavi seinen Gefährten im Auge. Zuviel wollte er ihm auch nicht zumuten und wenn diese Ablenkung zu einer zu großen Belastung wurde, würde er sich auch sofort beenden. Die Mitbringsel waren nicht das Wichtigste bei diesem kleinen Umweg. Bald ließ er den kleinen Panda in seiner Gürteltasche verschwinden und gleichzeitig schwirrte der Golem hervor, flatterte um ihn herum und labte sich an der sonnigen Wärme. „Wollen wir etwas essen?“, wandte sich Lavi an den Jüngeren, als sie ihr Ziel erreichten und sich ihnen weitere Stände und Läden präsentierten. Er hoffte auf eine Zustimmung… blieb jedoch realistisch und wunderte sich nicht über das desinteressierte Schulterzucken. Er schnalzte nur mit der Zunge und machte sich auf den Weg, folgte einem verlockenden Geruch und erreichte kurz darauf einen Stand, an dem man köstliche Krabbenspieße bekommen konnte. In sicherer Entfernung war Kanda stehen geblieben und permanent drang das glückliche Seufzen an seine Ohren, während er auf den Boden starrte. „Das nehme ich“, entschloss sich Lavi kurz darauf. „Und das, und das… das da auch.“ „Sehr gerne!“, freute sich der Verkäufer und Kanda stieß kontrolliert die Luft aus der Lunge, hob die Hände und rieb sich das Gesicht. Lange hielt er es hier nicht mehr aus. Es war zermarternd, diesen Geräuschen, diesem Menschenmeer ausgeliefert zu, von einer Seite zur anderen gezerrt zu werden. Er fühlte einen leichten Kopfschmerz und rieb sich auch die Augen, bevor er die Hände sinken ließ, schwer schluckte… und auf den Krabbenspieß starrte, der ihm vorgehalten wurde. Lavi kaute bereits und Kanda regte sich nicht, wirkte weniger begeistert. „Bitteschön!“ Der Krabbenspieß wurde ungeduldig bewegt und süße Brisen des wunderbaren Geruches stiegen Kanda in die Nase. Es gefiel ihm überhaupt nicht, etwas anzunehmen und doch… als Lavi noch ungeduldiger damit fuchtelte, nahm er es murrend an und kurz blieben sie etwas außerhalb stehen, um entspannt essen zu können. Welch ein Erfolg. Lavi erfreute sich daran, wie Kanda kaute, fühlte sich sofort etwas beruhigter, sicherer. Mit dieser kleinen Stärkung hielt es Kanda sicher noch etwas länger aus. Immerhin fehlten noch so einige Mitbringsel. Mit der Schulter an eine Hauswand gelehnt, ließ Kanda es sich schmecken. Seine Miene offenbarte durchaus mangelnden Genuss und den Hunger bekämpfte er mit winzigen Bissen, nach denen er äußerst lange kaute. Er nagte furchtbar lange an diesem Krabbenspieß, doch Lavi gab ihm alle Zeit der Welt und vernichtete soeben seinen Dritten, als Kanda allmählich mit seinem fertig wurde, das letzte Stück mit den Zähnen vom Holzstab zog und diesen träge in einen nahen Mülleimer warf. Er hatte wirklich aufgegessen, obgleich Lavi von Anfang an mit einer strikten Absage gerechnet hatte und gemächlich setzten sie sich wieder in Bewegung. Der Umweg nahm schon jetzt weitaus mehr als eine Stunde in Anspruch, doch Kanda schien gar nicht daran zu denken, sich die Uhren zu betrachten und unauffällig hielt er sich nahe bei Lavi, als sie sich durch eine enge Menschengruppe drängten. Schultern stießen gegen ihn, Beine streiften die seinen und er presste die Lippen aufeinander und drängte einen Mann barsch mit dem Ellbogen zur Seite, bevor er auch noch gegen diesen stieß. Was für eine Belastung und deshalb konzentrierte sich Lavi von nun an auf etwas abgelegene Geschäfte. In kleinen Nebenstraßen reihten sich diese aneinander und schnell waren auch Mitbringsel für Crowley und Miranda gefunden. Selbstverständlich wurde all das Kanda unter die Nase gehalten, seine Meinung wurde eingefordert und obwohl er so etwas nicht auf Lager hatte, gab sich Lavi zufrieden und bezog ihn in die Einkäufe ein. Bald war also alles besorgt und Lavi streckte sich genüsslich, als er den Laden verließ und sich an Kanda wandte, der es aufgegeben hatte und draußen am Schaufenster lehnte. „Alles klar.“ Lavi hob den kleinen Beutel und der Jüngere löste sich von dem Glas. „Wir können jetzt zum Zug, wenn du magst.“ Natürlich war dem so und gemeinsam schlenderten sie also weiter, um das Dorf zu verlassen und sich auf die Suche nach den Gleisen zu machen, die hoffentlich dem richtigen Zug gehörten. Da lag eine Herausforderung vor ihnen, doch Lavi hatte auch diese gemeistert und die Kommende konnte unmöglich ein Problem darstellen. Zielstrebig machten sie sich daran, das Dorf zu verlassen und bald wurden die Geschäfte neben ihnen rar. Immer größer wurden die Abstände, immer unauffälliger die Schaufenster und Lavi war gerade damit beschäftigt Mirandas kleine Pralinenschachtel zu betasten, da wurde er darauf aufmerksam, wie Kanda neben ihm das Gesicht drehte, auf etwas aufmerksam wurde. Er folgte seinen Augen und da gab es ein Geschäft, das an ihnen vorbeizog. Blanke Klingen im Schaufenster, kunstvollen Scheiden, Hefte… ein recht großer Schwertladen und er hob die Augenbrauen, als Kanda sich wieder nach vorn wandte, zum alten Schritttempo zurückfand und den Laden hinter sich ließ. Nanu…? Das war wirklich ein Grund, sich zu wundern und er musterte Kanda verblüfft. Eine vermutlich übereilte Reaktion. In ihm tobte augenscheinlich ein leiser Kampf und ihre Blicke trafen sich wenige Sekunden später. Lavi las puren Trotz in den dunklen Augen. Die Miene des jungen Mannes verzog sich angespannt und unter einem lautlosen Ächzen verlangsamte er seine Schritte, blieb stehen. Er schaffte es nicht… er konnte nicht weiter und Lavi schmunzelte, als er von sich selbst enttäuscht die Augen verdrehte, sich abwandte und zu jenem Laden zurückkehrte, Na also… Lavi hätte sich ernsthafte Sorgen gemacht, hätte er es über sich gebracht, sich so etwas entgehen zu lassen. Grinsend sah er, wie der junge Mann sich knapp das Schaufenster ansah und kurz darauf im Laden verschwand. Nun zog er also doch einen Nutzen aus diesem Umweg. Es war nur fair und Lavi freute sich, als er ihm kurz darauf folgte und ebenso den Laden betrat. Er war wirklich sehr groß. Überall lagen Schwerter in hölzernen Halterungen und es gab auch jede Menge andere Dinge, mit denen Lavi wenig anzufangen wusste. Er ließ die Tür hinter sich zufallen und lugte zum Verkäufer, der etwas gelangweilt hinter seiner Theke hing und die Gäste dennoch aufmerksam beobachtete. Lavi drehte sich zur Seite, betrachtete seltsame kleine Gegenstände und erspähte Kanda, als er sich in einen anderen Gang lehnte. Der junge Mann hockte vor einem Regal, griff soeben nach einem kleinen Papierknäuel und begann es auseinanderzufalten. Akribisch verfolgte er die Arbeit seiner Hände und Lavi blieb neben ihm stehen, beugte sich etwas nach vorn und starrte auf den seltsam geformten Stein, den Kanda in der Hand wendete, vor das Gesicht hob und geschult besah. Er drehte ihn, betrachtete sich jede Kante und schien ganz in seinem Element. „Was ist das?“, erkundigte sich Lavi, als er die Neugierde nicht mehr aushielt. „Ein Schleifstein“, wurde ihm ruhig geantwortet und Kanda machte sich auf die Suche nach dem Preisschild. „… diese Qualität….“, drang ein beeindrucktes Raunen aus seinem Mund und seine Augen weiteten sich, als er den Preis fand. „… für den Preis…?“ Er blinzelte ungläubig, starrte den Stein wieder an und Lavi wurde das Grinsen nicht mehr los. Es war eine unbeschreibliche Freude, Kanda so zu erleben. Innerhalb weniger Augenblicke war er völlig aus sich herausgekommen und im Moment gab es nur noch diesen Laden und den Stein, den er kopfschüttelnd sinken ließ, wieder einpackte und in der Hand behielt. Gekauft. Anschließend lehnte er sich etwas zur Seite, seine Augen tasteten sich weiter und es dauerte nicht lange, da fand er wieder etwas. Ein kleines Packet mit feinster Watte. Auf jeden Fall sah es danach aus, als er es vorsichtig öffnete und die Fasern zwischen den Fingern rieb. Aber er wirkte unzufrieden, stellte es zurück und griff nach einem anderen. Dieses schien ihm eher zu gefallen und er nickte stumm, als er das Packet schloss. Gekauft. Er ging zielstrebig und sicher vor, kam zurück auf die Beine und schaffte keine zwei Schritte, bevor er erneut hängen blieb. Wieder zog er etwas aus dem Regal und Lavi blähte die Wangen auf, als er es sich so ansah. „Ein Gürtel…?“, raunte er nachdenklich und wurde von einem ernüchterten Blick getroffen. „Lederriemen“, verbesserte Kanda, öffnete eine kleine Schnalle und betastete das breite Band. „Und wofür braucht man die?“ Lavi konnte sich wirklich keinen Reim darauf machen und Kandas Fingerkuppen folgten der Struktur der Oberfläche. „Für den Schwertgriff“, murmelte er in die Beobachtung vertieft, rollte das Leder jedoch wieder zusammen und drehte sich zum Verkäufer. „Haben Sie Stärke 3?“, erkundigte er sich und der Mann wies hilfsbereit auf das Ende des Regals. Also legte Kanda das Leder zurück und machte sich auf den Weg dorthin. Lavis Augen blieben unterdessen an seinem Schwertgriff hängen und er folgte ihm. „Du hast doch gar keinen Ledergriff“, wunderte er sich und Kanda wurde fündig. „Für den äußersten Notfall, damit die Hand den nötigen Halt findet“, erklärte er Lavi. Die Lederriemen, die er nun in die Hand nahm, waren dunkler und etwas schmaler und Lavi lugte abermals zu dem Mugen. Was es alles gab? Kanda gab sich nicht lange der Untersuchung hin, bevor er die kleine Rolle sinken ließ. Gekauft. Lavi kratzte sich die Nase. Komui würde sich freuen. Als Kanda den nächsten Gang betrat und dem Verkäufer den Rücken kehrte, wurde dieser aufmerksamer. Er hob die Augenbrauen und richtete sich auf. „Ihr Schwert“, hob er beeindruckt an und Kanda griff nach einem kleinen gläsernen Fläschchen. „Was ist das für eins?“ „Mugen“, antwortete Kanda in die erneute Betrachtung vertieft und der Verkäufer schien zu staunen. Sein Kennerauge reagierte auf diese Waffe mit Entzücken und er leckte sich die Lippen, als er sich etwas über die Theke neigte. „Dürfte ich es mir wohl kurz ansch…“ „Nein“, wurde er beschäftigt unterbrochen und runzelte die Stirn. Das kleine Fläschchen wurde zurückgestellt und Kandas Augen tasteten sich über die Aufschriften der anderen. Es dauerte nicht lange, da griff er nach dem scheinbar Passenden, war zufrieden. Gekauft. „Und… was ist das?“, fragte Lavi sofort und Kanda war bereits bei dem nächsten Regal, nahe der Theke. „Pflegemittel.“ „Wow.“ Was es nicht alles gab? Interessiert und gleichzeitig verdrießlich waren die Augen des Verkäufers auf das Mugen gerichtet und er verengte sie konzentriert, als er da etwas sah. „Die Heftkuppe Ihres Schwertes“, hob er an und sofort wurde Kanda aufmerksam. „Die sieht sehr abgenutzt aus.“ „Haben Sie die Passenden?“, kam sofort die Frage und der Mann machte sich eifrig auf den Weg. „Warten Sie kurz, ich schaue nach.“ Schon flitzte er davon und Lavi wurde sich der Tatsache bewusst, dass er hier nicht so schnell raus kam. Kandas Augen weiteten sich überrascht, als auf ein etwas größeres Fläschchen aufmerksam wurde. Sofort griff er danach, wendete es zwischen den Fingern, schüttelte es und musterte die Konsistenz der dicken durchsichtigen Flüssigkeit. Er war wirklich erstaunt und umso mehr, als er auf das Preisschild starrte. Lavi sah, wie ein Teil seiner Fassung aus seinem Gesicht bröckelte und er presste die Lippen aufeinander, blinzelte und besah sich den Preis erneut. Doch es schien wirklich zu stimmen und er kam auf die Beine, starrte abermals auf die Flasche und vertiefte sich in die winzige Aufschrift. In dem Moment kehrte der Verkäufer zurück und er schien das Richtige gefunden zu haben. Stolz präsentierte er mehrere Heftkuppen und Kanda machte sich auf den Weg zur Theke, nahm das kleine Fläschchen mit und schenkte den Kuppen vorerst keine Beachtung. Lavi sah ihn irritiert an, als er sich auf die Theke stemmte, nach vorn beugte und dem Verkäufer das Fläschchen mit einem tiefen konzentrierten Atemzug unter die Nase hielt. „Das“, raunte er. „Wie viel kostet das?“ Und als der Verkäufer den Preis bestätigte, ließ Kanda den Kopf sinken. Eine Reaktion, die Lavi nicht einschätzen konnte und nachdem das Fläschchen kurz in der Hand gedrückt wurde, wurde es lässig und beiläufig auf der Theke abgestellt. „Ich denke…“, eine knappe Skepsis vortäuschend, rieb sich Kanda das Kinn, „… ich nehme es.“ „Oh, danke!“ Gekauft. Lavi gesellte sich zu ihm, legte den Kopf schief. Das sah aus wie Wasser. Bequem stemmte er sich neben Kanda auf die Ellbogen, stützte das Kinn in die Handfläche und verfolgte, wie Kanda die Kuppen studierte. Er besah sich jede Einzelne, wirkte jedoch unzufrieden. „Haben Sie noch andere? Der Schliff gefällt mir nicht.“ „Ich schaue nach.“ Solche Kunden mochte der Verkäufer und entschlossen eilte er wieder davon. Lavi sah ihn verschwinden und sein Auge richtete sich zurück auf die Flasche. „Ist das zu teuer?“, murmelte er neugierig und zuckte fast zusammen, als Kandas Gesicht zu ihm herumfuhr. „Scht.“ „Hm?“ Perplex blinzelte er und unauffällig griff Kanda nach dem Fläschchen, sah sich prüfend um und neigte sich zu ihm. „Das ist…“, nur leise und angespannt erreichten ihn Kandas Worte, „… das… das ist das beste Eisenpflegemittel, das es auf dem Markt gibt…!“ Abwägend schweiften seine dunklen Augen zum Durchgang, in welchem der Verkäufer gerade verschwunden war. „Der Preis ist lächerlich“, fuhr er fort und sein Mundwinkel zuckte seltsam. „Eine Beleidigung für diese Qualität…!“ „Dann ist es vielleicht gar keine so Gute?“, raunte Lavi nachdenklich und wich zurück, als sich Kandas Gesicht mit einem Schlag verfinsterte. „Du hast keine Ahnung…!“, wurde er angefaucht. „Halt dich da raus!“ „Ist gut, ist guuut.“ Beschwichtigend hob Lavi die Hand, grinste und verfolgte, wie sich Kanda mit der alten Lässigkeit dem Verkäufer zuwandte, der zurückkehrte, ihm andere Kuppen hinlegte. Kandas Redefreude war wunderbar, beruhigte ihn fast vollends. Neben ihm griff Kanda nach dem Mugen und der Verkäufer lehnte sich mit offenem Mund zurück, als die schneidige Klinge die Scheide verließ und sinken gelassen wurde. Eine Heftkuppe schien es Kanda angetan zu haben und er hielt sie an den Griff, verglich sie und fand kaum einen Unterschied. „So ein gepflegtes Schwert habe ich selten gesehen“, hauchte der Verkäufer unterdessen und Lavi stützte sich wieder gemütlich ab, unterdrückte ein Gähnen. Das Lob drang nicht zu Kanda und er nickte, hob die Kuppe. „Die nehme ich.“ „Danke, danke!“ Gekauft. „Hm.“ Sicher wendete Kanda das Schwert in der Hand, begutachtete das schmale Heft abermals und legte den Kopf schief. „Haben Sie ein ähnliches Heft?“ Er reichte dem Verkäufer das Schwert, zog es jedoch zurück, als dieser sofort danach greifen wollte. Nur Anschauen war erlaubt und der Mann knabberte verbissen auf der Unterlippe, als er die Hände sinken ließ. „Ich schaue sofort nach“, murmelte er dennoch und rannte wieder davon. „Wozu brauchst du ein neues Heft?“, ertönte leises Nuscheln neben Kanda. Lavi hatte die Arme verschränkte und das Kinn darauf gestützt. „Für den Notfall.“ Kanda piepelte kurz an dem Heft, war nur bedingt ansprechbar. Ganz anders war es gegenüber dem Verkäufer, dem er sofort die vollendete Aufmerksamkeit schenkte. Er hatte wirklich ein Heft gefunden und stolz legte er es ab, präsentierte es dem Kennerauge, das sich sofort kritisch darauf richtete. Lavi hatte erneute Begeisterung erwartet. Das Ding sah doch ganz hübsch aus…? Doch Kanda schwieg, holte tief Luft und neigte sich unter einem nachdenklichen Brummen nach vorn. Er stemmte den Ellbogen auf die Theke, das Kinn in die Handfläche und rieb sich kurz den Mund. „Mm.“ „Was ist?“, fragte der Verkäufer sofort und Lavi gähnte. Geschult betrachtete sich Kanda das Heft und an seinem Gesicht konnte man nicht erkennen, wie er darüber dachte. Eine kurze Stille trat ein, bevor er die Lippen schürzte. „Wie viel wollen Sie dafür?“, raunte er und wurde aufmerksam von Lavi in Augenschein genommen. „Nun“, seufzte der Verkäufer und stemmte sich ebenso nach vorn. „Ich mache Ihnen ein super Angebot. Sagen wir… Fünfhundert?“ „Mm.“ Wieder eine seltsame Reaktion und der Verkäufer hob den Zeigefinger. „Wenn Sie sich diesen sauberen Schliff betrachten, die Qualität des Materials und die Tatsache, dass dieses Heft nagelneu ist, dann ist dieser Preis schon überaus gering.“ Kanda legte den Kopf schief und Lavi hob die Augenbrauen. Davon verstand er gar nichts. „Sehen Sie das?“ Zielstrebig wies Kanda auf eine Kante des Heftes und Lavi starrte dorthin. Auch der Verkäufer neigte sich nach vorn. „Das sind Abnutzungserscheinungen.“ „Ich sehe nichts“, wunderte sich der Verkäufer angespannt und Lavi rümpfte die Nase. Er auch nicht. „Der Schliff ist schon recht… gut“, fuhr Kanda fort und drehte das Heft in die Senkrechte. „Nur man sieht deutlich, dass es hier schon einmal eine Klinge gab.“ Er wies auf eine kleine Vertiefung und jetzt musste Lavi ihm zustimmen. So richtig neu wirkte es wirklich nicht. Plötzlich legte Kanda sein Mugen auf der Theke ab, zog das lose Heft neben das Eigene und der Verkäufer runzelte die Stirn. Dieser Kunde war nicht einfach. „Dieses Heft habe ich seit mehr als einem Jahr“, kommentierte Kanda und machte auf den Unterschied aufmerksam. Und wenn Lavi genau hinsah, dann sah Kandas Heft fast noch besser aus. Viel glänzender, ebener. „Ich gebe Ihnen Zweihundert.“ „Was?“ Empört schnappte der Verkäufer nach Luft. „Mein Herr, das ist ein von Hand gefertigtes Mugen-Heft! Ich verkaufe es nicht unter Vierhundertfünfzig!“ „Mag sein.“ Kanda zuckte mit den Schultern. „Aber die Oberfläche ist bereits beschädigt. Zweihundertfünfzig.“ Oha. Lavi presste die Lippen aufeinander. Feilschen. Wie spannend! „Trotzdem ist es noch in einem sehr guten Zustand“, erwiderte der Verkäufer entschlossen und funkelnd starrten sie sich an. „Die Klinge wurde sorgsam entfernt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag… Sie zahlen Vierhundertzwanzig und erhalten dazu noch spezielle Pflegetücher.“ „Davon habe ich mehr, als genug.“ Kanda atmete tief durch. „Sie können mir nicht beweisen, dass die vorherige Klinge nicht herausgebrochen ist. Das Heft ist möglicherweise unzuverlässig. Zweihundertachtzig.“ „Vierhundert!“, protestierte der Verkäufer; die Argumente schienen ihm auszugehen. „Zweihundertneunzig“, antwortete Kanda lässig. „Über die Dreihundert gehe ich nicht.“ >Am Ende muss es sowieso Komui bezahlen<, dachte Lavi sich grinsend und sah den Verkäufer abwartend an. „Dann geben Sie mir die Dreihundert!“ „Abgemacht.“ Damit war Kanda zufrieden und der Verkäufer ließ den Kopf hängen. Und… gekauft. >Beeindruckend.< Lavi richtete sich auf und der arme Mann rannte, um den beachtlichen Einkauf in einem Beutel zu verstauen. Wieder verschwand er in den Hinterräumen und ganz sicher fluchte er dort vor sich hin. Unter einem tiefen Atemzug verstaute Kanda das Mugen wieder in der Scheide und Lavi lehnte sich neben ihm an. Es lag ihm auf der Zunge… war es wirklich in so einem guten Zustand oder half es nur Kandas Ego auf die Sprünge, wenn er den Sieg des Feilschens offensichtlich für sich beanspruchte? Letztendlich war das aber egal. Kanda hatte sich von einer Seite gezeigt, die in der letzten Zeit permanent hinter Schweigsamkeit und Absenz versteckt worden war. Das war das Einzige, was zählte. Kurz darauf war alles verstaut und mürrisch schob der Verkäufer den Papierbeutel über die Theke. „Macht insgesamt Fünfhundertdreißig.“ „Die Rechnung geht an den schwarzen Orden“, antwortete Kanda, als er in den Beutel lugte, den Rand umschlug und ihn ergriff. Kein Bares? Der Mann wirkte nicht sehr begeistert, musste sich jedoch damit abfinden. Somit verließen sie dieses Geschäft und genüsslich labte sich Lavi an der frischen Luft. In der nächsten Zeit dürfte es Kanda auf jeden Fall an nichts mehr mangeln. Er faltete die Hände auf dem Hinterkopf, während er neben ihm schlenderte und es blieb nicht lange still zwischen ihnen, bis er es nicht mehr aushielt. „Wie viel ist dieses Heft wirklich wert?“, fragte er verschmitzt und Kanda verzog nachdenklich die Brauen. „Mindestens Vierhundert“, bewies er dann weitere Redebereitschaft und wieder staunte Lavi. „Mugen-Waffen sind immer sehr wertvoll. Der Zustand spielt da eigentlich eine untergeordnete Rolle.“ „Der war dann wohl auch bei weitem besser“, riet Lavi und ein knappes Schulterzucken brachte die Antwort. Na so etwas… Wer hätte das gedacht? Grinsend konzentrierte sich Lavi wieder auf den Weg und bald darauf verließen sie das Dorf und kehrten zum alten Pfad zurück. Ein Erfolgserlebnis tat immer gut und Kandas Miene wirkte auch um einiges entspannter. Nur die Tatsache, dass er der alten Schweigsamkeit verfiel, bewies, dass es sich nicht so leicht verdrängen ließ. Zwei Stunden setzten sie ihren Weg so fort, ließen bald einen kleinen Bauernhof hinter sich und blieben stehen, als sie die Gleise ihres Zuges erreichten. Vor den Schienen blieben sie stehen und nachdenklich blickten sie in beide Richtungen. Die Haltestelle war nicht erkennen und unter einem leisen Seufzen stemmte Lavi eine Hand in die Hüfte. „Sollen wir eine Münze werfen?“, erkundigte er sich guter Dinge und Kanda rümpfte die Nase, starrte in die Ferne. Wenn sie Pech hatten, würden sie noch weitere Stunden unterwegs sein, bevor sie das Ziel erreichten. Das ging ihm durch den Kopf und als Lavi sich immer noch nicht bewegte, rümpfte er die Nase erneut. „Warum hast du den Plan nicht besser geschützt“, murrte er und das Auge seines Gefährten richtete sich auf ihn. Man sah ihm deutlich an, dass er etwas sagen wollte, doch letzten Endes schürzte er nur die Lippen und starrte wieder auf die Schienen. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich aus den Gefahren zu schleppen… die nicht nötig gewesen waren. Doch er schluckte es hinunter und ließ die Hände sinken. „Weißt du was? Wir gehen nach links.“ Er nickte in die Richtung, doch Kanda wirkte nicht so, als wäre er überzeugt. „Ich mag die Richtung“, erklärte er also und grinste. „Schau, da hinten scheint die Sonne, während rechts dunkle Wolken aufziehen.“ Auch Kanda bemerkte es und letztendlich zuckte er nur mit den Schultern. Lavi wartete in der Zwischenzeit nicht auf eine Antwort und entspannt setzte er sich in Bewegung, stieg auf die Schienen und schlenderte zwischen ihnen. Kurz sah Kanda ihm nach, bevor er ihm folgte. Und wieder gingen sie schweigend nebeneinander und da der Jüngere die vor kurzem die Lust an den Gesprächen etwas zurückerlangt zu haben schien, wollte Lavi diesen Moment noch etwas ausnutzen. Lange grübelte er nach den richtigen Worten, versenkte die Hände in den Hosentaschen und holte tief Luft. Es war lange her, dass er mit Kanda alleine auf einer Mission war und außerdem verging der Weg schneller, wenn man etwas quatschte. „Gehen wir erst einmal etwas essen, wenn wir zurück sind?“ Eine unwichtig erscheinende Frage, die sich als Einstieg sicher gut machte. Kanda antwortete nicht und er kratzte sich an der Wange. „Das dürfte sowieso spät werden. Je nachdem, wir lange wir jetzt noch brauchen und ob der Zug dann gleich kommt, oder…“, er verdrehte die Augen, fuchtelte mit der Hand und wurde von einem knappen Blick getroffen, „… hätte ich doch besser auf den Plan aufgepasst!“ „Ts.“ Dazu schüttelte Kanda nur den Kopf. „Gehen wir trotzdem was essen? So ein paar Spieße machen auch nicht wirklich satt.“ Lavi ließ die Selbstvorwürfe schnell fallen. „Weiß nicht“, antwortete Kanda kurz angebunden. „Dann lass es auf dich zukommen.“ Lavi machte sich nichts daraus. „Vielleicht hast du ja plötzlich furchtbaren Hunger, wenn wir am Ziel sind?“ „Mm.“ Kanda runzelte die Stirn, das Gerede schien ihn augenscheinlich allmählich zu nerven. „Vielleicht bleibt uns auch gar keine Zeit dazu? Vielleicht müssen wir gleich weiter?“ Die genervte Miene neben sich nicht wahrnehmend, fuhr Lavi fort. „Hey, wollen wir uns nicht gleich im Zug noch etwas hol…“ Er verstummte, als Kanda plötzlich stehen blieb und als er sich zu ihm umdrehte, wurde er argwöhnisch angestarrt. Irritiert erwiderte er den Blick. „Was ist?“ Der Jüngere holte die Luft. „Warum kümmerst du dich nicht um deinen Kram!“, es ähnelte einem düsteren Vorwurf und so, als hätte sich etwas in ihm angestaut. Lavi hob die Augenbraue und der Andere offenbarte beinahe schon Zorn, als er ruppig mit der Hand gestikulierte. „Warum kümmert ihr euch nicht alle um euren eigenen Kram!“ „Wie?“ Lavi verstand es nicht. Auch die Tatsache, wie schnell Kanda rückfällig wurde, erfüllte ihn mit Irritation. „Permanent mischt ihr euch ein! Es geht euch einen Dreck an, wie und wann ich esse!“ Es schien sich wirklich nicht länger in Kanda zu halten und ebenso schienen ihm die Worte zu entgleisen, als er zischend Luft holte. „Ich muss nicht bemuttert werden!“, fauchte er und Lavi blähte die Wangen auf. „Es geht mir gut, kapiert?!“ „Yu?“ Es war sehr interessant, was Lavi da hörte, doch er ließ es sich nicht anmerken und gab sich überrascht. „Danach habe ich gar nicht gefragt. Aber es ist schön, wenn es dir so gut geht.“ Daraufhin zuckte er mit den Schultern und unter einem leisen Fluch setzte sich Kanda in Bewegung. „Hör auf, mich so zu nennen!“, fauchte er noch, bevor an Lavi vorbeizog. ~*to be continued*~ Kapitel 7: ~6~ -------------- Die Dunkelheit neigte sich bereits über den Bahnhof, als sie ihn erreichten und somit ihr Ziel. Mit einer Verspätung von knapp drei Stunden waren sie nun angekommen und verließen gemächlich den Zug. Die letzte Fahrt war still verlaufen. Es war nichts, das Lavi überraschte, denn Kandas Kräfte hatten irgendwann aufgegeben. Ohne eine feste Ruhezeit war er unterwegs gewesen und er verfiel der absenten Schweigsamkeit, von der ihn scheinbar nichts lösen konnte. Kein Abstecher, kein interessanter Laden. Das Schweigen war über sie hereingebrochen und Lavi hatte ihn nicht mehr dazu genötigt, etwas zu sagen, war ebenso stumm verblieben und hatte die letzten Stunden genutzt, um selbst neue Kraft zu schöpfen. Und dann, als sie das Hauptquartier erreichten und betraten, spürte Lavi deutlich, wie ihn die düsteren Geschehnisse wieder einholten. Er hatte sich selbst nur darauf konzentriert, Kanda eine Hilfe zu sein, ihn etwas aufzurichten, bevor er ganz fiel. Vielleicht hatte er es also selbst verdrängt, da er sich auch nicht zu helfen wusste. Er wurde sich dieser Möglichkeit bewusst und von nun an hatte seine eigene Schweigsamkeit einen anderen Grund. Seite an Seite trotteten sie nun die Gänge und als sie das Treppenhaus erreichten, blieb Kanda stehen. Erwartungsvoll drehte sich Lavi zu ihm und erkannte eine müde Geste, in der die Tüte gehoben wurde. „Ich geh schlafen.“ Die ersten Worte seit langem und Lavi hatte eigentlich nichts anderes erwartet. Es war verständlich und er nickte. „Ich melde uns bei Komui und kümmere mich um das Innocence.“ Darauf nickte Kanda lediglich und schon wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Ihm schien nicht der Sinn danach zu stehen, ihn zu Komui zu begleiten. Vermutlich mussten die Erlebnisse erst einmal sacken, bevor er Stellung zu ihnen beziehen konnte. Und das musste er auch… höchstwahrscheinlich. Auch Lavi setzte sich wieder in Bewegung und es dauerte nicht lange, da stand er wieder vor jener Tür, klopfte an und öffnete sie. „Ja, ich verstehe... trotzdem musst du mich doch nicht anschreien, oder?“ Mit einem schmollend verzogenen Mund neigte sich Komui zu seinem Schreibtisch hinab. Und flüchtig winkte er Lavi zu sich, bevor er die Mütze festhielt und die Stirn auf die Arbeitsfläche traf. In der anderen Hand hielt er den Telefonhörer. „Ich verlange doch nicht viel von dir“, seufzte er und blieb erschöpft liegen, während Lavi näher trat, sich den Beutel über die Schulter warf und das bequeme Sofa erreichte. Er glaubte fast, die aufgebrachte Stimme zu hören, die laut gegen Komuis Ohr schallte und plötzlich fuhr der Mann in die Höhe. Die Mütze rutschte von seinem Kopf, als er die Hand zu einer Faust ballte und funkelnde Entschlossenheit blitzte in seinen Augen auf. „Wenn du das jetzt machst, dann kriegst du morgen frei!“, rief er feierlich, doch die Stimme erhob sich wieder und wirkte nicht sehr begeistert. „Doch, wirklich!“, versprach Komui nach wenigen Momenten und verzog das Gesicht, als er weiter angeschrien wurde. „Wieso glaubt mir keiner?“ Seufzend sank er in sich zusammen und hielt in den Bewegungen inne, als ein abruptes Tuten an sein Ohr drang. Aufgelegt… na so etwas! Er runzelte die Stirn, schien es erst realisieren zu müssen. Aber er kam schnell darüber hinweg. Flink wurde der Hörer abgelegt und mit einem matten Stöhnen wandte er sich an seinen Gast, der sich gesetzt hatte. „Mm… mja…“, unentschlossen rückte er an den Unterlagen, lugte in die leere Tasse und kratzte sich die Stirn. Er wirkte etwas verwirrt und brauchte einen tiefen Atemzug, bevor er Lavi seine vollendete Aufmerksamkeit schenken konnte. Sein Gesicht entspannte sich, seine Hände falteten sich auf dem Tisch und seufzend richtete er sich auf. „Lavi.“ „Ja.“ „Ihr seid zurück?“ „Ja.“ Lavi nickte entspannt, doch Komui wirkte nicht zufrieden. Seine Miene wurde wieder von einem gewissen Trotz befallen und er verzog den Mund. „Viel zu spääät.“ „Das tut mir leid“, entschuldigte sich Lavi sofort und unauffällig schob er den Beutel mit der Ferse unter das Sofa. „Yu und ich sind… aus Versehen falsch ausgestiegen und mussten einen kleinen Weg bewältigen.“ „Ach!“ Beleidigt winkte Komui ab und Lavi legte den Kopf schief. „Dieselbe Ausrede hat Crowley auch genutzt! Unverschämtheit!“ Ein unsicheres Grinsen zog an Lavis Lippen und er kratzte sich am Hals. Crowley hatte sich verfahren? Sehr nachvollziehbar. „Nun gut.“ Tief Luft holend, hakte Komui diese Sache ab und seine Miene gab pure Müdigkeit preis, als sie sich entspannte, eine gewisse Ernsthaftigkeit annahm, in der er sich zurücklehnte und Lavi musterte. „Hast du das Innocence schon zu Hebraska gebracht?“ „Noch nicht.“ „Mm.“ Daraufhin nickte Komui und seine Augen schweiften gedankenvoll über die wirren Unterlagen. „Das Telefonat, das wir heute Morgen geführt haben, hat mich beunruhigt“, murmelte er in die ziellose Beobachtung vertieft. „Und wo wir dabei sind… wo ist Kanda?“ „Hat sich hingelegt“, antwortete Lavi und bereitete sich auf das Gespräch vor, das ihm nicht leicht fallen würde. „Dann erzähl mir jetzt, was du mir heute Morgen nicht erzählen konntest.“ Komuis Hand gelangte zu einem Kuli und er drehte ihn zwischen den Fingern, während er Lavi erwartungsvoll und ernst taxierte. Der junge Mann räusperte sich, rückte sich kurz zurecht und beugte sich nach vorn. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, als er die Ellbogen auf die Knie stemmte und die Hände faltete. Wo sollte er nur beginnen? Es war soviel, das ihm durch den Kopf ging. „Yu’s Verhalten in dieser Mission wich von den Richtlinien und dem Auftrag ab“, begann er letztendlich einfach zu reden und Komui lauschte ihm mit annähernd empfindungsloser Miene. „Um ehrlich zu sein, gestaltete er die Erfüllung der Mission schwieriger, indem er meine Ratschläge nicht mehr beachtete und auch abrupt die Teamarbeit vernachlässigte. Und dennoch konnte der Auftrag mit dem möglichen Erfolg erledigt werden.“ „Und weiter?“ Komui sah ihn an, ohne den Blick auch nur ein einziges Mal zu lösen und Lavi verfing sich abermals in einem Zögern. Es war gegenüber seines Vorgesetzten zu Ehrlichkeit verpflichtet und sich dessen sehr bewusst. Nur war es ihm noch nie so schwer gefallen. „Er forderte den Akuma stur zum Kampf und schien ihm letztendlich zu unterliegen. Das Schlimmste konnte ich verhindern, doch nachdem der Akuma außer Gefecht gesetzt wurde…“, er gestikulierte unentschlossen mit der Hand, suchte nach den richtigen Worten, „… schien er einer Art Panikattacke zu erliegen. Er hyperventilierte, fantasierte und murmelte Unverständliches, nahm mich überhaupt nicht wahr… ich konnte ihn nur mit Gewalt in die Realität zurückholen.“ Komui senkte den Blick und Lavi presste die Lippen aufeinander. „Daraufhin wies sein Körper Anzeichen von mangelnder Grob- und Feinmotorik auf, des Weiteren litt er unter Erbrechen, Zittern und Schweißausbrüchen. Für geraume Zeit war er nicht reaktionsfähig, kaum ansprechbar und sichtlich verstört. Ja…“, er nickte in sich hinein, starrte vor sich auf den Boden und richtete nach einem kurzen Schweigen auf. Komui bearbeitete den Kuli unterdessen mit den Zähnen. „Aber sein Zustand hat sich während der Fahrt und durch beinahe permanente Ablenkung gebessert.“ Somit verstummte er und Komui ließ den Kuli sinken, bewegte stumm die Lippen und richtete sich auf. Der Bericht versetzte ihn augenscheinlich in Bestürzung und er stützte sich auf den Schreibtisch, sah Lavi an und traf auf dessen Blick. „Kleine Komplikationen habe ich erwartet… wir haben uns beide darauf eingerichtet, aber so etwas? Ahh.“ Er stöhnte zermürbt. „Trotz aller Bemühungen scheint es sich nur verschlechtert zu haben.“ „Ich würde trotzdem nicht von einer allgemein schlechten Verfassung sprechen“, warf Lavi ein. „Für all das muss es einen bestimmten Auslöser gegeben haben.“ „Und du weißt nicht zufällig, welcher es sein könnte?“, kam sofort die Frage, doch er schüttelte den Kopf. „Tja.“ Komui legte den Kuli ab und rieb sich den Mund. „So etwas darf einem Exorzisten trotzdem nicht passieren.“ Und Lavi musste zustimmend. Die Befürchtung, dass sich ein solches Ereignis innerhalb einer Mission wiederholte, war nicht zu verantworten. Zuviel hing von jeder einzelnen ab, zu groß war die Gefahr, dass weitere in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es war wirklich nicht tragbar und die Beiden grübelten kurz. „Ich kann leider nicht viel mehr dazu sagen“, murmelte Lavi bald darauf und hob hilflos die Hände. „Nur, halte ihn erst einmal unbedingt von Aufträgen fern. Wirklich, kein Einziger. Ich will mir nicht vorstellen, wie es enden könnte.“ „Bleibt mir etwas anderes übrig?“ Komui schien genauso wenig Freude an diesem Gespräch zu haben und seine Worte klangen nach einem nahen Schlussstrich. Er regte sich auf dem Stuhl, schien sich gezwungener Maßen zu entspannen und schürzte die Lippen. „Das, was du mir gerade gesagt hast, erwähnst du bitte auch im Bericht. Ich brauche es schriftlich. Kanda lassen wir jetzt schlafen aber sobald er wieder draußen anzutreffen ist, schickt ihr ihn zu mir.“ „In Ordnung.“ Mehr musste eigentlich nicht gesagt werden, doch Lavi sah nicht aus, als wäre es somit für ihn abgehakt. „Welche Maßnahmen gedenkst du zu ergreifen?“, fragte er. „Nur das Nötigste“, erwiderte Komui und schnappte sich eine kleine Mappe. „Ich werde es von ihm und seiner Kooperationsbereitschaft abhängig machen.“ Er hielt in den Bewegungen inne. „Eigentlich möchte ich mich nicht weiterhin mit dem Fall beschäftigen, bevor er sich dazu geäußert hat.“ Nicht nur Lavi fühlte sich also etwas hilflos in dieser Lage. Es kam nicht überraschend, nicht unvorhergesehen und letztendlich blieb ihnen wohl gar nichts anderes übrig. Auch Lavi gab sich damit zufrieden und es blieb bei wenigen Worten, bevor er das Büro verließ und sich auf den Weg machte, das Innocence abzugeben. Es war noch sehr früh am Morgen, als Kanda die Augen öffnete, unter dem grellen Tageslicht blinzelte und sich zur anderen Seite rollte. Die Decke, die etwas mitgenommen aussah, zog er träge mit sich, ließ sie jedoch los, als sie unter seinem Bein hängen blieb. Reglos verharrte er so, runzelte die Stirn unter dem offenen Haar und schöpfte tiefen Atem. Die Nacht war nur stockend und langsam an ihm vorbeigezogen. Oft war aufgewacht, grundlos zitternd und von einer Unruhe geplagt, die er nur schwerlich von sich streifen konnte, bevor er sich erneut in den Schlaf quälte. Dreimal musste es passiert sein, möglicherweise auch noch öfter und nur benebelt waren seine Erinnerungen an die einzelnen wachen Zustände. Das Bett war unbequem gewesen, der Atem zu schnell, als dass sich der Körper hätte entspannen können. Schweißnass hatte das Hemd an seinem Körper gehaftet und er spürte einen leichten Kopfschmerz, als er sich wieder zu regen begann, die Beine von sich streckte und sich auf den Bauch rollte. Vermutlich war ihm in dieser Nacht kaum Erholung zugekommen. Er fühlte sich jedenfalls nicht danach und sein Körper schmiegte sich träge auf die Matratze, als wolle er sich heute nicht mehr von ihr lösen. Einfach liegen bleiben… hinter sich die geschlossen Tür und die Geräusche, die sich auf der anderen Seite erhoben, ihn nicht betrafen. Er rümpfte die Nase, sein Gesicht sank zur Seite und trübe starrte er auf die farbigen Scheiben seines großen Fensters. Es war wirklich schon hell… Er blieb nicht lange liegen, zwang sich dazu, aufzustehen und gähnte ausgiebig, bevor er die Hände auf den Tisch stemmte, zurücktrat und sich streckte. Seine Wirbelsäule knackte, seine Schultern knirschten und der Kopfschmerz nahm zu. Er flüsterte einen unverständlichen Fluch, tastete nach dem Haargummi und band sich das Haar nach oben. Dabei wurde er darauf aufmerksam, dass er es gestern lediglich aus dem Mantel geschafft hatte, bevor er in das Bett gefallen war. Das Hemd, die Hose… sie wurden immer öfter als Schlafsachen ausgenutzt und er strich träge gegen die Knitterfalten, bevor er zur Tür trottete. Als er auf den Flur hinaustrat, erwachte allmählich seine Gedankenwelt und zielstrebig ging er seinen Weg. Man hatte ihn schlafen gelassen, ihn nicht gestört… es war offensichtlich, dass Komui Nachsicht zeigte. Selbstverständlich, er rieb sich die Stirn, Lavi war zu ihm gegangen und er hatte kein gutes Gefühl, wenn er über das mögliche Gespräch nachdachte. Dass erzählt wurde, was er selbst nur teilweise erlebt hatte. Ein leises Brummen entrann ihm, als er eine Treppe erreichte und sie hinab stieg. Seine Schritte wirkten schlaksig und er tastete sich an dem Geländer hinab. Er konnte sich vorstellen, was ihn erwartete. Seine Gedanken waren in letzter Zeit so finster, dass er Schlüsse solcher Art mit Leichtigkeit ziehen konnte. Er war sich seines Verhaltens während der Mission bewusst, selbst, wenn es seiner Meinung nach, kein unverzeihlicher Fehler gewesen war, erwartete er, dass er vor allem darauf angesprochen wurde. Er würde es nicht zu verhindern wissen… heute würde man wohl in einem anderen Ton mit ihm sprechen und er beschloss, dieses Erlebnis noch etwas vor sich herzuschieben. In diesen Momenten stand ihm nicht der Sinn danach und wenn man ihm die Zeit gab, dann nahm er sie auch. Des Weiteren… er brauchte keinen Spiegel, um sich seines äußeren Erscheinungsbildes bewusst zu sein. Seit langem kehrte es nach draußen, was er für sich behalten wollte und vermutlich hatte die vergangene Nacht keine positive Veränderung bewirkt. Erst würde er sich etwas stärken, die Müdigkeit, sowie die Benommenheit von sich streifen, etwas zu sich nehmen und dann, wenn er meinte, gewissen Belastungen gewachsen zu sein, dann würde er Komui aufsuchen. Bald erreichte er sein Ziel, betrat moderne Umkleideräume und kratzte sich den Steiß, während er auf einen hohen Wandschrank zusteuerte. Schnell war eine Tür geöffnet und er ließ sich Zeit, die Stoffe zu mustern, die nun säuberlich vor ihm lagen. Es waren Yukata und er zog einen Schwarzen hervor, stieß die Tür mit dem Fuß zu und warf den Stoff auf die nächste Bank. Langsam und ermattet kleidete er sich aus, streifte sich den Yukata über und ließ seine Sachen zurück, als er die Räume durch eine andere Tür verließ. Der Onsen war es, den er nun betrat und er labte sich an der warmen, von schwerem Wasserdampf geschwängerten Luft, bevor er die Tür hinter sich schloss und näher trat. Zumindest etwas Glück schien ihm zuteil zu werden. Der Onsen war an diesem Morgen verlassen und so würde es auch niemanden geben, der ihn störte. Barfuss näherte er sich der ersten Quelle, sicherte den Halt des Yukata mit der Hand und kniete sich nieder, um sich dieses Wasser genau zu betrachten. Hin und wieder lauerten hier üble Gefahren. Juckreize, unter denen die Wissenschaftler nach einem Gruppenbad zu leiden hatten und noch ganz andere Sachen, die nicht angenehm waren. Seltsame Stoffe, die hin und wieder in dieses Wasser gelangten. Aber heute schien es in Ordnung. Jedenfalls fühlte es sich gut an, als Kanda die Hand eintauchte und sie etwas bewegte. Somit kam er auf die Beine, lockerte den Gürtel des Yukata und streifte ihn sich von den Schultern. Achtlos ließ er ihn liegen, als er in die heiße Quelle stieg. Wie angenehm… dieser Genuss, als er die Wärme an seinen Beinen spürte und sobald er eine gute Stelle gefunden hatte, ließ er sich tiefer sinken. Noch schnell den langen Zopf zu einem Dutt gebunden und unter einem befreiten Atemzug legte er den Hinterkopf auf das Gestein und verharrte reglos. Nur das leise Plätschern drang an seine Ohren, der eigene Atem und kein anderes Geräusch. Eine kleine Unebenheit drückte gegen seinen Rücken, doch er hatte keine Lust, sich zu bewegen und ging seinen Gedanken nach. Die Schmerzen seines Unterleibes hatten endlich von ihm abgelassen, ebenso das Hinken war er losgeworden und die leichten Beschwerden seiner Schulter waren so gering, dass sie nicht beachtet werden mussten. Ja, sein Körper schien sich erholt zu haben. Er bewegte die Lippen, seine Lider bewegten sich und blieben dennoch geschlossen. Seine Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug und sein Gesicht sank zur Seite. Das Plätschern… beinahe wurde es durch seine Grübeleien überdeckt. Die Lautstärke schien allmählich abzunehmen und er genoss diese Ruhe, die seinen Körper schwer machte. Er gab sich ganz der Entspannung hin und doch rumorte bald eine Sorge in seinem Kopf. Ein realistisches Eingeständnis. Seinem Leib ging es wirklich besser, doch… es gab so viele Wunden und nicht alle konnte er mit der ihm gegebenen Schnelligkeit heilen. Was war geschehen, als er gegen den Akuma kämpfte…? Was hatte ihn mit sich gerissen…? Er spürte eine Barriere, die ihn abzuhalten versuchte, doch überwandt sie, um sich mit dem Erlebten zu befassen. Er musste es. Es würde sich nichts ändern, wenn er diese Tatsachen im Raum stehen ließ. Er selbst sehnte sich nach Gewissheit, nach Erklärungen… nach der Sicherheit, dass dies eine einmalige Sache war und ewig bleiben würde. Was hatte er gefühlt? Was hatte er gedacht oder geglaubt, zu erleben? Er spürte einen kalten Stich tief in seinem Inneren, der sich über die Wärme des Wassers hinwegsetzte. Angst… das war das Wort, das ihn erfasste. Es war Angst… abgrundtiefe Angst gewesen, der erlag. Wie ein finsteres Loch klaffte diese Erinnerung in ihm und er neigte sich nach vorn und blickte hinab. Unendliche Tiefe, ohne Grund. Der Boden unter seinen Füßen… er fehlte und nur das Durchhaltevermögen seines Körpers hielt ihn vom Sturz ab. Darauf musste er sich konzentrieren, darauf einen Wert legen, wie noch nie zuvor. Das Verbergen seines Zustandes, seines Fühlens und Denkens fiel leichter, konnte vor fremden Augen zur Perfektion getrieben werden und war doch keine Lösung für die Ewigkeit, eher noch weit davon entfernt. Er brauchte die Wahrheit, die Gewissheit über sich selbst, um die Anstrengung ablegen zu können und sich nicht mehr verstellen zu müssen. Kein Zwang, die Mimik entspannt wirken zu lassen, obgleich er Schmerzen empfand. Keine straffen Schultern, die unter der Anspannung stachen. Kein Widerspruch zu sich selbst. Erklärungen… die brauchte er! Was hatte zu all dem geführt? Wo lag der Anfang und wie weit entfernt war er von dem Ende? Welchen Weg hatte er noch zu beschreiten, bis er wieder er selbst war und das ganz automatisch, ganz natürlich? Er sah das Bild vor sich… den dürren schwarzen Leib des Akuma… die Klaue, die seinen Hals umfasste, sowie die Enge, in die er getrieben wurde. Wie offensichtlich… beinahe grenzte es schon am Lächerlichen, dass er sich dessen nicht eher bewusst geworden war. An einer Wand hatte er gelehnt, am Gestein wurde er fixiert, von einer Hand dagegen gepresst… bevor es geschah. Eine zurückgekehrte Erinnerung… völlig fehl am Platz und der einzige Auslöser, den er fand. War allein die Haltung so ausschlaggebend gewesen? Hatte er befürchtet, dass es sich wiederholte? Nur, weil sich die Zustände ähnelten? Wie schwer musste es ihn getroffen haben, wie sehr aus der Bahn seines Lebens geworfen, dass allein das reichte, um ihm eine Panik aufzudrängen, die ihm bislang fremd gewesen war. Aber natürlich, er hatte es verdrängt, sich durch die Maskerade selbst belogen und einfach verhindert, all das zu verarbeiten. Aber konnte er das? Es war grausam gewesen und er ertappte sich, wie er eine weitere Barriere erreichte und vor ihr inne hielt. Es war… Die Einsicht geriet ins Stocken, schien zu zerbrechen. Grausam. Er fühlte sich mitgerissen von einer Woge des Zurückweichens. Schwere übermannte ihn, Schwindel… und ein dumpfer Druck in seiner Brust, der annähernd unerträglich war. Was geschah? Er wand sich in einer schwerelosen Fessel… abrupt signalisierten seine Sinne eine rege Gefahr und eine ungeahnte Hitze überzog seinen Kopf. Er spürte sie nun umso intensiver und überall an seinem Körper. Was… Augenblicklich erwachte sein Körper zu altem Leben. Heftig durchstießen seine Hände das warme Quellwasser und er fuhr in die Höhe. Rauschend tauchte sein Kopf auf, ragte zurück über die Wasseroberfläche und bebend spuckte er das Wasser aus, das seine Lunge füllte. Er war eingeschlafen…? Hatte das Bewusstsein verloren…? Verkrampft setzte er sich auf, suchte nach Gleichgewicht und neigte sich nach vorn. Er bekam keine Luft, röchelte und spuckte weiteres Wasser aus. Nass haftete das Haar an seinem Kopf und fahrig fuhr er sich über die Augen, umklammerte seinen Hals und hustete erstickt. Es nahm seine Zeit in Anspruch, bis er die Fähigkeit zum ruhigen Atem zurückerlangte und irgendwann saß er keuchend dort, starrte bleich um sich und erholte sich nur langsam vom Schrecken. Friedlich plätscherte das Wasser neben ihm und er blinzelte unter den Rinnsälen, die sein Gesicht hinab liefen. Es ähnelte einem üblen Rachefeldzug seines Körpers. Seit wann war er nicht mehr dazu imstande, es zu kontrollieren? Natürlich war er müde, doch entschied bisweilen selbst, wann er schlief und wann er es unterdrückte. Stockend starrte er auf das Wasser. Sein Körper glühte allmählich unter der Hitze und er hielt es hier nicht länger aus. Also erhob er sich, stieg aus der Quelle und wrang das Haar aus. Er ließ sich keine Zeit, diesen Ort zu verlassen. Rasch hatte er sich abgetrocknet, sich den Yukata übergestreift und es verging keine halbe Stunde, da war er auf dem Weg in den Speisesaal. In bequemen Wajaris und dem wärmenden Yukata zog er durch die Gänge und stemmte sich gegen die große Tür, die ihn von seinem Ziel trennte. Es war erst kurz vor sechs Uhr und somit die Zeit, in der man noch in Frieden frühstücken konnte. Gemächlich ging er also weiter, zog durch die Tischreihen und straffte den Stoff, als er die Theke erreichte. Er ließ sich Zeit, festigte den Gürtel und rückte am breiten Revers, streifte es höher über die Schulter und hielt in etwaigen Bewegungen inne, als er ein berauschtes Seufzen vernahm. Wie aus dem Nichts war Jerry aufgetaucht und presste sich beide Hände auf die Wangen, während er sich seinen Gast so besah. „Einen wunderschönen guten Morgen, Kanda“, ächzte er entzückt und der Angesprochene ließ stockend die Hände sinken. „Heute mal ganz leger?“ Daraufhin wusste Kanda keine Antwort. Mürrisch versuchte er sich auf seinen Appetit zu konzentrieren und auf die Wahl seines Frühstückes, doch Jerry teilte sein Interesse diesmal nicht. Geschmeidig ließ er sich auf den Tresen sinken und rollte mit dem Kopf. „Aber blass bist du wieder, meine Güte! Du solltest mal etwas Sonne an deine Haut lassen und…“ „Ich will Reis“, wurde er genervt unterbrochen und es schien ihm einen schmerzhaften Stich zu versetzen, denn er fuhr ächzend in die Höhe. „Nein, sind wir wieder bei der Appetitlosigkeit?!“ Und es war belastend… Kanda presste die Lippen zusammen und starrte zur Seite. Dass er so wenig Geduld besaß, hätte er nicht vermutet. Allein die wenigen Worte und diese erneute widerliche Besorgnis! Sie trieb ihn an die Grenzen des Zumutbaren! Seine Hände ballten sich zu Fäusten, doch Jerry war so in seine Sorgen vertieft, dass ihm das Verhalten des jungen Mannes entging. „Kann ich dir wenigstens etwas dazu machen?“ „Warum keinen Kräutertee!“, erwiderte Kanda giftig und Jerry wich sichtlich getroffen zurück. Nun endlich schien er es verstanden zu haben und Kanda stieß ein gereiztes Ächzen aus, bevor er sich mit beiden Händen auf die Theke stemmte, den Koch scharf taxierte. „Würdest du mir jetzt bitte den verdammten Reis bringen!“ „Ja doch.“ Entsetzt starrte Jerry zurück und Kanda ließ erschöpft den Kopf sinken, als er sich endlich auf den Weg machte. War das zu glauben?! Konnte man denn nicht einfach tun, was er sagte?! Diese ewigen Fragen! Vor allem von ihnen wollte er endlich befreit sein! „Was!“ Als er eine flüchtige Berührung an der Schulter spürte, fuhr er herum und ein junger Finder zuckte erschrocken zusammen. Kein Finder sprach ihn gerne an, doch mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Die Farbe blätterte aus seinem Gesicht und finster wurde er gemustert. „Was willst du!“ „Ah…“, kam die unentschlossene Antwort, „… Komui lässt ausrichten, dass Sie sich doch bitte bei ihm melden sollen.“ Natürlich, das war also der Moment. Er nickte knapp und sofort machte der Finder kehrt und verschwand. Und er blieb stehen, löste sich von der Theke und bewegte die Hände, um wenigstens einen Teil des inneren Gleichgewichtes zurückzuerlangen. Er hatte es schon gewusst und nachdem er gefrühstückt hätte, sollte er dieser Bitte auch Folge leisten. Es noch länger vor sich herzuschieben brachte im Endeffekt herzlich wenig und ihm war ganz wohl bei dem Gedanke, es hinter sich zu haben. Wortlos nahm er dann den Reis entgegen und ließ sich dennoch Zeit. Der Appetit blieb aus und der Hunger war der einzige Grund, weshalb er kurz darauf in dem Reis stocherte. Und mit jeder Bewegung schien er tiefer abzudriften, in Gedanken zu versinken… Befürchtungen, Möglichkeiten, diese nicht wahr werden zu lassen. Ihn beschäftigte viel und er achtete kaum darauf, wie er kaute und schluckte Und wieder wurde er sich der Tatsache bewusst, dass die Realität und das Hier und Jetzt, in dem er unweigerlich fest hing, widerlich war. All die Anspannung, die hinter einer jeden Ecke lauerte und die Anstrengungen, mit denen er hier zu leben hatte… es war alles ungewohnt und wie sehr sehnte er sich danach, all den unnötigen Ballast abzustreifen. Bevor er das nicht geschafft hätte, wäre er nicht er selbst. Und mit jedem Tag, an welchem er versagte, weiter davon entfernt. Bis dieses Vorhaben zu einem Ziel wurde? Vermutlich zu einem Unerreichbaren? Und irgendwann zu einer Wunschvorstellung, nach welcher er sich verzehrte…? Er hielt in den Bewegungen inne, wendete den Reis im Mund und starrte vor sich auf den Tisch. Selbst diese Gedanken erfüllten ihn mit Schrecken und er versuchte sich von ihnen loszureißen. Er konnte es nicht verarbeiten. Nicht alles und ganz bestimmt nicht jetzt. Die nächste Hürde stand ihm bevor und sobald er diese überwunden hatte, ging es weiter. Er musste nur Komui überzeugen. NUR Komui… Es war bitter und er ließ die Stäbchen sinken, starrte auf den Reis und bemerkte, dass er nicht viel zwischen die Stäbchen bekommen hatte. Die Schale wirkte, als hätte er sie nicht angerührt und doch machte der Hunger nicht mehr auf sich aufmerksam. Es dürfte genügen und angespannt schluckte er hinter, legte die Stäbchen nieder und kam auf die Beine. Er hatte sich der ersten Hürde zu stellen und wenn er noch länger zögerte und vor ihr zurückschreckte, schwanden seine Möglichkeiten auf eine positive Bewältigung. Abwesend griff er nach dem Tablett, schob sich hinter der Bank hervor und blinzelte unter einem seltsamen Schwindel, als er sich auf den Rückweg zur Theke machte. Es überkam ihn. Immer wieder und immer öfter. Bei den simpelsten Bewegungen und er presste die Lippen zusammen, klammerte sich um das Tablett und führte seinen Weg fort. Er hatte sich also zu rechtfertigen, zu erklären, weshalb die letzte Mission durch ihn um einiges komplizierter gewesen war. Wieso er die gemeinsame Organisation und etwaigen Einfluss Lavis von sich gestreift, anders gehandelt hatte, als er es hätte tun sollen. Er kannte die Fragen, die ihn erwarteten. Annähernd hörte er Komuis Stimme in seinem Kopf, die sie formulierte. Doch nicht nur das… ja, sich selbst sah er dazu schweigen, denn eine ehrliche Antwort war ihm nicht möglich… zumal er selbst daran zweifelte, sich dieser bewusst zu sein. Weshalb hatte er nicht richtig funktioniert? Er tastete nach dem Saum des Yukata, zog diesen zurecht und blickte jener Tür entgegen. >Weil es mir nicht gut geht.< Eine Möglichkeit, die er niemals aussprechen würde. >Weil ich durcheinander bin und mich zu Dingen zwinge, die ich mir kaum zutraue.< Eine Erklärung, die er nicht einmal für sich annehmen wollte. >In letzter Zeit wünsche ich mir immer Öfter, an einem anderen Ort zu sein<, wurde er sich einer finsteren Tatsache bewusst und sobald er diese Worte gedanklich ausgesprochen hatte, verblasste die Miene Komuis vor ihm. Alles verschwand, genau wie die Vorrausicht auf mögliche Reaktionen, von Komui und von sich selbst. Wie würde er reagieren, wenn er das aussprach, was ihm in den Sinn kam und währenddessen jeglichen Stolz und jegliches Selbstbewusstsein unterdrückte? Seine Hände lösten sich von dem Stoff, ertasteten den Gürtel, rückten auch an diesem. Ein Wissenschaftler eilte an ihm vorbei und er sah ihm abwesend nach. Was käme ihm in den Sinn? „Ich fühle mich abscheulich. Ich stecke in einer Lage, die peinlich ist. In einer Situation, aus der ich keinen Ausweg weiß. Und ich bin mir dessen bewusst.“ Diese Vorstellung bereitete ihm Übelkeit und er schüttelte den Kopf, um sich von ihr zu befreien. Es musste andere Erklärungen geben, andere Wege, Komuis Misstrauen zu entgehen. Er schöpfte tiefen Atem, straffte die Schultern und senkte das Kinn gen Brust, bevor er bestimmt nach der Klinke griff, sie hinabdrückte und das Büro des Vorgesetzten betrat. Zurückgelehnt und in eine Mappe vertieft, saß Komui hinter seinem Schreibtisch, spähte nur flüchtig auf und winkte ihn mit den Unterlagen näher, bevor er sich erneut mit ihnen beschäftigte und zu lesen schien. Hier war er nun. Als Kanda die Tür hinter sich schloss, wurde er sich ein weiteres Mal der Gezwungenheit aufmerksam, mit der er jeden Schritt tat, jedes Wort überdachte, bevor er es aussprach. Eine andere Möglichkeit blieb ihm nicht und er schloss flüchtig die Augen, bevor er sich umwandte und auf den Schreibtisch zusteuerte. Es durfte keinen Wendepunkt geben, keine andere Richtung oder eine Verzögerung. Nur wenn er sich auch weiterhin aufrecht hielt, obwohl er sich mit dem harten Alltag eines Exorzisten befasste, war er dazu imstande, all das hinter sich zu lassen und der Zeit dafür zu danken. Seine Gesichtszüge offenbarten eine gewisse Gleichgültigkeit, als er das Sofa hinter sich ließ. Eine bekannte Mimik, der Komui keine Beachtung schenkte. Aufmerksam und erwartungsvoll wurde er durchmustert, rümpfte nach einigen Augenblicken die Nase und ließ die Mappe sinken. Was auch immer er soeben gelesen hatte, es schien ihm nicht zu bekommen und doch blätterte die Unzufriedenheit von seinem Gesicht, als er sich dem Besucher zuwandte und die Mappe bei Seite schob. Ein geräuschvolles Seufzen entrann ihm und er machte es sich auf dem Stuhl bequem, rückte näher zum Schreibtisch und stemmte sich auf diesen, um gemütlich die Hände ineinander zu falten. Auf der anderen Seite der unordentlichen Arbeitsfläche präsentierte sich ihm das gewohnte Bild und er verlängerte das Schweigen um einige Momente, betrachtete sich den jungen Mann und schien zu sinnieren. „Wie geht’s?“, erhob er dann entspannt die Stimme und Kanda antwortete ohne zu zögern. „Gut.“ Diese Frage wurde bei Komui oft nur beiläufig gestellt und meistens war nicht einmal eine Antwort erforderlich. Und wenn er doch den Anschein erweckte, auf eine solche aus zu sein, dann genügte ein simples Wort. Doch diesmal schien selbst das nicht ausreichend und akribisch verfolgte Kanda seine Bewegungen, als er den Kopf schief legte. „Mm… das beruhigt mich.“ Es klang alles andere als überzeugt und Kanda tat, als hätte er die Skepsis nicht wahrgenommen, als wäre es somit abgeschlossen. „Es beruhigt mich wirklich, weil ich nämlich daran zweifle.“ „Wie meinst du das?“ Kandas Gegenfrage kam sofort und monoton, ohne dass sein Gesicht eine verräterische nervöse Regung offenbarte. Doch daraufhin schwieg Komui erneut und erst, als er still nach einigen Unterlagen griff, kehrte das Leben in den Raum zurück. Kanda würgte ein trockenes Schlucken hinab, verfolgte, wie die Mappe gehoben und mit ihr auf das Sofa hingewiesen wurde. „Setz dich“, bat Komui, als er sich zurücklehnte und Kandas Augen schweiften zu dem Polster, verharrten nicht lange darauf. „Ich stehe lieber.“ „Und ich möchte, dass du dich setzt.“ Ein knapper Argwohn formte Kandas Brauen und er musterte Komui mit derselben Mimik, bevor er sich in Bewegung setzte und sich niederließ. Komui vertiefte sich unterdessen in die Unterlagen, blätterte um und rümpfte die Nase. „Ich möchte mit dir reden“, murmelte er in das Papier vertieft und Kandas Augen verfolgten eine jede seiner ruhigen Bewegungen. „In der letzten Zeit hatten wir leider keine Gelegenheit dazu.“ „Wir haben noch nie eine gebraucht.“ „Mag sein.“ Komui gab sich ungerührt, annähernd unbeteiligt und erst jetzt blickte er auf, begegnete der kritischen Musterung und schien diese nicht zu erwidern, bevor er die Unterlagen hob. „Da mir dein Bericht vom vorherigen Auftrag noch nicht vorliegt, möchte ich, dass du dich jetzt dazu äußerst.“ Das war es… all das Befürchtete und er verstand sofort, worauf er aus war, welche Antworten er hören wollte. Es waren die, die er ihm nicht freiwillig geben würde. Also zuckte er mit den Schultern, lehnte sich zurück, versuchte sich zu entspannen. „Den Exorzisten, der noch am Leben war, retteten wir. Der Akuma wurde zerstört.“ „Mm.“ Komui schürzte die Lippen, seine Hand bettete die Unterlagen vor sich auf dem Schreibtisch. „Lavis Bericht zufolge, verlief die Ausführung des Auftrages außerplanmäßig, um nicht zu sagen umständlich und unter erschwerten Bedingungen?“ „Nur wenige Aufträge verlaufen planmäßig“, antwortete Kanda augenblicklich, seine Augen fixierten Komui akribisch. „Du weißt das.“ „Ja.“ Ein knappes Nicken, das dennoch keine Zustimmung zeigte. „Und ich weiß, dass es immer Gründe dafür gibt. Kannst du mir sagen, welcher es diesmal war?“ Somit sah er auf, stellte sich dem offenen Blickkontakt und hob die Brauen. Er wartete und Kanda blieb stumm. Seine Lippen verharrten regungslos, seine Mimik ebenso und nach kurzer Schweigsamkeit wandte er das Gesicht ab, starrte zur Lehne des Sofas und rümpfte die Nase. Weshalb diese Fragen, wenn Komui durch den ihm vorliegenden Bericht alles erfahren haben musste? Er holte tief Luft, suchte nach einer glaubwürdigen Rechtfertigung und nickte bald in sich hinein. „Ich hielt es nicht für akzeptabel, den Akuma entkommen zu lassen. Das Leben des Exorzisten war gesichert, der Auftrag somit erfüllt. Das einzige, was ich nicht getan habe, ist, auf die Verstärkung zu warten. Ich habe weder Schaden angerichtet, noch habe ich jemanden in Gefahr gebracht.“ Fieberhaft versuchte er in Komuis Miene zu lesen, doch diese blieb ihm verschlossen und er holte tief Luft, achtete wieder auf die entspannte Haltung und legte den Arm über die Lehne. „Ohne mein Eingreifen hätte die Gefahr bestanden, dass der Akuma geflohen und nach Genesung wieder zu einer Gefahr geworden wäre. Es gibt keinen Grund, mir einen Vorwurf zu machen.“ Die Pupillen des Älteren richteten sich zurück auf den Bericht, suchten nach den Zeilen, die Kanda widersprachen. Und es waren viele. Hatte er nicht wahrgenommen, dass Lavi mitsamt dem Verletzten durchaus durch ihn in Gefahr geraten waren? Ein Ding, über das er so nicht urteilen konnte und nach einem kurzen Grübeln schüttelte er den Kopf. „Dann möchte ich dich daran erinnern, dass dein Sieg über den Akuma ohne Lavis Eingreifen sehr fragwürdig gewesen wäre“, murmelte er und Kandas Finger begannen die Form der Lehne abzutasten. „Um dir zur Hilfe zu kommen, ließ er den Verletzten im Stich. Hätte es am Ende zwei tote Exorzisten gegeben, hätte ihr zwei jetzt große Probleme.“ „Es gab nur einen“, erinnerte Kanda ihn, wollte verhindern, dass die Thematik weiterhin in diese Richtung schweifte. Und wirklich, er hatte Erfolg, denn Komui kam sofort auf etwas anderes zu sprechen. „Hast du das Level des Akuma unterschätzt oder dich überschätzt?“, erkundigte er sich ernst, doch Kanda schüttelte verständnislos den Kopf. Also holte er tief Luft. „Wie ich gelesen habe, befandest du dich in einer lebensbedrohlichen und sehr heiklen Lage, bevor Lavi eingriff.“ Bevor er ausgesprochen hatte, presste Kanda die Lippen aufeinander und sein Gesicht offenbarte, dass er von nun an etwas mit sich zu kämpfen hatte. Seine Finger pressten sich in das Polster. „Es gestaltete sich schwerer, als ich vermutet habe“, antwortete er letztendlich leise und durchaus unwillig, doch Komui gab sich nicht damit zufrieden. „Das erste und letzte Mal, dass du von einem Level 2 besiegt worden wärst“, murmelte er unbeeindruckt und Kanda schluckte abermals sichtlich. „Es gestaltete sich… schwer“, wiederholte er dann mit einem Anflug von Verbitterung. An diese Niederlage ließ er sich nicht gerne erinnern und doch sollten Worte folgen, die noch unangenehmer waren. Das erste Mal machte sich leichter Argwohn in Komuis Miene bemerkbar und er ließ Kanda nicht lange auf jene Worte warten. „So bezeichnest du deinen vergangenen Zustand?“, fragte er und bevor Kanda antworten konnte, nahm er wieder die Unterlagen zur Hand, räusperte sich und begann zu lesen. „Er war geraume Zeit nicht ansprechbar, zeigte keine Reaktion auf Rufe, hyperventilierte und halluzinierte. Offenbarte Anzeichen von Luftknappheit bis hin zu Erstickungsgefahr, murmelte Zusammenhangsloses und…“ Verbissen senkte Kanda das Gesicht. Fest schloss sich seine Hand um die Lehne und schwer schluckte er gegen den aufkeimenden Druck in seinem Hals, schürzte die Lippen unter dem bitteren Geschmack der Erinnerung. Er wollte es nicht hören… „… Blässe, Zittern, Orientierungslosigkeit“, fuhr Komui unterdessen fort. „Eingeschränkte Grobmotorik, mangelhafte Feinmotorik, Schwäche, Schwindel, Übelkeit, heftiges Erbrechen, deutliche Konfusion, anschließend Appetitlosigkeit und erhöhte Reizbarkeit.“ Er rückte sich im Stuhl zurecht, wirkte offensichtlich beunruhigt und blickte zu Kandas Händen. Mit gezwungener Ruhe lösten sich diese vom Polster und falteten sich ineinander. Natürlich… sie zitterten immer noch und er schenkte dem kaum noch Beachtung, da es noch lange so bleiben würde. Komui zog seine Schlüsse aus dieser Regung und abermals brach dumpfes Schweigen über sie herein. Starr blieben Kandas Pupillen nach unten gerichtet und Komui seufzte leise, rieb sich den Mund und streckte die Beine von sich. „Das würde ich nicht als ‚erschwerte Bedingung’, sondern als Panikattacke bezeichnen“, murmelte er und sein Gesicht hatte an Strenge verloren, offenbarte nun vielmehr eine gewisse Besorgnis, in der er nicht den Blick von dem jungen Mann löste. „Willst du Stellung dazu beziehen?“ Ein kurzes Zucken… fest versiegelten die Lippen ein jedes Wort und bald schüttelte er nur den Kopf. Eine Reaktion, mit der Komui gerechnet hatte, die ihm jedoch nicht gefiel. Nachdenklich begann er an seinen Zähnen zu saugen, sah sich bedächtig um. „Kanda“, raunte er unterdessen und der Angesprochene kämpfte augenscheinlich um Fassung. „Du weißt, dass ich dir vertraue und dass ich dein Können respektiere, nur gab es in der letzten Zeit so einige Geschehnisse, die mich mit ernsthafter Sorge erfüllen und ich weiß nicht genau, was wir jetzt tun sollen.“ Plötzlich schien das Leben in Kanda zurückzukehren. Fließend richtete er sich auf, hob den Kopf und schöpfte tiefen Atem. Es gelang ihm sogar, Komui abermals anzuschauen und dieser las eine Entschlossenheit in seiner Mimik, in die er sich gründlich vertiefte. „Auf der letzten Mission, die ich alleine erfüllt habe, wurde ich in schwere Kämpfe verwickelt und trug Verletzungen davon, die mich gestern noch gestört haben.“ Eine der Beichten, die ihm die geringste Scham vermittelte und Komui lauschte ihm aufmerksam. „Ich gebe zu, dass sie meine Auffassungsgabe und mein Reaktionsvermögen gemindert haben und der gestrige Zwischenfall ist das Resultat. Aber ich versichere dir auch, dass ich es hinter mir habe. Ich bin erholt und so etwas wird nicht wieder vorkommen.“ Angespannt hielt er den Blickkontakt aufrecht, doch sein Inneres schrie fieberhaft nach dem Ende dieses Gespräches und danach, keiner weiteren Fragen unterzogen zu werden. Er sah Komui auch nicken und doch blieb der verständnisvolle Hintergrund aus. „Ja.“ Er begann die Kanten der Unterlagen mit den Fingern zu bearbeiten. „Leider kommt es auf euren Missionen sehr oft zu Verletzungen aber warum hast du dir nicht zumindest ein Schmerzmittel geben lassen, wenn die Verletzungen so eine lange Zeit zur Heilung benötigen, du aber trotzdem Aufträge annehmen willst? Du sollst Bookman schon des Öfteren mit solchen Absichten aufgesucht haben und immer hast du bekommen, was du wolltest und es gab nie Komplikationen. Warum ist es diesmal so anders?“ „Ich habe mich überschätzt“, kam die leise Antwort und allmählich fiel Kanda das Sprechen immer schwerer. Abermals schluckte er und die ineinander gefalteten Finger unterlagen der Nervosität, begannen sich ziellos zu regen. Überschätzung… Dies war wohl eine Eigenheit, die jeder an ihm kannte und doch schien sich Komui nicht so recht damit zufrieden zu geben. „Mm.“ Ein undefinierbares Raunen kam über seine Lippen. „Und kannst du deinen jetzigen Zustand denn richtig einschätzen?“ „Was meinst du?“ Skeptisch blickte Kanda auf und Komui wies mit einer Kopfbewegung auf ihn. „Was würdest du tun, wenn ich dich hier und jetzt in die nächste Mission einweise?“ Kandas Mund bewegte sich sofort, doch er brachte keinen Ton hervor und letztendlich starrten sie sich wieder an. Es ihm danach, sofort zuzustimmen, sich augenblicklich dazu bereit zu erklären, doch es gab etwas an der Atmosphäre in diesem Raum, das ihn davon abhielt. Er schloss den Mund, runzelte die Stirn und fühlte sich in den hastigen Grübeleien eingeengt. Er war misstrauisch… ihm war nicht gut zu Mute und Komui entging es nicht. Still verfolgte er die Regungen seines Gegenübers und flüchtig rieb sich dieser das Gesicht. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem geräuschvollen Atemzug und seine Lider senkten sich, bis er einfallslos nach unten starrte. Ohne, dass er es bewusst wahrgenommen hatte, hatte sich diese Unterhaltung in eine Richtung bewegt, die er verabscheute und er presste die Lippen zusammen, bevor eine Antwort zustande brachte. „Das hast du nicht vor.“ Ein bedauerndes Lächeln formte Komuis Lippen, als er den Kopf schüttelte. „Nein.“ All das war voraussehbar und doch gelang es Kanda nicht länger, äußerliche Fassung zu wahren. Seine Miene verzog sich verbittert, verfinsterte sich und als wäre er gelähmt, starrte er zu Boden. Er war hier an einen Punkt angelangt, den er in seiner Übermacht hasste, dem er sich jedoch nicht so einfach unterwerfen konnte! „Ich schätze die Gefahr als zu groß ein, wenn ich dich jetzt wieder nach draußen schicke“, vernahm er Komuis Worte und gegen jedes einzelne wollte er sich sträuben, sich auflehnen, es ungeschehen machen. Die Plagen der letzten Tage… Die Anstrengungen, die er in seine äußerliche Festigkeit gesetzt hatte… Die Verbissenheit, mit der er sich zu Ablenkungen zwang… Die verzweifelte Stärke, weiterzumachen, nach vorn zu blicken… Alles vergebens? Das konnte er nicht akzeptieren. „Auch während der Mission, die du mit Walker bewältigt hast, sollst du absent und kränklich gewirkt haben“, fuhr Komui nachdenklich fort, ließ seinen Schützling nicht aus den Augen. „Bei dem vergangenen Auftrag erlagst du einer Panikattacke und ich will nicht wissen, welche Steigerung es bei der nächsten Mission geben könnte. Seit einigen Tagen scheint dein gesundheitlicher Zustand nicht der Beste zu sein und ich bin nicht gewillt, das zu verantworten. Ich hoffe, du verstehst das.“ „Komui.“ Nur leise erhob sich Kandas Stimme und plötzlich offenbarte dieser eine rege Erschöpfung, in der er sich die Augen rieb. „Sag doch einfach, was du willst.“ Er hatte keine Kraft mehr für Ausreden und Ausflüchte, keine Stärke mehr, um sich permanent zu verteidigen und Komui neigte sich nach vorn, bettete die Unterarme auf dem Schreibtisch und studierte ihn durchdringend. „Ich erwarte von dir, dass du die folgende Zwangsbeurlaubung akzeptierst und sie nutzt, um dich vollständig auszukurieren.“ „Zwangsbeurlaubung?“ Beinahe unterbrach Kanda den Vorgesetzten und er wirkte ungläubig, als er diesen anstarrte. Viel hatte er erwartet, sich auf viel eingerichtet, doch dieses Wort machte all die Vorbereitungen zunichte. Es war noch nie vorgekommen… „Wieso…?“ „Mm?“ Komui hob die Augenbrauen und sein Gegenüber offenbarte einen fassungslosen Trotz, in dem er die Hände voneinander löste, mit ihnen gestikulierte. „So etwas wie Urlaub brauche ich nicht“, verteidigte er sich und jegliche Sprachlosigkeit schien von ihm abgefallen zu sein. „Ich verstehe deinen Entschluss, mich von gefährlichen Missionen fernzuhalten aber gleich von allem? Warum…“, er suchte eilig nach Worten, „… warum gibst du mir nicht einfache Aufträge, bei denen Kämpfe nicht vorgesehen sind?“ „Weil ich mit Bookman gesprochen habe und…“ „Bitte was?“ Kanda traute seinen Ohren nicht. Stockend lehnte er sich nach vorn, fuhr jedoch nicht fort, als Komui die Hand hob. „… er meinte, in Anbetracht der letzten drei Tage, würde es dir den meisten Nutzen bringen, vorübergehend von allen Pflichten entbunden zu sein und ich denke auch so.“ „Nein.“ Hastig schüttelte Kanda den Kopf, doch Komui schien wirklich sicher in seinem Entschluss. „Wenn ich mich recht erinnere, war dein letzter Urlaub vor mehr als einem Jahr und dauerte ganze zwei Tage, da du unvorhergesehen in ein Krisengebiet geschickt wurdest.“ „Ich nehme mir keinen Urlaub, weil ich ihn nicht brauche!“ Mit einer flinken Bewegung war Kanda auf den Beinen und Komui lehnte sich unbeeindruckt zurück. „Ich erhole mich während der Arbeit! Was soll ich denn machen, wenn ich hier nicht rauskomme!“ „Du kannst River oder Jerry etwas unter die Arme greifen, wenn du willst“, erwiderte Komui unbehelligt und die letzte Fassung bröckelte aus dem Gesicht des Jüngeren. Es schien rapide an Farbe zu verlieren und kurz darauf stand er nur noch vor dem Schreibtisch, starrte über ihn hinweg und fand keine Worte. Dann endlich gelang ihm die alte Regung und er ballte die Hände zu Fäusten, entspannte sie rasch, spreizte die Finger. Komui entging es nicht und ebenso gut wusste er einzuschätzen, was darauf folgen würde. „Es handelt sich nicht um eine Bitte, sondern um einen Befehl“, erklärte er in ruhigem Tonfall. „Wir müssen nicht darüber diskutieren.“ Dumpf gingen Kandas Hände auf den Schreibtisch nieder und fieberhaft neigte er sich nach vorn, musterte Komui inständig und mit letzter Beherrschung. „Pass auf, ich…“, die Stimme kam nur leise über seine Lippen, zitterte unter dem heftigen Atem, „… ich weiß, dass es nicht gut gelaufen ist in letzter Zeit aber hattest du noch nie einen schlechten Tag?“ Er strich sich hastig das Haar zurück, suchte den offenen Blickkontakt… und sah Komui schweigen. „Es war nur eine Anreihung von unvorteilhaften Geschehnissen und…“, seine Miene verhärtete sich bitter, „… mein Können hat nicht gelitten! Meine Fähigkeiten haben nicht nachgelassen!“ Er sprach aus, was ihn beherrschte, was ihn kränkte… Es war unvorstellbar, diesem Befehl nachzugeben, sich so etwas wie Urlaub anzugewöhnen! Er las diesen Befehl als pure Kritik und sein ohnehin verletzter Stolz ächzte gepeinigt auf. Es musste andere Wege geben! Doch Komui blieb bei seinem Schweigen, erwiderte seinen Blick offen und eisern. „Ich“, keuchte er also, ohne lange auf eine mögliche Antwort zu warten, „bin einer der besten Exorzisten! Du kannst mich nicht lange entbehren!“ „Schwierig ist es schon“, gab Komui zu und tastete nach seiner Brille, um an ihr zu rücken. „Nur leider werde ich dazu gezwungen und letztendlich bleibt mir keine andere Wa...“ „Einen Tag!“, unterbrach Kanda ihn fieberhaft und er runzelte die Stirn. „Es reicht doch, wenn du mir nur einen Tag freigibst. Ich schlafe mich aus und…“ „Mindestens eine Woche.“ Nun war es Komui, der ihm ins Wort fiel. Seine Mimik offenbarte eine nachdrückliche Endgültigkeit und strikt verfolgten seine Augen, wie sich der Jüngere stockend aufrichtete. „Eine Woche?!“ Pures Entsetzen sprach aus ihm und Komui blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. „Und mit jedem weiteren Widerwort einen Tag mehr.“ „Nein!“ Ein strikter Widerspruch und Komui regte sich auf seinem Stuhl, rümpfte die Nase. Mit Kandas Art hatte er bis zum heutigen Tag nur geringe Schwierigkeiten gehabt. Noch nie war sie so ungelegen gewesen und er richtete sich darauf ein, noch strikter werden zu müssen, um einer endlosen Debatte aus dem Weg zu gehen. Er hatte noch weitaus mehr zu tun und dennoch war es ihm wichtig, Kanda dort zu wissen, wo er ihn haben wollte. Hier und gemeinsam mit viel Ruhe. „Kanda.“ Er nahm sich dennoch Zeit, sprach nachdrücklich auf ihn ein. „Ich habe zuerst an weitaus mehr Möglichkeiten gedacht und die Zwangsbeurlaubung ist noch das Geringste.“ „Wenn ich jetzt pausiere“, warf Kanda sofort verbittert ein, schien seine Worte nicht wahrgenommen zu haben, „dann wird es mir schwer fallen, mich wieder einzufügen!“ „Ich werde dir jede Zeit geben, die du dafür brauchst.“ Kanda machte den Anschein, als wolle er laut schreien. Seine Zähne knirschten aufeinander, ein Ächzen entrann ihm und abermals schüttelte er den Kopf. Er wollte es nicht wahr haben! Gab es denn gar keine Möglichkeit, dem zu entgehen?! Er wandte sich ab, rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und blinzelte unter dem altbekannten Schwindel, den das Keuchen in ihm hervorrief. Komui verfolgte, wie er sich kurz darauf auf dem Schreibtisch abstützte. „Du tust, als wäre das der Weltuntergang“, raunte er. „Du hast zugegeben, dass du dich überschätzt und Fehler begangen hast. Weshalb kannst du nicht auch das einsehen?“ „Weil das alles nicht meine Schuld ist!!“ Plötzlich fuhr Kanda zu ihm herum und er weitete die Augen unter der unvorhergesehenen Reaktion. Verblüffung trat in sein Gesicht und sobald sich Kanda der eigenen Worte bewusst wurde, geriet er ins Stocken. Seine Stimme brach ab, seine Lippen bewegten sich stumm und er starrte den Vorgesetzten an, als wünsche er sich, dieser hätte es nicht gehört. Doch er hatte es und die Verblüffung ließ rasch nach, als er sich nach vorn und mit dem Oberkörper über den Schreibtisch lehnte, sich den Jüngeren prüfend besah. Kurz sah es aus, als wolle er etwas erwidern, doch letztendlich stemmte er das Kinn nur auf die gefalteten Hände, holte tief Luft und verstrickte sich in ernsthafte Grübeleien. Noch immer wurde er angestarrt und laut schallte der keuchende Atem des Jüngeren in dem Raum. „Denkst du…“, die leise Stimme holte Komui in die Realität zurück, ließ ihn blinzeln, „… dass ich freiwillig in dieser Lage bin…?“ Lange Zeit herrschte daraufhin erneute Stille, bis der Ältere einen geräuschvollen Atem ausstieß, die Hände sinken ließ und auf den Schreibtisch starrte. Pure Ernsthaftigkeit verlieh seinen Zügen Ausdruck, als er die Lippen aufeinander bewegte, noch immer den Blick des Anderen spürte. Die Wut schien Kanda verlassen zu haben und er wirkte zusammengesunken und ausgemergelt, wie er sich da auf den Schreibtisch stützte. Komui schien ebenso an einem Punkt angelangt zu sein, an dem ihm offensichtliche Entschlossenheit entrann. Er fand keine Worte, rückte ziellos an den Unterlagen und wurde sich der Tatsache bewusst, dass er Kanda noch nie in einem solchen Zustand erlebt hatte. So aufgelöst… nur selten kam zum Vorschein, wie jung er eigentlich noch war. Und deshalb… gerade deshalb wollte er die strikte Beendung des Gespräches zurücknehmen. Abermals schöpfte er Luft, stieß sie kontrolliert aus und zog sich die Brille von der Nase, um sich die Augen zu reiben. Es war eine gewisse Müdigkeit, die sich allmählich bemerkbar machte und er warf die Brille auf den Schreibtisch, stemmte den Ellbogen auf ihn und das Kinn in die Handfläche, um Kanda entspannt und zielstrebig ansehen zu können. „Was ist passiert?“, stellte er dann die Frage, für die er selbst keine Lösung wusste. Und er erhielt die Antwort, auch wenn sie stumm war. Augenblicklich schloss sich der Mund des Jüngeren, erstarrt versiegte der heftige Atem und noch nie hatte Komui gesehen, wie man sich allein mit einer Mimik so derartig verschließen konnte. Etwaige Ausdrücke verblichen, bis eine verkrampfte Festigkeit zurückblieb, in der er ihn stumm ansah. Hier endete Kandas Offenheit und Komui musste zugeben, dass es die Antwort wohl nur in seiner Fantasie gegeben hatte. Dennoch zog er seinen Schluss daraus, zeigte mit einem Mal weniger Befangenheit. „Kanda…“, raunte er und umschloss mit den Fingern das Kinn, „… pass auf.“ Es klang nach einem Entschluss und er offenbarte ihn schnell. „Ich möchte, dass sich Bookman um dich kümmert.“ Die Worte schienen Kanda schmerzhaft zu treffen. Beinahe ohnmächtig blinzelte er, hob ziellos die Hand und das Einzige, was ihm vorerst gelang, war ein langsames jedoch entschlossenes Kopfschütteln. „Ich meine es gut“, versuchte Komui ihn zu beruhigen. „Das ist keine Strafe.“ „Ich-brauche-Bookman-nicht!“ Der sture Zorn schien Kanda rasch wieder einzuholen und seine zitternde Hand unterstrich die Worte mit einer strikten Geste. „Das Einzige, was ich brauche, ist das, was ich bisher immer hatte!“ Seine Stimme erhob sich bebend, bis er Komui annähernd anschrie, doch dieser ließ ihn gewähren, ließ es außer Acht, dass gewisse Vorschriften nicht beachtet wurden. Und gleichsam versuchte er seine Ohren vor den Bitten zu verschließen und taub seinem Entschluss zu folgen. Er beging ganz sicher keinen Fehler. Er tat das Richtige und auch wenn sich Kanda nun sträubte, aus ihm unbekannten Gründen, früher oder später würde er es einsehen. „Ich werde veranlassen, dass er dich untersucht, sich um dich kümmert.“ Kanda spürte es wieder… dieses brennende widerliche Gefühl der Angst, das ihm bei dem Gedanke zerfraß, eine Untersuchung über sich ergehen lassen zu müssen. Bookman war erfahren und gründlich… er würde etwas finden! Er würde es herausfinden…! Was ihm passiert war! Was man mit ihm gemacht hatte!! Diese Befürchtung pulsierte dumpf in ihm und er fühlte sich in die Enge getrieben, fixiert und eingekeilt, wie noch nie zuvor. Die Widersprüche entglitten seinen Händen. Er selbst realisierte, dass es nichts Produktives mehr war und nichts, das Komui umstimmen würde. Erschüttert erfassten seine Augen die Bewegung seiner Hand, wie sie sich zielstrebig auf das Telefon zu bewegte. „Du kannst mich nicht dazu zwingen…!“, ächzte er beinahe lautlos und Komui presste nur die Lippen aufeinander. Es fiel ihm augenscheinlich selbst nicht leicht, als er den Hörer zum Ohr hob. „Warte!“ Plötzlich brach es aus Kanda heraus. „Ich akzeptiere die Beurlaubung!“ Und mit jedem Wort, mit jeder neuen Verzweiflung, mit der sich Kanda selbst gegen eine einfache Untersuchung wehrte, brachte ihn der Sicherheit näher, dass genau diese Untersuchung von Nöten war. Er betätigte eine Kurzwahltaste und lauschte dem Freizeichen, ohne Kanda abermals anzusehen. „Ich akzeptiere es!“, hörte er dessen Stimme erneut. Ungezügelt erhob die sich, entrann seiner Kontrolle und er schrie Komui an. „Ich akzeptiere, habe ich gesagt!!“ Die schlimmste Befürchtung… hier war sie und Kanda konnte sich nicht erklären, wie es dazu gekommen war. Seine Lunge schien sich zuzuschnüren und die weiteren Worte versiegten in seinem Hals, als Komui Luft holte, auf den Schreibtisch starrte. „Bookman“, hob er an. „Sie sind bitte in zehn Minuten in Kandas Zimmer und unterziehen ihn einer allumfassenden Untersuchung.“ Er erhielt eine knappe Antwort und kurz darauf legte er wieder auf, rieb sich den Mund und lehnte sich zurück… und Kanda schwieg. „Das war alles.“ Komui wirkte, als wäre er selbst froh, dass es geklärt war, dass er es hinter sich hatte. Er nickte Kanda zu, einfühlsam und doch strikt. „Du kannst gehen. Und du weißt, wohin.“ Nicht einmal ein Blinzeln gelang Kanda jetzt noch. Starr blieben seine Augen auf ihn gerichtet, erfassten ein kraftloses Lächeln und ein Nicken zur Tür. „Du kannst gehen“, wiederholte Komui ruhig und plötzlich klopfte es an der Tür und er lehnte sich zur Seite, blickte an Kanda vorbei. „Ja, herein!“ Hinter Kanda öffnete sich die Tür, doch er drehte sich nicht um. Fassungslos verfolgten seine Augen die Bewegungen des Abteilungsleiters. Hier sollte es also enden…? Jetzt sollte es ans Licht kommen? Für was hatte er sich gequält…? Nur leise drangen die neuen Stimmen an seine Ohren. Soeben noch in ein Gespräch vertieft, betraten Lavi und Allen das Büro, waren hier hergeschickt worden. Doch sie verstummten, als sie den jungen Mann erspähten. Lavi schien es nicht zu überraschen, ihn hier anzutreffen und er senkte flüchtig den Blick, während Allen den Mund verzog. Doch nicht etwa eine Mission zu dritt…? Er ahnte Böses, als Lavi die Tür hinter ihnen schloss. Und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Schreibtisch. „Kanda“, erhob sich da Komuis Stimme erneut und diesmal recht nachdrücklich und der Angesprochene kämpfte noch immer gegen die Erstarrung. „Geh.“ Schritte… sie näherten sich ihm und als ihn eine Brise erfasste, erwachte er zu altem Leben. Fließend war seine Bewegung, in der er sich umwandte, den Neuankömmlingen den Rücken zukehrte und an ihnen vorbeizog, ohne sie ansehen zu müssen. Beide sahen ihm kurz nach und Allen ließ sich dabei etwas mehr Zeit, runzelte die Stirn und spürte nicht das Glücksgefühl, das er erwartet hatte. Ja, irgendetwas stimmte nicht und hinter seinem Rücken wurde ein aufgeklärter Blick getauscht. Nach den ersten Schritten verließ Kanda die Eile und er trottete vielmehr zur Tür, starrte auf den Boden und biss die Zähne zusammen. „Walker, hier bin ich“, hörte er Komui in diesem Moment rufen und sofort wandte sich Allen ab, stand gerade. „Verzeihung, tut mir leid!“ Stockend hob sich Kandas Hand zur Klinke und nur langsam drückte er sie hinab, während sich Komui bereits mit Lavi und Allen beschäftigte. „Bereit für die nächste Mission?“ „Wir beide?“, erkundigte sich Allen und endlich öffnete sich die Tür und Kanda schob sich nach draußen. Auch dabei zeigte er keine Eile und scharf drifteten seine Augen zu Komui zurück, bevor er in den Gang trat, die Tür hinter sich schloss und die Hand von der Klinke löste. Sie zitterte, ballte sich zu einer festen Faust, sobald sie Freiheit genoss. Krampfhaft schlug sich die andere in den Stoff des Yukata, presste ihn bebend und seine Miene offenbarte, dass er viel zu unterdrücken hatte. Was soeben hinter dieser Tür passiert war, musste er erst realisieren… Und was ihn erwartete… WER ihn erwartete, wenn er jetzt in seinem Zimmer blieb… Bitter schloss er die Augen, ein abgehaktes Keuchen entrann ihm und erschöpft ließ er sich nach vorn sinken. Leise traf seine Stirn auf die Tür und auch die Hände hoben sich zum Holz, setzten sich dagegen, strichen darüber hinweg und hielten inne, als Wortfetzen seine Ohren erreichten. Sie drangen von der anderen Seite der Tür zu ihm und er öffnete die Augen. „Korea?“ Perplex ließ Allen die schwarze Mappe sinken, blickte auf. Neben Lavi saß er auf dem bequemen Sofa und während der Rothaarige lediglich umblätterte, sah er Komui an. „Ganz recht“, erwiderte dieser und sein Verhalten bewies, dass ihm die Ablenkung durch die Instruktionen recht gelegen kam. Er wirkte konzentriert und schöpfte tiefen Atem. „Der Auftrag ist ebenso gefährlich wie dringlich und von großer Wichtigkeit.“ Allen hatte sich wieder in die Unterlagen vertieft und seine Mimik offenbarte ernsthafte Grübeleien, als er die Unterlippe mit den Zähnen erhaschte. Doch da begann sich Lavi neben ihm zu regen. Er richtete sich auf, schloss die Mappe. „Der Noah-Clan?“, erkundigte er sich und Allen rümpfte die Nase. „Bisher ist es lediglich ein Verdacht, doch wenn Akuma in Begleitung eines Menschen einen Angriff auf eine Stadt verüben, liegt es nahe, dass der Clan involviert ist und wir es hier mit einem der Mitglieder zu tun haben.“ Mit diesen Worten kam Komui auf die Beine, trat von dem Stuhl weg und zog eine der Karten hinab. Aufmerksam verfolgten Lavi und Allen, wie er sich selbst eine knappe Orientierung verschaffte und anschließend die Hand zu einem bestimmten Punkt hob. „Vor zwei Tagen überfielen die Akuma ein Dorf in der Nähe von der Stadt Changchun, die letzten Endes jedoch unangetastet blieb. Vor drei Stunden jedoch“, sein Zeigefinger glitt tiefer und er spähte zu den beiden Exorzisten, „begannen sie den Angriff auf die Stadt Pjöngjang, der bis jetzt noch anhält.“ Lavi rümpfte die Nase und Allen schloss die Mappe. Unterdessen wandte Komui der Karte den Rücken zu, verschränkte die Arme vor dem Bauch und trat an den Schreibtisch, an dessen Kante er sich lehnte. „Möglicherweise erklärt ein Innocence das plötzliche Auftauchen. Das gilt es herauszufinden. Grundlos geschieht ein solcher Aufmarsch nicht. Alle Finder, die in der Gegend postiert waren, bezogen Stellung in Pjöngjang und tun jetzt ihr Bestes, um Widerstand zu leisten, doch die Verteidigung hält nicht mehr lange Stand. Deshalb ist es von einer solchen Dringlichkeit, dass ihr unverzüglich aufbrecht.“ Komui sah bereitschaftliches Nicken, zögerte jedoch. Es schien ihm noch etwas auf der Zunge zu liegen und er presste die Lippen aufeinander, bevor er tief Luft holte. „Wir haben versucht, alle Exorzisten, die Pjöngjang in kurzer Zeit erreichen könnten, zu benachrichtigen. Einige konnten wir nicht von ihren Aufträgen lösen, da diese selbst zu wichtig sind. Ihr werdet also die ersten sein, die dort eintreffen und könnt nicht sofort auf tatkräftige Unterstützung bauen. Seid bitte vorsichtig“, eindringlich sah Komui die Beiden an, „vor allem, wenn ihr wirklich einem Noah begegnen solltet. Die Treffen, die bisher zwischen ihnen und den Exorzisten zustande kamen, waren fatal und folgenschwer. Die Sicherung des möglichen Innocence oder das Herausfinden anderer Gründe ist eure Priorität. Und wenn ihr einem Kampf aus dem Weg gehen könnt, ohne, dass es die Erfüllung des Auftrages behindert, dann tut es bitte.“ „Das werden wir.“ Lavi war einverstanden, doch Allen runzelte die Stirn, bettete die Mappe auf dem Schoß und rückte sich kurz zurecht. „Kommt Kanda nicht mit?“, erkundigte er sich nach einem kurzen Grübeln und Lavi lugte zu ihm. „Ich meine, die meisten Exorzisten sind derzeit unterwegs aber er ist da und ich denke, er wäre sehr hilfreich.“ Hilfesuchend erwiderte er Lavis Blick, doch dieser wandte sich nach vorn, sein Auge suchte nach Komui und dieser löste sich vom Schreibtisch, griff nach seiner Tasse und nahm seinen alten Platz auf dem Stuhl ein. „Kanda…“, hob er an und nippte an seiner Tasse. „… hat sich Urlaub genommen.“ „Hah?“ Allen legte irritiert den Kopf schief und Lavi streckte die Beine von sich, wirkte durchaus erleichtert und war Komui in dieser Angelegenheit recht ähnlich. Es brachte ein gutes Gefühl mit sich, Kanda sicher zu wissen und Komui nahm gleich noch einen Schluck, bevor er die Tasse abstellte. >Urlaub trotz solcher Dringlichkeiten?< Allen kratzte sich am Kopf. >Das geht? Muss ich mir unbedingt merken.< „Also.“ Komui lehnte sich zurück. „Ihr solltet jetzt aufbrechen. Euer Zug fährt in“, seine Augen suchten nach der Uhr, „einer knappen Stunde. Den Früheren bekommt ihr wohl nicht mehr.“ „In Ordnung.“ Sofort kam Lavi auf die Beine, klemmte sich die Mappe unter den Arm und trat hinter dem Sofa hervor. Auch Allen war aufgestanden und er schien noch immer über den Urlaub zu grübeln, während er Lavi folgte. Schweigend sah Komui den beiden nach, schöpfte tiefen Atem und faltete die Hände auf dem Bauch. „Seid vorsichtig. Wir können diesen Feind noch nicht ausreichend einschätzen, um zuviel aufs Spiel zu setzen.“ „Wir werden aufpassen“, versprach Lavi und nach einem allgemeinen Nicken machten sich die Beiden auf den Weg zur Tür. Schweigend gingen sie nebeneinander und Komuis Blick driftete in Richtung der Zimmerdecke. In ihm schienen sich gemischte Gefühle zu tummeln und als die beiden Exorzisten die Türe erreichten, lugte er zu ihnen. >Ein Noah also.< Lavi war nicht wohl bei dem Gedanke und die Befürchtungen spiegelten sich in seinem Gesicht wider, als er nach der Klinke griff, jedoch in etwaigen Bewegungen inne hielt und zur Seite trat, da sich die Tür bereits öffnete. Auch Allen wich ihr gekonnt aus und Komui richtete sich im Stuhl auf, als sie Bookman erkannten, der das Büro betrat. Den Arztkoffer entspannt in der einen Hand, die andere auf die Klinke, musterte er die Anwesenden knapp, bevor er sich an Komui wandte. Dieser hatte die Augenbrauen gehoben und erwiderte seinen Blick erwartungsvoll. „Kanda ist nicht in seinem Zimmer“, erklärte er daraufhin, löste die Hand von der Klinke und trat in den Raum. „Ebenso wenig seine Uniform und seine Waffe.“ Komuis Miene offenbarte eine knappe Regung. Es kam unerwartet… und schockierend und flüchtig weiteten sich seine Augen, bevor seine Mimik ebenso erstarrte, wie seine Haltung und während Allen die Stirn runzelte, rieb sich Lavi den Mund. Er grübelte angespannt, suchte nach Worten und wandte sich letztendlich an Bookman. „Solltest du ihn untersuchen?“, erkundigte er sich perplex und der Angesprochene stellte den Arztkoffer ab, verbarg die Hände in den langen Ärmeln und fixierte sich auch weiterhin auf Komui, der noch immer nicht zur Regung zurückgefunden hatte. >Mein Gott.< Er fand die Fähigkeit des Sprechens nicht sofort, schüttelte lediglich den Kopf in völligem Unverständnis und griff nach dem Kaffee. Seine Finger umschlossen den Griff, hoben die Tasse jedoch nicht an… verharrten reglos, während Allen nicht imstande war, all das zu begreifen… nicht die Gefahr zu sehen… nicht die Tatsachen… und Lavi stieß ein leises Stöhnen aus, rieb sich die Stirn. „Und was genau hat das zu bedeuten?“, erkundigte er sich, als er die Hände sinken ließ, flüchtig und unentschlossen mit ihnen gestikulierte. „Vermutlich, dass ihr in Pjöngjang doch auf eine jähe Unterstützung hoffen könnt.“ Die Empörung über die Befehlsverweigerung war Komui noch immer anzusehen und er bewegte stumm die Lippen, verzog das Gesicht und zwang sich zur alten Fassung. Er wurde sich der alten Dringlichkeit bewusst. Ebenso, dass es nun nicht an der Zeit war, lange zu grübeln… dass ihnen kein Moment blieb und rasches Handeln von Nöten war. „In Ordnung“, stieß er kurz darauf aus und hob die Tasse. Er rang sichtlich mit der Empörung, nahm einen raschen Schluck und schüttelte abermals den Kopf. Dass es so weit kam, hätte er nicht vermutet, nicht geglaubt und nicht gehofft. Wie schnell Folgsamkeit nur umschlug, wenn Persönliches ins Spiel kam? „Ihr macht euch jetzt auf den Weg und wenn er wirklich in Pjöngjang auftaucht, teilt ihr ihm in meinem Auftrag mit, dass er unverzüglich zurückzukehren und mit Konsequenzen zu rechnen hat.“ „Und wie hoch stehen die Chancen, dass er auf uns hört?“, warf Lavi skeptisch ein, doch Komui hob lediglich die Hand. „Sagt es ihm einmal und haltet euch nicht mit ihm auf. Konzentriert euch auf den Auftrag und nicht darauf, ihn zur Vernunft zu bringen.“ Somit lehnte er sich zurück, presste die Lippen aufeinander und starrte vor sich auf den Schreibtisch. „Das schafft derzeit scheinbar niemand“, fügte er flüsternd hinzu und Lavi setzte sich wieder in Bewegung. „Lavi, Allen“, fuhr er da plötzlich unerwartet fort und als die Beiden sich umwandten, hielt Komuis Hand die Tasse fest umschlossen, presste sie. „Wenn ihr ihn seht“, erhob er abermals die Stimme und tat dies ausdrücklich. Ein leichtes Zucken durchzog seine Miene, als er die beiden Exorzisten unnachgiebig taxierte, „… dann passt um Himmels Willen auf, dass er nicht auf den Noah trifft!“ Schweigend erwiderte Lavi den Blick seines Vorgesetzten. >Verheerend.< Das war das Wort, welches sofort in ihm zum Leben erwachte. Wenn selbst ein Level 2 Probleme bereitet hatte… Es war unvorstellbar und er brachte ein entschlossenes Nicken hervor. Komui senkte den Blick und Allen wurde weitergezogen. Stumm dirigierte Lavi den Jüngeren mit sich und setzte den alten Weg fort. >Wozu zur Hölle habe ich mir solche Gedanken gemacht?< Es nagte ebenso gefräßig an ihm, wie die alten Sorgen, die er glaubte, hinter sich gelassen zu haben. >Seit wann wagt er es, sich Komui zu widersetzen! Wenn er so weitermacht, werden seine augenscheinlichen Probleme schnell von denen unterjocht, die Komui ihm machen wird!< Seine Miene war verbittert, als er den Raum verließ. Allen folgte ihm irritiert, schloss die Türe hinter sich und holte rasch auf. „Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte er durchaus aufgeregt und der Ältere rieb sich den Nacken. „Ich würde einiges geben, um das zu erfahren.“ Gemächlich setzte Bookman den Arztkoffer auf dem Sofa ab, trat um dieses herum und hielt vor dem Schreibtisch inne. Seine Mimik zeigte kaum eine Regung, als sich Komui flüchtig das Gesicht rieb, sich eine knappe Orientierung auf seiner Arbeitsfläche verschaffte. „Bookman.“ Nachdem er einen Stapel zur Seite geschoben hatte, richteten sich seine Augen auf den Älteren. „Sie holen die Untersuchung nach, sobald Kanda zurückkehrt. Wir werden leider drastischere Methoden anwenden müssen. Nur bereiten Sie sich bitte darauf vor.“ Ein Nicken genügte ihm als Antwort und er erwiderte es still, griff nach dem Telefon. „Bitte bleiben Sie noch, es gibt noch etwas anderes zu besprechen.“ Somit hob er den Hörer zum Ohr, wählte eine Nummer und nahm einen Füller zur Hand. Sich mit einer kleineren Mappe beschäftigend, lauschte er dem Rufsignal und klickend löste sich die Hülle des Füllers, als er sie mit dem Daumen bearbeitete. „Hier Komui“, hob er dann an und begann beiläufige Notizen. „Ich habe ihnen drei Exorzisten geschickt. Wie ist die derzeitige Lage?“ ~*to be continued*~ Kapitel 8: ~7~ -------------- Die letzte Tür stieß er auf und schob sich durch sie in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Er hielt nicht inne, blickte nicht zurück, als er sich sprintend von dem finsteren Turm des schwarzen Ordens und gleichsam von dem hoch hinauffragenden Fels entfernte und in die Dunkelheit des nächtlichen Waldes eintauchte. Die Hast saß ihm im Nacken, seitdem er sich von Komuis Tür losgerissen und sein Zimmer aufgesucht hatte. Nur kurz und das Mugen hielt er noch in der Hand, während er zwischen den breiten Stämmen hindurchjagte, unterdessen gar noch den oberen Knopf der säuberlichen Uniform schloss. Kein einziges Mal suchten seine Augen den zurückgelegten Weg, kein einziges Mal den Ort, an dem er nun hätte sein sollen. Alleine das, was vor ihm lag, fand seine vollendete Beachtung und er setzte über einen Hügel hinweg, stieß sich ab und sprintete weiter. Es war ihm nicht bewusst, was er tat… weshalb sich sein Körper in einer solchen Hast bewegte und er etwaiges Pflichtbewusstsein gegenüber Befehlen über Bord warf. Er hatte schnell reagiert, aus reinem Reflex sein Ziel geändert und nun war er hier und nicht mehr weit von der Zivilisation entfernt… vom Bahnhof, den er umgehend erreichen musste. Der Weg, den er zu beschreiten hatte, lag deutlich vor ihm und der Vorsprung war ihm gewiss. Hastig schob er sich durch ein Gebüsch, stolperte auf eine kleine Lichtung hinaus und ertappte sich endlich dabei, wie er sich umdrehte, keuchend in die Dunkelheit des Waldes zurückstarrte. Verfolgte man ihn…? Er wusste es nicht, konnte nicht schätzen, wollte nicht raten, denn letztendlich waren all die Versuche umsonst und wie weit Komui zu gehen gedachte, um seine Befehle durchzusetzen, hatte er bislang noch nie erfahren müssen. Aufmerksam tasteten sich seine Pupillen über die Stämme, seine Ohren suchten nach ungewöhnlichen Geräuschen und mit einer abwesenden Bewegung schlug er den Kragen der Uniform um und hob das Mugen, um es sicher auf dem Rücken zu verstauen. Er hielt jedoch nicht lange inne und sobald die Waffe festen Halt hatte, wandte er sich ab, setzte sich in Bewegung und erreichte nach wenigen Schritten einen schmalen Pfad aus Pflastersteinen, der ihn in die kleine Stadt und somit zu dem Bahnhof brachte. „… lediglich ein Verdacht…“, die Stimme Komuis drang in sein Gedächtnis, rauschte in seinen Ohren, als würde sie sich erst zu diesem Zeitpunkt erheben. Seine Miene durchfuhr ein Zucken und laut hallten seine raschen Schritte auf dem trockenen Gestein, „… liegt es nahe, dass der Noah-Clan involviert ist und wir es hier mit einem der Mitglieder zu tun haben.“ >Noah… Noah…!< Das Wort raste durch seinen Kopf gleich einer Endlosschleife, ließ ihn unter einem eisigen Schauer des Zorns erbeben und das alte Tempo aufnehmen. Sein Atem brach sich an den steinernen Wänden der Häuser, als er den Wald verließ und die kleine Stadt durch eine Gasse betrat. Eilig tauchte er in sie ein, folgte seinem Pfad ohne den geringsten Umweg. … „Tyki heiße ich…“ Wieder der Klang der bekannten Stimme, die sich schwelgend und entspannt erhob. Als stünde er vor ihm…! Gehetzt änderte er die Richtung, umging einen nächtlichen Spaziergänger und bog in eine schmale Nebenstraße ein. Etwaige Erinnerungen an das Geschehene, die ihn als graue Fetzen in Alpträumen übermannten, ihn quälten… ihn zu einem anderen machten… Wie könnte er in diesen Augenblicken in seinem Zimmer sitzen…? Ja, wie könnte er?! Wenn ihm die Möglichkeit geboten wurde, all das zu bereinigen, was geschehen war?! Das große Gebäude des Bahnhofes tauchte vor ihm auf und er rannte die letzten Meter, sprang die Stufen hinauf und betrat die Halle. Sogleich flüchteten sich seine Augen über die dort stehenden Züge und die Anzeigen. Ein Strom riss ihn mit sich, stets in eine Richtung… hin zu einem Ziel: Pjöngjang! Und er ließ sich treiben. Der Zorn nagte ebenso gefräßig an ihm, wie die Verbitterung und die Stunden der Reise würden eine weitere Qual darstellen, die er zu ertragen hatte. Er musste zum westlichen Zipfel Japans gelangen und dort zu einer Fähre, die ihn ans andere Festland, nach Südkorea brachte. Und selbst dann… vor dem Morgengrauen war dieser Weg nicht zu bewältigen. Eiligen Schrittes ließ er einen Zug nach dem anderen hinter sich, bis er inne hielt, eine Anzeige studierte und sogleich zu dem Steig abbog. Es war der richtige Zug und er fuhr gleich ab. Die erste Tür riss er auf und mit einem Satz stand er im Wagon, schöpfte tiefen Atem und musterte die wenigen Reisenden, die bereits auf den Bänken Platz genommen hatten. Schweigend saß eine ältere Frau an einem der Fenster, blickte gedankenverloren hinaus, während ein Geschäftsmann müde in einer Zeitschrift blätterte. Nur knapp musterte er die Beiden, als er schon das Signal vernahm und sich der Zug kurz darauf mit einem leichten Ruck in Bewegung setzte. Sein Herz raste noch immer unter der Rastlosigkeit, stoßweise fiel sein Atem und er schloss kurz die Augen, bevor er sich in Bewegung setzte, an den beiden Reisenden vorbeizog und sich eine abgelegene Kabine suchte. Er benötigte Ruhe… Entspannung und etwaige Kraft, die er in seinem Zustand tanken konnte. Kontrolliert wirkten seine Schritte, zielstrebig seine Bewegungen und die erste Kabine war leer und somit bestens geeignet. Er schob sich durch die Tür, griff unterdessen nach seinem Schwert und zog es hervor. Auch auf die gepolsterte Bank ließ er sich sinken, streckte beide Beine von sich und lehnte sich zurück. Das Mugen fand neben ihm Platz und während das leise Rattern der Räder die Kabine erfüllte, schloss er die Augen, schöpfte tiefen Atem und konzentrierte sich darauf, zur Ruhe zu kommen. Es kam ihm vor, als wäre er von einem Ort zum nächsten versetzt worden. Ohne Schritte, ohne Zeit zu vergeuden. Den Weg hierher hatte er kaum bewusst wahrgenommen, wohl auch, da seine Gedanken in alle Richtungen stoben, sich von dem einen Mann beherrschen ließen, ihn antrieben und jagten, als wäre er der leibhaftige Tod, dem ein jeder zu entrinnen versuchte. Er war gerannt… nun war er hier und vor seinem geistigen Auge noch immer in jenem Zimmer, in jenem Büro, in welchem er intensiv gemustert wurde. Wie ein verletztes Tier, welches sich aggressiv in der Ecke räkelte, in welches es gedrängt worden war. Es ähnelte einer Tragödie, dass Komui ihn ansah, als würde er auf einen Menschen blicken, der nach Hilfe schrie und diese umso nötiger hatte. … „Was ist passiert?“ Allein diese Frage… es hatte es kaum ertragen… es kaum geduldet und sich vor sich selbst erschreckt. Wo war die Fassung gewesen? Wo die Festigkeit? Was für eine arglistige Ironie, der er zum Opfer fiel, indem er sich zum einzig wichtigen Zeitpunkt so aufführte, wie er es vor allen anderen unterbunden hatte. Eine leichte Regung erfasste sein Gesicht und abwesend kamen seine Pupillen zum Vorschein, richteten sich auf die gegenüberliegende Wand der Kabine. Hier fühlte er sich sicher und all die Zweifel, die man an ihm hegte, all die Verdächtigungen, die durchaus begründet waren, ließ er hinter sich. Mit jedem Augenblick mehr und mehr. Ja, hier war er nicht mehr erreichbar. Nicht erreichbar für die Realität des schwarzen Ordens, für die Gesetze… Komuis Zorn… und all die Konsequenzen, die er so oder so über sich ergehen zu lassen hatte. All das lag hinter ihm und vor ihm möglicherweise die einzige Möglichkeit, das Richtige zu tun. Eine fragwürdige Rache und doch der beste Weg, zu verarbeiten… abzuschließen. … „Bring zu Ende, was du angefangen hast!“ Worte, die oft über seine bebenden Lippen gekommen waren, bevor… Kanda schloss die Augen, sein Kopf sank zur Seite und kurz rang er mit sich, bevor er hinaus in die tiefe Dunkelheit der Nacht starrte, die hellen Lichter der Lampen verfolgte, die an ihm vorbei glitten. Eine späte Entspannung schien ihn zu erreichen, seinen Körper wohltuend zu durchfluten und unauffällig zog ein Grinsen an seinen Lippen. >Wenn du es nicht tun willst, Tyki… Wenn du es nicht zu Ende bringen willst… dann werde ich es tun!< „Mm.“ Konzentriert lehnte sich Lavi zu dem Plan, durchmusterte ihn jedoch schnell unzufrieden. Ja, den Zug hatten sie wirklich verpasst und Allen verschränkte die Arme vor dem Bauch, während sich Timcanpy auf seinen Kopf sinken ließ, es sich in seinem Haar gemütlich machte. Auch er lugte zu dem Plan und schnell verstand er Lavis Stimmung. „In einer Stunde?“, murmelte er durchaus ungläubig und der Ältere kratzte sich am Kopf, während er sich abwandte. „Sagte Komui nicht…“ „Sagte er“, unterbrach Lavi ihn stöhnend. „Aber da muss er wohl etwas verwechselt haben.“ „Oh.“ Der Jüngere verzog die Miene und blickte sich nachdenklich um. „Und gibt es keine andere Möglichkeit, zur Fähre zu kommen?“ „Darauf würde ich nicht hoffen.“ Dennoch schien Lavi zu grübeln und kurz darauf schlenderte er los, nahm die einzelnen Anzeigen unter die Lupe. Allen folgte ihm. „Vielleicht könnten wir einen der Züge hier nehmen und umsteigen?“ „Und wo?“ Allen schien nicht so überzeugt und auch Lavi verwarf diese Idee ebenso schnell, wie sie ihm gekommen war. Kurz blieben die Beiden stehen, bis sich der Ältere auf eine nahe Bank sinken ließ, stöhnend die Beine von sich streckte und die Arme über die breite Lehne schob. „Ich denke, wir sollten doch warten.“ „Wäre wohl sicherer.“ Vor ihm blieb Allen stehen und rümpfte die Nase. „Wir werden so oder so ziemlich spät kommen. Hoffentlich nicht zu spät.“ „Mm.“ Lavi verdrehte die Augen. Der Kopf wurde ihm schwer und er legte ihn auf der Lehne ab, starrte hinauf zur hohen Decke der Bahnhofshalle. Kurz schwiegen sie, bis er die Miene verzog, die Lippen schürzte. „So oder so“, seufzte er und Allen lugte zu ihm, „wir haben wohl Glück im Unglück, dass Yu vor uns da sein wird.“ „Du meinst, er hat den richtigen Zug noch bekommen?“ Der Jüngere sah ein stummes Nicken und ließ sich ebenfalls auf der Bank nieder. Für wenige Momente saßen sie reglos dort und gingen ihren eigenen Gedanken nach. Das Auge nach oben gerichtet, schien Lavi es bequem zu haben, doch Allen wirkte, als beschäftige ihn etwas und er hielt das Schweigen nicht mehr lange durch, nachdem die Frage zu einem kleinen Quälgeist geworden war. Er kratzte sich an der Nase, holte tief Luft und lugte zu Lavi, der auf der Unterlippe knabberte. „Darf ich fragen, was gerade eigentlich los ist?“, erhob er unsicher die Stimme und Lavi ließ den Kopf zu ihm sinken, sah ihn an. „Ich kenne Kanda nicht annähernd solange wie du, habe aber trotzdem bemerkt, dass in letzter Zeit etwas mit ihm nicht stimmt. Und jetzt ordnet Komui eine Zwangsuntersuchung an und… na ja…“, er zuckte hilflos mit den Schultern, „… Kanda verschwindet einfach. Ich hätte nie gedacht, dass er sich Komui widersetzen würde.“ „Mm.“ Lavi wandte den Blick ab, richtete ihn hinauf aufs alte Ziel und rückte sich kurz zurecht. „So ist er eigentlich auch nicht… aber für alles gibt es ein erstes Mal.“ „Für so etwas sollte es kein erstes Mal geben“, murmelte Allen nachdenklich und Timcanpy spreizte die Flügel, begann sich auf seinem Kopf zu regen. „Irgendwie… mache ich mir wirklich Sorgen.“ „Mm.“ Wieder war es nur ein ungewisses Brummen, das Lavi hervorbrachte. Es zeugte von Unentschlossenheit, doch seine Miene bewies, dass derzeit weitaus mehr in ihm vorging. „Leider kann ich dir da auch nicht helfen… ich weiß nicht vielmehr, als du und letztendlich können wir es wohl nur Komui überlassen.“ Daraufhin holte er tief Luft und blähte die Wangen auf. Seit einiger Zeit wünschte er sich, dass diese Worte der Wahrheit entsprächen… dass er wirklich nur soviel wusste, wie er vorgab. Es war nicht einfach… und Allen senkte die Lider, seufzte leise. „Aber haben wir nicht auch die Pflicht, etwas aufeinander aufzu… au!“ Er zuckte zusammen, als Timcanpy eine seiner Strähnen zu fassen bekam und an dieser zerrte. Abermals lugte Lavi zu ihm. „Tim… lass das.“ Gequält beugte sich Allen nach vorn, als der Golem nach der nächsten Strähne schnappte und er blind nach ihm tastete. „Was ist denn mit dir los? Aua… nicht da… Tim…!“ Er war plötzlich sehr damit beschäftigt und Lavi nutzte den Moment, um die alte Schweigsamkeit aufzubauen und sich vor weiteren Antworten zu drücken. Das Ächzen des Jüngeren verstummte, als er das Auge schloss und in Gedanken versank. Er wusste nichts darüber…? Nun, leider wusste er viel und mit jeder Einsicht, jedem Verdacht, sehnte er sich danach, dass all seine Vermutungen nicht der Wahrheit entsprachen. Doch es war offensichtlich gewesen und er erinnerte sich zurück… zurück an die Mission, die sie gemeinsam bestritten hatten. An die Stadt, in der es nur noch sie und den Akuma gab. Die dürre schwarze Gestalt, die er letztendlich durch eine Hausfassade schmetterte. Ein ungeplanter Angriff, um Kanda das Leben zu retten… Doch dann? Er spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Das Erlebte beschäftigte ihn noch immer, mehr, als er es sich zugestand und bei jeder Bewegung, jedem Atemzug zumindest unbewusst. Es war nichts gewesen, das man mit Erklärungen leicht abtun konnte, nichts, womit sich einfach umgehen ließ. Und der Schreck, den die Momente inne hatten, ließ seine Erinnerungen deutlich werden, so klar und detailliert, dass es annähernd quälend war. Das gepflegte Haar, stets zu dem straffen Zopf gebunden… Wie wirr hatte es auf seinem Gesicht gehaftet. Die dunklen Augen, immerzu stolz und präzise… Welch eine Panik hatte sie durchstochen… welche abgrundtiefe Furcht. Das Gesicht, das mit gesunder Farbe seine vollendete Bereitschaft bewies… Wie bleich war es gewesen… wie leichenfahl. Die Hände, dauerhaft war ihr Griff um das Mugen eisern gewesen… Wie hatten sie gezittert. Die Bewegungen, fortwährend kontrolliert und stark… Wie waren sie ihm entglitten. Alles war ihm entglitten und ebenso hatte sich Lavi gefühlt. Allein durch den Anblick einer jeden Kontrolle beraubt und annähernd betäubt, als sich die einst so ausdrucksvolle Stimme bebend und zitternd erhob, selbst dem eigenen Keuchen unterlag. … „Fass mich nicht an!!“ Wie hysterisch sie gewesen war… ein Flehen, als ob es um Leben und Tod ginge. Lavi war erschaudert und er spürte die alte Furcht erneut, als sich die Lehne der hölzernen Bank unangenehm in seinen Nacken drängte und er sich abermals zurecht rückte. „Hör auf…“ Wie schnell hatte sie an Kraft verloren… der letzte Widerstand, bevor er auf seine Hände starrte, auf das Blut, welches über seine Haut rann. Ein Irrsinn, der abscheuliche Wurzeln haben musste. Ein Geschehnis… so erbarmungslos… so seltsam, dass er es nicht für möglich gehalten hätte. Und er scheute sich davor, sich genauere Fragen zustellen. Wie war es passiert? Wann…? Und wer trug die Schuld? Wer verfügte über die nötige Kraft, um Kanda zu überwältigen… ihn in eine solche Lage zu bringen? Er spürte die Trockenheit in seinem Mund, schluckte schwer und presste die Lippen aufeinander. Durchaus leichter fiel es ihm, die Schlüsse mit der Gegenwart zu verbinden, sich etwas von dem Gebiet zu entfernen, in welches er sich nicht wagte. Welcher Reiz war stark genug, um Kanda den Befehl vergessen zu lassen? Was lockte ihn, was zwang ihn, seinen eigenen Weg zu gehen, obwohl ihm ein anderer befohlen wurde? Er öffnete die Augen, zielstrebig suchten sie nach der schwarzen Mappe, die zwischen ihnen lag und schweigend griff er nach ihr. Allen beschäftigte sich unterdessen mit Timcanpy und so war ihm jede Zeit gegeben, einen ruhigen Blick in die Mappe zu werfen, sich in den einen Satz zu vertiefen, der dort geschrieben stand. Und er las ihn oft. „ … und möglicher Weise Beteiligung des Noah-Clans vor Ort…“ Grüblerisch driftete sein Auge über die Schrift und er holte tief Luft, als er die Mappe sinken ließ, auf einen der Züge starrte. Ja, wer trug die Schuld? Und wer verfügte über die nötige Kraft, Kanda zu überwältigen? Er schürzte die Lippen, verzog die Miene. >Ein Noah…?< Lange hatte er gewartet… Stunde um Stunde, bis er sich von der Bank erhob und die Kabine verließ. Das erste Ziel war erreicht und als er einen knappen Blick auf eine Uhr warf, konnte er mit dieser Fahrt doch zufrieden sein. Sie war ohne Komplikationen verlaufen und selbst Schlaf hatte er gefunden. Wenn auch nur kurz, ihn beherrschte das Gefühl, allem gewachsen zu sein, was auf ihn wartete und seine Miene offenbarte nicht, dass sein allgegenwärtiger Begleiter eine schwere Last war. Noch ehe der Zug zum völligen Stillstand gekommen war, öffnete er die Tür und sprang auf den Steig hinab. Kühle Nachtluft umspielte ihn und er schöpfte tiefen genüsslichen Atem, bevor er sich umblickte, sich eine knappe Orientierung verschaffte und rasch für einen Weg entschied. Der Hafen war nicht mehr fern und er vergeudete keine Zeit, setzte sich in Bewegung und verließ die verlassene abgelegene Station. Noch ehe seine Schritte auf der steinernen Treppe hallten, setzte sich der Zug wieder in Bewegung und nach kurzer Zeit fand sich Kanda in einer Stadt wieder, in der für diese späte Stunde noch weitaus mehr Treiben herrschte, als zu erwarten war. Es musste ein Fest sein, welches hier abgehalten wurde und seine neu aufgekommene Hast wurde von Menschenmassen ins Stocken gebracht. Auf Umwege wollte er sich nicht einlassen, keinen Moment verschwenden, in welchem die Fähre früher ablegen konnte. So drängte er sich also durch die Massen, begleitet von Stimmengewirr und dem Krawall einiger Musikanten, die die Menschen erheiterten. Gerüche drängten sich ihm auf, lautes Lachen schlug ihm entgegen und verbissen folgte er seinem Weg, bis er das nächste Ziel erreichte und ihm eine weitere positive Wendung zugute kam. Kurz vor der Abfahrt gelangte er auf das Schiff und die Überfahrt würde weitaus weniger Zeit in Anspruch nehmen, als der Zug. Die Reise gestaltete sich einfacher, als er erwartet hatte. Keinen Vorteil beanspruchte er für sich, keine glücklichen Zufälle. Es wäre vermessen, nach solchen Zeiten diesen Träumen nachzueifern und als er sich auf eine Bank niederließ und im leichten Schwanken des Schiffes abermals die Augen schloss, erweckte es für ihn annähernd den Anschein, als würde ihm ein weiterer Erfolg zuteil. Als gäbe es triftige Gründe, dass er an sein Ziel gelangte und dies möglicherweise rasch und pünktlich. „Wie lange fahren wir jetzt noch?“ Müde stemmte Allen die Wange in die Handfläche, unterdrückte ein Gähnen und wandte sich das erste Mal seit langem vom Fenster ab. Ihm gegenüber saß Lavi tief in das Polster gerutscht und öffnete nun das Auge. Seit einiger Zeit saßen sie nun im richtigen Zug und die Fahrt schien sich in eine endlose Länge zu ziehen. „Noch eine Weile.“ Der Ältere versuchte sich ein Bild der Umwelt zu machen, doch die Dunkelheit versperrte ihm eine jede Sicht und letztendlich zuckte er nur mit den Schultern. „Versuch doch einfach, etwas zu schlafen. Wir werden wahrscheinlich all unsere Kräfte brauchen, um den Auftrag zu erfüllen.“ Lange schwankte das Schiff unter dem leichten Wellengang, bevor endlich die Lichter des Hafens in weiter Ferne auftauchten. Erst undeutlich, gewannen sie rasch an Kraft und keine halbe Stunde später, dockte das Schiff an. Stunden um Stunden vergingen während der Reise und Kanda ließ sich keine Zeit, verließ das Schiff als einer der ersten und hielt dennoch inne, als er einen kleinen Platz vor sich sah. Auf der anderen Seite dunkle Häuser, die sich aneinander reihten und er entschloss sich schnell, gar nicht erst nach dem Bahnhof zu suchen. Vermutlich war es eine Frage von Minuten und so wandte er sich an den ersten, der seinen Weg kreuzte. Der nächste Bahnhof war zu erreichen und nach der knappen Beschreibung des Herren nicht sehr weit entfernt. Zielstrebig und raschen Schrittes folgte Kanda dem vorgegebenen Pfad und wirklich erreichte er nach kurzer Zeit ein Gebäude, das ganz nach seinem Ziel aussah. Die beiden Steige waren verlassen, als er sie betrat, sich unter der Überdachung hielt und an einen der Pläne herantrat. Höchstwahrscheinlich würde er nicht nahe genug an Pjöngjang herankommen, um sich einen langen Fußweg zu ersparen, doch letztendlich war es ihm angenehmer, wenn die Zeit von seiner eigenen Schnelligkeit abhing. Nur kurz überblickte er den Plan, runzelte die Stirn und lugte zu einer der Uhren. Es war kurz nach Mitternacht und viele Züge gab es um diese Zeit nicht. So würde der nächste auch erst nach einer gewissen Wartezeit diesen Bahnhof passieren. Nur wenige Minuten und doch wenige Minuten zuviel, die er hier stehen und seinem Ziel entgegenfiebern würde. Und anschließend…? Er kehrte dem Plan den Rücken, verschränkte die Arme vor dem Bauch und nahm sich Zeit, die kühle Nachtluft zu genießen. Weitere vier Stunden Fahrt. Tief atmete er ein, versuchte sich eine gewisse Ruhe anzueignen und begann nach wenigen Augenblicken einen ziellosen Spaziergang, der ihn kreuz und quer über den steinernen Boden führte. „In zwei Stunden?“ Ächzend sank Lavi in sich zusammen, nachdem er gemeinsam mit Allen den Plan der Schifffahrt studiert hatte. Der Jüngere schöpfte tiefen Atem, sah sich verlegen um und beließ es bei einem Naserümpfen. Neben ihm ertönte ein weiteres Ächzen und Lavi lehnte sich gegen das hölzerne Schild. „Wenn das so weiter geht, werden wir nie ankommen. Ehrlich, diesen Weg kann man einfach nicht mit der nötigen Dringlichkeit hinter sich bringen.“ Er rieb sich das Gesicht und Allen hielt kurz nach Timcanpy Ausschau. „Wir müssen wohl auf das Durchhaltevermögen der Finder vertrauen“, seufzte er, als er den Golem erspäht hatte. „Was bleibt uns anderes übrig?“ Lavi drehte sich, lehnte sich mit dem Rücken an und streckte die Beine von sich. „Wieso sind die Finder eigentlich immer zuerst am Schauplatz?“, fuhr Allen da nachdenklich fort und der Ältere schloss die Augen. „Erstens sind sie in der Überzahl, Exorzisten dagegen rar.“ Er nahm sich Zeit für eine träge Antwort. Denn immerhin hatten sie nun wieder einmal genug Gelegenheit, um sich zu unterhalten. „Und da die Finder so oder so rund über den Globus verteilt sind, gibt es immer genug, die sich in der Nähe aufhalten.“ „Ach so.“ Allen legte den Kopf schief und gemütlich ließ sich Timcanpy auf diesen hinabsinken, spreizte die Flügel und suchte den richtigen Halt. „Wie nahe kommt dieser Zug an Pjöngjang vorbei?“ Sobald Kanda in einem der Abteile stand und ihm der Schaffner über den Weg lief, erkundigte er sich bei ihm. Nachdenklich erwiderte der Mann seinen Blick, rieb sich das Kinn und vertiefte sich in kurze Grübeleien. „Daran vorbei kommen wir gar nicht“, antwortete er letztendlich und das war keine Tatsache, die Kanda nicht erwartet hatte. Unbewegt verharrte sein Gesicht, als er aus einem der Fenster sah. „Wenn Sie direkt nach Pjöngjang möchten, müssten Sie umsteigen.“ „Wo.“ Noch immer blickte Kanda in die Dunkelheit der Nacht hinaus, erspähte kurz einen hell erleuchteten Weg. „In der Nähe von Seoul, das wir in zwei Stunden erreichen. Nur müssten Sie dort leider bis zum Morgengrauen warten, weil der Anschlusszug nach Pjöngjang erst ab sechs Uhr fährt.“ So schien sich das Glück also auch weiterhin fernzuhalten und Kanda verlor das Interesse am Fenster. Mit mürrischer Miene wandte er sich zurück an den Schaffner. „Wie weit ist Pjöngjang genau von Seoul entfernt?“ „Oh, da muss ich kurz nachdenken.“ Der Mann blähte die Wangen auf und Kanda rümpfte die Nase. „Das dürften…“, er stieß die Luft aus, stemmte die Hände in die Hüften. „… vielleicht Einhundertfünfzig Kilometer sein.“ Eine Strecke, die er in der nötigen Hast kaum auf sich nehmen könnte. Und selbst wenn es ihm gelingen würde, seine Kräfte wären aufgebraucht, wenn er Pjöngjang erreichte und das machte ebenso wenig Sinn. Auch er begann also zu grübeln, konzentriert fand seine Hand zum Mund, rieb ihn. „Wie nahe kommt dieser Zug an Pjöngjang heran?“, kehrte er letztendlich zu ersten Frage zurück und der Schaffner hob die Augenbrauen. Es kam nicht oft vor, dass Fahrgäste ihm solche Fragen stellten, doch dieser hier schien es ernst zu meinen und als sich der erwartungsvolle Blick des jungen Exorzisten auf den Mann richtete, kratzte sich dieser am Kopf. „Das weiß ich nicht genau.“ „Dann strengen Sie sich an.“ „Ah… na gut.“ Der Schaffner ergab sich seinem Schicksal. Seufzend lehnte er sich gegen die Lehne einer Sitzbank, verschränkte die Arme und presste die Lippen aufeinander. „Wir… eh…“ Unauffällig verdrehte Kanda die Augen und starrte zur Seite. Vielleicht sollte er ihm die wahre Wichtigkeit dieser Reise erklären, dann ließe es sich sicher schneller denken. Doch das konnte er nicht und da man ihm auch keine Fragen stellte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Zu etwas anderem war er in diesem Zug wohl auch nicht imstande. „Ah.“ Plötzlich blickte der Schaffner auf, löste die Haltung und begann mit den Händen zu gestikulieren. „Der Zug hält bei einem Fabrikgelände in Nordkorea, südlich des kleinen Gebirges, hinter dem sich Pjöngjang erstreckt.“ „Wie weit ist es von dort aus?“, stellte Kanda gnadenlos die nächste Frage, doch diese Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Einhundert… fünfzig… Kilom…?“ „Haben Sie einen Plan von der Strecke?“ Kandas Geduld neigte sich ihrem Ende entgegen und so nahm er sich vor, nicht weiter auf die Informationen des Schaffners zu bauen. Lustlos verfolgte er, wie der Mann in seinen Taschen zu wühlen begann und kurz darauf hatte er wirklich etwas in der Hand, das ihm weiterhalf. Während er den Plan studierte, wurde er beiläufig angestarrt und es dauerte nicht lange, da drehte er sich zu ihm. Sein Finger setzte sich auf eine Stelle und der Schaffner vertiefte sich ebenfalls in den Plan. „Von hier aus vielleicht fünfzig Kilometer?“ Flüchtig lugte Kanda zu dem Mann, doch dieser verzog das Gesicht. „Durch das Gebirge? Ja, vielleicht. Nur… da halten wir nicht.“ „In Ordnung.“ Endlich schien Kanda zufrieden und der lieblos zusammengeknüllte Plan wurde dem verdutzten Mann wieder in die Hände gedrückt. „Mehr wollte ich nicht wissen.“ „Eh…“ Doch Kanda wandte sich bereits ab und machte sich auf den Weg, um sich einen Platz zu suchen. „Was machst du für ein Gesicht?“ Irritiert zog Lavi eine Grimasse. Ihm gegenüber hockte Allen auf einer gepolsterten Bank. „Jetzt sind wir endlich auf der Fähre und du siehst aus, als wärst du lieber woanders.“ „Wäre ich auch“, erwiderte der Junge gedämpft, blähte die Wangen auf und sah sich geduckt um. „Irgendwo, wo es nicht schwankt… und das jetzt seit mehr als einer Stunde.“ Daraufhin stieß er ein gepeinigtes Ächzen aus, lehnte sich zurück und rieb sich den Bauch. „Ah.“ Lavi verstand, konnte jedoch nur mit den Schultern zucken. „Wir müssen schon viel erleiden, was?“ „Wieso kann man nicht anders über das Wasser kommen, als mit einem Schiff…?“, ertönte daraufhin gedämpftes Murmeln und Lavi grinste flüchtig. Er begann sich auch auf der Bank zu regen, richtete sich auf und zog ein anderes Blatt hervor. „Wir sollten uns eher Gedanken über etwas anderes machen.“ Somit kam er auf die Beine und leistete Allen Gesellschaft. Als er das Papier auseinander faltete, lugte dieser trüb zu ihm. „Wenn die hier aufgeführten Fahrzeiten stimmen, haben wir spätestens nach Pusan ein Problem.“ „Und welches wäre das?“ Allen riss sich zusammen und schluckte die Übelkeit hinab. „Na, ganz einfach.“ Lavi schnalzte mit der Zunge, fuchtelte mit dem Papier und lehnte sich zurück. „Das ist mir vorhin im Zug aufgefallen. Der direkte Anschluss nach Pjöngjang ist etwas schwierig.“ „Hm?“ „Hier, siehst du?“ Der Plan wurde erneut präsentiert, Allen förmlich unter die Nase gehalten. „Da kommen wir nicht entlang. Also müssen wir uns etwas einfallen lassen.“ Flink war der Hebel umgelegt und der kühle Nachtwind schlug Kanda entgegen, als er den Wagon verließ, auf den freien Übergang hinaus- und an die Absperrung herantrat. Die Augen auf das nicht sehr weit entfernte Gebirge gerichtet, streifte er sich das Haar aus dem Gesicht, stemmte sich auf das Geländer und betrachtete sich kurz darauf den Boden, der schnell unter ihm vorbeizog. Er war steinern und trocken und Kanda beschäftigte sich nicht lange mit ihm. Seine Bewegungen hatten eine entspannte Ruhe an sich, als er die zweite Hand auf das Geländer stemmte und über dieses hinweg stieg. Gemächlich zog er die Beine darüber, suchte sich außen festen Halt und blinzelte unter dem heftigen Wind, der seinen Mantel wild gegen seine Beine schmetterte und sein Haar dazu brachte, ihm einen großen Teil der Sicht zu versperren. Und so harrte er nicht lange dort aus, ging etwas in die Knie und sprang ab. Die Wucht des Zuges brachte ihn weit und zwang ihn in die Knie, als er hart auf dem Boden aufsetzte. Dumpf gingen seine Stiefel auf ihn nieder und nachdem er vornüber gefallen und sich mit den Händen abgestützt hatte, schöpfte er tiefen Atem, wandte das Gesicht und blickte dem Zug nach. Die Lichter, die hinter den einzelnen Fenstern brannten, entfernten sich schnell und nach einem weiteren tiefen Durchatmen richtete er sich auf. Den Schmutz wischte er sich gemächlich von den Händen, streifte die verirrten Strähnen zurück und kam kurz darauf auf die Beine. Weiteren Kies und Staub klopfte er kurz aus dem Mantel und dann wandte er sich dem Gebirge zu. Fünfzig Kilometer also… Er vertrat sich die Füße, vergewisserte sich, dass sein Schwert den nötigen Halt auf seinem Rücken hatte und streckte sich. Einen solchen beschwerlichen Weg hatte er seit langem nicht mehr zurückgelegt, um eine Mission zu erfüllen und seine Hände tasteten sich kurz über den Mantel, sicherten auch dessen Halt. Doch es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Ein letztes tiefes Luftholen, dann konzentrierte er sich auf den Atem und setzte sich in Bewegung. Die ersten Schritte lief er entspannt, doch rasch verschnellerte er sie und kurz darauf versank er in einem zügigen Dauerlauf in der weiten Finsternis der öden Steppe. „Komm schon.“ Somit eilte Lavi über den schmalen Steg, der sie von der Fähre führte und verschaffte sich sofort einen Überblick. Viele Laternen erhellten den Platz, der sich vor ihnen erstreckte. In ihrem Schatten bewegten sich Menschen in nächtlicher Geschäftigkeit und nach einem tiefen Atemzug begann er seine Hosentaschen abzutasten. Hinter ihm hatte auch Allen die Fähre verlassen und seine Miene offenbarte unbeschreibliche Qualen, als er neben ihm stehen blieb und sich den Mund rieb. Währenddessen wurde der Ältere fündig und gemeinsam vertieften sie sich in die Karte, suchten nach dem nächsten Bahnhof. Die Zeit wurde immer knapper… sie spürten die Dringlichkeit und die Ungeduld durch den langen Weg und während Lavi das Auge verengte und die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete, wandte sich Allen ab, blickte um sich. „Hoffentlich sind schon andere Exorzisten in der Stadt“, sprach er einen Grund seiner Besorgnis aus und Lavi blickte auf, ließ die Karte sinken und studierte flüchtig die Straßenschilder. „Wir werden wohl noch eine zeitlang brauchen.“ In diesem Moment setzte sich Lavi wieder in Bewegung. Er schien fündig geworden zu sein und Allen folgte ihm eilig. „Vermutlich nicht vor dem Morgengrauen.“ Lavis Miene wirkte nicht viel entspannter, als er die Karte wieder in der Hosentasche verstaute, auf eine Hauptstraße zusteuerte, die sie zu ihrem Ziel führen würde. „Der Bahnhof ist in der Nähe. Hoffentlich bekommen wir schnell den richtigen Zug.“ Allen antwortete mit einem stummen Nicken, beiläufig griff er nach der Kapuze und streifte sie sich über. Ohne sich eine Pause zu gönnen, bahnte sich Kanda seinen Weg durch schmale Pfade, steinerne Abhänge und über kleine Schluchten. Das Gebirge entpuppte sich gefährlicher und anstrengender, als es seinen Erwartungen entsprach. Kaum ein richtiger Weg ließ sich finden und lange tastete er sich in beinahe völliger Dunkelheit blind voran. Die Hast musste der Sicherheit weichen und bedacht ließ er sich Zeit, nutzte nicht sofort einen jeden Pfad, der ihm erschien, als könne man ihn ohnegleichen bewältigen. Doch von seinem Weg kam er nicht ab, blieb bei der Richtung und erreichte bald ein recht ebenes Gelände, bei dessen Überwindung er etwas Kraft tankte. Er ging langsam, wischte sich den Schweiß von der Stirn und beruhigte die Atmung, die von leichten körperlichen Strapazen zeugte. Er hatte es eilig, selbstverständlich, war jedoch nicht kopflos genug, um sich gar keine Entspannung zu gönnen. Das Ziel konnte nicht mehr fern sein, auch wenn sich vor seinen Augen immer neue Hügel und Hindernisse auftaten. So widmete er sich bald darauf einem Abhang, den zu umgehen, ein Unmögliches war. „Warten Sie!“ Als Lavi den Schaffner erspähte, ließ er die letzten Stufen umso rascher hinter sich, trat auf den Steig hinaus und hob keuchend die Hand. Die letzte Strecke hatten sie sicherheitshalber hastend hinter sich gebracht und nun schien es sich vermutlich auszuzahlen, denn dort stand noch ein Zug, der jedenfalls die richtige Richtung einschlagen würde. Behäbig hielt der Schaffner an der Tür inne und auch Allen erschien nun auf der Treppe. Keuchend tastete er sich am Geländer hinauf, während sich Lavi bereits an den Mann wandte und nach wenigen gewechselten Worten nach ihm Ausschau hielt. „Komm!“ Hektisch winkte er ihn zu sich. „Den können wir nehmen!“ Hinter dem Schaffner stieg er bereits ein und Allen stieß ein laues Stöhnen aus, als auch er die Tür erreichte. Diese permanente Hast bekam ihm nicht… ebenso wenig all die Befürchtungen, die diese Reise umso unerträglicher gestalteten. Ächzend stemmte er sich nach oben, streckte den Arm und tastete nach einer Kerbe, an der er sich hinaufziehen konnte. Der Abhang offenbarte sich als bisher größtes Hindernis und als er endlich das obere Plateau erreichte, sah er sich dazu gezwungen, eine weitere Pause einzulegen. Angestrengt zog er sich über die Kante, entfernte sich auf den Knien etwas vom Hang und blieb vorerst kauern. Seine Motorik hatte etwas an Unbeschwertheit eingebüßt und ein leiser Fluch kam über seine Lippen, als er mit den Schultern rollte, in einer von ihnen den alten Schmerz erneut wahr nahm. Dieses Klettern war ihr nicht gut bekommen, doch er beschäftigte sich nicht lange mit ihr, ließ die Hand sinken und legte den Hinterkopf in den Nacken, um neuen Atem zu tanken und somit vielleicht auch etwas Kraft. Seit nunmehr zwei Stunden kämpfte er sich durch dieses Gebirge und als seine Augen zum Horizont drifteten, war dieser bereits von einem leichten Licht geschmückt, das den baldigen Sonnenaufgang ankündigte. Er betrachtete sich das helle Blau lange und letztendlich konnte er doch zufrieden sein. Anstatt nun auf einen Zug zu warten, der sein Eintreffen am Ziel um weitere Stunden verschoben hatte, war er nun kurz davor. Kontrolliert stieß er die Luft aus seiner Lunge, ließ den Kopf nach vorn sinken und rieb sich den Nacken. Mit einem solchen Weg hatte er nicht gerechnet und allmählich machte ihn sein Körper darauf aufmerksam, dass er weder viel geschlafen, gegessen, noch getrunken hatte. Hindernisse, die womöglich einen jeden Abhang überboten. Er rieb sich den Hals, schloss kurz die Augen… und hielt in etwaigen Bewegungen inne. Kurz verharrte er reglos, bis er zum alten Leben erwachte. Seine Lider hoben sich, seine Hand löste sich vom Hals und aufgeschreckt reckte er sich in die Höhe, saß aufrecht dort und starrte um sich. Ein Geräusch war an seine Ohren gedrungen… Und er kannte es. Konzentriert suchte er nach weiteren Lauten, kam unterdessen auf die Beine und hielt selbst den Atem zurück, um die kleinste Anomalie aus der nächtlichen Stille herauszufiltern. Und kurz darauf ertönte es wieder und er drehte sich, blickte zu einem weiteren Abhang. Dort… Es waren Schüsse und das leise Grollen der Zerstörung, das sich an den Felsen brach. Lautlos öffnete sich sein Mund und er schluckte, bevor er einen langsamen Schritt tat. Er war wirklich am Ziel angelangt…! Die Stadt Pjöngjang musste hinter diesem Abhang liegen und er spürte, wie die alte Energie ihn durchflutete, bei dem Gedanke an die Akuma… an den… Noah… neu erwachte! Die Strapazen des Marsches drängten sich in den Hintergrund, als er die Finger spreizte, die Hände ballte und sich eilig in Bewegung setzte. „Hier ist es gut.“ Vorsichtshalber blickte sich Lavi nach dem Schaffner um, als er die Tür des Wagons öffnete und sich Allen an ihm vorbei schob. Er folgte ihm rasch hinaus, sah sich unentdeckt und schloss die Tür hinter sich, während er das Gebirge erspähte. „Und dahinter liegt die Stadt?“, erkundigte er sich hoffnungsvoll und lugte zu Lavi, der neben ihn trat. Wenn er schon so etwas auf sich nahm, dann wollte er sich auch sicher sein, doch Lavi nickte, machte sich bereits daran, über das Geländer zu steigen. „Wenn wir uns beeilen, haben wir es in zwei Stunden hinter uns.“ Somit konzentrierte er sich lieber auf den nötigen Halt, biss sich konzentriert auf die Unterlippe und klammerte sich an den Stahl, als er das Geländer kurz darauf im Rücken hatte und im peitschenden Wind nach Atem rang. Doch Allen ließ sich keine Zeit. Auch er stemmte sich nach oben, hielt sich fest und spürte, wie sich Timcanpy in seinem Mantel versteckte. Nun standen sie Seite an Seite, während der steinige Boden rasend schnell unter ihnen hinweg zog. „Und los!“, hörte er Lavi keuchen und biss die Zähne zusammen. Ohne zu zögern stießen sie sich also ab, wurden weit geschmettert und rollten sich ächzend ab. Das Gestein stiebte unter ihren Bewegungen, beide schlitterten noch ein Stück und als der Schreck überwunden war und die Glieder meldeten, dass sie alle noch beisammen waren, richteten sie sich auf. „Oh man!“ Lavi schüttelte sich den Kies aus dem Haar, fuhr sich über das Gesicht und streckte die Beine von sich. Neben ihm hustete Allen unter dem Staub und beide sahen etwas zerrupft aus, nur Timcanpy nicht, der sich hinaus wagte, sobald keine Gefahr mehr bestand. Heiter flatterte er hervor und Lavi schüttelte sich. „Hätte Komui uns das nicht sagen können?“ Er fluchte etwas, während sich Allen zu regen begann, langsam auf die Beine kam. „Wie sollen wir uns um Akuma kümmern, wenn wir schon auf dem Weg fast draufgehen?“ Neben ihm kam Allen zum Stehen, wischte sich den Staub vom Mantel und verzog das Gesicht unter dem Kies, der ihm sogar in den Mund gekommen war. Kurz darauf erhob sich Lavi und nachdem auch dieser wieder mit sich zufrieden war, musterten sie gemeinsam den Weg, der nun noch vor ihnen lag. „Und da sollen wir durch?“ Allen legte den Kopf schief, wirkte weniger fasziniert. Doch Lavi schnalzte nur mit der Zunge, lugte skeptisch zum Jüngeren. „Bist du verrückt?“ Und schon zückte er den Hammer, schwang ihn locker in der Hand und präsentierte ihn den erleichterten Augen. „Warum sollten wir uns jetzt auch noch durch die Hänge kämpfen?“ Grinsend setzte er ihn ab… „Kleiner Hammer, großer Hammer.“ … und ließ ihn wachsen, bis er sich auf ihn stemmen konnte. „Gott sei Dank.“ Allen juckte sich an der Wange, seufzend trat er neben Lavi und gemeinsam betrachteten sie sich das Gebirge erneut. „Das dürfte es uns um einiges erleichtern.“ „Na, logisch!“ Ein legerer Klaps erfasste seinen Rücken und ein Stiefel wurde auf den Hammer gesetzt. „In spätestens einer halben Stunde sind wir drüber und am Ziel. Also plempere jetzt nicht herum, wir sind trotzdem spät dran.“ „Mm.“ Die Nase rümpfend, griff Allen nach der hilfsbereiten Hand, die ihm gereicht wurde, näherte sich dem Hammer durchaus unentschlossen. Diese Art der Fortbewegung war genauso zu genießen, wie ein schwankendes Schiff. Eilig stieß er sich ab, setzte über einen kleinen Abhang hinweg und sofort umklammerte seine Hand den nächsten Vorsprung und er zog sich hinauf. Sein Körper gehorchte und er bewegte sich rasch, stemmte sich nach oben, schwang sich auf den Fels und kam auf die Beine. Sein Atem fiel kontrolliert und ruhig, erbrachte den Beweis, dass sein Körper gern zu alten Taten bereit war, nichts an Kraft eingebüßt hatte. Wie er sagte, doch er schenkte dem herzlich wenig Aufmerksamkeit, denn seine Augen richteten sich zielstrebig auf die Quelle der verräterischen Geräusche und sofort setzte er zum nächsten Schritt an. Das Ziel war erreicht! Von oben blickte er auf die Baumkronen eines kleinen Waldes hinab, der hinter sich, und höchstens eine Meile entfernt, die Stadt verbarg. Schwerer Staub hing über den flachen Dächern, dunkler Ruß, von zerstörenden Flammen ausgespien, färbte die Luft dunkel und schwarz. Finstere Rauchwolken stiegen über Pjöngjang auf und umso intensiver vernahm er nun die Laute, die ihn zu weiterer Eile antrieben. Hilfe wurde dort dringend benötigt und er stieß sich ab, um diese zu leisten. Rasch schlitterte er den steilen Abhang hinab, fand Halt an einzelnen schweren Gesteinsbrocken und sprang über eine gefährliche Grube hinweg. Seine Beine… sie bewegten sich leicht und flink. Seine Arme… sie offenbarten eine Kraft, dass man ihnen mit aller Ruhe die alte Führung des Schwertes auflasten konnte. Tatsachen, die seine Hast nur vergrößerten und endlich verließen seine Füße den steinigen Boden, ein letzter Sprung und so tauchte er in den Wald ein. Annähernd lautlos verschwand er in ihm, schob sich an den Stämmen vorbei, duckte sich unter wirren Ästen und folgte seinem Weg strikt und entschlossen. Funkelnd taxierten seine Augen den Weg, den er rasch zurückließ, früh erspähte er Hindernisse und kurz geriet er ins Stolpern, als er einer hohen Wurzel auswich. Immer lauter wurde der Krawall, der Lärm des Gesteins, das auseinander gerissen wurde, selbst Stimmen drangen an seine Ohren. Schreie… Hastig stieß er sich an einem Baum ab, wechselte die Richtung und schob sich durch das Dickicht hinaus auf einen Waldweg, der es ihm unweigerlich leichter machte. Eng und drängend umgaben die hohen Stämme und das rauschende Blattwerk den schmalen Pfad und er sprintete weiter und einen kleinen Hügel hinauf, hinter welchem sich ihm das Bild des vollen Ausmaßes präsentierte. Ein geräuschvoller Atemzug entrann ihm, als er sich auslief und seine Augen die schweren Körper der Akuma erfassten, die sich dumpf im schwarzen Rauch bewegten. Dumpfe Schüsse hallten in der Luft, die angstvollen Schreie der Menschen und er ließ sich keine weitere Zeit für die Beobachtung, machte sich daran, auch die letzte Distanz zu überwinden. Ein Zucken der Anspannung durchfuhr seine Mimik, bereitschaftlich spreizten sich seine Finger, sehnten sich nahezu nach dem Heft des Mugen, um dieses gegen die Akuma zu erheben, sie zu zerstören und sich selbst etwas zu beweisen, das er verloren glaubte. All die Meinungen, die man von ihm hatte… all die Eindrücke, auf die man einfach schloss. Hier und jetzt, an diesem Ort und in dieser Nacht konnte er sie zunichte machen! Seine Zähne bissen aufeinander, als die zerstörte Stadtmauer bereits vor ihm aufragte. Nichts bot hier mehr Schutz, ein Teil der Stadt schien bereits eingenommen und noch ehe er die marode Mauer erreichte, schob sich eine kleine Gruppe von Menschen über das niedergerissene Tor hinweg. In kopfloser Panik rannten sie um ihr Leben. Frauen, wie auch Kinder, denen nicht einmal mehr die Zeit geblieben war, ihr letztes Hab und Gut mit sich zu nehmen. Unerwartet und plötzlich lösten sich die Gestalten aus dem staubigen Dunst und nur knapp gelang es Kanda, ihnen ausweichen. Er schob sich an ihnen vorbei und konzentriert verlangsamte er die Schritte, als er selbst über das am Boden liegende Tor hinweg trat und sich in der Dunkelheit der Nacht eine knappe Orientierung verschaffte. Der Letzte strauchelte an ihm vorbei, bevor er die Stadt betrat und die nahe Umgebung verlassen vorfand. Der Feind schien bereits vorgerückt zu sein und ihm bot sich ein Bild der völligen Zerstörung. Hier galt es nichts mehr auszurichten und so eilte er tiefer in die Finsternis der schmalen Gassen, angelockt von Tumult und Lärm. Wo, wenn nicht dort, könnte er auf den Begleiter der Akuma treffen. Er musste zur Spitze des Angriffes gelangen und schenkte seiner Umgebung wenig Beachtung. Finster ragten die Fassaden zu seinen Seiten auf, leise bröckelte marodes Gestein unter seinen Stiefeln und durch all das Geröll fiel es ihm schwer, eine schmale Straße zu überqueren. Unzählige Hindernisse, ließ er zurück, bis er die grellen Lichter erspähte, die in den Himmel aufragten, einzelne Akuma gänzlich bewegungsunfähig machten und doch auf Dauer ein Akt der Verzweiflung darstellten. Der letzte Widerstand der Finder und nach nur einer kurzen Beobachtung lösten sich einige der Lichtsperren auf und erlaubten den monströsen Körpern der Akuma die alte Beweglichkeit, in der sie sich sofort gen Stadt hinabsinken ließen. Eilig stieg er durch die Trümmer eines vollends zerstörten Hauses, ließ die Grundmauern hinter sich und die lauten Schritte weiterer Flüchtlinge hallten ihm entgegen, als sich vor ihm ein kleiner Platz auftat. Weitere Menschen hasteten an ihm vorbei, keuchten und ächzten und suchten sich ihren Weg aus der Stadt. Kanda schenkte ihnen keine Beachtung und wenige Sekunden später lag der Platz bereits hinter und das lang ersehnte Ziel vor ihm! Er trat aus einer Gasse und längst schon hatten seine Augen die Bewegungen der Finder erspäht. Hastig regten sich die hellen Mäntel hinter Mauern und Vorsprüngen, laute Schreie erhoben sich, ebenso Befehle, die sie einander zu schrien, um jede Möglichkeit wahrnehmen zu können. Über ihren Köpfen schwebten die Körper der Akuma und rasch duckte sich Kanda unter dem Steinschlag, den ein verlorener Schuss gegen eine Hausfassade auslöste. Trocken rieselte der Schutt hinab und nachdem er zur Seite gewichen war, auch das schwere Gestein, das knapp neben ihm zersprang. Hier war er und doch alles andere als an der Spitze des Angriffes. Hier offenbarte sich ihm eher die Nachhut, die weitere Verstärkungslinien zu durchbrechen versuchte. „Ein Glück!“ Die fahrige Stimme eines Finders erreichte ihn und kurz darauf ein junger Mann, der sich röchelnd auf die Knie stützte. „Sie sind da!“ Nur ein knapper Blick traf ihn, bevor sich Kanda in Bewegung setzte, schnellen Schrittes die Reihen der Finger durchtrat. Keuchend folgte ihm der eine und nicht weit entfernt zerbarst eine weitere Mauer unter unkontrollierbaren Schüssen. Gnadenlos begrub der Schutt einige der Männer unter sich und weitere Lichtbarrieren erloschen. „Wie weit sind sie vorgedrungen?“ Im Schutz einer bislang unbeschädigten Mauer hielt Kanda inne, trat in ihren schwarzen Schatten und verschaffte sich einen ruhigeren Überblick. Bis zu diesem Punkt waren nur wenige Akuma zurückgeblieben und unentwegt bewiesen die dumpfen Geräusche den noch weit entfernten Tumult. Ohrenbetäubend löste sich in ihrer Nähe ein weiterer Schuss und der Finder zuckte zusammen, presste sich neben Kanda gegen das Gestein und rang nach Atem. „Fast bis zur Stadtmitte!“, keuchte er und Kanda legte den Hinterkopf in den Nacken, blickte zum dunklen Nachthimmel auf und zu den Schatten, die unentwegt über diesen hinweg zogen. „Die meisten von uns halten dort die Stellung aber viele können wir nicht mehr zurückhalt…“ „Und der Noah?“, unterbrach Kanda ihn desinteressiert und eine perplexe Mimik bewies, dass er hier keine zufriedenstellende Antwort erhalten würde. Nun, letztendlich wusste er, wohin er sich zu begeben hatte, um sich Hoffnung machen zu können. Ohne dem Finder eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich ab, verließ den Schutz der Mauer und hob in derselben Bewegung die Hand zum Mugen. Zielstrebig und sicher erfasste sie das schmale Heft und das Zischen der kalten Klinge versank im Krawall der Zerstörung. Nun sollte es also beginnen und ein wahrer Kugelhagel wurde auf ihn gerichtet, als er den Schutz aufgab, sich abstieß und sich daran machte, sich zum Mittelpunkt des Angriffes hindurch zu kämpfen. Die Hände fest um den Griff des Hammers gelegt, den peitschenden Wind im Gesicht, starrte Allen hinab auf die finsteren Schluchten, die sich unter ihren Beinen erstreckten. Gemütlich regte sich Timcanpy in seinem Mantel und er blinzelte unter den Strähnen, die ihm permanent in die Augen fielen, ihm die klare Sicht versperrten. An Lavis vorbei spähte er zum Ende des Gebirges und mit jedem Augenblick, in welchem er das schöne Gestein aus sicherer Entfernung anschauen konnte, war er dankbarer, dass er sich diese Anstrengung vom Hals halten konnte. „Festhaaalten!“, drang plötzlich Lavis Stimme an seine Ohren und sofort klammerte er sich fester, als es rapide hinabging und der heftige kalte Wind ihm beinahe das Atmen verwehrte. Langsam neigte sich der Griff des Hammers zu einem recht begehbaren Plateau und wohlbehalten landeten sie auf ihm. Stolpernd entfernte sich Allen von dem Stab, freundete sich mit dem alten Boden unter den Füßen an und schnappte nach Atem, als er es endlich wieder ungestört konnte. Hinter ihm rieb sich Lavi die Stirn, sein Fuß setzte sich gegen den Griff und verlieh ihm den nötigen Halt, als er ihn schrumpfen ließ. Zischend fraß sich die Klinge des Mugen durch den Leib des Akuma und sicher setzte Kanda auf dem naheliegenden Dach auf. Kurz darauf erstrahlte die Umwelt im Licht der Explosion und ohne inne zu halten, eilte er weiter, stieß sich ab und setzte auf ein naheliegendes Dach über. Rasant und permanent bewegten sich die monströsen Körper über seinem Kopf, folgten ihm mit feurigen Salven… ihre Zahl schien kein Ende zu nehmen, ihr Auftauchen sowie ihre Angriffe erfolgten gnadenlos und eine Explosion folgte der anderen. Seit nun mehr als einer Stunde gab sich Kanda den Kämpfen hin, zerstörte einen Gegner nach dem anderen und lieferte sich den Angriffen aus, die sich bislang allein gegen ihn richteten. Kein weiterer Exorzist begegnete ihm auf seinem hastigen Weg durch enge Gassen und Straßen, während er eine Spur der Zerstörung hinterließ, sich an die Grenzen des Körperlichen zwang und sich in seinen Fähigkeiten nur bestätigt sehen konnte. Die Luft, die er atmete, war geschwängert von schwerem Rauch, eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse begleitete ihn und mit allen Mitteln versuchte er den Findern aus dem Weg zu gehen. Hier, im Mittelpunkt des Angriffes, eilten sie überall ihrer Wege. Kopflos und orientierungslos kamen sie ihm des Öfteren in die Quere und bald versuchte er sie mit allen Mitteln zu umgehen. Es gab keine Gelegenheit, der Situation alleine Herr zu werden. Er selbst vermochte nichts auszurichten und bevor er einen Platz stürmte, auf dem sich die schwarzen Schatten nur so tummelten, änderte er die Richtung und schob sich in eine verborgene Gasse. Das eigentliche Ziel… und der eigentliche Grund seines Eingreifens in diese Mission war sein ständiger Begleiter und nichts würde ihn dazu bringen, diese Prioritäten zu vergessen. Ja, er wusste, weshalb er nun hier war… weshalb er sich erbitterte Kämpfe leistete und worauf er letztendlich aus war. Sein Atem fiel heftig, als er sich um einen weiteren Schritt in der Dunkelheit verbarg und sich seitlich gegen die Mauer stemmte. Aufmerksam und unnachgiebig durchschweiften seine Augen die Umgebung. Das Mugen ließ er sinken, als er sich zur anderen Seite wandte und zur entfernten Hauptstraße blickte. Eine lange Strecke hatte er bislang zurückgelegt, einen jeden Akuma aus dem Weg geräumt und das alleine, um sich der Suche hinzugeben. Viele Straßen, Wege, Gassen und Plätze lagen nun hinter ihm und als er aufblickte, sich die hohe Dachkante betrachtete, spürte er gewisse Zweifel. Wo, wenn nicht hier, an dem Punkt, an dem alles geschah und an dem er sich zeigte, etwaigen Plänen in die Quere kam…? Wo, wenn nicht hier, könnte er auf den Noah treffen? Er provozierte, legte nicht gerade großen Wert darauf, versteckt zu agieren, offenbarte sich einem jeden Feindesauge, das anwesend war. Und niemand zeigte sich ihm? Lediglich Akuma des ersten Levels, die nur die Fähigkeit besaßen, seine Geduld auf die Probe zu stellen? Er sah keinen Sinn darin, ziellos und weiterhin gegen die Akuma vorzugehen. Die Rettung der Stadt war nicht seine Pflicht und die Finder würden früher oder später auch auf die Hilfe anderer Exorzisten bauen können. Diese nicht enden wollende Kämpfe waren nicht der Grund, weshalb er hier war. Langsam regte er die Finger an dem Heft des Mugen, umschloss es lockerer und stieß ein lautes Ächzen aus. Er musste sich einen Plan setzen, sich möglicherweise anderen Gebieten widmen, ein Vorhaben durchschauen, das verworren und unergründlich wirkte. Weshalb geschah all dies? Lediglich eine sinnlose Welle der Zerstörung oder versteckte sich da eine gewisse Struktur? Als in nicht weiter Entfernung die Fassade unter einer schweren Explosion zerbarst, löste er sich von der Mauer und gab den Schutz der Gasse auf. „Wir dürften bald da sein!“ Triumphierend rammte sich Lavis Finger in Richtung des letzten Berges, der ihnen im Weg war. Das Haar peitschte ihm wild in das Gesicht, als er sich zu Allen umdrehte. Dieser wirkte, als käme ihm diese Nachricht recht gelegen und konzentriert klammerte er sich fester, bevor er an Lavis Hand vorbeispähte. Und wirklich, sie schienen dem Ziel nicht mehr fern zu sein. Sie glaubten sogar, Geräusche wahrzunehmen. Das dumpfe Donnern, welches sich an den felsigen Hängen des Gebirges brach… bald hatte ihre Reise ein Ende. Als das verzerrte Gesicht eines Akuma hinter einer Ecke auftauchte und sich sofort die Kanonen auf Kanda richteten, hielt dieser abrupt inne. Schlitternd stoppte er, stieß sich an einer Wand ab und sprang in die nächstliegende Gasse. Hinter ihm schlugen die schweren Geschosse ein und er sprintete weiter, setzte zum Sprung an und kam auf dem flachen Dach eines nahen Schuppens auf. Es war nicht der erste Akuma, dem er auswich, ebenso hatte das Mugen seinen alten Platz in der Scheide gefunden. So hatte er die Hände frei und diese schlugen sich um das hohe Sims eines Daches, das er vom Schuppen aus einfach erreichen konnte. Ächzend zog er sich hinauf, schwang sich auf die Ziegel und hielt inne, als seine Augen etwas erfassten. Der schwarz weiße Mantel eines Exorzisten bäumte sich unter der Schockwelle einer Explosion auf, als der Mann von einem Dach sprang, in der Tiefe der Straße verschwand und dort sogleich der Krawall weiterer Detonationen ertönte. Verstärkung…! Sie brachte ihm ein gewisses Gefühl von Erleichterung und sobald der Exorzist seinem Blickfeld entwichen war, konzentrierte er sich wieder auf das eigene Ziel. Vorsichtig trat er über die blanken Ziegel hinweg, achtete darauf, nicht abzurutschen und registrierte, dass er sich hier nahe der Stadtmauer befand. Auf der anderen Seite… und deutlich erspähte er den Wald, der sich um die gesamte Stadt schloss, nun im Glanz der aufgehenden Sonne erstrahlte. Ein Schatten neigte sich über ihn und ohne sich umzublicken, ließ er den Rest des Daches hinter sich, stieß sich am Giebel ab und setzte auf das nächste Dach über. Neben seinen Füßen zerbarsten die Ziegel unter weiteren Schüssen und er schenkte dem wenig Beachtung, sprintete weiter und vernahm kurz darauf, wie der Akuma einem fremden Angriff erlag. Nur das kurze Rasseln von Ketten und als er sich umwandte, wurde der Akuma hinabgezerrt. Man kam ihm zur Hilfe und noch bevor der Dämon zerstört wurde, kehrte er ihm den Rücken, sprang auf ein niedriges Dach und kam dort erneut zum Stehen. Stolpernd lief er sich aus, reckte den Kopf in die Höhe und neigte sich zur Seite, während seine Augen konzentriert einen Punkt verfolgten. Es waren die Bewegungen zweier Akuma, die sich mit seltsamer Zielstrebigkeit auf die Stadtmauern und daraufhin auch auf den Wald zu bewegten. Ein eigenartiges Vorhaben, das sofort seine Aufmerksamkeit erregte und ohne lange zu zögern, setzte er zur Verfolgung an. „Dort!“ Als Allen die Kante eines Abhanges überwand und auf die Beine kam, wurde er sofort fündig. Der helle Himmel war auffällig düster verfärbt und der Krawall, der deutlich zugenommen hatte, zeugte davon, dass der Kampf noch längst nicht vorbei… und ihr Eingreifen dringend nötig war. Aufgeregt trat Allen an den Hang heran, hielt nach seinem Gefährten Ausschau. „Lavi, beeil dich! Wir sind da!“ „Ja…!“ Ermattet ließ Lavi den Kopf hängen, während er mit dem Fuß nach Halt tastete. Auch er hatte den kleinen Abhang bald hinter sich und als er aufblickte, verschwand Allen wieder und eilige Schritte waren zu vernehmen. Dieses Gekletter… der junge Mann verdrehte die Augen, presste die Lippen aufeinander und regte die Finger an dem kleinen Vorsprung, bevor er sich hinaufzog, sofort den Fuß nachsetzte und endlich das letzte Stück hinter sich ließ. Ächzend zog er sich über das raue Gestein, rang nach Atem und kam auf die Beine, als Allen erneut nach ihm winkte. Strauchelnd leistete er ihm Gesellschaft und gemeinsam betrachteten sie sich das Ziel, nach dem sie sich so lange gesehnt hatten. Beinahe die gesamte Stadt war dem Angriff der Akuma bislang erlegen und sie standen nicht lange dort, bevor sie die letzte Hürde nahmen und sich so dem Wald näherten, der das Gebirge und die Stadt voneinander trennte. Rasch schlug er die Äste zur Seite, schob sich zwischen den Bäumen hindurch und setzte leichtfüßig über einen moosigen Hügel hinweg. Hörbar fiel sein Atem und abermals erfassten seine Pupillen die Bewegung der massigen Körper zwischen den breiten Stämmen. Augenblicklich stieß er sich an der Rinde ab, wechselte die Richtung und schob sich durch ein Gebüsch. Rasch setzten seine Füße auf, flink pirschte er sich den Rest des Weges und mit einem Satz löste er sich aus dem Dickicht. Das Blattwerk raschelte unter seinen Bewegungen, um ihn herum tat sich eine kleine Lichtung auf und rasch hob sich die Hand zum Griff des Mugen… hielt jedoch in einer jeden Bewegung inne. Der Kies knackte unter seinen Stiefeln, als er abrupt zum Stehen kam, sich sein Mantel unter der Drehung aufbäumte… und perplex blieben seine Augen an den beiden jungen Männern haften. Die Hand alarmiert zum Hammer gesenkt, im Nachhinein jedoch weniger verblüfft, war auch Lavi stehen geblieben und Allen entspannte sich. Unter einem tiefen Atemzug richtete er sich auf, ließ den Arm sinken und erwiderte Kandas Blick offen. Dieses Aufeinandertreffen schien niemand von ihnen erwartet zu haben. Langsam entfernte Kanda die Finger vom Schwertheft und Lavi stemmte unter einem tiefen Atemzug die Hände in die Hüften. „Hi“, murmelte er und legte den Kopf schief. Selbst wenn seine Verblüffung zu Wünschen übrig ließ, mit seiner Zufriedenheit stand es anders, denn er musterte seinen gegenüber kritisch. „Dass wir uns jetzt schon treffen...“ Flüchtig schnitten sich ihre Blicke, doch Kanda zeigte weitaus weniger Interesse. Die Beiden schien er rasch als unwichtig abzutun und machte Anstalten, seinen eigenen Weg fortzuführen. Schweigend erfasste Allen seine Bewegung, doch Lavi schloss sich ihm nicht an. „Yu!“, erhob er ohne zu zögern die Stimme und tat dies ausdrücklich. Und der Angesprochene hielt wirklich inne. Wenn auch widerwillig und desinteressiert. Er blieb stehen und blickte zu ihnen zurück. „Wir sollen dir von Komui ausrichten, dass du unverzüglich zurückzukehren hast.“ Er übermittelte die Botschaft ungeschönt und konnte sich leider als nicht sehr überrascht bezeichnen, als Kanda sich wenig beeindruckt zeigte. Abwägend wurde Lavi gemustert. „Wenn du es sofort tust, kannst du dir großen Ärger ersparen.“ Allen presste die Lippen zusammen und Kanda rümpfte die Nase. Noch immer fixierte er Lavi, und kurz darauf erblickte dieser ein knappes Zucken der Lippen. „Ts.“ Nur eine verwerfende Handgeste und abermals kehrte er den Beiden den Rücken zu, kam jedoch nicht einmal zum ersten Schritt, bis sich Lavis Stimme erneut erhob. Er nahm den Auftrag ernst und ebenso die Aufmerksamkeit, die er auf Kanda zu legen hatte. Und er plante nicht, diesen in dem Moment gehen zu lassen. Mit geballten Fäusten folgte er ihm um einen Schritt. „Yu… hey! Du reitest dich da in etwas rei…“ Seine Stimme versagte, seine Pupille löste sich von Kanda… flüchtete sich zur Seite. Augenblicklich wandte sich auch Allen ab und das dünne Geäst verriet erneute Bewegungen… nahe bei ihnen, zu nahe! Das lange Haar streifte Kandas Gesicht, als dieser herumfuhr, seine Hand abermals zum Mugen schnellte… Doch ein plötzlicher heftiger Angriff durch einen Akuma blieb aus… Geschmeidig beugte sich ein junger Mann unter einem Ast hindurch, stets sorgsam darauf achtend, dass auch der Zylinder keinen Schaden nahm. Die mit dem teuren Stoff bedeckten Finger umfassten die Krempe und mit einem sicheren Schritt trat Tyki aus dem Wald hinaus. Die sauberen Schuhe setzten sich auf die Lichtung, trockenes Blattwerk knirschte unter ihren festen Sohlen und ein genüsslicher Atemzug entrann ihm, als er sich aufrichtete, sich in voller Größe präsentierte… und stockte. Lediglich das saubere Jackett… das Gesicht, bis zum jetzigen Zeitpunkt gesenkt, spielte keine Rolle für Kandas Augen. Starr erfassten seine Pupillen jenen Mann, stumm öffneten sich die Lippen einen Spalt weit und etwaige Festigkeit schien seinem Gesicht zu entweichen. Er hatte ihn gesucht… vielleicht nicht nach ihm, doch nach etwas, das sein Hier sein bestätigte. Sein Hoffen, sein Zwang… Nun war all das eingetroffen, wonach er sich verzerrt hatte, doch… Bebend weiteten sich die Augen, selbst die Farbe seiner Miene schien sich davongestohlen zu haben und unweigerlich offenbarte sein Körper den Hang zur Flucht. Ein fahriges Keuchen entrann ihm und unsicher wich er vor Tyki zurück, tat zwei strauchelnde Schritte und kam zum Stehen. Eine Erscheinung, die der Lage etwaige Sicherheit raubte und von einem Augenblick zum Nächsten standen sie in entrüsteter Stille voreinander. Tykis Mimik übertraf eine jede Verblüffung und reglos verharrten die Finger an der Krempe des Zylinders, während er um sich blickte, seine Pupillen sich über ein jedes Gesicht tasteten… und an dem Blassesten hängen blieben. Eine Betrachtung, die einen jeden feinen Zug seines Gesichtes formte und die schmalen Augenbrauen hoben sich. Geschmeidig setzten sich seine Finger in Bewegung, folgten der schmalen Krempe bedächtig, bis der Arm sinken gelassen wurde und er den starren Blick des Jüngeren mit einem Hauch von nachdenklicher Ernsthaftigkeit erwiderte. Dass er ihn hier traf…? Ein seltsames Geschick, dessen er hier Zeuge wurde. Er hatte gemeint, die zweite Begegnung würde die Letzte sein. Kandas Körper war in diesen Augenblicken nicht dazu in der Lage, eine sichere Haltung einzunehmen. So, wie er zurückgewichen war, stand er dort und schien zu keiner Regung imstande. Ziellos erhoben die eine, zur Faust geballt die andere Hand, stand er ihm gegenüber und das Leben schien erst in ihn zurückzukehren, als der unterdrückte Atem auf sich aufmerksam machte. Die eiskalte Lähmung splitterte von ihm, als er nach Luft rang, stumm die Lippen bewegte… und sein Fuß setzte sich zu einem weiteren Schritt zurück. Noch immer reglos verharrten die beiden Anderen. Keinen Augenblick lang hatte die Identität des jungen Mannes ein Geheimnis dargestellt und konzentriert kam der Atem über ihre Lippen, kontrolliert auch der Rest des Körpers… alarmiert, angespannt. Unnachgiebig studierten sie die Bewegungen Tykis, während sie ein Kribbeln durchfuhr, welches Unheil verkündete. Funkelnd driftete Lavis Pupille über die akkuraten Verzierungen der ebenmäßigen Stirn, versteinert verharrte seine Hand in der Nähe des Hammers, während Allen trocken schluckte, die Lippen aufeinander presste und ein Zucken seine junge Miene durchzog. Nur der laute Atem eines Exorzisten und zärtlich lebte das Rauschen der Blätter über ihnen auf, als eine Brise warmen Windes durch die hohen Kronen strich. >Noah…<, wie ein kalter Schauer durchfuhr Lavi die Einsicht, dass er sich in genau der Lage befand, vor der Komui gewarnt hatte. >Yu… das ist nicht gut! Wie soll ich ihn fernhalten?!< Gleich Statuen verharrten sie auf der Lichtung und beileibe entging es Lavi nicht, wie Kanda reagierte… wie er nach etwaiger Fassung rang… selbst damit, an diesem Punkt zu bleiben, einen weiteren Schritt zu unterdrücken. Eine Wendung, die verheerend war. Er lauschte seinem eigenen Atem, der leise in seiner Nase rauschte, vernahm ein fernes Geräusch, als ein Ast zu Boden ging. Und es war nur eine Bewegung… ein fließendes Umdrehen, welches die Atmosphäre abrupt zerreißen ließ. Alarmiert folgten Kandas Augen dem jungen Mann, als sich dieser abwandte, jegliches Interesse an ihm zu verlieren schien und es stattdessen auf die anderen beiden lenkte. Mit der alten Nachdenklichkeit drehte er das Gesicht, betrachtete sich Lavi, ließ den Blick zu Allen schweifen und… „Hoi…!“ Jäh schlug seine Mimik um. Etwaige Ernsthaftigkeit schien von ihr zu bröckeln und Tykis Augen weiteten sich in freudiger Verblüffung. Angespannt folgte Lavi seiner Beobachtung und Allen blinzelte perplex, als sich Tykis Hand hob, sich der Zeigefinger auf ihn richtete und es ehrliche Freude zu sein schien, die er empfand. „Diesmal keine freudige Begrüßung? Ich habe doch gesagt, dass wir uns wieder sehen.“ Ein zufriedenes Lächeln formte seine Lippen und Kanda schien der alten Erstarrung abermals verfallen zu sein. Als würden seine Augen nur noch dieses eine Ziel kennen, lösten sie sich nicht ein einziges Mal von Tyki. „Wa…“, unentschlossen ergriff Allen das Wort. Seine Miene verzog sich irritiert und hilfesuchend blickte er zu Lavi. „Woher willst du ihn kennen?“, erkundigte sich dieser mit einer Stimme, die Zeuge wurde, dass der Kampf um Festigkeit in einem Sieg geendet hatte. Eisern fixierte er sein Gegenüber und Allen schluckte erneut. Die Anwesenheit eines Noah erfüllte ihn mit Nervosität… Die Irritation des Jüngsten war Tyki nicht entgangen und entspannt näherte er sich den Beiden um einen weiteren Schritt, stemmte die Hände in die Hüften und schöpfte tiefen Atem, um sich einem innigen Seufzen hinzugeben. Es war eine leichte Enttäuschung, die er offenbarte, als er den Kopf schüttelte. „Du erkennst mich nicht, obwohl wir so schöne Gespräche geführt haben?“, stieß er ernüchtert aus und geschmeidig fuhr er sich über das Gesicht, drängte den Zylinder weiter in den Nacken und präsentierte ein hilfreiches Lächeln. „Na?“ >Was…?!< Lavi fand keine weiteren Worte. Perplex starrte er von einem zum anderen und nirgendwo lag die Antwort, nach der er sich sehnte. Bleich und reglos verfolgte Kanda die Situation, während Allen restlos überfordert schien. „Im Bergwerk!“, verkündete Tyki daraufhin jedoch die zweite Hilfestellung und stemmte die Hände in die Hüften, beugte sich erwartungsvoll nach vorn. Bestürzt sah Allen ihn an und auch in Tykis Rücken war eine stockende Bewegung auszumachen. „Die dubiose Lampe, weißt du nicht mehr? Ihr habt mich vor zwei Tagen besucht!“ „Wie bitte?!“ Allen offenbarte seine Verwirrung offen und Kanda gelang es in diesem Moment, die Augen von Tyki zu lösen. Stockend drifteten sie zur Seite, hastige Grübeleien schienen ihn zu beherrschen und Lavi biss die Zähne zusammen. Es beunruhigte ihn, was er hier zu hören bekam… was er nicht verstand, doch bevor er die Stimme erheben konnte, tat Allen einen Schritt nach vorn. Er sah es aus den Augenwinkeln, sah die fassungslose Miene. „Warte…“, hauchte er ungläubig. „Tyki?!“ „Aaah.“ Wenn auch spät, diese Einsicht schien diesen zufriedenzustellen. Nickend richtete er sich auf, beiläufig glitten seine Hände über das Jackett und richteten es. >Wie bitte…?< Dumpf pochte der Puls hinter Kandas Schläfen. Die Worte brachten ihm einen Teil der Beweglichkeit zurück und perplex blinzelte er, ließ den Blick an der schlanken Gestalt vorbei schweifen und ziellos durch das Dickicht. Nur widerwillig ließ sich sein Kopf zu Grübeleien antreiben und während Tyki sich einem bequemen Lachen hingab und abermals die Stimme erhob, verharrte er dort und rang um die Erinnerungen, die er bislang als wertlos eingestuft hatte. Und doch… Ja, er wusste es noch. In der Dunkelheit der Nacht hatten sie gestanden, während helle Lampen brannten, kleine Flammen in nächtlichen Brisen flackerten. … „Tyki!! Hey, komm mal her!“ Die Stimme des Arbeiters durchschnitt die Stille und ließ ihn erbeben. Er spürte es in einer jeden Faser seines Körpers, als geschähe es in diesen Augenblicken. „Schau mal, wen wir hier haben!“ Er rang nach Luft, stumm bewegten sich seine Lippen und wirres Haar kräuselte sich vor seinem geistigen Auge. Ein Stolpern, der Fuß hatte sich in dem Stoff des Zeltes verheddert und versteinert richteten sich die Pupillen auf die gepflegten Schuhe des Mannes. Doch sie… Nein, sie stolperten nicht. Sie bewegten sich elegant und schnell. >Ich glaube es nicht…< Ein Gedanke, verbunden mit kraftlosem Trotz. Er wollte es nicht wahr haben, lehnte sich dagegen auf, die Tatsache anzuerkennen, dass… … „Was schaut der so böse?“ Heimlichtuerisch neigte sich der ungepflegte Arbeiter zu Allen, die Bewegungen seiner Augen verbargen sich hinter dem dicken Glas der Brille. … die Demütigung keine Sache weniger Stunden war. Wieder… und wieder… Zitternd erhob sich sein Atem… bebend, während sich seine Hände zu Fäusten ballten, sein Gesicht in fassungsloser Ungläubigkeit vereiste. „Was tut ihr hier?“ Tykis Stimme drang kaum in sein Bewusstsein. Neugierig befasste er sich noch immer mit Lavi und Allen, legte verspielt den Kopf schief. „Wieder eine seltsame Lichtquelle?“ >Es ist alles in Ordnung!< Ja, das waren seine Gedanken gewesen… sein Sehnen und wenn es diesen Abgrund wirklich gab, dann würde er sich selbst hineinstoßen. Diese Einfältigkeit… dieses Unwissen! Weshalb hatte er es nicht gespürt?! >Das ist nur ein Arbeiter!<, schallte die eigene Stimme in seinem Kopf wider und ein bebender Atemzug stieß über seine Lippen. >Nur ein Arbeiter?!<, verhöhnte er sich selbst, erschauderte unter dem Beben, das seinen Leib erfasste. … „Du siehst ja aus, wie eine Frau!“ Fahrig schloss er die Augen, biss die Zähne zusammen und abermals streifte ihn Lavis Blick. Nicht oft löste der Älteste die Aufmerksamkeit vom gefährlichen Feind. „Tyki also.“ Allen atmete tief durch, rang nach Fassung und schien sie zu erlangen. Argwöhnisch betrachtete er sich sein Gegenüber, schien die Maskerade zu ertragen, der er zum Opfer gefallen war. „Warum stellst du solche Fragen? Du wirst es wohl selbst wissen.“ Diese Bemerkung… Nur ein dummer Spruch, abzukanzeln als grundloser Scherz… Und doch ein Schlag, der alle Hüllen durchschlug und sein Innerstes traf… bis in sein verborgenes Selbst, das er niemandem offenbarte… das Geheimnisse inne hatte. Dieses Geheimnis… das er offen angriff und ihn somit in die Falle gehen ließ. Wie musste er innerlich gelacht haben!! … „Du solltest lockerer werden!“ Er meinte, den Schmerz noch zu spüren. Seine Schulter… zielstrebig und gnadenlos hatte er zugeschlagen und sich dabei wohl bestens amüsiert…!! Mit einem Schlag öffnete er die Augen. Ein scharfes Funkeln durchstach seine dunklen Pupillen und zielsicher hob sich seine Hand zum Mugen. Entspannt streckte Tyki ihm den Rücken zu, gab sich einem leisen Seufzen hin, während die Finger das Schwertheft erreichten, es lautlos umgriffen. Wut… er bebte vor ihr und starr suchten die Augen nach dem Körper unter dem edlen Stoff. Die Haut, die er durchtrennen … den Leib, den er zerschneiden würde…! Zitternd fiel sein Atem und er eignete sich die mögliche Fassung an. „Ich bin doch nur auf ein Gespräch aus.“ Verständnislos gestikulierte Tyki mit den Händen, zeigte sich gekränkt und erschöpft. „Seid ihr jungen Leute denn gar nicht mehr für so etwas zu haben?“ Er seufzte, rollte mit den Schultern, machte es sich im Jackett bequem. „Man nimmt sich heutzutage viel zu wenig Zeit für die schönen Dinge.“ Langsam senkte Allen den Kopf. Ein jedes Wort, das den Frieden heuchelte, verstärkte seine Beunruhigung und auch Lavi war anzusehen, dass er mit heftigen Grübeleien rang. Oftmals schienen seine Pupillen nach Auswegen zu suchen und seine Haltung offenbarte eine gewisse Unsicherheit, während sein Gegenüber die Hände in die Hüften stemmte. Langsam schloss sich Kandas Hand um das Heft des Mugen, fest packte sie zu, während seine Mimik zuckte. … „Kopf hoch“, erhob sich die bekannte Stimme in seinem Kopf, hallte nach, als wolle sie sich ihm in das Gedächtnis brennen. Er verlor den Verstand, wenn sie ihn heimsuchte! Er ertrug ihren Klang nicht und… Ein Schmunzeln hatte die rauen Lippen umspielt. Er wusste es noch genau. „Wenn man sich durch alles runterziehen lässt, kommt man nicht weiter.“ Pure Verhöhnung!! Ein schneidiges Zischen erhob sich, durchbrach die Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte und fahrig setzte sich Kanda in Bewegung. Das Eisen der Klinge glänzte im matten Tageslicht und ein blendendes Leuchten lebte in ihr auf, als seine Finger auf sie trafen, ihrem Verlauf flink folgten, das Innocence aktivierten. Ein geräuschvolles Keuchen entrann Lavi. Heftig setzte er dazu an, sich selbst zu bewegen, hielt jedoch inne, als sich schallend Kandas zornerfüllter Schrei erhob und er Tyki erreichte. Geweitet folgten Allens Augen dem plötzlichen Angriff, doch sie schienen die einzigen zu sein, für die er unerwartet kam. Das Geäst knackte unter Kandas Stiefeln… und leise bäumte sich der Stoff des Jacketts auf, als Tyki sofort reagierte. Ein unerwartetes Aufeinandertreffen und ein kraftvoller Hieb verfehlte ihn nur knapp, als er zur Seite auswich, einen zielstrebigen Schritt tat und sich Freiraum verschaffte. Doch es gelang ihm kein einziger Atemzug und die Schnelligkeit seines plötzlichen Gegners brachte ihn in eine Bedrängnis, in der er der Klinge nicht lange fern bleiben konnte. „Lavi…!“ Ein gehetztes Keuchen drang an die Ohren des Älteren, doch dieser bewegte sich nicht, verfolgte den jähen Kampf mit perplexer Miene. Bevor Tyki sich versah, war Kanda ihm gefolgt, in kurzer Distanz bei ihm geblieben und heftig surrte die Klinge aus einer verborgenen Bewegung hervor, ließ sich nur kurz erfassen und stieß dennoch ins Nichts. Ein knapper Griff, der sich um Kandas Handgelenk legte, den Schlag fehl leitete und keuchend stolperte der junge Mann an ihm vorbei, blinzelte unter den Strähnen, die ihm in die Augen gerieten und fuhr sofort herum. Eine sture Entschlossenheit durchstach seine Augen bei einer jeden Regung, bleich und verbissen zeigte sich sein Gesicht und eine verkrampfte Wut nahm seinem Handeln das letzte Zögern. Seine Bewegung war fließend, sein Ziel deutlich und schnell erreicht und doch… Der Hand gelang es noch, den Halt des Zylinders zu sichern und heftig tauchte er unter dem Schlag hindurch, der seinem Hals gegolten hatte. Ungezähmt und wuterfüllt… sofort registrierte Kanda sein Ausweichen und die Klinge machte sich auf den Rückweg, wurde gewendet und… ein rascher Schritt. Gebeugt schob sich Tyki nach vorn, näherte sich Kanda schneller, als dessen Klinge ihm. Und ihm voraus ging die Hand, die sich heftig gegen die Brust des jungen Mannes schlug, ihn zurückstieß. Der Hieb wurde unterbrochen, Kandas Beinen das Gleichgewicht genommen und heftig schlug er gegen die Rinde eines nahen Baumes, während die gesenkte Klinge die trockene Erde des Bodens kratzte. Noch immer schallte sein Keuchen auf der Lichtung und bestürzt richtete sich Lavis Pupille von Kanda auf den Mann, der sich wieder aufrichtete, den Zylinder noch immer umschlossen hielt und diesen knapp richtete. Ein Seufzen entrann ihm daraufhin und Allen presste die Lippen aufeinander. Die Zurückhaltung, zu der man ihn zwang, schien ihn zu belasten und abermals suchten seine Augen hilfesuchend nach Lavi. „Du…!“, Kandas Keuchen brachte ein bebendes Wort mit sich und er löste sich von der Rinde, richtete sich stockend auf. Funkelnd durchstachen seine Augen das Haar und die Klinge wurde von der Erde gehoben. „Lass es.“ Tyki unterbrach ihn unerwartet und mit einer ebenso seltsamen Ruhe, in der er die Hand hob, Kanda eine rege Abweisung entgegenbrachte. Ebenso eine knappe, jedoch tiefgreifende Musterung, in der er den Kopf schüttelte. „Lass es einfach sein.“ „Du verfluchter…!“, eine heiße Woge der Wut schien Kanda mit sich zu reißen, ihn jedoch eher an den Baum zu binden, als an einen weiteren unüberlegten Angriff. Die Klinge des Mugen erbebte, die Finger versenkten sich in der trockenen Rinde und stockend löste er sich von ihr… da kehrte man ihm auch schon wieder den Rücken. Als wäre er nicht unterbrochen worden, wandte sich Tyki zu Lavi und Allen, sicherte kurz den Sitz seines Jacketts und schöpfte tiefen Atem. „Ich bemerke es schon.“ Seine Stimme zeugte nicht einmal annähernd von einer gewissen Anstrengung, als sie sich erhob und flüchtig musterte er die jungen Gesichter. „Euch steht nicht der Sinn danach, also denke ich, sollten wir diese Angelegenheit gleich überspringen.“ Augenblicklich setzte Allen den Fuß zurück, spreizte die Finger, ballte sie. Er war alarmiert und auch Lavis Hand näherte sich abermals dem Hammer… doch Tyki ließ lediglich den Kopf sinken, schüttelte diesen unter der leisen Enttäuschung und vertiefte sich in die Suche, in der er seine Manteltaschen betastete. „Ich dachte eigentlich, dass durch einen solchen Angriff noch mehr von euch aus ihren Schneckenhäusern kriechen und ich es mir damit erleichtern könnte, aber da ihr die ersten Exorzisten seid, denen ich jetzt begegne…“, murmelte er unterdessen, „… einen kleinen Moment, bitte.“ Weiterhin betastete er die Taschen seines Jacketts, bevor seine Hand in einer von ihnen verschwand und verwirrt folgten die Augen der Karte, die galant hervorgezogen und gehoben wurde. Der junge Mann in seinem Rücken schien seinem Interesse zu entfallen und zielstrebig richteten sich die hellen Augen Tykis von der Karte auf die beiden Exorzisten. Seine Augenbrauen hoben sich erwartungsvoll und er holte tief Luft. „Heißt zufällig einer von euch beiden Allen Walker?“ >Was…?< Lavis Miene erbebte, ungläubig glitt seine Hand am Hammer vorbei und stockend richtete er sich auf, das Auge starr nach vorn gerichtet und keinesfalls zur Seite. Auch Allen schien seinen Ohren keinen Glauben schenken zu wollen. Er blinzelte wie erstarrt, schluckte schwer und musterte die erwartungsvolle Miene des Mannes. Allein Kanda schien diese Frage nicht zu überraschen. Ein Wissen, das er schon länger besaß und als er einen lauernden Schritt zur Seite tat, Tyki unnachgiebig im Visier, lugte dieser flüchtig zu ihm. Die erneute Regung schien er zu überwachen, doch rasch wieder als unwichtig abzutun. Kanda griff nicht an und so beschäftigte er sich wieder mit den anderen Beiden. „Also?“, hakte er nach und ließ die Karte sinken. „Was willst du von ihm?“, stellte Lavi die sofortige Gegenfrage und Tyki rümpfte die Nase. „Das zeige ich euch, wenn ihr mir sagt, ob es einer von euch ist.“ >Er ist auf Allen angesetzt?!< Lavi wollte es nicht glauben… die Lage spitzte sich zu und nervös befeuchtete er die Lippen mit der Zunge. >Also hatte Komui recht… nur, dass es so schnell passieren würde, hätte ich nicht gedacht!< Handeln… sie mussten handeln, nun mehr denn je! Er wurde sich dieser drängenden Tatsache bewusst und langsam senkte sich seine Hand in die alte Richtung. >Er sucht mich…?< Allen wurde die Beengtheit ihrer jetzigen Lage bewusst. Wie schnell war der Feind von dreien der Feind von nur einem geworden. Er versuchte, seinen Atem zu kontrollieren, schürzte die Lippen und spürte, mit welch einer Aufmerksamkeit Tyki eine jede ihrer Regungen im Auge behielt. Zuviel Nervosität durfte er nicht zeigen, doch als er zu Lavi lugte, sah er eine nicht Mindere. >Das Wichtigste ist, dass wir hier heil rauskommen… dass Allen hier heil rauskommt! Sein Schutz hat höchste Priorität!< Leise kam ein gezügelter Atem über die Lippen des Älteren und ohne ein Zögern zu offenbaren, umschlossen seine Finger den Griff des Hammers. Augenblicklich lenkten sich alle Augen auf die Bewegung, registrierten seinen Willen und bevor sie sich versahen, trat Lavi auch schon vor. >Ich greife an!< Flink wendete er den Hammer in der Hand, fixierte Tyki angespannt, sah dessen völlige Ruhe… „Du wirst Allen nicht finden!“, stieß er aus und Kandas Finger verstärkten den Griff um das Heft, als der Hammer in die Höhe gerissen wurde, sich Lavi abstieß und Allens Hand in die Höhe fuhr. „Lav…!“ „Kleiner Hammer, großer…!“ „Bleib stehen!!“ Plötzlich und unerwartet wurde Allens Ruf bei weitem übertönt. Kandas Stimme war es, die sich schallend erhob und Lavi augenblicklich inne halten ließ. Er stemmte sich ab, schlitterte über den trockenen Boden und keuchte auf. Perplex ließ er den Hammer sinken, starrte zu dem jungen Mann, in dessen Miene sich eine offene Drohung verbarg. Funkelnd und bohrend erwiderte er den irritierten Blick Lavis und Tyki ließ unter einem leisen Seufzen den Kopf sinken, rieb sich die Stirn. Er hatte es befürchtet… „Yu…?“ „Du…“, unterbrach Kanda ihn erneut und mit leiser Stimme, taxierte ihn so scharf, als wäre er selbst ein Todfeind, „… rührst ihn nicht an!“ Allen begriff es nicht. Verständnislos und verwirrt verzog sich sein Gesicht und Tyki richtete sich zermartert auf. „Verzeihung.“ Zielstrebig wandte er sich an Lavi, zog Kandas funkelnden Blick auf sich. „Ist es denn so schwer, mir eine einfache Frage zu beantworten?“ „Nicht schwer.“ Lavi war es, der ihm antwortete. Mit einem Schritt schaffte er eine sichere Distanz zwischen sich und ihm, betrachtete ihn sich lauernd. „Unmöglich!“ „Heißt, er ist nicht unter euch?“ Mit einem seltsamen Anflug von Zuversicht legte Tyki den Kopf schief. „Das heißt es“, erhob sich Allens Stimme. Der Junge hatte sich gefasst, holte tief Luft und festigte seine Haltung. „Bist du nur hier, weil du ihn suchst?“ Aufmerksam verfolgte Lavi das Geschehen, während Kanda sich lediglich für einen interessierte, seinen Regungen verbissen folgte. Sein Körper verriet eine rege Ungeduld und unruhig regten sich seine Finger am Heft des Schwertes. Tyki unterdessen, schien nicht der geringsten Nervosität zu verfallen. Inmitten der Exorzisten verharrte er entspannt und befasste sich mit den Beiden, deren Namen ihm noch kein Begriff waren. „Jeder hat seine Pflichten“, wandte er sich ruhig an Allen und zuckte bedauernd mit den Schultern. „Ihr geht hier auch nur euren nach und ehrlich gesagt, habe ich keinerlei Lust auf unnütze Auseinandersetzungen.“ Ein finsteres Zucken durchfuhr Kandas Miene, während Lavi den Kopf senkte, die Worte angespannt überdachte. >Würde er uns wirklich gehen lassen…?< „Tja.“ Tyki hob die Hände, musterte Allen und Lavi erneut. „So wie es scheint, habe ich wohl kein Glück. Wenn er wirklich nicht unter euch ist, dann kämpfe ich auch nicht.“ „Das hast du nicht zu entscheiden!“, meldete sich Kanda abermals zu Wort. Verbittert trat er vor und seine Stimme war geschwängert von einem Hass, wie es sich nicht beschreiben ließ. Sie bebte, erhob sich nur leise und lenkte eine jede Aufmerksamkeit auf sich. Lavi, Allen… selbst Tyki drehte sich zu ihm, sah ihn erneut offen an, sah die Schultern, die sich unter dem heftigen Atem hoben und senkten. >Yu…< Lavi presste die Lippen zusammen, sein Atem stockte und versteckt richtete sich seine Pupille zurück auf Tyki. „Du…“, Kanda verschluckte sich am eignen Atem, langsam hob sich die Klinge, richtete sich herausfordernd auf den jungen Mann, „… du kommst nicht davon! Diesmal nicht!!“ Er schrie ihn an… aufgelöst und mit einer Entschlossenheit, die seinen Worten einen festen Hintergrund gab. Er offenbarte eine unumstößliche Bereitschaft und Tyki entrann ein hörbarer Atemzug. Kurz hatte er ihn sich betrachtet, ohne dass man auf seine Gedanken schließen konnte, doch nun umspielte ein bedauerndes Lächeln seine Mundwinkel und er hob die Hand. „Weshalb willst du es noch einmal versuchen?“ Seine Stimme erhob sich in dem gewohnten ruhigen Tonfall und Kanda schnappte nach Luft. „Erkennst du diese Situation nicht wieder?“ Entspannt hob Tyki den Kopf, nickte gen Himmel und stützte die Hand in die Hüfte. Ja, es war auf diesem Marktplatz gewesen… leer und still hatten die Häuser sie umgeben und dort war es auch passiert… Hastig blinzelte Kanda die Fetzen der Erinnerung fort, biss die Zähne zusammen. „Sei still…!“ Nur ein heiseres Fauchen kam über seine Lippen und Tykis Lächeln verlor an Kraft. Eine gewisse Ernsthaftigkeit befiel seine Züge und er besah sich Kanda eindringlich. >Was geht hier vor?!< Erschüttert verfolgte Allen das Geschehen. „Fordere mich nicht heraus“, murmelte Tyki unterdessen. „Du weißt, wie es endet… Kanda.“ „Du sollst still sein!!“ Sofort fuhr dieser in die Höhe und sein Gesicht zuckte unter der Qual des versteckten Kampfes. Keine Erinnerungen… keine weiteren Worte! Es war schlimm genug, ihn vor sich zu haben! Er schloss kurz die Augen, unterdrückte ein fahriges Ächzen und zuckte zusammen, als sich Lavi plötzlich in Bewegung setzte. Eine knappe Distanz war es, die er hinter sich zu bringen hatte und Tyki fuhr zu ihm herum. Das Gespräch mit Kanda hatte ihn in eine seltsame Ablenkung versetzt. Stärker, als es ihm zuzutrauen war und Lavi hatte diesen Moment genutzt. Er stieß sich ab, augenblicklich gewann sein Hammer an Größe und Tyki löste die Hand von der Hüfte, hob sie… und hielt doch inne. Zwei hastige Schritte, die den Staub aufwirbelten und Lavi, der sich abrupt in die entgegengesetzte Richtung stemmte. Ein lautes entsetztes Ächzen entrann ihm, als er zum Stehen kam… und auf die Klinge starrte, die sich ihm in den Weg neigte, seinem Hals gefährlich nahe war. An ausgestrecktem Arm hielt Kanda das Mugen, war im letzten Moment zu ihnen gelangt und verharrte in ihrer Mitte. Lautlos trat Tyki zurück, sein Körper verlor die Alarmiertheit und Lavi rang nach Atem, als er zurückwich… und die Klinge ihm argwöhnisch folgte. „Was soll das…?!“, verlangte er aufgelöst zu wissen und Kanda richtete sich nur langsam auf, als er in sicherer Entfernung war. Auch das Mugen senkte sich. „Kanda!!“ Eine Möglichkeit, die zunichte gemacht worden war…! Lavis Atem fiel schnell und aufgeregt und Allens Mund öffnete sich wortlos. „Ich sagte, du rührst ihn nicht an!“ Als würde sich Kandas gesamter Hass plötzlich auf Lavi richten, starrte er diesen an und der Hammer wurde sinken gelassen. „Ich habe dich gewarnt!“ >Diese Augen…< Lavi spürte einen eiskalten Schauer und ohne dass er es seinem Körper befahl, setzte sich dieser abermals in Bewegung. Er trat zurück… um einen weiteren Schritt und schluckte. >Ist es etwa wirklich so, wie ich denke…?< >Gut.< Den Beiden keine Beachtung schenkend, straffte Tyki den Sitz der Handschuhe und versteckt fixierte er Allen, der hilflos und sichtlich überfordert dort stand und all das verfolgte. >Meine Frage werden sie mir wohl nicht mehr beantworten aber wenn es so weitergeht, werde ich nie fündig. Ich denke, ich tue Gutes daran, mit diesem da anzufangen.< Langsam hoben sich seine Hände, geschmeidig ballte er sie zu Fäusten, spürte den festen Stoff auf seiner Haut und mit einer gemächlichen, durch Beiläufigkeit getarnten Bewegung, drehte er sich um. „Hältst du das wirklich für den passenden Augenblick…“, aufgebracht schnappte Lavi nach Luft, als er Kanda entgegentrat, sich verbittert um den Hammer klammerte, „… um Persönliches zu klären?!“ Ein leichtes Schaben erhob sich in Kandas Rücken, flink verschafften sich die schwarzen Stiefel den nötigen Halt und das Ziel fest vor Augen, ging Tyki in die Knie. Ein geräuschvoller Atem stieß durch Kandas Zähne, bebend verengte er die Augen… und plötzlich fuhr Lavi herum. Seine Lunge rang nach Atem, um einen Schrei auszustoßen, seine Beine bewegten sich in plötzlicher Hast und Tyki stieß sich ab. Der Hauch eines Grinsens umspielte seine Mundwinkel, als er sich wendig in Bewegung setzte, doch eine jähe Andere ließ ihn stolpern. Surrend durchschnitt die Klinge des Mugen die Luft, als Kanda herumwirbelte, die ungebrochene Aufmerksamkeit bewies und Tyki den Weg abschnitt. Ein fahriges Innehalten… sofort duckte sich Tyki unter dem kraftvollen Hieb, ungelenk zogen seine Schritte zur Seite und gleichsam erreichte ihn die Gestalt des jungen Mannes. Hektisch zuckten die hellen Pupillen zur Seite, knapp entging er auch dem zweiten Schlag und gerade fuhren seine Hände in die Höhe, als sich eine Schulter gegen seine Brust rammte, ihm etwaiges Gleichgewicht nahm und weiterhin zurückweichen ließ. Mit gehetztem Atem verfolgte Lavi den erneuten Ausbruch. Die Situation ließ sich nicht fassen… nicht greifen und verbissen kämpfte er um die Macht der Regung und damit, die Erschütterung aus seinem Leib zu verbannen. Mit zielsicheren und dennoch vorsichtigen Schritten trat er so zur Seite, den Kampf der Beiden nicht aus dem Auge lassend, fand er sich bei Allen ein, dessen Miene verwirrte Verständnislosigkeit entsprang. Er selbst hätte nicht rechtzeitig reagieren können und nur knapp entging Tykis Rücken dem harten Aufeinandertreffen mit der Rinde eines Baumes, an welchem er sich rasch vorbei schob. Flüchtig fand seine Hand Halt an der Rinde und heftig zog er sie zurück, bevor sich die Klinge des Mugen in ihr versenkte. Gelenk und zielsicher bahnte sich Kanda den Weg zur Verfolgung. Knackend wurde die Klinge aus der Rinde gerissen und hinter Tyki sprang er zwischen den Stämmen hindurch, setzte auf und stieß ihm erneut entgegen… traf auf keine Gegenwehr. Die Vorfreude hatte sich aus der Mimik des Älteren verloren, war der Einsicht gewichen, dass die Rage des Jüngeren eine gewisse Konzentration forderte. Schneidig ging die Klinge auf ihn nieder, geführt von in sich verzerrten Muskeln und der Kraft des jungen Körpers, ließ sie ihm keine Ruhe, ließ ihn zur Seite wanken, nach hinten treten und surrend fraß sich das Mugen durch einen Stamm, hinter welchen er sich schob. Rauschend begann sich Baumkrone zu regen, raschelnd verkeilten sich die Äste ineinander, als sie sich neigte und knackend kippte der Baum zwischen sie. Dumpf schlug er auf, die hellen Wolken des Staubes umwirbelten sie und gerade war Tyki darin verstrickt, die Augen mit der Hand zu schützen, als der schwarze Stiefel auf den Stamm niederging. Sogleich hielt er inne, blinzelnd öffnete er die Augen und ungestüm setzte eine Gestalt über den Stamm hinweg, um sich abermals auf ihn zu stürzen. Ein Zucken durchfuhr seine Miene und dumpf traf sein Fuß auf die Wurzel eines Baumes, als er stehen blieb, die Hände in die Höhe riss und… Nur Konturen ließen sich erkennen, der trockene Boden stiebte unter ihnen und Lavis Mund öffnete sich lautlos, als die Gestalten nahe beieinander in etwaiger Bewegung inne hielten. Stolpernd war der Rothaarige nach vorn getreten, gemeinsam hatten sie dem Baum ausweichen müssen und deutlich erspähte er die Kontrahenten, als sich der Staub legte. Keuchend neigte sich Kanda ihm entgegen, zitternd verhärtete sich sein Griff und die Klinge neigte sich stockend näher zum Hals des Älteren, der sein Handgelenk in festem Griff fixierte. Ineinander verkeilt waren sie zum Stillstand gekommen und mit ausdrucksloser Miene betrachtete sich Tyki das junge Gesicht, welches ihm so nahe war, dass er den heißen Atem auf den Wangen spürte. Konzentriert hielt er die Schwertführende Hand von sich fern, umklammerte mit der anderen den Ellbogen, der sich angespannt gegen ihn drängte und stemmte sich selbst gegen die Wurzel. Ein verhasste Kraft schlug ihm entgegen, versiegte nicht… nicht einmal in dieser Haltung, die jedem von ihnen etwaige Handlungsmöglichkeiten nahm. Ein dumpfes Zucken durchfuhr die Miene des Jüngeren, als er sich im festen Griff regte, fahrig schweiften die dunklen Pupillen zur zitternden Klinge und offensichtlich war der Wunsch, die würde sich durch den freien Hals fressen, den sie nach einem weiteren verbitterten Druck zu kratzen begann. Knirschend bissen seine Zähne zusammen, rasselnd rang er nach Luft und zielsicher fanden die Pupillen zu den Augen des Mannes zurück… die ihn musterten… die ihn still betrachteten und keinen Gedanke nach außen dringen ließen. Ein leichtes Blinzeln, schweigend behielt Tyki den Blickkontakt aufrecht… spürte die kalte Welle des Hasses, die in ihn eindrang, wie es eine kalte Klinge nicht könnte. Innerlich ließ sie ihn erbeben… ließ ihn frösteln und kontrolliert regte er die Finger um dem Handgelenk, welches sich ihm kraftvoll entgegensehnte. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, abermals blinzelte er und Kanda würgte ein trockenes Schlucken hinab, als sich die hellen Lippen des Mannes zu einem seltsamen Ausdruck verzogen. Ein Lächeln prägte sie… verloren von etwaiger Belustigung, versank es mehr noch in einem seltsamen Bedauern, das es milde wirken ließ. „Habe ich…“, ebenso leise kamen die Worte über die Lippen, erreichten Kandas Ohren lediglich flüsternd und ließen ihn dennoch in sich zusammenfahren, „… dir denn eine so schwere Wunde zugefügt, dass dir das eigene Leben nicht mehr wichtig ist…?“ „Lavi…?“ Zögernd näherte sich Allen dem Älteren um einen Schritt, hielt jedoch inne, als sich Kanda plötzlich in Bewegung setzte. Als würde ihn ein jähes Entsetzen erfassen, erwachte er zu altem Leben… und wurde freigelassen. Widerstandslos lösten sich die Hände von seinen Armen, heftig riss er sie von sich und ein lautes Ächzen drang bis zu den Beiden, die nun still verharrten. Die Distanz konnte nicht groß genug sein, sie zu erreichen, nicht schnell genug. Übereilt wich Kanda zurück, unsicher senkte sich die Klinge und fassungslos verfolgte er, wie Tyki die Hände sinken ließ… bis der Stamm ihm die weitere Flucht verbot und er abrupt zum Stehen kam. Der Ältere hatte sich kaum bewegt, still verharrte er an seinem Punkt, ziellos verharrten seine Hände gesenkt und die Nachdenklichkeit schien über ihn gestürzt zu sein, dass er sich nicht mehr dem Versuch hingab, sie zu verbergen. Erwartungsvoll blickte er auf, sah Kanda an und erkannte, wie die vergängliche Fassungslosigkeit der jungen Züge unter der alten aufbrausenden Wut erlosch. „Sei still…“, ein dumpfer Laut entrann ihm und lauernd senkte sich der Leib hinab. „Jedes weitere Wort zögert nur heraus, dass ich dich umbringe…!“ Seine Stimme schwoll an, abermals bissen seine Zähne zusammen und reglos lauschten Lavi und Allen den bebenden Worten. „Willst du dem entgehen?! Willst du das?!“ Schneidig blitzte die Klinge in der Bewegung, in welcher sie strikt gehoben und Tyki entgegengestreckt wurde, ohne dass dessen Augen ihrem Verlauf folgten. Eine seltsame Ruhe, die über den Älteren gekommen war und in welcher er sich die Zeit nahm, einem jeden Wort zu lauschen. „Dieses Lamentieren ist nicht nötig! Tu dir keinen Zwang an und stell dich mir endlich!! Ich…“, ohnmächtig vor Wut presste Kanda die Lippen aufeinander, verkrampft verfestigte sich der Griff um das Heft, „… Tyki…! Hier und jetzt… werde ich dich töten.“ Regungslos erwiderte Tyki die scharfe Taxierung, verblichen war das matte Lächeln und für ihn ebenso die Anwesenheit der anderen Beiden. Er stand ihm gegenüber, abermals nahm er einen tiefen Atemzug in sich auf und versank in einem leichten Kopfschütteln, unter welchem er die Augen flüchtig gen Boden sinken ließ, sich diesen ratlos betrachtete. „Ich möchte dich nicht töten“, erwiderte er daraufhin, ließ das Kopfschütteln versiegen und blickte auf. „Du bist der Letzte, den ich töten würde.“ „Und ich wünschte, du hättest es getan!!“ Beinahe unterbrach Kanda ihn, schallend erhob sich seine Stimme in der Stille des Waldes und surrend wurde das Schwert sinken gelassen. „Diese falsche, widerliche Mildtätigkeit…!“ Fahrig fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund, näherte sich Tyki um einen unsicheren Schritt. „Mir wäre so einiges erspart geblieben, also rede jetzt nicht so, als würdest du Reue kennen!!“ Ein dumpfer Druck… Lavi spürte ihn in seinem Hals und trocken schluckte er dagegen an, während sich seine Hand um den Hammer klammerte und sein Körper sich nicht mehr zu einer Regung hinreißen ließ. Deutlich vernahm er jedes Wort… deutlich erkannte er die Mimiken… und nicht minder klar war sein Begreifen… und die sichere Erkenntnis. Nur ein knappes Blinzeln gelang ihm, als sein Auge zu brennen begann und Allens Lippen bewegten sich stumm. Ebenso perplex starrte er um sich und zurück zu Tyki, als dieser die Hände hob, Unverständnis zeigte und mit den Schultern zuckte. „Nun lass uns mal nicht übertreiben“, vernahmen sie seine Stimme, die annähernd Belustigung erahnen ließ. „Im Gegensatz zu einiger deiner Kollegen bist du doch gut weggekommen.“ Kopfschüttelnd stemmte er die Hände in die Hüften. „Und was die kleinen Unannehmlichkeiten angeht… an denen trägst du selbst die Sch…“ „Warum“, erhob sich ein leises Raunen und dennoch verstummte Tyki sofort. Kanda hatte nicht ein einziges Mal die Augen von ihm gelöst und zitternd kratzte die Spitze der Klinge die Erde. „Mm?“ Tyki hob die Augenbrauen und sein Gegenüber schnappte nach Luft. „Warum war es bei mir so anders.“ Die Stimme senkte sich zu einem dumpfen Flüstern und Tyki presste die Lippen aufeinander. „Warum bin ich nicht tot.“ „Tja.“ Seufzend löste Tyki eine Hand von den Hüften, gestikulierte knapp mit ihr. Die Antwort lieferte er nicht sofort und einen jeden Augenblick, den er Kanda warten ließ, brodelte es in diesem höher. Die Frage, die er sich oft stellte… die Frage, die ihn zermarterte, quälte… Mit der er seitdem jeden Tag lebte und sich verbittert nach der Antwort verzehrte. Und er forderte sie. Er würde hier ausharren, er würde sich beherrschen und die Klinge gesenkt halten, bis er es erfuhr. Bis er die Gründe kannte, ohne die ein jeder Sieg nicht einmal den geringsten Hauch einer Genugtuung mit sich brächte. Er spürte den eigenen Puls stärker, denn je. Fühlte das Rasen seines Herzens und dessen Schläge in einer jeden Faser seines Körpers. „Du gefielst mir“, drang die Stimme des Älteren schneidig in sein Bewusstsein, entriss seinem Körper etwaige Fassung, ließ die Verbitterung aus seinem Gesicht bröckeln und ihn reglos verharren. Erneut gab sich Tyki einem Seufzen hin. „Und selbst danach… ich hätte es nicht übers Herz gebracht.“ Ein knappes stummes Kopfschütteln, unter dem er die Hand in die Hüfte zurückstemmte. „Für dich ist es noch nicht an der Zeit.“ Das war es…? Lautlos strich der Atem über die leicht geöffneten Lippen des jungen Mannes. Mit erstarrter Miene verharrte er an Ort und Stelle und nichts ließ erahnen, wie es sich in seinem Inneren regte. Eisern blieb die Hülle, steif und unbiegsam alles an ihm… und Tyki schwieg. Erschrocken fuhr Allen unterdessen zusammen. Eine Hand hatte sich jäh um seinen Arm gelegt und Lavi schien sich selbst aus der Erstarrung gelöst zu haben, als er zu ihm trat, ihn gar angespannt zu sich zog und aus den Augenwinkeln stets zu den reglosen Gestalten spähte. „Du gehst…!“ Annähernd lautlos zischte er es ihm zu und das Gesicht des Jüngeren verzog sich verwirrt. Er setzte an, etwas zu entgegnen, da verfestigte sich der Griff um seinem Arm schmerzhaft und Lavi wirkte nicht, als würde er sich auf Diskussionen einlassen. Starr blickte er noch immer zur Seite. „Ich weiß nicht, wie es hier weitergeht…!“, fuhr er angespannt fort, neigte sich näher zu Allens Ohr. „Hol Verstärkung… hol alle, die du findest und komm nicht ohne jemanden zurück…!“ Wenigstens eine Sicherheit… Lavi brauchte zumindest eine Sache, von der er die Ängste zu lösen vermochte. Das Wissen, Allen zu schützen, fortzuschicken und darauf zu hoffen, dass er es begriff und Prioritäten setzte. Die seltsame Abgeschiedenheit der beiden anderen, drängte die Situation in eine fremde, nahezu unwirkliche Richtung. Nicht umsonst unterwarf sich der Noah einer solchen Ablenkung und nicht selten würde er mit einer solchen Unaufmerksamkeit dort stehen…! Unentschlossen regte sich Allen im festen Griff. Die Teamkameraden zurückzulassen… fortzugehen aus einem nur zu offensichtlichen Grund! Vor einem Feind zu flüchten, der allein durch ihn an diesen Ort gekommen war…! Nichts von alledem entsprach seinen Prinzipien, nichts davon seiner Art und verbittert presste er die Lippen aufeinander, als Lavis Hand sich von ihm löste und ihm keine Zeit gegeben wurde. „Geh…!“ Ein deutlicher Blick. Nur kurz sah er Lavi an, nahm auch eine strikte Geste wahr und abermals blickte er zu Kanda und Tyki, die sich reglos gegenüberstanden. Er wollte es nicht… vielmehr Zweifel, als wenn er hier stand, hätte er, wenn er diesen Kampf nicht mehr beeinflussen könnte! Doch die Zeit drängte und ehe er sich versah, starrte Lavi erneut zu ihm. Doch wo war die Grenze zwischen der Unterstützung und der Behinderung anderer? Langsam wandte sich der Junge ab, unwillig ballte er die Hände zu Fäusten und aufmerksam verfolgte Lavi, wie er lautlos zurück trat. Über das Geäst… er bahnte sich seinen Weg, zog sich zurück und der Rothaarige hielt den Atem an, umfasste den Hammer sicherer, wurde sich seiner wieder bewusst. Ein rasches Eingreifen wäre von Nöten, wenn Tyki nun zum alten Ziel zurückkehrte und diesem Rückzug die klare Antwort entnahm. Ein Eingreifen, auf das er sich vorbereitete, doch selbst, als hinter ihm ein Ast knirschte und Allen sich in das Dickicht schob, schenkte Tyki dem kaum Beachtung. Er registrierte es… selbstverständlich, doch nur flüchtig lösten sich seine Augen von dem jungen Mann und richteten sich auf die Gestalt, die sich nun umwandte, die Schritte verschnellerte und kurz darauf zwischen den Stämmen verschwunden war. Allen Walker… da mochte er wohl gehen, doch Tyki prägte seinen Aufenthalt nun von einem anderen Grund und als sich Kanda zu bewegen begann, war es für die Flucht bereits zu spät. Seine Mimik zeigte keinen Hauch von Verwunderung, keine Verblüffung… er hatte mit nichts anderem gerechnet, als dieser Reaktion. Soeben noch zusammengesunken und starr, richtete sich Kanda auf. Seine Schultern, gerade noch gesenkt und scheinbar kraftlos, regten und spannten sich unter alter Kontrolle und die verirrten Strähnen wurden annähernd beiläufig zurückgestreift. Strikt war seine Absicht… die Worte Tykis hatten sich in ihm verloren, waren unterdrückt worden, bevor sie ihn in eine unkontrollierte Lage versetzten. Es war gesagt und funkelnd sehnten sich seine Augen nichts anderes herbei, als die Leiche jenes Mannes, der sich dem Urteil ergab. „Mach dich bereit“, forderte er ihn leise und doch erbarmungslos auf. ~*to be continued*~ Kapitel 9: ~8~ -------------- Zielstrebig bekam die Hand den Zylinder zu fassen und hob ihn vom Haar, um ihn nachlässig zur Seite zu werfen. Die Augen nicht voneinander lösend, trafen sie letzte Vorbereitungen und Lavi trat zur Seite, entfernte sich etwas vom Dickicht und verfolgte das energische rigorose Handeln. Nun begann es also… seine Unruhe hatte sich nicht gelegt und er fuhr sich über die Stirn, versuchte seinen Atem zu kontrollieren und vertrat sich zögerlich die Beine. Er stand hier und kein weiterer Blick… kein weiteres Wort war von Nöten, damit er sich sicher sein konnte, dass er nicht nur einen Kontrahenten hätte, würde er sich einmischen. Kanda würde ihn angreifen. Er würde es tun… Das Halstuch gelockert, die Handschuhe gefestigt, offenbarte Tyki seine Bereitschaft. Kein Kampf, den er auf Befehl ausfocht. Keine Angelegenheit, die er empfindungslos abtat. Zu diesem Zeitpunkt und zu diesem Treffen hatten sie gemeinsam geführt und Kanda war anzusehen, dass er für sich selbst kein Zurück sah. Dass er, sowie seine Möglichkeiten auch standen, nicht umkehren konnte. Eine Gänsehaut, die seinen Körper überzog, sowie das Zittern seiner Hände, machte auf den Kampf aufmerksam, der bereits in seinem Inneren wütete… auf die Härte, mit welcher er einen fieberhaften Aufschrei unterband und den unbändigen Trieb, sich auf ihn zu stürzen, hinauszögerte. Die Verachtung nicht in Worte zu fassen, sich nicht mitreißen zu lassen von dem Triumph, hier vor diesem Mann zu stehen und jetzt in diesem Augenblick, nach dem er vernarrt gierte. In jedem Moment, in dem ihn die schmerzhafte Erinnerung überkam… In jedem Moment, in dem er die Male an sich spürte… die Folgen schwer auf seinen Schultern lasteten. In jedem verfluchten Moment, in dem er an sich zu zweifeln begann und an allem, was existierte!! „Du lässt mir keine andere Wahl.“ Surrend durchschnitt das Mugen die Luft, als er es von sich streckte, in die Knie ging und zischend leuchtete das Innocence auf, erfüllte den Schatten der Bäume mit grellem Licht. Diesmal nicht… Diesmal war er vorbereitet… und imstande, den Gegner einzuschätzen! Das Zucken der Ungeduld durchfuhr seine Glieder, während sich sein Atem beruhigte, seine Augen funkelnd eine jede Bewegung des Gegners überwachten… wie er die Hand hob, die Finger krümmte… und sein dunkles Gesicht durch den Schein des dort entstehenden Gi’s in eine seltsame Wärme gehüllt wurde. Nur ein Geräusch… ein Stiefel regte sich auf dem Boden und gleichzeitig stießen sie sich ab. Zischend durchstreiften ihre Schatten die Mauer der Stämme und blendend breitete sich die zischende Energie aus, bevor sie aufeinandertrafen. Das Zischen der Klinge durchstach die trügerische Stille, dumpf ächzte die Luft unter der Wucht ihres Aufeinandertreffens und Lavi riss den Arm vor das Gesicht, rang nach Atem, als die warme Druckwelle ihn erreichte, ihn um einen Schritt zurückdrängte. Raschelnd umstiebte ihn das Laub des Bodens und flink schlug sich Tykis Hand um einen dünnen Stamm, an welchem er sich vorbeizog. Ein flinker Satz zur Seite und knapp verfehlte ihn ein Ast, der dem Mugen in die Quere kam, bevor dieses abermals auf ihn niederging. Keinen Augenblick überließ Kanda ihn sich selbst und zischend gierte die Klinge nach Lücken der Verteidigung, traf dumpf auf den seltsamen Schutzschild und stieß sofort erneut zu. Wendig und berechnend bewegte sich Kanda um ihn herum, sicher und kontrolliert war seine Beinarbeit, in der er einer jeden Wurzel entging, über sie hinweg stieg und den Stämmen auswich. Die weite Umwelt verblasste zu leblosen Farben, als er gegen Tyki preschte, kraftvoll die Klinge im gleißenden Schein der Energie verkeilte und sich gegen ihn drängte. Ein kurzes Stolpern des Älteren bewies eine fehlerhafte Einschätzung und verbissen reckte sich Tyki in die Höhe, war der Kraft des Jüngeren eine Begegnung und stieß ihn von sich. Eine hitzige Raserei richtete sich hier gegen ihn, drängte ihn tiefer und zwischen einengende Stämme… eine fanatische Fixierung, die Kanda immer wieder und brennend zu ihm zurückführte. Ein weiterer Baum neigte sich, als die Klinge den Stamm durchschlug, krachend brach das Holz und flink schlängelte sich Kanda durch die wenigen Hindernisse. Eine jede seiner Bewegungen knisterte vor Konzentration, keinen Schritt tat er unüberlegt und wendig tauchte er unter der Hand hindurch, die ihm entgegen stieß. Noch in derselben Bewegung wirbelte er herum, zielsicher griff die Hand um, wendete das Mugen in die Rückhand und heftig fuhr Tyki zur Seite, auf dass die Klinge ihn nur knapp verfehlte. Seine Augen erfassten gleichsam den ungeschützten Rücken des Jüngeren… nur für einen Augenblick, als die Klinge schon seiner Bewegung folgte und in der unerwarteten Schnelligkeit erschütternd war. Nahe bewegten sie sich aneinander und Tyki spürte die Notwendigkeit einer Geschwindigkeit, auf die er sich nicht vorbereitet hatte. Eine solche Beweglichkeit… und die berechnende Führung der Waffe war kein Teil seiner Erinnerung und ein überraschtes Ächzen stieß durch seine Zähne, als er die Hand gegen den heranschnellenden Arm schlug, der Klinge Einhalt gebot und gleichzeitig zum Gegenschlag ansetzte. Nicht lange wurde ihm die Kehrseite geboten. Längst drehte sich Kanda weiter, drohte sich rasch aus der Beklemmung hinauszuwenden und eine erneute Gefahr darzustellen. Die Klinge war kurz davor, die alte Freiheit zu genießen. Das Handgelenk des Älteren knackte unter der Belastung und knapp peitschte das lange Haar an seinem Gesicht vorbei, bevor er den Griff erbittert verhärtete, den jungen Mann zu sich und aus dem Gleichgewicht zerrte und die Energiegeladene Hand gegen ihn rammte. Sogleich wurde Kanda zurückgeschmettert, ein lautes Ächzen erhob sich, vermischte sich mit dem Zischen Tykis, als die schimmernde Klinge seine Seite kratzte, ihn selbst ins Straucheln geraten ließ. Getroffen stoben sich auseinander und nur knapp gelang es Kanda, die Wucht des Zurückschmetterns auf die Füße zu verlagern. Das Schwert fest umgriffen, setzten seine Stiefel auf dem Stamm eines massiven Baumes auf, unter Schmerzen sackte er flüchtig in sich zusammen, doch die Kräfte ließen ihn nicht im Stich. Tief ging er in die Knie, stemmte sich ab, stieß sich vom Stamm und weit nach oben, wo seine Stiefel flüchtigen Halt an der Rinde eines Anderen fanden. Doch krachend wurde dieser Baum nahe der Wurzel auseinandergerissen, als Tykis Hand sich durch das Holz fraß, den Stamm sofort zu Sturz brachte und Kanda den Halt raubte. Es blieb keine Zeit, erneut stieß er sich ab, stemmte sich nach unten und unter einem lauten Aufschrei riss er das Schwert in die Höhe und ging pfeilschnell auf Tyki hinab. Donnernd stieß der hinab stürzende Stamm gegen die Mauer der anderen Bäume, knackend riss er Andere mit sich und keuchend sprang Lavi aus der Gefahrenzone, als die Baumkronen auf die Lichtung niedergingen. Die Wucht fuhr Kanda durch Mark und Bein, als der Hieb auf unzerstörbaren Widerstand niederging, sich in den gekreuzten Armen Tykis verkeilte und diesen dennoch selbst etwas in die Knie zwang. Raschelnd erhob sich das Blattwerk, als sie aufeinandertrafen, als Kanda Fuß fasste und die Klinge sofort aus der Klemme riss, herumfuhr und nach Tyki stieß. Klirrend wurde sie abgeblockt und beide fuhren herum, als sich der Schatten eines Stammes über sich neigte. Sie wichen aus, sie sprangen auseinander und krachend schlug er zwischen ihnen auf. Flammend tauchte sich auch der zweite Arm des Älteren in knisternde Energie und heftig schlug er das Holz von sich, welches Kanda ihn mit einem Hieb entgegenschmetterte. Gleichzeitig setzte er über den Stamm hinab, sprang auf Tyki nieder und drang ein in den dunklen Schatten, der dessen Körper von einer Sekunde auf die nächste umfing. Düster und surrend stoben die Tease hervor, erstarben zischend unter dem gleißenden Innocence des Mugen und waren doch unzählige in ihrer Zahl. Finster umschlossen sie Kanda, während der Hieb ins Leere ging und sich Tyki auf seinem Sichtfeld stahl. Kalt und flatternd schlossen sie ihn in ihrer Masse ein und er zeigte kein Zögern, stürmte nach vorn und befreite sich flüchtig von ihrem undurchsichtigen Drängen. Nur flüchtig erfassten die dunklen Augen die Gestalt des Mannes, als er ins Freie sprang, über eine Wurzel hinwegsetzte und der violette Schatten ihm zischend folgte. Er sprintete geradeaus, steuerte auf den mächtigen Stamm eines Baumes zu und aus allen Richtungen schien das dumpfe Knacken des Holzes zu ihm zu dringen, als Tyki durch die Reihen der Stämme wirbelte, einen nach dem anderen durchschlug und in heillosem Durcheinander zu Fall brachte. Von allen Seiten schienen sie nun herabzustürzen und keuchend hielt Tyki inne, folgte mit den Augen der Gestalt des jungen Mannes, die auf den breiten Stamm traf, durch die Geschwindigkeit an diesem hinaufsetzte und sich weiteren Vorsprung verschaffte. Kitzelnd fiel eine Strähne in die Stirn des Mannes und unerwartet wurde er geblendet durch das grelle Licht, welches die Gegend zum Erbeben brachte. Wild umflatterte der Mantel Kandas Beine, als er sich abstieß, als die Helligkeit des Mugen ihn umfing und sich die Hölleninsekten ins Freie windeten. Schemenhaft stießen sie hinab, bohrten sich in die Masse der Tease und in einer dröhnenden Explosion löste sich der Schatten der schwarzen Falter. Still öffnete sich Tykis Mund, als ihm die Zeit des kurzen Innehaltens gegeben wurde. Eine negative Überraschung und seine Zähne bissen aufeinander, als er sich abstieß, einem herabstürzenden Stamm entwich und sich sprintend auf Kanda zu bewegte. Kurz begraben im Chaos der gerodeten Bäume, schoss dieser durch die erstickende Dichte einer Staubwolke, stieß sich in die Höhe und an einem Baum nach dem anderen bis weit hinauf in die Baumkronen. Krachend schlug eine solche auf die Lichtung nieder und Lavi geriet selbst in dieser Lage in eine Gefahr, die nicht zu unterschätzen war. Das dumpfe Dröhnen des Kampfes drang permanent an seine Ohren, als er den Hammer in die Höhe riss, ihn wachsen ließ und den nächsten herabstürzenden Stamm von sich schlug. Pfeilschnell stieß sich auch Tyki nach oben, auf jedem Ast fanden seine Stiefel Halt und ungebremst folgte er der Gestalt, die zischend die Baumkronen erreichte. Ein Ast neigte sich unter dem festen Griff, als Kanda sich selbst stoppte, sich herum schwang und hinabstürzte, ungestüm Tyki entgegen. Laut bäumte sich der Mantel unter dem schneidigen Gegendwind auf, als er dem Erdboden entgegenpreschte, das Heft mit beiden Händen umfasste und das Mugen in die Höhe riss. Er stürzte Tyki entgegen und zischend breitete sich dessen Energie aus, als dieser weit ausholte. Mit einem Satz stand Lavi auf einem darniederliegenden Stamm, rastlos schwang er den Hammer, während er um sich starrte. Er wusste nicht, wie der Kampf verlief. Verborgen im Wald und umgeben vom dichten Staub des aufgewirbelten Bodens und Gesteins, blieb ein jedes Treiben seinen Augen vorbehalten und fahrig blickte er hinab, als der Boden zu seinen Füßen erbebte. Krachend versenkte sich Tykis Rücken im trockenen Gestein, als Kanda ihn niederschmetterte, selbst mit den Beinen einsank und mitgerissen vom Brennen seiner Knie, die Klinge in die Höhe riss. Ächzend räkelte sich Tyki zwischen seinen Füßen, doch rechtzeitig richteten sich seine Augen auf die herab gehende Klinge und mit hektischer Gezwungenheit fuhr er in die Höhe, begegnete beinahe dem kalten Stahl und riss den Vorteil seiner Lage an sich, indem er Kandas Leib erreichte und diesen von sich schmetterte. Nur für eine Sekunde hatte sich der Bauch ihm schutzlos ausgeliefert und krachend schlug Kanda gegen den nächsten Stamm. Er rammte sich gegen seinen Rücken, knackend ächzten seine Knochen unter der Wucht und beinahe entglitt das Mugen der Hand des jungen Mannes, als er an der Rinde lehnen blieb, röchelnd vornüber sank und das Blut in ihm höher stieg, wie giftige Galle. Ein Beben durchfuhr ihn, schmerzvoll verzog sich sein Gesicht und heftig würgte er das Blut hervor, spuckte es aus und ließ es von den Lippen tropfen. Nicht weit war jedoch auch Tyki liegen geblieben. Eine flüchtige Pein, die sie beide einholte, bevor sie sich wieder einander zuwandten. Strauchelnd löste sich Kanda von dem Stamm, kämpfte um Gleichgewicht und schüttelte den Kopf unter einem kurz auflebenden Schwindel. Ihm gegenüber richtete sich auch Tyki auf. Die Ellbogen wurden von einem Zittern heimgesucht, als er sich mit ihnen in die Höhe stemmte und wirr bedeckten die Locken seine Stirn, als er sich auf die Beine kämpfte, durchaus unsicher zum Stehen kam und durch ein tiefes Luftholen die alte Kontrolle für sich beanspruchte. Angespannt und düster fanden seine Augen den Gegner, surrend löste sich seine rechte Hand von der grellen Energie und nachlässig fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund. Und es blieb keine Zeit. Ihm gegenüber wurde bereits das Mugen gehoben und die Benommenheit schien kaum Spuren hinterlassen zu haben, als sich Kanda in Bewegung setzte, ihn mit wenigen Schritten erreichte und mit nicht minderer Wucht nach ihm schlug, als zu Beginn des Kampfes. Heftig und schnell bewegten sie sich inmitten der Stämme, lösten sich kaum voneinander, um sich zu belauern, nahmen dem anderen etwaige Möglichkeit, Kräfte oder gar Atem zu tanken. Längst war schon war die Zwanglosigkeit von Tyki gefallen. Die Vermutung, einen erschwinglichen und kurzen Kampf vor sich haben, war der Realität gewichen, in welcher sein Überleben von fehlerloser Achtsamkeit abhängig war. Eine Rolle, in die er nur selten gedrängt wurde und nun umso unerwarteter. Nicht denselben schien er vor sich zu haben… und wie ernüchternd war die Einsicht, als ungerechter Sieger aus dem ersten Kampf hervorgegangen zu sein und dies auch nur durch die Kunst des Truges, der allein Unbekannte zum Opfer fielen. Sein Atem fiel schnell, sein Körper wurde in einer Form beansprucht, zu der man ihn lange nicht mehr gezwungen hatte und er gestand sich eine Bedrängnis ein, in welche ihn die schneidige Klinge sowie die dicht beieinanderstehenden Bäume brachten. Der Schnelligkeit des Stahles ließ sich schwerlich folgen, öfter denn je trat und wich er zurück, nötiger denn je hatte er größtmögliche Distanzen und die Zeit, nach Atem zu ringen. Dieser Gegner war ernstzunehmend… Doch die Lüge lag ihm nicht in Situationen, wie diese eine war. Von dem Augenblick an, als sie sich trafen, bis zu diesem hatte ihm nicht viel daran gelegen, diesen Kampf bis auf den Tod zu führen… Kanda zielgerichtet nach dem Leben zu trachten. Gedanken, die er führte, als ihm die Klinge noch fern war… und die sich nun in eine andere Richtung lenkten. Eine Einsicht, die für weitere Belastung sorgte. Doch diese Klinge kam ihm näher, als ihm angenehm war… und öfter, als er sich je vorzustellen wagte. Ein tiefer Fall, der von Gnade direkt zu dem Punkt führte, an welchem er das eigene Leben abzuwägen hatte… und dieses als weitaus gewichtiger empfand, als das den Kontrahenten. Der einzige Grund… auf Kandas Tod aus zu sein, war, sich vor dem eigenen zu schützen und verbittert verfinsterte sich seine Miene, er setzte sich in Bewegung und tat es Kanda somit gleich. Eine Sicherheit, ein festes, wenn auch seltsames Vorhaben, drängte sich ihm in den Rücken, ließ ihn sprinten und Kanda den Weg verkürzen. Abermals trafen sie so aufeinander, schneidig rammte sich die Klinge auf den Arm nieder, klirrte gegen das Gi, schlitterte an ihm vorbei und flüchtig erfassten Tykis Augen die Miene des jungen Mannes, der ihm nachstürzte, der schlug, stieß, herumfuhr und ihn beinahe einen Baum im Rücken spüren ließ. Kurz verwehrte dieser Tyki die freie Sicht, als er sich an ihm vorbei schob und sogleich wurde auch dieser Stamm zerschnitten, war dem weiteren Angriff im Weg, der sofort erfolgte. Ein weiterer Schritt… das eigene Zurückweichen ließ er in einem Moment zu, in welchem eine neue Einsicht ihn ergriff… ihn erfasste und zu Zurückhaltung zwang. Diese Hast… dieser ungebrochene übernatürliche Zwang, der den Jüngeren immer und immer wieder dazu bewegte, anzugreifen, nach vorne zu stürmen, zu drängen und nach Vergeltung zu gieren… Wie weit konnten sich seine Lust und seine flüchtige Laune zu einem quälerischen Alptraum verdunkeln, wenn man sie sich aus der Sicht des Unterliegenden betrachtete, der wehrlos ertrug? Es war wahre Abscheu, die sich gegen ihn richtete… ein Hass, der nicht nur aus Kränkung bestand, nicht nur aus dem körperlichen Leiden… Ein vergänglicher Augenblick seines Lebens, in welchem er sich zu Spontanität treiben ließ und der spätestens nach dem Mittagessen an der Seite des Grafen und mit gefüllten Magen als leise, jedoch süße Erinnerung zurückblieb… Was war es für den Mann, der sich dieses Treffen zunutze machte, als wäre es ihm gleichgültig, ob es einen Morgen gab? Antworten, die er nicht erhielt und in einer raschen Bewegung spreizte er die Finger der freien Hand, wendete sich zur Seite und spürte den Luftzug der Klinge, die sein Gesicht knapp verfehlte. >Es tut mir leid.< Er sah den Jüngeren straucheln. Der Körper, der viel erlitten hatte, schickte einen Vorboten der Erschöpfung und mit alter Schnelligkeit drängte er sich nach vorn, ging in eine unerwartete Offensive und vorbei an der Kehrseite des jungen Mannes, die sich seinem Angriff sofort entzog. Kanda fuhr herum, das Haar peitschte in sein Gesicht und ein eiskalter Schauer, der ihm durch Mark und Bein fuhr, brachte seine Bewegungen abermals ins Stocken. Nahe drängte sich Tyki gegen ihn, knackend bohrte sich seine Hand tiefer in seinen Bauch und glühend umgab ihn die Hitze des Körpers, als er die Finger in ihm regte, die Rippen streifte und deutlich das Zucken spürte, welches den Leib durchfuhr. Der kalte Schrecken musste es sein, kitzelnd streifte eine Locke seine Wange und beruhigt schöpfte er Atem, als sich ihm das Ende offenbarte und er es für den Anderen auserwählte. Für ihn selbst war es auch noch nicht an der Zeit und stockend wich Kanda um einen Schritt zurück, ließ Tyki beharrlich folgen… unsicher regten sich die Finger an dem Heft des Mugen, die Augen senkten sich hinab und röchelnd gierte die Lunge nach Sauerstoff, labte sich an ihr und stieß sie aus. Ein leiser erstickter Schrei durchschnitt die zurückgekehrte Stille des Waldes, verbittert wurde dem jungen Körper eine Bewegung abverlangt und Tyki entrann ein überraschtes Ächzen, als er zurückschnellte. Heftig riss er auch die Hand zurück, riss sie aus dem Körper und nur knapp gelang es ihm, bevor die herab gehende Klinge sie vom Arm trennen konnte. Ein Zischen stieß durch seine zusammen gebissenen Zähne, noch unbeholfen neigten sich Kandas Schultern unter dem freien Schlag nach vorn und heftig zur Seite, als sich eine Hand in sein Haar schlug, sich Finger in den Strähnen versenkten und ihn gegen einen nahen Baum schleuderten. Dumpf traf Kandas Gesicht auf die Rinde, wirr sanken die offenen Strähnen hinab und nur schwerlich gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben, als er sich an dem Stamm vorbei schob, einen Schritt tat und den Kopf tief hinab neigte. Mit flachem Atem war Tyki stehen geblieben, setzte nicht zur Verfolgung an und warf einen knappen Blick zur Hand, die er ohne weiteres hätte verlieren können. Er ballte sie zu einer Faust, schloss die losen schwarzen Strähnen in ihr ein. Eine Reaktion des Gegners, die ihn in ihrer Schnelligkeit nahezu erschütterte. Prüfend überzeugte sich Kanda vom Standort des Kontrahenten. Zwischen den offenen Strähnen hindurch, starrte er zu Tyki, während in der gebrochenen Nase dumpf der Puls auflebte, sich Rinnsäle des Blutes über seine verletzten Lippen schlängelten und er nach einem tiefen Luftholen zur Seite spuckte. Ein schmerzhafter Druck in seinem Bauch machte es ihm umso schwerer, sich aufzurichten und dennoch schien er nichts von seiner Entschlossenheit eingebüßt zu haben, als er sich Tyki zuwandte, das Schwert sicherer umfasste und erneut Blut ausspuckte. „Gib doch einfach auf.“ Endlich gelang es Tyki, den Blick von der Hand zu lösen, diese sinken zu lassen. Und seine Stimme zeugte von einer Überlegenheit, derer er sich seit einigen Momenten nicht mehr sicher war. Und niemand wusste es besser, als er selbst. Nahezu verbittert folgten seine Augen den Bewegungen des jungen Mannes, in welcher das Mugen erhoben wurde und unter einem tiefen Atemzug senkte er das Gesicht, presste die Lippen aufeinander. „Ich habe keinen Grund, dich zu töten, wenn du mich nicht angreifst.“ Das eigene Keuchen hatte Lavi nur selten in einer solchen Intensität wahrgenommen, wie in dem Augenblick, in welchem er dort und inmitten der niedergerissenen Bäume stand und mit leicht geöffnetem Mund um sich starrte. Die Augen geweitet, die Glieder wie gelähmt, sehnten sich seine Ohren nach einem Lebenszeichen seines Mitstreiters. Ein Schrei war zu ihm gedrungen… der Klang einer nur zu bekannten Stimme und düster senkte sich nun eine Stille über den Wald, die ihn erschaudern ließ. Den Standpunkt der Beiden konnte er nicht ausmachen, sie zwischen den Stämmen nicht erspähen und er würgte ein trockenes Schlucken hinab, als er sich zusammenriss, einen ziellosen Schritt tat, zur Seite spähte und doch wieder inne hielt. Die Nervosität verstärkte sich mit einem jeden Moment, in welchem er völlig untätig verharrte, sich aus einem irrwitzigen Grund von Hilfestellungen fernhielt. >Was soll ich tun… was kann ich tun…< Wie eine Endlosschleife zermarterte ihn dieser Gedanke und fahrig befeuchtete er die Lippen mit der Zunge, setzte die Hand auf die Rinde eines Stammes und schritt an diesem entlang. Er befand hier in seiner Situation, die aus all den Dingen bestand, vor denen Komui gewarnt und die er sich selbst nie vorgestellt hatte. Kanda zurückschicken… Ihn von dem Noah fernhalten… Konfrontationen vermeiden. Wie sah die völlige Eskalation aus, wenn nicht so?! Wo war seine Fähigkeit, Angelegenheiten zu beeinflussen und wohin mit seinem natürlichen Willen, einen Teamkameraden zu schützen?! Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ einen jeden Gedankengang abrupt enden und er fuhr herum, als er eine Bewegung ausmachte. Sein Atem stockte, eher noch vergaß er ihn und kaum vermochten seine Augen der Gestalt zu folgen, die aus dem Dickicht hinaus und auf die Lichtung geschmettert wurde, auf einen dünnen Baum traf und diesen haltlos mit sich riss. Dicht erhob sich der Staub und laut knirschte das Gestein des Bodens, als die Gestalt auf diesem aufschlug und über ihn hinwegschlitterte… weit, bis in die Mitte der Lichtung. „Yu…?!“ Ein schmerzhafter Stich in der Herzgegend ließ Lavi zusammenzucken und erschüttert umklammerte er den Ast eines Stammes, stieß sich ab und schwang sich hinauf. Die blanke Angst saß ihm im Rücken, als er auf die Beine sprang, sich in die Höhe reckte und keuchend nach ihm Ausschau hielt. Doch noch ehe seine Augen ihn erfassten, löste sich eine zweite Gestalt aus dem Dickicht. Pfeilschnell sprang sie hervor und doch… der schwarze Mantel bäumte sich auf, grell entflammte der Schein des Innocence’ und mit nur wenigen geschwinden Sätzen hatte er den Anderen erreicht und war somit hinter dem massigen Stamm eines Baumes verschwunden. Die Erleichterung blieb aus… Lavi spürte nichts dergleichen, als er zu Boden sprang und sich einen Weg bahnte. Der Erdboden schien unter seinen hastigen Schritten zu vibrieren, unruhig registrierte er die Erschütterung und erspähte die Gestalt seines Teamkameraden, die hinter dem Stamm hervor und weit geschleudert wurde. Jedoch weniger unkontrolliert. Kanda wirbelte herum, dumpf trafen seine Stiefel auf den Boden und ebenso stützend die freie Hand, als er zurückschlitterte. Es blieb keine Zeit und er fuhr in die Höhe, als sich schwirrend der schwarze Schatten der Tease auf ihn zu bewegte. Stolpernd lief sich Lavi aus, stemmte sich gegen einen Stamm und starrte auf die Hölleninsekten, die sich aus dem gleißenden Licht des Innocence stürzten, die Reihen der schwarzen Falter durchbrachen und sie doch nicht alle zu Grunde gehen ließen. Zischend umfingen sie kurz darauf den Leib des Jüngeren, ließen ihn ächzen und zurückstraucheln, während auch Tyki in dem Versuch, die Insekten abzuwehren, scheiterte. Zu fahrig war seine Bewegung, zu flink die Bewegungen der Kreaturen und ein erstickter Schrei drang aus seinem Hals, als er abermals den Boden unter den Füßen verlor, von der Wucht erfasst und nach hinten geschleudert wurde. Mit größten Schwierigkeiten riss sich Kanda unterdessen los, löste sich aus der Mitte der Tease, erreichte einige von ihnen mit einem gehetzten Schlag und erwehrte sich auch der Letzten, während Tyki mit einer flüchtigen Benommenheit rang. Er räkelte sich im Staub des Bodens, winkelte ein Bein an, streckte die Arme von sich und blinzelte unter der Helligkeit des Himmels, als es ihm gelang, die Lider zu heben. Friedlich zog eine weiße Wolke über ihn hinweg und abwesend blickte er ihr nach, bevor er die Schmerzen hinabschluckte, nach seinem Gesicht tastete und es stockend rieb. Zwischen den Fingern spähte er nach Kanda, doch auch dieser schien einen Moment zu benötigen, um zu sich zu finden, und so war ihm jede Zeit gegeben, sich auf die Beine zu quälen. Der Vorsprung war ihm binnen weniger Augenblicke entrissen worden, ohne, dass er es sich erklären konnte. Das Bild der Umwelt erzitterte vor seinen Augen, als er zum Stehen kam, sich auf die Knie stemmte und die Lippen schürzte. Auch auf ihnen lag eine warme Feuchtigkeit und er nahm den bitteren Geschmack des Blutes wahr. Mit einer trägen Bewegung tastete Kanda unterdessen nach dem Saum des Mantels. Ein Knopf hatte sich gelöst und die Augen aufmerksam auf Tyki gerichtet, zerrte er sich den Stoff zurecht. Mit jedem Augenblick… mit jedem Aufeinandertreffen mit dem Gegner, steigerte sich sein Körper in einen Zustand, der sich in die entgegengesetzte Richtung sehnte. Annähernd war es unerträglich, ihn vor sich zu haben, seine gesamte Aufmerksamkeit zu spüren und die Nähe seines Leibes, die Wärme seines Lebens. Seit der ersten Minute ihres Kampfes versuchte er all das zu beenden und seine Miene verzerrte sich verbittert, als er das Mugen neben sich in die Erde rammte, die schmerzende Hand bewegte und die Finger spreizte. Eine kurze Auszeit, ein kurzes Luftholen und die Ruhe vor dem erneuten Sturm. Die Kraft des Feindes wirkte auf sie ein, die Barrieren waren schier unüberwindbar und quälend zog sich der Versuch in die Länge, den anderen in die Knie zu zwingen. Fähigkeiten, die einander würdig zu sein schienen, trafen hier aufeinander und allein mit körperlichen Kräften ließ sich dieses Hindernis nicht überwinden. Langsam trat Lavi hinter einem Stamm hervor, spähte von einem zum anderen und sah auf jeder Seite gesenkte Schultern, wackelige Knie und das Sehnen, all das zu beenden. Nur ein weiterer Schritt… und sofort spürte der Rothaarige einen knappen Blick seines Teamkameraden, der ihn inne halten ließ. So oder so… nicht einmal die schwerste Verwundung würde Kanda dazu bewegen, sein Einmischen zu akzeptieren und er blieb stehen, offenbarte seine wenn auch aufgezwungene Bereitschaft und wurde so rasch der Aufmerksamkeit entzogen. Das Heft des Mugen wurde abermals umfasst, die Klinge aus der Erde gezogen und knapp geschwungen. So ging es also weiter und nur flüchtig erspähte Lavi die Bewegung des jungen Mannes. Die Hand, die flüchtig nach der Schwertscheide tastete, einen Riemen lockerte, der sie mit dem Gürtel verband. Und bevor er sich auf die Suche nach Erklärungen machen konnte, war es vorbei. In alter Freiheit hing die schwarze Scheide neben der Hüfte Kandas und mit einer raschen Bewegung streifte dieser das Haar zurück, schürzte die Lippen und schöpfte tiefen Atem. Auch Tyki schien die alte Fassung zurückerlangt zu haben. Aufgerichtet zu voller Größe, spreizte er die Finger, knisternd entfaltete sich das Gi an seinem linken Arm und Lavi rieb sich hastig das Auge, als der Schweiß hineingeriet. Er wagte es kaum, all das mitzuerleben und doch konnte er die Aufmerksamkeit nicht lösen, spürte den Zwang und die Bereitschaft, im Notfall dennoch einzugreifen. Der Zustand, in welchem sich der Noah unterdessen auf den Beinen hielt, würde dieses Eingreifen erleichtern und Kandas Hass war ihm bei weitem lieber, als diesen als Teamkameraden zu verlieren. Allein die Verbundenheit und das Wissen, das er ihm gegenüber empfand, machte es ihm unmöglich, in jedem Fall seine Hilfe zu verwehren. Seine Gedanken endeten abrupt, heftig ließ er die Hand sinken und gleichzeitig setzten sich Tyki und Kanda abermals in Bewegung. Ihre Körper bewiesen eine Schnelligkeit, die von der letzten Kraft zeugte, ihre Augen eine Bereitschaft, alles in den Sieg zu setzen und dem Rothaarigen gelang kein weiterer Atemzug, als sie aufeinandertrafen, die Gefahr des erneuten Nahkampfes auf sich nahmen. Keine zwei Schritte trennten sie voneinander, als sie sich bewegten, eine kraftvolle Offensive offenbarten, nicht voneinander abließen. Permanent erhob sich das Zischen der Klinge, welche sich gegen das Gi rammte, von diesem geblockt wurde und es selbst blockte. Staub umstiebte ihre heftige Beinarbeit, als sie aneinander vorbeistürzten, herumwirbelten und sich ebenbürtig zwischen Angriff und der eigenen Verteidigung dem Sieg um keinen Schritt nähern konnten. In einem Augenblick, in welchem Tyki Kanda nicht zu erreichen vermochte, fasste dieser um, umschloss das Heft beidhändig und lieferte sich einem kurzen Kräftemessen aus, in welchem sie nahe beieinander lehnten. Rasselnd vermischte sich ihr Atem zu einem einzigen Keuchen, als sie sich gegen den Anderen drängten, eine jede Regung überwachend… ermattet stöhnten ihre Gelenke unter der gnadenlosen Belastung und nur undeutlich war die knappe Unsicherheit Kandas, in welcher er sich in die Knie zwingen ließ, in dieser Notlage heraus, zurücksprang und eine knappe Distanz für sich beanspruchte. Nur ein Augenblick, bevor Tyki vor ihm aufkam, in die Höhe fuhr und weit mit dem Energiegeladenen Arm ausholte. Wie schnell war er gew esen, wie plöt zlich hatte er sich vor Kanda aufgebaut und Lavi war zu keiner Regung fähig, als Kandas Hände sich blitzartig senkten, als die Klinge kurz hinter den Rücken und außerhalb Tykis Sichtfeld geführt und umgegriffen wurde. Sein Auge konnte der plötzlichen Handhabung nicht folgen und für eine Sekunde verblasste das Bild vor ihm, bis ihn das bekannte Klirren in die Realität zurückriss, ihn in die Höhe fahren ließ und ihm das bekannte Bild bog. Dumpf traf das Gi auf das Schwert, wurde augenblicklich gebremst und nichts von alledem schien für Tyki unerwartet zu kommen. Seine Bewegungen gerieten nicht ins Stocken und jäh schoss seine freie Hand hervor, während er das Gi heftiger gegen die Blockade drängte und die Zähne zusammenbiss. Innerhalb nur eines Augenblickes, ungebremst schoss die Hand auf Kandas Gesicht zu, weit spreizten sich die Finger, um sich in diesem zu versenken und dem jungen Mann entrann ein fahriges Ächzen, als sich der Schatten der Hand über seine geweiteten Augen neigte, die Fingerkuppen seine Stirn streiften, sie kitzelnd berührten und doch nicht in ihr versanken. In seiner Größe über Kanda gebeugt, verharrte Tyki reglos, mit bleicher Miene war auch Kanda zu keiner Regung imstande und die Stille, die sich plötzlich über die Lichtung neigte, war ein Vorbote des Todes, wie es ein Grausamerer nicht sein konnte. Starr weitete sich das Auge des Rothaarigen, ein eiskalter Schauer durchfuhr ihn und benommen lockerte sich sein Griff um den Hammer. Ein Zittern durchfuhr Tykis Arm, der sich gegen die Blockade stemmte, surrend verlor das Gi an Dichte und lautlos öffneten sich seine Lippen um einen Spalt, während er Kandas Blick erwiderte. Fassungslos durchbohrte ihn dieser, richtete sich durch die gespreizten Finger auf sein erstarrtes Gesicht. Ein ohnmächtiges Schwanken erfasste ihre Körper, erschöpft neigten sie sich um ein Stück auseinander und ebenso stockend entfernte sich Tykis Hand von dem Gesicht des Jüngeren, zog sich zurück… sank etwas hinab, während sich die hellen Augen von den dunklen losrissen, ungläubig zur Seite drifteten und an einem Punkt hängen blieben. Das Hindernis, an welchem sein Arm gescheitert war… seine Schultern hoben und senkten sich unter einem erstickten Atemzug und das Licht des Gi’s erlosch, ließ den Arm zurück, der an der schwarzen Scheide lehnte, ihr tiefe Risse zugefügt hatte. Die Scheide… das Keuchen des Anderen drang an seine Ohren, während er perplex blinzelte, dem Trug erlag. Er hatte es nicht bemerkt und stockend drifteten seine Pupillen nach unten, richteten sich auf die grelle Klinge des Mugen, welche annähernd bis zum Heft in seinem Bauch steckte, schimmernd auf der anderen Seite ins Freie ragte. So warm… das Blut drang durch den Stoff des Hemdes, durch den Stoff des Jacketts und bahnte sich einen Weg hinab, während das Innocence sich brennend heiß durch seinen Leib fraß. Schmerz durchtobte ihn, der Gestank des eigenen Fleisches stieg ihm in die Nase und bebend presste er die Lippen aufeinander, als sich sein durchbohrter Magen verkrampfte, den widerlichen Druck des Blutes in ihm aufsteigen ließ. Und doch… nur flüchtig betrachtete er sich die Klinge, die er zuvor an seinem Arm vermutete. Dann hob sich sein Kopf, dann lösten sich seine Augen und drifteten zur Hand, die sich nun sinken ließ, keine Kraft mehr fand, vor dem Gesicht des Jüngeren auszuharren. Das Entsetzen saß tief in ihm verwurzelt, schwerer, als er es sich ansehen ließ und weniger richtete sich diese Fassungslosigkeit auf den glühenden Stahl in seinem Bauch. Und nicht nur er… auch Kanda starrte den Fingern nach, die kurz davor gewesen waren, sein Leben zu beenden. Zu unvorhergesehen hatten sie sich ihm genähert, zu wenig hatte er ihnen dieses Ziel zugeschrieben und knirschend fraßen sich die Risse weiter durch die schwarze Scheide, bis diese zerbrach und Fragmente zu Boden fielen. Weiterhin erhoben lag der Arm an dem gesplitterten Stumpf der Hülle und ein Zucken durchfuhr Kandas Miene, als er den Kopf senkte, der Hand weiterhin folgte und wortlos den Mund öffnete. Sie hatte inne gehalten… Kurz vor seiner Haut, noch bevor er die Klinge durch den Körper des Feindes jagte und er fand keine Erklärung dafür. Verkrampft hielt er den Griff um das Schwertheft bei und spürte das Zucken des Körpers, in welchem sie steckte, erblickte das Blut, das kurz darauf zwischen den Lippen des Mannes hervorquoll, hinab auf seinen Arm tropfte und diesen warm benetzte. Blut, das auch das Eigene hätte sein können und er erschauderte unter einer eiskalten Gänsehaut, die ihm heimsuchte, ihn weckte und aus der Benommenheit riss. Mit einem Blinzeln entzog er sich der Erstarrung, gedämpft rang er nach Atem, regte die Finger um dem Heft und blickte auf. In schnellem Takt tropfte das Blut von Tykis Kinn, gepeinigt ballten sich seine Hände zu verkrampften Fäusten und doch war es ein Grinsen, welches kurz darauf an seinen blutigen Lippen zog. Eine schiere Ungläubigkeit, unter der er den Kopf senkte, ihn matt schüttelte. Was hatte er da nur getan…? Er konnte es nicht erklären und eine bittere Selbstverhöhnung stürzte sich über ihn, in welcher das Grinsen zu einem Lächeln verblasste. Hier stand er auf Messers Schneide, sich taumelnd in die Richtung des Todes neigend und er fasste nicht, weshalb er diesen Standpunkt nicht dem Jüngeren überlassen hatte. Weshalb er ihm nicht des Todesstoß versetzt… sich nicht den Sieg gesichert hatte. Er hätte es tun können… mit nur einem Griff und in einem Augenblick, in welchem er dem Gegner knapp voraus gewesen war. Er fuhr zusammen und krampfend verzerrten sich seine Muskeln, als sich die Klinge in seinem Bauch regte, als die Hand am Heft tiefer glitt und die zersplitterte Schwertscheide von der anderen freigegeben wurde, zu Boden fiel. So legte sich auch die zweite Hand um den Griff, umschloss ihn sicher. Stockend fanden ihre Augen zueinander und gepeinigt von den Qualen und der Enttäuschung gegenüber sich selbst, verblasste das Lächeln auf den Lippen, über die kurz darauf erneutes Blut floss, sich nicht mehr zurückhalten ließ. Noch war es nicht vorbei… noch gelang Tyki das röchelnde Atmen und allein die Augen hätten ihm in ihrer Intensität den Todesstoß versetzen können. Kein Entsetzen… funkelnd und scharf taxierten sie das bleiche Gesicht des Besiegten, hatten all das von sich gestreift, das dem Innehalten des Gegners Wert zusprach. Langsam und beiläufig regten sich die schwarzen Stiefel im Staub des Bodens, verschafften sich einen sicheren Halt und bitter war das Gefühl, das Kanda durchflutete. Das erreichte Ziel, der errungene Sieg und wie vernarrt sehnte er sich nach dem höhnischen Triumph, der sich einfach nicht greifen ließ. Der Gegner war niedergerungen, dessen Leben seinen Händen überreicht worden und doch bestand seine erste Genugtuung in einem trockenen Schlucken, mit welchem er gegen den Druck in seinem Hals ankämpfte. „Für Reue war es zu spät.“ Nur leise erhob sich seine Stimme in der Stille, nur gedämpft kam sie über seine Lippen und entsprang doch seinem tiefsten Empfinden. Das Ziel… war erreicht und warm legte sich das Blut des Mannes auf seine Hände, als er diese senkte, das Schwert fest in ihnen. Beständig war ihr Blickkontakt. Die Einflüsse der Umwelt nichtig… Und ein Ausdruck formte die Züge des Sterbenden, der an einem seltsamen Verständnis grenzte. Ja, so war es wohl… und mit schwindender Kraft neigte und hob sich sein Kopf in einem letzten Nicken. Die Lider senkten sich, ziellos drifteten seine Pupillen hinab und er unterdrückte das nächste krampfhafte Würgen, als das Nicken erlosch, als der schwarze Schleier sein Blickfeld trübte und sein Atem sich zitternd legte. Schwerelos und taub neigte sich sein Körper zur Seite und die Beine taten ihren letzten Dienst und sandten den letzten Sinn für das Gleichgewicht, ließen ihn stehen bleiben. Dunkel… der Tag schien ihm zu entschwinden und mit der letzten Deutlichkeit, die ihm die Welt bot, füllte er den Anblick des jüngeren Gesichtes. Der scheinbar permanente Argwohn, der die Züge Kandas formte, der sich gegen ihn richtete, als sie dort auf diesem Marktplatz standen… sich zum ersten Mal begegneten. Wie heiß war die Sonne gewesen… wie schön der Himmel. Wie ungezwungen seine Worte und wie gedankenlos sein Entschluss, in welchem er sich dem unnützen Kampf stellte… täuschte, verhöhnte und verletzte, ohne Rücksicht zu kennen. Und den jungen Exorzisten wehrlos… ihn unterdrückte, den Körper seiner Lust gefügig machte. Unschuld hatte sich ihm geboten… Glühende Haut, die niemals Erfahrung mit zärtlichen Berührungen gemacht hatte… Gehetzter Atem, der dem körperlichen Verrat unterlag, sich laut und hilflos erhob, während er ihn streichelte, liebkoste und sich in der süßen Überlegenheit räkelte, in welcher er den bebenden Körper gegen das Gestein presste und sich selbst gegen ihn. Sich das nahm, was er begehrte. Die Stimme… der heisere Klang verbitterter Worte… Ein jedes von ihm hatte er sich behalten, sie liebevoll in seinen Erinnerungen zurecht gelegt. Momente, die er nicht vergaß. Der brennende Atem, der gegen seinen Halt stieß, als er eine jede Grenze überschritt und dem jungen Mann alles nahm, was intim war. Die Finger, die sich in den Stoff seines Jacketts schlugen, mit einer solchen Verzweiflung nach Halt gierten, dass es auch der trügerische Halt des Peinigers tat. Wie hatte ihm das fremde Stöhnen gefallen… wie hatte es ihm zugesagt, dass ein jeder Widerstand brach, ein jeder Willen zu Grunde ging… unter seinen geschickten Händen. Sie senkten sich hinab, glitten über die straffe unberührte Haut des Darniederliegenden, stemmten ihn nieder und formten ihn nach ihrem Willen. Glänze Perlen des Schweißes… das Zittern der Glieder, mitgerissen von der Ekstase und unermüdlich, als er ihn sich nahm. Als er eintauchte in die verstörte Hitze des Körpers… Verdienten Stolz niedermetzelte… Geschulte Fähigkeiten erniedrigte… Festigkeit durchbrach und alles, was den jungen Mann dazu bewegte, sich mit erhobenem Haupt zu präsentieren, sich seiner sicher zu sein. Als er das Leben eines Menschen aus der Bahn riss. Als er stolze Schritte ins Stolpern brachte. … dieser Hass in den Augen des Unterjochten. Die Verachtung, die einen jeden Zug des jungen Gesichtes formte. Die Rollen waren nicht mehr dieselben, als er all das wieder erblickte und sich selbst als Unterjochten sah. Eine seltsame Begebenheit und schmerzhaft zog ein unscheinbares Lächeln an seinen Lippen. Nichts konnte er rückgängig machen… Zu keiner Entschuldigung finden. Und ergeben senkte er die Lider, löste die Augen von dem Gesicht, das er vor sich hatte. „Mein Fehler…“ Seine Stimme verlor sich in einem lautlosen Hauchen, krampfend fuhr sein Leib zusammen und ruckartig setzte sich die Klinge in Bewegung, wurde zur Seite und ins Freie gerissen. Lautlos ging das Blut auf den trockenen Boden nieder, geschmeidig perlte es auch von der reinen Klinge und leblos verlor Tyki das Gleichgewicht. Die Knie gaben nach, haltlos stürzte er hinab und auf sie, während das Blut aus dem leicht geöffneten Mund floss, hinabtropfte, als sich der Körper zur Seite neigte, fiel und im Dreck des Bodens aufschlug. Wirbelnd umstiebte der Staub den Leblosen und wirr fielen die schwarzen Locken in das ausdruckslose Gesicht. An seiner Seite, das Mugen gesenkt… verharrte Kanda und mit dem Sieg schien ein jeder Hass von ihm gebröckelt. Mit matten Schultern, den Blick nach unten gerichtet, hatte sein Gesicht nicht viel mehr Ausdruck inne, als das des Toten. Er schien einer jeden Beweglichkeit beraubt, nicht so Lavi. Atemlos waren sein Auge all dem gefolgt, wortlos blieben seine Lippen einen Spalt weit geöffnet und nur zögerlich begann er all das zu realisieren. Der Ausgang des Kampfes, welcher ihm eine solche Sorge bereitet hatte… Kanda, um den er fürchtete und ein lautes Ächzen entrann ihm, als er die Leichtigkeit der Erleichterung spürte, den Kopf unter ihr senkte und die Augen schloss. Es war vorbei. Der Hammer fand seinen alten Platz an seinem Bein, die andere Hand zum Gesicht und er rieb es sich, schöpfte tiefen Atem und setzte sich in Bewegung. Es fiel ihm leichter, seine Knie hielten sein Gewicht standhaft und kopfschüttelnd ließ er die Hand sinken, als er sich Kanda näherte. Ein Noah… Es war wirklich ein Noah, der dort lag. Was würde Komui dazu sagen? Zu diesen Tatsachen, die sie in keine Rechnung einbezogen hatten? Zu Kandas Können, welches sie alle mit Zweifeln belegten. Ungeduldig verschnellerte er die Schritte, umging die herausgerissene Wurzel eines Baumes und zog an Kanda vorbei. Das Auge nach unten gerichtet, sich den leblosen Körper und die Blut durchtränkte Erde noch immer ungläubig betrachtend. Es war ein schwerer Kampf gewesen und er stemmte die Hände in die Hüften, legte den Kopf in den Nacken und seufzte. Er würde es kaum glauben, hätte er es nicht selbst erlebt und er gab sich weiterhin der Betrachtung hin. Die Locken des Mannes… das edle Jackett, nun benetzt vom Staub. In allen Facetten auch ein symbolischer Sieg. Zischend versenkte sich die Klinge des Mugen in der Erde, als es von der Hand freigegeben wurde. Diese verharrte reglos und gesenkt, während das fremde Blut von den Fingerkuppen tropfte. „Mein Gott…“, stieß Lavi aus, setzte sich in Bewegung und schritt an dem Toten vorbei. „Du hast es geschafft.“ Er bewerkstelligte es kaum, den Blick von Tyki zu lösen, schüttelte den Kopf abermals und sank in sich zusammen. „Bitte tu mir so etwas nie wieder an, ja?“ Und doch kam er nicht um ein Schmunzeln, rückte an dem Stirnband und spähte zu dem Jüngeren. „Ich dachte, ich komme um vor… Sorge...“ Seine befreite Stimme senkte sich, ihr entglitt die Freude und verstummte in einem irritierten Flüstern, unter welchem er die Hand sinken ließ. Es war kein Sieger, der dort stand, der zu Boden starrte und dessen Miene sich mit jedem Augenblick mehr verzerrte. Die Lippen aufeinander gepresst, die Augen starr nach unten gerichtet, schien eine neue Woge der Wut den jungen Mann einzuholen und ein geräuschvolles Zischen stieß durch seine Zähne, als er sich plötzlich abwandte und das mit einer Schnelligkeit, mit einer Hast, denen der Körper in seiner Erschöpfung kaum noch gewachsen war. Es ähnelte einer Flucht und wankend tat er einen ziellosen Schritt, ließ den irritierten Lavi unbeachtet hinter sich. Perplex erhielt dieser die Hand erhoben, starrte ihm wortlos nach und erspähte eine heftige, ziellose Bewegung des Armes. Die plötzliche Wut des jungen Mannes schien sich gegen das Nichts zu richten, die blutigen Hände ballten sich zu Fäusten, einen weiteren Schritt tat er und beinahe zuckte Lavi zusammen, als er mit einem fahrigen Tritt einen Ast erwischte, diesen weit von sich schmetterte und sich ein wuterfülltes Ächzen erhob. „Yu…?“ Lavi fand keine Worte. Nichts hatte er erwartet, was dieser Reaktion ähnelte und den Jüngeren fest im Auge behaltend, trat er um den Toten herum. Die Zähne zusammengebissen, die Hände weiterhin geballt, kam Kanda zum Stehen. Dumpf ging sein Fuß auf den Boden nieder und augenscheinlich unterdrückte er einen gellenden Aufschrei, als er sich nach vorn beugte, den Atem fest hinter den Lippen verschloss. Die blanke Wut brodelte in ihm, ließ alles an ihm erbeben, setzte ihn erneut und ziellos in Bewegung. Eine nahe Raserei, in welcher er sich um die eigene Achse drehte, zu dem jungen Mann herumfuhr, der sich perplex näherte. „Das soll es gewesen sein?!“ Gellend und plötzlich schlug Lavi die fahrige Stimme entgegen, ließ ihn augenblicklich inne halten. Er blieb stehen, direkt vor Kanda und doch schien dieser durch ihn hindurch zu schreien, ihn nicht wahrzunehmen. Eher noch richteten sich seine Worte an den leblosen Körper und der Rothaarige hörte einen rasselnden Atemzug. „Das soll es sein?!!“ Und noch ehe der letzte Schrei über seine Lippen gekommen war, stürzte er los. In seinem Körper schien eine gruselige Kraft aufzuleben, als er Anstalten machte, an Lavi vorbeizuziehen. Es war reiner Instinkt, in welchem dieser ihm den Weg abschnitt, ihn an den Schultern ergriff und ihn nicht passieren ließ. Heftig wurde er angerempelt, nicht als Hindernis anerkannt. „Hey, beruhige di…“ „So einfach machst du es dir?!!“ Kanda war nicht wieder zu erkennen. Die barsche Art, die man von ihm gewohnt war, war zu einer furchteinflößenden Besessenheit geworden, die Lavi am eigenen Leib zu spüren bekam. An ihm lehnte Kanda sich vorbei, abermals wandte er sich lediglich an Tyki und sobald der Griff an seinen Schultern in sein Bewusstsein drang, schlugen sich die blutigen Hände in die Arme des Rothaarigen, rissen sie von sich, als würden sie ihm selbst nach dem Leben trachten. „Fass mich nicht an!!“ Nur ein knapper Blick, geweitet zuckten die Augen zu Lavi und mit erhobenen Händen hielt dieser inne, starrte dem jungen Mann nach, der seinen Weg strauchelnd fortführte. „Damit soll es getan sein?!!“ Bebend erhob sich seine Stimme erneut, gelenkt durch eine Hand, die den Sieg nicht anerkannte… die all das nicht akzeptierte und nahezu entrüstet fand sich Lavi für kurze Zeit in einer annähernden Erstarrung wieder, als sich Kanda neben dem Toten auf die Knie stürzte, sich seine Hände brutal in dem Kragen des Blutdurchtränkten Hemdes versenkten und er den leblosen Leib zu sich zerrte. „Denkst du, es ist so einfach?!! Du hast gezögert… du hast gezögert!!“ Leblos sackte Tykis Hinterkopf in den Nacken, als er abermals höher gezerrt wurde. Mit starrer verzerrter Miene starrte Kanda auf ihn herab, die Aufgebrachtheit ließ seinen Atem rasen, dass seine Lunge dem kaum folgen konnte und erstickt verschluckte er sich am eigenen Atem. „Du hast es dir leicht gemacht!! Aber das ist es nicht!!“ „Yu!“ Bestimmt und entschlossen ließ Lavi die Hand abermals auf seine Schultern niedergehen, versuchte den jungen Mann von dem Toten fortzuziehen und spürte die Festigkeit der verspannten Muskeln, die sich nicht regen ließen. „Yu, es reicht!“ Unsicherheit war in diesen Augenblicken ein Ding, welches Lavi sich nicht leisten durfte. Wer, wenn nicht er, konnte einen klaren Kopf bewahren? Ein weiteres Mal wurde er kaum wahrgenommen und angespannt verfestigte er den Griff, ging in die Knie und versuchte sich Kandas Gesicht zu betrachten. Doch gesenkt und verborgen hinter dem wirren Haar, war ihm kein Blick erlaubt… doch die Schulter. Er starrte zu seiner Hand, spürte unter ihr das Zittern. „Hey…“, einfühlsam senkte sich seine Stimme, „… es ist vorbei.“ „Vorbei...?“ Unerwartet und sofort schenkte Kanda ihm Gehör. Sein eigener Griff im Hemd des Mannes verlor nicht an Kraft und lodernd richteten sich seine Augen auf den Älteren. Dieser erkannte ein Zucken der bleichen Miene. „Vorbei?“ „Ja.“ Nur schwerlich fand Lavi zu einem matten Lächeln und fühlte sich dabei seltsam unsicher. Und kaum hatte er sich versehen, da wurde seine Hand abermals aus dem Stoff des Mantels gerissen und er selbst zurückgestoßen. „Nichts ist vorbei!!“ Die alte Raserei riss Kanda mit sich, als er auch den Toten auf den Boden zurückstürzen ließ, übereilt auf die Beine kam, zur Seite strauchelte. „Es wird niemals vorbei sein!!“ Annähernd hysterisch schrie er Lavi an und dieser blieb hocken, starrte zu ihm auf. „Ich kann nichts dagegen tun… ich…“, der Atem ließ ihn im Stich, fahrig rang er nach ihm, „… ich habe alles Mögliche getan!! Er ist tot!!“ Ruppig wies er auf den leblosen Körper, stolperte zurück und Lavi verzog die Miene. „Er hat seine Ruhe und ich nicht!!“ Ein schmerzhaftes Stechen lebte in seiner Brust auf und er beugte sich nach vorn. „Darauf war ich nicht aus!!“, schrie er mit letzter Kraft, bevor er sich röchelnd auf die Knie stemmte, den Kopf hängen ließ und die Augen schloss. „Darauf war ich nicht aus…“, wiederholte er annähernd lautlos und mit zitternder Stimme, schüttelte den Kopf. Ihm gegenüber richtete sich Lavi nun auf. Kanda eindringlich musternd, kam er auf die Beine, presste die Lippen aufeinander. „Und worauf warst du aus?“, erkundigte er sich ruhig und der Atem des Jüngeren stoppte. Mit einem Mal hoben sich die Lider und ohne zu blinzeln starrte er zu Boden, während sich ihm der Rothaarige in langsamen Schritten näherte. „Du hast Recht, Yu… hast alles getan, was du tun konntest. Zu mehr bist du in diesem Augenblick nicht imstan…“ „Er sollte leiden…“, unterbrach ihn der dumpfe Laut eines Raunens, stockend klammerten sich die Hände in die zitternden Knie und ächzend stemmte er sich in die Höhe, starrte den jungen Mann an, der vor ihm zum Stehen kam. „Er sollte leiden!“ Knirschend bissen seine Zähne zusammen und Lavi presste die Lippen aufeinander. „Er sollte so leiden, wie ich es getan habe!!“ >Yu…< Lavi spürte den Druck eines seltsamen Schwermutes, als er den Kopf senkte, ein undeutliches jedoch verständnisvolles Nicken hervorbrachte. Leise knackte das Gestein unter Kandas Stiefeln, als dieser schwer atmend zurücktrat. „Er sollte büßen!!“, stieß er aus und seine Stimme brach, während sich seine Hände in ziellose Gestiken verstrickten. „Und er grinst mir ins Gesicht, als wäre er über dieses Leid erhaben!!“ Lavi befeuchtete die Lippen mit der Zunge, schluckte und blickte auf. Eine fahrige Bewegung drang in seine Aufmerksamkeit. Ohnmächtig vor Zorn fuhr sich Kanda über das Gesicht und er folgte dieser Geste schweigend. „Als könnte er keine Schmerzen spüren!!“, fuhr Kanda aufgelöst fort. „Aber die hat er verdient! Er hat sie verdient!!“ „Und sicher hatte er sie auch, kurz vor seinem Tod“, entgegnete Lavi ihm leise, betrachtete sich sein Gesicht anteilnehmend. Viel vermochte er dazu kaum zu sagen… er selbst fand sich etwas hilflos vor, überwältigt von der Stimme des jungen Mannes, die in ihrer Intensität dennoch nicht der inneren Pein gleichzukommen schien. Und es mochte kein Trost sein, was er erwiderte, doch die Realität, deren Kanda sich scheinbar überaus bewusst war. „Aber du hast alles getan, was du tun konntest. Du hast gesiegt.“ „Aber es geht mir nicht besser!“ Bebend, annähernd flehend erreichten Lavi diese Worte und als Kandas Hand abermals und beiläufig zum Gesicht fand und eine Spur des fremden Blutes auf der dreckigen Wange hinterließ, entspannte sich das Gesicht des Anderen. „Was soll ich mit dem Sieg, der mir nichts bringt?! Es sollte alles besser werden!!“ Ausdruckslos ruhte Lavis Blick auf diesem geschundenen Gesicht, regungslos verharrten seine Lippen leicht geöffnet und allein ein benommenes Blinzeln gelang ihm, als sich Kandas Hand verbittert in das schwarze Haar klammerte, er die Wange gegen den Arm schmiegte und sich blindlings zur Seite wandte. „Es sollte besser werden…“, wisperten die verletzten Lippen ungläubig, während die Augen ziellos und fahrig die Umgebung durchschweiften. „Warum fühle ich mich nicht so?!“ Ein Keuchen stieß er aus, röchelnd rang er nach Atem und drängte die Hand bebend in den Nacken. Lavi spürte die Trockenheit im eigenen Hals und kaum gelang ihm ein weiteres Schlucken, um dagegen anzukämpfen. Eine Gänsehaut überkam ihn und wehrlos erschauderte er unter ihrer Kälte, während sich seine Augen nicht von Kanda lösen konnten. Etwas geschah… und er wollte, konnte es nicht realisieren, nicht in Worte fassen, welche Gefühle in ihm selbst auflebten bei dem, was sich seinem Blick darbot. Die Stimme schien in ihm erfroren zu sein. „Ich fühle mich… nicht besser…!“ Die Kraft der Stimme ging im heftigen Keuchen unter und stockend löste sich die Hand aus dem Nacken, glitt haltlos über den Hals hinweg und hinab zur Brust, in welche sie sich hastig klammerte. Gequält schlossen sich Kandas Augen, die Kraft zum Zorn schien ihm zu entgleiten und ergeben neigte sich sein Oberkörper nach vorn. Er resignierte, alles in ihm schien aufzugeben und ein Röcheln drang an Lavis Ohren, als selbst der Atem ins Stocken zu geraten schien. Und sofort schnellte auch die zweite Hand in die Höhe, klammerte sich um den Hals, während Kandas Knie die völlige Kapitulation ankündigten, sich unter dem Gewicht des Körpers neigten und der junge Mann einen strauchelnden Schritt zur Seite tat, ermattet um Gleichgewicht rang und daran scheiterte. Hilfsbereite Hände streckten sich nach ihm aus. Lavi hatte ihn erreicht und vorsichtig ergriff er den jungen Mann an den Armen, ging gemeinsam mit ihm in die Knie und gab ihm den nötigen Halt, um nicht ungebremst zu Boden zu gehen. Wie oft drohte er selbst dazu, untätig zu verharren, sich von dem Anblick in einer solchen Intensität schockieren zu lassen, um selbst zu nichts mehr fähig zu sein. Und er riss sich zusammen. Noch weniger als die Verfassung des Anderen, war das Nichtstun zu ertragen und auch das rasende Herz in seiner Brust durfte ihn nicht zurückschrecken lassen. Wortlos flehte man nach seiner Hilfe und aufmerksam kniete er sich vor seinen Teamkameraden, der sich ächzend auf die Fußballen kauerte, nach Atem rang, ächzte und röchelte, unter der Unerbittlichkeit des eigenen Körpers in sich zusammen kroch. „… Oh Gott…“, drang ein atemloses Stöhnen an Lavis Ohren und dieser schluckte schwer, fasste Kanda sicherer und zog ihn nach vorn und auf die Knie. Eine düstere Erinnerung ließ ihn eine jede Unsicherheit vergessen. Umso größer war die Furcht vor einer Begebenheit, die sich wiederholen könnte… und der er hilflos gegenüberstand. Zusammengesunken kauerte Kanda vor ihm, zitternd wehrten sich die erschöpften Muskeln gegen den harten Griff in den Stoff des Mantels und um den Hals und eine gewisse Anspannung ließ sich nicht verbergen, als Lavi sich zu ihm hinabbeugte, seinen Oberkörper gleichsam mit den Händen höher drängte. „Yu!“ Energisch erhob er die Stimme, spürte den Widerstand des verkrampften Körpers, rüttelte an diesem. „Mach die Augen auf! Komm zu dir!“ Eine plötzliche Bewegung ließ ihn sämtlichen Halt verlieren. Jäh wandte sich Kanda zur Seite, entriss sich seinen Händen und ließ die eigenen auf den Boden niedergehen, auf die er sich keuchend stemmte. Laut und heiser brach der Atem aus ihm heraus und mit erhobenen Händen verharrte Lavi, sah, wie die Ellbogen an Kraft verloren, sich Kandas Oberkörper gen Boden neigte und die Spitzen des langen Haares das Gestein streiften. Wirr und abermals verbargen sie das Gesicht des jungen Mannes vor Lavis Auge und stockend ließ sich dieser zurücksinken. Es gelang… wenn auch zermürbt und stockend… die Ellbogen drückten sich durch, sicherten den letzten Halt und knirschend löste sich eine Hand aus dem Staub des Bodens, tastete sich taub hinauf zum Gesicht und versank zwischen den Strähnen, um dieses zu reiben. Ein Zucken durchfuhr den hinab gebeugten Leib, ein verbittertes Zischen erreichte Lavi und unentschlossen versuchte seine Hand ihn abermals zu erreichen. Mit welchem Ziel…? Er wusste es nicht und hilflos hielt sie inne, als Kandas Schultern erneut erbebten, als sich die Hand zurückstemmte und sich die blutigen Finger im feinen Gestein versenkten. „Kch!“ Ein heftiger Atemstoß kam über Kandas Lippen und ermattet sank das Gesicht tiefer, bis sich das Kinn auf dem Schlüsselbein bettete. Lavi spürte die abwesende Regung des eigenen Kopfes, wie er sich langsam von einer Seite zur anderen bewegte… fühlte auch, wie die letzte Farbe sein Gesicht verließ und er selbst rang nach Atem, als sich Kandas Leib unter einem dumpfen Schluchzen weiter hinabneigte. Die Arme gaben nach, knickten unter dem Gewicht ein und er sank hinab auf die Ellbogen, während sich die Finger tiefer in den Boden drängten. Glänzend schlängelten sich die Strähnen des langen Haares über das Gestein, als er benommen das Gesicht auf den Unterarmen wendete, ihm ein tränenersticktes Ächzen entrann. Und Lavi starrte auf ihn hinab. Die Festigkeit, nach der er sich verzehrte… Die Kraft, die er dem geben wollte, der sie nicht besaß… Die Hilfe, die er leisten wollte… die Fähigkeiten schienen ihm zu entgleiten. Erneute Regungslosigkeit hielt ihn gefangen und erst, als sein Auge zu brennen begann, blinzelte er. Kandas Arm, der sich zuvor zum Gesicht hob… schon eher hatte er die Tränen zum Ziel gehabt, die er wohl selbst kaum registriert hatte. Er hatte sie gesehen, den nassen Glanz in den dunklen Augen, die sich zuvor gnadenlos auf den Gegner richteten. Und ein fremder Schmerz schien in ihn zu dringen, als wäre er sich seiner Intensität zuvor nicht bewusst gewesen. All das Wissen um das, was Kanda zugestoßen war… All die Beobachtungen des verzweifelten Verhaltens… All das schien nichtig gegenüber dem Geschehnis, wessen er hier Zeuge wurde. Keine Kraft ließ sich mehr aufbringen, um die Tränen hinabzuschlucken. Keine Wut konnte die Schmerzen in eine unauffällige Maske umformen. Nichts hielt Kanda und das, was in ihm vorging. Nichts anderes konnte es zum Ausdruck bringen, als die Tränen, die saubere Pfade auf den blutverschmierten Wangen hinterließen. Nichts anderes auch als das Schluchzen, das sich nicht unterdrücken ließ. Wo war die Kontrolle, die Kanda einen jeden Tag präsentierte? Wo die Macht, sich selbst zu lenken? Ein Anblick, der Lavi selbst etwaige Fassung entriss und wie verzweifelt rang er mit der eigenen Erstarrung und dem Willen, etwas zu tun! Mehr, als nur dort zu kauern und mit bleichem Gesicht auf den Menschen zu starren, den er nicht wieder erkannte. „Es…“, die Tränen erstickten die zitternde Stimme. Selbst sie schien eine andere zu sein und Lavi presste die Lippen aufeinander, „… wird nicht besser… es wird einfach nicht…“ Die Stimme versagte ihm, erneut wendete er das Gesicht und stockend begannen sich seine Arme unter einem heiseren Schluchzen zu regen. Es war ein Trauerspiel und abermals hob sich Lavis Hand zu unbekanntem Ziel. Und Kanda richtete sich auf. Das Haar strich über das Gestein, müde stemmte er die Arme durch und sich nach oben. Sein Körper neigte sich in aufrechter Haltung zur Seite, trunken vom fahrigen Keuchen entrann ihm die Balance, doch die Hand, die sich mit allerlei Zurückhaltung auf seiner Schulter bettete, war ihm eine Hilfe, sicherte ihn und wurde nicht erneut zurückgewiesen. Kanda schien sie kaum wahrzunehmen, als er aufrecht dort kauerte, den Kopf gesenkt hielt und die Hand zum Mund führte, um sie auf diesen zu pressen. Die Brauen verzogen… die Augen verkrampft geschlossen erschauderte er unter einem lauten Schluchzen, schüttelte den Kopf… schien selbst kaum zu realisieren. Das Schluchzen versiegte in einem heiseren Wimmern, unter welchem er das Gesicht zur Seite wandte, die Hand an den nass glänzenden Lippen regte… und Lavi spürte einen Druck, der sich gegen seinen Arm richtete. Der Körper, der seine Stütze beanspruchte. „Was soll ich tun…?“ Nur undeutlich und getragen vom gehetzten Keuchen erhoben sich die leisen Worte, benommen zuckten die Lider, hoben sich um ein Stück, während sich eine weitere Träne ihren Weg über sein erhitztes Gesicht bahnte. Hilflos drifteten die dunklen Pupillen zur Seite. „Was soll ich machen…?“ Stoisch registrierte er die Bewegung der Finger auf seiner Schulter und nur undeutlich richteten sich die Pupillen auf den ausgestreckten Arm, bevor sie unter den geröteten Lidern versanken. Sobald er den vorsichtigen Griff gesichert hatte, neigte sich Lavi dem Jüngeren entgegen, betrachtete sich die Hand, die sich zu den Augen flüchtete, sie verkrampft unter sich verbarg. Hastig zog Kanda die Nase hoch, schluckte die Tränen hinab, biss die Zähne zusammen und unterwarf sich einem heiseren Schluchzen. Es hörte nicht auf, nass schimmerte sein Gesicht unter der Feuchtigkeit. Unbemerkt tropfte es von seinem bebenden Kinn und nicht selten waren Tränen Lavi so nahe gegangen. Und dennoch… er wusste keine Antwort auf die Fragen. Nicht hier, nicht jetzt und in diesem Moment. Keine Worte des Trostes würden Beruhigung bringen, keine Versprechungen die Tränen stillen. Viel wusste er über die Empfindungen der Menschen… viel auch über ihre Art, mit Emotionen umzugehen. Es war sein Handwerk, doch nicht zugeschnitten auf den Einzelnen und er gestand sich ein, dass er für einige Augenblicke all das Gelernte vergessen hatte. Keine Regeln, keine aufgeführten Schritte… keine Reihenfolge der Handhabung. Zurück blieb er als Mensch und das allein mit dem Wissen, das seinem Gemüt entsprang. Der Empathie, zu der er fähig war. Langsam glitt seine Hand weiter, hinweg über den rauen Stoff und tiefer hinab zur Schulter, während er sich selbst auf den Knien aufrichtete, sich näher schob, das Zittern unter seiner Hand nur an Stärke gewann. „… wann ist das endlich vorbei…?“ Ein beinahe tonloses Hauchen, unter dem Kanda den Kopf hob und sich abermals die Augen rieb. Zitternd glitt seine Hand anschließend höher über die Stirn und in den Schopf. Die Strähnen wurden kurz zurückgestreift und restlos erschöpft bekamen seine Zähne die Unterlippe zu fassen. Kein Stolz… nicht einmal Anstalten, die Tränen vor dem Blick des Anderen zu verbergen. Kein Gedanke daran, die Schwäche zu maskieren. „Was soll ich noch… machen…?“ Eine Frage, die er niemandem stellte. In Tränen aufgelöst, wirkte er regelrecht abgeschnitten von der Wirklichkeit, so, wie diese Situation selbst unwirklich erschien. Sein Atem stockte, eine Träne löste sich von seiner Nasenspitze und unwirsch sank die Hand durch das Haar zum Gesicht zurück, rieb sich die Wange, über die kitzelnd die Feuchtigkeit glitt. Und dort verharrte sie, verbarg die kraftlosen Züge unter sich, während sich die andere Hand in den Stoff des Mantels klammerte, sich die Finger tief in ihm versenkten. Ein Schatten neigte sich über ihn, ein Körper zwischen ihn und das Sonnenlicht und ein bebender Schrei entrann ihm, während er in sich zusammensank. Mitgerissen erbebten seine Schultern unter dem nicht enden wollenden Keuchen und warm betteten sich Hände auf diesen, als Lavi sich vor ihn sinken ließ, sich nahe vor ihn kauerte. Ein behutsamer Druck, mit welchem er den zitternden jungen Mann zu sich zog, ihm entgegenkam und ihn sicher mit den Armen umschloss. Das Gestein knirschte unter ihm, als er sich ein letztes Mal regte, seine Hände sich weiter schoben und auf dem Rückrad übereinander schoben, sich umfassten. Die Schultern des Rothaarigen hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und langsam senkte er die Lider, senkte den Kopf und bettete die Wange auf der schwachen Schulter. Keine Gegenwehr… Kein Widerstand… Kanda blieb kauern, keine Reaktion folgte auf die ungewohnte Wärme. Still versiegte eine Träne in seinem Mundwinkel… Zitternd verbarg die Hand das Gesicht und wirr fielen die langen Strähnen in dieses, als es gegen die Schulter des Älteren sank, dort Halt fand. Kitzelnd streifte das Haar auch den Nacken des Älteren und schweigend verstärkte er die Umarmung, hielt Kanda fest und nahe bei sich. Keine Zeit… er würde ausharren, bis die Tränen versiegten und nach einem weiteren tiefen Atemzug öffnete er die Augen einen Spalt weit, regte die Hände aneinander und blickte gedankenverloren zu dem leblosen Körper. ~*The End*~ Kapitel 10: Teil 2: Back to reality ----------------------------------- Es war still um Pjöngjang geworden. Das dumpfe Dröhnen des zerberstenden Gesteines war verstummt sowie das Krachen der Kanonen. Die Schreie der Flüchtenden, die bisweilen in den Gassen schallten… Die fahrigen Stimmen der Finder und die verzweifelte Gegenwehr. Die Schatten der Akuma, die sich an den Häuserwänden vorbeigestohlen hatten, waren dem Sonnenlicht gewichen, in welchem die massigen Körper der Dämonen nun den Boden bedeckten. Viele von ihnen, die nicht von der Explosion eines Angriffes in Stücke gerissen wurden. Leben regte sich auf den Straßen. Verstecke wurden verlassen, Verteidigungslinien aufgelöst und in großer Vielzahl tummelten sich die hellen Mäntel der Finder in den Gassen und auf den Plätzen. Der unvermittelte Angriff endete kurz nach dem Morgengrauen und umso heller wäre dieser Sieg, würde nicht die finstere Decke des Rauches auf der Stadt lasten. Schwarzer Rauch drängte sich aus vielen Ecken gen Himmel, Brände galt es noch zu löschen und man tat sich schwer damit, da die Nacht an jedem gezehrt und keine Gnade gezeigt hatte. Im Gedränge der Finder verharrten zwei Gestalten reglos und entspannt. Zwei Exorzisten waren es, die sich an eine Hauswand lehnten, Kräfte schöpften und doch keinen wahren Triumph empfanden. Rechtzeitig waren sie hier gewesen, um sich an den Kämpfen zu beteiligen, doch dass es sich ausgezahlt hätte und es sich hier um mehr handelte, als um die Rettung einer Stadt, die ihnen nicht oblag, war ihnen nicht zu Ohren gekommen. Müde sicherte Komui den Halt einer Schlappe, bevor er sich an den Tisch lehnte, die Tasse abstellte und sich trübe die Reagenzgläser betrachtete, die sich geordnet vor ihm reihten. Es war wohl eine Nacht, wie jede andere. Schlaflos, voller Arbeit und trotz der liebevollen Kaffeeverpflegung wollte er sich nicht so recht wach fühlen. Er unterdrückte ein Gähnen, griff nach einem Laborglas und schenkte sich Tee ein. Eine Abwechslung, von der er sich etwas versprach und während er einen genüsslichen Schluck nahm, regte sich neben ihm nur bedingt das Leben. Ein wirres Murmeln bewies, dass Johnny noch am Leben war, als er sich auf dem Schreibtisch regte, das Gesicht zwischen den Armen wendete und weiterschlief. Selbst River hatte mit sich zu kämpfen. Seit geraumer Zeit schwankte er etwas auf seinem Stuhl, schenkte den vor sich liegenden Unterlagen nur bedingte Aufmerksamkeit und untermauerte die Atmosphäre des Raumes mit rhythmischem Seufzen, während Rokujugo in seinem Rücken von einer Seite zur anderen glitt, in Aufräumarbeiten verstrickt und dennoch etwas verstört schien, während er einen Stapel verkleinerte, um einen anderen zu vergrößern. Es war ein Dilemma und Komui betrachtete sich seine fleißigen Mitarbeiter unwirsch, wendete den Tee im Mund und vernahm abermals ein leises Schaben, als Tapp Topp ziellos an dem Buch kratzte, das er eigentlich studieren wollte. Plätschernd rann das Wasser von den Händen des Jungen, als er sie aus der Schale hob, das Gesicht unter ihnen verbarg und sich eine kurze Erfrischung verschaffte. Er seufzte unter der kühlen Nässe, rieb sich die Wangen und blinzelte unter einem milden Luftzug, als sich Timcanpy neben ihm erhob, ihn flatternd umkreiste. Letzten Endes fand er seinen gewohnten Platz im grauen Haar des Jungen und dieser zog ein Handtuch zu sich. Er hockte auf einem hölzernen Schemel inmitten eines Zimmers, das in seiner Ausstattung gerade noch die kurze Erfrischung erlaubte. Neben ihm klaffte ein Loch in der steinernen Wand, das Mauerwerk war marode und als er das Handtuch bei Seite legte, konnte er draußen das Treiben der Finder verfolgen. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, als er einer kleinen Gruppe von ihnen nachsah, die Lider senkte und müde die Ellbogen auf die Oberschenkel stemmte. Das Eingreifen und all das, was ihn hier erwartete… er hatte es sich anders vorgestellt und doch alles getan, was in seiner Macht stand. Hier in der Stadt und nicht außerhalb inmitten des Waldes, in dem er weitaus lieber geblieben wäre und auf dem mittlerweile dieselbe Stille lastete. Um was man ihn gebeten hatte, das hatte er getan. Er war zurückgekehrt, sobald es ihm möglich gewesen war und mit ihm ein weiterer Exorzist. Und es hatte nichts mehr gegeben, was sie tun konnten. Schweigend wandte er sich der Schale zu, streifte sich etwas das Haar zurück, unterdrückte ein Gähnen und kam kurz darauf auf die Beine. „Guten Morgen.“ Das Tablett auf dem Unterarm, schloss Leenalee die Tür hinter sich und vernahm sofort das erleichterte Seufzen der Gepeinigten. Sie begrüßte die Wissenschaftler mit einem aufmunternden Lächeln, steuerte auf einen der Tische zu. „Mag jemand Kaffee?“ Eine Frage, die sich eigentlich nicht stellte und aus den verborgensten Ecken krochen die Wissenschaftler hervor, Arme hoben sich und die junge Frau blieb nicht lange alleine, wurde kurz darauf von Weißkitteln umringt, die dafür sorgten, dass sich das Tablett schnell leerte. So kehrte das Leben etwas zurück und kurz lugte Komui zu seiner Schwester, bevor er erneut nach dem Glas griff, den Rest des Tees in seine Tasse umfüllte und sich vom Tisch löste, um ihr Gesellschaft zu leisten. Und wieder… er ertappte sich dabei, wie seine Augen zu einer der Uhren drifteten. Es war in den späten Morgenstunden… eigentlich an der Zeit. „Gott sei Dank.“ River fand seinen alten Platz auf dem Stuhl, zog die Füße aus den Pantoffeln und entschloss sich dazu, die Arbeit jetzt wirklich erst einmal fallen und sich ganz von dem Kaffee mitreißen zu lassen. „Ist die Nacht schon vorbei…?“ Zerrupft kämpfte sich Johnny in eine aufrechte Haltung und wieder schwebte Rokujugo an ihm vorbei. „Hast du schön geschlafen?“ Mit großen Augen neigte sich Komui vor seine Schwester und diese klemmte sich das Tablett unter den Arm. Neben ihnen kratzte Tapp Topp weiter. „Hast du dich schön ausgeruht? Hast du?“ „Wie sollte ich das denn machen?“ Leenalee legte den Kopf schief, klammerte sich um das Tablett. „Ich habe dich doch die ganze Nacht mit Kaffee versorgt.“ „Er ist wirklich gnadenlos“, wandte sich River raunend an den Lockenkopf, der sich verwirrt die Brille zurechtrückte, noch immer nach dem Tageslicht suchte. In der Nähe ächzte Komui entsetzt auf. „Sogar die eigene Schwester…“ „Habe ich dich um den Schlaf gebracht…?!“ „Ist schon in Ordnung, ich mache es doch gerne.“ „Eh…“, Jonny rückte weiter und River fuhr in sich zusammen, als neben ihm ein Stapel Bücher auf den Tisch donnerte. „Sag’s noch lauter“, nuschelte Rokujugo ihm angespannt zu. „Dann kommt er vielleicht noch auf die Idee, uns für den Kaffee einzusetzen…!“ Träge warf er das Stirnband auf eine Vitrine, fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar und gab sich einem innigen Gähnen hin. Seine Schritte, in denen er sich einem kleinen Tisch näherte, wirkten müde und doch stand ihm nicht der Sinne danach, sich auszuruhen. Sein Auge schweifte flüchtig und ziellos über den Boden, als er sich mit dem Fuß einen Stuhl zurückzog, aus einem heil gebliebenen Fenster nach draußen blickte und schweigend die Lippen aufeinander bewegte. Lavi wirkte etwas blass, als er sich niederließ und erst einmal zurücklehnte. An dem Fenster flüchtete sich ein Finder vorbei, weitere erschienen, in ein angespanntes Gespräch vertieft. Und stumm sah er auch ihnen nach, zog die Nase hoch und tastete neben sich auf dem Tisch. Seine Hand erreichte ein Telefon und doch glitten seine Fingerkuppen lediglich über den Hörer, bevor sie sich flach auf dem Holz bettete und er tiefen Atem holte. In ihm rumorte es… in ihm arbeitete es… und hinter seiner Miene tobten die Grübeleien, sowie die Zweifel, all das bis zu diesem Augenblick realisiert zu haben. Er saß hier, der Auftrag war als abgeschlossen zu betrachten und doch blieb eine erdrückende Schwere zurück, in der er den Kopf senkte, das Auge schloss und sich das Gesicht rieb. Nur leise drangen die Stimmen der Menschen an seine Ohren, draußen im Flur und hinter der geschlossenen Tür des Zimmers zogen eilige Schritte vorbei. So war es oft. Die Hektik nach einem schweren Gefecht. Alltag, mochte man meinen und doch vermisste Lavi diesen Alltag seit einiger Zeit. So abwechslungsreich ein jeder Tag für einen Exorzisten, für einen angehenden Bookman auch war, es schien sich etwas verändert zu haben. Ein permanenter Abstieg, in den er sich involviert fühlte und nach wenigen Momenten richtete er sich auf und erwachte zu altem, zielstrebigem Leben. Der schwarze Golem erhob sich flatternd in die Lüfte, nachdem er eine kleine Tasche geöffnet hatte. Seine Hand erreichte den Hörer abermals und diesmal hob sie ihn ab. „Bevor ich es vergesse…“, Leenalee legte den Zeigefinger gegen das Kinn, vor ihr leerte Komui die Tasse erneut, „… Miranda ist wieder da. Ich habe sie vorhin im Speiseraum gesehen.“ „Sehr schön.“ Eine gute Nachricht, die dem Tag vielleicht eine Chance gab. Zufrieden vergewisserte sich Komui, dass die Tasse wirklich leer war und auch, als er sie kurz schüttelte, änderte sich nichts daran. „Ich hätte sie nachher gerne gesprochen. Sagst du ihr Bescheid, wenn du sie wieder siehst?“ „Natürlich.“ Damit wandte sich Leenalee ab. Ihre Aufgabe hier war erfüllt und winkend machte sie sich auf den Weg zu den anderen, die sie noch erwarteten. Unterdessen ging das Bücherräumen weiter und River schaffte es, die Lippen von dem Kaffee zu lösen, als er den niederträchtigen Blick seines Vorgesetzten spürte. Versteckt musterte Komui ihn und auch die Tasse, die kurz darauf Besitzergreifend umklammert wurde. „Vergessen Sie’s!“ Drohend duckte sich River und Komui hob die Augenbrauen, starrte irritiert um sich und hielt inne, als sich das schrille Klingeln eines Telefons meldete. „Ahhh.“ River war dem Telefon am nächsten und bedacht klammerte er sich weiterhin um die Tasse, als er seufzend nach dem Hörer langte, ihn zum Ohr hob und unterdessen erwartungsvoll beobachtet wurde. „Ja?“ Schweigend schürzte Komui die Lippen, wirkte annähernd angespannt und sah, wie River nach wenigen Momenten nickte. „Ja, er ist hier. Augenblick.“ Der Wissenschaftler ließ den Hörer sinken und sofort hatte sich Komui in Bewegung gesetzt, zog um den Schreibtisch herum und bekam den Hörer in die Hand gedrückt. „Es ist Lavi.“ Und Komui schien darauf gehofft zu haben. Mit einem Nicken stellte er die Tasse ab, stemmte sich auf den Tisch und hob den Hörer zum Ohr. Seine Miene hatte etwaige Heiterkeit verloren und er räusperte sich, schindete keine Zeit. „Ja“, meldete er sich sofort und neben ihm wandte sich River wieder seiner Tasse zu. „Lavi, wie ist der Stand der Dinge?“ Eine Frage, die ebenso für seine vergangene Schlaflosigkeit verantwortlich war, wie die zu verrichtende Arbeit und in der Leitung rauschte ein tiefer Atemzug. „Wir sind okay.“ Naserümpfend ließ sich Lavi im Stuhl tiefer sinken, streckte die Beine von sich. „Wir haben Unterstützung von zwei weiteren Exorzisten erhalten; der Angriff wurde vor zwei Stunden niedergeschlagen.“ Komui unterbrach ihn nicht und er bettete den Hinterkopf auf der hölzernen Lehne, blickte zur Decke des Zimmers auf. „Von Innocence keine Spur.“ „Mm.“ Damit hatte Komui nicht gerechnet und flüchtig verzog er die Miene, lehnte sich seitlich gegen den Schreibtisch und legte den Arm um den Leib. Nun, eigentlich hatte er ebenso wenig etwas anderes erwartet. Seine Grübeleien hatten zu nichts geführt, eine andere Erklärung für all das war ihm nicht eingefallen. Zurückgeblieben waren Fragen über Fragen und die konnte er nun stellen. „Ist Kanda vor Ort?“ „Mm-mm.“ Der Rothaarige presste die Lippen aufeinander, nickte lange und übertrieben deutlich. „Ist er.“ Das war wohl etwas, das keinen verblüffte und Komui hielt sich auch nicht lange bei der Tatsache auf, dass er sich scheinbar nicht zur Rückkehr hatte bewegen lassen. Wie gesagt, es überraschte niemanden. „Und kannst du die Beteiligung eines Noah an dem Vorfall bestätigen?“ Vorläufig entrann Lavi nur ein ungewisses Murmeln. Er zog die Luft durch die Zähne, regte sich auf dem Stuhl und suchte nach Worten, mit denen er all das Geschehene erklären könnte. Doch letzten Endes blieb es eine offensichtliche Sache und er entschloss sich dazu, bei den Fakten zu bleiben. Unter einem tiefen Atemzug richtete er sich auf, seine Fersen trafen auf die Stuhlbeine und seine Finger bekamen das Kabel des Hörers zu fassen, begannen sich damit zu beschäftigen. „Der Noah war involviert und Yu, Allen und ich, wir haben ihn getroffen, außerhalb der Stadt“, begann er dann zu erzählen und Komui lauschte ihm angespannt und konzentriert, schien seine Umwelt und die stöhnenden Wissenschaftler nicht mehr wahrzunehmen. „Bei dem Angriff handelte es sich nie um ein Innocence“, erhob sich Lavis Stimme weiterhin an seinem Ohr, „sondern um den Plan des Noah, möglichst viele Exorzisten anzulocken.“ „Weshalb?“ Stockend blickte Komui auf und in ihm lebte eine Befürchtung auf, die Lavi leider bestätigen musste. „Das Ziel war einzig und allein Allen.“ „Aber es geht ihm gut“, vergewisserte sich Komui erneut und River blickte auf, als er sich das Gesicht rieb. Lavi konnte ihn beruhigen, doch die Sache wurde dadurch nicht einfacher. „Dass Allen dem Grafen ein Dorn im Auge ist, wussten wir“, murmelte er, stemmte sich auf den Schreibtisch zurück, „aber dass er so schnell Maßnahmen ergreift und einen Noah auf ihn ansetzt… er scheint es sehr eilig zu haben.“ Kurz verstummte er, lauschte in den Hörer. „Wie seid ihr da raus gekommen?“ „Tja.“ Unwirsch gestikulierte Lavi mit der Hand. „Yu’s Anwesenheit hat wohl dazu geführt. Durch sein rigoroses Eingreifen konnte sich Allen in Sicherheit bringen.“ Für einen kurzen Moment fand Komui keine Worte. Ziellos starrte er um sich, presste die Lippen aufeinander und wurde noch immer gemustert. River konnte die Anspannung des Vorgesetzten nicht entgehen und aufmerksam behielt er ihn im Auge. „Er ist gegen einen Noah angetreten?“, vernahm er kurz darauf sein ungläubiges Flüstern. „In seinem Zustand?“ Komui wollte es nicht glauben und River hob die Augenbrauen. „Was zur Hölle ist bei euch passiert?“, erkundigte sich Komui nach einem irritierten Kopfschütteln. „So schlecht kann sein Zustand kaum gewesen sein“, erwiderte Lavi daraufhin, machte es kurz und schmerzlos. „Der Noah ist tot.“ Unter einem perplexen Blinzeln löste sich Komui vom Schreibtisch, sprachlos öffnete sich sein Mund und River ließ die Tasse sinken. „Durch die Ablenkung gelang es mir, Allen fortzuschicken“, fuhr Lavi fort, den die Stille in der Leitung nicht verwunderte. „Natürlich hat Yu einiges abgekriegt aber den Umständen entsprechend sind wir unglaublich glimpflich davongekommen.“ Die Erleichterung ließ sich dennoch kaum greifen und Komui wendete den Hörer an das andere Ohr, stemmte die Hand in die Hüfte und schüttelte erneut den Kopf. Lavi schloss sich seiner Schweigsamkeit nur kurz an. „Das ist der Stand der Dinge, grob gefasst“, murmelte er und betrachtete sich den schwarzen Golem. „Wir sind um eine Gewissheit reicher und um einen Gegner ärmer.“ Er versuchte sich in einem Lächeln, welches gründlich misslang. „Alles Weitere sollten wir besprechen, wenn wir zurück sind.“ „Ähm… ja.“ Damit war Komui einverstanden. Er rieb sich die Stirn, wandte sich ziellos zur Seite und nickte in sich hinein. „Ja, gut.“ Den geklärten Fragen waren neue gefolgt, doch ein Telefonat war nicht der beste Weg, diese zu beantworten und letztendlich fühlte er sich in den Momenten zu überfordert, um lange Gespräche zu führen. „Wie verfahren wir weiter?“, erkundigte sich Lavi kurz darauf und Komui zwang sich zur alten Konzentration, stieß einen langen Atemzug aus. „Allen soll sofort zurückkommen“, entschied er sich nach flüchtigen Grübeleien. „Jetzt, wo wir wissen, dass man es wirklich auf ihn abgesehen hat, habe ich ihn lieber erst einmal hier. Für Provokation und beabsichtigte Kämpfe ist es zu früh.“ „Mm-mm“, stimmte Lavi zu. „Er soll sich unverzüglich auf den Rückweg machen und das um Himmels Willen nicht alleine. Die beiden anderen Exorzisten sollen mit ihm zurückkehren. Schickt auch Finder mit. Wenn Kanda etwas Erholung nötig hat, dann könnt ihr euch Zeit dafür nehmen und später folgen.“ „Ein oder zwei Tage sollten wir uns schon nehmen.“ Lavi war sichtlich zufrieden mit der Entscheidung, sein Finger drehte sich abermals um das Telefonkabel. „Allen gebe ich sofort Bescheid.“ „Ruft an, wenn ihr noch länger braucht.“ Somit driftete Komui bereits der Verabschiedung entgegen und die hatte er auch nötig, um sich selbst damit auseinanderzusetzen. Kurz darauf ließ er den Hörer sinken und legte ihn auf den alten Platz zurück. Noch immer wurde er angestarrt und kurz lugte er zu River, bevor er sich auf den Tisch stemmte, die Lippen aufeinanderpresste und seine Augen ziellos über die Utensilien hinwegschweiften. Mit einem flinken Griff wurde der Golem abgekoppelt und in der alten Tasche verstaut. Gleich darauf kam Lavi auf die Beine, streckte sich kurz und steuerte auf die Tür zu. Allen zum schwarzen Orden zurückzuschicken, war wirklich das Beste, was man tun konnte und nun lag es an ihm, all das schnell in die Wege zu leiten. Ein Vorhaben, auf das er sich konzentrierte und über dessen Grenzen er sich in diesen Momenten noch nicht hinwegbewegen wollte. Eins nach dem anderen, anders ließ es sich nicht handhaben. Gemächlich drückte er die Klinke hinab, schob sich in den Flur hinaus und machte sich auf die Suche. Vor kurzem war Allen in einem der Nebenräume verschwunden, doch nun erspähte Lavi ihn vor dem Haus. Durch einen riesigen Riss der Fassade, konnte er ihn vom Flur aus erkennen und seine Schritte verschnellerten sich, als er sich auf den Weg machte, ihm Gesellschaft zu leisten. Allen wirkte etwas unentschlossen, während er die Handfläche unter dem goldenen Golem bewegte, nicht so recht einzutauchen wusste in die Masse der Beschäftigten. Lavi kam ihm da sehr gelegen und er hob die Augenbrauen, als er neben ihm stehen blieb. „Hast du Komui erreicht?“, erkundigte er sich sofort und der Ältere stemmte die Hände in die Hüften, nickte. „Und…“, der Jüngere ließ die Hand sinken, als sich Timcanpy in die Lüfte erhob, „… was hat er gesagt?“ „Wir haben nur kurz gesprochen.“ Flüchtig sah sich Lavi um, hielt bereits Ausschau. „Und ich befürchte, dass sich unsere Wege hier erst einmal trennen.“ Er lugte zu Allen und dieser verschränkte die Arme vor dem Bauch, konnte sich denken, worauf Lavi anspielte. Es war zu offensichtlich und die Rolle, in der er sich plötzlich als Zielobjekt wiedersah, ließ keine andere Möglichkeit zu. Eine Rolle, in die er nicht passte, die er nicht mochte. Und dennoch nickte er. „Komui erwartet dich im Hauptquartier.“ Ein aufmunternder Klaps traf seine Schulter. „Wirst dich auf dem Weg auch nicht langweilen. Die anderen Exorzisten wurden auch zurückbeordert.“ „Und ihr nicht?“, erkundigte sich Allen. „Schau mal.“ Das flüchtige Grinsen war verblasst, als Lavi seufzend die Hand auf der Schulter des Jungen bettete. „Du weißt, was passiert ist. Und am wichtigsten ist es jetzt erst einmal, dass du heil nach Hause kommst. Wir kommen nach, sobald sich Yu etwas ausgeruht hat.“ „Gut.“ Dafür hatte Allen Verständnis. Er schien einsichtig, doch als sich Lavi in Bewegung setzte, blieb er stehen. „Jetzt suchen wir erst einmal nach den beiden anderen und schauen, wen wir noch mitschicken.“ Sich umblickend schlenderte Lavi los, winkte den anderen mit sich und hielt inne, als er bemerkte, dass man ihm nicht folgte. Verwundert wandte er sich um, sah zu Allen zurück und eine nachdenkliche Miene, Augen, die unentschlossen über den Boden schweiften. Er hob die Brauen. „Was ist mit dir?“ Und endlich setzte sich der Junge in Bewegung, kam auf ihn zu. „Lavi“, hob er an, als er ihn erreichte und der Ältere legte den Kopf schief. Unentschlossen rieb sich Allen den Arm, rümpfte die Nase und blickte ihn kurz darauf offen an. „Das, was vorhin passiert ist…“ „Mm.“ Sofort verstand Lavi, doch der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe das nicht. Was ist da in ihn gefahren? Ich habe ihn nicht wieder erkannt.“ Fragen, die Lavi erwartet hatte… und unentschlossen versenkte er die Hände in den Hosentaschen, ging einen Schritt, trat einen Stein bei Seite und drehte sich zu Allen um. Eine gewisse Gelöstheit ließ sich in seinen Zügen erkennen, auch ein mildes Lächeln. „Wenn ich es selbst wüsste, ginge es mir bestimmt besser“, gab er zu und zuckte bedauernd mit den Schultern. „Aber ich weiß es nicht und derzeit bleibt mir nichts andere übrig, als Komuis Befehlen zu folgen. Uns allen bleibt nichts anderes übrig und sobald er etwas geschlafen hat, sieht die Welt schon ganz anders aus. Du wirst es sehen.“ Eine Antwort, die Allen nicht zufrieden stellte und doch ein offensichtliches Zeichen, dass er nicht vielmehr erhalten würde, als diese Worte. Unentschlossen blieb er stehen, seine Pupillen drifteten zur Seite und bald darauf zwang er sich zu einem einsichtigen Nicken. An Verständnis war er nicht reicher… die Situation verlor auch nicht an verwirrender Wirkung. Es blieb unklar und dagegen die Tatsache umso offensichtlicher, dass Lavi mehr wusste, als über seine Lippen kam. Vieles blieb wohl verschwiegen, doch nicht ohne Grund und Allen fügte sich. „In Ordnung“, erklärte er sich bereit und setzte sich in Bewegung, zog an Lavi vorbei, der ihm kurz nachsah. „Lass uns gehen.“ ~*tbc*~ Kapitel 11: ~1~ --------------- Lange und durchaus etwas schweigsam gingen die Beiden nebeneinander. Suchende Blicke in alle Richtungen waren eine akzeptable Entschuldigung für die Stille und beileibe dauerte es nicht lange, bis sie die beiden Exorzisten fanden und mit den Befehlen vertraut machten. Es ging schnell… sofortiges Einverständnis und ebenso einfach war es, sieben der Finder abzuziehen und mitzuschicken. So war zumindest die Sicherheit eines Menschen garantiert und bald standen sie voreinander. Abermals in ein Gespräch vertieft, blieben die beiden Exorzisten unter sich, umgeben von den Findern, genossen sie den Schatten eines Baumes und Allen seufzte annähernd lautlos, hielt kurz nach Timcanpy Ausschau und erkannte dasselbe aufbauende Lächeln auf Lavis Lippen, als er den Golem fand. „Wir sehen uns bald wieder.“ „Ja.“ Das Gesicht gesenkt, rückte Allen an dem Kragen der Uniform und blähte die Wangen auf, wurde unterdessen aufmerksam im Auge behalten. Es war kein Geheimnis, woran der Junge dachte, zu offensichtlich, was in ihm vorging und bevor er sich in alle die Sorgen vertiefen konnte, traf ihn ein kameradschaftlicher Schlag auf der Schulter, ließ ihn inne halten und aufblicken. „In spätestens drei Tagen nerve ich dich wieder.“ Lavis Grinsen vertiefte sich, kurz regten sich seine Finger auf der Schulter des Jüngeren. „Und in spätestens drei Tagen wirst du auch wieder Yu’s sonnige Miene genießen können.“ „Oh.“ Ein unsicheres Grinsen zog an Allens Lippen, doch letztendlich war dieses Versprechen wirklich verlockend. „In Ordnung… was freue ich mich drauf.“ „Kannst du ruhig.“ Somit rüttelte Lavi kurz an ihm, löste die Hand von seiner Schulter und schob ihn gleichsam von sich und in die Richtung, in die ihr Weg sie führte. „Jetzt beeil dich. Euer Zug kommt bald.“ Somit setzte sich die Gruppe in Bewegung, machte sich auf den Weg und wurde eine lange Zeit beobachtet. Lavi war stehen geblieben. Die Arme vor dem Bauch verschränkt, rollte er einen Stein unter der Sohle, bearbeitete die Lippen mit den Zähnen und wartete dort, bis die Gruppe hinter den wenigen Bäumen verschwand, die die Stadt von einer trockenen Einöde trennte. Durch diese Steppe würde sich der Zug schlängeln, die Haltestelle war nicht sehr weit entfernt und Lavi war zuversichtlich, als er sich abwandte, die Pupille zu Boden senkte und dem Stadtrand den Rücken kehrte. Stets um sich blickend, machte er sich so auf einen ziellosen Weg. Durch Gassen und all die Menschen, die sich auf den Plätzen tummelten. Doch auf die Umgebung der Gruppen achtete er weniger, eher noch suchte er verlassene Orte auf. Orte, bei denen die völlige Zerstörung vorherrschend war, bei denen es nichts mehr zu tun, nichts mehr zu retten galt. Zerstörte Fundamente und vergangene Brände, die die Häuser bis auf die Grundmauern zerfressen hatten… sie waren seine Gefährten und einige Zeit stieg er durch zertrümmertes Gestein, tastete sich an porösen Mauern vorbei und blickte aufmerksam um sich. Er suchte und wurde fündig. Seine Fingerkuppen glitten an einer rauen Fassade entlang, einen letzten Schritt tat er um eine Ecke und blieb stehen. Zielstrebig richteten sich seine Augen auf einen Punkt und er verharrte reglos, die Hand noch immer erhoben, die Andere reglos gesenkt. Für einige Momente musterte er schweigsam und seine Lippen pressten sich aufeinander, als er sich einmal mehr der Tatsache bewusst wurde, dass er… ja, dass er einen solchen Anblick nicht mochte. An einem Fleck, an welchem er sich sicher vor etwaiger Aufmerksamkeit zu fühlen schien, hatte sich Kanda auf dem Boden niedergelassen. Er kauerte dort und nicht weit entfernt an einer Mauer. Die Beine zu sich gezogen, die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht auf die Arme gebettet, schien er zu schlafen und doch nicht von der geringsten Last befreit. Reglos schlängelte sich das lange Haar über den Arm… nur nachlässig war es erneut zum Zopf gebunden worden. Die Hände, kraftlos gesenkt, wiesen noch immer Spuren des fremden Blutes auf. Kanda schien nicht viel Wert darauf gelegt zu haben, sich achtsam zu säubern. Der zerschlissene Stoff der Uniform war von einer dünnen Staubschicht bedeckt, nicht weniger die Klinge Mugens, welches neben ihm am Gestein lehnte. Es hatte seine Aufgabe getan. Er musste sich zurückgezogen haben, sobald sie in die Stadt zurückgekehrt waren. Lavi hatte ihn einfach aus den Augen verloren und doch war es ihm kein Mysterium gewesen, wohin er gegangen war. Fort von etwaigem Trubel, weit entfernt von den lauten Stimmen der Finder und all dem, was ihn mit der Realität konfrontierte und mit allem, was sich in dieser abgespielt hatte. Und doch… musste es nun weitergehen. Für ihn, für sie beide und Lavi löste die Hand vom Gestein der Fassade, verschränkte die Arme vor dem Bauch und starrte zu Boden. Man hatte ihnen also Zeit gegeben und ein letztes Mal sinnierte er darüber, wie sich diese am besten nutzen ließ. Auf welche Art und Weise man sie wertvoll machen konnte. Wertvoll und nützlich für diesen jungen Mann, dessen Haltung mehr als symbolisch war, mehr als offensichtlich verräterisch und so anders, als die Gewohnte, mit der er einem stets begegnete. Wie sah die Erschöpfung aus, wenn nicht so? Zu Boden gegangen, in sich zusammengesunken und müde… Es gab wohl nur eines, was nun wichtig war und nach einem tiefen Durchatmen setzte sich Lavi in Bewegung. Das Gestein knirschte unter seinen Stiefeln und er legte keinen Wert darauf, sich unauffällig zu nähern, verriet sich früh und erblickte dennoch keine Reaktion. Er schien wirklich zu schlafen und wie ernüchternd war allein das Faktum, dass seine Sinne und seine vorsichtige Aufmerksamkeit ihn nicht sofort in die Höhe fahren ließen. Wie gepeinigt konnte ein Körper sein, dass selbst die Instinkte erstarben? Vor der Gestalt kam Lavi zum Stehen, betrachtete sich die Schultern, die sich unter tiefen Atemzügen hoben und senkten und ließ die Arme sinken. Er hatte einen Entschluss gefasst, einen Plan ausgearbeitet, der keine Ausweichmöglichkeiten bot. „Yu?“ Ruhig sprach er ihn an, hob die Augenbraue und rümpfte die Nase, als sich der Angesprochene noch immer nicht regte. Annähernd erschütternd und er stieß ein leises Seufzen aus, als er in die Knie ging, vor ihm hockte. „Yu, wach auf.“ Und endlich schien man ihn zu bemerken. Kanda begann sich zu regen. Seine Finger spreizten sich, das Gesicht wendete sich zur anderen Seite und er benötigte einige Momente, um die Benommenheit des Schlafes von sich zu streifen. Schweigsam verfolgte Lavi, wie er sich etwas aufrichtete, sich die Augen rieb und in derselben Bewegung noch eine störende Strähne zurückstreifte. Irgendwann blickte er dann auch auf, starrte mit trüben Augen an Lavi vorbei und kratzte sich innig im Hals. Verriet ihm nicht das Bewusstsein, dass Lavi ihn abermals in einer solchen Lage vorgefunden hatte? Und rügte ihn sein Stolz nicht der offensichtlichen Schwäche? Keine Rechtfertigung, keine Ablenkung… nicht einmal der Hauch einer Aggression; in allen Facetten schien er ein Anderer zu sein und Lavi machte die Stille nicht überstürzt zunichte, blieb dort kauern, stemmte die Ellbogen auf die Oberschenkel und betrachtete sich das Gesicht, das durch den Schlaf nicht den geringsten Teil seiner gesunden Farbe zurückerlangt hatte. So fahl war es lange nicht mehr gewesen und es fiel Lavi schwer, zielstrebig zu bleiben, sich nicht mitreißen lassen von diesem Anblick, der bestenfalls einen Alptraum kleidete. Es ging ihm leichter von der Hand, indem er den Blick abwandte. Also schaute er zur Seite und hinüber zu einem Berg aus Schutt und Asche. „Wir sollten aufbrechen“, murmelte er nebenbei. „Die Station ist nicht weit entfernt und der Zug dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen.“ Und Kanda begann sich zu regen. Unter einem annähernd gleichgültigen Nicken löste er die Arme von den Knien, stemmte die Hände träge hinab zu Boden und machte sich daran, auf die Beine zu kommen. Lavi war bereits aufgestanden mit jeder schwerfälligen Bewegung, die er sah, wuchs seine Sicherheit, sich für das Richtige entschieden zu haben. Von der Wendigkeit des Schwertkämpfers schien kaum etwas zurückgeblieben zu sein, als er sich erhob, sich an dem Mauerwerk hinauf tastete und träge zum Stehen kam. Kein Widerwort, nicht einmal eine Frage…? Selbst die Lust Gebrauch von seiner Stimme zu machen, hatte sich davongestohlen und es kam recht gelegen in einem Moment, in welchem Lavi so oder so nicht mit sich hätte diskutieren lassen. Zufrieden und doch aufmerksam trat er zur Seite, ließ Kanda in aller Ruhe nach Mugen greifen und wandte sich ab. Wenige Kräfte schienen doch zurückgekehrt zu sein, wie er feststellte, als er sich in Bewegung setzte und man ihm wortlos folgte. Die Schritte seines Gefährten wirkten halbwegs sicher, wenn auch schleppend… er schien sich problemlos auf den Beinen halten zu können und Lavi vermied es bedacht, zu oft zu ihm zu blicken, ihn zu mustern, zu kontrollieren. Die Schweigsamkeit fand gegenüber einer zynischen Bemerkung seine Bevorzugung. Es war der falsche Moment, um ungewollt zu provozieren und so ging er neben ihm, als hätte sich nichts zugetragen. Die Augen auf den Weg gerichtet, bahnte er sich seinen Weg durch die Finder und die Stadt. Das Gebirge lag auf der anderen Seite der Mauern und zumindest auf dem Rückweg sollte ihnen das Glück zuteil werden, ohne unnötige Anstrengungen zu reisen. Kein Zeitdruck… nichts, das es ihnen erschwerte und bald gab es nur noch ihre Schritte auf dem steinigen Weg, der sie durch eine Einöde zur Bahnstation führte. Und der Schatten, der behäbig vor ihnen lag. Starr verfolgte Kanda, wie sich das Gestein unter ihm verfinsterte. Auch an einem verdorrten Strauch blieb er hängen und seine Lippen versiegelt. Das Mugen schwankte neben ihm und an seiner Hand, während das wirre Haar sein Gesicht kitzelte und er es kaum spürte. Auch der sandige Wind, der ihre Haut wie Schleifpapier bearbeitete, drang nicht in sein Bewusstsein und er schluckte unter der Trockenheit in seinem Hals. Schluckte schwer und oft, blinzelte, wenn seine Augen zu brennen begannen. Würde er sich mit dem auseinandersetzen, was ihn beherrschte… was unter der Oberfläche lag, so würde er keine Worte finden. Keine Gedanken, mit denen er sich selbst damit in Verbindung setzen könnte. Es war… dumpf. Es war kalt und reglos. Eine Empfindung, als läge unter seiner Haut ein Stahl, der sich nicht biegen ließ, der sich nur den automatischen und gedankenlosen Bewegungen hingab und nicht seinem Willen. Eine Lunge, die einen jeden Ton für sich behielt. Seine Lippen, die ein jedes Wort hinter sich versiegelten und eine stoische Apathie, in der es ihm nicht danach verlangte, es dennoch zu versuchen. Eine Betäubung… er fühlte sich gelähmt, wie durch ein Gift und in sich keine Kräfte, keinen Willen, dagegen anzukämpfen. Eine gähnende Leere, die ihm jedes Sinnieren verwehrte, keinen Gedanken in ihm aufleben ließ. Die Lider senkten sich, kurz verbargen sie die glasigen Pupillen und schwer fiel es ihm, tief Luft zu holen. Die Sonne brannte auf sie nieder und neben ihr ein Gewicht, das schwerer war, als eine jede Hitze. Auf seinen Schultern, dumpf und fortwährend. Abermals gierte er nach dem Sauerstoff, reckte den Hals und schluckte abermals. Dort in seiner Kehle spürte er einen Druck, der sich bis in seine Brust erstreckte. Eine schiere Enge, die ihm das Atmen erschwerte. Bleib stehen, baten seine Knie, die sich bei jedem Schritt behaupten mussten. Finde zur Ruhe, flehte seine Stirn, hinter der sich kontinuierliches Pochen erhob. Finde zur Ruhe… und er regte die Lippen, schürzte sie, presste sie aufeinander, sowie die Hand um das Heft des Mugen. Ein Zucken durchfuhr seine Mimik. Würde er in diesen Augenblicken zu Grunde gehen, würde er es kaum spüren. Und doch… immer weiter und geradeaus und trübe blickte er auf, starrte zu der kleinen hölzernen Station, die sich weit vor ihnen erhob. Ein kleines Häuschen, das die Wartezeit angenehmer gestaltete. Ein hölzerner Steig, der sich nicht weit erstreckte. Kein großer Blickfang und doch lösten sich die dunklen Augen des jungen Mannes keinen Augenblick von dem unbedeutsamen Punkt. „Mm.“ Sich das Kinn kratzend, lehnte sich Lavi zu dem etwas mitgenommenen Fahrplan, studierte ihn flüchtig und lugte zu der kleinen verstaubten Uhr, die die Station zu bieten hatte. Und es würden nur Minuten sein. Ein Luxus, der ihm sehr gelegen kam. Damit war er wirklich zufrieden und er beschattete das Auge mit der Hand, als er dem Plan den Rücken kehrte, zu dem Gleis trottete und in beide Richtungen spähte. Lieber im Schatten des kleinen Wartehäuschens verharrte Kanda. Das Mugen neben sich gelehnt, die Arme vor dem Bauch verschränkt, verschonte er sich vor dem gleißenden Licht, vertiefte sich vielmehr in den Kampf, die Augen offen zu halten, wenn sie derzeit auch nicht existente Punkte bevorzugten. Die Hitze… der Staub, der sich in seine Atemwege setzte… die Müdigkeit seiner Glieder. Es war die Realität, die er spürte, in die er sich benommen zu vertiefen versuchte. Er war hier und jetzt und am Leben. Er lebte und der Kampf war fernab und somit etwas, das ihn nicht mehr zu beschäftigen hatte. Mit dem Einen abschließen, um sich dem Nächsten hinzugeben und er runzelte die Stirn, als er sich in der Konzentration versuchte und damit, seine Gedankenwelt am Leben teilhaben zu lassen. Doch dieser Sog, der ihn mit erschreckender Kraft in die Teilnahmslosigkeit zog, ihn abschottete, wollte es ihm verwehren, es einfach nicht gestatten. Lavis Seufzen drang an seine Ohren und mit gesenktem Kopf blickte er auf, spähte zu seinem Gefährten, der die Hände in die Hüften stemmte, sich die Beine auf den hölzernen Dielen vertrat. Apathisch verfolgte er die Bewegungen des jungen Mannes. Regungslos verharrte seine Mimik, allein seine Pupillen folgten. Diese Beobachtung, der er starr nachging… Sie führte ihm vor Augen, dass Lavi hier war und in derselben Welt. Entgegen seinem Empfinden stand er nicht alleine hier. Kandas Lider erbebten, müde kapitulierte er, beendete die Musterung des Anderen und verbittert starrte er zur Seite. Flüchtig schenkte er seinen Augen Entspannung, behielt sie geschlossen und regte sich an der rauen hölzernen Stütze. Er wollte nicht hier sein… Hier? Nur leicht kamen seine Pupillen zum Vorschein, drifteten zur Seite und richteten sich auf die scheinbare Unendlichkeit dieser trostlosen Steppe. Der durch den staubigen Wind verhangene Horizont… die flimmernde Hitze… Das Gestein gab etwas nach, als Lavi von dem Steig trat, hinab zu den Gleisen und sich diese kurz betrachtete. Die Hände in die Hüften gestemmt, blieb er stehen, tippte den Stahl mit dem Fuß an und stieß ein laues Seufzen aus, bevor er die Schultern regte, zurücktrat und sich einfach hinsetzte. Auf dem Holz des Steiges hatte er es bequem, die festen Sohlen setzte er gegen die Gleisen und seine Arme fanden ihren Platz auf seinen Oberschenkeln, als er sich wenige dürre Sträucher betrachtete, die zwischen den hölzernen Gleisblanken wucherten. Lange konnte es nicht mehr dauern… lange sollte es auch nicht mehr dauern und er schöpfte tiefen Atem, regte die Füße an dem Gleis und starrte dieses kurz darauf wieder an, lauschte aufmerksam. Hier würde er den Zug zuerst hören und er lehnte sich nach vorn, verengte das Auge und nahm dennoch nichts wahr, was von einem schnellen Herannahen zeugte. Doch etwas anderes und er blickte auf, richtete sich auf und drehte sich. Eine Bewegung drang in seine Wahrnehmung. Kanda beugte sich hinab, gleichsam ließ er sich sinken, sich an dem Holz hinabrutschen, bis er dort hockte, die Arme abermals auf den Knien bettete und den Kopf zu ihnen sinken ließ. Eine flüchtige Regung, auf die wiederholte Stille folgte und Lavi vertiefte sich in diese Betrachtung, drehte sich weiter und kauerte bequem auf der Kante des Steiges. Ruhig streckte er ein Bein von sich, winkelte das Andere an und umschloss es mit den Armen. Einen tiefen Atem ausstoßend, stützte er die Wange gegen das Knie und schloss sich Kandas Stille an. Nicht lange hatten sie zu warten, bis die Gleise den Zug ankündigten, unter seinen Rädern surrten und summten. Auch die undeutlichen Umrisse ließen sich erkennen, als sich Lavi in die Höhe reckte und Ausschau hielt. Dort hinten war er und gemächlich kam er auf die Beine. Und er brauchte kein Wort darüber zu verlieren. Erneut schien Kanda dem Schlaf nicht verfallen zu sein, denn er reagierte ebenso, spähte auf und machte sich daran, auf die Beine zu kommen. Es passte ihm, dass ihre Reise nun begann. Es kam ihm sehr gelegen, sich all den Havarien, die ihn im Hauptquartier erwarteten, die ihn… Zuhause erwarteten, stellen zu müssen. Nicht zu flüchten, keine Zeit zu schinden… und so früh wie irgend möglich das Zimmer betreten zu können, in welchem er alleine war. In welchem ihn niemand erreichte. Jedes strafende Wort würde er über sich ergehen lassen, jeder Verwarnung lauschen, sich einer jeden Strafe beugen, ohne zu widersprechen, ohne sich zur Wehr zu setzen. Eine verlockende Möglichkeit, sich all dem ohne weiteres auszusetzen. Nun, da ihm der Wille für Widersinn fehlte, die Kraft, sich aufzulehnen. Es würde an ihm vorbeiziehen, wie einer dieser Alpträume und was auch immer ihn erwartete, es wäre harmlos, würde man Vergleiche aufstellen. Kurz darauf ratterte der Zug unter ihm. Das Polster in seinem Rücken war weich und er lehnte sich dagegen, streckte die Beine von sich, verharrte nachdenklich und still, während seine Fingerkuppen abwesend über das Heft des Mugen glitten. Dem Rothaarigen, der ihm gegenüber saß, schenkte er keine Aufmerksamkeit. Des Öfteren streiften ihn seine Augen, aber stets mit demselben stoischen Ausdruck, mit welchem er sich auch den Boden besah. Vielmehr als ihn, sah er die Reise vor sich, die ruhig verlaufen würde. Und das Ziel, das er auf sich nehmen würde. Begegnungen, Worte, Konsequenzen… Wunderbar, diese Stille… Lavi bewegte die Füße, kreuzte die Beine und zupfte am Reißverschluss seiner Uniform. Sie war erdrückend… so furchtbar und angepasst an das Befinden, das ihm gegenüber herrschte. Er wagte es kaum, laut zu atmen, sich zu bewegen. All das schien zu stören und Kanda spielte die Rolle des Erstarrten perfekt. Ja, annähernd so erschreckend, dass Lavis Bewegungen bald häufiger vorkamen. Ein lautes Gähnen, ein inniges Strecken, wirres Regen auf der Bank, Herumgerutsche… all die Dinge, die die angespannte Atmosphäre zerstörten und auf die Kanda dennoch keine Reaktion zeigte. Kein zielstrebiger, warnender Blick, kein Wort. Nichts, womit er sich sofort beschwert hätte. Vor wenigen Tagen hätte er ihn zumindest noch innerlich verflucht und Lavi wünschte sich, er täte jetzt dasselbe. Zielstrebige Provokation, die an den Nerven zehrte und alles, was er wollte, war eine Bewegung, ein Lebenszeichen, ein Deut auf vorhandene Aufmerksamkeit und möglicherweise ein Hauch des gewohnten Verhaltens, in welchem er auf charmante Art und Weise darum bat, endlich still zu sein. Doch der ausbleibende Erfolg trieb ihn bald ohnehin dazu und unter einem stillen Naserümpfen, rieb er sich das Kinn. Es hatte wohl keinen Zweck, jetzt auf Erfolge zu hoffen. Die ließen sich heute nicht mehr erzielen und nach einigen Augenblicken kam er auf die Beine, trat unbeachtet zum Fenster und spähte hinaus. Die trostlose Wüstengegend war einer annähernd idyllischen Landschaft gewichen. Wenige Häuser verrieten die Nähe einer Stadt und Lavi versuchte sich eine bessere Übersicht zu verschaffen. Sie konnten nicht mehr weit entfernt sein und er suchte überlegt nach Worten, bevor er dem Fenster den Rücken kehrte, sich unvermittelt an Kanda wandte. „Etwas dagegen, wenn wir hier aussteigen?“, erhob er die Stimme und wies auf das Fenster hinter sich. Schweigsam blickte Kanda auf, sah ihn an und tat nichts, was einer Reaktion ähnelte. Doch mit einem großen Widerstand wurde auch nicht gerechnet. Beinahe schon praktisch, dass er die letzten Kräfte und Nerven nicht für so etwas hergeben wollte. Lavi hatte ein leichtes Spiel und war sich dessen sehr bewusst. „Komui hat uns nicht unter Druck gesetzt und ich habe auch eher Lust, mich irgendwo auszuruhen, als die Zeit einer langen Reise totzuschlagen.“ Er hob die Augenbrauen, griente. „Und die erwartet uns.“ „Mm.“ Naserümpfend starrte Kanda zu Boden. Etwas Derartiges hatte er nicht erwartet. Es widersprach seinen Plänen völlig. Sich den Konsequenzen zu stellen… alles hinter sich zu bringen, anstatt es vor sich herzuschieben. Und darauf lief es doch hinaus. Geduldig wartete Lavi und auf der anderen Seite des Fensters tauchten immer mehr Häuser auf. Andererseits… ein Bett käme ihm jetzt auch gelegen und die Konsequenzen würden ihn so oder so erreichen, wobei es keine Frage spielte, wann sie es taten. „Meinetwegen“, murrte er letztendlich nur und Lavi wirkte nicht sehr überrascht. Er nickte lediglich, lugte erneut zum Fenster und spürte, wie der Zug bereits an Geschwindigkeit verlor. Die Stimme hatte er also nicht verloren… wie überaus beruhigend. „Dann komm.“ Er winkte, löste sich vom Fenster und machte sich auf den Weg zu den Türen, während die Bremsen des Zuges leise zu quietschen begannen und sich der Zug in eine kleine Bahnstation schlängelte. „Die Stadt ist zwar nicht groß aber wir finden schon was.“ Ohne auf den Anderen zu achten, erreichte er die Tür. Ein Ruck erfasste den Zug, die Kabinen kamen zum Stillstand und flink war ein Hebel umgestellt und die Tür geöffnet. Eine angenehme Wärme zog Lavi entgegen, als er sich nach draußen lehnte, die Nase in den leichten Wind hielt und unter der Helligkeit blinzelte. Viele Menschen waren hier wirklich nicht unterwegs und mit einem Satz stand er auf dem steinernen Steig, entfernte sich um einen Schritt vom Zug und verschaffte sich eine knappe Orientierung. Kanda war weniger nach Springen zumute. Träge stieg er die einzelnen Stufen hinab. Das Mugen nahe bei sich haltend, suchte er sogar den Halt des Türhebels und nur desinteressiert schloss er sich Lavis Beobachtungen an, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. „Warst du hier schon mal?“ Nachdenklich kratzte sich der Rothaarige am Kopf, lugte zu ihm und bekam ein stoisches Kopfschütteln geboten. „Wo lang gehen wir?“, wandte er sich wieder ab. „Nach links oder nach re…“ Kanda übernahm die Antwort. Lustlos setze er sich in Bewegung, steuerte nach links und machte sich auf den Weg ins Ungewisse. Kurz wurde ihm nachgeschaut, bevor man ihm folgte. Nun, es schien wirklich nichts zu nützen und Lavi entschied sich für das Schweigen, während er neben ihm durch die vielbegangenen Straßen zog. Es war nicht gerade wenig Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde. Das blanke Mugen bewegte sich über dem Boden, als wären sie zu einem Kampf unterwegs und auf ihrer Suche gerieten sie in kein Gedränge. Stets einen freien Umkreis konnten sie genießen und niemand von ihnen hatte wohl die Muse, sich daran zu stören. Bald präsentierte sich ihnen auch ein Haus, das einer Herberge ähnelte. Die Schriftzeichen auf dem hübschen Schild ließen sich leider nicht entschlüsseln aber als Lavi auf gut Glück die Tür öffnete und ins Innere des Hauses spähte, erhellte sich sein Gesicht. Hier schienen sie richtig zu sein. Ein mit Holz verkleidetes Zimmer tat sich vor ihnen auf und dort hinter der dem Rezeptionstisch werkelte ein Mann, der den Gästen sofort Aufmerksamkeit schenkte. Erleichtert trat Lavi ein, ließ von der Klinke ab und tastete nach dem Schal, der kurz davor war, sich aus dem Staub zu machen. Hinter ihm folgte Kanda und sein Interesse ließ zu wünschen übrig. „Guten Tag.“ Grüßend hob Lavi die Hand und der Mann begegnete ihm mit einem breiten Grinsen, welches etwas verblasste, als er den zweiten Gast und sein Mitbringsel erspähte. Nicht darauf achtend, drehte sich Kanda zur anderen Seite, erkannte eine hölzerne Treppe, die in die erste Etage führte. „Ähm…“, bedacht lenkte Lavi die Aufmerksamkeit zurück auf sich, stemmte sich auf die Theke und legte den Kopf schief. „Sprechen Sie Englisch?“ „Eh… natürlich, mein Herr.“ Endlich gelang es dem Mann, die Augen von Kanda zu lösen und Lavi konnte seine Erleichterung nicht verstecken. „Was wünschen Sie? Ein Zimmer?“ Und er konnte es nicht verhindern, musterte die Kleidung der Beiden, sowie das schimmernde Rosenkreuz. „Genau“, erwiderte Lavi. „Lieber wären uns sogar zwei. Haben Sie noch etwas frei?“ „Ja, natürlich.“ „Wunderbar.“ Daraufhin sah sich Lavi etwas auf der Theke um. Hinter ihm herrschte Stille, als er sich einen der dort liegenden Zettel und Stifte schnappte. „Wir wissen nicht genau, wie lange wir bleiben aber schicken Sie die Rechnung…“, flink machte er Gebrauch von dem Kugelschreiber, schob dem Mann den Zettel zu, „… einfach dahin. Sie wird umgehend beglichen.“ Ein ungewohntes Verfahren, doch der Mann nickte, als er nach dem Zettel griff, ihn anhob… und inne hielt. Wortlos öffnete sich sein Mund, ebenso still starrte er auf die beiden Gäste und unter einem weiteren Nicken ließ er den Zettel in der Hosentasche verschwinden. „Selbstverständlich“, ertönte noch seine Stimme, als er kurz hinter der Theke verschwand. Kurz darauf ließen die beiden die Treppe hinter sich und fanden sich in einem schmalen Flur wieder, an denen sich so einige Türen reihten. Nur flüchtig mussten sie sich umschauen, um fündig zu werden und entspannt wendete Lavi den Schlüssel in der Hand, als er vor seiner Tür stehen blieb. Ihm gegenüber erreichte auch Kanda sein Ziel, kehrte ihm dem Rücken und hob die Hand zur Klinke. „Yu?“ Lavis Stimme ließ ihn inne halten. Auf der Klinke verharrte die Hand kurz reglos, bevor er sie hinabdrückte, die Tür öffnete. Der Ältere ließ sich mehr Zeit, drehte den Schlüssel zwischen den Fingern und wurde sich einmal mehr der Tatsache bewusst, dass es wieder keine Reaktion auf seine für Kanda unangenehme Angewohnheit gab. „Wir haben Zeit, also schlaf solange du willst und wenn du die Müdigkeit los bist, stellen wir uns ganz entspannt dem Rest der Reise.“ Eine Antwort wurde nicht erwartet, hinzukommend ihm noch immer der Rücken präsentiert und so wandte auch er sich seiner Tür zu, öffnete sie und warf einen neugierigen Blick in sein Zimmer. Gar nicht so übel und er tat den ersten Schritt. „Hey“, wurde er unvermittelt angesprochen und blieb stehen. Im Rahmen drehte er sich um, hob erwartungsvoll die Augenbraue und begegnete einem scharfen Blick, der ihn annähernd drohend durchbohren zu wollen schien. Über die Schulter starrte Kanda zu ihm und sein Gesicht entspannte sich. Starr und unablässig blieben die dunklen Pupillen auf ihn gerichtet und er konnte sich beileibe nicht erklären, weshalb er so etwas verdient hatte. „Egal, was du gesehen hast und was du zu wissen glaubst“, annäherungsweise feindselig verengten sich die Augen und der Rothaarige schöpfte tiefen Atem, „vergiss es und verlier kein Wort darüber!“ Als wäre auf der Lichtung nichts geschehen… Lavi stemmte die Hand in die Hüfte, ließ den Schlüssel von den Fingern baumeln. „Darüber solltest du dir jetzt keine Gedanken machen“, erwiderte er und bewahrte sich den ruhigen entspannten Tonfall. Letztendlich kamen diese Worte nicht überraschend. „Lass uns erst einmal schlafen und vielleicht später darüber sprech…“ „Genau darum geht es…!“ Kandas Stimme senkte sich zu einem scharfen Fauchen, als er sich zu ihm wandte, ihn finster taxierte. „Einen Dreck werde ich tun und du hast still zu sein und deine Nase nicht in Angelegenheiten zu stecken, die dich nicht das Geringste angehen!“ „Ah.“ Lavi entrann ein leises Seufzen und der Schlüssel klimperte an seiner Hand, als er sie hob, sich am Kinn juckte. Wie könnte es auch anders sein? Wie könnte Kanda sich freiwillig an die eigenen Tränen erinnern, wenn er sich nun in einer Lage befand, in der es nur sie beide gab? Und ehrlich gesagt hatte Lavi keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen, die von Müdigkeit und geschundenen Nerven in eine rabiate Richtung gelenkt wurde. Flüchtig grübelte er, juckte sich weiter und hob die Hand zu einer beruhigenden, jedoch abweisenden Geste. Lauernd verfolgte Kanda die Bewegung. „Wir werden sehen“, erhielt er daraufhin die ausgeglichene Reaktion. „Wir sollten jetzt wirklich erst einmal…“ „Du sollst antworten!“ Kanda unterbrach ihn verbittert, seine Hand fand den Türrahmen und mit einem Schritt näherte er sich Lavi. „Wir werden einen Teufel tun, bevor du mir nicht versichert hast, dein ungezügeltes loses Mundwerk in Zaum zu halten!“ „Wie bi…?“, Lavi versagten die Worte. Beinahe irritiert starrte er sein Gegenüber an und rang sich letztendlich doch nur zu einem zermürbten Stöhnen durch. Er verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und tastete unterdessen bereits nach der Tür. „Weißt du, ich werde gar nichts machen, bis sich ordentlich mit dir reden lässt. Was du jetzt brauchst, ist keine Antwort, sondern gehörig viel Schlaf.“ Er nahm das Zucken im Gesicht des Anderen wahr, trat jedoch zurück und machte sich schon daran, die Tür zu schließen. „Also, schlaf gut.“ Kurz die Hand gehoben und schon wurde die Tür geschlossen und Kanda stehen gelassen. Und eine Stille des Entsetzens folgte… Kein anderes Geräusch drang an Lavis Ohren, als er den Schlüssel im Schlüsselloch versenkte und abschloss. Bildlich konnte er sich vorstellen, wie Kanda dort stand und seinen Augen nicht traute. Und doch war es das Beste und er kehrte der Tür den Rücken. Es blieb ihm nun genug Zeit, sich umzuschauen und er stemmte die Hände in die Hüften, blähte die Wangen auf und betrachtete sich das Bett. Es sah wirklich gemütlich aus und doch hatte er es nicht so nötig, wie ein anderer… der außerdem wieder zu sich zu finden schien. Es dauerte nicht lange, bis Lavi unter dem Donnern einer anderen Tür zusammenzuckte, das Gesicht verzog und doch nicht um ein knappes Schmunzeln kam. „Man, man, man.“ Kopfschüttelnd rieb er sich die Stirn, erfasste auch das Stirnband und zog es sich aus dem Haar. Er kam schnell darüber hinweg, warf es auf eine nahe Kommode und schlenderte zum Fenster, um hinauszuspähen. Da unten auf der Straße war noch großer Betrieb und trotzdem würde er hier seine Ruhe haben. Auch er hatte sie nötig… würde sie jedoch nicht ausschließlich damit verbringen, zu schlafen. Bald zog er die Gardine vor das Fenster, ließ sich auf das Bett sinken und testete die Bequemlichkeit der Matratze. Er wippte, war zufrieden und machte sich daran, sich von den Stiefeln zu befreien. Und kurz driftete sein Auge zur Tür. Hoffentlich entschied sich Kanda wirklich für den Schlaf und nicht dazu, lieber noch etwas zu wüten, bevor er sich etwas Gutes tat. Immerhin kam es wohl nicht oft vor, dass man ihn einfach stehen ließ, die Tür vor seiner Nase zuschlug. Aber als er konzentriert lauschte, gab es keine Anzeichen für Randale und kurz darauf ließ er die Stiefel liegen, schob sich auf dem Bett zurück und lehnte sich am Kopfende gegen die Tapete. Die Beine streckte er von sich, die Hände faltete er auf dem Bauch und nach einem tiefen Luftholen starrte er auf die gegenüberliegende Wand. Er blieb vor etwaiger Erschöpfung verschont… sein Kopf war klar genug, um sich Grübeleien hinzugeben und er tat es mit aller Ruhe, die ihm hier gegeben war. Auf zielloser Wanderschaft durch den Raum, offenbarten seine Augen das rasch auflebende Auseinandersetzen mit den vergangenen Erlebnissen. Mit all den Dingen, die er gesehen hatte… Die ihn erschreckten, schockierten, bekümmerten… Zuviel Wahrheit auf einmal. Zuviel plötzliche Antworten auf die unzähligen Fragen, die er sich vor kurzem noch stellte. Was war das nur für eine Lage…? Eigene Vergleiche brachten ihm nur umso mehr Beunruhigung, umso mehr Zweifel, was es nun zu tun galt. Ja, was war das nur für eine Situation…? Lautlos traf sein Hinterkopf auf die Wand, sowie er auch die Knie zu sich zog und seine Zähne abwesend den Daumen zu bearbeiten begannen. Seine Pupille schweifte zum Fenster, zur Gardine, durch die die Helligkeit des Tages drang. Er selbst, der sich in gewissem Sinne als Unbeteiligter bezeichnen konnte… er, der die Empfindung nicht mit Kanda teilen… all das ebenso wenig nachvollziehen konnte und es auch nicht wagte. Wie sehr versuchte er sich davor zu schützen, zu sehr vor den tragischen Einflüssen des Umfeldes eingenommen zu werden… und wie oft er in diesen Versuchen versagte. Vor allem in diesem Fall, an den er sich kaum heranwagte. Es war unrealistisch, unvorstellbar und er versuchte sich sicher zu sein, die Fakten realisiert und für sich angenommen zu haben. Anders würde es ihm nicht gelingen, etwas zu tun, zu handeln. Und das musste er. Diese Vorstellung… Ein flüchtiges ungläubiges Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, bevor die Zähne wieder den Fingernagel zu fassen bekamen. Ein solcher Vorfall… in den eigenen Reihen? Und dann noch Kanda. Hatte er nicht seine Mauern errichtet? War nicht gerade er das Synonym für Unantastbarkeit? Für Stolz, den nichts zu erschüttern imstande war? Man gelangte schwerlich zu ihm. Kameradschaft, Zusammenhalt, Vertrauen, selbst ein gewisses Gefühl der Verbundenheit. All das ließ er zu in der Arbeit, der sie gemeinsam folgten. Selbst die Sympathie anderen gegenüber konnte man in seinem Verhalten erkennen, sobald man lange genug mit ihm zu tun gehabt hatte. Respekt und Akzeptanz Gleichgestellten gegenüber. Und Allen… dessen Anwesenheit er nur zu gerne für Streitigkeiten ausnutzte. Eine Aufmerksamkeit, die bedeutungsvoll war… ebenso ein seltsames Bestandteil seiner Vorlieben, zu sticheln und Kontra zu erhalten, könnte er ihm doch ebenso gut den Rücken kehren, ihn nicht beachten. Seine Art, Antipathie zum Ausdruck zu bringen… kein Wort an jemanden zu verschwenden, den er nicht ertrug. Ganz einfach, doch war er es selbst, der den anderen herausforderte. Er war durchschaubar. Wenn auch nur in wenigen Fällen. Und ansonsten? Loyalität sowie striktes Vorgehen. Mit ihm aufzubrechen, stellte stets eine weitere Sicherheit dar, das Möglichste zu tun, um erfolgreich zu sein. Bis an die Grenzen des Machbaren zu gehen. War er nicht alles, was man sich unter einem tatkräftigen Kollegen vorstellen konnte? War er das nicht gewesen…? Lavi fand keine Erklärung dafür, wie es ein Außenstehender bewerkstelligt hatte, all die Mauern zu durchbrechen, alles niederzumetzeln, das Kandas stille jedoch sichere Verteidigung darstellte. Zu ihm vorzudringen… die Gegenwehr niederzuschlagen… Dass man Kanda so nahe kommen könnte, wäre nicht einmal ein Bestandteil seines realitätsfernsten Traumes gewesen. Doch es war passiert. Strikt führte er sich diese Tatsache vor Augen. Es stand nicht zur Debatte, wie es dazu gekommen war. Wie es möglich und wie Kanda in diese Lage geraten war. Es war passiert und Lavi ließ von der Hand ab, richtete sich auf und schlang die Arme um die Knie, um auch das Kinn auf diesen zu betten. Was sollte er tun? Ihn in diesem Zustand zu erleben, fiel ihm schwer. Richtig mit ihm umzugehen, ebenso. Vorausgesetzt, es war derzeit überhaupt möglich, etwas Richtiges zu sagen. Dass Kanda etwas eigen war, stellte kein Geheimnis dar. Für niemanden. Dass er sich viele Abneigungen geschaffen hatte und äußerlich nie wirklich zufrieden wirkte… dass er in manchen Fällen auch zu rücksichtsloser Boshaftigkeit neigte. Doch das war er und selbst wenn einige seiner Charakterzüge fragwürdig waren, selbst das Fehlen eines einzigen dieser Fragmente würde eine Lücke ergeben, die sich spüren ließ. So, wie er es nun auch wahrnahm. Wo war die kontrollierte Ruhe? Wo war die Normalität, das, was er dachte, etwas rücksichtslos loszuwerden? Wo war seine Bereitschaft, offen auf Dinge zu reagieren, die ihm nicht gefielen? Wo war die Festigkeit seines Körpers? Seine Gesundheit? Zurückgeblieben waren unkontrollierte Wut, teilnahmslose Schweigsamkeit und diese Verbitterung, die man zu spüren bekam, sobald man sich ihm näherte. So war er nicht und Lavi sah einen Handlungsbedarf, der sich auf ihn bezog. Eine Bitte, die man an ihn stellte, an seine Menschlichkeit, seine Sympathie Kanda gegenüber. Er wollte ihn nicht so sehen. Doch welches Handeln lag in seinen Möglichkeiten? Seinen Fähigkeiten? Lange verharrte er reglos, ließ das Auge schweifen und das weit über diesen Raum hinaus. Er sinnierte, grübelte, schätzte ein und nicht selten erwischte er sich dabei, wie er Ideen verwarf, sich selbst in Unruhe versetzte. Und doch gab er nicht auf, setzte sich damit auseinander und als das Tageslicht vor dem Fenster bereits an Intensität verlor, wurde er sich der allmählich unbequemen Haltung bewusst, ließ sich sinken und legte sich hin. Dieses Bett war wirklich bequem und er streckte sich aus, rollte sich zur Seite und bettete den Kopf auf dem Arm, um sich die kleine Kommode zu betrachten. Es war schwierig. Er konnte nicht über Köpfe hinweg entscheiden, befand sich nicht in der Position, sich so etwas leisten zu dürfen. Er war keine Größe. Er war ein Mensch, der unter anderen arbeitete, fremde Befehle befolgte und über eine nicht sehr beeindruckende Freizeit verfügte. Er war an andere gebunden und auch, wenn ihm die Stunden irgendwann eine gewisse Planung erlaubten, war diese nicht endgültig. Ja, es gab Ideen, die sich einnisteten und gegen die er keine Widersprüche fand, solange und selbstkritisch er auch nach ihnen suchte. Er würde Gespräche führen, sich Genehmigungen besorgen müssen… er musste sich an Komui wenden und das mit dem möglichst kleinsten Teil der nötigen Informationen, um dessen Einverständnis zu erwirken. Er rückte sich zurecht, spürte ein Gähnen, das in ihm aufstieg. Er kannte Komui… es gab Grund zum Optimismus. Komui ließ mit sich reden, war offen für Ideen und bereit, sie zu akzeptieren, wenn er das nötige Vertrauen in sie setzte. Lavi ließ dem Gähnen freien Lauf, rückte den Kopf zurecht und schmatzte genügsam. Allmählich wurde auch er müde. Dieses Nachdenken war nicht zu unterschätzen und träge entschloss er sich dazu, sich nicht weiterhin zu fordern. Lange genug hatte er nun hier gesessen und gelegen, ohne ein Auge zuzumachen und über den zu sinnieren, der es ihm hoffentlich nicht gleich tat. Wenn das Glück auf ihrer Seite war, dann schlief er seit nunmehr fünf Stunden und langsam sollte Lavi diesem möglichen Beispiel folgen. Er schloss das Auge, schöpfte tiefen Atem und kümmerte sich noch um eine störende Strähne, die seine Nase neckte. >Mehr kann ich jetzt nicht tun<, sagte er sich und dieser Gedanke war wirklich beruhigend. >Und wenn ich nicht langsam schlafe, bin ich derjenige, der der Reise nicht gewachsen ist.< ~*tbc*~ Kapitel 12: ~2~ --------------- Mit einem Satz stand Lavi auf dem Steig, atmete den Geruch der Heimat und ließ es sich nicht nehmen, genießerisch die Arme von sich zu strecken. „Endlich!“ Die nächste lange Reise könnte getrost auf sich warten lassen und während er die Hände im Nacken faltete, zog Kanda bereits an ihm vorbei. Seine Euphorie hielt sich in Grenzen und sich seine Augen vielmehr an den Boden, als an der vertrauten Gegend. Der Rest des Weges würde schnell beendet sein und gerade jetzt stand ihm nicht der Sinn danach, sich weitere Zeit zu nehmen. Zielstrebig folgte er seinem Weg und Lavi ihm in raschen Schritten. Selbstverständlich könnte er den jungen Mann während den Rest des Weges auch sich selbst überlassen aber seine Planung beinhaltete nun einmal, dass sie gemeinsam das Hauptquartier betraten. Also holte er auf, fand sich an Kandas Seite ein und überprüfte liebevoll den Sitz seiner Uniform. Die Stunde der Wahrheit rückte näher. Er spürte es mit jedem Schritt und versteckt fand seine Pupille zum schweigsamen Nebenmann, der keine Befürchtungen zu hegen schien. Es würde der Zeitpunkt kommen, an welchem er ihn einbezog. Und das vermutlich eher, als ihm lieb war. Da bot es sich doch an, gerade diese letzten Minuten noch Ruhe zu bewahren, sie einfach zu genießen. Einmal tief durchgeatmet und schon würde es ihm besser gehen. Neben ihm zerrte Kanda stoisch an seinem Gürtel. „Hey… Lavi!“, erhob sich da plötzlich eine nur zu bekannte Stimme und als der Angesprochene um sich blickte, wurde er sofort fündig. Freudig den Arm erhoben, kam Crowley auf ihn zu und sofort erhellte sich auch sein Gesicht. Dieser Zufall tat wirklich gut und er winkte zurück, erspähte auch Miranda, die hinter dem Mann einher stolperte, mit einem scheinbar schweren Koffer zu ringen hatte. Unterdessen war Lavi stehen geblieben. Selbst Kanda hatte inne gehalten, schenkte den beiden eine knappe fragwürdige Aufmerksamkeit und lugte zum Ausgang. Offensichtlich stellte er sich die Frage, weshalb auch er wartete und als er nach wenigen Augenblicken keinen Grund fand, setzte er sich abermals in Bewegung. Ohne auf jemanden zu achten, wandte er sich ab und führte seinen Weg fort. Nur kurz registrierte Lavi seinen Rückzug, wurde jedoch abgelenkt, als die Beiden ihn erreichten. „Ich grüße dich.“ Lavis Freude schien nicht einseitig, auch Crowley strahlte über das ganze Gesicht, während Miranda ächzend den Koffer abstellte, flüchtig dem Vierten im Bunde nachsah, der in diesen Momenten den Ausgang erreichte, ihn gnadenlos und ohne sich umzudrehen passierte und verschwand. „Hallöchen.“ Auch Lavi verfolgte, wie die gläserne Tür in die Angeln zurückfiel, wurde dann jedoch auf die Hand aufmerksam, die sich ihm entgegenstreckte. Grinsend schüttelte er sie. „Grüß dich, Miranda.“ Die Frau war noch immer außer Atem und die keuchende Antwort vermochte Lavi nicht vollständig zu entziffern. „Wohin geht’s?“ „Lediglich in eine Nachbarstadt“, lieferte Crowley ihm die entspannte Antwort, hob die Schultern und gab sich einem tiefen Seufzen hin. „Es handelt sich wohl um keine große Sache. Wir sehen uns bestimmt in ein, zwei Tagen wieder.“ Eine begeisterte Hoffnung funkelte in seinen Augen auf und Miranda rieb sich die Hände. Sie schien sich wirklich einiges aufzubürden und es ließ sich nicht verhindern, dass Lavis Blick kurz an dem Koffer hängen blieb. Wie viel brauchte man denn für so eine kurze Reise…? Er erwischte sich dabei, darüber nachdenken zu wollen, befreite sich mit einem knappen Kopfschütteln von dieser Versuchung und nahm sich vor, bei dem Wichtigsten zu bleiben. Wenn er sich hier verquatschte, würden Crowley und Miranda ihren Zug ebenso verpassen, wie er Kanda. „Ist Allen heil angekommen?“, erkundigte er sich also und Crowley winkte galant ab. „Selbstverständlich. Seit gestern macht er wieder die Küche unsicher. Und ihr hattet noch zu tun?“ Dass er mit „ihr“ derzeit nur einen ansprach, schien ihn nicht zu stören. Ebenso musste man es sich wohl irgendwann abgewöhnen, sich für Kandas permanentes desinteressiertes Verschwinden die Schuld zuzuweisen. Grüblerisch schnalzte Lavi mit der Zunge, lugte erneut zu jener Tür. „So in etwa“, erwiderte er letzten Endes nur und präsentierte ein entschuldigendes Grinsen. „Also dann, passt auf euch auf. Ich muss wohl weiter.“ „Oh…!“ Das pure Entsetzen ergriff Besitz von Crowley. Er weitete die Augen und seine Hände fuhren in die Höhe. „Haben wir dich aufgehalten? Hast du etwas Wichtiges zu tun?!“ „Oh, nein… nein.“ „Wirklich…?“ Zermartert starrte Crowley sein Gegenüber an und Miranda rieb sich den Oberarm, begann die Nase unter einer störenden Strähne zu rümpfen. Zeitgleich erhielt ihr Weggefährte einen beruhigenden Klaps. „Ehrenwort.“ Diese Beschwichtigung musste genügen und schon trat Lavi zurück, wandte sich zur Seite. „Man sieht sich, viel Glück.“ „Ich danke dir.“ Berührt von Lavis Fürsorge, schmiegte sich Crowley in seinen Umhang und nach einem flüchtigen Salut, kehrte Lavi ihnen den Rücken. Mit raschen Schritten näherte er sich dem Ausgang, drängte sich gegen die Tür und verschwand in der späten Abenddämmerung der Straßen. „Er ist ein so lieber Junge.“ Seufzend sah Crowley ihm nach. „Wann kam unser Zug?“, meldete sich unsicher Miranda zu Wort und blickte zu den dort wartenden Zügen. Sofort schloss sich Crowley ihrer Beobachtung an und für eine kurze Zeit starrten sie beide. „Bist du so lieb und schaust kurz auf den Plan?“ Beirrt lugte Miranda zu dem Größeren und dieser begann sofort seine Taschen zu durchforsten. „Aber natürlich.“ Hektisch gab er sich der Suche hin, hielt jedoch bald inne. Herzlich nahm er die Frau in Augenschein. „Miranda, meine Liebe. Den Plan habe ich doch dir gegeben.“ „Wie bitte…?“ Das Gesicht der Frau verlor etwas an Farbe und mitfühlend presste Crowley die Lippen aufeinander. „Oh.“ Nun kamen die Einsicht und die Enttäuschung, in der sie sich die Hand auf den Mund presste. „Verzeih mir meine Unaufmerksamkeit!“ Erschrocken verbeugte sie sich und ihr Gegenüber schnappte nicht minder entsetzt nach Luft. „Aber das macht doch nichts!“ Verzweifelt bettete er die Hände auf ihren Schultern, beugte sich zu ihr hinab. „Bitte… das ist doch nicht nötig.“ „Ich bin aber auch chaotisch.“ Von sich selbst betrübt, begann Miranda kurz darauf mit der Suche und Crowley verzog den Mund, fühlte ihren Schmerz. „Aber das stimmt doch gar nicht.“ Aufmunternd lächelte er. „Schau, da ist er ja schon.“ Und wirklich… sie zog ihn hervor und gemeinsam vertieften sie sich in das Stück Papier. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“ Miranda war es, die nach wenigen Momenten schlussfolgerte und sofort stimmte man ihr zu. „Du hast völlig recht.“ Schnell den Plan zurück in die Tasche gestopft und abermals wurde Crowley schwer ums Herz, als sich die Frau nach dem Koffer bückte, ihn mit einem Ruck anhob und ihn ächzend wenige Schritte trug. Sofort eilte er ihr nach. „Soll ich deinen Koffer wirklich nicht tragen?“ Mitfühlend verfolgte er ihr Bemühen, doch die Frau schüttelte sofort den Kopf. „Das… kann ich wirklich nicht annehmen…!“ Sie umklammerte den Koffer, als hinge ihr Leben von ihm ab und Crowley wirkte, als wäre er den Tränen nahe. „Aber er ist doch viel zu schwer für dich“, beharrte er verzweifelt. „Du bist so freundlich.“ Miranda zog die Nase hoch, quälte sich weiter. „Das könnte ich nie wieder gut machen!“ „Aber Miranda… meine Liebe, es ist die Pflicht eines Gentlemans. Bitte mute mir nicht zu, Zeuge deines Leidens zu werden!“ „Du bist so gut zu mir! Womit habe ich das nur verdient?“ „Nein… bitte, sag doch so etwas nicht! Ich würde liebend gerne den Koffer für dich tragen!“ „Ach, Crowley… du bist ein unübertrefflicher Weggefährte!“ Schweigend folgte Lavi dem anderen durch den Wald. Sein rasches Auftauchen hatte kaum Aufsehen erregt und ebenso gut hätte Kanda diesen Weg alleine gehen können, ohne, dass sich etwas an seinem Verhalten änderte. Die Augen auf die finsteren Stämme gerichtet, ging er zügig und ohne seinen Gefährten zu beachten. Allmählich schien er es eiliger zu haben und währenddessen entsprang Lavis Miene wenig Freude, als sie endlich den unterirdischen Eingang erreichten. Allmählich war die Stille zwischen ihnen wirklich nichts Ungewöhnliches mehr. Beinahe wirkte sie nicht einmal mehr beängstigend, eher vergleichbar mit einem üblen Dauerzustand, an den man sich zu gewöhnen hatte. Entspannt verharrte Lavi in der Kabine, die Hände in den Hosentaschen versenkt, verfolgte er die Anzeige… die Zahlen, die bewiesen, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Hinter ihm lehnte Kanda. Das Mugen neben sich, die Schulter an dem kalten Metall der Wand, starrte er auf eine andere. Selbst dem Blinzeln schien er sich nicht gerne hinzugeben und täte er es nicht, würde man ihn mit einer Statue verwechseln, die in diese Kabine gehörte und diese auch niemals verließ. Rasch stiegen sie so zu ihrem Ziel auf. Die Zahlen neigten sich ihrem Ende entgegen und Lavi ließ das Gesicht sinken, betrachtete sich die Türen, die sich gleich öffnen würden. Hinter ihm ertönte ein leises Geräusch. Die Stiefel, die sich etwas regten, als sich Kanda von der Wand löste, das Mugen in die andere Hand wendete, dicht hinter Lavi stand… und schwieg. Langsam driftete Lavis Pupille zur Seite, seine Hände regten sich in den Taschen und letztendlich wandte er sich doch wieder der Tür zu, spürte, wie die Kabine an Bewegung verlor und zum Halt kam. Somit wurde ihm auch der Weg freigegeben, der Weg aus dieser gezwungenen Lage, den er gerne nutzte. Ruhig und doch zielstrebig trat er in das runde Treppenhaus hinaus, atmete die gewohnte Luft und kam nicht umhin, sich ordentlich zu strecken. Hier erwarteten ihn gemischte Gefühle… von kleinen fiesen Verspannungen erleichtert, ließ er die Arme sinken, blieb stehen. Zum einen endeten das kalte und angespannte Zusammensein und auch eine gewisse Verbundenheit mit den vergangenen Geschehnissen. Später würden sie sich trennen und eigene Wege gehen, Platz und Zeit für eigene Gedanken haben und sich diese Möglichkeit zu Nutze machen. Zum Anderen… Der junge Mann hielt inne, seine flüchtige Abwesenheit riss ab, als er auf Kanda aufmerksam wurde. Ihre Wege konnten sich seiner Meinung nach, scheinbar nicht früh genug trennen. In aller Seelenruhe schlug er eine eigenwillige Richtung ein, ging davon… und Lavi hob die Augenbraue. „Yu?“, rief er ihm irritiert nach. „Wo gehst du hin? Wir sollten uns bei Komui melden.“ Und die Schritte des Angesprochenen verlangsamten sich wirklich, bis dieser zum Stehen kam. Verblüfft spähte Lavi zu ihm und erhielt kurz darauf dieselbe Aufmerksamkeit. Wenn auch nur ein Schulterblick und eine abwertende Handgeste. „Es wird wohl reichen, wenn du gehst“, erhielt er zur Antwort und öffnete wortlos den Mund. Was passierte denn jetzt…? Hilflos hob er auch die Hände, hielt sie erhoben und erkannte eine seltsame Mimik im Gesicht des Anderen. Eine, die er kannte… die er in den letzten Stunden umso mehr kennen gelernt hatte. Noch nie war ein solcher Argwohn auf ihn gerichtet worden. Kandas Augen lösten sich nicht von ihm. Unscheinbar senkte er lediglich den Kopf, taxierte ihn scharf und für kurze Zeit schweigsam. „Und denk an meine Worte.“ Reglos verharrte Lavi an Ort und Stelle, setzte an, etwas zu erwidern und konnte kurz darauf nur wieder den Rücken seines vergangenen Weggefährten erkennen. Unbeschwert und zielstrebig trottete er davon und als er auf einer der Treppen verschwand, gelang es Lavi endlich, die Hände sinken zu lassen. Was für eine unauffällige Art, sich vor etwas zu verstecken… Dem jungen Mann entrann ein lautes Stöhnen. Kurz darauf vernahm er auch das Geräusch der Tür, die ins Schloss gezerrt wurde und trat an das steinige Geländer heran, um sich selbst einen Moment der Ruhe zu gönnen. Mit den Ellbogen stemmte er sich auf das hölzerne Geländer, lehnte sich nach vorn und blickte hinab in die schwarze Tiefe des Treppenhauses. Die letzten Stunden… es hatte an ihm gelegen und nun drängte man ihn erneut in die Richtung, sich jeder Sache annehmen zu müssen. Die Nachdenklichkeit hatte ihn wieder und bald blickte er auf, spähte hinauf zur Etage, in welcher Kanda verschwunden war. Er würde sein Zimmer wohl vorläufig nicht mehr verlassen… Stumm bewegte er die Lippen aufeinander, streifte sich eine Strähne aus der Stirn und legte den Hinterkopf in den Nacken. Wenn es gut lief, würde er sich wohl auch bald etwas hinlegen können. Entspannt verharrte er, schloss kurz die Augen und schöpfte tiefen Atem. Stille umgab ihn. Viele waren nicht unterwegs und doch wusste er, dass hinter einer jeden Mauer große Geschäftigkeit herrschte. Träge streckte er die Beine von sich, senkte den Kopf nach vorn und tastete nach seinem Nacken, um ihn kurz zu reiben. Er war verspannt und er ertastete die einzelnen Wirbel, versenkte die Finger im Haaransatz und hielt inne, als Schritte an seine Ohren drangen. Sie kamen von oben und eher beiläufig blickte er auf, stemmte den Arm auf das Geländer zurück und erblickte wirklich jemanden. Ein weißer Mantel, auch die Baskenmütze. Komui erschien dort oben, hatte ebenso auf das Geländer zugesteuert und wurde sofort auf ihn aufmerksam. Träge starrte Lavi zu ihm auf, hob in einer stillen Begrüßung die Hand und erblickte die des Abteilungsleiters, die ihn hinaufwinkte. Die Geste wirkte angespannt und machte ihn darauf aufmerksam, dass Komui keine weitere Aufschiebung akzeptieren würde. Er hatte wohl lange genug gewartet und höchstwahrscheinlich durch Allen nicht die Informationen erhalten, auf die er aus war, die er benötigte, um all das zu verstehen. Nicht lange wartete er dort, wandte sich ab und verschwand in einem der steinernen Gänge. Abermals lauschte Lavi seinen Schritten und er kam nicht um ein leises Seufzen, als er den Kopf wieder sinken ließ. Er spielte eine seltsame Rolle, wenn es stets ihm überlassen wurde, schlechte Nachrichten zu übermitteln. War er etwa der Richtige dafür? Er mochte weder die Erschütterung in den Augen seines Vorgesetzten, noch die eigenen wohl bedachten Worte, mit denen er all das verursachte. Und was konnte er anderes erwarten, wenn es sich um eine Thematik handelte, die sich nicht utopisch verschlüsseln ließ? Fakten, Tatsachen… und eine weitere Herausforderung, die Lavi nun zu bestehen hatte. Seine Hände ballten sich zu entspannten Fäusten, kurz und abermals blickte er in die finsteren Untergeschosse hinab, bevor er sich aufrichtete, sich vom Geländer löste und auf den Weg machte. Es fiel ihm schwer, einzuschätzen, was ihn erwartete. Ebenso unmöglich war es, den Erfolg seines Vorhabens abzusehen. Letzten Endes blieb ihm nichts anderes übrig, als es auf dem praktischen Weg zu erfahren, sich all dem zu stellen und sein Möglichstes zu tun. Ob Entscheidungen richtig und nutzbringend waren, würde er wohl ebenso spät erfahren. Blindes Vertrauen in seine Instinkte, in dem er sie getroffen hatte. Er ging zügig, setzte nichts daran, sich wenige Augenblicke zu verschaffen, in welchen er sich nur verrückter machen und an sich zweifeln würde. So ließ er den Weg rasch hinter sich, fand die Tür zum Büro des Abteilungsleiters angelehnt vor und zog sie auf. In der einen Hand eine Kanne, in der Anderen die Tasse, lehnte Komui an dem Schreibtisch, blickte kurz auf und schenkte sich Kaffee ein. Auch, wenn es ihn nicht mehr zu überraschen schien, dass Lavi alleine kam, um Bericht zu erstatten, zufrieden stimmte es ihn ebenso wenig und er rümpfte die Nase, als er die Kanne abstellte und sich auf den Weg zu seinem Stuhl machte. Leise klickte die Tür in das Schloss und Lavi rieb sich die Hände, als er den schmalen Pfad zwischen den am Boden liegenden Unterlagen betrat. Unterdessen ließ sich Komui bereits nieder, stellte die Tasse ab und wies auf das Sofa, auf welchem sich Lavi nach dieser Reise gerne niederließ. Das weiche Polster kam ihn gelegen und doch konnte er seine Bequemlichkeit nicht so recht genießen, als er die Beine von sich streckte, die Ellbogen auf die Knie stemmte und den Älteren musterte, der kurz und ziellos an den Unterlagen rückte. „Willkommen zurück.“ Unter einem tiefen Atemzug ließ er dann von der sinnlosen Beschäftigung ab, faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und bewerkstelligte ein flüchtiges Lächeln. „Geht’s euch gut? So früh habe ich euch nicht erwartet.“ „Wir haben uns nur für eine Nacht in einer Herberge einquartiert“, verriet Lavi in den Versuch verstrickt, entspannt zu wirken. Nickend wurde er gemustert. „Eine Mütze voll Schlaf hat uns die Weiterreise leichter gemacht.“ „Und trotzdem sitzt du jetzt alleine hier“, stellte Komui fest. „Wo ist Kanda?“ Das Bett bereit fest im Visier, stieg er aus dem Stiefel, suchte flüchtig Halt auf dem Tisch und tastete mit den Zehen nach dem Zweiten. Auch diesen wurde er rasch los und kurz darauf wurden die Stiefel mit dem Fuß zur Seite geschoben, unter dem Tisch verstaut. Und während die Finger zum Hosenbund fanden, fixierten seine Augen die farbigen Gläser des großen Fensters, die Risse, die es durchzogen. Deutlich waren das Blau sowie das Violett erkennbar… der Mond war hell in dieser Nacht und erneut lugte er zu seinem Bett, streifte sich die Hose hinab und bückte sich nach ihr, um sie nachlässig auf den nahen Stuhl zu werfen. Erneut war er nun hier… und mit ihm ein flaues Gefühl, das ihn zögern ließ, bevor er an den Shorts rückte und sich in Bewegung setzte. „Er hat sich zurückgezogen.“ Flüchtig blickte sich Lavi um, löste die Ellbogen von den Knien und lehnte sich zurück. „Schläft bestimmt.“ „Ah.“ Endlich wandte auch Komui den Blick ab. Etwas unwirsch musterte er die vor ihm liegenden Unterlagen, spreizte die Finger und faltete sie ineinander, während sich sein Gegenüber auf einiges vorbereitete. „Ich…“, hob er kurz darauf an, „… ich gebe zu, ich habe während des Telefonates meinen Ohren kaum geglaubt. Bei Allen habe ich mich über alles informiert, konnte seinem Bericht aber nichts entnehmen, das die Geschehnisse restlos aufklärt.“ Und es wunderte Lavi nicht. Schweigend nickte er und Komuis Augen fanden zu ihm zurück. „Aber du warst dabei.“ „Ja.“ „Und du hast dich nicht am Kampf beteiligt.“ „Richtig.“ Die Gnadenfrist war vorbei und einfacher war es wohl, die Fakten offenzulegen und sich den daraufhin folgenden Fragen zu stellen. Er war bereit, hoffte zumindest, es zu sein und verschränkte die Arme auf dem Bauch. „Yu hat mir das Eingreifen strikt verboten. Er war auf einen Zweikampf aus.“ Ein Verhalten, das sich nur zu gut in Kandas Schema einfügte und in einer solchen Lage dennoch nicht zu billigen war. Komui war eine gewisse Skepsis anzusehen, annähernd eine deutliche Abneigung diesem Verhalten gegenüber, wenn man bedachte, was für eine Gefahr ein solcher Eigennutz dargestellt haben dürfte. „Und warum hast du dich nach ihm gerichtet?“, erkundigte er sich sofort und annähernd missgestimmt. „Du bist nicht dazu verpflichtet, seine Befehle zu befolgen.“ „Ich hätte eingegriffen, hätte es sich um eine andere Angelegenheit gehandelt“, erwiderte Lavi sofort, hielt der ernsthaften Musterung stand. „Wenn Yu in offensichtliche Schwierigkeiten geraten wäre oder wenn Egoismus und Leichtsinn eine Rolle gespielt hätten, aber es ging um weit mehr, als um das.“ Komui hob die Augenbrauen und kurz suchte Lavi nach Worten. „Es waren wohl auch einige persönliche Gründe im Spiel“, murmelte er, senkte den Blick. „Yu ist diesem Noah nicht zum ersten Mal begegnet.“ „Mir liegt kein Bericht vor, der eine Begegnung mit einem Noah enthält“, warf Komui sofort ein und all das war weniger eine Entschuldigung, als ein Richtungswechsel zu weiteren Verstößen. An Lavis Reaktion las er die Antwort ab und schöpfte tiefen Atem. Es gefiel ihm nicht, es gefiel ihm ganz und gar nicht. „Er verschweigt mir eine Begegnung mit einem Mitglied des Clans und missachtet all meine Befehle, um eine persönliche Rechnung zu begleichen und sich unbedacht in Lebensgefahr zu begeben?“ Bedauerlicherweise war genau das der Fall und Lavi musste nicht zustimmen. Es handelte sich nicht um eine Frage und Komuis Miene vereiste verbissen, als er sich zurücklehnte. Die Hände bettete er auf den Armlehnen und für einige Momente starrte er um sich. Die Lage spitzte sich zu… wurde mit jedem Mal heikler, wenn Kanda das Hauptquartier verließ und Lavi sah seinem Vorgesetzten an, dass es ihm schwerfiel, diese Tatsache anzuerkennen. Der Gehorsam spielte eine erhebliche Rolle, wenn man die Verantwortung eines Exorzisten trug und bis vor einigen Tagen war Kanda noch das gewesen, was man einen zuverlässigen und fähigen Mitarbeiter nannte. Was hatte ihn aus dieser Rolle herausgerissen? Und seit wann musste er so rigoros handeln, um Kanda in eine Richtung zu leiten? In eine Bahn, der er schlicht und ergreifend nicht folgte? Er hatte es nicht erwartet, nicht damit gerechnet und Naserümpfend tastete er nach einer dünnen Mappe. Befehlsverweigerung, Ungehorsam, eigennütziges Handeln, unerlaubtes Verlassen des Hauptquartiers, Entziehen einer angeordneten Untersuchung. Worte, die ihm in den Sinn kamen und die letzten Endes nur bezeugten, dass er die Kontrolle über einen Mitarbeiter verlor… sich dieser vielmehr noch seiner Kontrolle entzog. Nichts, das man sich in ihrem Status erlauben durfte… nichts, das man als Lappalie bezeichnen konnte. Er selbst war sich seiner Pflichten durchaus bewusst. Den Großmarshallen dürfte eine solche Zwangslage nicht lange vorenthalten bleiben, vorausgesetzt… Er löste die Hand von der Mappe, tastete nach der Brille und zog sie sich von der Nase, sich abermals an Lavi wendend. „Was weißt du über diesen persönlichen Grund?“ Seine Stimme offenbarte eine zurückhaltende Ruhe, zu der er sich zwang. „Kennst du ihn?“ Drastische Methoden, um Kanda gefügig zu machen, konnten verhindert werden, vorausgesetzt, er fand keinen Weg, die Angelegenheiten selbst zu regeln… die alte Kontrolle zu erlangen. Kontrolle… nein, die hatte er nicht gebraucht. Niemals. Eine bekümmernde Einsicht. Der Blickkontakt brach ab. Allein Komui behielt die Musterung bei, während Lavi zu Boden starrte, unter einem tiefen Durchatmen die Lider senkte und die Hände auf das Polster hinab stemmte. Träge ertastete die Hand die Decke und gleichsam schob er sich unter sie. Das vertraute Gefühl des gewohnten Bettes ließ ihn tief durchatmen und nur kurz tastete er nach dem Kissen, bevor er bequem und auf dem Rücken liegen blieb. Unausweichlich richteten sich seine Augen auf die dunkle steinerne Decke, die über ihm lag, folgten ihrer Struktur… den Kontrasten der Steine. Die Beine entspannt von sich gestreckt, schob er die Hand unter den Nacken, ließ die Andere zur Seite sinken und spürte die Kälte des Gesteins auch neben sich. Sein Bauch hob und senkte sich unter einem erneuten tiefen Durchatmen und abwesend begann seine Zunge die Zähne zu bearbeiten. Um ihn herum herrschte Stille… die Wände schirmten ihn von störendem Lärm ab. Und wie genoss er diese völlige Lautlosigkeit. Keine Geräusche, die seine Sinne beanspruchten… kein permanentes Gerede, welches ihm die Nerven raubte. Hier fühlte er sich besser. Eine obskure Lage, in welcher sich Lavi wiederfand… seine Lippen pressten sich aufeinander, schürzten sich, verblieben stumm. Er fühlte sich seltsam beengt. Hier an einem Punkt, an welchem er sein Vorhaben anzusetzen und darauf zu hoffen hatte, Komui käme ihm bei. Es ging ihm beileibe nicht leicht von der Hand, die Antwort wurde gedreht und gewendet und blieb letztendlich doch dieselbe. Und Komui sollte nicht lange auf sie warten. Ein leises Geräusch verriet, dass sich dessen Hand zum Füller getastet hatte. In unruhigem Takt ging die kunstvolle Kuppe auf den Schreibtisch nieder und Lavi richtete sich auf. Sofort begegnete ihm der Blick des Vorgesetzten und unruhig blieb der Füller in Bewegung. „Ja.“ Ein bedauerndes Lächeln huschte über Lavis Lippen und das Ticken des Füllers verstummte. „Ich kenne ihn ganz genau.“ Darauf reagierte Komui mit einem milden Nicken. Es entsprach seinen Erwartungen, doch begegnete ihm hier noch eine ganz andere Sache. Die Finger wendeten den Füller rasch und ziellos, kurz darauf umschloss ihn in die Hand und er studierte die Mimik des Jüngeren eindringlich. „Soll ich danach fragen?“ Keinen Augenblick entließ er Lavi aus seiner Aufmerksamkeit, registrierte eine jede Reaktion… und las eine gewisse Sicherheit in den jungen Zügen, als der Rothaarige den Kopf schüttelte. „Mm.“ Endlich fand der Füller seinen alten Platz und die Hand stattdessen abermals zur Tasse. Tief durchatmend lehnte sich Komui zurück. Eine solche Antwort lieferte man ihm nicht grundlos und beileibe war er ein Mensch, mit dem sich reden ließ, der gerne jede Möglichkeit in Erwägung zog. „Weshalb“, erkundigte er sich leise, bevor er an der Tasse nippte. Das Unwissen ertrug er gerne, wenn er den Grund dafür erfuhr. Entgegen den Befürchtungen, die in ihm rumorten… der Annahme, dass es eine fatale Angelegenheit in seinen Reihen gab, von der er nichts erfahren würde… Er nahm einen Schluck, wendete den Kaffee im Mund und lugte über den Rand der Tasse zu dem Jüngeren, der mit den Schultern zuckte. „Weil er sich nicht einmal mir anvertraut hat und freiwillig auch an niemanden herantreten wird“, erklärte er. „Genauso würde er keine Hilfe annehmen. Wenn sich die Tatsachen hinter seinem Rücken verbreiten, wird er eher mit Abweisung reagieren und uns bleibt keine Möglichkeit, zwanglos zu handeln.“ Wie wahr… niemand wusste es besser, als Komui. Flüchtig überdachte er die Worte, bevor er die Tasse sinken ließ. „Somit wärst du der Einzige…“, grübelte er laut, „… der zwanglos handeln könnte. Was hast du vor?“ „Übergib ihn in meine Obhut.“ Die Antwort kam rasch, ließ nicht auf sich warten. Zu lange war sie ein festes Vorhaben gewesen, zu lange hatte er auf den Zeitpunkt gewartet, seinen Wunsch auszusprechen. Und Komuis Bewegungen stockten. Reglos verharrte die Tasse in seiner Hand und nicht zu übersehen war die Skepsis, die sich im Gesicht des Abteilungsleiters manifestierte. „Ich übernehme die Verantwortung.“ Lavi ließ ihn nicht zu Wort kommen, entschlossen richtete er sich auf. „Ich werde versuchen, an ihn heranzukommen, ohne meine eigentlichen Aufgaben zu vernachlässigen.“ Somit nickte er in sich hinein, stemmte die Ellbogen auf die Knie und verfolgte, wie Komui die Tasse abstellte, die Stirn runzelte. Es war seltsam, doch er wusste, was er zu sagen gedachte. „Ich weiß, dass ich nicht die Qualifikation dafür habe“, flüchtig hob er die Hände zu Gestiken, „aber was Yu derzeit braucht, ist ein Vertrauter und kein Professioneller.“ „Was ich in Frage stelle, sind nicht deine Qualifikationen“, fiel Komui ihm beinahe ins Wort, beendete seine rasche Rechtfertigung mit einer flüchtigen Handgeste. „Viel eher, dass du nicht einschätzen kannst, worauf du dich einlässt.“ Somit stemmte er die Hand auf den Schreibtisch, wandte sich seufzend ab und kam auf die Beine. Lavi blickte ihm nach. „Obwohl ich die Rolle des Unwissenden in diesem Fall spielen würde, ist mir nicht wohl bei dem Gedanke, dass du dir eine Verantwortung auflastest, die selbst aus meiner Sicht eine Gewaltige ist.“ „Ja.“ Beinahe lautlos kam die Zustimmung über Lavis Lippen, als der Junge Mann die Hände auf dem Schoß ineinander faltete, sie sich betrachtete, während Komui um den Schreibtisch herumtrat, sich gegen ihn lehnte und ihn nachdenklich in Augenschein nahm. „Bedeutet das, dass du auch der Untersuchung widersprechen würdest?“ „Untersuchung…“, wiederholte Lavi murmelnd und verzog den Mund. „Eine Untersuchung würde überhaupt nichts bringen, außer natürlich, dass Yu toben und für geraume Zeit jeden hassen würde, der ihm über den Weg läuft. Man würde nichts finden, verstehst du? Die körperlichen Beschwerden haben Wurzeln, gegen die keine Medikamente helfen.“ Komui hob die Augenbrauen. Diese Antwort war soviel mehr, als ein Widerspruch, ließ Ahnungen in ihm zum Leben erwachen und Lavi blähte die Wangen auf. „Ich kenne Yu schon eine ganze Weile. Ich kann mir vorstellen, was mich erwartet.“ Langsam spreizte er die Finger, rieb sich die Hände. „Aber die Tatsache, dass ich es weiß, wird es mir nicht leichter machen.“ Schweigsam nickte Komui, ließ ihn jedoch fortfahren. Seine Hand fand zu einem unüberschaubaren Blätterstapel, begann ihn abwesend zu bearbeiten. „Aber…“, Lavis Gesicht verzog sich vergrämt, „… mit deiner Erlaubnis würde ich es auf mich nehmen und mein Bestes geben.“ Er blickte auf. „Vielleicht hat Yu einige Fehler begangen aber an dem Auslöser trägt er keine Schuld. Ich möchte nicht mit ansehen, wie er Unannehmlichkeiten über sich ergehen lassen muss… wegen einer Sache, die schon schlimm genug ist.“ Eine Meinung, die beeindruckte… und auch Komui konnte sich an den vorgestrigen Tag erinnern, an den Augenblick, an dem er zuletzt mit ihm sprach, ihm die Maßnahmen aufzuzwingen versuchte, die bewiesen, dass er nicht weiter wusste und die Verantwortung dennoch nicht in die Hände der Oberen legen wollte. Er senkte das Gesicht, nachdenklich fand seine Hand zum Kinn, rieb es, während seine Augen über das am Boden liegende Papier schweiften. ‚Glaubst du, ich bin freiwillig in dieser Lage…?’ Er erinnerte sich an die Worte, über die er sich den Kopf zerbrach. ‚Es ist nicht meine Schuld!’ Dort vor seinem Schreibtisch hatte er gestanden und sich präsentiert, wie noch nie zuvor. Zugegeben, es war ihm nahe gegangen. Wie hätte es das nicht tun können? Unter ein und demselben Anblick wurde Kanda bald die Lider schwer. Zuviel hatten die Augen in den letzten Tagen gesehen, viel war ihnen abverlangt worden und den richtigen Schlaf schien er erst hier zu finden. Schwer neigte sich die Müdigkeit über ihn und er ergab sich einem tiefen Gähnen, bevor er sich zur Wand rollte, die Decke höher streifte und die Augen schloss. Selbst die Gedanken an den ihm bevorstehenden Tag konnten ihn nicht beunruhigen. Jener Tag war noch nicht angebrochen und nach einigen Stunden Schlaf würde er ihn wohl besser bewältigen. Ein letztes Mal bewegte er sich, nahe zog er die Arme an den Leib, bewegte die Lippen und verharrte reglos. „Was schreibst du dir für Chancen zu?“, erkundigte sich Komui. Der erste Schritt zur Zustimmung und Lavi räusperte sich verlegen. „Na ja…“, er wirkte nicht, als sähe er einen greifbaren Erfolg, „… wer kann hier schon von sich behaupten, Chancen zu haben, wenn es um Yu geht?“ „Deshalb frage ich.“ „Mm.“ Lavi suchte offensichtlich nach Worten, saugte an seinen Zähnen und zögerte. „Chancen hat niemand aber sehen wir es einmal so… ich habe wenigstens Geringe.“ Das hörte sich recht realistisch an und Komui kreuzte die Beine, machte es sich am Schreibtisch bequem und verstrickte sich in erneute Grübeleien. „Ich rechne natürlich damit, dass es länger dauern wird, bis er sich etwas auf mich einlässt“, drang Lavis Stimme erneut an seine Ohren. „Aber ich werde die nötige Geduld aufbringen.“ Dem Jüngeren entging die Mimik Komuis nicht. Waren das noch immer Zweifel, die er da sah? „Ich…“, hob er eindringlich an, „… ich habe gut darüber nachgedacht, Komui. Ich handle nicht überstürzt.“ Ein Nicken… „Ich weiß.“ Eine Entscheidung schien getroffen und Komui regte sich an der Kante, verschränkte die Arme vor der Brust, blickte zur hohen Decke des Raumes auf. „Ich stimme zu, dass du dich um ihn kümmerst. Auch die angeordnete Zwangsuntersuchung würde ich fallen lassen“, erklärte er dann endlich und neben ihm wurde erleichtert der Kopf hängen gelassen. „Unter drei Bedingungen.“ Somit spähte er zu ihm zurück, reckte den Zeigefinger. „Du stehst weiterhin und unverzüglich zur Verfügung, wenn Aufträge und Pflichten rufen. Konzentrier dich nicht so sehr auf ihn, dass du deine eigenen Aufgaben vergisst. Und wenn du Hilfe brauchst, dann hol sie dir. Geh zu Bookman oder komm zu mir, wenn wir dich unterstützen können.“ „Ja.“ Mit diesen Bedingungen ließ sich leben und flüchtig huschte ein Lächeln über Lavis Lippen, als er sich zurücklehnte, sich endlich von all den Zweifeln befreit sah. „Und die Dritte?“, erkundigte er sich, als er die Arme hob, die Hände auf dem Hinterkopf faltete. „Die Zwangsbeurlaubung bleibt bestehen.“ Komui kehrte ihm dem Rücken, steuerte auf die Tasse zu. „Eine Woche und wenn es nötig ist, noch länger.“ „Ich denke…“, müde regte Lavi die Finger im Schopf, ließ den Kopf zur Seite sinken, „… er wird nichts dagegen haben.“ „Glücklicherweise steht seine Meinung nicht zur Debatte“, stellte Komui klar und schnappte sich die Tasse. Sofort nahm er auch einen Schluck, tastete mit dem Fuß nach dem Stuhl, zog ihn sich zurück und hielt inne, als ihm noch etwas einfiel. „Und ich möchte über deine Pläne und Fortschritte unterrichtet werden“, fügte er hinzu und ließ sich nieder. „Hast du bereits welche geschmiedet? Du hast dir keine einfache Persönlichkeit ausgesucht.“ Wie wahr… und je öfter Lavi daran erinnert wurde, desto mehr wünschte er sich sein Bett herbei und ein paar Stunden, in denen er mit diesen Tatsachen nicht konfrontiert wurde. All dem würde er sich lieber zuwenden, wenn er es selbst erholt und ausgeschlafen mit dem neuen Tag aufnahm. Nicht jetzt… doch die Frage war gestellt und natürlich gab es da Vorstellungen und Strategien. Das Bett musste wohl warten und ergeben klemmte er sich die Hände in den Nacken, schöpfte tiefen Atem und stellte sich der Antwort. Wie spät musste es in diesem Augenblick schon sein? Er hatte die Zeit aus den Augen verloren und bald kümmerte sie ihn auch nicht mehr, als er sich nach vorn neigte, die Stimme erhob und zu erzählen begann. *tbc* Kapitel 13: ~3~ --------------- Dunkel war es geworden. Schwer wallte die Finsternis, ließ nichts Lebendiges zurückbleiben. Die Stille war ihr in ihrer Schwärze ein angenehmer Gefährte und dumpf offenbarte sie sich in ihrem stickigen Gewicht. Schwerer, als jede Last, undurchsichtiger als der düsterste Schacht. Trübe betrachteten sich die dunklen Augen die tiefen Schatten, während sich die Ohren in völliger Geräuschlosigkeit entspannten. Regungslos ein jeder Muskel, ausgestreckt der Körper, als er dort lag und der matte Schein des Mondes das weiße Laken erleuchtete. Geschmeidig schlängelte sich das lange Haar über den Stoff, als er das Gesicht wandte, sich seine Brust an einem tiefen Atemzug labte. Die Lippen öffneten sich einen Spalt, leise strich der Atem über sie hinweg und flüchtig zuckten die Finger der einen Hand, versenkten sich in der dünnen Decke, die ihn wärmte. Selbst die Lider regten sich unter der Bewegung der Pupillen. Es war schön hier… hier gab es nichts und weiterhin blickte er um sich, spürte die Wärme zu seinen Füßen. Spürte sie in jeder Faser seines Körpers, den sie zu durchfluten schien. Keine Zeit… hier war es immer dunkel und still… und abgeschieden. Kein Geruch… keine Kälte, keine Einflüsse, die Existenz bewiesen. Die Wirklichkeit lag woanders und abermals schöpfte er tiefen Atem, bevor sich sein Körper unter der Decke zu regen begann, sich matt zur Seite drehte und dort sofort die alte Bequemlichkeit fand. Neckend streifte eine lange Strähne seine geschlossenen Augen, drang in kein Bewusstsein. Trunken bewegte er sich in seiner Welt, einem nicht existenten Pfad folgend, ohne Ziel und Sinn. Kein Weg zu seinen Füßen, kein Himmel über ihm, auch kein weit entfernter Horizont, dem er entgegenstrebte. Taub und blind setzte er einen Fuß vor den anderen und entfernte sich von seinem Punkt. Keinen anderen schien es hier zu geben und doch unzählige von ihnen, die weiterführten und viel versprachen. Mit jedem Schritt, mit jeder Bewegung näherte er sich anderen Gefilden. Bislang noch dunkel und rätselhaft, stellten sie alles dar, wonach er sich verzehrte. Etwas Anderes, etwas Zukünftiges, das die Vergangenheit verbannte und fern hielt, offen blieb für das Neue, für das Gute. Irgendwo… in dieser Finsternis. Irgendwo. Doch er war alleine hier. Ohne Druck, ohne Hast, ohne zu flüchten. Und es ging weiter… das tat es immer. Irgendwie. Allein seine Gedanken teilten seinen Weg. Die Welt, die in ihm lebte, mit all ihren Erschütterungen, mit all ihren Schäden. ‚Hier gibt es nichts’, sagte man ihm. Nichts, das schmerzt. Nichts, das bekämpft werden muss. Und es war viel Zeit vergangen, seit er sich dessen zuletzt bewusst gewesen war. Hier in seinen Mauern, in die kein Feind zu dringen vermochte. Langsam hob er die Arme. Weit streckte er sie von sich, durchstreifte mit den Händen das Nichts, tat weitere Schritte, schloss die Augen. Ein Kampf war ausgefochten… ein Sieg errungen. Und wie leicht fühlte er sich in diesen Augenblicken und mit diesem Wissen. Wie gut mit der Gewissheit der Vergeltung, mit der Sicherheit, die öffentliche Welt nicht mehr mit einem anderen teilen zu müssen. Nun war er dort allein, nicht weniger, als auch hier. Still lebten diese Gedanken in ihm auf, warm umfing ihn der Schleier der Tatsachen und seine Arme senkten sich, während sich ein Fuß noch immer vor den Anderen setzte. Es gab noch Gerechtigkeit auf dieser Welt. Seine persönliche Gerechtigkeit, die er andere spüren ließ. Andere, wie auch diesen Einen. Schuld musste beglichen, Wunden geschlossen werden. Es war alles eins. Seine Lider hoben sich und die dunklen Pupillen schienen mit der Finsternis zu verschmelzen, als sie zum Vorschein kamen, zur Seite drifteten und kein Ziel fanden. Doch etwas anderes… und seine Schritte verlangsamten sich, bis er bedächtig zum Stehen kam. Es hatte gut getan… er erinnerte sich und langsam senkte sich sein Gesicht, sowie seine Augen zu seinem bestimmten Punkt hinab. Gestein erstreckte sich unter seinen nackten Füßen. Es wirkte scharf, kantig, ließ sich jedoch nicht spüren und er verharrte reglos, starrte hinab in den Abgrund, der sich vor ihm erstreckte. Wie eine Schlucht, die weit hinabführte und bis an einen Punkt, wie es einen Tieferen nicht geben könnte. Keinen kälteren finsteren Ort, kein Schrecken, der diesem gleichkam. Und er stand hier oben. Er stand sicher und ruhig, spürte die klirrende Kälte, die zu ihm hinaufzog, seinen Körper unberührt ließ, kaum auf sich aufmerksam machte. Teilnahmslos widerstand ihr der junge Leib, während die Pupillen die Düsternis durchforsteten… und fündig wurden. Dort unten lag er… weit entfernt. Der Körper jenes Mannes, zertrümmert und leblos. Zerschlissen der edle Stoff des Fracks, verschmutzt die weißen Handschuhe, wirr das einst gepflegte, lockige Haar. Das Gesicht des jungen Mannes wies keine Regung auf. Entspannt blieb ein jeder Zug, als er seine Position auskostete, hinunterspähte zur Vergangenheit, die er mit eigenen Kräften hinabgeschmettert hatte. Die Strähnen seines Haares erhoben sich unter einer weiteren Böe, kitzelnd glitten sie über das apathische Gesicht. Er hatte ihn getötet… jedes Versprechen gehalten, das er sich selbst gab. Und es war gut gewesen. Er hob die Hand, zielstrebig streckte sie sich über die Tiefe, regte sie im kalten Zug. Die Gerechtigkeit hatte ihn an diesen hohen Ort geführt. Hierher, wo er nicht fror, wo er nicht litt und sich ‚Unbeteiligter’ nennen durfte. Hier… wo er lebte. Die Finger spreizten sich, vollends reckte sich der Arm nach vorn und knirschend löste sich das poröse Gestein unter seinen Füßen. ‚Du hast ihn getötet’, trug der Wind eine schemenhafte Stimme mit sich. Es war die Eigene, die er wiedererkannte. ‚Du hast ihn getötet und du lebst. Das ist Gerechtigkeit.’ Gerechtigkeit, die Glück schuf… Zufriedenheit zurückbrachte. Er fühlte sich gut… durch den Tod eines Anderen. ‚Du weißt, was er getan hat.’ Abermals rauschte diese Stimme in seinen Ohren, ließ ihn blinzeln. ‚Du weißt, was er DIR angetan… wie er dich verhöhnt, erniedrigt und gepeinigt hat.’ Ja… Und die dunklen Augen lösten sich von jedem Punkt, richteten sich auf die Finger, die sich krümmten, auf die Hand, die sich ballte. Nur leicht. Er schluckte. Die trockene Luft hatte in seinem Hals gebrannt, der dichte Staub sich in seine Augen gesetzt. Seine Knie waren müde gewesen, an jenem Tag, als er die Einöde hinter sich ließ, jene Gebäude erblickte… die Stadt erkannte, die unbewohnt und doch sein Schutz sein würde. Eine warme Böe erfasste ihn, unterdrückte die Kälte der Schlucht, umfing ihn rau und er starrte auf die Fetzen der Erinnerungen, die an ihm vorbeidrifteten. Wie ein Gemälde… dieser Marktplatz. Abwesend tastete seine Hand nach dem Bild, versuchte es zu erreichen und streckte sich doch nur in die Leere. ‚Tyki heiße ich.’ Geisterhaft umspielte ihn der Klang der bekannten Stimme. Nur sanft erhob sie sich, leise, verbunden mit einem Schmunzeln und er drehte sich um, blickte zurück und auf die Gestalt, die sich im staubigen Treiben der Illusion manifestierte. Riesenhaft erhob sie sich, ließ ihn hinaufstarren und reglos verharren. Vergangenheit… es waren nichts als Erinnerungen… In dieser sicheren Welt…? Bröckelnd löste sich weiteres Gestein unter seinen Füßen, rieselte hinab in die Schlucht und hinunter zu jenem leblosen Leib. Die Tiefe im Rücken, richtete er sich stockend auf. Irritation befiel seine Züge, lästig machten die wirren Strähnen auf sich aufmerksam und rasch streifte er sie zurück, öffnete wortlos den Mund. ‚Ich bin ein normaler Reisender und führe nichts Schlimmes im Schilde.’ Die Hand der Erscheinung löste sich vom schwarzen Zylinder. Gemächlich sank sie hinab und doch erwachte ein Windstoß unter ihr zum Leben, unter dem der junge Mann nach Atem rang. Schützend hob er den Arm vor das Gesicht, dumpf rauschte die Böe in seinen Ohren, drängte ihn um einen Schritt zurück. Und vor ihm jene behäbigen Bewegungen… in welchen er den Sitz der Handschuhe überprüfte, den Kragen des Anzuges richtete… den Kopf schief legte und unter den verspielten Locken grinste. ‚Weißt du, ich mag mir eigentlich gar keine Zeit für dich nehmen. Also mache ich dir einen Vorschlag. Du steckst das Messer weg, gehst nach Hause und darfst erzählen, dass du mich richtig übel zugerichtet hast. Und dann haben wir beide etwas davon.’ Die weißen gepflegten Zähne präsentierten sich, als sich das Grinsen charmant vertiefte. Ein Seufzen kam über die dunklen Lippen und dumpf lebte ein Grollen in der tiefen Finsternis der Schlucht auf. Gleich eines Gewitters wucherte es empor und schallend entrann dem jungen Mann ein Keuchen, als er herumfuhr, als seine Füße hastig nach Halt suchten und er etwas hinabschlitterte, bevor er ihn fand. Fahrig schlugen sich seine Finger in das Gestein, Schmerz lebte in ihm auf, als es sich in seine Haut fraß und ohrenbetäubend erreichte ihn das Grollen erneut. Von dort unten… als ob dort das Leben wieder auferstand…! Es war Trug… nicht die Wahrheit, keine Tatsache…! Hier in seiner Welt widerfuhr ihm nichts, das ihm Angst bereitete! Nichts, das eine kalte Gänsehaut über seinen Rücken jagte! Hier war er es, der vor Schluchten stand! Er, der triumphierte! Der gewann!! Kälte… sie umfing ihn, wie noch nie zuvor… Doch hier empfand er nichts, das ihm schadete?! Sein Atem fiel geräuschvoll und gehetzt, stieß über die Lippen, die unter einer plötzlichen Trockenheit brannten. Konfus sicherte er seinen Halt, starrte hinab zum Abgrund unter seinen Füßen. Seine Hände umklammerten das Gestein fester und ächzend schloss er die Augen, schüttelte den Kopf unter den Wahnvorstellungen. Hier konnte man ihn nicht erreichen! Hier war er sicher! Das war er doch…?! ‚Lass uns spielen.’ Nur leise erhob sich dieses Flüstern. Augenblicklich schien das Grollen seinen Klang zu verschlucken und doch erreichten ihn die Worte, als streiften die grinsenden Lippen geradewegs sein Ohr… Der Atem versagte ihm… gnadenlos verstärkte sich sein Griff in das Gestein, als er in die Höhe fuhr, sich, vom blanken Grauen gepackt, erneut jenem Anblick ergab. Starr glänzten seine Pupillen in den geweiteten Augen, ein Schauer überkam ihn und sein Unterkiefer erbebte unter einem jähen Entsetzen. Jene Gestalt… jene Silhouette des Mannes…! Soeben noch ruhig und behäbig, lebte sie zuckend auf! Ein dumpfes Knacken, unter welchem sie in die Höhe fuhr und wie ein Blitz selbst auf ihn zuschoss. Wie ein Schatten hinweg über den rauen Boden, die Hände weit nach vorn streckend… und krachend erhob sich ohrenbetäubender Lärm, in dem der gellende Aufschrei des jungen Mannes augenblicklich versiegte. Die Hände hatten sich abgestoßen, in kopfloser Panik den Halt aufgegeben, sowie ihn die Füße auch verloren. Er wich zurück, in fieberhafter Flucht vor dem Schatten, der zischend über ihn hinweg schoss, als er fiel, als er stürzte. Ungebremst hinab in die Finsternis der Schlucht und der Atem versiegte in der trockenen Lunge, als er aufschlug. Ein hohles Knacken durchfuhr seinen Körper… als würde ein jeder Knochen bersten, ein jeder Muskel reißen und gepeinigt regte er sich auf dem weichen Untergrund. Kein Gestein hatte sich in seinen Rücken gefressen… das Hindernis hatte etwas nachgegeben und plötzlicher Schweiß glänzte auf der Stirn des Mannes, als seine Fersen den Boden fanden, sich hineinstemmten, um sich Bewegung zu ermöglichen. Erdrückend lastete die Finsternis über ihm. Wie ein wolkenloser Nachthimmel, vor dem selbst die Sterne in angsterfüllter Ehrfurcht verblassten. Weit schien er gestürzt… die Schlucht schien eine einzige Ebene, ohne dass er über sich einen Hang erblickte und erstickt röchelte er unter dem Druck in seinem Körper, ächzte unter dem schrillen Fiepen in seinem Kopf, das ihn nahe um den Verstand brachte. Was geschah…?! Wo war er?! Eine fremde Regung riss ihn aus der Erschütterung, ließ ihn fahrig das Gesicht wenden, sich den Boden betrachten. Und ein jeder Glauben wurde seinem Gesicht entrissen, als sich stockend der Körper unter ihm regte. Die verschmutzten Handschuhe… zuckend versenkten sich die Finger im trockenen Gestein, wirr bewegten sich auch die schwarzen Locken durch den Staub, als sich der Kopf drehte und entsetzt schrie der junge Mann auf, als er seinen Körper zur verzweifelten Flucht trieb. Die Bewegungen fielen schwer, panisch kämpfte er sich von dem Leib, schlug auf spitzem Gestein auf, schob sich zurück und erbebte unter dem Anblick des Schattens, der vor ihm in die Höhe schoss. Kein weiterer Laut wollte ihm entrinnen, als der Mann in die Höhe schoss und sich ihm ein leichenähnliches Gesicht darbot. Geweitete Augen, in denen die hellen Pupillen zuckten, während das Blut zwischen den Lippen hervorquoll, sich düster in den weißen Kragen des Hemdes fraß. Blut… es war überall… getränkt damit waren auch die Handschuhe… der Körper, der sich, zur Hälfte zerteilt, über ihn neigte. Quietschend und erstickt erhob sich der Atem des Noah, sprudelnd schoss weiteres Blut hervor, sowie auch die Hände, die sich um die Handgelenke des Jüngeren schlugen. ‚Lass uns spielen’, erhob sich die gurgelnde Stimme, brachte einen weiteren Blutschwall über die breit grinsenden Lippen, als sich die Griffe schmerzhaft verstärkten. Das Herz schien aus der Brust des Jüngeren springen zu wollen. Selbst die pulsierende Wärme des eigenen Körpers schien sich davongestohlen zu haben, als er erstickt nach Atem rang, starr und gelähmt zu Boden gerungen wurde. Keine Gegenwehr… alles in ihm schien zu sterben bei der Furcht, die er empfand, als sich der schwere Leib auf ihn sinken ließ, das fremde heiße Blut über seine Haut perlte, sich wie Gift in ihn zu fressen schien! Bebend waren die Lippen zu keinem Ton imstande, geweitet ließen die Augen ein jedes Brennen unbeachtet und knackend legten sich die Arme des Toten um ihn, schlossen ihn in eine eiserne Umarmung. „Du duftest nach Blut.“ Warm besudelte dieses auch das Ohr des jungen Mannes, als die Lippen zu diesem fanden, die blutigen Zähne lieblos danach bissen. Ein Zucken durchfuhr den jungen Mann, stockend krümmten sich die Finger, als er zu schreien versuchte. Als er gegen die versteinerte Hülle ankämpfte. Schon einmal hatte er sich nicht wehren können…! Schon einmal war er unterlegen!! Und er tat es abermals, als sich der blutende Körper auf ihm zu regen begann. Die Augen starr nach oben und an den Locken vorbei gerichtet, das Gesicht kreidebleich, suchte er nach der Sicherheit seiner persönlichen Welt… nach der Gewissheit… dass all das hier nicht existierte…! Das all das nicht wirklich geschah!! Und wie der Hohn selbst, fraß sich ein Schmerz in seinen Körper, bis tief in sein Inneres, ohne, dass er es kommen sah. Eine Pein, die er erlebt… die ihn erschüttert hatte bis hin zu jedem kleinsten Fragment seiner Festigkeit. Und er hatte es vergessen… das Gefühl… hatte es sich verwehrt, daran zu denken!! Und lautlos riss sich sein Mund auf, stumm schrie er den Schmerz hinaus, der das erträgliche Maß bei weitem überstieg. Genauso gelähmt war er gewesen… genauso wehrlos… Es tat zu weh… es tat so abgöttisch weh und wie vernagelt blieb die Pein in ihm stecken. Es war zuviel… zuviel… er erstickte… und dröhnend überkam ihn plötzliche Dunkelheit. Das zitternde Bild vor seinen Augen verblasste und ein heftiger Schwindel riss ihn mit sich, hinaus aus den Händen des Peinigers und an einen Ort, an welchem sein Körper kapitulierte. Hart war das Gestein unter seinen Knien, als er sich auf sie stemmte, als sich sein Magen beißend verzerrte und er sich übergab. Eine nur zu bekannte Begebenheit, in welcher er dort kauerte, sich auf die bebenden Arme stemmte, würgte und röchelte… während die Schatten der verlassenen steinernen Häuser um ihn aufragten und bekannter Schmerz jede Faser seines Körper durchtobte. Nass haftete das Haar auf seiner Stirn, verkrampft behielt er die Augen geschlossen, als seine Schultern unter einem erneuten Würgen erbebten und er gleichsam vor Schmerz ächzte, als er sich abermals übergab. Die Finger versenkten sich im staubigen Kies, kühl umfing die kalte Nacht den nackten Körper und kaum drang das Knirschen an seine blutenden Ohren, als sich die abgenutzten Sohlen lederner Schuhe schlürfend über den Kies hinwegbewegten. Ein Schatten neigte sich über den zitternden Körper, still baute sich eine Gestalt vor ihm auf und gequält umklammerte der junge Mann seinen Bauch, beugte sich hinab, stemmte den Ellbogen in das Gestein und rang um den letztmöglichen Halt. Direkt vor ihm ragte jene Person auf und glänzend spiegelten sich die dicken Gläser der Brille im Mondlicht wider, als der Mann den Kopf schief legte. Die sich hebenden Augenbrauen verrieten eine gewisse Irritation. ‚Was schaust du so böse?’, erkundigte er sich daraufhin und augenblicklich verharrte der junge Mann zu seinen Füßen still. Verkrampft in sich selbst verkrochen, starrte er hinab auf den dunklen Kies und stockend auf zu den abgenutzten Schuhen, die vor ihm standen. Eiskalte Fassungslosigkeit glänzte in seinen Augen, als sich der Minenarbeiter vor ihn sinken ließ, bequem vor ihm kniete und ihn sich aufmerksam betrachtete. Doch zu einer weiteren Regung war der junge Mann nicht imstande… nicht einmal die leiseste Gegenwehr, als der Ältere die Hand hob, sich sein rauer Zeigefinger unter sein Kinn legte, sein Gesicht anhob. Ergeben ergab sich der Körper diesem Zwang und atemlos starrte der junge Mann in das Gesicht des Anderen… auf die undurchlässigen, dicken Brillengläser, auf das wirre Haar… und auf die Lippen, auf denen das Schmunzeln verblasste, als er ihn sich so betrachtete. Abermals schien die Irritation ihn einzuholen und er schnappte nach Luft. ‚Hey!’, stieß er ungläubig aus, ‚du siehst ja aus, wie eine Frau!’ Weiterhin hielt er das junge Gesicht zu sich erhoben, fand zu dem alten Grinsen zurück, als dieses starr und erschüttert verharrte, sich die Finger verkrampft in den Bauch drängten. ‚Du solltest etwas lockerer werden!’ Unter einem belustigten Lachen holte der Mann aus, hart traf seine Hand die Schulter des Jüngeren und haltlos stürzte dieser zur Seite, blieb im Staub des Bodens liegen, ächzte und röchelte. Wirr verdeckte das Haar sein bleiches Gesicht, gnadenlos zog ihm die Kälte des Gesteins entgegen, als er kaum zu einer weiteren Regung fähig war und die verletzte Schulter unter dem Hieb schmerzhaft pulsierte. Nur flüchtig und trübe durchstreiften die dunklen Augen die Umgebung… den verlassenen Platz. Er war alleine hier… in dieser Stadt, an diesem Ort und eine kühle Böe zog über ihn hinweg, als er den Arm vom Bauch löste, etwaige Übelkeit unbeachtet ließ und verschwommen in die Dunkelheit hineinblinzelte. ‚Wie geht’s?’ Kaum folgte eine Reaktion auf diese ebenso bekannte Stimme. Lediglich ein trübes Blinzeln, ein benommenes Suchen der Augen nach der Gestalt, die sich vor ihm aufbaute. Annähernd grell war die Helligkeit des weißen Mantels und regungslos blieb er liegen. Wissend und nachdenklich blickte Komui auf ihn herab. ‚Gut? Mm… das beruhigt mich.’ Unter einem leisen Seufzen ließ er die Hände in den Taschen des weißen Mantels verschwinden, straffte die Schultern und ließ den Blick abschweifen. ‚Es beruhigt mich wirklich, weil ich nämlich daran zweifle.’ Abwesend blieben die dunklen Augen auf ihn gerichtet, verhangen und undeutlich sah er seinen Vorgesetzten vor sich, sah, wie er eine Hand aus den Taschen befreite, um sich den Nacken zu reiben. Und stockend bewegten sich die trockenen Lippen… und bekamen keinen Ton zustande. ‚Kanda’, fuhr Komui da fort, ließ die Hand sinken und gestikulierte flüchtig mit ihr. ‚Du weißt, dass ich dir vertraue und dass ich dein Können respektiere, nur gab es in der letzten Zeit so einige Geschehnisse, die mich mit ernsthafter Sorge erfüllen und ich weiß nicht genau, was wir jetzt tun sollen.“ Ein mattes Blinzeln verbarg die dunklen Pupillen flüchtig, betäubt regten sich die Finger des jungen Mannes und nur flüchtig stockten die Bewegungen der Lippen, als er eindringlich von oben gemustert wurde. Schweigsam blickte Komui ihn an, stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich über ihn. ‚Kannst du deinen jetzigen Zustand denn richtig einschätzen?’ ‚Hattest du noch nie einen schlechten Tag?!’ Jäh und gellend erhob sich eine Stimme zur Antwort, ließ den jungen Mann zusammenzucken, während Komui sich nur aufrichtete. ‚Es war nur eine Anreihung von unvorteilhaften Geschehnissen und mein Können hat nicht gelitten! Meine Fähigkeiten haben nicht nachgelassen!‘ Flüchtig weiteten sich die Augen des jungen Mannes unter dieser Erinnerung. Sie suchten… richteten sich jedoch zurück auf Komui, dessen Gestalt allmählich verblasste, davongetragen wurde, als bestünde sie aus Sand. ‚Ich bin einer der besten Exorzisten!’, erhob sich die fahrige Stimme erneut und das Gesicht des jungen Mannes verzog sich gequält, als sie um ihn dröhnte. ‚Es reicht doch, wenn du mir nur einen Tag freigibst. Ich schlafe mich aus und…’ Die aufgebrachten Worte versiegten unter dem leisen Ächzen, welches sich jäh erhob. Es kam über die leicht geöffneten Lippen des jungen Mannes, als dieser die Augen geschlossen hielt, die Zähne aufeinander biss und das Gesicht zum Gestein hinab wendete. Die Hand ballte sich zur Faust, kitzelnd vergrub das Haar die bleiche Mimik unter sich, als er sich stockend auf den Bauch rollte, im Staub des kalten Bodens liegen blieb. Das hier war kein Sieg… Das hier war keine Zufriedenheit… Es war eine einzige Lüge, mit welcher er sich zu Sicherheit zwang…! Nicht das, was er sich wünschte! Nicht das, was er erreichen wollte! Nicht das, was er zu sein versuchte! Es war alles so… falsch… so trügerisch…!! ‚Was soll ich tun…?’, die eigene Tränenerstickte Stimme schallte in seinen Ohren und deutlich war auch die Erinnerung an jene Lichtung, auf der sich alles abspielte. Auf welcher er zusammenbrach… Auf welcher er etwaige Festigkeit verlor… Auf welcher er sich so zeigte, wie er war… wie er sich fühlte… mit all der Schwäche und Verzweiflung, die in ihm lebten. ‚… wann ist das endlich vorbei…?’ Er erkannte den Klang seiner Stimme nicht wieder… zitternd, erschöpft… und das vor den Augen eines Anderen. ‚Was soll ich noch… machen…?’ Ein Gesicht… Aus der Dunkelheit, die er seinen Augen schuf, erwachte ein seltsames Bild zum Leben, welches er sich starr betrachtete. Auch dieses kannte er… kannte es nur zu gut… Die schwarzen Locken wirkten wirr, mitgenommen von einem schweren Kampf, der vor kurzem sein Ende gefunden hatte. Die dunkle Haut, benetzt vom Dreck des Bodens, auf welchen er ihn oft gezwungen hatte. Er stand dort vor ihm und seine Lippen glänzten vor Blut, als sie sich zu einem seltsamen Lächeln verzogen. Für Reue war es zu spät… und doch gab es in diesem Ausdruck wirklich ein stilles Bedauern, in welchem er den Kopf neigte, sich seinem Schicksal ergab. ‚Mein Fehler…’ Ein leises Ächzen brach sich an den steinernen Wänden, als sich der junge Mann zu regen begann. Nur stockend und ziellos hoben sich die Hände, zermürbt wälzte er sich zurück auf die Seite und laut zitterte sein Atem in der stillen Dunkelheit des Zimmers. Schweiß glänzte auf dem Gesicht, welches sich im Kissen vergrub und während er in dieses keuchte, machte sich sein Leib bereits daran, zur alten Beweglichkeit zurückzufinden. Die Hände tasteten über die Matratze hinweg, rasch fand die eine die Kante des Bettes und schwer atmend richtete er sich auf. Nur um ein Stück und ausreichend genug, um sich zu jener Kante zu ziehen. Sein gesamter Körper badete im Schweiß, als er sich aus dem Bett schob, die Füße auf den steinernen Boden setzte und doch keine Anstalten machte, sich zu erheben. Kraftlos folgte der Körper den Füßen und letztendlich schob er sich lediglich ins Freie, ließ sich neben das Bett sinken und verharrte dort. Die Decke hatte sich in seinen Beinen verfangen, war mit hinunter gezogen wurden und blieb unbeachtet, während sich Kanda in die Matratze klammerte, ebenso das Gesicht auf sie presste und mit tiefen röchelnden Atemzügen um Fassung rang. *tbc* Kapitel 14: ~4~ --------------- Ein undeutliches Murmeln kam über die Lippen des jungen Mannes, bevor er sich träge zu regen begann, einen seltsamen festen und unangenehmen Untergrund zu spüren bekam und den Kopf von diesem hob. Die Hände verrieten eine gewisse Kälte, als er sie ballte und nach einem unwirschen Zwinkern öffnete er die Augen. Er lag auf dem Boden… Schleppend lugte er zur Seite und wurde sich dieser Tatsache bewusst. Ja, er lag wirklich ausgestreckt auf dem Gestein und neben dem Bett und konnte sich nicht erklären, wie er dort gelandet war. Ebenso wenig, wann ihn die Müdigkeit erneut übermannt hatte. Seine Augen richteten sich auf das Bett, ziellos bewegte er die Beine und unter einem herzhaften Gähnen richtete er sich auf. Sein Rücken ließ ihn das Gesicht verziehen, verurteilte den ungewohnten Schlafplatz gnadenlos mit einem Stechen und seine Hand benötigte zwei Versuche, bevor sie die richtige Stelle fand, diese rieb. Wirr und zerzaust fiel das Haar in sein Gesicht, als er den Kopf sinken ließ, die Nase rümpfte und auf die Decke starrte, die in trügerischen Hintergedanken seine Beine umschlungen hatte. Er gab sich einem kurzen Versuch hin, sich zu befreien…und gab diesen auf, als er auf seine nackte Brust aufmerksam wurde. Das Hemd… seine Stirn legte sich kraus, als er zu dem Fetzen lugte, der sich verzweifelt an seinem anderen Arm hielt. Wann hatte er die Knöpfe geöffnet? Er starrte lange, begann nach wenigen Momenten wieder seinen Rücken zu bearbeiten. Er wusste es nicht… eine mysteriöse Nacht lag hinter ihm und dennoch fühlte er sich recht ausgeschlafen… bei klarem Verstand…? „Mm…“ Er presste die Lippen zusammen, ließ vom Rücken ab und drehte sich, um zum Fenster zu blicken. Hinter dem farbigen Glas lag die Helligkeit des Tages und sofort stellte er sich die Frage, wie spät es war. Vielleicht schon Mittag…? Was war passiert? Das Sinnieren wollte ihm nicht so recht gelingen und letzten Endes beließ er es dabei, sich ausgiebig im zerzausten Haar zu kratzen. Wenn man ihn bräuchte, hätte man ihn wohl geweckt. Na also, Grund zur Sorge gab es nicht und die restlichen Antworten konnten getrost vernachlässigt werden. Viel wichtiger war der Hunger, der das Stechen des Rückens ablöste. Es war wirklich eine ganze Weile her und seinem geistigen Auge bot sich der Anblick des Speisesaales. Da müsste er unbedingt hin und ohne weitere Zeit zu vergeuden, machte er sich daran, auf die Beine zu kommen. Es war recht schwer… seine Knie wollten noch nicht die Kraft preisgeben, die er in sich vermutete und auch seine Schultern beklagten die plötzliche Beanspruchung. Ächzend stemmte er sich nach oben, suchte sich festen Halt auf dem Boden und stand auf. Ein leichter Schwindel überkam ihn, als sich das Gestein weit unter ihm erstreckte und flüchtig rieb er sich die Augen, streckte den anderen Arm und schmatzte. Nur stockend ließ sich sein Kopf gebrauchen… bitter kam der Nachgeschmack der nächtlichen Geschehnisse und er schüttelte den Kopf unter einer gewissen Verwirrung. Diese Nacht hatte weder einen Anfang, noch ein Ende. Sie war nicht zu ordnen und nur undeutlich mischte sich der düstere Traum unter die Erinnerungen, die mehr als verschwommen und wahllos in ihm rumorten. Es war… alles etwas verdreht und er beschloss, sich keiner Hast auszusetzen. An die Dinge, die er sich für den heutigen Tag vorgenommen hatte, würde erst sich erst entsinnen können, wenn sein Magen gefüllt und er vollständig wach war. Wenn er dazu fähig war, klar zu denken. Scheinbar ließ man ihm Zeit, daran zu arbeiten und wieder kam ihm der Speiseraum in den Sinn. Träge ließ er die Hand sinken und wandte sich ab. Da spürte er eine seltsame Enge. Plötzlich schloss sie sich um seine Fußgelenke und kurz stolperte er nach vorn, stemmte sich auf den Tisch und starrte auf die Decke. Die hatte er ganz vergessen. Lustlos begann er die Füße zu befreien und wie störend war dabei dieses Hemd, das an seinem Handgelenk hing. Sobald die Decke in sicherer Entfernung lag, richtete er sich also auf, lehnte sich gegen den Tisch und bahnte sich mit der Hand einen Weg durch den Stoff und löste den Knopf. Akribisch verfolgte er die Arbeit, verfolgte auch, wie der Stoff ungebremst zu Boden ging und ein mürrisches Brummen kam über seine Lippen, bevor er sich gezwungener Maßen danach bückte. Auch eine Sache, gegen die der Rücken abgeneigt war und er presste die Lippen zusammen, als er nach dem Stoff tastete, ihn endlich unter den Fingerkuppen spürte und ergriff. Er war völlig durcheinander und träge begann er ihn zu schütteln und zu entfitzen, starrte erneut um sich und stellte sich die alten Fragen. Irgendetwas stimmte heute nicht. Er fühlte sich seltsam überfordert, körperlich hingegen recht gut. Wie lange hatte er nur geschlafen, nachdem… Seine Bewegungen ließen nach, bis er das Hemd an der erhobenen Hand hielt. Auch seine Augen blieben an einem unbedeutenden Punkt hängen und eine flüchtige Teilnahmslosigkeit überkam ihn, bevor er die Lider senkte, den Kopf schüttelte. Es war ernüchternd… und der falsche Augenblick. Er wollte sich nicht damit befassen und schöpfte tiefen Atem, bevor er in das Hemd schlüpfte. Keine Hast… zuerst galt es, den Hunger zu bekämpfen. Die Knöpfe ließen sich schwer schließen, doch er bewerkstelligte es und wandte sich anschließend der Hose zu. Das Gleichgewicht ließ etwas zu wünschen übrig, als er in die Hosenbeine stieg, doch auch in diesem Vorhaben hatte er Erfolg, streifte den Stoff hinauf und tastete nach dem Knopf. Und schon fixierte er sich auf das Ziel, betrachtete sich die Tür. Kurz darauf hatte er diese auch schon erreicht und geöffnet. Die Helligkeit des Treppenhauses ließ ihn im ersten Moment blinzeln und eine gewisse Kälte zog ihm entgegen, als er dennoch hinaustrat und um sich spähte. Keine Menschenseele war unterwegs. Nicht einmal Geräusche drangen zu ihm und das Klicken des Schlosses schallte an dem Gestein wider, als er die Tür hinter sich schloss, sich den Hals juckte und in Bewegung setzte. Zielstrebig machte er sich auf den Weg, doch es waren nur wenige Schritte, bis ihn ein gewisser Argwohn überkam. Etwas stimmte nicht und seine Hand, die das Kratzen am Kopf fortzuführen gedachte, hielt inne, als er den Kopf senkte und sich seine Füße betrachtete. Regungslos verharrte sein Gesicht bei dem ungewohnten Anblick und bald runzelte er die Stirn, bewegte die Zehen… die völlige Freiheit genossen. Wo waren die Stiefel? Er stand barfuss hier, ließ die Hand sinken und blickte auf. Kurz betrachtete er sich die Türen, die sich vor ihm aneinander reihten, bevor er sich umdrehte und sich auf den Rückweg machte. Die fehlenden Stiefel lagen noch immer unter dem Tisch, an derselben Stelle, an die er sie am gestrigen Tag befördert hatte und träge ging er in die Knie, holte sie hervor. Apathisch setzte er sich kurz darauf zurück und holte das Vergessene nach, blies sich eine Strähne aus dem Gesicht und war zufrieden, als er die Hosenbeine über das Leder streifte und daraufhin wieder auf den Beinen stand. So musste es in Ordnung sein und wirklich war dieses Gefühl schon weitaus vertrauter. Flüchtig rieb er die Hände an dem Stoff, zog auch nachlässig an dem Hemd und ließ die Tür abermals hinter sich. Leise wurde sie erneut ins Schloss gezogen und so kehrte die Stille zurück. Etwas schief blieb das Kissen auf der Kante der Matratze hängen, wirsch die Decke auf dem Boden liegen und als sich eine Wolke vor die Sonne schob, neigte sich ein flüchtiger Schatten über das Zimmer. Das Schimmern der Sanduhr verblasste, die Blätter der Lotusblüte verloren an Farbe und die völlige Lautlosigkeit wurde erst unterbrochen, als sich Schritte im Treppenhaus erhoben, an Intensität gewannen... und die Tür kurz darauf erneut geöffnet wurde. Die Augen verdrehend schob sich Kanda zurück in den Raum. Die Tür blieb angelehnt, als er an den Tisch zurücktrat, den Kopf senkte und suchend um sich blickte. Als die Decke einen ziellosen Schritt beeinträchtigte, wurde sie zurück auf die Matratze geworfen und endlich wurde Kanda auch fündig. Der Haargummi war es, den er auf dem Boden ausmachte. Ein weiteres Mysterium, was er dort zu suchen hatte und sofort machte er von ihm Gebrauch. Die Tür öffnete er mit dem Fuß, als er die Hände zum Kopf hob, sich das Haar zurückstreifte und zum Zopf band. Noch kurz die Tür geschlossen und endlich schien auch das letzte Problem gelöst. Nach weiteren suchte er gar nicht erst, als er das Treppenhaus verließ, um eine Ecke bog und einen schmalen steinernen Gang benutzte. Der Hals juckte an diesem Tag recht viel und lästig und er kratzte, nahm nicht die losen Strähnen wahr, die aus dem schiefen und lockeren Zopf hingen, völlige Freiheit genossen. Den Speiseraum galt es zu erreichen und etwas anderes spielte keine Rolle, als er das Ziel erreichte, die Tür öffnete und den Saal betrat. Nur wenige Geräusche waren es, die ihm entgegen zogen und wirklich waren zu dieser Zeit nicht viele vor Ort und mit dem Essen beschäftigt. Nur wenige Finder, die sich in kleinen Gruppen zusammengefunden und auch nicht viel zu bereden hatten. Und unter ihnen… Zielstrebig nahm er den Weg durch die Tischreihen und steuerte auf die Theke zu. Das Klirren des Bestecks und das Rücken der vielen Teller kamen näher, stoisch drifteten Kandas Pupillen zur Seite und nur flüchtig erwiderte er den Blick des Jungen, der sofort auf ihn aufmerksam wurde. Mit vollem Mund hatte sich Allen aufgerichtet, den Neuankömmling wahrhaft gespürt und stockend ließ er die Gabel sinken, als man auch schon das Interesse an ihm vorbei, ihm den Rücken kehrte. Kanda folgte seinem alten Weg und mit einer erschütterten Irritation folgten die Augen des Jüngeren seinen Bewegungen, blieben an ihm haften. Selbst das Essen, das ihm noch nicht zum Opfer gefallen war, hatte zu warten, als er an den Zähnen saugte, das Gesicht verzog und den Kopf schief legte. Was war denn das…? Seine Finger wendeten das Besteck, perplex verfolgte er, wie Kanda das Ziel erreichte und unter einem zermürbten Seufzen schüttelte er den Kopf und lenkte die Konzentration auf die Teller zurück. Er hatte wohl nicht alles zu verstehen. Da war sie - die Theke und Kanda blieb vor ihr stehen, hörte bereits das Treiben aus der Küche und hob die Hand abermals zum Kopf. Allmählich fühlte sich dieser an, als wäre er mit ihm aufgeschlagen und vorsichtig betastete er eine Stelle, als die Tür der Küche aufgerissen wurde und sich Jerry in gewohnten Enthusiasmus präsentierte. „Ich kooomme!“ Noch schnell die Hände an einem Handtuch gereinigt und schon winkte er und eilte herbei. Vorsichtig versenkten sich Kandas Fingerkuppen im schwarzen Haar, rieben und machten sich auf den Rückweg, als Jerry auf der anderen Seite der Theke stehen blieb, sich das Tuch über die Schulter warf und die Hände in die Hüften stemmte. „Einen schönen guten Morgen, Kanda!“ Das stets heitere Grinsen entfaltete sich rasch, verblasste jedoch eher als gewohnt und ziepend blieb eine Strähne an Kandas Hand haften, als diese sinken gelassen wurde. Unbeachtet wurde sie aus dem heillosen Durcheinander gezogen und eine kurze Stille brach zwischen ihnen aus. Es mochte an der ausbleibenden Frage Jerrys liegen und stoisch verfolgte Kanda die überraschte Musterung, der er unterzogen wurde. „Mm…“, fasziniert presste der Ältere die Lippen aufeinander, neigte sich zur Seite, betrachtete sich Kanda genauer und hob die Brauen, als er sich wieder mit seinem Gesicht befasste. „Mm… ist das der neuste Schrei bei euch Jugendlichen?“, verlangte er daraufhin zu wissen, stemmte die Ellbogen auf die Theke und das Kinn in die Handfläche. Er wirkte wirklich begeistert und ihm gegenüber wurde die Stirn gerunzelt. „Ist das…“, flüsterte er beeindruckt, „… gerade in? Meine Güte!“ Er verdrehte die Augen, seufzte. „Ich dachte, die rebellische Modezeit ist vorbei. Neee, wie man sich irren kann!“ „Was soll das heißen“, kam Kanda endlich zu Wort. Seine Faszination hielt sich in Grenzen, als er sein Gegenüber argwöhnisch musterte und dieser richtete sich auf. „Na, du trägst dein Hemd verkehrt herum. Ist das gerade angesagt?“ Aufgeregt fuchtelte er in die Richtung und ungläubig starrte Kanda an sich herab, hob die Hände. „Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Auge auf die neuesten Trends hast!“ Jedenfalls waren die Nähte außen und die Knöpfe nach innen gekehrt und stockend tastete der junge Mann nach dem völlig zerknitterten Kragen. „Ich kann deinem Modegeschmack zwar nicht ganz folgen“, fuhr Jerry in diesem Augenblick schon fort, „aber ganz bestimmt deinem Essenswunsch. Was darf’s denn sein?“ Erwartungsvoll reckte er den Kopf und Kandas Hände streiften gerade die verdrehte Knopfreihe, als er aufblickte, den Koch anstarrte. „Mm?“ Verspielt bekam dieser das Küchentuch zu fassen und zwirbelte es um seinen Arm, während ihm gegenüber Stille herrschte… und für geraume Zeit anhielt. Kandas Mimik war eine gewisse Grübelei anzusehen und während er sich wirklich im Sinnieren verstrickte, fanden seine Hände zur Theke, begannen das Holz abwesend zu bearbeiten. Unentschlossen kreisten die Augen des jungen Mannes, während er an dem Holz kratzte und keine wirkliche Lösung zu finden schien. „Na?“ Ungeduldig neigte sich Jerry zu ihm. Bei Kanda war er keine lange Wartezeit gewohnt und umso seltsamer war die Begebenheit, als der junge Mann seinen Blick entrüstet erwiderte, wirklich keine Ahnung zu haben schien. „Ahh…“, ein verworrenes Raunen war auch keine große Hilfe und dem Koch entrann ein Seufzen. „Vielleicht…“, entschloss er sich, ihn bei der Wahl zu unterstützen, „… Soba-Nudeln?“ Ein leises Kichern entrann ihm, als Kanda zu altem Leben erwachte. Unter einem leisen Räuspern straffte er die Schultern, zerrte ziellos an dem Hemd. „Natürlich.“ „Na, was denn auch sonst!“ Lachend wedelte Jerry mit dem Tuch und seine andere Hand verstrickte sich in eine heitere Gestik, bevor er sich auf den Ballen umdrehte, zur Küche floh. „Kommt sofooort, nur ein klitzekleines Momentchen!“ Naserümpfend starrte Kanda ihm nach, starrte auch auf die Tür, die sich hinter ihm schloss und allmählich verstärkte sich der Gedanke, dass heute etwas nicht stimmte. Modetrends, ja? Ihm entrann ein leises Murren und kurz darauf machte er sich an den Knöpfen zu schaffen. In seinem Rücken klirrte noch immer das Geschirr des hungrigen Jungen, als er sich den Stoff letztendlich von den Schultern streifte, verhalten wendete und sich unter verstohlenen Blicken nach beiden Seiten wieder überzog. So stimmte es und auch die Knöpfe ergaben sich seinen Fingern weitaus schneller. Zielstrebig fand er sie und kaum war er fertig, da wurde die Tür zur Küche auch schon wieder aufgestoßen und das gewohnte Tablett vor ihm abgestellt. „Bitteschön!“ Grinsend präsentierte Jerry seine Arbeit und stumm wurde diese entgegengenommen. „Lass es dir schmecken!“ Eines Blickes wurde er nicht mehr gewürdigt, bevor Kanda sich abwandte und das Gesicht des Koches von erneuter Irritation befallen wurde. Etwas schief sah er dem jungen Mann nach, bevor er ein verwirrtes Seufzen ausstieß und sich entschloss, sich keine Fragen mehr zu stellen. Schnell war ein guter Platz gefunden und mit geübter Perfektion gelang es Kanda auch, gewisse andere Besucher mit Nichtbeachtung zu strafen und sich alleine seinem Essen hinzugeben. Und es schmeckte… natürlich, so, wie immer. Fließend und zügig ließ er es sich schmecken und kaum versah er sich, da kam er auch schon wieder auf die Beine, war den Hunger losgeworden und machte sich daran, den Saal zu verlassen. Gewisse Tagesplanungen drangen nun auch wieder in sein Bewusstsein, hatten den letzten Bissen etwas an ihrem Reiz genommen. Doch diese neue Zielstrebigkeit hatte auch etwas Gutes an sich. Er schien sich gefangen zu haben, was auch immer am heutigen Tag mit ihm los war. Es spielte so oder so keine Rolle, denn nun machte er sich auf den Weg zu Komui. Eine versteckte Uhr in der Küche hatte ihm die späten Morgenstunden verraten und viel konnte er nicht verpasst haben. Er würde nicht zu spät kommen und fühlte, wie die alten Grübeleien ihn überkamen, als er die Tür des Speiseraumes öffnete, diesen verließ. Gestern war er Unannehmlichkeiten also entkommen und heute… „Huch…!“ Eine plötzliche Bewegung zog ihn zurück in die Realität und ließ ihn inne halten. Nur knapp war es Lavi gelungen, seiner Hast auszuweichen. Nun stand er vor ihm, richtete sich das Stirnband und verlor das Interesse an seinem Gesicht seltsam schnell. Eher driftete seine Pupille tiefer und wortlos betrachtete er sich das völlig falsch geknöpfte Hemd. Hatte er auf die oberen beiden Knöpfe keine Lust gehabt? Es sah etwas schief aus. „Morgen“, hauchte er und ließ vom Stirnband ab. Auch die wirre Haarpracht war ihm nicht entgangen, doch in diesem Moment setzte sich Kanda auch schon wieder in Bewegung und noch immer perplex drehte er sich ihm nach, als er an ihm vorbeizog. Na so etwas… er runzelte die Stirn und schüttelte die Irritation von sich. Es gab Wichtigeres. „Eh… Yu?“ Wenn auch unwillig. Der Angesprochene hielt inne, wandte sich ihm zu und wartete schweigend. Sich sammelnd, trat Lavi näher. „Da du gestern nicht bei Komui warst, soll ich dir etwas ausrichten.“ „Kann er mir auch selbst sagen.“ Wenn es nur das war, wollte Kanda keine weitere Zeit vergeuden, doch Lavi hob die Hände. „Warte, warte“, bat er auch und der andere verdrehte die Augen, stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn du gerade auf dem Weg zu ihm bist, dann solltest du dir das schon anhören.“ „Was denn“, verlangte Kanda sofort zu wissen und als er die Augen erneut kreisen ließ, blieben sie an dem Hemd hängen, starrten es an. Reglos blieb er stehen und Lavi legte den Kopf schief. „Du musst nicht zu ihm, wir haben gestern schon alles besprochen.“ Eine Nachricht, die das schiefe Hemd in den Schatten stellte und sofort blickte Kanda auf. Freude war es nicht, die seinem Gesicht entsprang. Viel eher las Lavi ein gewisses Misstrauen. „Keine große Sache“, versuchte er die Sache sofort zu besänftigen. „Ich soll dir nur ausrichten, dass du der Beurlaubung wohl nicht entkommen kannst. Komui bestand auf sieben Tage.“ Er versuchte sich in einem Grinsen, das irgendwie misslang. Argwöhnisch wurde er angestarrt. „Mehr nicht, also… mach etwas Schönes und entspann dich.“ Wenn man mit etwas rechnete… wie konnte es so anders kommen? Kanda runzelte die Stirn und ehrlich gesagt, war es weniger Euphorie, die in ihm empor sprudelte. Vielleicht hätte es ihn zumindest etwas erleichtert, hätte Komui das befürchtete Gespräch auf diesen Fakt reduziert… doch nun? Es kam ihm seltsam vor… Nur eine Beurlaubung? Mehr nicht? „Mm.“ Eine wirkliche Antwort fiel ihm nicht ein, also beließ er es bei einem Brummen und tastete nach den Knöpfen, während er sich abwandte. Zuerst dieses Hemd richten und wie es dann weiterging, würde er sich noch überlegen. Wortlos ließ er Lavi also stehen und dieser sank in sich zusammen, hob mit letzter Kraft die Hand. >Ja…<, zog es ihm schleppend durch den Kopf, >… gern geschehen.< Die Hand sank hinab und Kanda verschwand. >Ich sehe schon. Auch in Zukunft wird er meine Anstrengungen bestimmt sehr zu schätzen wissen.< Seufzend wandte er sich zur Tür des Speiseraumes, öffnete sie. >Er wird mich hassen.< Finster begleitete ihn diese Befürchtung und mit gesenkten Schultern betrat er sein Ziel und ließ die Tür hinter sich. >Zum Glück habe ich es etwas vor mir hergeschoben.< Die Planung kam ihm in den Sinn, während er weiterschlenderte und an den Tischen vorbeizog. Die alte Ernsthaftigkeit hatte er wieder und nachdenklich starrte er zu Boden. >Heute finde ich erst einmal heraus, ob er sich wirklich etwas Gutes tut und meinen Rat befolgt oder ob er eine einfache Ausweichmöglichkeit nutzt und die Entspannung links liegen lässt.< „Lavi!“ Eine bekannte Stimme riss ihn aus den Gedanken und erst, als er sich umdrehte, erspähte er den Jungen, der mit der Gabel winkte, ihn weitaus eher bemerkt hatte. „Ah.“ Sofort schien die Ernsthaftigkeit aus dem Gesicht des jungen Mannes zu bröckeln und bequem machte er sich auf den Rückweg. „Hi“, begrüßte er Allen, als er sich bei ihm einfand, sich auf seinen Tisch stemmte und den leeren Tellern knappe Aufmerksamkeit schenkte. Es war wirklich gruselig. Wie lange saß er schon hier? „Ich habe schon gehört, du bist wohlbehalten angekommen?“ „Gab keine Probleme“, stimmte der Junge zu, verschaffte sich eine knappe Übersicht und langte nach einem Schälchen. „Nur meint Komui, dass ich erst einmal hierbleiben soll und er es sich genau überlegen möchte, auf welche Missionen er mich schickt.“ Seufzend wählte er eine kleinere Gabel und hob das Schälchen an, Lavi schmunzelte. „Heißt, ich habe wohl noch etwas frei.“ >Und da bist du nicht der Einzige.< „Und ihr seid gestern Abend angekommen?“, erkundigte sich Allen und kümmerte sich um den Pudding. „Mm-mm.“ Nickend verschränkte Lavi die Arme vor dem Bauch und weitere Worte blieben in seinem Hals stecken, als Allen plötzlich die Schale sinken ließ, mit großen Augen zu ihm aufstarrte. „Du hast gerade etwas verpasst.“ Der Pudding schien vergessen und Lavi hob die Augenbrauen, verfolgte, wie sich Allen prüfend umschaute, nicht um ein Grinsen kam. „Ich glaube, Kanda hat einen schlechten Tag erwischt. Hatte sein Hemd verkehrt herum an…“, Lavi öffnete den Mund, „… dann hat er sich umgezogen und es immer noch nicht hinbekommen.“ Mit einem Nicken wies er auf eine Gruppe von Findern, die miteinander tuschelten. „Seit er weg ist, zerreißen sie sich den Mund darüber. Mein Gott, das wird sich wie ein Laubfeuer verbreiten.“ „Ach, du Schreck… lasst ihn das bloß nicht mitkriegen.“ Befürchtend verzog Lavi den Mund, rieb sich die Stirn. Neben ihm schüttelte Allen wieder den Kopf. „Ein wirklich… wirklich schlechter Tag“, wiederholte er flüsternd, bevor er die Augen weitete und die Gabel im Pudding versenkte. „Ich hole mir erst einmal was.“ Mit diesen Worten löste sich Lavi vom Tisch, schürzte die Lippen und holte tief Luft. >Ist man wirklich nicht von ihm gewohnt… überrascht mich aber nicht. Glücklicherweise besteht nicht die Gefahr, dass er in diesem Zustand losgeschickt wird.< Nachdenklich legte sich seine Stirn kraus, als er die Arme vor dem Bauch verschränkte, die Theke erreichte. >Hoffentlich werde ich heute etwas Zeit haben, nach ihm zu schauen. Obwohl…<, seine Pupille schweifte zur Seite, >… ich mir eigentlich schon denken kann, was er machen wird. Aber bis zum Abend kann mir das egal sein.< Heitere Gespräche mit dem Jungen, der viel Zeit im Speiseraum verbrachte, zierten die nächsten Minuten des Morgens und doch galt es anschließend, sich der Arbeit hinzugeben. Es gab viel zu tun und als Lavi sich auf den Weg machte, hoffte er, sich auch auf seine Tätigkeiten konzentrieren zu können. Unbedingt musste er seinem Versprechen gerecht werden. Was wäre ein Versagen, obwohl er sein Vorhaben noch nicht einmal begonnen und noch nichts erreicht hatte? War er wirklich dazu imstande, völlig mit einer Sache abzuschließen, um sich der Wichtigeren hinzugeben? Stunden später streckte er sich auf einem Stuhl, bettete den Fuß auf einem Anderen und wendete einen Federhalter zwischen den Fingern. Umgeben von Dokumenten, saß er an einem breiten Tisch und gab sich kurzen Grübeleien hin, bevor er einen Notizzettel zu sich zog und zu schreiben begann. In nicht allzu weiter Entfernung raschelte weiteres Papier. An einem kleineren Schreibtisch hatte sich Bookman niedergelassen, blätterte in einem Buch und vertiefte sich in die Schriften. Eine angenehme Stille herrschte an ihrem Arbeitsplatz und genügsam rückte sich Lavi zurecht, bearbeitete den Federhalter mit den Zähnen und streckte die Hand nach einer in Leder gebundenen Mappe aus. „Ich habe gehört…“, erhob sich da die Stimme des älteren Mannes und seine Bewegungen verlangsamten sich flüchtig, bevor er die Mappe erreichte, „… dass du dich für Kanda einsetzen willst.“ Die Augen nicht vom Buch lösend, verharrte Bookman reglos und Lavi rümpfte die Nase, lehnte sich mit der Mappe zurück. „Richtig.“ Vorsichtig löste er die kleinen Bändchen aus den ledernen Schlaufen und Bookman blätterte um. Erneut brach das Schweigen über sie herein und mit einem leisen Räuspern vertiefte sich Lavi in den Inhalt der Mappe. Altes Pergament war es, das er studierte und der Ältere blickte über das Buch hinweg zu einem anderen, runzelte die Stirn. „Und das hältst du für richtig“, murmelte er und spätestens jetzt offenbarte seine raue Stimme einen Hauch der Missbilligung. Es kam für Lavi nicht überraschend. „Hältst es für klug, dir noch mehr aufzuhalsen. Und dann noch so etwas.“ Gut… so ging es nicht. Tief Luft holend ließ Lavi die Mappe auf den Schoß sinken und blickte auf. Entspannt vertiefte sich Bookman weiterhin in die Arbeit. „Es gibt keine andere Möglichkeit.“ „Es gibt jede Menge anderer Möglichkeiten“, wurde er beinahe und monoton unterbrochen und spähte zu dem Älteren. „Die gibt es immer. Wenn er problematisch ist, sollten sich professionelle Fachkräfte kümmern und niemand, der selbst noch in Ausbildung ist und dann nicht einmal auf dem Gebiet der Heilkunde oder der Psychologie. Du bist viel zu jung und unerfahren.“ Schweigend rückte Lavi an der Mappe, senkte auch den Blick zu ihr und Bookman kam auf die Beine. Er rutschte vom Stuhl, ging zu einem der hohen Regale und hob die Hand zu den Bücherrücken. Suchend tasteten sich die Finger über die Titel und Lavi legte auch das zweite Bein hoch, kreuzte sie. Er hatte mit Kritik gerechnet… möglicherweise auch Berechtigter. „Bevor du ihm Hoffnungen machst, solltest du es bleiben und die Arbeit anderen überlassen. Du hast genug davon.“ „Wenn ich hier bin, begegne ich ihm so oder so ziemlich oft“, murmelte Lavi zurück. „Jetzt begegne ich ihm nur anders. Das einzige, was auf der Strecke bleiben wird, ist meine Freizeit.“ „Und das ist es dir wert.“ Bookman wurde fündig. Ein dünnes Buch war es, auf das er es abgesehen hatte und es war pure Beanstandung, die aus jedem einzelnen Wort sprach. „Wenn du dich von jedem Einzelschicksal mitreißen lässt, wirst du kein guter Bookman. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns um so etwas zu kümmern.“ Zu mehr als einem weiteren Räuspern war Lavi nicht imstande. Die Worte zogen nicht spurlos an ihm vorüber und längst war das Pergament in Vergessenheit geraten. „Leider kann ich es dir nicht verbieten.“ Somit ließ sich Bookman wieder auf seinem Platz nieder, widmete sich sofort dem Mitbringsel. „Ich bin nicht davon begeistert.“ Mit diesen Worten begann er zu blättern. „Jetzt hol das bestellte Buch aus der Bibliothek und…“, seine Hand streckte sich zur Seite, „… bring die Unterlagen in die Wissenschaftsabteilung. Die wurden hier vergessen.“ Ein letzter tiefer Atemzug, dann legte Lavi die Mappe auf dem Tisch ab, hob die Beine vom Stuhl und erhob sich. Etwas Derartiges hatte er erwartet und es war überaus unangenehm für ihn, dass an seiner ohnehin wackeligen Stütze gerüttelt wurde. Er wusste es doch selbst. Es würde schwer sein. Sehr schwer. Schweigend zog er die Unterlagen zu sich, klemmte sie sich unter den Arm und machte sich auf den Weg. Diese Unsicherheit, dass er sich nicht vollständig vorzustellen vermochte, wie Kanda reagierte. Was er sagte, wenn er die volle Wahrheit erfuhr. Es war belastend und das, obwohl noch nichts Besonderes in die Wege geleitet worden war und er sich noch immer von ihm fernhielt. Würde er die eigene Lage akzeptieren und sich fügen, um sich vor größeren Unannehmlichkeiten zu schützen? Würde seine Hilfe lediglich das kleinere Übel sein? Würde die mögliche Kooperation nur darin bestehen, ihm etwas vorzumachen? Fast war das erste Ziel erreicht und er blähte die Wangen auf, bevor er eine schwere Tür öffnete und eine steinerne Halle betrat. Heute herrschte in dieser weitaus größeres Treiben, als sonst. Zwischen den bis zu den Decken aufragenden Bücherregalen tummelten sich zahlreiche Finder sowie das Personal der Bibliothek. Verstrickt in Umräumarbeiten, die lange genug vor sich hergeschoben wurden. Langsam trat er ein, schob sich an einem Berg aus säuberlich gestapelten Büchern vorbei und staunte nicht schlecht. Da hatte man sich aber etwas vorgenommen. Wollten die wirklich alle Regale ausräumen? Aus allen Richtungen drangen ihm Stimmen entgegen, aufmerksam ging er den Helfern aus dem Weg und fand schnell jemanden, der ihm weiterhelfen konnte. „Ich bräuchte ein Buch“, hob er an und begann seine Hosentaschen zu durchforsten, während der ältere Mann die Zeit noch nutzte, um an einigen schweren Büchern zu rücken. Kurz darauf bekam er jedoch einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt, überflog ihn kurz und machte sich sofort auf den Weg. „Einen Moment.“ „Danke.“ Somit ließ Lavi die Unterlagen sinken, bewegte sie zwischen den Fingern und wippte auf den Ballen, während er sich das Treiben weiterhin betrachtete. Dort in der Ecke… er beugte sich zur Seite, verengte das Auge und trat etwas näher. Diese Regale waren kurz zuvor noch nicht da gewesen. Da entstanden so einige neue Gänge und unglaublich viel Platz, um das Lager zu veröffentlichen. Das war interessant. Beeindruckt trat er näher. Diese neuen Bücher würde er sich mal anschauen, sobald… er Freizeit hätte. Er verzog den Mund, hob die Unterlagen über die Schulter und ließ sie auf sie hinabgehen. Der Mann schien seine Zeit zu brauchen und so wurde er auf den hinteren Teil der Ecke aufmerksam und auf ein Regal, das noch im Aufbau zu sein schien. Wie viele sollten dort denn noch hin? Er hob die Braue und spürte den kühlen Luftzug eines Finders, der sich an ihm vorbeiflüchtete. Doch noch mehr interessierte ihn plötzlich etwas anderes. Seine Pupille blieb an einem bestimmten Punkt hängen, die Unterlagen verharrten auf der Schulter und mit einem Mal fühlte er sich mit allen Befürchtungen konfrontiert. Reglos verharrte er auf seinem Fleck und verfolgte die Arbeit eines Anderen. Zwischen den Lippen eine Schraube, beugte sich Kanda über das Gestell eines Regals, zückte einen Zollstock und wandte sich einer Grundplatte zu. Nur flüchtig legte er den Zollstock an, bettete den Zeigefinger auf einer bestimmten Stelle und langte nach einem eisernen Meißel, den er auf das Holz setzte. Auch einen Hammer hatte er daraufhin sofort zur Hand und laut ertönte das Geräusch, als er den Pflock mit einem Schlag im Holz versenkte, den Hammer zur Seite warf und auch das Stück hinauszog, um sich die Schraube aus dem Mund zu nehmen. Lavis Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. Es sah schweißtreibend aus… doch es schien ihm gut zu gehen. Nur kurz nahm Kanda sich Zeit, das noch immer wirre Haar zurückzustreifen, bevor er einen Winkel ansetzte, die Schraube durch das Loch in die Einkerbung des Holzes drängte und nach dem Schraubendzieher tastete, der unter seinem Gürtel klemmte. „Verzeihung.“ Auch der Mann schien sich beeilt zu haben und überrascht starrte Lavi auf das Buch, das ihm gereicht wurde. „Das ist es.“ „Ah, danke.“ Zufrieden griff er nach dem schweren Werk, beanspruchte den Mann jedoch weiterhin. „Ach, Sagen Sie“, wandte er sich an ihn und wies mit einem Nicken auf den Mann, der den Winkel festzurrte, sich aufrichtete und sich kurz das Werk betrachtete, bevor er nach weiteren Schrauben griff, „… wie lange ist er schon hier?“ „Er…“, wiederholte der Mann nachdenklich, kam jedoch schnell darauf, „… er war unter den ersten Helfern. Kam gegen acht Uhr.“ Acht Uhr… Lavi ließ den Mann gehen, raffte das Buch höher und verdrehte die Augen. Kurz nachdem sie sich vor dem Speiseraum getrennt hatten. Wie reizend. Wieso musste das Befürchtete auch unbedingt eintreffen? Er wandte sich ab und verließ die Bibliothek. Selbstverständlich erholte sich Kanda nicht bei einem entspannten Bad im Onsen oder hatte sich wieder hingelegt. Weshalb sollte er es auch tun, wenn es doch viel einfacher war, sich die Probleme mit Arbeit und Ablenkung vom Hals zu halten? Nur leider war es keine dauerhafte Lösung und er freute sich auf den Moment, an welchem er Kanda diese Tatsache vor Augen führte. Kurz darauf erreichte er sein nächstes Ziel, betrat die Wissenschaftsabteilung und bekam das gewohnte Bild vorgesetzt. Wenigstens veränderte sich hier nichts. „Wo hast du die Unterlagen denn hingeräumt!“ Verzweifelt raufte sich Johnny die Haare, während er Rokujugo ins Kreuzverhör nahm. „Du hast doch gesagt, dass die Stapel, die auf der Ablage liegen, weg sollen!“, verteidigte sich dieser und Johnny stieß ein lautes Ächzen aus. „Ihr hattet keine Lust darauf! Also habe ich es gemacht und jetzt war das trotzdem falsch?!“ „Tag.“ Entspannt schlenderte Lavi an ihnen vorbei und flüchtig hob Johnny die Hand. „Die Unterlagen habe ich aber nicht auf die Stapel getan!“, wandte er sich daraufhin schon wieder an Rokujugo. „Die lagen direkt daneben!“ „Ich habe nichts genommen, was daneben lag!“ „Aber sie sind weg und ich brauche sie jetzt!“ „Könnt ihr nicht rausgehen, wenn ihr schreien wollt?“ Am Ende der Nerven neigte sich River aus dem Stuhl. Gekonnt balancierte er nebenbei eine Tasse aus und blickte auf, als Lavi vor ihm zum Stehen kam. „Tag“, begrüßte der junge Mann auch ihn, zückte die Unterlagen und reichte sie ihm. „Die wurden bei uns liegen gelassen.“ „Mm?“ Sofort richtete sich River auf und Lavi wurden die Blätter aus der Hand gerissen und überflogen. „Sind das meine Unterlagen?!“ Sofort und hoffnungsvoll reckte Johnny den Kopf, wurde jedoch enttäuscht. Unterdessen entspannte sich Rivers Gesicht und kurz darauf stöhnte er, lehnte sich an Lavi vorbei. „Komui!“, brüllte er hinüber zur anderen Seite des Raumes und der junge Mann trat lieber zur Seite, drehte sich um, während mit dem Unterlagen gefuchtelt wurde. „Huh?“ Mit großen Augen lehnte sich Komui hinter einem Regal hervor und River fuchtelte weiter. „Das sind Ihre Unterlagen! Genau die Unterlagen, die ich verschmissen haben soll!“ Sofort schlürfte Komui näher und ächzend ließ River den Kopf hängen, als er sie erreichte, an der Brille rückte und die Unterlagen an sich nahm. „Mm… mmm.“ Kritisch blätterte Komui durch und es dauerte nicht lange, da erstrahlte sein Gesicht und er starrte River an. „Oh ja, das sind sie. Na, sieh mal einer an. Wer hat die denn liegen gelassen?“ „Sie?“, schlug River erschöpft vor, kämpfte sich in eine aufrechte Haltung und leerte die Tasse mit wenigen großen Zügen. Neben ihm rieb sich Komui das Kinn, zuckte mit den Schultern und ließ die Blätter sinken. „Siehst du, Lavi“, wandte er sich entspannt an den Besucher. „Das Beste ist, gar nicht nach den Sachen zu suchen, wenn sie verschwinden.“ Freudig wackelte er mit den Unterlagen. „Am Ende tauchen sie ja doch wieder auf.“ „Aha.“ „Warum auch suchen, wenn man einfach anderen die Schuld geben kann“, meldete sich brummend River zu Wort und rutschte vom Stuhl, um sich neuen Kaffee zu besorgen. „Sein Sie doch nicht nachtragend!“ Empört schob sich Komui an Lavi vorbei und setzte zur Verfolgung an. „Das ist nicht gut! Sie wirken so unausgeglichen!“ „Woran das wohl liegt!“ Frustriert winkte River ab. „Sag mal, Lavi…“ Plötzlich stand Johnny neben diesem und verzweifelt wurde am Hemd des jungen Mannes gezerrt, „… kannst du nicht mal schauen, ob bei euch noch mehr Unterlagen herumliegen…?!“ „Eh…“, vorsichtig befreite sich Lavi von der fahrigen Hand. „Könnte ich schon, doch. Aber ich denke nicht, dass ich etwas finde.“ Unter einem hoffnungslosen Stöhnen sank Johnny in sich zusammen und Lavi nutzte den Moment der Schwäche, um sich davonzustehlen. „Du hast sie also doch selbst verschmissen!“, meldete sich Rokujugo zu Wort und bevor noch alles eskalierte, stahl sich Lavi zur Tür. *tbc* Kapitel 15: ~5~ --------------- Die Besuche in der Wissenschaftsabteilung waren immer recht spannend. Ganz im Gegensatz zu den nächsten Stunden. Es war Routine, die Lavi zu spüren bekam. Genau wie Bookmans Unzufriedenheit, für die keine Worte nötig waren, um sie wahrzunehmen. Schweigsam saßen sie beieinander, still gingen sie ihrer Arbeit nach und der Vormittag bestand letzten Endes lediglich aus oberflächlichem Fachsimpeln. Wenige Stunden, die es in sich hatten und doch gelang Lavi die Konzentration. Die Gedanken blieben beisammen und auf einzelne Tätigkeiten gerichtet, die er erfolgreich und zufriedenstellend beendete. Wie viel hatte er zu beweisen, wie sehr musste er sich zusammenreißen, um Menschen nicht zu enttäuschen. Es stand viel auf dem Spiel. Eine Tatsache, die ihm nicht neu war und doch in gewissem Sinne an ihm nagte, wenn er sich hinreißen ließ, an die Ziele zu denken, von denen er noch weit entfernt war. Entspannt verharrte er auf seinem Stuhl, lauschte der Stille, bis der Tag sich gen Mittag neigte und somit zu dem Zeitpunkt, an welchem Lavi dieser beengten Atmosphäre lieber entfloh. Zu gerne erhellte er sich die Arbeiten mit gelöster Konversation… es machte wirklich umso mehr Spaß, wenn man sich abzulenken wusste und hin und wieder auch zu einem Lachen fand. Heute wurde ihm nichts von alledem zuteil und irgendwann schloss er die Unterlagen, mit denen er arbeitete und klemmte sich eine Notizmappe unter den Arm. Heute suchte er sich lieber einen anderen Ort. Einen Platz, der bereits offensichtlich vor ihm lag: Die Bibliothek. So oder so benötigte er Literatur, um mit seinen Aufgaben weiterzukommen. Mehr Bücher, als er mit sich herumtragen wollte, also war es doch einfacher, am Ort des Geschehens zu sein, auch, wenn ihm dort die vollendete Ruhe fehlen würde. Vermutlich waren die Arbeiten noch in vollem Gange, doch behagten ihm die Gesellschaft und die Stimmen der anderen weitaus mehr, als Lautlosigkeit, die tückisch zur Ablenkung einlud. Kurz darauf öffnete er auch schon die Tür zur Bibliothek und sah all seine Erwartungen bestätigt. In den letzten Stunden schienen hier keine Helfer abhanden gekommen, mehr noch, hinzugestoßen zu sein. An manchen Stellen tummelten sich die sandfarbenen Mäntel zwischen den Regalen, Stimmen erfüllten die Luft und auch die säuberlichen Bücherstapel hatten um einiges an Höhe und Anzahl zugenommen. Überall waren sie zu finden, beinahe glich es einem Labyrinth und er bahnte sich seinen Weg vorsichtig. Dort oben… sein Auge richtete sich auf eine schmale Empore, dort oben würde er den nötigen Platz finden und möglicherweise auch ein paar Bücher, die ihm eine Hilfe waren. Aufmerksam wich er einem Finder aus, hob entschuldigend die Hand, als er dadurch gegen einen Anderen stieß und es war wahre Erleichterung, als er den Tumult verließ und die schmale Treppe erreichte. Sicher legte sich seine Hand auf das hölzerne Geländer und unter einem tiefen Atemzug stieg er hinauf. Es war ein schmaler Gang, den er sich vorgenommen hatte, begrenzt von der tiefen Halle durch ein weiteres Geländer und bestimmt ließ es sich dort gut aushalten, während unten der Fleiß vorherrschend war. Der Halle den Rücken zukehrend, beschäftigte er sich zuerst mit den Regalen, durchstöberte sie entspannt und wurde wirklich fündig. Mit einigen dicken Büchern blockierte er kurz darauf den schmalen Gang, saß im Schneidersitz vor dem Geländer und verfolgte das Treiben beiläufig, während er im ersten Werk zu blättern begann. Unweigerlich fiel seine Aufmerksamkeit auch auf jene Ecke, die zwei riesige neue Regale zu bieten hatte. Seine Finger bekamen die Kante des Papiers zu fassen und langsam beugte er sich etwas nach vorn, spähte durch das Geländer. Jetzt begannen die Finder auch schon die Regale einzuräumen. Unter dem strengen Blick und den Anweisungen des Bibliothekars, machten sie sich daran, die Berge zu lichten, die Bücher durch den halben Saal zu befördern. Ihr Ächzen und Schnaufen drang bis zu ihm hinauf und erneut blätterte er um, warf einen flüchtigen Blick in das Buch und fand flüchtig erneute Ablenkung. Eine Stimme war es, die ihn aufmerksam werden ließ. Nur ein unverständliches Brummen, das in seiner Einzigartigkeit jedoch sofort verriet, dass auch ein bestimmter Helfer noch vor Ort war. Es wunderte ihn nicht mehr und er brauchte auch nicht lange, bis er ihn erspähte. „Die Halle ist groß genug!“ Einen Schraubenzieher in der Hand, hatte Kanda von seiner Arbeit abgelassen und selbst aus dieser Entfernung konnte Lavi die finstere Miene erkennen, mit der er vor weiteren Regal-Einzelteilen kniete, bitter den Findern nachstarrte, die sich an ihm vorbeidrängten, schwere Bücherstapel balancierend. „Rennt gefälligst woanders lang!“ „Auf der anderen Seite kommen wir nicht mehr an die Regale heran“, nahm sich ein keuchender Finder Zeit für ein Antwort. „Da ist jetzt ein neuer Bücherstap...“ „Wage es, auf das Werkzeug zu treten!“, fiel Kanda ihm übellaunig ins Wort, als ein orientierungsloser Finder dem Schraubenkasten zu nahe kam. Fluchend zerrte er ihn zu sich, brachte ihn in Sicherheit und wendete den Schraubenzieher in der Hand, als hätte er anderes mit ihm vor, als ihn gegen eine Schraube zu rammen. Argwöhnisch starrte er weiteren Findern nach und Lavi glaubte beinahe, den Fluch zu hören, als er sich um ein Stück zurückdrängen ließ, die Materialien mit sich zerrte und sich mürrisch in die Arbeit vertiefte. Was für eine ausgeglichene Persönlichkeit… Die Wangen aufblähend, senkte auch Lavi den Blick zu dem Buch, lehnte die Stirn gegen das hölzerne Geländer und begann zu lesen. Die brutalen Geräusche des Hammers drangen daraufhin an seine Ohren und entspannt vertiefte er sich in den Text, stemmte das Kinn in die Handfläche und bewegte die Lippen aufeinander. Ja, diese Schriften halfen ihm wirklich weiter… Beiläufig tastete er neben sich nach der Notizmappe. Unterdessen klirrte der Schraubenkasten, als ein Finder ihn doch mit dem Fuß erwischte. „Verzeihung.“ Kurze Stille, die Geräusche des Hammers blieben aus. „Oh… warten Sie, ich mache das sofort weg!“ Und als Lavi das nächste Mal aufblickte, hockte da wirklich ein junger Finder. In gewisser Distanz zu dem Exorzisten, schob er sich auf den Knien herum und nahm sich der Schrauben an, die sich scheinbar weit verteilt hatten. Mit teilnahmsloser Miene verfolgte er, wie Kanda unterdessen auf die Beine kam. Flink fand der Hammer seinen Platz unter dem Gürtel und eine recht große Platte wurde herangeholt, gegen die Darniederliegende gestemmt. Blind war er seinem Weg gefolgt, hatte das Ausweichen den Findern überlassen und hinter ihm rutschte einer von ihnen vorbei, tastete nach den Schrauben, als er in die Knie ging, stets den Halt der Platte sichernd und sie an den Winkel rückend. Scheinbar schweigsam streckte er dem jungen Finder anschließend die Hand entgegen, bekam sofort ein paar Schrauben überreicht und klemmte sie zwischen die Lippen, bevor er begann, die Platte festzuschrauben. Er arbeitete wirklich zielstrebig und sicher, ließ sich für geraume Zeit nicht stören und träge regte Lavi die Stirn an dem Holz, senkte das Gesicht zum Buch und blätterte um. „In das zweite Regal… in das Zweite!“, meldete sich der Bibliothekar aufgeregt zu Wort. „Und diese da in das Erste!“ Er musste beinahe schreien, um den Tumult zu übertönen und wieder erschallte der Hammer. Wenn es so weiterging, dann würden die Umräumarbeiten heute wirklich noch ihr Ende finden, genau wie jegliche Kräfte der Helfer. Bald begann sich Lavi Notizen zu machen, die Arbeit fließend fortzuführen. Und es ging. Die Geräusche drangen nur beiläufig in sein Bewusstsein, als er sich das Kinn rieb, die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete. „Pass auf, wo du hinrennst!“ Die erboste Stimme ließ nicht lange auf sich warten und Naserümpfend wandte er sich seinen Notizen zu, wendete den Federhalter zwischen den Fingern. „Wie dumm kann man sein!“ Seltsame Geräusche erhoben sich und erneut hatte der Hammer ausgesetzt. „Hey“, meldete sich ein Anderer zu Wort. „Es war nicht seine Absicht. Sie werden wohl selbst sehen, wie eng es hier ist.“ „Deshalb hat man Augen im Kopf!“ Die Antwort folgte weitaus weniger verträglich. „Was steht ihr hier noch rum! Macht euch an die Arbeit oder soll ich das alleine übernehmen!“ >Hättest doch bestimmt nichts dagegen.< Entspannt setzte Lavi die Miene auf das Papier, begann zu schreiben. „Jetzt reißen Sie sich mal zusammen! Es lässt sich eben nicht vermeiden, dass…“ „Überleg genau, bevor du den Mund aufmachst!“ „Komm, beruhig dich.“ Vorsichtig wandte sich ein junger Finder an den Älteren, zog ihn zur Seite. Ergrimmt gab dieser nach, während Kanda mit dem Hammer ausholte, den Nagel postierte. „Tse… der ist es eh nicht wert!“ Konzentriert presste Lavi die Lippen aufeinander und der Hammer ließ auf sich warten. Er rutschte in der erhobenen Hand tiefer und stechend folgten die Augen dem Finder, als sich Kanda aufrichtete. „Was hast du gesagt…?“ Befürchtend verzog der junge Finder das Gesicht, Vorbeiziehende starrten hinter ihren Stapeln hervor und sofort wandte sich der Ältere dem Exorzisten zu. Scharf wurde er taxiert, der Nagel vom Holz gehoben und Lavi klemmte den Federhalter zwischen die Lippen, blätterte um. „Ihre Haltung lässt ziemlich zu wünschen übrig!“ Offen stellte sich der Finder dem Konflikt und in einer langsamen Bewegung kam Kanda auf die Beine, wendete den Nagel zwischen den Fingern. „Sie sollten sie ändern!“ Klirrend landete der Nagel auf dem steinernen Boden und Lavi blickte auf. Eine gewisse Alarmiertheit trieb ihn zur Aufmerksamkeit und langsam neigte er sich erneut zum Geländer, verfolgte, wie Kanda den Finder mit einem Schritt erreicht hatte. Nahe trat er an ihn heran, baute provokante Nähe auf, unter welcher er dem Mann direkt ins Gesicht fauchte. „Wiederhol das…!“ Geweitet waren seine Augen auf ihn gerichtet, fest umklammerte seine Hand den Hammer und der Finder stemmte die Hände in die Hüften, war wenig beeindruckt von dem Benehmen des weitaus Jüngeren. „Ihre Selbstüberschätzung könnte Sie irgendwann teuer zu stehen kommen!“, fuhr er fort und das Gesicht seines Gegenübers erbebte zuckend. Lavi hob die Augenbraue, öffnete den Mund. „Man bekommt immer das, was man verdient! Sie werden seh…“ Es verschlug ihm die Sprache und beinahe stolperte er zurück, als sich die Hand des Exorzisten in den Kragen seines Mantels schlug, eine Kraft offenbarte, die dem Finder in dem Moment des Entsetzens etwaige Gegenwehr verbot. Bedenklich verzog sich Lavis Gesicht, nervös rieb er sich die Wange und der Fluss der Finder kam zum Stehen. „Was hast du gesagt?!“ Keuchend zerrte Kanda den Mann zu sich, zitternd verfestigte sich sein Griff und ängstlich wurde der junge Finder auf den Hammer in seiner anderen Hand aufmerksam, der ebenfalls zu beben schien. „Wie kannst du es wagen…!“ Beinahe versiegte seine Stimme in dem heftigen Atem und stockend festigte der ältere Finder seine Haltung. „Du verfluchter…“ „Hey, es reicht!“ Bestimmt ging eine Hand auf Kandas Schulter nieder. Ein großer Finder war hinter ihn getreten, doch bevor er die Finger in dem Hemd des Exorzisten versenken konnte, war dieser der Hand entkommen. Ein wahrer Schreck hatte sein übereiltes Ausweichen geprägt und doch blieb seine Hand in dem fremden Kragen versenkt, als er zur Seite trat… die Wut in seinen Zügen einer flüchtigen Verstörtheit wich, in welcher er der Hand nachstarrte. Angespannt war der Finder ihm nachgestolpert und nur kurz war der Augenblick, in welchem sich der Zorn löste, bevor ihm Kanda wieder Aufmerksamkeit schenkte. Mit offenem Mund starrte Lavi zwischen dem Geländer hindurch, fand zu keiner Regung, beobachtete zu konzentriert, zu erpicht. Aufmerksam waren bereits andere Bücher fortgelegt worden und alarmiert scharten sich die Finder um den Exorzisten. „Du wagst es, so mit mir zu sprechen?!“ Die Hände des Finders, die sich um die seinen legten, schien Kanda nicht wahrzunehmen. Ebenso die plötzliche Bedrängnis der Anderen, als er erneut an dem Mann zerrte. Lavi schluckte. „Was glaubst du, wen du vor dir hast!“ Schallend erhob sich seine Stimme in dem Saal und abermals streckten sich Hände nach ihm aus. Bebend rang er nach Atem. „Im Gegensatz zu mir bist du ein Nichts!!“ „Kanda?“, erhob sich plötzlich eine weitere Stimme, zog sofort etwaige Aufmerksamkeit auf sich. Gleichzeitig wandten sie die Gesichter und auch Lavi lugte zur Seite, richtete sich auf. Stockend löste Leenalee die Hand von der Klinke, betrat die Bibliothek und erwiderte den konfusen Blick des jungen Mannes ungläubig. „Was soll denn das?“ >Leenalee…<, tief schöpfte Lavi Atem, presste die Lippen aufeinander. Unterdessen nahm der ältere Finder das Zucken der jungen Hand wahr. Augenblicklich und mit dem Eintreffen der jungen Frau hatte sich die Atmosphäre verändert und Kanda entrann ein trockenes Keuchen, als er zu ihm herumfuhr, sein Gesicht einem weiteren Zucken unterlag und seine Augen dennoch weiterdrifteten, sich eilig auf die nahen Finder richteten, die ihn umringten, in ihrer Mitte einschlossen und ohne Weiteres eingegriffen hätten. Feindseligkeit schlug ihm entgegen, Wut funkelte in den Augen der Männer und zitternd verlor seine Hand an Kraft, während die raschen Schritte der jungen Frau ertönten. Laut hallten ihre Absätze in der völligen Stille der Halle wider, als sie sich zielstrebig näherte. „Kanda!“ Angespannt wechselte sie die Mappe in die andere Hand und Kanda starrte um sich, fand sich in dem dichten Meer der Anwesenden wider… abermals war der Zorn einer undefinierbaren Mimik gewichen und annähernd wehrlos war er, als der Finder seine Hand aus seinem Kragen riss, er sie sofort zurückzog, sich nicht von der Stelle regte. „Was ist hier los?“ Sofort wurde der jungen Frau Platz gemacht, als sie die Gruppe erreichte, problemlos zu ihm durchdrang. Kaum wurde ihr Aufmerksamkeit geschenkt. Nur kurz streiften sie die dunklen Augen, bevor sie sich weiterhin über die Anwesenden flüchteten. >Ist das etwa…< flink legte Lavi die Hand um das Geländer, rückte näher, verengte das Auge, während er sich Kanda betrachtete, sein Verhalten in dieser Menge. Ja, er wirkte regelrecht hilflos in dieser Beengtheit. Orientierungslos zwischen all den Gesichtern. „Er hat sich nicht im Griff!“, wandte sich der ältere Finder empört an die junge Frau, rieb sich den schmerzenden Hals und fand sofort Kandas erneute Aufmerksamkeit. „Es gab überhaupt gar keinen Anlass dazu!“ >Das würde ich so nicht sagen.< Konzentriert lehnte sich Lavi gegen das Geländer und laut schlug der Hammer auf dem Boden auf, als die Hand ihn freigab, ihn den Findern direkt vor die Füße schmetterte und einige von ihnen zurückweichen ließ. „Ts!“ Eine verächtliche Handgeste richtete sich an die Finder, als sich Kanda scheinbar dazu entschloss, dieser Situation zu entgehen. Die alte Verbitterung hatte ihn wieder, als er sich an Leenalee vorbei schob, ohne zu zögern in die Umherstehenden eintauchte, sich grob seinen Weg bahnte. Rasch wich man ihm aus und sprachlos starrte Leenalee ihm nach, verfolgte perplex, wie er in zielstrebigen Schritten auf den Ausgang zusteuerte. Auch Lavis Pupille folgte ihm akribisch. Wie er das Gesicht gen Boden senkte… sich mit dem Handrücken über den Mund fuhr und es nicht eiliger haben könnte, diesen Ort zu verlassen. Durch die noch offene Tür schob er sich nach draußen, entzog sich den Blicken und allein seine Schritte waren es, die kurz darauf an die Ohren der Anwesenden drangen. Keine zugeschmetterte Tür, kein Fluch zum Abschied. Er ging ohne einen Kommentar, ohne weitere Anzeichen der Wut und sofort erhoben sich die Stimmen der Finder, als seine Schritte verstummten. Wild überlagerten sie sich und kurz verharrte Leenalee noch reglos in ihrer Mitte, bevor sie sich den Männern zuwandte. „Mm.“ Unter einem dumpfen Seufzen richtete sich Lavi auf, tastete nach dem Buch und rückte sich kurz und ziellos zurecht. Als wolle ihn jemand seiner Zweifel rügen… ihm neue Entschlossenheit vermitteln. Wo auch immer er Kanda am heutigen Tag traf, erhielt er seine Bestätigung. Er tat das Richtige. Weitaus leichter fielen ihm die nächsten Stunden, die er an Ort und Stelle verbrachte. Still wurde die Arbeit fortgesetzt, höflicher Umgangston schaffte eine angenehme Atmosphäre und oft waren die Finder noch beim Brummen und Flüstern zu erwischen. Das Geschehnis hatte einen gewissen Nachklang, für den Lavi sich nicht interessierte. Hier waren keine erschreckenden Neuigkeiten zu ihm gedrungen, nichts, das ihn überraschte und bequem führte er seine Arbeit fort, beendete sie auch, ohne, dass er aufgestanden war, sich die Beine vertreten hatte. Hier oben war es wirklich bequem und es musste in den späten Abendstunden sein, als er die Notizen zur Seite legte, die Bücher schloss und sich umständlich und träge erhob. Der Boden war wirklich hart gewesen… er bemerkte es erst, als er auf den Beinen stand. Unbequem verzog sich sein Gesicht und er nahm sich die Zeit, sich ausgiebig zu strecken. Die Hände auf dem Geländer gebettet, das Bein zurückgesetzt, streckte er den Kopf in die Höhe, unterdrückte ein Gähnen und lugte zu all den Werken, die er überflogen hatte. Ein gutes Gefühl, ein Ziel erreicht zu haben… er mochte diese Erfolgerlebnisse wirklich und wie sehr hoffte er, sie noch öfter genießen zu können, als er sich die trockenen Hände an der Jacke abwischte, die Schultern spannte und sich nach den Büchern bückte. Unten in der Halle waren die fleißigen Finder noch mit den letzten Arbeiten beschäftigt. Auch sie hatten das Projekt beendet und eine angenehme Ruhe herrschte in der Bibliothek, als einige Finder mit Besen hantierten und der Bibliothekar zufrieden vor den neuen Regalen spazieren ging. „Ganz ausgezeichnet“, hörte Lavi den älteren Mann seufzen, als er das letzte Buch in dem Regal verstaute. „Wiedersehen.“ Erschöpft verließ eine Gruppe von Findern den Ort des Geschehens und auch Lavi sah seinen Feierabend näher rücken. Vermutlich würde Bookman ihn heute nicht mehr benötigen, ihn seinem, seiner Meinung nach, naiven Vorhaben ausliefern. Und wirklich hatte er an diesem Tag noch eine gewisse Hürde zu meistern. Die Hürde, so wie es schien. Der Anfang würde am schwierigsten sein und sobald seine Gedanken sich von der Arbeit zu lösen vermochten, streiften sie unaufhaltsam in die andere Richtung, lenkten sich auf jenes Treffen, das er provozieren würde. Noch immer recht entspannt kehrte er so zur Bibliothek zurück und sah sich in seiner Vermutung schnell bestätigt. Nur flüchtig überflog Bookman seine Arbeiten, bevor er ihn verabschiedete, ihm knappe Blicke sendete, während er zur Tür zurückkehrte. Die Distanz, die Lavi geschaffen hatte, schien sich ausgezahlt zu haben. Ja, es hatte wirklich gut getan und ein knappes Schmunzeln zog an Lavis Lippen, als er die Tür hinter sich schloss, die Hand von der Klinke löste und sich auf den Weg machte. Gleichgültig, dass keine weiteren Worte gefallen waren… er konnte sich durchaus vorstellen, mit welch zynischer Sicherheit Bookman sein Versagen erwartete. Er sah das Gesicht des alten Mannes schon vor sich. Wie sich seine Stirn in Falten legte, er sich bestätigt sah und die Thematik mit einem nüchternen: „Du hättest mir einfach glauben sollen.“ beendete. Entspannt versenkte Lavi die Hände in den Hosentaschen, betrachtete sich das Gestein, das gemächlich unter ihm vorbeizog. >Wir werden sehen<, zog es ihm durch den Kopf und er atmete tief ein. >Wir werden sehen.< Nun musste es ihm erst einmal gelingen, Kanda ausfindig zu machen. Eine Sache, die sich recht schwierig gestalten würde, bedachte man, wo man hier überall Arbeit zu finden vermochte. Überall dort, wo es etwas zu tun galt, überall dort könnte er sein und der junge Mann nahm die Suche optimistisch und ruhig auf sich. Die Wissenschaftsabteilung war das erste Ziel, das er sich setzte. Dort war Kanda des Öfteren anzutreffen. Auch, wenn ihm theoretische Papierarbeit nicht behagte… für seine Verzweiflung dürfte es genügen, doch als Lavi den Kopf in den Raum streckte, fand er keinen jungen Exorzisten, der verbissen in Unterlagen blätterte und sich beeindruckenden Flüchen hingab. Nein, vielmehr kamen ihm die Wissenschaftler unter die Augen, die all das gerne übernahmen. „Da fehlen zwei Seiten…!“ Johnny schien den Tränen nahe, als er in einen Hefter starrte, vorblätterte, zurückblätterte und es letztendlich dabei beließ, an einer Seite zu zerren und sich ächzend die Haare zu raufen. In nicht allzu weiter Entfernung beugte sich River über die Reagenzgläser, rückte an den Flaschen und ließ den Kopf hängen. „Komui hat schon wieder den ganzen schwarzen Tee ausgetrunken!“, hörte Lavi ihn stöhnen. „Ist denn kein Koffein vor ihm sicher…?!“ „Ist Yu hier gewesen?“, meldete sich Lavi zu Wort, bevor ihn der Pessimismus niederdrückte. Wirklich, die Untergangsstimmung lastete auf dieser Abteilung, wie eine dunkle schwarze Wolke, aus der jederzeit die Blitze der Verzweiflung zucken könnten. Nur mäßige Aufmerksamkeit wurde ihm entgegengebracht. Johnny ließ sich auf den Tisch sinken, River kratzte sich den Rücken und allein Tapp Topp war noch ansprechbar genug. „Ist vor einer Stunde raus.“ Träge ließ er den Federhalter sinken und Lavi hob die Augenbraue. „Hat er gesagt, wo er hingeht?“ „Nö.“ Tapp Topp kratzte sich mit dem Federhalter den Kopf und schnaufend griff River nach einem grünen Tee. „Ah.“ Vorsichtig zog sich die Lavi zurück, hob die Hand. „Trotzdem danke.“ Weshalb sollte man es ihm auch einfach machen? Nun wartete also die schier endlose Suche und er blähte die Wangen auf, entschloss sich, einfach jeden zu fragen, der ihm über den Weg lief. Also stellte er die Fragen, öffnete viele Türen und lehnte sich in die Lobby und in zwei der Trainingshallen. Zu dieser Stunde waren all diese Räumlichkeiten in Benutzung. Der Feierabend ließ sich am besten auf den weichen Sofas und im dämmrigen Licht der Lobby genießen, die Trainingshallen wurden von wenigen Exorzisten genutzt und sofort ausgeschlossen. Kanda gab sich dem Training stets alleine hin, sowie in ruhigem Umfeld. Nur ein kurzer Blick genügte, um die Tür wieder zu schließen und sich neue Ziele zu setzen. Die Dunkelheit der Nacht lag bereits vor den hohen Fenstern des Hauptquartiers, als er nach einer halben Stunde in das Treppenhaus zurücktrat, die Hände in die Hüften stemmte und sich einem lauten Stöhnen hingab. Was für eine Lage, ihm war schon wieder nach grinsen zu mute. Allein der Wille zur Hilfe ließ ihn endlose Suchen auf sich nehmen und Bookmans Missbilligung abbekommen. Wer wusste außerdem, welche Abenteuer Kanda ihm noch zu bieten hatte? Als würde sich die finstere Wolke bereits weit über die Wissenschaftsabteilung erstrecken. Es war gruselig und er bog zur Seite. Weiterhin wurden also die Finder befragt und war für eine Wohltat war es, als man ihm endlich die Antwort lieferte. Zumindest einer wusste, wo Kanda sich niedergelassen hatte und sofort machte er sich auf den Weg. Auf den zielstrebigen Weg. Was für ein Gefühl. Nach einem kurzen Spaziergang erreichte er das Ziel und kein Zögern war ihm anzusehen, als er sich gegen die Tür schob, flüchtig nach dem Stirnband tastete und es höher streifte. Hier befand er sich erneut an einem Ort, an dem niemand schlief. Es war die Küche, die er betrat. Zwischen den Zeilen tummelten sich die Köche, flink versank Geschirr in einem schaumigen Bad und überall klirrten Teller sowie Besteck. Die Luft war stickig durch den Dampf der kochenden Speisen. Überall und in jedem Topf blubberte es und auch Jerry ließ nicht lange auf sich warten. „Wo sind die Aubergineeen?“ Beeindruckend. Selbst nach einer erdrückend langen Schicht bewegte er sich leicht und graziös zwischen den Köchen, folgte dem ausgestreckten Arm in die Lagerräume. Nur flüchtig sah Lavi ihm nach, bevor er um sich blickte, sich in Bewegung setzte. Hier sollte er sein? Aufmerksam wich er den fleißigen Gehilfen aus, bahnte sich einen schmalen Pfad und erkundete den beachtlich großen Raum. Gekocht und gewerkelt wurde offensichtlich mehr im vorderen Teil und so konzentrierte er sich auf den Hinteren, in welchem sich vielmehr die Regale reihten. Säuberlich und sauber war dort alles untergebracht, was man für einen vielseitigen Speiseplan benötigte und wieder achtete er penibel darauf, keinen Topf mit dem Arm zu erwischen. Hier war es recht eng und vorsichtig lehnte er sich jeden Gang, um jede Ecke… bis er innehielt und sich sein Gesicht entspannte. Seine Pupille richtete sich auf einen bestimmten Punkt und nach einem kurzen Zögern trat er in den Gang. In nicht allzu weiter Entfernung kauerte dort ein junger Mann. Das Haar zu einem hastigen Dutt gebunden und in lustiger Gesellschaft eines Eimers, bearbeitete er das raue Gestein des Bodens. Da schien es ein Unglück gegeben zu haben. Ein leerer Topf, der in der Nähe stand, machte darauf aufmerksam, dass das Essen woanders hingehörte, als auf den Boden. Lavis Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen und in langsamen Schritten näherte er sich Kanda, wurde rasch bemerkt, jedoch nach einem knappen desinteressierten Blick, als unwichtig eingestuft. Das Wasser plätscherte, als er einen Lappen hinauszog, flüchtig auswrang und sich kurz umblickte. Auf eine Bürste hatte er es abgesehen und flink war auch diese entdeckt. Unterdessen hatte Lavi ihn erreicht, blieb vor dem Eimer stehen und schöpfte tiefen Atem. Da war er nun… und vor ihm eine Herausforderung, wie er lange keine mehr hatte. War es realistisch, an einen Erfolg zu glauben? Nun konnte er es herausfinden und geräuschvoll stieß er die Luft aus der Lunge, umfasste das Handgelenk auf dem Steiß. „Hi.“ Ein knappes gelockertes Lächeln zeichnete seine Lippen und aufmerksam verfolgte er, wie Kanda abermals den Kopf hob, sich seine Augen auf einen bestimmten Punkt richteten. Seine Stiefel? Verwundert beugte sich Lavi nach vorn, folgte seiner Beobachtung und wurde unter einem deutlichen Brummen weg gewunken. „Oh!“ Sofort folgte er der liebevollen Gestik, trat zur Seite. Auf der Stelle, die er sich ausgesucht hatte, schien Kanda noch nicht gewesen zu sein und mit finsterer Miene verfolgte dieser, wie er sich die Sohlen am Boden reinigte. „Verzeihung… tut mir leid!“ Unter einem verlegenen Grinsen hob er die Hände, doch es schien auch nicht den Weltuntergang darzustellen, denn Kanda putzte weiter. Ungestört bearbeitete er den Boden mit dem Lappen, wendete die Bürste in der Hand und machte auch von dieser Gebrauch. Und er wurde dabei sorgfältig beobachtet. „Ähm…“ So oder so, Lavi war nicht hier, um ihn anzustarren und nach einem weiteren tiefen Luftholen legte er den Kopf schief. „Hast du kurz Zeit?“ Lustlos wurde die Bürste fallen gelassen, als einer der Ärmel unerlaubte Freiheit genoss. Und es blieb bei einem weiteren missgestimmten Brummen, als sich Kanda daran machte, den Stoff hoch zu strüffeln. „Ah, ich sehe schon.“ Lavi schnalzte mit der Zunge. „Du hast zu tun, bist voll beschäftigt.“ Eine Stichelei, die seltsamerweise auf taube Ohren zu treffen schien und zermürbt verfolgte er, wie der Lappen abermals im Eimer versenkt wurde. Als wäre er nicht anwesend. „Zuhören wirst du wohl trotzdem können.“ Nach einem solchen Tag hatte er keine Ambitionen für lächerliche Betteleien und aus Kandas Richtung war ein dumpfes Stöhnen zu vernehmen. „Was willst du.“ Und schon ging der Lappen erneut auf den Boden nieder und Lavi rümpfte die Nase. Er wusste, wann man eine Frage stellte und wann man eine stumme Verfluchung verpackte. „Ich möchte dir nur eine Frage stellen“, erwiderte er kurz darauf, lehnte sich seitlich gegen eine Ablage. Zu seinen Füßen wurde weitergeputzt. „Verstehst du das unter Urlaub? Ich glaube kaum, dass du irgendeine Entspannung erreichst, wenn du in der Bibliothek schuftest, den Wissenschaftlern Gesellschaft leistest und letztendlich auf dem Boden herumrutschst.“ „Was geht dich das an.“ Die Antwort erfolgte monoton und teilnahmslos. „Verschwinde.“ „Ehrlich gesagt kann ich das nicht.“ Gemächlich verschränkte Lavi die Arme vor dem Bauch und Kanda rutschte zurück. „Versuch es erst einmal!“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt schien sich die deutliche Abneigung zu offenbaren. Mit gesenktem Kopf tastete er abermals nach der Bürste, begann zu schrubben. „Mm.“ Zu mehr als einem unwirschen Murmeln war Lavi vorerst nicht im Stande. Es war erdrückend. Mit Ablehnung hatte er gerechnet, doch die Tatsache führte sie ihm weitaus früher vor Augen, schleuderte sie ihm vor die Füße wie eine Barriere. Schweigsam blieb er stehen, regte ziellos die Finger und blickte um sich. Und er könnte hier stehen, bis Kanda die Arbeit abgeschlossen hatte. Könnte auch noch hier stehen, während dieser ging, seiner Aufmerksamkeit den Rücken kehrte und sich vermutlich neue Arbeit suchte. Das Gesicht des jungen Mannes verharrte entspannt, als er den Fleiß der Köche verfolgte, sich auch das Geschirr betrachtete. Neben ihm rauschte die Bürste und tat dies äußerst penibel. An diesem Fleck schien er schon eine Weile zu sitzen und nach wenigen Momenten, erwachte Lavi wieder zum Leben. Seine Zunge bearbeitete seine Zähne, abermals rümpfte sich seine Nase und mit einer zielstrebigen Bewegung ging er in die Knie, hockte sich vor den anderen und stemmte die Ellbogen auf die Oberschenkel. Direkt und unausweichlich sah er ihn an. „Du weißt, dass ich gestern bei Komui war“, hob er ruhig an und suchte nach Reaktionen. Doch nicht einmal ein Nicken wurde ihm zuteil, lediglich ein knapper Griff, mit welchem Kanda den Eimer zu sich zog. Entspannt harrte Lavi aus. „Und vermutlich wunderst du dich, dass bisher nichts passiert ist.“ Und endlich. Die fließenden Bewegungen des jungen Mannes ließen nach, die Bürste verharrte reglos und schweigsam starrte er auf den Boden. „Tja.“ Schulterzuckend faltete Lavi die Hände ineinander. „Ich hatte meine Finger im Spiel, habe etwas mit Komui ausgehandelt. Es bleiben dir also zwei Möglichkeiten, statt einer einzigen.“ Er näherte sich an, ganz vorsichtig und langsam… und ihm gegenüber setzte sich die Bürste wieder in Bewegung. Annähernd unbeteiligt gab sich Kanda wieder dem Gestein hin und allmählich ließ sich Lavi dadurch nicht mehr stören. Kanda verstand ihn schon. „Ich weiß…“, hob er also an und presste die Lippen aufeinander, „… dass dir beide nicht gefallen werden aber für eine wirst du dich entscheiden müssen. Ich sage es dir so wie es ist. Unverändert kann es für dich nicht weitergehen.“ Aufmerksam hielt er inne, gab dem Anderen Zeit für eine Antwort und verfolgte, wie sich dessen Hand an der Bürste regte. Nur die Finger, die sich kurz spreizten, bevor er das Holz sicher umschloss, den Kopf gesenkt hielt. Ein unbeeindrucktes „Ts“, war letztendlich das Einzige, was er hervorbrachte, bevor er die Bürste in den Eimer warf. „Pass auf, die erste Möglichkeit sieht folgendermaßen aus.“ Ein leises Räuspern entrann Lavi und konzentriert rieb er sich den Mund. „Etwaige Untersuchungen werden nachgeholt. Und die Arbeit wirst du für lange Zeit vermissen, während dich Ärzte umringen und die Probleme mit Medikamenten zu lösen versuchen. Dein verbissener Widerstand wird das Seine dazu beitragen. Wie diese Möglichkeit endet, kann ich mir nicht vorstellen. Viel eher will ich es nicht. Du wirst wissen, weshalb.“ Ein tiefer Atemzug drang an seine Ohren und abermals wurde der Boden vernachlässigt. Kandas Finger lösten sich aus dem Lappen und mit finsterer Miene starrte er zur Seite. Allein die Worte schienen ihm zuzusetzen und unter einem leisen Zischen rümpfte er die Nase. „Glücklicherweise gibt es die zweite Möglichkeit“, warf Lavi ein und mit einem Mal spürte er eine Aufmerksamkeit, wie er sie noch nie zuvor von Kanda erhalten hatte. Ein förmliches Knistern durchzog die Luft, als der andere still verharrte und wartete. „Du fängst endlich an, dich zu entspannen und dir etwas Gutes zu tun. Arbeite an deiner Gesundheit und für eine gewisse Ausgeglichenheit. Zeig endlich den Willen, selbst etwas verändern zu wollen.“ Nur ein weiterer zögerlicher Schritt zum Ziel und aufmerksam folgte seine Pupille den Bewegungen seines Gegenübers. Der Lappen wurde endlich vollends liegen gelassen und als Kanda sich aufrichtete, bekam Lavi den passenden Argwohn zu spüren. Lauernd wurde er taxiert. „Wo ist der Haken.“ Und Lavi entfloh den bohrenden Augen, fand sich nun an dem Punkt, an dem sich viel entschied. Nun hatte er ihm also sein Vorhaben mitzuteilen und wurde sich der Lage bewusst, in welcher es ihm durchaus schwerer fallen würde. Imaginär hatte er gewisse Vorbereitungen getroffen, sich beinahe schon ein jedes Wort bereit gelegt. Doch nun hockte er hier und ihm gegenüber der junge Mann, begierig auf die Antwort und anschließend vermutlich nicht von übermäßiger Euphorie erfüllt. Er schürzte die Lippen, löste die Hände voneinander und rang sich zu einem undeutlichen Grinsen durch, als er sich Kandas Blick auslieferte. „Der Haken… wäre dann wohl ich.“ „Soll heißen?“, folgte sofort die angespitzte Antwort und Lavi erlaubte sich selbst keinen weiteren Aufschub. „Bei der zweiten Möglichkeit wäre ich für dich zuständig und dazu bereit, dir zu helfen. Soweit ich es eben kann.“ Und Kanda regte sich nicht. Nicht einmal ein Zucken seines Gesichtes ließ erahnen, woran er dachte und der Lappen schien mit seinem sämtlichen Zubehör nicht mehr zu existieren. „Ich will dich nicht zu etwas drängen oder zwingen“, versprach Lavi flink, solange man ihn noch nicht unterbrach oder anfiel. „Das werde ich auch nicht. Wir können uns in dieser Problembewältigung völlig nach dir richten… nur tun müssen wir etwas. Du wirst die Gründe kennen.“ Somit nickte er in sich hinein, machte sich auf eine Antwort gefasst und erkannte lediglich ein Stirnrunzeln. Weiterhin stumm hockte Kanda vor ihm, starrte ihn an. „Ich habe mich angeboten“, fügte er ruhig hinzu. „Das ist die Alternative.“ Lautlos öffnete sich Kandas Mund, reglos verharrten die Fingerkuppen stützend auf dem Boden und wahrlich schien ihm auf die Schnelle keine Antwort einzufallen. Zumindest in einem Punkt behielt Lavi recht: Nicht einmal der Hauch eines Verständnisses ließ sich in dem blassen Gesicht erkennen, ganz zu schweigen von Erleichterung. Er kauerte dort, als hätte er etwaigen Glauben verloren. „Was sagst du dazu?“, erkundigte sich Lavi dennoch. Es tat ihm nicht weh, wenn man ihn etwas warten ließ, doch zumindest für diesen Tag beanspruchte er für sich eine gewisse Sicherheit. Und endlich erwachte Kanda zum Leben. Er blinzelte, perplex drifteten seine Pupillen zur Seite und kurz darauf neigte er sich nach vorn, lehnte sich zu Lavi. Vorerst stumm bewegten sich die Lippen und letztendlich fanden seine Pupillen zu ihm und er verengte die Augen in verwirrtem, durchaus übertriebenem Unglauben. „Meinst du… das ernst?“ Nur leise erhob sich seine Stimme, ließ Lavi unvoreingenommen nicken. „Ich bin nicht hier, um schlechte Scherze mit dir zu treiben.“ „Ah.“ Stockend wurde sein Nicken erwidert und ebenso richtete sich Kanda auf, löste die Augen keinen Augenblick von seinem Gegenüber. Der Argwohn hielt an… wenn auch nur für wenige Augenblicke, auf die ein annähernd verächtliches Zucken der Mimik folgte, sich diese jäh verfinsterte „Warum tust du es dann!“ „Eh…?“ Etwaige Fassung schien aus Lavis Gesicht zu bröckeln, als er verfolgte, wie Kanda auf die Beine kam. „Du?“ Nun war es Verachtung, in welcher er auf ihn herabstarrte und Lavi war zu keinem weiteren Wort fähig. Mit offenem Mund blieb er hocken, nahm ein dumpfes Schnauben wahr. Kanda zog eine Grimasse. „Das ist echt ein Witz.“ Und unter diesen Worten schüttelte er den Kopf, fand zu einem humorlosen Grinsen… und wandte sich ab. Wortlos verharrte Lavi auch weiterhin, verfolgte, wie er sich in Bewegung setzte, ging. Kurz machte er sich die Hoffnung, er würde stehen bleiben, ihm eine Möglichkeit geben, sich zu rechtfertigen, doch er tat das, was ihm zuzutrauen war, wurde jeder Befürchtung gerecht. Ohne zurückzublicken schob er sich durch die Regale… und verschwand. Die Stimme steckte noch immer in Lavis Hals fest, als er auf den Punkt starrte, an welchem er ihn zuletzt gesehen hatte. Er konnte sich nicht bewegen, fühlte sich völlig übermannt von dieser Reaktion. War das möglich…? Das war die Antwort auf seine Bereitschaft? Auf seine Selbstlosigkeit? Ein Witz? Endlich gelang es ihm, den Mund zu schließen. Ungläubig starrte er zu dem Eimer, zu all den Dingen, an denen die Lust verloren gegangen war. Die erwarteten Schwierigkeiten entpuppten sich als arger Misserfolg und unter einem lauten Ächzen ließ er kurz darauf den Kopf hängen. >Ich glaube das nicht…!< Matt rieb er sich das Gesicht, schüttelte den Kopf. War so eine Sturheit möglich? Er kannte ihn doch, konnte ihn doch einschätzen…? Weshalb kam diese Antwort trotzdem so niederschmetternd? Eine Weile blieb er dort hocken, stemmte das Kinn in die Hand, starrte auf sauberen Boden und lauschte den Geräuschen des Geschirrs, den Stimmen der Köche. Das war also das sichere Fundament für sein Vorhaben… >Ganz reizend.< Bald zog er eine Grimasse, rollte mit dem Auge und kam auf die Beine. Allmählich sah er ein, dass er mit nichts anderem gerechnet hatte. Noch stimmte all das mit seiner Vorahnung überein. Noch war nichts verloren und ächzend kümmerte er sich erst einmal um die Sachen, die zurückgelassen worden waren. Jerrys Stimmung sollte auf jeden Fall kein Abbruch getan werden, weil er über diesen Eimer stolperte oder auf der Bürste ausrutschte. >Dann machen wir es eben anders.< Lustlos leerte er den Eimer, wrang den Lappen aus und bückte sich nach der Bürste. >So einfach geht das nicht! Wenn man dich erst zu deinem Glück zwingen muss? Gerne.< Er bewahrte Ruhe, atmete tief und konzentriert, als er kurz darauf die Küche verließ, zielstrebig eine Richtung einschlug. „Ja!“ Nur kurz ließ Komui von dem Telefonhörer ab, als er das Klopfen an der Tür vernahm. Dem Besucher ließ er ein knappes Winken zukommen, bevor er das Telefonat fortsetzte. „Wie ich mir dachte.“ Seufzend tastete er nach einer Kopie, zog sie mit den Fingerkuppen zu sich. Unterdessen trat Lavi näher. „Aber, aber.“ Komuis Hand hielt inne und unter einem tröstenden Kopfschütteln richtete er sich auf. „Natürlich war es nicht umsonst, Miranda. Ihr habt gute Arbeit geleistet.“ Abermals gab er sich einem Seufzen hin. „Nun können wir diese Sache endlich abschließen und brauchen uns nicht mehr darum zu kümmern. Ja, genau.“ Ihm gegenüber ließ sich Lavi auf der Armlehne des Sofas nieder, rollte mit den verspannten Schultern und wippte mit dem Fuß. „Und ihr kommt fein zurück, ja?“ Komui hob die Augenbrauen, begann sich wieder mit der Kopie zu befassen. „Na, gleich… hm? Ihr habt den Plan verloren? Och. Dann besorgt euch einen Neuen. Ich glaube an euch. Das schafft ihr schon. Bis später.“ Und gnadenlos legte er auf. „Lavi, wie geht’s?“ Die Kopie zu sich ziehend, lehnte er sich zurück, streckte die Beine von sich und bekam eine seltsame Reaktion geboten. Der junge Mann rümpfte die Nase, blähte die Wangen auf und räusperte sich verlegen. Doch was geschehen war, stellte kein Geheimnis mehr dar. „Ich habe schon davon gehört“, fuhr er also entspannt fort, lugte zu der Kopie. „Wie Kanda in der Bibliothek geholfen hat. Am meisten den Findern auf die Sprünge, hm?“ So konnte man es sagen und Lavi kratzte sich am Kopf. Ihm gegenüber wurde die Kopie kurz überflogen und anschließend weggelegt. Erwartungsvoll musterte Komui seinen Besuch, faltete die Hände auf dem Bauch. „Aber jetzt ist dein Beobachtungstag vorbei“, bemerkte er. „Wie geht es weiter?“ „Das weiß ich genau, nur dazu bräuchte ich deine Hilfe“, kam Lavi sofort zum Punkt und der Ältere hob die Augenbrauen, wirkte nicht abgeneigt. Er hatte es versprochen, würde es selbstverständlich einhalten und ließ Lavi Zeit, fortzufahren. Müde streckte Lavi die Beine durch, verschränkte die Arme. „Wie ich mir gedacht habe, übernimmt er keine Eigenverantwortung und zeigt keinen Ehrgeiz. Meine Hilfe hat er soeben charmant abgelehnt.“ Auch eine Tatsache, die hier niemanden erschreckte. „Was kann ich tun?“ *tbc* Kapitel 16: ~6~ --------------- Langsam schloss Kanda die Tür hinter sich, verließ sein Zimmer, das annähernd unbenutzt wirkte. Säuberlich gefaltet war die Decke auf die Matratze gebettet. Das Bett war in der vergangenen Nacht kaum genutzt worden und doch wirkten die Schritte des jungen Mannes zielsicher und fest. Selbst das Schuhwerk war nicht in Vergessenheit geraten und der Zopf durch scheinbar viel Arbeit in ansehnlichem Zustand. Erst vor kurzem war die Sonne über den Horizont gestiegen. Es war früh am Morgen und am besten konnte man diesen Tag mit einem ausgewogenen Frühstück beginnen. Es waren nur wenige Finder, die bereits im Speisesaal Platz genommen hatten und mürrisch registrierte er ihr Beisammensitzen, als er die Tür hinter sich schloss. Seine flüchtigen Blicke wurden ebenso knapp erwidert und ihm kurz darauf die Rücken gekehrt. Geschehnisse verbreiteten sich hier rasch und unauffällig tastete er nach dem Hemd. Auch dieses saß perfekt. Es gab keinen Grund, weiteres Aufsehen zu erregen. „Einen schönen guten Morgen!“ Seufzend ließ sich Jerry auf die Theke sinken, als Kanda sie erreichte. Seine Stimmung schien auch an diesem Tag und in dieser frühen Stunde ihrem Höhepunkt entgegenzupendeln und unter einem weiteren Seufzen stemmte er die Wange in die Handfläche, als Kanda den Gruß knapp und lustlos erwiderte. „Was darf’s sein? Heute etwas Entschlussfreudiger?“ Ein Kommentar, den Kanda gerne überhörte. Unter einem tiefen Atemzug versenkte er die Hände in den Hosentaschen, lugte unbeteiligt zur Seite. „Das Übliche.“ „Kommt sofort!“ Und augenblicklich wurde der Koch seinen Worten gerecht, fuhr in die Höhe und eilte davon. Nachdenklich betrachtete sich Kanda eine der leeren Bänke. Nach einer schlaflosen und trägen Nacht, war ihm selbst das untätige Hier stehen zuwider. Obgleich Jerry niemanden lange warten ließ, zogen sich selbst wenige Augenblicke in die Länge und bald blähte er die Wangen auf. Eine gewisse Erleichterung verschaffte ihm wenigstens der Gedanke, einen arbeitsreichen Tag vor sich zu haben. Auch der Gestrige hatte ihm angenehme Ablenkung verbracht und vermutlich verdankte er der Plackerei auch die wenigen Stunden, die er mit erholsamem Schlaf verbracht hatte. Auf diese Art und Weise ließ sich der Urlaub doch recht gut aushalten. Und was wäre es nur, wenn ihn nicht eine gewisse Befürchtung wie ein Quälgeist heimsuchte. Seit Lavi ihn am gestrigen Abend aufgesucht hatte… auch eine Tatsache, an die er in den dunklen Stunden der Nacht viele Gedanken verschwendet hatte. Ohne ein Ergebnis zu erzielen… und doch, die Hoffnung, dass man ihm genug Zeit gab, einen Ausweg zu finden, verschaffte ihm eine Haltung, die sich aushalten ließ. „Bitteschön!“ Grinsend präsentierte Jerry ihm das dampfende Frühstück. „Lass es dir schmecken! Einer der Köche kam vor kurzem darauf, den Geschmack der Soba-Nudeln zu verfeinern. Ich bitte also um die Einschätzung eines Kenners!“ Freudig lachte er auf und Kanda rümpfte die Nase, zog das Tablett zu sich, starrte auf die Mahlzeit. Sehr viel anders sah es nicht aus und auch seine restliche Begeisterung hielt sich in armseligen Grenzen. Kommentarlos nahm er das Tablett also an sich, hielt jedoch inne, bevor er sich abwandte. „Ich komme nachher wieder vorbei und greife euch etwas unter die Arme.“ Lediglich eine Anmerkung, auf die er keine Antwort benötigte. Doch ein bedauerndes Seufzen ließ ihn stocken. „Ach, weißt du, Schätzchen.“ Kopfschüttelnd stemmte sich Jerry auf den Tresen, wurde säuerlich angestarrt. „Ich danke dir wirklich für deine Hilfsbereitschaft aber heute ist nichts mit helfen.“ „Wie bitte?“ Das Tablett fand seinen alten Platz auf der hölzernen Ablage und Jerry fuchtelte mit der Hand. „Heute können wir leider keine Hilfe gebrauchen“, erklärte er bedauernd und Kanda fiel es schwer, ihm ins Wort zu fallen. „Ich habe zwei Hilfsköche bekommen, die sich um den Rest kümmern und so oder so ist es in der Küche schon eng genug. Also…“, verspielt zwinkerte er Kanda zu und dieser öffnete sprachlos den Mund, „… wenn du etwas tun willst, wirst du leider woanders nachfragen müssen.“ „Ah.“ Zu mehr als einem unentschlossenen Brummen war Kanda nicht imstande. Seit wann benötigte Jerry keine Helfer? Doch weitaus ominöser, als das, war wohl die scheinbare Tatsache, dass Komui plötzlich Gnade zeigte und ihm Hilfskräfte zukommen ließ. Was war nur in ihm gefahren? „Also dann“, meldete sich Jerry wieder zu Wort. „Lass es dir schmecken“, verabschiedete er ihn winkend und wandte sich an einen Finder, der bereits ungeduldig und mit hungrigem Magen wartete. „Guten Morgen!“, hörte Kanda ihn kurz darauf wieder juchzen. „Was darf es denn für dich sein?“ Er begriff es nicht… nahm das Tablett an sich und machte sich auf den Weg. Auch, als er sich niederließ, war seine Mimik von irritiertem Sinnieren geprägt und letzten Endes rang er sich zu einem Kopfschütteln durch. Wie auch immer. Glücklicherweise war die Küche nicht der einzige Ort, an dem man Arbeit fand. Unter einem tiefen Atemzug streifte er die Nachdenklichkeit von sich und griff nach den Stäbchen. Dem Erfolg des Tages war kein Abbruch getan. Als er bald darauf die Wissenschaftsabteilung erreichte, schenkte er seinen Ohren erneut keinen Glauben. Perplex suchte er nach Worten, während River vor ihm saß, sich einem innigen Gähnen hingab und die Hände im Nacken faltete. „Hier gibt’s nichts zu tun“, wiederholte er die Worte, die nicht zu der Abteilung passten. „Schau dich doch um.“ Müde wies River hinter sich und Kanda blickte sich um. „Wir haben heute ziemlich wenig zu tun.“ Und wirklich… träge und unentschlossen schwebte Rokujugo neben einem von Akten belagerten Schreibtisch, während Johnny, die Füße hochgelegt, entspannten Atem über die dampfende Oberfläche seines Tees blies und Tapp Topp sich schnarchend auf seiner Arbeitsfläche räkelte. Auch die anderen Wissenschaftler wirkten etwas unentschlossen. Faul saßen sie herum, starrten auf nahe Unterlagen und nur in einer Ecke raschelte das Papier, als eine junge Frau Origami aus wahllosen Kopien bastelte. Sprachlos starrte Kanda um sich und River gähnte erneut. Eine ungewohnte Stille herrschte in dem Raum und spätestens jetzt wurde Kanda von purem Argwohn befallen, mit dem er den Leiter der Wissenschaftler erneut ins Visier nahm. „Frag einfach nicht, ja?“ Schnell wurde dieser darauf aufmerksam, zuckte jedoch nur mit den Schultern. „Wenn wir schon einmal in den Genuss eines ruhigen Tages kommen, sollten wir das nicht hinterfragen.“ Unbeeindruckt erwiderte River den starren Blick des jungen Mannes. „Geh doch mal in die Bibliothek. Die haben doch immer was zu tun.“ „Mm.“ Skeptisch und langsam versank Kanda in einem Nicken, verengte die Augen und wandte sich ab. Ihm wurde gewunken, als er zur Tür zurückkehrte und verstohlen lugte er zurück, bevor er diese öffnete und im Gang verschwand. Leise durchzog das Klicken des Schlosses die Stille der Wissenschaftsabteilung und entspannte faltete die junge Frau weiter. Auch Johnny nippte genüsslich an der Tasse und Rokujugos Aufmerksamkeit driftete allmählich zu den Bergen der Unterlagen zurück, während River träge zur Tür starrte. Er glaubte, Schritte auszumachen und entspannt hielt die Stille in dem Zimmer an, bis er in die Höhe fuhr. „So, die Pause ist vorbei!“, verkündete er und grabschte nach seinen Schreibutensilien. „Auf die Beine und keine Müdigkeit vortäuschen!“ Unter einem dramatischen Schluchzen stellte Johnny die Tasse ab und sofort stürzte sich Rokujugo auf die Unterlagen, während auch die anderen Wissenschaftler zu altem, hektischem Leben erwachten. Unterlagen raschelten und kurz darauf erhob sich wieder das zermürbte Ächzen und Jammern, welches Normalität bewies. Nur wenige Schritte war Kanda gegangen, bevor er inne hielt, sich seine Augen auf den Boden richteten. Die Erlebnisse des heutigen Tages ließen ihn die Stirn runzeln und spätestens an diesem Punkt verlor er etwaigen Glauben an die Antworten, die man ihm gab. Der Küche war es wohl möglicherweise noch zu glauben, doch gelangweilte Wissenschaftler hatte es hier noch nie gegeben. Mürrisch presste er die Lippen aufeinander, starrte zurück zu jener Tür und ballte die Hände zu Fäusten. Wie könnte es ihm entgehen…? Es war so offensichtlich, dass es annähernd tragisch war, zumal hier nur eine einzige Person ihr Unwesen, die dergleichen anordnen konnte und wohl auch die Gnadenlosigkeit dazu besaß. Doch bedauerlicherweise auch eine Person, der er weder unter die Augen treten, noch zur Rechtfertigung auffordern würde. Verbittert stieß er die Luft durch die Zähne, entspannte die Hände und setzte sich in Bewegung. Noch blieb ihm die Hoffnung, auf Komuis Unordnung zu hoffen, darauf, dass er sich nicht die Zeit genommen hatte, einen jeden zu informieren. Es war zu früh, die Gedanken an die Alternative zu vergeuden, sich dem daraus folgenden Unwohlsein zu stellen. Es würde sich etwas finden lassen und verbittert machte er sich auf die Suche. „Leider nicht.“ Ohne von seinem Buch aufzublicken, schüttelte der Bibliothekar den Kopf, tastete neben sich bereits nach einem Federhalter. „Wie Sie sehen, wurden die Umräumarbeiten gestern bereits beendet und sonst gibt es keine Arbeiten, die nicht meine Gehilfen übernehmen.“ Ihm gegenüber schürzte Kanda die Lippen. Nun stand er also hier an der Rezeption der Bibliothek und hinter ihm huschten jene Gehilfen von einer Seite zur anderen. Mit schweren Büchern beladen, taten sie das, wonach er sich sehnte und finster starrte er auch zu einer kleinen Gruppe aus Findern, die ihm sogleich den Rücken kehrten, sich einander zuwandten. Unverständliches Flüstern drang an seine Ohren und an den Lippen der Männer zog ein Grinsen, als sie die Köpfe schüttelten. Auch ihnen war es selbstverständlich zu Ohren gekommen. Komui war fleißig gewesen und Kandas verdrießliche Lagen waren von solch einer Seltenheit, dass sie sich gerne einem kleinen Spaß und vorsichtigem Hohn hingaben. Sprachlos befeuchtete Kanda die Lippen mit der Zunge, kehrte den Findern den Rücken und suchte in einem tiefen Durchatmen nach Beherrschung. Das konnte nicht wahr sein und ohne eine weitere Frage, verließ er die Bibliothek. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Seit einiger Zeit war er beileibe voll von Befürchtungen und doch handelte es hier um etwas, das er nicht einbezogen hatte. In keine seiner sicheren Planungen, die nun mit einem jeden Schritt mehr ins Schwanken gerieten. Er machte sich auf den Weg zum nächsten Ziel und abermals kam ihm jenes Treffen in den Sinn. Lavi wäre also für ihn verantwortlich? Nein, war er es nicht schon, wenn Komui plötzlich Maßnahmen in die Wege leitete, die ihm sehr gelegen kommen dürften? Wie war er nur zu diesem Desaster gekommen? Mit finsterer Miene schob er sich in sein Zimmer, steuerte auf Mugen zu, welches noch immer auf dem Tisch lag. Dass man versuchte, ihn an einen anderen zu binden… einen, der kaum älter war! Seit wann konnte er keine Eigenverantwortung mehr tragen? War er bislang nicht gut mit ihr zurecht gekommen? Ja, seit wann… Kurz darauf verließ er das Zimmer, durchquerte das Treppenhaus. Wirkte er wirklich so, als würde er nicht mit sich fertig?! Es war dieses verfluchte Wissen, das Lavi dazu bewegte! Wie erbärmlich… Er bog um eine Ecke, hielt Mugen sicher neben sich. ‚Etwaige Untersuchungen werden nachgeholt. Und die Arbeit wirst du für lange Zeit vermissen’, drangen die Worte des jungen Mannes in sein Gedächtnis, ‚während dich Ärzte umringen und die Probleme mit Medikamenten zu lösen versuchen. Dein verbissener Widerstand wird das Seine dazu beitragen.’ Ein verfluchtes Dahinvegetieren…! Ein Kampf, den er nicht gewinnen könnte! Medikamente also…? Und Fragen… ja, Fragen über Fragen, um die er sich einen Teufel scherte! Seine Miene verzog sich verbittert, seine Schritte gerieten ins Stocken. ‚Du fängst endlich an, dich zu entspannen und dir etwas Gutes zu tun. Arbeite an deiner Gesundheit und für eine gewisse Ausgeglichenheit. Zeig endlich den Willen, selbst etwas verändern zu wollen.’ >Verändern…?<, fragte er sich selbst und streifte sich das Haar von der Schulter. Wie schaffte man solche Veränderungen! Was sollte man denn noch tun, außer den Grund der Problematik auszumerzen! Er war nicht gut darin, untätig zu sein. Er wusste nichts mit sich anzufangen… mit dieser Begebenheit, die ihm völlig neu war! Sie war so sinnlos… in jedem Fragment ihrer aufgezwungenen Form! ‚Ich wäre für dich zuständig…’, erhob sich Lavis Stimme erneut in seinen Erinnerungen und beileibe machte dies die Sache nicht leichter. Es war all das, was ihn störte! ‚Ich wäre dazu bereit, dir zu helfen.’ Allein der Gedanke widerte ihn an… es war dramatisch gewesen… umso mehr, da Lavi es wirklich ernst zu meinen schien. Wie überheblich konnte man sein! Er wusste nichts… Er wusste wirklich überhaupt nichts… auch dieses verdammte Heldenlicht könnte er sich an einem anderen Ort suchen! ‚Ich sage es dir so, wie es ist: Unverändert kann es für dich nicht weitergehen.’ >Ich muss mir etwas einfallen lassen!< „Ich brauche eine neue Schwerthülle.“ Somit legte er Mugen vor sich auf dem schmalen Tisch ab, spürte die sofortige Aufmerksamkeit des Mannes, der für die Waffenräume zuständig war. „Nur vorübergehend“, erklärte er, blickte sich bereits um. „Die Alte wurde irreparabel beschädigt.“ Eine neue Scheide zu besorgen, würde Zeit sowie Umstände in Anspruch nehmen und da er in den nächsten Tagen vermutlich so oder so kaum Gebrauch von dem Schwert machen würde, musste es vorerst genügen, einen Ersatz zu besorgen. Kurz darauf stand er vor einem offenen Schrank und begutachtete die Stücke. Eine große Auswahl stand ihm nicht zur Verfügung und ihm entrann ein mürrisches Brummen, unter dem er sich nach vorn beugte, nach einer der Scheiden griff. Hinter ihm wurde unterdessen fleißig gewerkelt und er verfolgte die Arbeit der Männer kurz und verdrießlich. Er hasste diesen Tag. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder der Suche zu, flink glitten seine Finger über die Oberfläche eines Heftes und sofort stellte er sie zurück. Letzten Endes wurde er dennoch fündig. Sie war schwarz und simpel, erlag seinen zurückgestellten Ansprüchen und passte. Zischend versenkte er die Klinge in ihr. Es klemmte nicht einmal, als er Mugen erneut zog und erneut wurde der Mann auf ihn aufmerksam, als er die Augen senkte, sich die Klinge betrachtete. Es tat so gut, sie in der Hand zu halten. Ein vergänglicher Genuss, auf den sogleich die Tatsachen der Realität folgten. Er wusste nicht, wann man ihn erneut in den Krieg ziehen ließ. Die nahe Zukunft lag undurchsichtig vor ihm und er scheute sich etwaigen Hoffnungen, dass der Augenblick bald kommen könnte. „Die soll es sein?“ Als sich die Stimme des Mannes erhob, löste er den Blick von Mugen, ließ es sinken und gleichsam in der Scheide verschwinden. Ein knappes Nicken musste genügen und während sich der Mann zufrieden seiner Arbeit zuwandte, schien Kanda es nicht eilig zu haben, diesen Ort zu verlassen. Das Schwert ließ er sinken, als er nahe der Tür stand, den Mann trübe in Augenschein nahm. „Gibt es bei euch etwas zu tun?“ Die Frage, die er heute oft stellte und sofort blickte der Mann auf. Unter einem zermürbten Ächzen schloss er die Tür hinter sich, wendete Mugen in die andere Hand und stieß einen leisen Fluch aus. Das Desaster manifestierte sich mit jedem weiteren Schritt und für einige Momente wusste er nicht, welches Ziel er sich nun setzen könnte. Wie marternd wäre es, weiterzusuchen und sich stets auf Abweisung einzurichten, die ihm darauf auch prompt vorgesetzt wurde. Noch nie hatte es ihm sowenig Freude bereitet, hier zu sein! Dieses Gebäude verfinsterte sich allmählich zu einem Gefängnis, in welchem man ihm keine Freiheiten ließ. „Kanda, warte mal!“ Der Klang einer bekannten Stimme ließ ihn innehalten und sich umdrehen. Wie aus dem Nichts war Leenalee aufgetaucht. „Guten Morgen.“ Beladen mit zwei großen Beuteln lächelte sie ihm freudig entgegen. Ganz im Gegensatz zu dem Jungen der ihr ächzend folgte und mit zwei großen Paketen rang. „Mm…“ Die Entschlossenheit, den Gruß zu erwidern, ging ihm schnell verloren. Die beiden anderen jedoch erfreuten sich scheinbar bester Laune, als sie ihn erreichten. Allen nutzte die Gunst der Stunde sofort. Die Pakete wurden abgesetzt und die müden Glieder gestreckt. Mürrisch wurde er angestarrt. „Marshall Tiedoll schickt uns einen neuen Exorzisten“, lenkte Leenalee ihn ab, legte frohgemut den Kopf schief. „Vermutlich kommt er sogar selbst. Die Willkommensparty wird heute Nachmittag veranstaltet. Hast du nicht Lust, auch zu kommen?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an und er erwiderte ihren Blick mit skeptischer Lustlosigkeit. Machte sie sich etwa wirklich Hoffnung? „Wir sind schon längst dabei, alles vorzubereiten. Alle helfen mit“, leistete Allen seinen Beitrag und sofort fand Kandas Aufmerksamkeit zu ihm zurück. Ebenso Leenalee, die dem Jungen einen vielsagenden knappen Blick schickte. „Das wird toll!“ Es tat wirklich weh… mit welcher Deutlichkeit man ihn vorführte! Es ähnelte einer Provokation und ihm fiel beileibe nichts dazu ein. Aber man erwartete scheinbar wirklich von ihm, dass er antwortete. Die junge Frau hob die Augenbrauen, Allen juckte sich im weißen Haar und er war lediglich zu einem stummen Kopfschütteln imstande. Das war wirklich albern… und als Antwort bekamen die beiden ein humorloses Grinsen vorgesetzt, unter dem er sich auch schon abwandte. Hinter ihm herrschte Stille, als er auf sein Zimmer zusteuerte. „Allen…!“, hörte er Leenalee noch fauchen, bevor er die Klinke zu fassen bekam und in seinem Raum verschwand. Nur weg von dieser Öffentlichkeit, die ihn mit ihren zahlreichen Arbeiten verhöhnte! Träge ließ er sich an dem Tisch nieder. Mugen vor sich, zog er eine hölzerne Kiste näher und klappte sie auf. Hin und wieder ertönten laute Geräusche im Treppenhaus. In der Kantine schien wirklich großer Tatendrang zu herrschen. So viele Umstände für einen Neuen… Umstände, die er hätte akzeptieren können, wäre er nur selbst einer der Helfer! Abwesend zog er ein Tuch hervor, befreite die Klinge aus der Hülle und begann sie penibel mit dem Stoff zu bearbeiten. Stattdessen saß er nun hier… verfolgte eine Tätigkeit, die sinnlos war, bedachte man nur, dass Mugen binnen der folgenden Tage so oder so den alten Staub ansetzen würde. Und es könnten so viele sein… Er presste die Lippen aufeinander, streckte die Beine von sich und lehnte sich zurück. Unter einem tiefen Luftholen blähte er die Wangen auf, folgte dem Verlauf der stumpfen Seite der Klinge und kreuzte die Beine. >Der Marshall…< Unerwartet entsann er sich, hielt in den Bewegungen inne und löste das Tuch von dem Stahl. Der letzte Besuch lag lange zurück und abermals schöpfte er tiefen Atem, bekam die Unterlippe mit den Zähnen zu fassen. Weshalb jetzt? Weshalb um alles in der Welt gerade zu diesem Zeitpunkt? Stets meinte er, von den seltenen Besuch seines Gensei’ zu profitieren. Es ließ sich bisweilen recht gut aushalten, wie sie unter sich waren und wenn die Zeit blieb, Gespräche zu führen. Abwesend wurde Mugen vernachlässigt und er starrte auf das Gestein der Wand, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Es war ernüchternd, doch das, was er im ersten Augenblick mit dem Besuch seines Meisters verband, war das Gefühl, weiterhin in die Enge getrieben zu werden. Er wusste viel über ihn… soviel mehr, als all die Menschen, mit denen er hier zu tun hatte. Befürchtungen ließen ihn den Wunsch verspüren, einem Treffen aus dem Weg zu gehen. Das Letzte lag lange zurück, doch Tiedoll besaß die erschreckende Fähigkeit der unerschütterlichen Aufmerksamkeit, durch die er rasch Fragen stellen würde. Wie fern lag es ihm, sich wie ein Knabe vor ihm zu verstecken… zumal Tiedoll sich doch jedes Mal gerne die Zeit nahm, nach seinen einstigen Schützlingen zu schauen. Von welchen Fortschritten sollte er ihm berichten… von welchen Erfolgen? Er hatte nichts vorzuweisen… die letzte Zeit ähnelte einem Alptraum, den er allein für sich beanspruchte. Seine Miene verzog sich verbittert und er senkte den Kopf, legte Mugen ab. Komui, Lavi, nun auch noch Tiedoll… wie sollte er sich gegen sie zur Wehr setzen! Er klammerte sich an die Momente, in denen er hier saß, in denen er keine Entscheidung zu treffen hatte. In denen er den Ärzten und den Medikamenten ebenso fern war, wie dem angehenden Bookman. Gerade war er frei und die Pflege seiner Waffe brachte den leisen Hauch mit sich, den Alltag zu durchleben. Er blinzelte nach unten, faltete die Hände auf dem Schoß ineinander. Was brachte ihm der heutige Tag noch…! Dort, vor seiner Tür tobten das Leben und der Fleiß! Hilfe wurde gerne angenommen, solange es nicht seine war! Wie hintergangen fühlte er sich… wie verstoßen…! Er bevorzugte Distanz und Ruhe, wenn er sich freiwillig für sie entschied! Wenn nicht die Gefahr bestand, sich durch Grübeleien zugrunde zu richten! Seit er die Arbeit als Ablenkung missbrauchte, wurde sie ihm entzogen… Er musste doch etwas tun… irgendetwas. Mit gesenkten Schultern blieb er sitzen. Er wollte nicht zurückstecken, sich fügen… er konnte es nicht! Er hatte keine Erfahrung darin, alles in ihm widersprach den beiden Möglichkeiten, die ihm vor die Füße geschmissen wurden. Ein Übel überragte das Andere, es war erbärmlich und er mittendrin. Doch wo blieb der Zorn? Er kannte seine Art, mit Dingen umzugehen, die ihm nicht behagten. Ein Fluch auf die Sache, bevor er ihr den Rücken kehrte und sich darauf beschränkte, sie innerlich zu verwünschen. Wo war die Wut…? Er bewegte die Lippen aufeinander, schluckte… Wo war sie? Ihm war nicht einmal danach. In diesen Augenblicken kostete er vielmehr den bitteren Geschmack der Niedergeschlagenheit. Nicht einmal die Lust, sie von sich zu streifen… gar die Fähigkeit, sich ihrer Deutlichkeit bewusst zu werden. Es passierte und er richtete sich auf, stemmte die Ellbogen vor Mugen und die Stirn in die Hände. Das war er nicht. Es waren kleine Fehlschläge und Misserfolge, die ihn heute einholten. Ja, nur kleine. Seit wann ließ er sich von so etwas niederringen? Seit wann ließ er sich zu Befürchtungen und Abneigungen verführen, nur, weil er einen Menschen traf, der mit ihm umzugehen wusste? Nur kurz hielt er die Augen geschlossen, bevor er die Hände sinken ließ, auf die Klinge starrte, an der bislang nicht viel gemacht worden war. Genau jetzt… wand er sich in der Lage, der mit durch Ablenkung entflohen war! Genau jetzt! Wie konnte das so schnell gehen! Genügte es, wenn er für einen einzigen Augenblick nicht aufpasste?! Unter einem verbissenen Zischen erwachte er zum Leben. Quietschend rutschte der hölzerne Stuhl zurück, als er auf die Beine kam, Mugen liegen ließ und auf die Tür zusteuerte. Er brauchte frische Luft. Bald darauf schob er sich ins Freie. Durch eine bewachte Hintertür gelangte er aus dem Gebäude und blieb nach wenigen Schritten stehen. Die Sonne war hell… seine Augen schmerzten und er beschattete sie mit der Hand, als er um sich blickte. Dieses Plateau hatte ihm zu genügen, hinunter würde man ihn wohl kaum lassen und als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, versenkte er die Hände in den Hosentaschen, schlenderte weiter. In langsamen Schritten verschwand er in dem Wald, der den Turm umgab, zog zwischen den Stämmen hindurch und ließ sich Zeit. Immerhin war ihm der Druck wohl abhanden gekommen. Er schlenderte lange und ziellos, machte sich daran, versteckt den Turm zu umrunden. Es war wohl die Verbitterung, die ihm gewisse Gedanken ersparte… sein Grübeln vielmehr auf eine andere Sache lenkte. Er musste klar denken… er musste darüber sinnieren und einen Ausweg finden, ohne Schaden zu nehmen. Die Nachdenklich prägte seine Züge binnen der nächsten Minuten und bald ließ er sich auf einem Baumstumpf nieder, stemmte die Ellbogen auf die Knie und schürzte die Lippen. Eine andere Art der Ablenkung, sich zumindest mit der Planung und der Suche nach Auswegen zu befassen. Ein Auseinandersetzen, ohne sich Gebieten zu nähern, die er fortan meiden wollte. Ihm stand etwas bevor… ob er wollte oder nicht. Wie Lavi sagte, es würde eine Veränderung geben und solange er noch immer einen Teil der Entscheidung trug, musste er dies zu seinen Gunsten einsetzen. Von vornherein konzentrierte er sich dabei auf die Möglichkeit, die keine Ärzte einbezog. Noch nie hatte er spüren müssen, zu was der schwarze Orden fähig war, wenn Verdacht auf ein fatales Unvermögen bestand. Natürlich nahm man ihn derzeit nicht für voll… er war ein gefundenes Fressen für die Menschen, die ohne Medikamente und strikte Maßnahmen keine Antworten erhielten und nichts unversucht ließen, um an diese zu gelangen. Seine Persönlichkeit war beileibe nicht soviel wert, wie seine Kompatibilität mit dem Innocence. Wie seine Dienstleistungen. Wichtig wäre es den Ärzten lediglich, dass er die alte Bereitschaft zeigte. Ganz gleich, mit welchem Hintergrund. Hauptsache, er wäre zurück und wieder zu gebrauchen. Ein Ziel, das er nicht erreichen würde. Die erste Hürde wäre nicht zu überwinden, kein Wort würde er mit der Vergangenheit in Verbindung bringen. Es wäre sein Ende. Er rieb sich den Mund, ein Ächzen entrann ihm… allein bei diesem Gedanke. Seine Freiheit würde sich drastisch einschränken, würde schrumpfen auf einen einzigen Raum, dessen Verlassen man ihm untersagte. Tage, wohl eher Wochen, die er im Keller des schwarzen Ordens verbringen würde… in der Gesellschaft zielstrebiger Fachkräfte, die kühle Professionalität ausstrahlten. Nein… viel würde er tun, um dem zu entkommen. Viel, jedoch nicht alles. Wie gut standen in diesem Vergleich die Möglichkeiten, die er bei Lavi hätte. Vermutlich würden es Tage werden, wie dieser einer war. Erdrückende Stunden, in denen er mit sich selbst rang. Doch er würde hierbleiben… und er würde frei sein… und gebunden an diesen Kerl. Das Angebot der Hilfe war letztendlich wohl eher ein Befehl, den er einfühlsam verpackte. Er durfte sie nicht ablehnen. Er lehnte sich zurück, stemmte sich ab und betrachtete sich die Gräser, die ihn umgaben. Es war nur Lavi… nur er. Und er war unerfahren und jung. Mit ihm musste sich doch umgehen lassen. Gab es keine Möglichkeit, dieses kleine Übel anzunehmen und doch nichts zu tun, was den Vorraussetzungen entsprach? Einen Ausweg, der ihn ungeschoren davonkommen ließ? Was wusste er denn über ihn? Wie könnte er etwas, das er sagte, als Lüge abstempeln? Sein Wissen war grob und lückenhaft. Er konnte ihn nicht einschätzen… mit viel Glück wäre es ein leichtes Spiel, sich das „Ja“ und „Amen“ des jungen Mannes zu verdienen. Niemals könnte er derart nachlassen, dass er nicht mehr fähig wäre, ein falsches Spiel zu treiben, Antworten aus Halbwahrheiten und Lügen aufzubauen. Einfach aus Dingen, die er aussprechen konnte und wollte. Und dabei dennoch überzeugend zu sein. War das so schwer…? Weshalb sollte er Lavi nicht all die Dinge geben, auf die er so erpicht war? Weshalb sollte er ihn meiden, wenn es sich mit ihm um eine Sache handelte, die er kontrollieren konnte? Er könnte das alte Leben zurückerhalten… die alten Aufträge, die alten Gefahren… Er könnte unverändert weitermachen. Er hatte keine Probleme. Jedenfalls keine, die er mit Routine und Arbeit aus seinem Leben verbannen konnte. Er würde es alleine schaffen. *tbc* Kapitel 17: ~7~ --------------- Lange blieb er dort sitzen, bevor er seinen Spaziergang fortsetzte, den Mittag unbeachtet an sich vorbeiziehen ließ und sich mit dem Vorhaben befasste. Es tat gut… er kam in den alten Genuss des Optimismus. Mit Lavi stand ihm keine Herausforderung bevor. Nur eine andere und die Stunden waren wie im Flug vergangen, als er sich zum Gebäude wandte. Nachmittag, also… er würde es hinter sich bringen. Sich zeigen, sagen, was er zu sagen hatte und Tiedoll anschließend wieder dem Amüsement der Party überlassen. Es war wohl wirklich leichter, sich einfach zu stellen. So oder so würde Tiedoll ihn finden. Eine andere Entscheidung war getroffen und so kehrte er zurück. An den Wachen schob er sich vorbei und in das Innere des Hauptquartiers, rückte sich das Hemd zurecht und machte sich auf den Weg. Eine Willkommensparty… hoffentlich traf er ihn außerhalb, damit er all das gar nicht erst zu ertragen hatte. Es war belastend. Erst recht, als er schon den Tumult im Treppenhaus vernahm. Lachen, das Klirren des Geschirrs und das Stimmengewirr. Es drang von weitem an seine Ohren und unbewusst wurden seine Schritte langsamer, je mehr er sich näherte. Er musste wohl wirklich hinein. Langsam öffnete er die angelehnte Tür, schöpfte tiefen Atem und lugte argwöhnisch zu der ellustren Gesellschaft. Die Wissenschaftler freuten sich natürlich über diese Pause. Wenn es nach ihnen ging, könnten wohl jeden Tag neue Exorzisten eintreffen oder Geburtstage gefeiert werden. Der Champagner sprudelte, lachend standen sie beieinander und Jerry rupfte genüsslich an einer Hühnerkeule, während Johnny redete und quatschte und etwaige Müdigkeit vergessen zu sein schien. Geduckt schob sich Kanda zur Seite, nutzte die Abgeschirmtheit der Mitarbeiter und den äußeren Rand des Saales. Verstohlen lugte er zur Masse und erreichte die mit zahlreichen Speisen gedeckten Platten. Die Köche hatten ganze Arbeit geleistet und er verfing sich in einem kurzen Zögern, bevor er sich dazu entschloss, sich trotzdem zu bedienen. Das Mittagessen war ausgefallen und des Weiteren machte er den Anschein, beschäftigt zu sein, wenn er aß. Es schützte ihn also davor, von irgendwelchen Leuten angesprochen zu werden. Sich die Gerichte betrachtend, schlenderte er so an den Platten entlang. Das Umfeld entging ihm vollends, als er nach einem Wasser griff, sich über eine seltsame Soße beugte. „Kanda…“ Ein ungläubiges Hauchen. Ganz in seiner Nähe und er hielt inne, blickte auf. Soviel zu seiner Hoffnung. Auf der anderen Seite der Platte stand Crowley und starrte ihn an. Für kurze Zeit entrüstet, entschied er sich jedoch schnell dazu, sich zu freuen. In nicht weiter Entfernung stand auch Miranda. Nervös rieb sie die Hände aneinander, als sie sich nach dem Geschirr umsah. „Das ist ja schön, dass du auch kommst!“ Crowley war wirklich gerührt und wahrhaft war diese Tatsache unglaublich. Nichts, womit man rechnete. „Oh!“ Als ob es noch nicht genügte, standen ihm plötzlich auch Leenalee und Allen gegenüber. Mit erhobener Hand musste auch die junge Frau erst realisieren, was sie sah, während ihr Nebenmann nicht dazu imstande war, ein Wort zu verlieren. Mit vollen Wangen kaute er, sah sich kurz auf den Tischen um und trug eine kleine Platte mit Braten davon. Schmunzelnd sah Crowley ihm nach und Kanda rümpfte die Nase. „Du kommst ja wirklich.“ Leenalee’s Freude stand der anderen in nichts nach. „Bist du schon lange hier?“ Kopfschüttelnd wandte sich Kanda wieder der Suche zu. „Wo sind die Teller…?“ Verwirrt starrte Miranda um sich und Crowley seufzte. „Dass du mal kommst, um einen Neuen zu begrüßen… das finde ich toll“, fuhr Leenalee da fort und Kandas Miene zuckte irritiert, als er kurz inne hielt. Was ging in dieser Frau vor? Wen, dachte sie, hatte sie vor sich? „Magst du ihn mal kennen lernen?“ Grinsend griff Leenalee nach einem Glas Saft und Kanda blähte die Wangen auf, konnte sich nicht entscheiden. „Er steht da drüben…“, wo sie hinwies, darauf achtete Kanda nicht, „… bei Tiedoll und Komui. Ist ganz nett, wirst du sehen.“ „Ts.“ Das war so albern, dass Kanda sich ihrem Grinsen flüchtig anschloss. „Kein Interesse.“ Wenn man sich ganz gegen ihn stellte, würde er wohl so oder so irgendwann in den Genuss kommen, mit ihm zusammenarbeiten zu müssen. Doch Tiedoll war also wirklich hier… „Ah.“ Crowley begriff es und reckte verschmitzt den Zeigefinger. „Ich denke eher, dass er nur hier ist, um Essen abzustauben.“ Das stimmte wohl… und ihm gegenüber wurde gelacht. „Sei’s drum“, winkte Leenalee ab. „Der Neue wird wohl auf ewig der Einzige bleiben, bei dessen Party Kanda dabei war.“ „Die Teller…!“, ächzte Miranda wieder und diesmal wurde Crowley darauf aufmerksam. Sofort eilte er davon, um der Frau eine Hilfe zu sein und Leenalee nippte an dem Saft. „Also dann“, strebte sie den Abschied an und Kanda wurde auf eine Obstschale aufmerksam. „Du kannst ja mal ‚Hallo’ sagen. Der Marshall freut sich bestimmt auch sehr darüber.“ Somit winkte sie, wandte sich ab und ging. Nur flüchtig sah Kanda ihr nach, bevor er nach einem Stängel Weintrauben griff. Richtigen Appetit hatte er nicht… außerdem müsste er länger bleiben, wenn er sich etwas Großes aussuchte. Natürlich war er auch nicht um die Aufmerksamkeit herumgekommen. Es war zu erwarten. Er war nun einmal ein Phänomen auf solchen Veranstaltungen und nahm sich vor, das auch zu bleiben. Nur in Zukunft wieder ein auswärtiges Phänomen. Ganz sicher. Dieser Tumult war ihm wirklich zuviel und so behielt er seinen Plan bei. An der kleinen Flasche nippend, schob er sich an den Tafeln vorbei. Komui also auch… heute blieb ihm auch nichts erspart. Weshalb musste Tiedoll nur so gesellschaftlich und redselig sein, dass man immer sofort mit einer ganzen Masse zu tun hatte, obwohl man nur auf ihn aus war? Er drängte sich an einer Gruppe von Findern vorbei, wendete das Getränk im Mund und die Weintrauben in der Hand. Viele Blicke blieben an ihm hängen… viel Ungläubigkeit und er wurde schnell fündig. Tiedoll’s Stimme hatte ihn verraten und sie erhob sich genießerisch und doch mit der ihm eigenen Ruhe, während er mit den Händen gestikulierte, eine ganze Gruppe unterhielt. Und natürlich trank er keinen Champagner. Er bewegte eine Flasche Limonade vor sich, während er erzählte und lachte. Mit erhobenen Augenbrauen lauschte ihm Komui, Leenalee kicherte über die Erzählung und Bookman nippte an einem Rotwein. Auch Allen stand dabei. Auf seinem Unterarm das Tablett, von welchem sich auch Tiedoll nebenbei bediente. In nicht allzu weiter Entfernung hatten sich auch die Wissenschaftler eingefunden, doch Kanda wurde eher auf ein Gesicht aufmerksam, das er nicht kannte. Ein Mann… die Musterung war zu kurz, um mehr herauszufinden und er verfing sich in keinem Zögern, als er nähertrat. Mit den Zähnen zog er eine Traube vom Stängel, als er sich unwillig bei der Gruppe einfand, diese Abneigung jedoch mit der gewohnten Mimik überspielte. Kauend fand er eine Lücke und sofort wurde man auf ihn aufmerksam. „Na… huch?“ Komui legte den Kopf schief, Leenalee war entzückt und Allen fischte konzentriert nach einem kleinen Bratenstück. „Ein Ehrengast. Grüß dich, Kanda.“ Er schien wirklich erfreut, völlig entspannt, als er den Champagner hob und nur einen flüchtigen Blick erntete. Lieber, als sich stundenlang gegenseitig zu begrüßen, wollte sich Kanda auf das Nötige konzentrieren und so schluckte er hinter, wandte sich zur Seite und… „Na, sieh mal einer an.“ Ein kameradschaftlicher Schlag traf seine Schulter, als Tiedoll ihm zuvor kam. „Da sieht man sich mal eine Weile nicht und plötzlich hast du die Beglückung durch Partys und lustigem Beisammensein für dich entdeckt?“ Freudig wandte er sich an Komui, wies mit einem Nicken auf den jungen Mann, der die Miene verzog, als wären die Trauben zu sauer. „Was habt ihr nur mit ihm gemacht?“ Komui antwortete mit einem verschmitzten Schulterzucken und Leenalee kam nicht mehr aus dem Lächeln heraus, während Allen begierig weiterkaute. „Nimm’s mir nicht übel, Kanda.“ Wieder stupste Tiedoll den jungen Mann an. „Ich freue mich, dich mal wiederzusehen. Bei meinen letzten beiden Besuchen warst du leider immer unterwegs.“ >Diesmal leider nicht.< „Wie geht es Ihnen?“, erkundigte er sich stattdessen und den Neuen mit der ihm eigenen Perfektion unbeachtet lassend. „Wie könnte es mir schlecht gehen?“ Lächelnd hob Tiedoll die Limonade und Kanda nickte. Komui wichen seine Augen dabei aus und lieber starrte er an ihm vorbei und zu Jerry, der die perfekte Anordnung der Speisen überprüfte. „Ups?“ Überrascht sah Allen einem Hühnerflügel nach, der das Fliegen gen Boden noch immer beherrschte. Sofort ging er in die Knie und nun tauchten auch Miranda und Crowley auf. Samt Tellern. „Ach, darf ich dir jemanden vorstellen?“, wandte sich Tiedoll unterdessen wieder an Kanda, der auf den Hühnerflügel starrte, der den eiligen Fingern des Jungen permanent entflutschte. „Komm schon…!“ „Das ist Adam. Ich entlasse ihn heute meiner Obhut.“ Schmunzelnd wandte er sich an Komui. „Kümmern Sie sich gut um ihn.“ „Natürlich…!“, bezeugte Komui sofort mit geweiteten Augen. Er war nun wirklich kein Mensch, der Mitarbeiter drangsalierte. Und der Hühnerflügel entwischte wieder… „Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Nur beiläufig nahm er die Hand wahr, die sich ihm entgegenstreckte… bevor er eine weitere Traube mit den Lippen zu fassen bekam und sich kauend umsah. „Daran wirst du dich gewöhnen müssen“, ließ Allen kurz feixend von seinem Kampf ab und auch Leenalee lachte erneut. „Tut mir leid…!“, plötzlich tauchte ein schnaufender Lavi bei ihnen auf. Außer Atem, suchte er Halt an Crowleys Schulter und stemmte sich auf die Knie. Und im Gegensatz zum Neuen, zog er sofort Kandas Aufmerksamkeit auf sich. Verstohlen starrte er ihn an, als er den Kopf senkte. „… habe mich beeilt… konnte nicht früher…!“ „Jetzt beruhig dich erst einmal.“ Kopfschüttelnd hob Komui den Champagner zum Mund. „Hier wird keine Hektik verbreitet, nur gefeiert, verstanden?“ „Magst du eine Keule?“ Von unten wurde Lavi das Tablett entgegengestreckt und Kanda wandte sich ab. „Marshall, schön, Sie wiederzusehen.“ Flüchtig winkte Lavi die triefenden Hühnerkeulen weg und richtete sich auf. „Oh Lavi, ich freu mich auch.“ Sofort wurden Hände geschüttelt und Kanda fischte mit der Zunge nach einem Kern. „Darf ich vorstellen?“ „Ach, natürlich.“ Endlich bekam Kanda den Kern zu fassen und schöpfte tiefen Atem. Reichte das endlich? Konnte er jetzt gehen? Er versuchte es einfach mal. Lustlos hob er das Fläschen, wandte sich langsam ab. „Ich werde dann mal…“ „Warte.“ Tiedoll reagierte schnell. „Du willst schon fort? Lass uns doch noch etwas miteinander sprechen.“ Und ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich an die Gruppe. „Ihr entschuldigt kurz?“ Mit einem tiefen Atemzug rang Kanda um Beherrschung. Er hatte es befürchtet… und presste die Lippen zusammen. Nur flüchtig wurde Komui darauf aufmerksam, bevor er winkte. „Mm…!“ Fasziniert kaute Tiedoll auf einer undefinierbaren Delikatesse. Er hatte Kanda vorerst zurück zu den Platten geführt und während er begeistert nach einem weiteren Stück griff, beschäftigte sich der andere lieber mit den Trauben. Und das überaus lustlos. Dieser allseitige Lärm begann allmählich wirklich an ihm zu zehren. Es war ihm unangenehm, hier zu stehen und er scheute jede Anstrengung, das zu verbergen. „Und das ist alles, was du essen willst?“, wurde Tiedoll plötzlich auf die Trauben aufmerksam und überrumpelt folgte Kanda seiner Beobachtung. „Walker warst du noch nie ähnlich, was Essangewohnheiten angeht, aber…“, er musterte ihn von Kopf bis Fuß, ließ endlich von der Platte ab, „… etwas mager siehst du aus. Isst du ordentlich?“ Mit größter Hingabe verdrehte Kanda die Augen, doch Tiedoll nahm es entspannt hin. „Na, dann bin ich ja beruhigt“, seufzte er und kam nicht umhin, sich doch noch ein Stück unter den Nagel zu reißen. Und mit diesem Stück setzte er sich in Bewegung. „Lass uns woanders hingehen“, murmelte er dem anderen zu, als er bequem an ihm vorbeizog. „Irgendwo, wo es ruhiger ist.“ Eine geringe Erleichterung, in der Kanda ihm folgte. Der Rest der Trauben wurde nachlässig auf eine Platte geworfen. „Na, hier verändert es sich auch nie, oder?“ Im Treppenhaus angelangt, stemmte Tiedoll die Hände in die Hüften. Neben ihm blieb Kanda stehen, versenkte die Hand in der Hosentasche und schwenkte das Wasser im Fläschen. „Gerade hier in dieses Treppenhaus könnte man so schöne Farben einbauen.“ Unentschlossen schürzte Kanda die Lippen, starrte auf das Fläschchen. „Lebendige Farben“, begann Tiedoll daraufhin zu philosophieren und streckte die Arme von sich. „Verstehst du, Farben, die man sieht, wenn man seinen Raum verlässt… die Kraft und Entschlossenheit verleihen, den Tag in Angriff zu nehmen.“ „Warum sollte man so was brauchen.“ Kanda blähte die Wangen auf und irritiert wurde zu ihm gelugt. „Kraft und Entschlossenheit?“ „Die Farben.“ Sofort schüttelte Kanda den Kopf und als seine Augen ziellos zur Seite drifteten, wurde er flüchtig von oben bis unten gemustert. „Mm.“ Bequem schöpfte Tiedoll Atem, lehnte sich gegen das Geländer und nahm seinen ehemaligen Schützling weiterhin herzlich in Augenschein. Über gewisse Dinge konnte man mit diesem einfach nicht reden. „Und du hast in letzter Zeit viel zu tun gehabt?“, erkundigte er sich. „So einiges.“ Nickend nahm Kanda erneut das Fläschchen in Augenschein, wippte auf den Ballen. „Ich konnte es kaum glauben, als ich hier fast alle der Exorzisten antraf.“ Seufzend wandte sich Tiedoll zum Abgrund, stemmte das Kinn in die Handfläche. „Es kommt doch selten vor, dass ihr gemeinsam hier seid, oder?“ „Mm-mm“, ertönte es hinter ihm nur. „Aber es ist auch mal schön“, schwelgte Tiedoll weiter. „Wir Menschen sollten jeden Augenblick des Lebens auskosten. Genießen, wie einen edlen, unbezahlbaren Tropfen, der uns nur ein einziges Mal in die Hände fällt. Und am besten genießt man so etwas ohne Frage gemeinsam.“ Kanda holte tief Luft, begann ziellos zu spazieren. Zur einen Seite, zur anderen, bis er stehen blieb. „Von wo aus sind Sie gekommen?“, stellte er endlich eine Gegenfrage und Tiedoll kehrte dem Geländer den Rücken. „Aus Griechenland“, verriet er und seufzte bei der Erinnerung. „Ich sage dir, dort gibt es idyllische Landschaften, wie du sie noch nicht gesehen hast.“ Das hatte er wirklich nicht… obgleich er dort schon dreimal war. Er rümpfte die Nase und Tiedoll gab sich einem leisen Lachen hin. „Ich sehe schon, du hast immer noch keinen Bezug dazu, doch man sollte alles wertschätzen, was Gott den Menschen gibt.“ „Ts.“ Bevor Kanda sich dessen bewusst sein konnte, ergab er sich einem sarkastischen Grinsen, schüttelte den Kopf und sofort hob Tiedoll die Augenbrauen. „Du grinst?“ „Nein…“, überfordert schüttelte Kanda den Kopf auch weiterhin, blickte zur Seite. Das Grinsen erlosch unsicher. „… nein…“ „Ah.“ „Ich habe gehört, dass Sie noch vor einer Woche in Amerika waren. Sie machen große Sprünge.“ „Mm.“ Die Augen noch lange auf Kanda gerichtet, wandte sich Tiedoll ab, begann zu schlendern. „Das ist ein schöner Aspekt meiner Arbeit. Um nicht zu sagen, der Schönste. Es verschlägt einen schon an die tollsten Orte. Aber du kommst auch nicht gerade wenig herum.“ „Das muss man“, antwortete Kanda, der sich neben ihm einfand. „Ja“, diese Meinung schien den Älteren nicht glücklich zu stimmen, „… das muss man wohl.“ Er rieb sich den Schnauzer, nachdenklich schweiften seine Pupillen zur Seite und plötzlich hielt er inne. „Ah.“ Seine Mimik erhellte sich und irritiert verfolgte Kanda, wie er zu werkeln begann, sich den Rucksack von den Schultern zog. „Ich möchte dir eines meiner Werke schenken“, erklärte er, als er ihn öffnete und zu suchen begann. „Bitte…?“ Kanda traute seinen Ohren nicht und zu spät wurde er sich der mangelnden Begeisterung in seiner Stimme bewusst. „Ja.“ Tiedoll schien es nicht zu stören. „Es ist nur eine Skizze aber irgendwie musste ich an dich denken, als sie fertig war. Moment… wo habe ich sie nur?“ Unentschlossen verfolgte Kanda seine Bewegungen, sein Mund verharrte leicht geöffnet und dennoch stumm. „Ich weiß, dass du kein Künstler bist und dein Interesse andere Gebiete betrifft.“ Schmunzelnd illerte Tiedoll in den Rucksack, suchte weiter. „Weißt du es noch? Wie erzürnt warst du früher immer über meine Lieblingsbeschäftigung.“ „Nur während meiner Übungsstunden“, erinnerte sich Kanda dunkel und runzelte die Stirn. „Ah, da ist es.“ Somit zog Tiedoll ein gefaltetes Pergament hervor, kam auf die Beine und stieß ein leises Seufzen aus. „Wenn ich dich um eines bitten darf. Bitte nutze es nicht, um es unter ein kippelndes Tischbein zu schieben oder um etwas anzuzünden.“ Und er reichte es ihm. Kanda hatte noch immer nicht zur Begeisterung gefunden, als er es entgegennahm, das Fläschchen zwischen Arm und Brust klemmte und sich daran machte, es zu entfalten. Doch eine simple Handgeste Tiedoll’s genügte, dass er inne hielt. „Warte noch“, bat der Ältere schmunzelnd und Kanda starrte auf das Pergament zurück. „Schau es dir an, wenn du alleine bist und nimm dir Zeit dafür.“ Gut… Er nickte, ließ es sinken. Die Neugierde war ehrlich gesagt auch nicht gerade unerträglich. Bald darauf trennten sie sich voneinander. Das Gespräch entpuppte sich als entspannt und befasste sich weniger mit ernsthaften Themen als mit der Freude des Mannes, vertraute Gesichter wieder zu sehen. Kaum Fragen… es fiel Kanda leicht und dennoch war es ihm auch angenehm, als sie sich verabschiedeten und er sich auf den Weg zu seinem Zimmer machte. Tiedoll hingegen, ließ sich erneut zu jener Feier ziehen. Mugen lag noch immer dort, wo er es zurückgelassen hatte. Eine unbeendete Arbeit erwartete ihn und irgendwie tat es gut, sich weiterhin damit befassen zu können. Das Pergament landete nachlässig auf dem Bett und das Wasser wurde auf dem Tisch abgestellt, an welchem er sich niederließ. Das letzte Tageslicht würde er nutzen, um sich der Pflege seiner Waffe hinzugeben und bequem nahm er das Tuch an sich, zog Mugen näher. Es war nicht brenzlig gewesen, nicht unangenehm. Anders, als er es sich vorgestellt hatte. Das Tuch fand seinen alten Platz auf der Klinge und wieder streckte er die Beine von sich, verfolgte das Treiben seiner Hände aufmerksam mit den Augen. War er seinen Pflichten also nachgegangen, ohne Fragen aufzuwerfen? „Oh.“ Tiedoll rückte vor Schreck an seiner Brille, als er eine weitere Köstlichkeit auf der Platte entdeckte. Mit einem Blinzeln überzeugte er sich von der Wahrheit, griff sogleich nach einer Gabel und machte sich an einem Salat zu schaffen. „Hast du schon den Braten gekostet?“ An Leenalee gewandt, traf Komui neben ihm ein. Begeistert winkte er zu einer Platte und die junge Frau räusperte sich amüsiert. „Allen hat mich gezwungen.“ „Na, so etwas Ungehobeltes.“ Somit stellte Komui das leere Champagnerglas auf dem Tisch ab, rieb sich die Hände und sah sich um. „Was nehme ich denn noch…“ „Ich glaube“, hob Leenalee nachdenklich an, bettete den Zeigefinger an den Lippen, „ich koste mal die Suppen, die Jerry gezaubert hat.“ „Ja, natürlich, mach das.“ Komui winkte ihr liebevoll, als sie davonging. „Lass es dir schmecken… aber verbrenn dir nicht die Zunge. Hörst du?“ Er legte die Hände an den Mund, neben ihm kaute Tiedoll. „Die sind ziemlich heiß! Sei bitte vorsichtig!“ Da war seine Schwester auch schon verschwunden und er seufzte, langte nach der Obstschale. Neben ihm beugte sich Tiedoll zu einigen kleinen Schälchen und Komui versuchte einige gehässige Stückchen Mango voneinander zu lösen. Kurz hielt die Stille zwischen ihnen an und Tiedoll füllte sein Schälchen. „Was ist mit Kanda passiert.“ Annähernd beiläufig erhob er die Stimme und Komui schürzte die Lippen, blieb neben ihm stehen. „Er sieht beinahe genauso furchtbar aus, wie er sich verhält.“ „Er macht gerade eine schwere Zeit durch.“ Er zupfte die Stückchen auseinander, ließ eines im Mund verschwinden. Nur leise antwortete er, kehrte der Heiterkeit flüchtig den Rücken. „Wir kümmern uns bereits darum.“ „Ihr ‚versucht’ euch zu kümmern“, verbesserte Tiedoll und drückte den Salat mit der Gabel tiefer in die Schale. Erwischt. Komui stieß einen geräuschvollen Atem aus. „Ja“, musste er ihm beipflichten. „Aber ich denke, wir haben gerade die nötige Zeit, etwas zu bewegen.“ „Das dachte ich mir.“ Tiedoll nickte. Die Gabel fand ihren Platz auf der Ablage. „Deshalb war ich keiner, der Fragen gestellt hat.“ „Sie können mich fragen.“ Abermals lehnte sich Komui zum Obstkorb. In ihren Rücken zogen lachend Allen und Lavi vorbei und kurz sah er ihnen nach. „Nur weiß ich leider nicht sehr viel.“ „Ich wüsste nichts, was ich noch wissen müsste.“ Tiedoll betrachtete sich eine Erdbeere, hob die Brauen und ließ sie im Mund verschwinden. „Ich spiele nicht mehr die Rolle, die ich früher für ihn gespielt habe und möchte mich auch nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen. Nur, dass das Mögliche getan wird… dessen will ich mir sicher sein.“ „Das können Sie.“ Somit wandte sich Komui ihm zu, stemmte sich auf den Tisch und erhielt sofort dieselbe Aufmerksamkeit. „Nur leider ist das nicht nur von uns abhängig.“ „Darin sehe ich die gewisse Problematik.“ Flüchtig ließ Tiedoll die Gabel im Mund verschwinden. „Ich bin mir sicher, Ihre Seite ist es nicht, der es an Beherztheit fehlt. Doch ich habe Kanda nicht als einfältigen Menschen kennen gelernt. Üben Sie sich in Geduld und vertrauen Sie darauf, dass er Ihnen entgegen kommt. Irgendwann…“, er zuckte mit den Schultern, „… wenn auch spät.“ Nach einer letzten akribischen Begutachtung wurde der Lappen bei Seite gelegt und ein kleines Fläschchen aus dem Kasten genommen. Vollends in die Arbeit vertieft, zog er auch die Watte hervor und begann sie zu formen. Kurz drifteten seine Augen zur Klinge zurück. War sie auch wirklich sauber? Er beugte sich nach vorn, verengte die Augen und fand trotzdem nichts. Es musste genügen und bald darauf tränkte er die Watte in der Pflegeflüssigkeit, rückte sich auf dem Stuhl zurecht… und hielt inne. Da kam ihm etwas in den Sinn und sein Gesicht verzog sich sinnierend, bevor er es umwandte, zu dem Bett spähte. Das Pergament… ein seltsames, unerwartetes Geschenk. Die Watte zwischen den Fingern, starrte er es auch weiterhin an, schürzte die Lippen. Gut, nun konnte er es sich eigentlich mal anschauen. Also wurde die Watte zurückgelegt und kurz darauf ließ er sich mit dem Pergament auf den Stuhl zurücksinken. Eine Zeichnung, die sich mit ihm verbinden ließ? Gemächlich faltete er das Papier auseinander, breitete das Bild aus und betrachtete es sich. Keine Regung der jungen Miene machte auf die mögliche Meinung aufmerksam. Annähernd ausdruckslos besah er sich die kunstvolle Zeichnung, knisternd wendete er das Papier bald darauf auch in der Hand, betrachtete es sich von nahem. Herausgefunden, was diese Skizze zu bedeuten hatte, hatte er recht schnell und doch schien sich deshalb nicht sehr viel zu verändern. Unschlüssig drehte er das Papier, legte den Kopf schief… und rümpfte die Nase. Ah, interessant. Somit verlor er scheinbar auch schon das Interesse. Das Papier fand seinen Platz neben ihm auf dem Tisch und mit der alten Vertieftheit machte er sich abermals an der Watte zu schaffen. „Ich kann nicht mehr…!“ Ächzend suchte sich Lavi Halt auf dem Tisch, stemmte sich zwischen den unzähligen Tellern ab und ließ den Kopf hängen. „Ich kapituliere…!“ „Was?“ Ihm gegenüber wurde ein Spieß sinken gelassen. Allen wirkte annähernd entrüstet, während er seinen Rivalen anstarrte. „Du hast erst vier Spieße gegessen! Ich dachte, du wärst ein würdiger Gegner!“ „Mach keine Witze… als ob dir jemand würdig wäre!“ „Wieso stimmst du dann zu?“ Säuerlich verzog der andere das Gesicht, wendete den Spieß in der Hand und machte sich an ihm zu schaffen. „Wirkliff, Lavi… daff entäuft mif!“ Unter einer trüben Grimasse kämpfte sich Lavi in eine aufrechte Haltung. Sein Auge kreiste überfordert, nachdem er ein weiteres Mal zu dem Berg aus abgefressenen Spießen lugte, doch eine Hand, die seinen Ärmel zu fassen bekam, holte ihn aus der Demütigung des Verlierens. „Lavi…“ Der Rotwein schien bereits bis zum letzten Tropfen genossen. Die Hände auf dem Rücken umschlossen, hatte Bookman ihn aufgespürt und kauend lehnte sich Allen an Lavi vorbei, wurde ebenso auf den Besucher aufmerksam. „Es ist Zeit, die Arbeit kann nicht ewig ruhen.“ „Was?“ Ungläubig rutschte Lavi in sich zusammen, Allen kaute unbehelligt weiter. „Komm schon, das kannst du nicht ernst meinen. Ich bin viel später gekommen, als du!“ Bookman runzelte die Stirn, nahm seinen Lehrling streng in Augenschein und dieser eine Blick genügte, um Lavi laut aufstöhnen zu lassen und zur Kapitulation zu treiben. „Okay.“ Seufzend sank er in sich zusammen und lustlos winkte er Allen, bevor er Bookman nach draußen folgte. *tbc* Kapitel 18: ~8~ --------------- Konzentriert balancierte Lavi die beiden schweren Bücher aus, drängte sich gegen die Tür und ließ Bookman an sich vorbeiziehen. Die Hände in den langen Ärmeln verborgen, trat dieser in den steinernen Gang hinaus, blickte sich kurz nach seinem Schützling um, der die Tür mit der Schulter schloss und rasch aufholte. „Ich erhielt heute Morgen ein Schreiben aus der Städtischen Bibliothek Österreichs“, hob er an, als Lavi neben ihm ging und der junge Mann hob die Augenbrauen, raffte die schweren Werke höher. „Sie haben alle Bücher, die wir brauchen. Möglicherweise werde ich dich schicken, um sie abzuholen. Eine normale Lieferung ist mir zu gefährlich bei dem Aufwand, den ich betreiben musste.“ „Hat ja auch lange genug gedauert.“ Allein bei der Erinnerung wurde Lavi schwindelig. Nirgendwo sonst benötigte man drei Monate, um eine erfolgreiche Bestellung zu tätigen. Neben ihm nickte Bookman. „Nach Österreich, also. Und wann…“ Plötzlich verstummte Lavi und gleichsam wurde Bookman auf den Grund aufmerksam. Rasche Schritte waren in der Nähe ertönt und unvermittelt tauchte Kanda bei ihnen auf. Im Treppenhaus erschien er, erspähte sie und hielt inne. Lavi schien seinen Augen keinen Glauben zu schenken, als er sich hinter den Büchern hervorlehnte. Selbst Bookman war eine gewisse Verblüffung anzusehen und stumm erwiderten sie die flüchtige Musterung, die sich flink alleine auf Lavi bezog. Kurz sah Kanda diesen an, bevor er ihn mit einer knappen Kopfbewegung in den nahen Gang lotste, sich gleichsam auch schon abwandte und in diesem verschwand. Mit offenem Mund hatte Lavi die deutliche Aufforderung verfolgt und die anhaltende Verblüffung verbot es ihm vorerst, sich zu bewegen. Konnte das sein? Kanda suchte ihn auf? Stockend lugte er zu Bookman, erkannte ein stilles Stirnrunzeln und presste die Lippen aufeinander. Nicht nur ihn traf diese Begebenheit unvorbereitet und als sich Lavi des Zögerns bewusst wurde, räusperte er sich leise. „Also…“, hob er an und lugte zu jener Ecke, hinter der Kanda verschwunden war, „… ich denke, ich sollte kurz…“ Unentschlossen wies er mit einem Nicken auf den Gang und Bookman schürzte die Lippen, als er sich in Bewegung setzte. Die Bücher unter den Arm geklemmt, wandte er sich zu ihm um. „Wir sehen uns morgen früh, ja?“ „Lavi.“ Unvermittelt erhob Bookman die Stimme und der andere hielt inne, als er ihm die Arme entgegenstreckte. „Die Bücher. Ich kümmere mich darum.“ „Oh… vielen Dank.“ Es galt, keine weitere Zeit zu verschwenden und eilig übergab Lavi die Werke, die ihm wohl nur im Weg sein würden. „Ich mache das wieder gut, versprochen.“ „Mm.“ Ein Brummen musste ihm als Antwort genügen und als der alte Mann an ihm vorbeizog, kam er nicht um ein gewisses Grinsen. Eine zurückhaltende Freude, die die Verblüffung übertrumpfte. Vor wenigen Stunden hätte er sich ein solches Geschehnis nicht vorstellen können. Als zu utopisch wäre es abgestempelt worden und doch stand er kurz darauf wirklich vor Kanda in einem schmalen leeren Gang. Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte dieser vor ihm am Gestein, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen und ließ ihn kurz warten. Die Augen ziellos auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, kreuzte er die Beine und rang sich zu einem leisen Räuspern durch. Selbstverständlich musste es mit einer gewissen Überwindung verbunden sein, ihn aufzusuchen und Lavi ließ ihm Zeit. Sich aufmerksam das Gesicht seines Gegenübers betrachtend, lauschte er weit entfernten Geräuschen und auch Kanda verfolgte die Bewegungen eines Finders, der an dem Gang vorbeieilte. Bei einer jeden Gestik offenbarte er eine gewisse Nervosität. Selbst seine Brauen zuckten flüchtig unter einem leisen Widerwillen und als er das Wort an Lavi richtete, nagelte er seine Aufmerksamkeit lieber an den Boden. „Ich habe darüber nachgedacht“, hob er mit gedämpfter Stimme an und starrte zur Seite. „Ich denke…“ Kurz schien er den eigenen Entschluss überdenken zu wollen, ziellos kratzte er sich am Kopf und schürzte die Lippen. Und er wurde nicht unterbrochen. Lavi verharrte noch immer still, vertiefte sich in seine Gestik, in die umfassende Musterung und legte den Kopf schief. Ihm gegenüber holte Kanda tiefen Atem, begann den Boden mit dem Fuß zu bearbeiten und verfolgte diese Tätigkeit akribisch. „Ich nehme den Vorschlag an.“ „Meinen?“, hakte Lavi nach und als ihm mit einem stummen Nicken geantwortet wurde, wandte er sich etwas zur Seite, schloss sich Kanda ziellosen Beobachtungen an. Was für ein seltsamer Erfolg, hatte man ihm doch in den letzten Tagen stur den Rücken gekehrt. Seine Hände fanden den Weg in die Hosentaschen und unauffällig blickte Kanda auf, als sein Rücken dem Gestein der Wand begegnete, er vor ihm lehnte. Ein grüblerisches Schweigen brach über sie herein und Kanda wartete geduldig, bis sich Lavis Stimme erneut erhob. „Woher der plötzliche Sinneswandel?“, erkundigte sich der junge Mann entspannt und begegnete seinem Blick abwägend. „Gestern Abend warst du nicht so begeistert.“ „Du kannst wohl kaum erwarten, dass ich mich sofort entscheide.“ Die Antwort kam augenblicklich und durchdacht. „Ich habe meine Zeit gebraucht. Mehr nicht.“ „Mm.“ Noch immer waren Lavi deutliche Gedanken anzusehen und er selbst wunderte sich darüber, dass er hier und in diesem Moment weniger in den Genuss der Erleichterung kam. Neben ihm herrschte Stille. Abwartend und konzentriert verfolgte Kanda, wie sich der andere das Kinn rieb. Was ging ihm nur durch den Kopf? „Also.“ Somit löste sich Kanda von der Wand, ließ die stille Atmosphäre enden. Erwartungsvoll hob er die Hände und Lavi die Augenbraue. „Was machen wir? Was hast du dir vorgestellt?“ Woran auch immer er dachte, es war ihm lieber, wenn er es unterließ. Es blieb keine Zeit für mögliche Zweifel und wirklich schien Lavi diesen fern, als er sich räusperte, augenscheinlich überrumpelt war von der jähen Entschlossenheit des anderen. Ja, womit fing man an…? Er hatte sich nicht darauf vorbereitet. Sinnierend bewegte er die Lippen aufeinander und blickte sich flüchtig um. Die kleine Trainingshalle, die sie kurz darauf betraten, erstreckte sich wie erhofft leer und verlassen vor ihnen und war somit bestens geeignet. Laut schallten ihre Schritte, als sie die steinerne Halle betraten, Kanda die Tür hinter ihnen schloss und knappe Blicke nach beiden Seiten warf. Es war niemand hier, sie waren unter sich und ziellos tat Lavi weitere Schritte auf der weiten freien Fläche. Die Hand abermals am Kinn, studierte er den dunklen Boden zu seinen Füßen. Kanda hatte nicht widersprochen, wurde seiner Entscheidung gerecht und nun wollte er den Anfang wagen. Noch heute, wenn Kanda darauf bestand. Dieser war in der Nähe der Tür stehen geblieben. Die Arme vor dem Bauch verschränkt, verfolgte er flüchtig die Bewegungen des anderen, bevor er zu den hohen Fenstern spähte. Es war bereits dunkel und kühl fiel das Mondlicht auf die rauen Konturen des Bodens, wurde verfinstert durch den langen Schatten, den Lavi warf. Eine seltsame Atmosphäre hatten sie mitgebracht und das Schweigen hielt lange an, bis Lavi inne hielt. In den hellen Umrissen des arkadenförmigen Fensters blieb er stehen, wandte sich zu dem Anderen. „Gut“, vernahm Kanda seine ruhige Stimme, erwiderte seinen Blick abwartend. „Na dann.“ Er erspähte eine legere Handbewegung, bevor sie in die Hüfte gestemmt wurde. „Wo liegt denn das Problem?“ Entspannt und ohne Zurückhaltung stellte er diese Frage und leise hallte seine Stimme wider, während Kanda die Brauen hob, flüchtige Verblüffung preis gab. Mit solchen Fragen hatte er nicht gerechnet. Nicht so schnell. Reglos verharrte er und Lavi ließ ihm nicht viel Zeit, bevor er mit den Schultern zuckte. „Den Anfang musst du machen, Yu.“ Natürlich… und endlich wandte Kanda den Blick ab. Seine Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen und unter einem tiefen Atemzug setzte er sich in Bewegung, begann zu spazieren, ohne sich Lavi zu nähern. Sie hatten Zeit und den Anderen stets im Auge behaltend, hockte sich Lavi hin, kauerte bequem und stemmte den Ellbogen auf das Knie. Sein Kinn fand Halt in der Handfläche und er wurde warten gelassen. „Werden die Fragen ab jetzt immer so rabiat gestellt?“ Kritisch erwiderte Kanda die permanente Musterung, doch Lavi stieß nur ein leises Seufzen aus. „Wie sollen wir denn miteinander arbeiten, wenn ich nicht Bescheid weiß?“, nuschelte er nur und Kanda kehrte ihm Kopfschüttelnd den Rücken. „Früher oder später wirst du es mir ohnehin sagen müssen. Also weshalb nicht jetzt? Du wolltest es doch so. Was hast du erwartet?“ Der Hauch eines Widerwillen prägte Kandas Züge, als er die Hände in den Hosentaschen versenkte, ziellos um sich starrte. Und noch immer… er spürte die Aufmerksamkeit in seinem Rücken, rümpfte die Nase und verharrte reglos, um das eigene Schweigen zu verlängern. Abermals erhob Lavi die Stimme nicht und er ließ ihn abermals warten, bearbeitete die Zähne mit der Zunge und richtete sich unter einem tiefen Luftholen auf. „Also gut“, stieß er aus und wandte sich um. Niemand war hier… sie waren unter sich und niemand außer Lavi würde hören, was er zu sagen hatte. Interessiert lauschte dieser seinen Worten und schlendernd setzte er sich erneut in Bewegung, zog durch die leuchtenden Umrisse der Fenster. Die Augen auf den Boden gerichtet, zog er in sicherer Entfernung an Lavi vorbei. Leise schallten seine Schritte wider. „Ich habe ihn vor… ungefähr einer Woche getroffen“, begann er ruhig zu erzählen und Lavi richtete sich auf, war ganz Ohr. „Und wo?“ „In einem Gebirge“, antwortete Kanda nach kurzem Zögern, blieb stehen und wandte sich um. Es fiel ihm augenscheinlich schwer, darüber zu sprechen. Man sah es ihm an, als er schlendernd zurückkehrte, einen ziellosen Bogen ging. „Er provozierte einen Kampf, ohne, dass ich seine Identität kannte.“ Und Lavi nickte, senkte den Blick und lauschte seinen Schritten, die vor ihm vorbeizogen. „Ich…“, verbissen suchte Kanda nach Worten, verfing sich in einer wirren Handgeste, „… konnte mich nicht darauf einstellen.“ „War er alleine?“, erkundigte sich Lavi nachdenklich und Kanda stieß einen geräuschvollen Atem aus. „Ja“, gab er missmutig zu. „Und…“, Lavi begann sich zu regen, bettete beide Ellbogen auf den Knien, faltete die Hände ineinander, „… habt ihr vor dem Kampf miteinander gesprochen?“ „Nein“, abmessend und knapp lugte Kanda zu ihm, sah erneut ein verstehendes Nicken. „Es geschah aus heiterem Himmel. Er hatte jeden verfluchten Vorteil auf seiner Seite und…“, er spürte die alte Aufmerksamkeit des Anderen, drehte sich um und trottete weiter, „… ich habe verloren“, beendete er leise und senkte verbittert den Kopf. „Mm-mm.“ Lavi nickte abermals. Wie er es sich gedacht hatte. Doch diese Erzählung hatte eine Fortsetzung und still wartete er auf diese. Hier an diesem Punkt würde es sich wohl rigoros erschweren, Worte zu finden und so zeigte er auch für das daraufhin folgende und lang anhaltende Schweigen Verständnis. „Ja…“, die Augen auf die hohe Decke der Halle richtend, blähte Kanda die Wangen auf. „Ich habe haushoch verloren.“ Somit kehrte die alte Stille zurück und während Lavi sich die Umrisse seines Schattens betrachtete, übermannte ihn das Gefühl, dass eine Fortsetzung fraglich war. Stirnrunzelnd legte er den Kopf schief, blickte zu Kanda. „Und weiter?“ „Und weiter?“ Ungläubig wandte sich Kanda ihm zu, starrte ihn an. Doch Lavi meinte es ernst und spätestens jetzt verfestigte sich die Verbitterung im Gesicht des anderen, grenzte annähernd an Zorn, als er tief einatmete. „Der Kampf war ungerecht!“ Energisch erhob sich seine Stimme. „Und dieser Kerl… hat nicht einmal ernsthaft gekämpft! Er hat mich verhöhnt und nach Strich und Faden in den Boden gestanzt! Er hat mit mir gespielt, mich als Gegner nie ernst genommen!“ Langsam richtete sich Lavi auf, rümpfte die Nase. „Es ist diese verdammte Blamage, die mir so zu schaffen macht!“ Aufgebracht streckte Kanda die Arme von sich, taxierte den Älteren funkelnd. „Darüber komme ich nicht hinweg! Und du fragst ernsthaft, was es noch sein soll?! Reicht das nicht?!“ „Vermutlich schon.“ Unter einem dumpfen Seufzen sank Lavi in sich zusammen, stemmte das Kinn in die Handfläche zurück und erwiderte Kandas Blick mitfühlend. „Von einem Noah besiegt zu werden, dem man völlig unvorbereitet und alleine gegenübersteht, noch dazu erschöpft von der vergangenen Mission… jeder andere hätte bestimmt besser abgeschnitten, nicht?“ Funkelnd verengte Kanda die Augen, presste die Lippen aufeinander, während der Andere nur den Kopf schüttelte. „Es wundert mich gar nicht, dass du seitdem völlig neben dir stehst. Das muss wirklich traumatisierend gewesen sein, vor allem, weil der Sieg schon zum Greifen nahe wa...“ „Er hat mich mit seiner verdammten Überheblichkeit gedemütigt!“ Schallend erhob sich Kandas Stimme in der Halle und Lavi rieb sich die Stirn. „Wenn es dir nichts ausmachen würde, schön! Aber mich bringt es um den Verstand, wenn ich auch nur daran denke!“ Kandas Stimme senkte sich zu einem scharfen Zischen. „Das ist es doch, was du hören wolltest!“ „Und mehr hast du nicht zu sagen?“ Plump ließ Lavi die Hand sinken und kam gemächlich auf die Beine. Er streckte sich, vertrat sich die Füße und blickte flüchtig auf. „Mm?“ „Ich habe deine Frage beantwortet!“ Augenscheinlich rang Kanda um die alte Fassung. Annähernd ruhig erhob sich seine Stimme und Lavi rückte an seinem Stirnband. „Bist du jetzt zufrieden?“ „Ja, überaus zufrieden.“ Auf den Lippen des Älteren zeichnete sich ein vergängliches legeres Grinsen ab, unter dem er die Arme streckte. „Aber nicht wegen dir… eher deshalb, weil ich mich bei solchen beträchtlichen, irreparablen Problemen überfordert fühle.“ Mit diesen Worten kam er auf die Beine. Nur das leise Knirschen des Gesteins erhob sich in der Stille, die daraufhin über sie hereinbrach und Lavi streckte sich abermals und bequem. „Ich habe etwas weniger Gravierendes erwartet… tut mir leid aber damit werde ich wirklich nicht fertig.“ Schulterzuckend wandte er sich somit an Kanda, sah dessen fassungslose, ja, annähernd bleiche Miene. Mit leicht geöffnetem Mund und starrem Blick taxierte er den Rothaarigen, der sich schon in Bewegung setzte, zum Abschied flüchtig die Hand hob. „Ich denke, darum kümmern sich am besten doch die Ärzte. Die kennen sich mit solchen schweren Traumata bestimmt aus.“ „Wie bitte…?“ Nur leise drang Kandas Stimme an seine Ohren, als er die Tür erreichte, nach der Klinke griff. Sie zitterte, bebte vor Wut. „Ganz einfach.“ Unter einem tiefen Atemzug wandte sich Lavi um, öffnete die Tür. Seine Miene hatte etwaige Lässigkeit verloren, als er Kanda unbeteiligt, beinahe ernüchtert in Augenschein nahm. „Wenn du dich nicht an die Abmachung hältst, tue ich es auch nicht.“ Ein letztes Mal hob er die Hand, kehrte Kanda den Rücken und schob sich nach draußen. „Was willst du denn?!“ Schallend drang die erzürnte Stimme des anderen an seine Ohren, als er in den steinernen Flur trat. „Verflucht, ich habe dir doch gesagt, was du hören wolltest!! Was willst du noch?!“ Lavis Zähne bekamen die Unterlippe zu fassen, als er die Tür hinter sich schloss. Den Kopf senkend und tiefen Atem schöpfend, machte er sich somit auf den Weg und kam nicht um ein stummes Kopfschütteln. Eine bittere Enttäuschung formte seine Züge, während er sich den Boden betrachtete. >Yu… du verdammter Idiot.< Geräuschvoll riss Kanda die Tür zu seinem Zimmer auf und beförderte sie ebenso laut zurück in die Angeln. Das laute Dröhnen kroch durch die steinernen Gänge des Hauptquartiers, während er stehenblieb. Mit geballten Händen und fahrigem Atem stand er dort und starrte zu Boden. Ein flüchtig überlegter Plan war gescheitert. Zischend drehte er sich um und blickte zur Tür zurück. Finster traf sein Blick auf das dicke Material und lange stand er dort, bevor er sich wieder abwandte und nervös durch den Raum zu spazieren begann. Ruhelos am Tisch vorbei zum Fenster, an welchem er kurz stehenblieb und mit beiden Händen das Haar zurückstrich. Verbittert klammerten sich seine Finger in die Strähnen und nur kurz blickte er durch das gefärbte Glas, bevor er ihm den Rücken kehrte und fieberhaft zur Tür zurückkehrte. Doch nicht um sie zu öffnen, nicht, um den Raum zu verlassen. Dumpf traf seine Faust auf den festen Widerstand und keuchend lehnte er die Stirn gegen das kalte Material. Leise hallten Lavis Schritte an den steinernen Wänden wider. Noch immer war er unterwegs und das ohne Ziel. Ihm stand der Sinn nach Bewegung. Es war ihm ein Unmögliches, sich niederzusetzen und untätig zu sein. Soviel hatte sich ihm eröffnet durch Kandas Verhalten. So viele neue Gedanken und Grübeleien rumorten in ihm und unstet bog er um eine Ecke und nahm es mit einem weiteren Gang auf. Es zog ihn einfach nach vorne, ohne, dass er auf seine Umgebung achtete. Sein Gesicht war verspannt, seine Zähne bissen aufeinander und nach wenigen weiteren Schritten blieb er stehen. Sein Atem fiel schwer und aufgeregt und missmutig drehte er sich um und blickte zurück. Was gab es nun zu tun, fragte er sich. Würde er sich an die Abmachung mit Komui halten und diesen von dem gescheiterten Versuch in Kenntnis setzen, so wäre es an der Zeit, sich an die Ärzte zu wenden und die eigene Kapitulation einzureichen. Er hatte den Versuch gewagt und er war gescheitert. Langsam hoben sich seine Schultern, als er tief einatmete, ausatmete und flüchtig die Augen schloss. Wie arglos war er gewesen. Und er stellte sich die Frage, was er erwartet hatte. Dass Kanda Ehrlichkeit an den Tag legte und sich selbst entblößte? Dass er sich ihm öffnete und er erfuhr, was wirklich geschehen war? Wie dümmlich, davon auszugehen und gleichsam fühlte sich Lavi ausgenutzt und in die Irre geführt. Er gab es zu, in diesen Momenten verband er eine gewisse Wut mit Kanda und konzentriert versuchte er sich von ihr zu befreien. Es war der falsche Weg, so zu reagieren. Wenn er realistisch blieb, dann konnte er keine Wunder erwarten… ebenso wenig, dass Kanda diesen einen Schritt, diesen wichtigen Schritt, wirklich wagte. Verbittert schüttelte er den Kopf, atmete erneut tief durch und setzte sich wieder in Bewegung. Ächzend ließ sich Kanda auf das Bett sinken. Er rieb sich das Gesicht, sank nach hinten und blieb regungslos auf der Matratze liegen. Die Arme von sich gestreckt, blickte er zur Decke auf und wie absurd erschien ihm sein Einfall mit einem Mal. Seine Pein auf so etwas zu lenken… sich eine solche Erklärung zu gestalten und Lavi näherzubringen. Selbstverständlich hatte es ihm wehgetan, diesen Kampf zu verlieren. Selbstverständlich hatte es seinen Stolz verletzt, doch was war dies schon im Vergleich zu dem, was auf seine Niederlage folgte. Er betrachtete sich die verschiedenen Steine, die sich über ihn zogen, regte die Finger und schloss irgendwann die Augen. Noch immer steckte Wut in ihm, noch immer jene Verbissenheit und er ließ die Momente Revue passieren. Was hätte er sagen sollen…? Es gab Worte, die er nicht aussprechen und Gefühle, die er nicht in Worte kleiden konnte. Dabei war es doch nur ein kurzer Satz… vielleicht auch zwei, die all das zusammenfassten, was ihn leiden ließ. Seine Augen brannten, er spürte eine seltsame Hitze und stockend rang er nach Atem. ‚Ich wurde vergewaltigt.‘ Allein bei diesem Gedanken verkrampfte sich alles in ihm. So schmerzhaft… so unerträglich. ‚Ich sterbe innerlich.‘ Mehr hätte es nicht sein müssen. Es wäre alles an Wahrheit gewesen, was er in sich trug, doch wenn er sich an die Augenblicke in dieser Halle erinnerte… es wäre ihm ein Unmögliches, es auszusprechen. Allein daran, es sich selbst einzugestehen, wäre er gescheitert und tat es noch immer. Seine Lippen pressten sich aufeinander. Sie waren trocken. Auch sein Mund. Seine Augen öffneten sich um ein Stück und matt begann er einen Arm zu bewegen. Er hob ihn von der Matratze, hob ihn über das Gesicht und begrub die Augen unter ihm. Schweigend betrat Lavi den hellen gefliesten Raum. Es war das Bad, das er aufsuchte und gedankenlos zog er an den Waschbecken vorbei und schlenderte zu den Duschen. Es war niemand dort. Er war alleine und seufzend ließ er sich erst einmal auf die lange hölzerne Bank sinken, die sich an einer der Wände entlang streckte. Es tat gut, sich zu setzen, sich niederzulassen und langsam lehnte er sich an und streckte die Beine von sich. Kandas Verhalten hatte ihn dazu bewegt, sich zu fühlen, als hätte er einen nicht geringen Teil seines Optimismus verloren. Seines Vertrauens und seiner Entschlossenheit. Er spürte, dass ihm derartiges fehlte und wie absurd war der Gedanke, dass Kanda seine Meinung in der nächsten Zeit änderte. Vielleicht hatte er sich doch zu viel vorgenommen… Würde er wirklich scheitern an der Mauer, die Kanda um sich herum aufgebaut hatte...? Wäre er nicht imstande, sie zu überwinden? Er senkte die Lider, starrte auf den weiß gefliesten Boden. Und abrupt kamen ihm Bilder in den Sinn. Bilder, die er fürchtete. Bilder, die grausam waren. Würde er aufgeben… würde er kapitulieren und etwaige Verantwortung von sich weisen. Ja, was würde geschehen…? Seine Lider sanken weiter, bis er die Augen schloss und regungslos sitzen blieb. Wenn auch Komui die Hände gebunden waren und jedes gute Zureden im Keim erstickt wurde. Wenn sich Kanda weiterhin querstellte und sich selbst quälte und gierig nach Ablenkung suchte… … Sie würden ihn holen. … Es würde nicht lange dauern, bis sie hier auftauchen und Kanda mit sich nahmen. In den Keller würden sie ihn verschleppen und nur selten war jemand von dort zurückgekehrt. Nichts anderes geschah mit Exorzisten, die ihren Gehorsam verweigerten und problematisch wurden. Lavi wurde schlecht, als er an die möglichen Methoden dachte, mit denen man darauf aus war, ihn wieder gefügig zu machen. Was man ihm antun würde… Und auch, wenn er zurückkehrte. Er würde nie wieder der Alte sein. Ein Keuchen entrann Lavi. Sein Oberkörper sank nach vorn und ächzend stemmte er die Ellbogen auf die Oberschenkel und die Stirn in die Hände. Er wusste es. Er war der Einzige, der Kanda davor schützen konnte, doch mit der Zeit würde es auffallen, dass ihn dieser strikt zurückwies. Das, was soeben geschehen war, konnte er wohl noch unter den Teppich kehren. Er könnte tun, als wäre nichts geschehen und vor anderen einen falschen Optimismus nach außen kehren. Ein Vorgehen, das jedoch nicht ewig funktionieren würde. Wenn Kanda ihm weiterhin mit Lügen begegnete… sich vor ihm verschloss und ihn mit Unwahrheiten verhöhnte… würde er sich sein eigenes Grab schaufeln und Lavi völlig hilflos sein. Wehrlos gegenüber der Übermacht des schwarzen Ordens und dessen brutalen Methoden. Stockend schob sich Kanda auf sein Bett. Er hob die Füße vom Boden, schob sich auf der Matratze zurück und bettete den Kopf auf dem Kissen. Die Augen behielt er geschlossen. Er fühlte sich müde, ausgezehrt… was seit geraumer Zeit ein Dauerzustand zu sein schien. Hätte er es auch gewollt… seine Augen würden sich nicht öffnen. Sie gehorchten ihm nicht mehr und so bewegte er den Kopf blind auf dem Kissen, drehte sich auf die Seite und wandte sich der Wand zu. Langsam zog er die Beine an, umschlang seinen Körper mit beiden Armen und lauschte in die Stille, die ihn umgab. Keine Schritte, keine Stimmen… er war wieder alleine. Flüchtig verspannten sich seine Finger. Sie versenkten sich im Stoff des Hemdes und nur mit viel Anstrengung konnte er sie wieder entspannen und sachte auf seinen Rippen betten. Mit jedem Atemzug sank er tiefer. Tiefer… tiefer… hinein in dieses wohlige Nichts, das ihn fürsorglich umschlossen hielt. Wie ein Schutzfilm umgab es ihn, liebkoste ihn mit unendlicher Wärme und Schutz und in sich zusammengekrochen nahm er all dies für sich wahr. Der Atem fiel so entspannt, so ruhig, wie lange nicht mehr. Kein Laut erhob sich in der friedlichen Finsternis und wie ein Kind kriecht er weiterhin in sich zusammen, zieht die Knie an die Brust und schließt die Arme um die Beine. Wie schutzlos ihn die Realität macht… Wie sie ihn ausliefert… Durch und durch brutal und gnadenlos und abrupt erwachte ein benommener Gedanke in ihm zum Leben. Wenn er doch nur immer hier sein könnte. In seiner heilen Welt, die all jenes von ihm fernhielt, was ihm Pein zufügte und schieren Schmerz. Wenn er niemals wieder aufwachen würde… tagelang, nein wochenlang in diesem Bett liegen könnte und anschließend auch für die ganze Ewigkeit. Der Vorhang fiel und die Realität zeigte sich in all ihren Tücken. Wie stark hatte er sich stets gefühlt. Unantastbar. Unbesiegbar. Und man hatte ihn respektiert für diese Stärke. Man hatte sie anerkannt und sich schlussendlich auf sie verlassen, wenn man ihn auf das Schlachtfeld schickte. Man erwartete Erfolge und er erbrachte sie. Mit dem Stolz eines Japaners… Aufgerichtet… würdig… erhaben… unbeugsam… So war er stets gewesen. Ein Zittern durchfuhr seinen Körper. Es stieg in ihm auf, erfasste ihn von Kopf bis Fuß und ließ ihn stark erbeben. Die Gegenwart… ja, sein jetziges Dasein… Und er sah sich selbst, als wäre er nicht mehr in seinem Körper. Als wäre er ein Außenstehender, der einen Film verfolgte. Und er sah sich. Seine gebeugte, von Befürchtungen niedergerungene Haltung, in der er durch die Gänge schlich. Seine vor Angst geweiteten Augen, die stets befürchteten und sofort bereit waren, sich zu schließen, wenn Gefahr drohte. Seine weichen Knie… Was war von ihm übrig geblieben. Man hatte ihn mit Haut und Haaren verschlungen und übrig geblieben war das, was man wieder ausgespuckt hatte. Jämmerlich… ängstlich… schwach… Und die Wärme ließ nach. Es wurde kalt um ihn herum. Der Schutzfilm, der ihn stets umgab, schien zu dünnem Eis zu werden, das ihn frösteln ließ. Und wieder erblickte er die Realität. Es gab keinen Schutz mehr für ihn. Er hockte nackt in der Dunkelheit. Geschunden und erniedrigt. Was blieb übrig von seinem Stolz, nachdem man ihn so brach? Wie konnte er aufrecht gehen, nachdem man ihn niedergerungen hatte? Geräuschvoll schnappte er nach Luft, kämpfte gegen diesen widerlichen Druck an, der sich in seinem Hals bildete. Der Vorbote der bitteren Tränen, die nur weiterhin erniedrigten. Seine Lippen pressten sich aufeinander, mehr und mehr kroch er in sich zusammen und wie heftig schnappte er nach Luft, als er die Berührung fremder Hände spürte. Sein gesamter Körper fuhr in sich zusammen. Die Erinnerungen entsendeten schiere Panik und auch, wenn er weiterhin in sich zusammenkroch und die Hände auf das Gesicht presste. Dieser Berührungen blieben. Kitzelnd betteten sich Fingerkuppen auf seiner Haut und ein jeder Muskel schien sich mit einem Mal zu verkrampfen. Eine fremde Zärtlichkeit erfasste ihn und zwang ihm Gefühle auf, die er niemals kennen lernte. Es gab keine Mutter, die seine Wange streichelte. Keinen Vater, der ihn umarmte. Er wurde ‚erschaffen‘… aus dem Nichts und mit einer Stärke, die sofort verschwand, sobald sie auf etwas traf, das sie nicht kannte. Niemals kam er einem Menschen nahe. Niemals berührten seine Lippen die eines anderen. Dazu wurde er nicht kreiert. Niemand erschuf ihn mit dem Willen, zärtlich zu sein und Liebe zu empfinden. Erschaffen wurde einzig und allein eine Waffe, die man gegen den Feind einsetzte. Eine Waffe, die zerstörte und doch ebenso schnell zu zerstören war. Mit den richtigen Mitteln. Und weiter kroch er in sich zusammen, als die Fingerkuppen über seinen Oberschenkel strichen. Jungfräuliche Haut wurde entehrt. Sie war dem nicht gewachsen. Sie etrug diese Sanftheit nicht, zerbrach unter ihr und verkrampft und reglos ließ sich der Körper formen. Er ließ sich auf den Rücken wenden… Seine Beine ließen sich spreizen und es war, als würde es ein weiteres Mal geschehen. So real, so spürbar und gellend dröhnte dieser schmerzerfüllte Schrei in seinen Ohren. Er erinnerte sich. Er wollte ihn unterdrücken, wollte vor den Augen jenes Mannes so tun, als würde es ihm nichts ausmachen. Als würde er seinen Stolz damit nicht verletzen, doch heiß traten ihm die Tränen in die Augen, als er spürte, wie sich etwas in ihn presste und eine Pein hervorrief, die mit keiner Wunde zu vergleichen war, unter der er bislang litt. Es war eine fremde Qual, umso gnadenloser, da er ihre Art nicht kannte. Viele Verletzungen trug er bereits davon. Viele schmerzten, viele quälten ihn, doch das stets nur für wenige Augenblicke. Und dennoch ertrug er es, dennoch blieb er stehen. Gequält bissen seine Zähne aufeinander, zitternd fanden seine Hände zu den Ohren und verbargen sie unter sich, denn fortwährend erhob sich dieses Keuchen, dieses gepeinigte Ächzen. In einer Lautstärke, die nicht zu missachten war. Jeder Laut schien geradewegs in ihn einzudringen, Besitz von ihm ergreifen und es fühlte sich so seltsam an, so schauerlich, dass seine stets so monotone Stimme zu solchen Lauten fähig war. Entsetzen schwang in jedem Keuchen mit, Hilflosigkeit, doch letztendlich brachen diese Empfindungen über ihn herein, die seiner Kehle ein Stöhnen entlockten. Gellend stieß auch dieses in seine Ohren. Er war dem ausgeliefert, war der Wahrheit ausgeliefert. Als der Schmerz vergangen war… als sich sein Körper daran gewöhnte… waren Gefühle über ihn hereingebrochen, die so intensiv waren wie nur weniges, das er je erlebt hatte. Niemals hatte Freude ihn so heimgesucht, wie das Kitzeln, wie der Druck, die sich in seinem Unterleib bei jedem Stoß ausbreiteten. Wie entsetzt war er gewesen. Wie ausgeliefert und immer lauter wurde dieses Stöhnen und immer mehr und verkrampfter versenkten sich seine Fingernägel in seiner Haut. Mit verzerrtem Gesicht lag er dort und spürte die Trockenheit seines Mundes. So war es gewesen. Das Keuchen hatte seinem Mund jede Feuchtigkeit entzogen, das fremdklingende Stöhnen in seinem Hals gebrannt und verbittert versuchte er sich gegen diese Impressionen zu wehren. Sie waren vergangen! Sie waren nicht reell!! Und unter einem gellenden Schrei fuhr er in die Höhe. Mit einer Schnelligkeit und einer Wucht, dass seinem Körper sogleich jedes Gleichgewicht entrissen wurde und er mit einem Mal aus dem Bett stürzte. Die Matratze endete plötzlich, schwungvoll stürzte er über sie und ein schierer Schmerz entfachte sich in seinem Kopf, als er mit der Stirn auf dem steinernen Boden aufschlug. Lautes, heiseres Keuchen erfüllte seinen Raum, als er sich stockend zu bewegen begann. Wirr hatte sich die Decke um ihn geschlungen und wie deutlich spürte er, wie der Schweiß über seine Stirn perlte. Auch von seinen geweiteten Augen perlte der Schweiß und rann kitzelnd über seine Wange. Sein Hals schmerzte und ein gedrungenes Würgen trat über seine Lippen, als er sich stockend aufrichtete und die Hände sofort den Weg zu seinen Ohren suchten. Noch immer… Laut erhob sich sein eigenes Stöhnen um ihn herum, während er sich zitternd aufrichtete und die Hände auf die Ohren presste. Es war so real, es war überall um ihn herum und bebend rang er nach Sauerstoff, während sein Körper zitterte und sich verkrampfte. „Ruhe…“, brachte er heiser hervor und sank in sich zusammen. Knirschend bissen seine Zähne aufeinander, sein Unterkiefer begann zu beben und röchelnd atmete er erneut tief ein. „Ruhe…!!!“ Gellend erhob sich seine Stimme, erschöpft sank er vornüber und als das laute Stöhnen mit einem Mal in seinen Ohren versiegte, blieb er benommen liegen. Haltlos sank sein Arm zu Boden, kraftlos schmiegte sich der schwitzende, keuchende Körper an das kalte Gestein des Bodens und unter einem letzten tiefen Keuchen verlor er das Bewusstsein. *tbc* Kapitel 19: ~9~ --------------- Träge betrachtete sich Lavi sein Spiegelbild, das ihn müde anstarrte und die Zahnbürste im Mund bewegte. Leises Kratzen und Rascheln herrschte in dem Baderaum und flüchtig lugte Lavi zu Allen, der neben ihm stand und ebenso seine Zähne bearbeitete. So richtig wach schien auch er nicht zu sein, ganz im Gegensatz zu Leenalee, deren Gesicht entspannt und heiter wirkte, während sie sich die Zähne putzte. Alle drei standen sie da und Lavi fiel es schwer, ein Gähnen zu unterdrücken, als er sich wieder dem eigenen Spiegelbild zuwandte. Er hatte in der vergangenen Nacht keinen Schlaf gefunden. Keine Stunde hatte ihn die richtige Ruhe erreicht und wie hatte er sich gewälzt in seinem Bett, während Bookmans Schnarchen den kleinen Raum erfüllte. Fast war er froh darüber, dass der neue Tag nun angebrochen war. Er verdrehte die müden Augen, beugte sich zum Waschbecken und spuckte aus. Er fühlte sich diesem Tag irgendwie nicht gewachsen. Befürchtungen überkamen ihn… Ängste… Dass er versagte… Dass er an der selbst auferlegten Verantwortung letztendlich doch zu Grunde ging, denn wenn er ehrlich war, war er bereits beinahe am Ende seiner Ideen. Er wusch sich den Mund, wusch sich das Gesicht und war der erste, der das Bad verschwiegen und nachdenklich verließ. Lange Grübeleien lagen hinter ihm. Schwere Grübeleien, die ihn dazu bewegten, sich an seine letzte Hoffnung zu klammern. Er war auf dem Weg zu Komui. Stockend begann sich Kanda zu bewegen. Altes Leben ergriff den erschöpften Körper und wenn auch langsam, seine Lider hoben sich blinzelnd und offenbarten gerötete, glasige Augen, die sich durchaus irritiert und verstört auf die gegenüberliegende Wand richteten. Sinne, die realisierten, dass er erneut auf dem Boden lag und sofort machte auch die Wunde auf seiner Stirn auf sich aufmerksam, als er müde den Kopf vom Boden hob. Ein Stechen breitete sich in ihm aus und nur beiläufig ertastete er die Beule und ein heiseres Ächzen entrann ihm, als er sich in eine aufrechte Haltung kämpfte. Die Arme wollten ihn nicht so recht stützen. Es fiel ihm schwer, sich mit ihnen aufzurichten. Seine Gelenke bebten, seine Muskeln zitterten und stöhnend ließ er sich vorerst mit dem Rücken gegen die Kante des Bettes sinken. Müde und kraftlos senkten sich seine Lider und mit offenem Mund blieb er lehnen und konzentrierte sich auf seinen Atem. Er fiel langsam, fiel stockend, während das Herz schwerfällig in der Brust pulsierte. Es glich einem Schock, unter dem er stand. Kaum eine Bewegung wollte ihm gelingen, kaum eine Regung und nur die Augen öffneten sich um ein Stück, nachdem er längere Zeit so dort kauerte. Trübe kamen seine Pupillen zum Vorschein, starr richteten sie sich auf die Decke. Seine Lippen waren noch immer spröde und trocken und müde befeuchtete er sie mit der Zunge. Er war wieder in der Wirklichkeit, sagte er sich, doch ebenso rasch erreichte ihn die Tatsache, dass sich die Wirklichkeit in letzter Zeit gerne mit Wahnvorstellungen verband. Die trennende Linie war verschwommen, war erblasst und vorsichtig blickte Kanda um sich. Vor seinem Fenster lag der junge Tag. Die Sonne musste erst vor kurzem aufgegangen sein und doch fühlte er sich nicht danach, auf die Beine zu kommen und Tatendrang zu zeigen. Was sollte er denn schon tun? Durch Komuis Tücken verwehrte man ihm die Arbeit und auch Lavi schien ihn zu finden, ganz gleich, wo er sich versteckte. Also warum aufstehen? Er ließ sich zurück gegen das Bett sinken und schloss die Augen. Sein Körper blieb schwer und unbeweglich und doch begann er sich irgendwann zu regen. Wenn auch schwerfällig, er richtete sich auf, tastete sich über den Boden und kam unsicher zum Stehen. Ein knapper Schwindel suchte ihn heim und flüchtig musste er sich auf dem Weg zur Tür an der Wand abstützen. Er tastete sich an ihr entlang, rieb sich die Augen und streckte auch der Tür die Hand entgegen, um in ihr eine Stütze zu finden. Die Überwindung war riesig und doch war sein Willen von Erfolg gekrönt. Es gab derzeit nur einen Ort, an welchem er wirklich zur Ruhe kommen und sich ein wenig entspannen konnte, um die Nachfolgen dieser grausamen Nacht ein wenig zu unterdrücken, möglicherweise auch zu ersticken und wenn auch schwankend und langsam, er begab sich auf den Weg zum Onsen. Langsam schloss er so die Arme um die angewinkelten Beine. Die Augen auf das helle Gestein des Onsen gerichtet, neigte er auch den Kopf zur Seite, bettete die Wange auf den Knien. Friedlich drang das leise Plätschern an seine Ohren, als er müde blinzelte, die Umwelt nicht so recht zu fassen bekam. Sie erbebte, genau wie die Umrisse seiner Füße, als sie sich im annähernd undurchsichtigen Wasser regten. Seine Schulten hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, seine Lippen pressten sich aufeinander und unter einem stillen Seufzen schloss er die Augen. Was war nur los…? Was geschah? Die vergangene Nacht zehrte noch immer an seinen Kräften, an seinen Gedanken, die sich vollends unter ihrer Herrschaft befanden. Kein Abdriften zu hoffnungsvollen Ansichten, keine Kraft, durch andere Faktoren Ablenkung zu finden. Es ging nicht mehr und ermüdend umspielte ihn das warme Wasser, als er sich kurz regte, das Gesicht zu den Knien wandte, die Stirn auf ihnen bettete und die Augen schloss. >Was passiert nur mit mir…< Wo war das Ende? Wo die Zeit, mit denen er seine Wunden zu heilen gedachte? Es war ein einziger Alptraum, von dem er glaubte, befreit zu sein. Flüchtig und ziellos spreizten sich seine Finger, bevor sie sich abermals fest um seinen Unterarm schlossen. Der drückende Wasserdampf erschwerte ihm das Atmen, leise rauschte sein tiefes Luftholen in dem Raum, als er das Gesicht wieder wandte, unruhig nach der Bequemlichkeit suchte. Er fand keine Entspannung. Selbst hier an diesem Ort, an dem stets Erholung fand… selbst in dieser Haltung, in der er sich nicht beanspruchte. Er rollte mit den Schultern, bettete die Wange neu und öffnete die Augen. Verschwommen kamen seine Pupillen zum Vorschein, tasteten sich trübe und teilnahmslos über die Konturen des Gesteins. Sein Atem fiel schnell, seit er aufgewacht war, fiel so unruhig, als würde er rennen. Dieses Kribbeln… wieder bewegte er die Finger, schloss die Arme fester um die Beine und würgte ein trockenes Schlucken hinab. Sein Kopf fühlte sich so… überladen an. Es steckte soviel in ihm, das ihm dieses Gefühl der Überlastung sandte. Soviel tummelte sich in ihm, soviel lebte rumorend und dumpf auf… zuviel, ohne, dass sich auch nur ein Gedanke fassen ließ. Erneut schluckte er schwer, keuchend folgte der erste Atem und ein Zucken durchfuhr die junge Miene, bevor er die Augen abermals schloss. Ein imaginärer Kopfschmerz war ein lästiger Begleiter, gegen den er abermals anzukämpfen versuchte. Dieses Gewirr… er konnte es nicht in Worte fassen und… ein leises Geräusch durchbrach das monotone Plätschern, ließ ihn in die Höhe fahren. Geräuschvoll rang er nach Atem, als er sich zur Seite wandte und wie plötzlich schlug ihm die Anwesenheit eines weiteres Onsen-Besuchers entgegen. Er… hatte ihn nicht gehört, nicht gespürt… wann war er gekommen…?! Stumm verharrten seine Lippen leicht geöffnet, während er mit blasser Miene auf den Finder starrte, der die Aufmerksamkeit nicht erwiderte. Langsam drehte er den Kopf, spürte das jähe Rasen seines Herzens, die Unruhe, die gnadenlos wuchs, ein jedes Glied seines Körpers unterjochte. Mit einer knappen Bewegung zog sich der Finder das Handtuch von der Taille und unachtsam wurde es fallen gelassen, als er auf den Onsen zusteuerte. Die Augen noch immer starr auf ihn gerichtet, verharrte Kanda reglos. Eine beklemmende Lage, die ihm etwaige Beweglichkeit raubte und stockend senkten sich seine Pupillen. Unterdessen erreichte der Mann sein Ziel. Die entsetzte Musterung entging ihm vollends, als er in eines der anderen Becken stieg und durch das seichte Wasser watete. Ein Beben durchzog Kandas Unterkiefer, bevor er den Mund schloss, sich einem perplexen Blinzeln ergab, sich stockend zu regen begann. Ein kalter Schauer jagte ihm durch Mark und Bein, als er die Arme von den Knien löste, unbeholfen den Blick abwandte und den Atem hinter den Lippen verschloss. Was geschah…? Ziellos jagten seine Pupillen über die schimmernde Oberfläche des Wasser und er zog die Beine weiter an, vernahm das laute Plätschern, als der Finder vor einem kleinen Wasserfall stehen blieb und sich zu ihm neigte, um die Hände in das warme Nass zu tauchen. Und abermals… die Augenwinkel des jungen Mannes zuckten, als er zu der Blöße des Mannes zurückblickte, die plötzliche Trockenheit des Mundes wahrnahm. Wo war die eitle Nichtbeachtung, mit der er solche Anblicke stets abgetan hatte…? Abermals verfing er sich in einem Blinzeln… sein Körper neigte sich in die entgegengesetzte Richtung, ohne, dass er es ihm befahl. Er war nicht darauf vorbereitet gewesen… hatte nicht damit gerechnet… und es war… seine Miene verzog sich verwirrt, als er die Hände in das Wasser tauchte, sich abstützte. Abneigung… Ekel… Es stieg in ihm auf wie giftige Galle und erneut erschauderte er unter dem Anblick, als der Mann sich zu waschen begann, sich genüsslich den Leib befeuchtete. Es war so widerlich… es übermannte ihn, bevor er bereit war, nach Erklärungen zu suchen. Wie übermächtig war diese Abscheu, wie überlegen. Sein Magen schien sich umzudrehen und das nächste Schlucken misslang, unterlag dem gehetzten Atem, unter welchem er sich stockend zurückschob. Den Blick stets auf jenen Körper gerichtet, floh er und nur flüchtig lugte der Finder zu ihm, als er aus dem Becken stieg, fieberhaft nach dem Handtuch griff und es sich umwarf. Eine plötzliche Hast, in welcher er nachgab, sich in Sicherheit brachte und ihre Blicke begegneten sich, als sich Kanda umwandte, zurückstarrte und sich unterdessen dem schmalen Ausgang näherte. In Schritten, die nicht schnell genug sein könnten. >Weg… weg… < Herrisch ergriff dieser Gedanke Besitz von ihm und unentschlossen hatte der Finder inne gehalten. >Weg… ich muss we…< Dumpf traf er auf einen Widerstand, als er den Ausgang erreichte. Ebenso unvorsichtig wie er, war ein Finder gewesen und überrascht hielt er inne, nachdem sie zusammengestoßen waren. Nur leicht… und entschuldigend hob er die Hände, als er den Anderen erkannte. „Verzeihung, ich habe Sie nicht geseh…“ Seine Stimme versagte perplex, als die flüchtige Benommenheit von Kanda bröckelte und dieser zurückstolperte, geräuschvoll nach Atem rang. Und ein unbeschreibliches Entsetzen entflammte in den dunklen Augen, als er auf die schlanke Statur des Finders starrte, auf die kurzen schwarzen und durchaus etwas gelockten Haare. „Geht es Ihnen nicht gut?“ Um einen raschen Schritt folgte er dem jungen Mann, als dieser den Anschein machte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, ächzend und bleich nach Gleichgewicht rang und fieberhaft zur Seite wich, als sich ihm die hilfsbereiten Hände entgegenstreckten. „Nicht…!“ Fahrig brachte das nächste Ächzen ein undeutliches Wort mit sich, als er dem Mann die Hand entgegenstreckte und dumpf mit der Schulter auf die Wand traf. Stechend bäumte sich das Herz in seiner Brust auf, als er dort lehnte, ächzend mit der Überreaktion des Körpers rang. „Okay…?“ Unsicher hob der Finder die Hände, trat an dem jungen Mann vorbei und gab diesem den Weg frei, den er sogleich nutzte. Die Pupillen starr auf ihn gerichtet, schob sich Kanda an der Wand entlang. Die Füße fanden keinen richtigen Halt auf dem Boden und auch der Finder im Onsen spähte noch immer hinüber, als er sich durch den Türrahmen und in die Umkleidekabine schob. Ein seltsamer Schrecken, vor dem er floh. Nicht in Worte zu fassen… nicht zu greifen und doch grausam. Endlich gelang es Kanda, den Blick von dem Mann zu lösen und abermals sank er gegen die Wand. Die Lippen waren trocken unter dem fortwährenden Keuchen, mit welchem er auf die Gruppe starrte, die eine gesamte Seite des Raumes einnahm. Männer, die sich, in gelöste Gespräche vertieft, entkleideten und zitternd tasteten die Hände des jungen Mannes nach hinten, als er sich erneut erstarrt vorfand. Es war widerlich… widerlich… und ihm war schlecht. Seine Lunge schien sich zuzuschnüren und seine Fingernägel schabten über die helle Holzverkleidung der Wand, als sich die Männer von Hemden und Hosen befreiten, in ihrer Vielzahl den gesamten Raum einnahmen. Der rasende Atem begann in seinen Ohren zu rauschen, ein Schwindel ließ ihn benommen blinzeln, sich zur Seite neigen. Dieser Kopfschmerz… abermals lebte das Stechen in seiner Brust auf und unbeholfen folgten die Beine der Bewegung des Oberkörpers. Trunken schob er sich in einen nahen gefliesten Raum, ohne sich der Gruppe zu nähern. Die Toiletten waren es, die er erreichte. Durch den Rahmen tastete er sich und auch um die Ecke, bevor er sich schwer atmend an den Fliesen hinabrutschen ließ und kauern blieb. Nur schwerlich fand die Hand die trockenen Lippen und drückte sich auf sie, als er sich nach vorn neigte, die Brust gegen die angewinkelten Knie presste. Er hatte das Gefühl, das Bewusstsein zu verlieren. Das Bild verschwamm vor seinen Augen, bevor er sie schloss, völlig aufgelöst mit sich rang. >Beruhig dich…! Beruhig dich…!< Der Wille war nicht mehr, als ein mattes Flüstern, das dem nächsten Schwindel unterlag und ein leises Husten brach aus ihm heraus, als er den Arm um die Knie klammerte. Noch immer drangen die Stimmen der Finder an seine Ohren und zitternd blieb er kauern, bis sich ihre Schritte erhoben und sich die Gruppe auf den Weg zum Onsen machte, im Durchgang verschwand. Die Geräusche entfernten sich und umso lauter erhob sich der Atem des jungen Mannes, der sich nur stockend aufrichtete und die Hand vom Mund löste. Waren sie fort…? Quietschend rutschen seine Füße über die Fliesen, als er sich vollends sinken ließ, sich vorsichtig zur Seite neigte und in den Umkleideraum starrte. Dort gab es nur noch die Kleidung, die auf der langen Bank lag. Die Männer waren gegangen und mit einem Blinzeln riss Kanda den letzten jämmerlichen Teil der zurückgebliebenen Beherrschung an sich, bevor er sich unsicher auf die Knie erhob, nach dem Rahmen tastete und in ihm eine ausreichende Stütze fand, um auf die Beine kommen. Er musste diesen Moment nutzen, bevor weitere kamen… Die Stiefel an der Hand, schob er sich ins Freie, ließ die Umkleidekabine hinter sich und trat in den kühlen steinernen Gang hinaus. Keine Zeit, sich abzutrocknen. Hastig hatte er sich in das Hemd und die Hose gezwungen und sein Atem wollte einfach nicht zur Ruhe finden, als er sich auf den Weg machte. Nur fort von hier… alleine ein Gedanke an das Vergangene brachte ihn nahe um den Verstand und ächzend rieb er sich das Gesicht. Die Schwäche in seinen Knien ließ ihn flüchtig schwanken, knirschend bissen die Zähne zusammen, als ein gehetzter Atem ausblieb und seine Schulter eine Ecke schrammte. Lediglich eine flüchtige Berührung, die ihm vollends das Gleichgewicht entriss und kurz lehnte er keuchend an der Wand. Seine Lunge schien zu kapitulieren, war dem fahrigen Atem kaum noch gewachsen und trübe starrte er nach vorn, starrte durch den schmalen Gang und auf das Treppenhaus. Ein leises Geräusch verriet, dass seine Finger einen der Stiefel verloren hatten und benommen senkte er den Kopf, ging in die Knie und tastete nach ihm. Die Bewegungen seiner Hand… flimmrig verfolgte er die Suche seiner Finger, bis diese fündig wurden und er den Stiefel wieder an sich nahm. Seine Gelenke wirkten taub… so entkräftet. Benommen schob er sich weiter, wenige Schritte lang, war er noch auf die Wand angewiesen und schwer neigte sich sein Leib nach vorn, als er sich von ihr löste. Ein Druck… matt hob sich die freie Hand, schob sich stockend über den Hals, glitt auch über die Brust. Ein sich stetig ausbreitender Druck erschwerte ihm das Atmen, machte ihn rasch zu einem trockenen Röcheln, unter dem er in das Treppenhaus schwankte. Ein fortwährender schwerer Sog schien ihn mit sich zu reißen, ein kalter Schauer jagte den anderen und nur schwerlich ließ sich der Arm heben, mit der Hand die Klinke des Zimmers ertasten. Grau und dumpf dröhnte die Umwelt um ihn, als er sich zurücklehnte, die Tür mit sich zog und sich unter einem erstickten Husten krümmte. Hell und einladend lag der Raum vor ihm, nur undeutlich erkannte er es, blinzelte seinem Ziel flimmrig entgegen, bevor er durch den Rahmen schwankte, die Klinke zu fassen bekam und die Tür hinter sich ins Schloss zog. Kaum drang der Laut durch die heiße Mauer seines Keuchens, kraftlos lösten sich die Finger von den Stiefeln und abwesend blinzelte er in das Gewirr der schwarzen Schleier, die vor seinen Augen zu tanzen begannen. Einen weiteren Schritt tat er, bevor seine Schultern unter einem letzten Röcheln hinab sanken und die Knie unter seinem Gewicht kapitulierten. Haltlos sank er so in sich zusammen. Die Arme hoben sich nicht einmal, um dem Leib eine Stütze zu sein, als dieser nach vorn kippte und dumpf auf dem steinigen Boden aufschlug. Kein Schmerz lebte auf… keine Regung bewies, dass der Körper letztes Bewusstsein inne hatte und so kehrte die Stille zurück. Die Aufmerksamkeit auf das Buch gerichtet, blies Lavi über die dampfende Oberfläche des Tees, neigte sich etwas nach vorn und labte sich an dem Geruch der Früchte. Es fiel ihm äußerst schwer, eine Hand von der Tasse zu lesen. Doch er musste umblättern und rang sich letztendlich dazu durch. Und nachdem er sich auch zu recht gerückt hatte, war es wieder richtig gemütlich und es gab nichts mehr zu beanstanden. Völlige Stille umgab ihn, als er die Tasse langsam zu den Lippen führte, abwesend an dem Tee nippte. Bookman war bereits gegangen und so hatte er diesen Raum für sich alleine. Kein hektisches Rascheln im Hintergrund, keine Schritte, die kreuz und quer an ihm vorbeizogen. Nur in Ferne tickte eine Uhr. Die Beine gekreuzt, behielt Lavi die Tasse gleich an den Lippen, nippte erneut und schürzte die Lippen. Dieser Tee war wirklich wunderbar und unter einem genüsslichen Atemzug wandte er sich der nächsten Seite zu. Dieser Text bannte ihn, einen jeden Satz verschlang er konzentriert und kaum drang das leise Klicken der Tür zu ihm, als sie sich öffnete. Erneut setzte er das Porzellan an die Lippen, wagte einen größeren Schluck und wandte sich dem nächsten Absatz zu. Es geschah des Öfteren, dass Bookman es sich anders überlegte und zurückkehrte, um noch einmal leidenschaftlich in einem Stapel zu wühlen und so nahm er sich nicht die Zeit, um aufzublicken. Bewegungen erreichten ihn nur undeutlich, als er die Tasse in der Hand wendete und kurz darauf klickte die Tür abermals. Ein Geräusch, das ihn noch doch aufmerksam werden ließ. Nur flüchtig blickte er auf, doch als er den Besucher erkannte, schien das Buch abrupt in Vergessenheit zu geraten. Seine Brauen hoben sich, lautlos öffnete sich sein Mund und alles in seinem Gesicht verriet, dass er nicht damit gerechnet hatte. Langsam richtete er sich auf, ließ die Tasse sinken… und in langsamen Schritten durchquerte der junge Mann den Raum, näherte sich dem schmalen Tisch. Unruhig spreizten sich die Finger, ballten sich zu matten Fäusten und jedes Ziel war den Augen scheinbar lieber, als Lavi, der ihn reglos näherkommen sah. Aus der Dämmernis des Zimmers tauchte Kanda letztendlich in das Licht der Leselampe ein und stockend sank die Tasse noch tiefer. >Mein Gott…< Eine jähe Bestürzung verbannte etwaige Verblüffung aus der Mimik des jungen Mannes, als er den anderen kurz und unentschlossen auf der anderen Seite des Tisches stehen sah. Ein tiefer Atemzug drang an seine Ohren, flüchtig versanken die Fingerkuppen im schwarzen Haar und streiften es zurück, bevor die Hand nach der Lehne des Stuhles tastete, ihn träge zurückzog. Und noch immer musterte Lavi ihn betreten, stellte endlich die Tasse ab und bekam stattdessen die Kanten des Buches zu fassen. Abwesend begann er sie zu bearbeiten, während Kanda um den Stuhl herumtrat und sich unter einem weiteren Atemzug auf das Polster sinken ließ. Und so wie er saß, so sank er auch schon in sich zusammen. Auf seinem Schoß machten sich die Hände aneinander zu schaffen und vorerst schweigsam verfolgte er ihre Bewegungen. Dieses Erscheinungsbild… was hatte er nur gemacht? Lavi befeuchtete die Lippen mit der Zunge, folgte der Kante des Papiers mit den Fingern und verharrte reglos. Er würde nicht die Stimme erheben, nicht das Wort ergreifen. Diesmal war es… anders. Soviel anders, als zu dem Zeitpunkt, als sie gemeinsam in diesem Gang standen und er seine Bereitschaft erklärte. Die gesenkten Schultern des jungen Mannes regten sich unter einem müden Atemzug, seine Hände falteten sich ineinander, die Pupillen drifteten zur Seite und wieder bestimmte das leise Ticken der Uhr die Atmosphäre. Für einige Momente, bis Kanda sich im Stuhl aufrichtete. Er neigte sich zum Tisch, bettete die Arme auf der Fläche und bekam einen wahllosen Zettel zu fassen, mit dem er sich kurz und sinnlos beschäftigte. Er wendete ihn zwischen den Fingern, faltete ihn und konzentrierte seine müden Augen dennoch auf einen anderen Punkt. Er starrte auf einen nahen Bücherstapel, schürzte die Lippen, zog die Nase hoch und scheute etwaige Anstrengung, seine Nervosität zu verbergen, seinen Zustand zu überspielen. Von jeden Kräften verlassen, bleich und abgekämpft… so saß er vor ihm und mied den Blickkontakt. Endlich gelang es Lavis Hand, von der Kante abzulassen. Die Augen nicht von seinem Gegenüber lösend, bettete er sie auf der Seite, fühlte unter seinen Fingerkuppen die raue Struktur des Papiers… und erneut zog Kanda die Nase hoch, wandte den Kopf und starrte zur anderen Seite. „Ich…“, nur gedämpft erhob sich seine Stimme, doch es war die Wahrheit, die Ehrlichkeit, die sie einzigartig machte. Sie wirkte so anders, wenn er es ernst meinte. „… weiß wirklich nicht, wie du mir helfen willst.“ Daraufhin senkte er die Lider, drehte sich dem Tisch zu und bettete die geballte Hand an den Lippen. Ein tiefer Atemzug strich über sie hinweg und zielstrebig blickte er auf, sah Lavi an. Immerfort und matt regten sich die Finger am Mund und für kurze Zeit erwiderte er Lavis Blick still, abwägend… als er würde er nach einem Ausdruck suchen, der ihm Festigkeit schenkte, der ihm Hoffnung gab. „Aber ich hoffe, du weißt es.“ Wie gerne hätte Lavi all das früher gehört. Unter einem beinahe unauffälligen Nicken senkte er den Kopf. Ein seltsamer Ausdruck zog an seinem Mundwinkel und gleichsam starrte Kanda auf den Tisch zurück, begann sich das Gesicht zu reiben. Soviel Beherrschung… und doch meinte er, hier und jetzt das Richtige zu tun. Es gab keine andere Möglichkeit… die Einsichten hatten ihn diesen Weg gehen zu lassen und er streckte die Beine von sich, stemmte die Stirn in die Hand und betrachtete sich den kleinen Zettel. „Ich werde tun, was ich kann“, versprach er gedämpft und Lavis Pupille fand zu ihm zurück. Geschah es wirklich…? Und ging er Recht in der Annahme, den Hauch der Reue in der leisen Stimme des anderen wahrzunehmen? „Ich will es versuchen.“ Die Hand an der Stirn begann sich zu regen, glitt über das Haar und bis in den Nacken, in welchem sie verharrte. Wieder erhob sich ein leiser Atemzug und kurz darauf spürte Lavi die alte Aufmerksamkeit. Eine Überwindung… und doch sah Kanda ihn an, auf eine Art und Weise, die etwaige Zweifel im Keim erstickte. „Hilf mir.“ Wie viel, fragte sich Lavi in diesen Momenten, wie viel war nötig gewesen, um Kanda an einen Punkt zu treiben, an welchem er um diese Hilfe bat und auch hinter dieser Bitte stand? Was brauchte es, damit er sich dessen bewusst geworden war. Ein bedauerndes Lächeln zog an Lavis Lippen, als er wieder nach dem Tee tastete. „Du hattest einen schweren Tag, hm?“ Ebenso leise und ruhig erhob sich auch seine Stimme und Kandas Reaktion brachte jede mögliche Antwort mit sich. Kurz weiteten sich seine Augen und tief atmete er durch, bevor er sich zurücklehnte, sich mit beiden Händen das Gesicht rieb. Ihm gegenüber hob Lavi die Tasse zum Mund. Und er wirkte völlig losgelöst von etwaiger Anspannung, beruhigt durch die Tatsache, dass Kanda durch seine Sturheit keinen weiteren Tag durchleben müsste, der diesem ähnelte. Nicht, wenn er sich um ihn kümmerte. „Die Antwort ist ‚ja’. Mein Angebot steht natürlich noch.“ Unter einem stummen Nicken nahm Kanda wieder seine Hände in Augenschein. Also doch… die Tatsache, dass Lavi bei keinen Ärzten gewesen war und es auch nicht vorhatte, entsprang nicht nur seinem Hoffen und Bangen. Nach einem weiteren genüsslichen Schluck, rutschte Lavi auf dem Stuhl nach vorn. Seine Bewegungen hatten mehr Zielstrebigkeit inne, als er das Buch schloss, die Tasse wegstellte. „Hast du Lust auf eine kleine Mission?“, erkundigte er sich entspannt und sofort blickte Kanda auf. Und es folgte keine Reaktion, mit der Lavi gerechnet hatte. Kandas Gesicht erhellte sich nicht, er begegnete diesem Vorschlag mit mangelnder Euphorie. Sehnte er sich etwa nicht danach, das Hauptquartier zu verlassen? Wieder etwas von der Welt zu sehen? Freute er sich nicht darüber, dass es etwas zu tun gab? „Es ist keine große Sache“, erklärte Lavi. „Es geht nur darum, Besorgungen für Bookman zu machen. Aber…“, kurz grübelte er, „… du musst natürlich nicht mitkommen. Nur musst du dich dann darauf einstellen, dass ich vielleicht zwei oder drei Tage nicht da bi...“ Beinahe verschluckte er das letzte Wort, als sich Kandas Miene vielsagend verzog. Es schien bei diesem Gedanken wirklich eine flüchtige Fassungslosigkeit in ihm aufzuleben und sofort richtete er sich auf, rieb sich den Mund und begann zu grübeln, wobei er überrascht gemustert wurde. „Gut.“ Die Entscheidung war rasch getroffen und Lavi verzog in einem unbeobachteten Moment den Mund. „Ich komme mit.“ Was war nur an diesem Tag passiert…? Wie offensichtlich Kanda diese Angewiesenheit verriet. Wie deutlich, ohne Wert darauf zu legen oder sich dessen bewusst zu sein. Beides nahm sich nichts am Grund zur Sorge. „Abgemacht.“ Lavi ließ sich das flüchtige Stocken nicht anmerken. Bequem blieb er sitzen und Kanda bewegte die Lippen aufeinander, schien noch immer in gewissen Grübeleien festzustecken. „Es ist so…“, gemächlich begann er seinen Ärmel zu bearbeiten. „Komui und Bookman haben es uns überlassen, ob wir uns schon heute auf den Weg machen oder bis morgen warten.“ Abwägend nahm er seinen Gegenüber in Augenschein, der sich nun wieder mit dem Zettel befasste. „Was meinst du? Besser morgen? Vielleicht solltest du noch etwas schla…“ „Nein“, fiel man ihm unerwartet ins Wort. Ein striktes Kopfschütteln ließ ihn verstummen und da schien sich Kanda sicher zu sein. Letzten Endes überraschte es Lavi jedoch nicht und er nickte verständnisvoll. „Besser jetzt.“ „Geht wohl gerade nicht so gut, hm?“ Kurz schien es so, als wolle Kanda sofort antworten. Seine Lippen bewegten sich, verblieben jedoch stumm, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass ihm Ausflüchte und Lügen ab diesem Punkt keinen guten Dienst mehr erweisen würden. Es war Lavi, den er vor sich hatte. Er hatte es selbst gesagt… er würde tun, was er konnte und Lavi entging sein flüchtiger Kampf nicht, bevor er still nickte. Die Augen nicht von dem Zettel lösend, entging ihm das flüchtige Lächeln, das sich daraufhin über Lavis Lippen flüchtete, bevor er abschließend nach dem Buch griff und sich daran machte, auf die Beine zu kommen. „In zehn Minuten im Treppenhaus?“ Ein Nicken genügte ihm als Antwort und sofort wurde auch vom dem Zettel abgelassen. Somit machte sich Lavi auf den Weg zu einem der Bücherregale, um das Werk zu verstauen. Flüchtig lugte er zur Seite, als er sich nach oben streckte und nach dem Spalt tastete. Kanda machte sich bereits auf den Weg und er kam nicht um ein leises Seufzen, als er das Buch am richtigen Platz unterbrachte. *tbc* Kapitel 20: ~10~ ---------------- Ihr Weg zum Bahnhof war von Schweigen und Nachdenklichkeit geprägt. Sie schritten nebeneinander und doch machte es den Anschein, als wären sie beide nicht in der Realität. Lavi waren Grübeleien anzusehen, als sie das große, steinerne Gebäude betraten und weiterhin stumm fanden sie sich vor dem Fahrplan ein und begannen ihn zu studieren. Kanda fand weniger Interesse an dem Aushang. Er blickte an Lavi vorbei, während sich dieser das Kinn rieb, begann er die Halle zu mustern. Es gab einige Reisende, die zu dieser Stunde an den Gleisen ausharrten. In Gespräche vertieft, brachten sie die Wartezeit hinter sich. Auch auf eine Gruppe Finder wurde Kanda aufmerksam. Sie standen nahe des Einganges, unterhielten sich angeregt und verleiteten Kandas Augen nicht gerade dazu, bei ihnen auszuharren. Desinteressiert wandte er sich zur anderen Seite, tastete nach Mugen und rückte an seiner Uniform. Auch, wenn er es nicht zeigte, so litt er dennoch unter einer gewissen inneren Nervosität. Es war wohl der Schlafmangel, der ihm diesen Zustand verschaffte und unauffällig rieb er sich die Augen, als Lavi leise seufzte und zurücktrat. Eine volle Stunde müssten sie sich noch um die Ohren schlagen, bevor ihre lange Reise nach Österreich beginnen konnte. Flüchtig driftete Lavis Auge zu seinem Kameraden. Er war aufmerksam, blieb es auch und nichts tat er lieber, als Kanda unauffällig zu mustern, zu studieren. Es war ein seltsames Gebiet, in das er bereit war, einzutreten. Was er vor sich hatte war ein schier unendlicher Weg durch das Labyrinth, das Kandas Inneres ausmachte. Verworrene Pfade würden ihn führen zu Bereichen, von denen er befürchtete, dass sie aus den schlimmsten Alpträumen auferstanden. Er wusste nicht, wie sehr er selbst dabei leiden würde, wie nahe es ihm ging, wenn er eines Tages der Wahrheit begegnete. Er stemmte die Hände in die Hüften, nahm die Stille ein weiteres Mal wahr. Kanda schien nichts auf dem Herzen zu haben. Er wandte sich gar ab, als sich Lavi zu ihm drehte und so kam es dann auch dazu, dass der Rothaarige alleine auf einer der hölzernen Bänke Platz nahm, an der Lehne tiefer rutschte und die Beine von sich streckte. Er versenkte die Hände in den Hosentaschen seiner Uniform, legte den Hinterkopf in den Nacken und blickte zur hohen Decke der Halle auf. Kanda war währenddessen nahe des Planes stehengeblieben. Gleich eines verschreckten Tieres hielt er sich vorerst von Lavi fern und dieser registrierte dies mit mangelnder Verblüffung. Vermutlich wussten sie beide nicht, worauf sie sich wirklich einließen. Tief atmete Lavi ein, atmete aus und schloss flüchtig das Auge. Wenige Stunden Schlaf hätten ihm wohl gut getan, doch er hielt es für einen guten Schritt, sich nach Kanda zu richten und nach dessen Wunsch, ohne Verzögerung aufzubrechen. Es gab wohl Gründe dafür, auch, wenn sich diese Lavi noch nicht vollends eröffneten. Unauffällig blickte er zur Seite, bewegte den Kopf auf der Lehne der Bank und blieb behaglich sitzen. Über ihm tickte der Zeiger der großen Bahnhofsuhr, leise drangen die Gespräche der anderen Menschen zu ihm. Gurrend tappten auch Tauben in seinem Rücken ihres Weges, beharrlich den Boden absuchend, während unaufhörlich Züge eintrafen. Zischend schoss der Dampf aus ihren Kurbeln, kroch gespenstisch über den steinernen Boden. Eine junge Frau eilte an Lavi vorbei hin zu einem anderen Gleis, leises Lachen erhob sich in einer Ecke und flüchtig schloss Lavi das Auge. Während Kanda sich nicht mit ihm abgab, bestand für ihn doch die Möglichkeit, sich ein wenig auszuruhen, doch mit einem Mal war er wieder vollständig wach und richtete sich auf. Kanda hatte sich in Bewegung gesetzt. Fast eine halbe Stunde hatte er in der Nähe des Fahrplanes gestanden und trat nun mit vorgetäuschter Beiläufigkeit näher. Er tat einen Schritt, tat den nächsten und bedacht beendete Lavi das Starren, als er die Bank erreichte und sich nach einem weiteren Zögern niederließ. Es blieb bei einer gewissen, durchaus durchdachten Distanz, mit der sich Lavi jedoch zufrieden gab. Es war ein angenehmes Gefühl, Kanda so nahe bei sich zu haben und die nächsten Minuten brachten sie damit zu, abermals ihren eigenen Gedanken nachzugehen und abwesend die Halle zu durchmustern. Langsam regte Lavi die Hände in den Hosentaschen, bevor er sie hervorzog, auf dem Schoß ineinander faltete und die Bewegungen seiner Daumen akribisch verfolgte. Wenn er beschäftigt wirkte, erschien das Schweigen fast beiläufig und doch entschied er sich dazu, es nach wenigen weiteren Minuten zu beenden. Seine nachdenkliche Miene wurde von einer gewissen Wachheit heimgesucht und er grübelte nicht lange, bevor er das Wort ergriff. Nebenbei und ruhig, ohne zur Seite zu blicken. Kanda saß durchaus zusammengesunken neben ihm, hatte Mugen auf dem Schoß gebettet und betastete die ausgeliehene Scheide. Man sah ihm nicht an, woran er dachte und auch, als sich Lavis Stimme neben ihm erhob, gab seine Miene kaum eine Regung preis. „Weißt du eigentlich, wie ich Allen kennengelernt hab?“, stellte Lavi eine Frage und erwartete keine Antwort. Er verschränkte die Arme vor der Brust und kreuzte die Beine. „Ich war mit Bookman unterwegs, als wir abrupt nach Deutschland gerufen wurden. Auch Komui war dorthin unterwegs und wir trafen uns unterwegs und beendeten den Weg gemeinsam. Als wir dort ankamen… im Krankenhaus…“, er runzelte die Stirn bei der Erinnerung, „… hatte Allen fast sein linkes Auge verloren und Leenalee war seit Tagen bewusstlos und blieb es auch noch für eine Weile.“ Flüchtig spähte er zu seinem schweigsamen Banknachbarn. „Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast.“ Wieder erwartete er keine Antwort und behielt sie auch nicht. „Allen erholte sich nur langsam und konnte sein Auge lange Zeit nicht benutzen und der Opa kümmerte sich um Leenalee, bis auch sie wieder zu sich kam.“ Er straffte die Schultern, blickte zur Seite und blieb seiner Beobachtung treu. Kanda kratzte noch immer an der Scheide. „Weißt du, was den beiden zugestoßen war?“ Diesmal hoffte er auf eine Erwiderung und wirklich… es machte den Anschein, als würde Kanda grübeln, als würde er versuchen, sich zu erinnern. Aber es dauerte zu lange, also fuhr Lavi seufzend fort. „Sie waren einem Noah begegnet.“ Und endlich erwachte Kanda zum Leben. Er richtete sich um ein Stück auf, seine Augen lösten sich von Mugen und Lavi nickte. „Einem einzigen Noah“, murmelte er leise. „Und sie waren zu zweit.“ Worauf er hinauswollte, schien Kanda sofort zu verstehen, denn fast eisern blickte er zu Mugen zurück und presste die Lippen aufeinander. Er hielt das eigene Schweigen aufrecht und Lavi seufzte leise. „Ein einziger Noah hat sie derartig zugerichtet.“ Er hob die Braue, spähte zu seinen Daumen, die sich aneinander rieben. Noch immer umgab sie diese Geräuschkulisse und kurz lauschten sie ihr, bevor Lavi fortfuhr. „Dass wir die Noah gegen uns haben ist ein Geschenk der Hölle. Sie sind Gegner, die keiner von uns unterschätzen sollte. Auch jetzt, wo einer von ihnen tot ist. Niemand hat Allen oder Leenalee einen Vorwurf gemacht und so ist es auch bei dir. Der einzige, der sich die Niederlage nicht verzeihen kann, bist du selbst.“ Auch, wenn es ganz sicher nicht das war, was Kandas derzeitigen Zustand ausmachte… Lavi war der Meinung, dass es dennoch eine Rolle spielte hatte. Kanda verlor nicht oft. Im Grunde konnte sich Lavi an keine einzige Niederlage erinnern, wenn er an die Zeit zurückdachte, die er bislang mit Kanda verbrachte. Stets hatte er nur Lobeshymnen gehört. Auch selbst konnte er sich oft von Kandas Können und seiner Entschlossenheit überzeugen, wenn er gemeinsam mit ihm gereist war, auch, wenn es nicht sonderlich oft vorkam. Er rückte sich zurecht, noch immer herrschte das alte Schweigen, doch mehr hatte er in diesen Momenten einfach nicht zu sagen. Diese eine Sache hatte ihm auf der Seele gebrannt und dennoch zweifelte er an der Wirkung seiner Worte. Sich selbst vergeben war zuweilen schwerer, als von anderen Vergebung zu erhalten. Das wusste er und doch hoffte er, mit diesen Sätzen auf dem richtigen Weg zu sein, auch, wenn es für ihn eine Tatsache darstellte, dass neben der Niederlage noch mehr geschehen sein musste. Er schloss die Augen und erinnerte sich. Er hatte mit Kanda diese Stadt betreten, um nach jenen beiden Exorzisten zu suchen und waren augenblicklich in diesen Kampf verwickelt worden, in welchem Kanda schier den Verstand verlor und ebenso fast sein Leben. Lavi Miene verzog sich, als diese Bilder in sein Gedächtnis zurückkehrten und das so deutlich, als hätte er einen Film vor sich. Als er auf diesen Marktplatz gestolpert war… jenen Verletzten zurückgelassen hatte und anschließend auch alles getan, um Kanda aus der lebensgefährlichen Lage zu befreien… er wusste es noch genau. Was daraufhin geschehen war… Was… mit Kanda… geschehen war. „Fass mich nicht…!!“ Er hörte sie. Diese Stimme, die in seinem Kopf widerhallte. So fahrig, so heiser. Es war schiere Angst gewesen, die Kanda ins Gesicht geschrieben stand und nimmer würde Lavi diesen Moment vergessen. Das Zittern, das Beben und wie die Stimme, die sich stets so stolz und monoton erhob, sich in Flehen und Bitten kleidete. „Hör auf…“, hörte er ihn keuchen. „Fass mich nicht an!!“ Wie er am Boden kauerte… mit vor Panik geweiteten Augen auf seine Hände starrte und soviel mehr zu sehen schien, als die tiefen, klaffenden Schnitte. „Ich… blute…“ Wie sehr raste Lavis Herz zu diesem Zeitpunkt und wie hart hatte er zugeschlagen, um ihn den Wahnvorstellungen zu entreißen und ihn zurück in die Realität zu holen. Zurück zu sich. Und zu sich selbst. Er hatte Angst gehabt. Hatte die Situation nicht verstanden und intuitiv gehandelt und dennoch war es Kanda anschließend so furchtbar schlecht ergangen. Wie abwesend er wirkte, wie kreidebleich… „Ich…“ Plötzlich erhob sich Kandas Stimme und mit einem Mal kam Lavi wieder zu sich. Er streifte die Erinnerungen von sich, blickte auf und ohne zu zögern zu Kanda, der wirklich das Wort ergriff. Wenn auch leise – Lavi wartete, verfolgte, wie Kandas Hände die schwarze Schwertscheide umfassten, sie pressten und zur Seite glitten. Vorsichtig und abwesend strichen sie über das schwarze Leder, kratzten hie und da. „… habe ihn nicht im Gebirge getroffen.“ Und Lavi hob die Braue. Er war aufmerksam und ohne zu zögern drehte er sich auf der Bank. Er zog das Bein zu sich hinauf, wandte sich Kanda offen zu und nickte. Er hatte derartiges erwartet. Es waren halbwegs Lügen, denen er in jener Trainingshalle begegnet war und so überraschte es ihn nicht, dass selbst dieser Part der Erzählung nicht gestimmt hatte. Es war eine einzige Irreführung, in die Kanda sich verstrickt hatte. Noch immer starrte dieser zu Boden, tastete sich weiter über das Leder und Lavi wurde lange warten gelassen, bevor er einatmete und fortfuhr. Leise. „Es geschah in einer verlassenen Stadt“, murmelte er. „Irgendwo im Sudan.“ Sofort nickte Lavi, umschloss das angezogene Bein mit den Armen und wie hoffte er, dass Kanda fortfuhr, dass er noch mehr Gewissheit genießen konnte und somit das Recht erwarb, sich Hoffnungen machen zu dürfen, doch noch die volle Wahrheit zu erfahren, doch Kanda schien sich in das alte Schweigen zu hüllen. Mehr als diese wenigen Worte kamen nicht über seine Lippen und vorsichtig wagte Lavi es, nachzuhaken. „Dass ihr nicht miteinander gesprochen habt, bevor es zum Kampf kam…“, flüsterte er und erkannte ein humorloses, flüchtiges Grinsen auf Kandas Lippen. Eine Geste, die gruselig wirkte. Er schüttelte vorerst jedoch nur den Kopf und Lavi verstand es sofort. Eine weitere Unwahrheit also. „Es…“, meldete sich Kanda wieder zu Wort, „… lief nur auf Hohn und Desinteresse hinaus.“ „Desinteresse?“, erkundigte sich Lavi grüblerisch und flüchtig verzog Kanda den Mund. Er regte sich auch auf der Bank, offenbarte eine seltsame Nervosität, die sich auch auf die Bewegungen seiner Finger niederschlug. Sie streckten sich, spreizten sich, bevor er beide Hände zu Fäusten ballte. „Er war nicht auf einen Kampf aus“, gab er dann zu und Lavi wusste es wirklich zu schätzen. Fast spürte er ein gewisses Hochgefühl ob der Ehrlichkeit, die Kanda mit einem Mal an den Tag legte. Es fühlte sich gut an und es war ein erster Schritt. Der Rothaarige juckte sich am Kinn, bettete es auf dem angewinkelten Knie. „Ich bin derjenige“, hauchte Kanda leise und atmete tief durch, „… der angriff.“ Wieder dieses schauerliche Grinsen. „Ich Vollidiot“, fügte er noch kaum hörbar hinzu und nachdenklich sah Lavi ihn an. „Er hätte mich ziehen lassen, ohne mir ein Haar zu krümmen.“ „Hm.“ Das alles klang nach Kanda, klang nach dem, wie er einfach war und Lavi hatte diese Bilder fast vor Augen. Wie sie aufeinandertrafen und es dabei nur einen unter ihnen gab, der einen Kampf provozierte und anschließend das bitterste Los zog. Er verharrte reglos, driftete gedanklich ein wenig ab und nahm unterdessen die alte Stille wahr. Mehr schien Kanda nicht sagen zu wollen, doch Lavi spürte diese Sucht nach weiteren Worten. Er wollte mehr erfahren, um es sich selbst leichter zu machen. Erst, wenn er alles wusste, wusste er auch, wie er helfen konnte. „Und dann habt ihr gekämpft“, flüsterte er leise und Kanda deutete ein Nicken an. „Er war schnell“, sagte er leise und begann wieder die schwarze Scheide zu bearbeiten. „Vermutlich war ich wenige Sekunden nicht aufmerksam genug. Er brachte mein Trommelfell zum platzen und zerriss mir die Schulter.“ „Und dann?“, erkundigte sich Lavi sofort und verfolgte die Reaktion. Kandas Hände ließen mit einem Mal von der Scheide an. Viel lieber verschränkte er die Arme vor dem Bauch und nahm so eine deutliche Abwehrhaltung ein. Auch seine Lippen blieben versiegelt und Lavi hatte das Gefühl, dass es für diese Frage noch zu früh war. Vermutlich hatte er überstürzt gehandelt, hatte sich locken lassen von der zögerlichen Ehrlichkeit. Doch hier und jetzt schien diese zu enden. Kanda schwieg. Auch, wenn er nachdenklich war, ein weiteres Wort kam nicht über seine Lippen, dann plötzlich begann er sich zu regen und kam auf die Beine. „Der Zug kommt“, meinte er nur, bevor er ging. Lavi drehte sich um und erblickte ihn. Zischend fuhr er in den Bahnhof ein und seufzend erhob er sich von der Bank. Lavi wusste nicht, was er erwartet hatte, was seinen Vorstellungen entsprach, doch er verbrachte den Großteil der Reise alleine. Er war einsam in seinem Abteil, niemand war bei ihm und auch, wenn dadurch Zweifel nach ihm griffen, er nutzte die Gelegenheiten dennoch, um zu sinnieren. Kanda hielt sich nach wie vor von ihm fern. Er verkroch sich, sobald sie den nächsten Zug betraten. Er zog sich zurück und zeigte vorerst kein Fragment seiner alten Bereitschaft. Lavi hatte es befürchtet. Er war es wohl, der den Anfang machen musste, der herauszufinden hatte, wie weit er gehen konnte. Natürlich würde Kanda nicht von alleine auf ihn zukommen. Vermutlich bräuchte er Fragen, um die Stimme zu erheben, brauchte eine gewisse Reaktion, um selbst auf sie zu reagieren. Doch wo begann man? Fürs erste empfand Lavi dennoch Erleichterung. Er hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Kanda aus dem Orden zu holen… den gefährlichen Ort zu verlassen und in anderes Land zu reisen. Es brachte hoffentlich Abwechslung mit sich, möglicherweise auch Ablenkung, auch, wenn das auf Dauer nicht der richtige Weg war. Fürs erste jedoch… Er hatte sich wohl darauf zu verlassen, dass Kanda seine Vorteile aus dieser neugewonnenen Freiheit zog. Wie verheerend wäre es gewesen, hätte man ihn weiterhin im Orden eingemauert, ihn daran gehindert, frische Luft zu atmen und es frei zu tun. Es lief wohl darauf hinaus, dass er sich nur weiterhin verkrochen hätte. Tiefer und tiefer hinter seine erschütterten Mauern, bis niemand ihn mehr erreichen könnte. Stundenlang sahen sie sich nicht und als sie den dritten Bahnhof erreichten und sich wieder unter die Augen traten, versuchte Lavi zu erkennen, ob der andere zumindest ein paar Stunden geschlafen hatte. Doch diese Zuversicht und dieses Hoffen verblasste rasch, als er die alte bleiche Miene sah, die alten ausgemergelten Gesichtszüge und die geduckte Haltung. Der ruhige, erholsame Schlaf schien für Kanda derzeit unmöglich. Wie ein Traum, den man nicht erreichen konnte, weil er einfach nicht real war. Auch, wenn sie anschließend wieder auf derselben Bank saßen, um auf den Anschlusszug zu warten, die Kommunikation fiel schwer und es folgte nur ein stummes Kopfschütteln auf Lavis Frage, ob er Hunger hätte. An der Apettitlosigkeit hatte sich scheinbar nichts geändert und Lavi wurde beinahe von Schuldgefühlen heimgesucht, als er seinem eigenen Hunger folgte und sich eine Kleinigkeit an einem der Stände besorgte. Es war ein seltsames Gefühl, neben Kanda zu sitzen und es sich schmecken zu lassen. Jeden Bissen musste er hinunterwürgen, spähte oft zur Seite und bekam keine Erwiderung. Kein Blick, kein Wort, keine Aufmerksamkeit und spätestens, als er dann im nächsten Zug saß und es wieder einmal alleine tat, wurde er sich der Tatsache bewusst, dass er langsam etwas bewegen musste. Ein erster Schritt musste getan werden, doch er fragte sich, wie dieser auszusehen hatte. Er hatte empathisch zu sein, ohne zu wissen, auf welche Gefühle er Obacht zu geben hatte. Hatte auf Kanda zuzugehen, ohne zu wissen, worauf er sich genau einließ. Jedenfalls empfand er es als seine Aufgabe. Wenn Kanda selbst nicht erwachte, hatte er wohl an ihm zu rütteln und in dieser Gedankenlosigkeit zog auch der Rest der Reise an ihm vorbei. Die Stunden vergingen, die Umwelt hinter dem Fenster veränderte sich und es war in den Mittagsstunden des nächsten Tages, dass sie einen weiteren Zug verließen und ihr Ziel erreicht hatten. Es war eine Einöde, in der sich standen. Der Weg, der vor ihnen lag, war lang, doch Lavi war guter Dinge, dass sie die Stadt in den Abendstunden erreichen und somit ihren Auftrag erfüllen würden. Seite an Seite setzten sie sich so wieder in Bewegung und schritten durch Felder, ließen einen Wald hinter sich und taten dies alles, ohne ein Wort an den anderen zu richten. Lavi konnte nichts dagegen tun, sich nicht zur Wehr setzen. Seit langer Zeit war er nun derjenige, der abwesend erschien und den Gedanken quälten. Unsicherheiten stürzten über ihn herein, ließen ihn zögern und mit seinen Entschlüssen hadern. Die letzte Zeit, die er mit Kanda verbracht hatte, hatte alles verkompliziert. Wie hatte er ihn beobachtet, gemustert, sein Verhalten studiert und war zu einer Einsicht gelangt, die zu Kandas Verhalten passte. Fast beiläufig hatte er die Hand auf seiner Schulter gebettet. Er hatte es am vorletzten Bahnhof getan und augenblicklich war Kanda ausgewichen und nur, um sich ein weiteres Mal zu überzeugen, näherte er sich ihm unauffällig. Fast beiläufig trat er während des Weges an ihn heran und konnte sich nicht als verwundert bezeichnen, als Kanda sofort auswich und die alte Distanz zwischen sie brachte. Auch er kleidete dieses Verhalten in Beiläufigkeit und dennoch war es offensichtlich und ähnelte seinen Bewegungen, mit denen er seiner Hand ausgewichen war. Immensen Wert schien er darauf zu legen, Berührungen aus dem Weg zu gehen und Lavi hatte es in jeder Sekunde wahrgenommen, in jedem Augenblick. Noch nie hatte er einen solchen Abstand zu einem anderen Menschen gespürt, noch nie war ihm so deutlich vor Augen geführt worden, dass Nähe nicht ertragen wurde und wie verbittert versuchte er einen Kontext herzustellen. Immernoch. Dies war der Grund für seine Schweigsamkeit, für seine Grübeleien, die sich nur langsam einem scheinbaren Ziel zu nähern schienen. Er entsann sich, etwaige Erinnerung bedachte er und so hielt die Stille zwischen den beiden ein weiteres Mal an. Sie gingen ihren Weg gemeinsam und doch getrennt im Geiste. Irgendwann versenkte Lavi die Hände in den Hosentaschen. Fortwährend betrachtete sich sein Auge die verschiedenen Steine, die unter seinen Füßen vorbeizogen. Er besah sie sich, besah sich ihre Farbe, ihre Form und nicht selten geschah es, dass sich seine Stirn in erwägende Falten legte. ‚Fass mich nicht an…‘ ‚Ich blute…‘ Lavi presste die Lippen aufeinander und bald darauf schloss er einfach das Auge und atmete tief durch. Entspannung… er musste sich entkrampfen, seine Gedankenwelt freimachen für neue Wege und bestimmt sowie zielstrebig suchte er nach jenen Bildern. Er war dabei gewesen, hatte es gesehen und wie war er dabei erbebt. Seine Mimik offenbarte Konzentration, als er seinen Weg neben Kanda blind ging. ‚Das soll es gewesen sein?!‘ Gellend und plötzlich schlug Lavi die fahrige Stimme entgegen, ließ ihn erzittern… auch, wenn es sich lediglich um ein Fragment seiner Erinnerungen handelte… eine solche Emotionalität, eine solch immense Empfindung begegnete ihm, dass sie ihn haltlos mit sich riss. Ein weiteres Mal. ‚Das soll es sein?!!‘ Kandas Stimme hatte sich mit einer solchen Kraft erhoben. Nichts war von der alten Beherrschung zurückgeblieben. Worte, die stets in Desinteresse und monotonen Klang gekleidet wurden, brachen mit einem Mal hervor und taten es so laut, so fahrig. Keine Spur von Kontrolle… keine Spur von Gleichgültigkeit. Lavi war Zeuge einer Szene geworden, die ihm niemand glauben würde. Eher würde man ihn als Lügner betiteln, als ihm Glauben zu schenken, doch nicht nur darin bestand der Grund, dass er es bislang für sich behalten hatte. Es war sein Erleben und nur seines. Mit niemandem wollte er dieses Heiligtum teilen und dazu bewegte ihn nicht nur der Gedanke, es Kanda schuldig zu sein. Niemand sollte von diesem Augenblick der völligen Schwäche erfahren, niemand wissen, dass Kanda dazu imstande war, Tränen zu vergießen. ‚So einfach machst du es dir?!!‘ Und wieder… eine eiskalte Gänsehaut suchte Lavi heim, ließ ihn erbeben und tief nach Atem ringen. Es handelte sich um einen Sieg, der keiner war. Der tückische Ausgang eines harten Kampfes, der keinen Stolz mit sich brachte, keine Zufriedenheit. Nein, vielmehr wurde Lavi die Intuition nicht los, dass der Tod dieses Noah die bestehende Wunde nur tiefer gerissen hatte. Was auch immer er getan… was auch immer er Kanda angetan hatte, es gab nun niemanden mehr, auf den Kanda seinen Hass richten konnte. So hatte er sich selbst dazu auserwählt. Tot war der Schurke zu Boden gesunken und hatte ein Opfer zurückgelassen, das sich nicht zu helfen wusste, das verzweifelte ob des Anblickes jener Leiche. Der Tod schien keine gerechte Strafe zu sein. Für wenige Augenblicke womöglich befriedigend, doch Lavi hatte selbst gesehen, wie es Kanda anschließend ergangen war. Es war das beste Beispiel dafür, dass Rache die eigene Verletzung nicht tilgte, nicht zur Heilung bewegte und heiße und kalte Schauer gleichsam befielen Lavi, als er seine Erinnerungen weitersponn. ‚Du hast es dir leicht gemacht!! Aber das ist es nicht!!‘ Beileibe nicht. ‚Hey…‘ Mit einem Mal erhob sich diese andere Stimme in seinem Kopf. Es war die Stimme eines Augenzeugen, der nichts begriff. Wie konnte er auch…? ‚Es ist vorbei.‘ ‚Vorbei...?‘ Ein heiseres Flüstern und Lavi meinte noch Kandas eisernen Griff zu spüren. Seine Finger hatten sich in seine Uniform geschlagen und beinahe ungläubig hatte er dieses Wort wiederholt. ‚Vorbei?‘ Innerlich schüttelte Lavi über die eigene Torheit den Kopf. Wie hatte er davon ausgehen können, dass die Probelmatik mit dem Tod des Noah beendet war? Welcher Teufel hatte ihn geritten, dass er wagte, gutgläubig und hoffungsvoll zu sein? Wie hatte er die Situation verkannt und fast zuckte er merklich zusammen, als sich Kandas Stimme mit der alten Intensität, mit der alten Wut in seinem Kopf erhob und in seinen Ohren widerhallte. ‚Nichts ist vorbei!! Es wird niemals vorbei sein!!‘ Wie sah die völlige Kapitulation aus, wenn nicht so? „Ich kann nichts dagegen tun… ich… habe alles Mögliche getan!! Er ist tot!! Er hat seine Ruhe und ich nicht!! Darauf war ich nicht aus!!‘ Und augenblicklich verlor die Stimme an etwaiger Kraft, mit welcher sie sich so immens erhoben hatte. ‚Darauf war ich nicht aus…‘ Verzweiflung… Schmerz… Wie qualvoll musste Kanda diese Tatsache getroffen haben. Nach einem Kampf, der mit Hass und Rachsucht geführt wurde, eröffnete sich ihm die Realität, in der nichts so einfach war, wie es schien. Wie könnte es auch? War jemals etwas genauso, wie man es erwartete? Lavi schluckte. Sein Hals fühlte sich so trocken an, sein Mund und flüchtig rieb er sich die Stirn. Er hob die Hand, öffnete in ihrem Schutz das Auge und richtete den Blick zurück auf das Gestein. Mehr und mehr Gras mischte sich darunter. Der steinige Pfad verlief sich in einer Wiese und es dauerte nicht lange, bis ihre Füße durch hohes Gras strichen. ‚Er sollte leiden. Er sollte so leiden, wie ich es getan habe!!‘ Leiden?, fragte sich Lavi und blickte zum Horizont. Die untergehende Sonne färbte ihn rot, als würde er bluten. Eine seltsame Atmosphäre, die zu seinen finsteren Gedanken zu passen schien. ‚Er sollte büßen!! Und er grinst mir ins Gesicht, als wäre er über dieses Leid erhaben!!‘ Vermutlich war es ein schmerzvoller Tod gewesen, doch so qualvoll er auch gewesen war, er hatte sein Ende gefunden. Er war vergangen… nicht so wie die Wunde, mit der Kanda rang und es so verbittert tat. ‚Als könnte er keine Schmerzen spüren!! Aber die hat er verdient! Er hat sie verdient!!‘ Lavi befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Was, fragte er sich, konnte Kanda, den kontrollierten und bedachten Japaner, dazu bewegen, eine solche Wut zu entwickeln? Einen solchen Hass oder gar blinde Raserei, in welcher er dem Noah mehr noch als den Tod an den Hals wünschte? Niemals hatte Kanda den Feind mit Hass bekämpft, nie die Kontrolle über einen Kampf verloren. Seine Entschlossenheit basierte auf seiner Pflicht als Exorzist und auch, wenn er gnadenlos war und kühl und kein Zögern zeigte, bevor er den Widersacher niederstreckte… niemals hatte ihn Hass gelenkt, niemals persönliche Antipathie. Pflicht. Mehr nicht. Das war es wohl, was Kanda zu einem der Besten machte. Kein Hinterfragen, kein Zaudern. Jeder, der einmal eine Mission mit ihm bestritten hatte, wusste das. Seine Entschlossenheit, seine Striktheit… sie hatten stets zum Erfolg geführt, waren stets respektiert worden. Wieder atmete Lavi tief durch. Ein seltsamer Druck hatte sich in seinem Hals ausgebreitet und absent rieb er ihn sich. Die Erinnerungen taten weh. Selbst ihm. Und sie verunsicherten ihn, offenbarten ihm die tiefe Schlucht des Unwissens, vor welcher er ausharrte. Stets verwickelt in die Hoffnung, einen Pfad zu erblicken, der ihn über die gähnende Leere führte und hin zum Licht, in welchem Tatsachen und Wahrheiten erstrahlten. Doch er sah ihn nicht. Vielmehr erblickte er sich selbst und keinen einzigen Schritt. Er verharrte auf einem Punkt, der kein Vorankommen hervorbringen konnte, keine Gewissheit, keine Klarheit. Und… es war ernüchternd. ‚Was soll ich mit dem Sieg, der mir nichts bringt?! Es sollte alles besser werden!!‘ Soweit sein Begehren, soweit seine Sehnsucht. Wie musste sich Kanda auf diesen Sieg verlassen haben. Mit welch einer Hoffnung musste er dem Kampf begegnet sein… und wie tief stürzte er daraufhin, als ihn die Tatsachen ereilten. Ein unendlicher Sturz und Lavi fragte sich, ob er bereits aufgeschlagen war oder ob er noch immer fiel. Ohne Boden unter den Füßen, ohne die geringste Sicherheit. Wie verstörend musste es sein, wie beirrend. Und er fühlte sich diesen Empfindungen selbst so nahe, als er sich an die zusammengesunkene Gestalt erinnerte. Sie hatte vor ihm gekauert und wie seltsam klang dieses Schluchzen. Laute, die nicht zu der stolzen, starken Stimme passten. Niemals hätte Lavi gedacht, dass sie sich auf diese Art und Weise erheben könnte und wie hilflos hatte er sich selbst empfunden, bevor er vor Kanda auf die Knie gesunken war und ihn einfach umarmt hatte wie ein Kind, das sich vor der Dunkelheit fürchtete. Momente, die sich in Lavis Seele gebrannt hatten. So tief, dass selbst sie ein wenig schmerzten. ‚Wann ist das endlich vorbei…? Was soll ich noch… machen…?‘ Fragen, auf die Kanda noch immer keine Antwort gefunden hatte. Antworten, die Lavi ihm geben wollte. Wie sehnte er sich danach, sie zu kennen. Die Lösung für dieses fatale Problem. Er richtete sich auf, festigte seine Haltung und betrachtete sich die Wiese, die sie nun zu allen Seiten umgab. Wenn er schon innerlich nicht gefestigt war, so wollte er wenigstens nach außen hin so wirken, um Kanda nicht weiterhin zu verunsichern. Er spielte eine wichtige Rolle, Kanda hatte ihm ein wichtiges Vertrauen geschenkt und hegte nun sicher Erwartungen, die er zu erfüllen hatte. Die er erfüllen wollte. Wieder schluckte er, verbannte die Trockenheit und jenen Druck aus seinem Hals und unauffällig lugte er zur Seite. Kanda wirkte entspannt, wenn auch absent. Mit gesenkten Schultern ging er seinen Weg, das Gesicht gesenkt, ebenso die Lider, als befände er sich in einem gewissen Halbschlaf. Lavi spürte seine Anspannung nicht… nahm auch den Frust nicht wahr, den Kanda mit jedem Schritt hinunterschluckte wie die giftigste Galle. Er verkannte seinen Weggefährten immens und so erreichten ihn auch keine Befürchtungen. Er wusste nicht, welche Wut auch in diesen Momenten in Kanda pulsierte, mit was für Gedanken er sich auch jetzt quälte und vorsichtig näherte er sich einem gewissen Entschluss. Er wollte einen Fortschritt wagen, ein Risiko eingehen, dass er schier unterschätzte und bedacht wandte er sich der Suche nach den richtigen Worten zu. Wie fing er an, wenn er keinen richtigen Ausdruck kannte? Er räusperte sich leise, ballte die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten und atmete kontrolliert aus. In seinem Kopf arbeitete es verbittert und mit einer solchen Schnelligkeit, dass Lavi beinahe schwindelig wurde. Soviel tummelte sich in ihm, soviel Unwissen, soviel Spekulation, denn zu mehr war er einfach nicht fähig. Hypothesen, mehr nicht. Annahmen, deren Richtigkeit er nicht überprüfen konnte. Kanda mied Berührungen. Kanda schuf Distanzen. Und je mehr sich Lavi in dieses unbekannte Gebiet hineinbegab, umso beirrender wurde sein Pfad. Gedanken erwachten in ihm zum Leben, die er verdrängen wollte, weil sie zu fremd erschienen. Einfach unmöglich. Er suchte nach Antworten, doch dann gestand er sich ein, dass er eine der vielen Antworten bereits hatte. Er wollte sie nur nicht sehen. Der Noah musste Kanda zu nahe gekommen sein, musste Grenzen niedergerissen haben. Barrieren gebrochen. Stolz zerschmettert. Würde erstickt. Bilder manifestierten sich vor Lavis Auge und unter einem knappen Kopfschütteln versuchte er sich von ihnen zu befreien. Er konnte sich nicht sicher sein…! Er konnte es einfach nicht! Und scheinbar unbedacht erhob er die Stimme. „Du weichst mir aus“, flüsterte er leise und wusste dennoch, dass Kanda ihn genau hörte, dass er ihn verstand. Doch er konnte nicht länger warten. Die Qual erreichte auch ihn mit jedem Zögern und so sagte er einfach das, was ihm auf der Seele lastete, was er wahrgenommen und was ihn in Verwirrung versetzte. „Du meidest meine Berührungen“, fuhr er gedämpft fort. „Baust eine Distanz auf, die ich nicht überwinden kann.“ Wieder atmete er tief durch, spürte Kandas Aufmerksamkeit, auch, wenn dieser zu seinen Worten schwieg. „Weshalb erträgst du keine Berührungen mehr?“, wollte er weiter wissen, bewegte sich ruhig weiter über die Wiese. „Es gibt soviel Schlimmeres, als das.“ Es waren seine Gedanken… verbunden mit einer gewissen Tücke, die sich hier und jetzt zu Worten formten. Was blieb ihm anderes übrig? Er gierte nach der Wahrheit wie ein Verdurstender nach Wasser und nur eine geringe Anspannung wohnte ihm inne, als er den nächsten Schritt tat, durch die Wiese strich. „Viel Schlimmeres, als angefasst zu werden“, fuhr er beinahe flüsternd fort und das leise Zischen, das sich daraufhin erhob, driftete nur langsam in seine verschwommene, nachdenkliche Wahrnehmung, als er den nächsten Schritt tat. Sein Fuß löste sich vom Boden, strich durch das Gras und es war eine schnelle Bewegung, die ihn mit einem Mal stocken ließ. Nur aus dem Augenwinkel hatte er sie festgestellt und wie entsetzt brach ein Keuchen aus ihm heraus, als er das Gesicht zur Seite riss. Beinahe schmerzhaft machte das Herz in seiner Brust einen erschütterten Sprung und nur knapp gelang es ihm, der Klinge auszuweichen. Wie plötzlich musste diese die Scheide verlassen haben, mit einem Mal stieß sie nach Lavi und hektisch wich dieser zurück. Eiskalte Schauer durchzuckten ihn, als er in Kandas Miene blickte, doch seine Flucht vor Mugen endete plötzlich. Hastig setzte sich sein Fuß zurück, stieß in das Gras nieder und mit einem Mal entrann ihm etwaiges Gleichgewicht. Jedwede Fassung bröckelte aus seiner Miene, als sein Fuß keinen Halt fand und er ungebremst zu Boden rutschte. Er glitt aus, tat es so jäh und rasch, dass er haltlos auf dem Boden aufschlug und fahrig gelang es ihm gerade noch, den Hammer zu ziehen. Eine rasche Bewegung, heftig riss er ihn in die Höhe und laut erhob sich der Klang, als die Klinge auf den Schaft traf. Ein Zucken fuhr durch Lavis Arme, als er dem heftigen Druck standhielt, eine gespenstische Entschlossenheit im Gesicht des anderen las, der sich keuchend über ihn neigte. Kanda war in die Knie gegangen, knirschend bissen seine Zähne aufeinander und verbittert folgte ein flüchtiges Kräftemessen. Mehr und mehr wurde Lavi in das Gras niedergedrückt, mehr und mehr sank er hinab und zitternd leisteten seine Arme den letzten Widerstand. Eine Kraft begegnete ihm, die er in Kandas Körper nicht mehr vermutet hatte und ein schieres Entsetzen suchte ihn heim, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass Kanda nicht gezögert hatte. Fassungslos stellte er sich die Frage, ob er ihn wirklich verletzt hätte und mit einem Mal fürchtete er sich ebenso vor den Ausmaßen, die seine Frage nehmen könnte. Wirr fiel das Haar in Kandas Stirn, als er sich über Lavi neigte, verkrampft verfestigte sich sein Griff um Mugens Heft und für kurze Zeit erhob sich nur das Keuchen der beiden. Erschüttert brach es aus dem einen heraus, wuterfüllt aus dem anderen. Reglos blieb Lavis Mund geöffnet, geweitet sein Auge, während ihn der Blick des anderen blutig zu durchstoßen schien und bis tief in sein Innerstes drang. Auf eine leichte Provokation war er ausgewesen und wie erschütternd war die Reaktion, mit der er nimmer gerechnet hätte. Aufgebracht hob und senkte sich sein Bauch, während seine Arme unter dem Druck Mugens bebten. „Kch!“ Ein fahriger Atem entwich Kanda, als er weiteren Druck ausübte. Gefährlich neigte sich die Klinge gen Lavis bleichem Gesicht, auf dem sich plötzlicher Schweiß bildete. Singend näherte sich die scharfe Klinge seiner Haut und ächzend stemmte er den Hammer von sich, fühlte sich der übermäßigen Wut des anderen nicht gewachsen. Soviel schien mit einem Mal aus Kanda hervorzubrechen. Ein Frust, der sich seit langem gebildet hatte und sich nun allein gegen Lavi richtete. „Es gibt soviel Schlimmeres…“, fast stimmlos brachte Kanda diese Worte hervor, keuchend und mit schwerem Atem. „Soviel Schlimmeres“, zischte er erneut und ein verwirrtes Zucken fuhr durch Lavis Gesicht. Langsam atmete Kanda ein, sog geräuschvoll den Sauerstoff in seine Lunge und deutlich zuckte Lavi zusammen, als sich seine Stimme mit einem Mal erhob und dies mit einer solchen Kraft, mit einer solchen Wut, wie Lavi es noch nie gehört hatte. „Du verfluchter Scheißkerl!!“ Fast schmerzhaft wurde Lavi von dieser Stimmgewalt getroffen. Beinahe verflüchtigte sich sogar die Kraft aus seinen Armen, doch verbittert hielt er den Druck aufrecht, als er realisierte, dass sich die Klinge noch immer und wirklich nach seiner Haut sehnte. „Was weißt du schon?! Was weißt du?!“ Haltlos schrie Kanda ihn an, stemmte sich mit aller Kraft auf ihn nieder. „Genauso wie du lag ich da aber im Gegensatz zu dir hatte ich keine Waffe!!“ Gedrungen rang Lavi nach Atem. Es fiel ihm schwer und gedrämpft rang er nach Luft, während er die letzten, verzweifelten Kräfte in seine bebenden Arme entsandte. „Ich bekam keine Luft… ich wollte nur noch sterben, als er mich nahm und du sagst, es gibt Schlimmeres?!!“ Und Lavis Gegenwehr brach. Mit einem Mal ließen seine Arme nach und der Atem erfror eisig in seiner Brust, als die schneidige Klinge singend an seinem Gesicht vorbeistieß und sich tief neben seinem Ohr in den Boden rammte. Lautlos sank rotes Haar in das Gras nieder und noch immer konnte Lavi nicht atmen, als Kanda keuchend zurückstolperte. Wenn Lavi noch blässer hätte werden können, er wäre es geworden, als er wie erstarrt liegenblieb. Dumpf und schwer raste das Herz in seiner Brust, beinahe schmerzhaft und nur stockend suchte seine Pupille nach Kanda. Sie bewegte sich im geweiteten Auge, verfolgte, wie Kanda bebend die Hand zum Mund hob und den Handrücken gegen die Lippen presste. Er war aufgebracht, er war außer sich und mit einem Mal verließen ihn die Kräfte des Zornes. Seine Knie wurden weich, stockend ließ er sich in das Gras sinken und blieb ächzend kauern. Er bettete die Arme im Schoß, neigte sich leicht nach vorn und wieder war es nur das Keuchen der beiden, das sich erhob. Trocken brach es hervor und wie erstarrt versuchte Lavi erneut gegen den Druck anzukämpfen, der sich neu in seinem Hals gebildet hatte. Der Hammer war seinen Händen entglitten, war zu der Haarsträhne in das Gras gesunken und lange verharrten sie reglos, bis Lavi stockend zu altem Leben erwachte. Mit offenem Mund begann er sich zu regen, fahrig hob und senkte sich seine Brust unter dem gehetzten Atem und seine Bewegungen wirkten schier unkontrolliert, als er sich langsam aufsetzte. Kitzelnd rann eine Schweißperle über seine Stirn, keinen Moment löste sich sein starrer Blick von Kanda und auch weiterhin keuchte er nur, als er aufrecht saß. So kauerten sie voreinander, rangen um Fassung und es verlangte Lavi viel ab, den Kopf zu schütteln. Eiskalt fraß sich das Entsetzen durch all seine Glieder, jede Bewegung fiel ihm schwer und atemlos versuchte er die Stimme zu erheben. Vorerst war es nur ein scharfes Keuchen, das er ausstieß und fortwährend bewegte sich sein Kopf von einer Seite zur anderen. „Yu…“, brachte er dann beinahe stimmlos hervor, „… das… das hab ich nicht gewusst…“ Fast qualvoll war die schwere Betroffenheit, die sich mit einem Mal über ihn neigte… und Kandas Atem stoppte. Er schien in seiner Lunge zu vereisen, reglos starrte er zu Boden und es geschah mit einem Mal, dass etwaige Wut und Verbissenheit aus seinem Gesicht bröckelten wie alter Putz. Noch immer schüttelte Lavi den Kopf, als er stockend aufblickte und den Rothaarigen mit engeisterter Ungläubigkeit taxierte. „Was…?“ Fahrig befeuchtete Lavi die Lippen mit der Zunge und das Herz schien sich in seiner Brust zu verkrampfen, als er sich weiterhin und zaudernd aufrichtete. Eine panische Nervosität brach unterdessen über Lavi herein. „Ich hab das nicht gewusst…!“, versuchte er sich hektisch zu erklären und schluckte schwer. Spürbar lastete dabei dieser starre Blick auf ihm. Kanda wirkte, als hätte er etwaigen Glauben verloren, etwaige Fassung. „Wirklich nicht…!“ Es tat so weh… Lavi fühlte sich den Tränen nahe. „Du hast es nicht gewusst…“, wiederholte Kanda atemlos und flehend verzog sich Lavis Miene. „I-ich… ich dachte“, er geriet ins Stottern, „… ich dachte… dachte… er hätte dich nur angefasst…!“ Inständig und flehend erhob sich seine Stimme und der Druck in seinem Hals wurde schier unerträglich, als er verfolgte, wie Kanda langsam den Mund öffnete. Röchelnd atemete er ein, blinzelte kein einziges Mal und es nahm seine Zeit in Anspruch, bis er es begriff. Dass seine Wut eine nackte Beichte hervorgebracht hatte. Er hatte sich entblößt. Ein weiteres Mal. Sich gedemütigt. Eine Erniedrigung, die ihm die Luft zum atmen nahm und Lavi erstarrte augenblicklich, als ein fahriges Zucken durch Kandas Miene fuhr. Es war eine Mischung aus schierer Wut und Verzweiflung, die seine Züge formte und Lavi zuckte deutlich zusammen, als er unter einem lauten Schrei ausholte und die Faust in das Gras niedergehen ließ. Zorn… Leid… und krampfhaft beugte er sich nach vorn und biss die Zähne zusammen. Ein Missverständnis… mehr war es nicht und doch tat es nicht weniger weh, als die Vergewaltigung an sich. Alles in Kanda verkrampfte sich, alles knirschte, alles schmerzte und heftig presste Lavi die Lippen aufeinander, als er all dies verfolgte. Nur selten war ihm so sehr danach gewesen, in Tränen auszubrechen. Schmerzhaft traf ihn die Wahrheit, vermischte sich bitter mit Schuldgefühlen und wie wollte er sich schelten für die Worte, die Kanda soweit gebracht hatten. Er hatte nicht damit gerechnet… Wirklich nicht. Seine Denkweise war nicht gnadenlos genug, um diese Vermutung in ihm aufleben zu lassen. Er hatte es nicht geahnt, nicht befürchtet und zitternd ballte auch er die Hände zu Fäusten. Ihm gegenüber verharrte Kanda reglos. Tief blieb sein Oberkörper gesenkt, wirr schlängelte sich das lange schwarze Haar durch die feinen Halme des Grases und einzig allein die fahrigen Bewegungen seiner Schultern zeugten davon, dass er noch am Leben war. Sein Keuchen war verstummt, hatte sich in seinem Körper verkrochen und fast panisch suchte Lavi nach Worten, die dieser Situation gerecht werden konnten. Unsicher erhob er sich auf die Knie, bewegte sich stockend auf Kanda zu und nur gedrungen erhob sich seine Stimme kurz darauf. „Ich…“, brachte er atemlos hervor, „… hätte so etwas nie gesagt, hätte ich es gewusst, Yu!“ Die pure Angst sprach aus ihm und zögerlich streckte er die Hand nach Kanda aus, wagte es jedoch nicht, die bebenden Schultern zu berühren. „Es tut mir Leid… so Leid!“ Er zog die Nase hoch, kauerte sich vor Kanda ins Gras. Wie tief war der Abgrund, vor dem er mit einem Mal stand. Es gab keinen Pfad, der über ihn führte, kein Weg sowie auch keinen Willen weiterzugehen. Seine schlimmsten Erwartungen wurden hier und jetzt mit grausamer Gnadenlosigkeit übertroffen und beinahe spürte er, wie etwaige Entschlossenheit von ihm blätterte. Eine solch tiefe Wunde… konnte er sie heilen? Ein solches Trauma… konnte er damit umgehen und ihm stärkend begegnen? Was sollte er tun…?! Er fühlte sich hilflos… so furchtbar und fliehend wandte er den Blick ab und hob die Hand zum Gesicht. Stockend wischte er sich die Feuchtigkeit von der Wange. Er wusste nicht, ob es Schweiß war… oder gar etwas anderes. Und schleppend wurde Kanda von Regung erfasst. Die geballte Faust fand Entspannung, stockend betteten sich die Finger auf der feuchten Erde und wenn auch nur um ein Stück, er richtete sich auf. Mit gesenktem Gesicht. Lavi konnte seine Augen nicht erkennen, als er zu ihm zurückblickte. Und er versuchte es verbittert, beugte sich gar tiefer und erkannte dennoch nicht viel mehr. Das Haar versagte ihm die genaue Musterung und das Schweigen, das über sie hereingebrochen war, war diesmal so grausam und kaum zu ertragen - eiskalt. Endlos könnte Lavi um Vergebung flehen… sich endlos entschuldigen. Er würde sich verbeugen so tief er konnte, würde sich erniedrigen und endlose Demut zeigen… würde alles tun, damit Kanda ihm diese Verletzung verzieh. Es hatte mit dem Willen nach Wahrheit begonnen, doch letztendlich hatte er nur den Finger tief in die offene, klaffende Wunde gedrückt und Kanda weiteren Schmerz beschert. Diese Schuld zerfraß ihn qualvoll, während er noch immer nach Worten suchte. Am liebsten würde er fliehen… Das Problem, vor dem er stand, schien mit einem Mal so immens, so riesig und nicht zu lösen. Er hatte nicht gewusst, auf was er sich einließ. Kein bisschen, doch sobald dieses Fluchtdenken in ihm auferstand, kämpfte er auch schon dagegen an. Er presste die Lippen aufeinander, rang nach Fassung, rang nach Halt und eine rege Verspannung befiel sein Gesicht, als er mit sich selbst kämpfte. Er konnte es nicht… durfte es nicht!! Durfte nicht aufstehen und flüchten, während Kanda am Boden hockte, auf den er ihn selbst gezwungen hatte. Er hatte ihm etwas versprochen und auch, wenn er nicht wusste, was es nun zu tun gab, er würde nicht kapitulieren! Das hatte er noch nie getan! Zischend atmete er ein, straffte die Schultern und blinzelte erneut gegen die Feuchtigkeit an, die in seine Augen stieg. „Yu…“ Wenn auch unentschlossen, er erhob die Stimme und welch eine Erleichterung befiel ihn, als er ihr eine gewisse Festigkeit entnahm. Das Zittern in ihr war nur unterschwellig und wieder scheiterte er daran, Kandas Schulter zu berühren. Ein weiteres Mal zog er die Hand zurück. Er wagte es nicht. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, dass der andere aus dem fragilsten Glas bestand, das es geben konnte. Selbst eine leichte Berührung, so fürchtete er, könnte den anderen zerbrechen. „Yu“, sagte er wieder und tat es diesmal noch nachdrücklicher. Seine Miene zuckte. „Ich werde nicht gehen… hörst du? Ich werde nicht flüchten…! Ich bleibe, wo ich bin. Bei dir.“ Keine Reaktion. Kanda blickte nicht auf, nur leise erhob sich sein rasender Atem, wurde mit viel Kraft unterdrückt, während sein Gesicht gesenkt blieb. „Ich lass dich nicht stehen!“ Eine deutliche Angst ließ Lavis Stimme laut aufleben. Eilig schüttelte er den Kopf. „Wir können das schaffen… verstehst du? Wir… wir finden einen Weg!“ „Wie…?“ Es kostete Lavi jede Konzentration, Kandas Stimme zu vernehmen. Sie erhob sich nur flüsternd, so leise, dass sie kaum an Lavis Ohren drang. „Er… er ist überall“, fuhr Kanda fort und wirkte dabei so erschöpft, wie nur selten zuvor. „In meinem Kopf… in meinen Träumen… überall, wo ich hingehe.“ Ein Halm neigte sich unter einem Tropfen, der auf ihn niederging. „Er hat irgendetwas in mir zurückgelassen.“ Immer gedrungener sprach er, bis er es fast stimmlos tat. „Irgendwas…“, brachte er hervor. „Ich bin verflucht.“ Weiteres Entsetzen brach über Lavi herein. Geräuschvoll atmete er ein und neigte sich zu Kanda hinab. „Hast du…“, hauchte er inständig, „… etwa aufgegeben?“ Und es wurde ihm nicht geantwortet. Kein Wort kam über Kandas Lippen und das einzige, was er tat, war, den gesenkten Kopf zur Seite zu wenden. Lavis Herz raste so sehr, dass er befürchtete, es könnte ihm aus der Brust springen, als er seine Schlüsse aus dieser Reaktion zog. So, wie Kanda hier vor ihm kauerte, machte es wirklich den Anschein, als würde er nie wieder aufstehen und allein dieser Gedanke verschärfte Lavis Panik. Hektisch suchte er nach Worten. Er wusste, wie wichtig diese Situation war. Wie wichtig, dass er sich zusammenriss, damit es unter ihnen wenigstens einen gab, der noch Hoffnung sah. Er zwang sich, rang mit sich… verstrickte sich in einen Kampf, der er unbedingt gewinnen musste. Nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für Kanda! Angespannt suchte er nach den Worten, die die richtigen zu sein schienen. Er musste Kanda dazu bringen, aufzustehen! Jetzt oder nie. Wenn er versagte, taten es zwei. „Willst du zulassen, dass er dich selbst nach seinem Tod noch weiterhin quält?!“ Nachdrücklich erhob sich seine Stimme. „Wenn du dich von ihm befreien willst, dann darfst du jetzt nicht aufgeben!“ Bettelnd verzog Lavi das Gesicht, sprach auf Kanda ein, als würde er um sein eigenes Leben flehen. „Lass diesen Mistkerl nicht dein ganzes Leben bestimmen! Wenn du dich auch damals nicht wehren konntest… dann tu es jetzt!“ „Ts.“ Lavi hatte es fast vor Augen. Wie sich Kandas Lippen zu dem alten, humorlosen und erschöpften Grinsen verzogen. Purer Hohn, verbunden mit verzweifelter Ungläubigkeit und eine Reaktion, die es Lavi nur noch schwerer machte. „Du bist nicht alleine!“, flehte er also weiter. „Ich helfe dir doch! Wir finden einen Weg, wenn du entschlossen bist!“ Beschwörend hob Lavi die Hände, abwartend, verlangend. „Ich bin es jedenfalls! Hörst du, ich bin es!“ Stille. Schweigend starrte Kanda zur Seite, schien kaum die Kraft zu haben, sich wieder aufzurichten. Geduckt blieb er kauern und mit jedem Augenblick, den er stumm blieb, verkrampfte sich Lavis Herz mehr und mehr. Er war nicht geübt darin, zu flehen, doch sein Innerstes, das es ernst meinte, legte ihm die Worte in den Mund. Die Worte, die er für die richtigen hielt. Aufgerichtet blieb er sitzen, lauschte dem leisen Rauschen, als ein leichter Wind auflegte und die Wipfel der nahen Bäume durchstreifte. Auch das Gras um sie herum begann sich zu wiegen und tief nahm Lavi diesen frischen Sauerstoff in sich auf. Unruhig rieben sich seine Hände aneinander. Er wartete, doch tat es sinnloser Weise. Kanda regte sich nicht, sagte nichts. „Yu.“ Nur leise erhob sich seine Stimme. „Ohne dich schaffen wir es nicht.“ Was sollte er noch sagen…? Was fiel ihm noch ein? Alles in ihm wurde so schwer. Er fühlte sich nahe der völligen Kapitulation. Wenn Kanda hier und jetzt aufgab… wenn er nicht wieder auf die Beine kam, dann fand jedes Vorhaben sein Ende. Jede Entschlossenheit würde daran zu Grunde gehen und Lavi befürchtete das Schlimmste, als er noch immer keine Antwort erhielt. Als hätte sich Kanda in sich selbst verkrochen. Als hätte er Lavis Worte nicht gehört… Waren sie überhaupt in sein geschundenes Bewußtsein gedrungen? Hatte er ihn erreicht? Reglos kauerte er dort im Gras, versuchte seinen Atem auch weiterhin zu besänftigen und ebenso alles andere, was in ihm tobte. Ganz ehrlich… Er hatte Angst. Hatte solche furchtbare Angst um seinen treuen Kameraden. Fast sah er vor seinem geistigen Auge, wie dieser von der völligen Dunkelheit verschlungen wurde und sich ihr gleichermaßen ergab. Resigniert. Erschöpft. Er schloss das Auge, senkte den Kopf und zum ersten Mal in seinem Leben begann er zu beten. Zu fragwürdigen Göttern, an die er niemals glaubte. Zu jeder Wesenheit, die ihm eine Hilfe sein konnte. Und er betete auch um Kraft. Die wurde dringend gebraucht… nicht von ihm. „Wieso.“ Augenblicklich kam er wieder zu sich. Er blickte auf, sein Bewußtsein erwachte zu altem Leben und sofort fragte er nach. „Was meinst du?“, erkundigte er sich sanft und langsam wendete Kanda das Gesicht zurück zum Boden. „Wieso willst du mir helfen.“ Lavi musste nicht lange grübeln. Ein müdes Lächeln formte seine Lippen. „Du bist mir wichtig“, erwiderte er. „Jeder von euch bedeutet mir soviel… für jeden von euch empfinde ich soviel, wie ich es niemals erwartet hätte und ich würde keinen Moment zögern und durch die Hölle gehen, um jeden von euch aus ihr zu befreien. Das ist der Sinn der Freundschaft, Yu. Und du bist mein Freund, ganz gleich, wie du selbst dazu stehst. Du kannst nichts dagegen tun, dass du mir wichtig bist und ich werde jede Gelegenheit nutzen, um dir das vor Augen zu führen, bis du es für mich dich annimmst und es akzeptierst.“ Er seufzte leise. „Wir leben in schwierigen Zeiten… in gefährlichen Zeiten und umso wichtiger ist es, dass wir zusammenhalten und als die Einheit agieren, die wir darstellen. Im Kampf würde ich keine Sekunde zögern, den Kopf für dich hinzuhalten.“ Endlich fielen Lavi die Worte leicht und befreit sprach er weiter. „Ich werde alles tun, verstehst du? Ohne Zweifel, ohne Zaudern oder Hadern und ich werde mich niemals beklagen und alles tun, was in meiner Macht steht, solange du bei mir bleibst und mutig genug bist, um es mit der Realität aufzunehmen! Noch tut sie dir vielleicht weh, doch du bist stark. Du musst dich nur an diese Kraft erinnern und zuversichtlich sein.“ Und somit begann er sich zu bewegen. Er richtete sich auf, stemmte sich in die Höhe und es fühlte sich gut an, wieder auf die Beine zu kommen. So stand er vor Kanda und ohne zu zögern reichte er ihm die Hand. „Das ist der richtige Moment, um aufzustehen, Yu.“ Entschlossenheit sprach aus seinen Worten und wie erleichtert war er, als er spürte, dass es sich um eine ehrliche Entschlossenheit handelte. Er machte niemandem etwas vor. Er würde den Weg gehen. Doch es wäre sinnlos, wenn er es alleine tat. „Steh auf, Yu. Tu es jetzt oder du wirst nie wieder auf die Beine kommen. Ich helfe dir auch, verstehst du? Greif nach meiner Hand und ich ziehe dich hoch.“ Auch weiterhin streckte er ihm die Finger entgegen, auch weiterhin zeigte er diese feste Zuversicht und auch, wenn Kanda lange zögerte, irgendwann löste er die Hand vom Boden, richtete sich langsam auf und griff zu. Er tat es matt, doch es war Lavi, der den Griff sofort stärkend verfestigte und ihn auf die Beine zog. *tbc* Kapitel 21: ~11~ ---------------- Dunkel erhob sich dieses Gebäude vor ihnen und nur undeutlich war der Schriftzug zu lesen, die die alte, leicht vergilbte Fassade zierte. Die Sonne war bereits hinter dem fernen Horizont versunken und sah war nur leicht erhellte Finsternis, die die beiden Exorzisten umgab. Wenige Straßenlaternen entsandten ein mattes Licht, während die wenigen Menschen, die unter ihnen vorbeizogen lange, schwarze Schatten warfen. Viele waren zu dieser Stunde nicht mehr unterwegs. Tirol schien bereits zu schlafen. Die Läden hatten bereits geschlossen und ein leichter Nieselregen ging auf die Stadt nieder. Die Luft war frisch und kühl, ließ sich sehr angenehm atmen. Langsam tastete Lavi nach dem Kragen seiner Uniform. Er schlug ihn hoch, versteckte das Gesicht zwischen dem schwarzen Leder und blickte einer Gestalt nach, die an ihnen vorüberzog. Ein Mann, der es recht eilig zu haben schien. In weiter Ferne bellte ein Hund und nach wenigen Augenblicken begann eine nahe Turmuhr zu schlagen. Auch sie verkündete die späte Stunde, während Lavi darauf aufmerksam wurde, wie müde seine Beine doch waren. Den gesamten Tag waren sie unterwegs gewesen. Sie hätten weitere Wälder hinter sich gelassen, waren durch Dörfer gezogen und hofften nun hier, am Ende ihrer Reise, auf eine warme, entspannte Unterkunft. Auch wenige Stunden Schlaf würden den beiden gut tun und so gaben sie sich mit dieser Herberge zufrieden und traten ein. Während des Weges waren nicht viele Worte gefallen. Trotz des Geschehnisses oder gerade deswegen waren die beiden wieder größtenteils stumm geblieben. Kandas Gedanken schienen mit jedem Schritt weiter abzudriften und auch Lavi brauchte seine Momente, um sich auch weiterhin auf diese neue verquere Lage einzurichten und sich mit ihr anzufreunden. Doch es hatte Fortschritte gegeben. Seine Grübeleien hatten sich nicht im Kreis gedreht und durch diese Tatsache, epmfand er sich nun selbst als entspannt und zuversichtlich. Es gab einen Plan, den er verfolgen würde und er begann hier in dieser Herberge. Sie traten an den Rezeptionstisch und auch, wenn es Lavi lieber wäre, sich ein Zimmer mit Kanda zu teilen, akzeptierte er dennoch die Tatsache, dass sein Kamerad auf einen eigenen Raum bestand. Er würde ihm diesen Freiraum geben, auch, wenn er ihn vor allem jetzt lieber nahe bei sich hätte, um ihm mit Beachtung zu begegnen und weiteres Verständnis zu zeigen. Die wahre Hilfe würde er nur geben können, wenn er Kandas Probleme vor sich sah, wenn er sie erlebte, doch er hatte sich dazu entschlossen, sich selbst keinem Druck auszusetzen und so betraten sie kurz darauf getrennte Zimmer, entledigten sich ihrer Uniformen und trafen sich im Hauseigenen Restaurant wieder. Gekleidet in eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, ließ Kanda den Türrahmen hinter sich, blickte sich flüchtig um und gesellte sich zu Lavi, der es bereits an einem Tisch und auf einer gepolsterten Bank bequem hatte. Neben ihnen waren nicht viele hier. Nur vereinzelte Leute saßen an den Tischen, manche saßen auch in einer Runde und dennoch erhob sich das Stimmengewirr nur leise. Besteck kratzte über die Teller, Gläser klirrten… es ließ sich gut aushalten. Es handelte sich um eine Atmosphäre, in der man Entspannung finden konnte und Lavi fühlte sich augenscheinlich wohl, während Kanda auf seinem Stuhl herumrutschte und sich viel Zeit nahm, um die Umgebung zu durchmustern. Den gesamten Weg über hatte sich Lavi von ihm ferngehalten. Er hatte ihm keine Berührungen aufgedrängt, auch die alte neue Distanz akzeptiert, auf die Kanda bestand. Er zeigte Obacht, zeigte Nachsicht und war gerne dazu bereit, es auch weiterhin zu tun. Kanda nicht zu nahe zu kommen… die Grenzen zu akzeptieren, die Kanda ihm vor Augen führte. So oder so. Obgleich sie sich bedacht voneinander fernhielten, hatte Lavi das Gefühl seinem Kameraden dennoch nähergekommen zu sein. Auch, wenn die Tatsachen und die Antworten auf Lavis Fragen erschütternd und verunsichernd waren, es fühlte sich doch besser an, Bescheid zu wissen. Lavi genoss es, zu wissen, worauf er sich einließ. Den gesamten Weg über hatte er in seiner Gedankenwelt gelebt und feierte nun einen gewissen Erfolg. Doch nun war es das Wichtigste, etwas zu sich zu nehmen und zu alten Kräften zu kommen. Den gesamten Tag waren sie auf den Beinen gewesen und umso eiliger hatte es Lavi, einen Blick in die Karte zu werfen. Während er nach ihr griff und sie aufschlug, wirkte Kanda recht befangen. Nicht so, als würde er es Lavi gleichtun. Es roch nach der alten Appetitlosigkeit und Lavi stellte keine Fragen. Ebenso wenig forderte er Kanda auf, begegnete all dem viel eher mit Akzeptanz und fühlte sich dennoch seltsam, als er sich wenige Minuten später über seinen vollen Teller beugte und Kanda an einem mageren Glas Wasser drehte. Herzhaft kaute Lavi, nippte unterdessen an seinem Tee und er fand Gefallen an der österreichischen Mahlzeit. Sie entsprach seinem Geschmack und so war der Teller binnen kürzester Zeit leer. Die Uhr, die hinter Kanda an der Wand prangte, machte ihn bald darauf aufmerksam, wie spät es wirklich war und beileibe sollten sie keine weitere Zeit vergeuden und schlafen gehen. Lavi jedenfalls fühlte sich bereit für das weiche Bett, sehnte sich regelrecht danach und zeigte dennoch keine Eile, nachdem die Kellnerin seinen leere Teller entführt hatte. Er lehnte sich viel eher zurück, nippte an seinem Tee und ließ die Stille für wenige Momente weiterhin währen, bevor er leise die Stimme erhob. „Wirst du es versuchen?“, erkundigte er sich und las viel aus dem Blick, der ihn daraufhin traf. Kanda schien zu begreifen. Worauf Lavi aus war und dennoch wirkte er unentschlossen. Und auch das war verständlich in Lavis Augen. Wenn der Schlaf nichts anderes brachte, als grausige Erinnerungen und Alpträume… weshalb sollte man sich ihm erst hingeben? Kanda räusperte sich, rückte an seinem Wasser und starrte auf den Tisch. Dabei war es nicht sonderlich schwer, die Sorgen in seiner Mimik zu lesen. Der Schlaf war ihm in letzter Zeit kein guter Freund und umso sah er danach aus, es nötig zu haben. Niemand war dem neuen Tag gewachsen, wenn die Nacht nur Unruhe und Furcht mit sich gebracht hatte. „Weißt du, was ich mache, wenn ich nicht schlafen kann?“ Bedacht fuhr Lavi fort, während Kanda nur auf sein Glas starrte. „Ich trinke meinen Lieblingstee und lese etwas. Es gibt nichts Besseres, um die Gedanken und Emotionen des Tages hinter sich zu lassen. Wie wäre das?“ Er richtete sich auf, löste sich von der gepolsterten Lehne. Kanda blickte nicht auf und schwieg. Er ließ nicht nach außen dringen, was er von dieser Idee hielt. Keine Mimik suchte sein Gesicht heim, während er an dem Glas kratzte. Lavi grübelte flüchtig. „Hast du ein Problem mit dem Einschlafen oder mit dem Durchschlafen?“, wollte er dann wissen und endlich fand Kanda zu einer gewissen Regung. Er zog die Nase hoch, strich sich das Haar zurück und nippte an seinem Glas. Es schien ihm schwerzufallen, sich auf die neue Situation einzustellen. Zu akzeptieren, dass Lavi Bescheid wusste. Es handelte sich um eine völlig neue Lage, in der er sich nun wiederfand und vorerst entschloss er sich dazu, dennoch zu schweigen. Es war das Durchschlafen, das ihm unmöglich war. Durch chronische Schwäche und Erschöpfung sank er stets rasch in den Schlaf, doch zuweilen dauerte es keine Stunde, bevor er schweißgebadet und keuchend in die Höhe fuhr. Und Lavi wusste es. Er hatte es ihm selbst gesagt… dass der Noah sogar in seinen Träumen lauerte. So musste er sich nun nicht wundern, dass sein Kamerad darauf zu sprechen kam. Er trank einen Schluck, ließ das Glas sinken und blickte abermals zum Fenster. Nur vereinzelte Menschen zogen an dem Glas vorbei. Es waren nur Schatten, die er sah, flüchtige Bewegungen und nach wenigen Momenten wandte er sich wieder ab und an Lavi. Er sah ihn an, nachdenklich, erwägend und zuckte letztendlich mit den Schultern. Er vertraute nicht auf die Wirkung von irgendeinem Tee. Nicht, wenn er kein Schlafmittel enthielt. Er erinnerte sich. Als er im Speiseraum eingeschlafen war, durch einen Tee, den Komui mit Tücke verändert hatte. Und doch… an diesem Tag hatte er wirklich geschlafen, ohne von etwas heimgesucht zu werden. Es hatte ihm gut getan. Er war durchaus entspannt gewesen, als er wieder zu sich kam, doch hier und jetzt gab es diese schwere Schlafmittel nicht und so verlor Lavis Vorschlag an Vertrauen. Vermutlich war es der falsche erste Schritt. Sich lieber um den Schlaf an sich zu sorgen als um das, was diesen erschwerte und so kam es, dass er sein Zimmer letztendlich betrat, ohne diesen Tee getrunken zu haben. Es gab keine sonderliche Hoffnung in ihm, als er sich niederlegte, auf dem Bett nach der richtigen Bequemlichkeit suchte und die Augen schloss. „Gibt es hier ein Telefon?“, wandte sich Lavi unterdessen an den freundlichen Mann von der Rezeption und keine Minute später stand er vor dem Gerät und zückte seinen Golem. Auch das Verbindungskabel zog er hervor und koppelte den Golem an. Das Telefon befand sich in einem Flur, in dem er seine Ruhe hatte. Niemand hörte zu, er war für sich und routiniert wählte er die Nummer und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr. Flüchtig rückte er an seinem Stirnband, während das Rufsignal ertönte und es war ein müder River, der den Anruf letztendlich entgegennahm. „Lavi“, nuschelte er, nachdem sich dieser gemeldet hatte und kurz darauf schallte ein Gähnen in der Leitung. „Was kann ich für dich tun?“ Entspannt trat Lavi zur Wand und lehnte sich an sie. Seine Knie fühlten sich so müde an. Der lange Weg ließ sich spüren und so ließ er sich kurz darauf auf dem Boden nieder, während sein Golem über ihm flatterte. „Ist der Opa noch im Hauptquartier?“, erkundigte er sich, als er bequem saß und die kurze Stille, die daraufhin folgte, zeugte von beschwerlichen Grübeleien. „Denke schon“, kam dann die müde Antwort. „Ich müsste dringend mit ihm sprechen“, antwortete Lavi sofort und setzte sich in den Schneidersitz. „Wo finde ich ihn?“ „Weiß nicht“, murmelte River zurück und fast zuckte Lavi zusammen, als sich plötzlich seine laute Stimme meldete. „Johnny!“, rief er. „Weißt du, wo Bookman ist?!“ „Ist er nicht vor kurzem zu Komui rein?“, vernahm Lavi die leise Antwort im Hintergrund und ein komisches Geräusch ertönte in der Leitung, bevor sich River wieder leise meldete. „Stimmt ja“, erinnerte er sich. „Soll ich dich durchstellen?“ „Ja, bitte.“ Ein leises Knacken erhob sich und kurz darauf folgte wieder das Rufsignal. Es läutete lange, bis auch dieser Anruf entgegengenommen wurde. Es war Komui, der sich meldete und Lavi redete nicht lange um den heißen Brei. „Ist der Opa bei dir?“, fragte er nach und sofort folgte die heitere Antwort. Komui schien bei bester Laune zu sein. „Ist er schon“, meinte er und schlürfte laut an seiner Tasse. „Wie ist Österreich so? Ist es schön warm? Seit ihr schon am Ziel?“ „Ja“, nahm sich Lavi dennoch Zeit für den Smalltalk, zu de Komui in guten Stunden gerne neigte. „Wir haben uns erst einmal in einer Herberge niedergelassen.“ „Hoffentlich keine teure“, maulte Komui und Lavi verdrehte das Auge. „Und? Wie ist das Wetter?“ „Nicht sehr viel anders, als bei euch.“ „Und habt ihr Spaß?“ „Mm.“ Daraufhin runzelte Lavi die Stirn. Hatte er Spaß? Er zweifelte daran, denn so gesehen befand er sich hier auf zwei Missionen gleichzeitig und eine davon war verdammt schwierig. „Und kommt ihr miteinander klar?“, quatschte Komui weiter und seufzend lehnte sich Lavi zurück und gegen die hölzerne Wand des Flurs. „Alles bestens.“ Ihm stand nicht der Sinn danach, dieses sinnlose Gespräch weiterzuführen, doch so, wie er Komui kannte, würde es so enden, also war er strikt. „Kann ich jetzt…“ „Wieso will keiner mit mir reden?“ Komui schien zutiefst verletzt. „Bin ich euch so egal?“ „Es ist wichtig“, meinte Lavi dazu nachdrücklich und seufzend gab sich Komui geschlagen. Kurze Stille herrschte, der Hörer wurde weitergegeben und Lavi atmete tief ein, als sich Bookman meldete. „Hallo.“ Er rieb sich die Hose, begann an einer Naht zu zupfen. „Als ich mit Komui über mein Vorhaben sprach… meinte er, dass ich auch zu dir kommen kann, wenn ich Probleme habe.“ Bookman antwortete nicht sofort. Wahrscheinlich fühlte er sich nur bestätigt, nun, da sein Schützling auf seine Hilfe angewiesen war, doch das nahm Lavi auf sich. Er hatte sich überschätzt. „Um was geht es?“, erkundigte er sich dann mit seiner rauen Stimme und Lavi grübelte nicht lange. „Was tut man am besten bei Schlafproblemen?“ Lavi begann sich zu regen. Er streckte sich, tastete in seiner hinteren Hosentasche und kurz darauf zog einen Zettel mitsamt Stift hervor, erhob sich auf die Knie und begann zu schreiben. Es war in den frühen Morgenstunden, als er aus dem Gebäude trat. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und es waren mehrere erholsame Stunden Schlaf, die hinter ihm lagen. Kanda hatte er nach dem Essen nicht noch einmal gesehen. Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und beinahe bildlich hatte Lavi vor Augen, womit er die Nacht verbracht hatte. Vermutlich hatte er sich gewälzt. Es fiel schwer, sich auf den Schla einzulassen, wenn man diesen fürchtete und so zweifelte Lavi daran, dass Kanda seine Stärkung teilte. Vermutlich wirkte er heute genauso abgekämpft wie am gestrigen Tag, doch Lavi war bereits dabei, etwas dagegen zu unternehmen. Kurz hatte er mit dem Mann an der Rezeption gesprochen und kurz blickte er sich orientierend um, bevor er nach rechts wandte und losging. Er ging zügig und zielstrebig, hatte nur um wenige Ecken zu biegen, bevor er sein Ziel erreichte und einen kleinen, unauffälligen Laden betrat. Leise meldete sich das Türglöckchen, bavor er an die Theke herantrat und den Zettel hervorzog, als ein in einen weißen Kittel gekleideter Mann auf ihn zutrat und ihn mit einem milden Lächeln begrüßte. Mit trüben Augen starrte Kanda an die gegenüberliegende Wand. Er lag auf dem Bauch, offen schlängelte sich sein Haar über seinen nackten Rücken und es nahm lange Zeit in Anspruch, bevor er sich dazu durchringen konnte, die Hand zu heben und sich eine Strähne aus dem Gesicht zu streifen. Schwer und matt blieb sein Körper an die Matratze gebunden, während er dem leisen Ticken der Uhr lauschte, die auf einem Nachtschrank neben dem Bett stand. Er tat es seit Stunden. Dieses monotone Ticken verschaffte ihm eine gewisse Beruhigung und hatte es die gesamte Nacht durch getan. Die Finsternis der Nacht wirkte unendlich, wenn man kein Auge zutat. Es kam ihm vor, als würde die Nacht niemals enden und doch fiel nun das Licht des neuen Tages durch die Gardine. Trübe blinzelte er, regte sich flüchtig und entschied sich dann doch dazu, einfach liegenzubleiben. Bewegungen wirkten so anstrengend, wenn man keine Kräfte mehr innehatte und ebenso verließ er sich darauf, dass Lavi ihn holte. Dieser tat in diesen Momentan ganz sicher noch das, wozu er nicht fähig war. Fast bildlich hatte er es vor Augen, wie sich der Rothaarige in seinem Bett räkelte und friedlich schlief und wie neidisch wurde er auf ihn, denn ihn hatte am gestrigen Tag der Mut verlassen. Er hatte sich weder für Erholung geöffnet noch für den Versuch, an diese zu gelangen. Der letzte Alptraum steckte ihm noch in den Gliedern. Er war zu grausam gewesen, zu erschreckend und so hatte er sich dazu entschieden, diesen Dingen einfach aus dem Weg zu gehen. Müde senkten sich leise Lider und tief atmete er durch, während sein Bewußtsein einzig und allein zurück auf das leise Ticken lenkte. Wie spät es war, das wusste er nicht. Letztendlich spielte dies aber auch keine Rolle. Was hatte die Uhrzeit schon zu bedeuten? Stumm bewegte er die Lippen aufeinander, tastete neben sich nach der Decke und zog sie sich über den Kopf. Er verkroch sich, das Bild der Umgebung verblasste vor seinen Augen und erst, als sich ein leises Klopfen an seiner Tür erhob, erwachte er zu altem matten Leben. Nur stockend und faul zog er die Decke von sich, rappelte sich irgendwie auf und kam auf die Beine. Träge versenkte er den Löffel im schwarzen Gebräu, während Lavi sein Messer in ein frisches Brötchen stieß und dieses zu schneiden begann. Wieder saßen sie gemeinsam in dem Restaurant, wieder verschmähte Kanda das Essen, doch der schwarze Kaffee, der vor Kanda stand, sagte genug aus. Lavi konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Kamerad jemals Kaffee getrunken hatte oder gar auf dessen Wirkung angewiesen war. Wie die letzte Nacht ausgesehen hatte, wurde somit deutlich, doch Lavi war zuversichtlich. Er hatte sich gekümmert, hatte sich informiert und würde nicht mehr lange zögern, bevor er mit seinen Vorschlägen an Kanda herantreten würde. Der richtige Zeitpunkt war längst gekommen. Länger durfte er nicht warten, denn Kanda machte den Anschein, weitere Tage dieser Art nicht zu überstehen. Lange Wege ohne Nahrung, Nächte ohen Schlaf. All dies waren Dinge, an denen man zwingend etwas ändern musste. Er versuchte Kanda nicht zu oft anzusehen, während er in sein Brötchen biss und nach seinem Kakao griff. Und dennoch nahm er das Verhalten seines Kameraden aufmerksam wahr. Kanda selbst schien von dem schwarzen Gebräu nicht allzu begeistert und dennoch leerte er die Tasse letztendlich mit wenigen Zügen. Ekel stand ihm dabei ins Gesicht geschrieben und dennoch kam es dazu, dass er sich auch noch eine zweite Tasse bestellte und auch diese austrank. Und wieder herrschte dieses Schweigen zwischen den beiden. Lavi hatte nicht nachzufragen. Jede Antwort, die er brauchte, konnte er von Kandas Gesicht ablesen. „Die Bibliothek ist gleich hier in der Nähe“, begann er dann dennoch zu schwatzen. Allein aus dem Grund, um etwas zu sagen und die Atmosphäre zu ändern. Sie gefiel ihm nicht. „Länger als eine Stunde dürfte es nicht dauern, bis wir sie erreichen und dann steht es uns frei, ob wir noch einen Tag hierbleiben oder gleich Nachhause fahren.“ Dabei blickte er auf und wartete auf Kandas Reaktion. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser von der Tatsache, sich gleich auf den Rückweg zu machen, begeistert war, doch es war gleichgültiges Desinteresse, das ihm begegnete. Kanda war seine Stimmung nicht anzusehen und Lavi machte sich nichts daraus. „Wir könnten uns noch etwas die Stadt anschauen“, fuhr er also fort und zuckte mit den Schultern. „Wie oft ist man denn schon in Österreich?“ „Sieben Mal“, murmelte Kanda endlich zurück und stemmte den Ellbogen auf den Tisch. Die Wange fand ihren Platz in der Hand und Lavi biss ab, begann wieder zu kauen. „Also gleich zurück?“, nuschelte er währenddessen und pflückte eine Weintraube vom Stängel. Kanda interessierte es einfach nicht. Er schien auch keinen Gefallen daran zu finden, seine Meinung zu sagen. Lavi konnte es sich durchaus vorstellen, dass er sich lieber noch länger vom Hauptquartier fernhalten würde. Er wäre wieder ein Gefangener, wenn sie zurückkehrten, doch Lavi sah in diesen Momenten keine Gelegenheit, dem zu entgehen. So oder so. Irgendwann mussten sie zurück. Was Lavi anbelangte… er hätte nichts dagegen, Umwege zu fahren. Auch stundenlang laufen würde er wieder… und einfach alles tun, um nach Kandas Willen zu handeln. Nachdenklich verschlang er den Rest des Brötchens, trank auch seinen Kakao und dann erhoben sie sich gemeinsam, schlüpften in ihre Uniformen und verließen die Herberge. Seite an Seite machten sie sich auf den Weg und mischten sich in das Getümmel der Straßen. Die Läden hatten wieder geöffnet, laut boten Händler ihre Waren fiel und oft hatten sie sich durch wahre Massen zu drängen, bevor sie einen abgelegenen Teil der Stadt erreichten. „Sieben Mal warst du schon hier?“, erkundigte sich Lavi, als sie um eine Ecke bogen und sah Kanda nicken. „Was war es zuletzt?“ Kanda schien kurz zu grübeln. „Eine Broker-Mission“, erinnerte er sich dann und Lavi nickte. Es verwunderte niemanden, das Komui zumeist Kanda schickte, wenn es sich darum handelte, die Waffe gegen Menschen zu erheben. Allen, stets darauf aus, Menschen von Akuma zu trennen, würde zögern. Auch Linali wurde nicht oft mit Missionen dieser Art betraut. Es blieb wie es war: Kanda war einer der wenigen, die keine Problematik darin sahen, einen Mord zu begehen, wenn der Zweck die Mittel heiligte. Schon oft war er gegen Broker in den Kampf gezogen und hatte stets Erfolge erzielt bei dieser ethisch fragwürdigen Angelegenheit. Es war ein weiterer Anstoß daran zu denken, wie Kanda früher gewesen war. Früher, bevor diese Sache geschah. ‚Im Krieg gibt es Opfer‘ Daraus bestand Kandas Devise und stets war er bereit gewesen, genau diese Opfer zu erbringen. Ob es sich um ihn selbst handelte oder um Akuma… gar um menschliche Wesen, die mit dem Grafen zusammenarbeiteten. Es waren ernüchternde Gedanken und Lavi unterdrückte ein leises Seufzen, als sie sich ihrem Ziel weiterhin näherten. Sie bogen um eine Ecke, ließen einen großen Platz hinter sich und es verging keine Stunde, bis sie die große Bibliothek wieder verließen und dies mit drei wichtigen Büchern taten. Lavi trug das schwere Paket auf der Schulter. Er umschloss es mit dem Arm, unterdrückte sichtlich ein Gähnen. Es gefiel ihm nicht sonderlich, dass sich die Mission schon jetzt ihrem Ende entgegenneigte. Selbstverständlich waren die Fortschritte, die sie auf dieser Reise gemacht hatten, offensichtlich und nicht zu unterschätzen, doch Lavi war nicht wohl bei dem Gedanke, Kanda zurück in das Hauptquartier zu geleiten. Zurück in den Käfig, in dem er noch die nächsten Tage zu verbringen hatte. Unauffällig lugte er zur Seite und wandte sich sofort wieder ab. Er versuchte, seine Gedanken nicht zum Ausdruck zu bringen, wollte nicht, dass Kanda sein Missfallen deutlich an seinem Gesicht erkannte und ablas. Es waren seine Grübeleien und sollten es auch bleiben. Er runzelte die Stirn, wechselte das schwere Paket auf die andere Schulter und blickte um sich. War es nicht möglich, sich noch für eine Nacht in einer Herberge einzuquartieren und erst morgen zurückzukehren? Lavi befürchtete, dass das Hauptquartier seine Wirkung auf Kanda nicht verfehlte und dass es zur alten Schwierigkeit wurde, an diesem Ort zu Kanda durchzudringen. Es gab zuviele Winkel, in denen er sich verstecken konnte. Winkel, in denen Lavi ihn niemals finden würde und auch an Ablenkung würde es Kanda dort nicht mangeln. So wurde das Zuhause letztendlich nur zu einem nicht zu unterschätzenden Stolperstein. Lavi befürchtete, hängen zu bleiben, wenn das Befürchtete eintrat. Eine schmerzhafte Angelegenheit wäre es, nun, nachdem sie den ersten großen Schritt vollbracht hatten. Die Wahrheit war an das Tageslicht gedrungen und Lavi würde alles tun, um zu verhindern, dass Kanda sie wieder mit sich in seine Dunkelheit zog und sie vor Lavis Auge verbarg. Doch es war ein Unmögliches, einen weiteren, sinnlosen Tag in Tirol zu verbringen. Die Bücher waren von großer Wichtigkeit. Bookman benötigte sie höchstwahrscheinlich und so gestand er sich ein, dass er ein Hierbleiben niemals begründen könnte. Vielleicht vor Komui, indem er den wahren Grund angab, doch Bookman würde sich nicht damit einverstanden erklären. So stieß er ein leises Seufzen aus, ergab sich seinen Pflichten und zog mit Kanda dem alten Bahnhof entgegen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit dem zufrieden zu geben, was man ihm bot. „Weißt du“, hob er spontan an, da er diese Stille nicht mehr ertrug, „meine letzte Mission war der völlige Reinfall.“ Offen sah er Kanda an, während sie schlenderten und wie ersehnte er sich, dass dieser zumindest antworten würde. Lavi achte. „Der Opa und ich wurden in ein Dorf geschickt, in dem es spuken soll. Natürlich dachte Komui gleich an etwas Übernatürliches.“ Lavi zuckte mit den Schultern. „Es stimmt schon. Es ist unsere Aufgabe, das zu überprüfen. Es hätte ja sein können… du verstehst?“ Und endlich. Wenn auch kurz, Kanda sah ihn an und Lavi bildete sich ein, ein Stirnrunzeln zu erkennen. Er war aufmerksam. „Wir sprachen mit zig verängstigten Dorfbewohnern und legten uns jede Nacht auf die Lauer. Okay, ich gebe es zu, ich fand es schon gruselig. Fast so schlimm wie damals, als wir Crowley das erste Mal trafen.“ Sie drängten sich durch eine Menschenmenge und nach wenigen weiteren Schritten hatten sie bereits den Bahnhof vor sich. Die Rückreise würde bei weitem einfacher werden. „Jedenfalls geschah es in der vierten Nacht, als der Opa mich wachrüttelte. Er hatte etwas gesehen.“ Er baute eine dramatische Pause ein, während sie die Stufen zum Bahnhofsgebäude hinter sich ließen. Er lachte leise auf. „Mir schlotterten wirklich die Knie, als wir die Erscheinung verfolgten und weißt du, was dabei herauskam? Zwei Buben, die dem Dorf nur einen Streich spielen wollten.“ Kanda rümpfte die Nase, schob sich gegen die hölzerne, schwere Tür und betrat das steinerne Gebäude. Wirklich amüsiert wirkte er nicht. „Zum Glück durchschaute ich das Gepenst, bevor ich es niedermetzeln konnte. Das wäre problematisch geworden. Der Opa hat sich natürlich nichts ansehen lassen aber ich bin sicher, er war auch etwas angefressen. Und was macht Komui? Lacht sich halb tot. Das kann er natürlich auch. Er musste ja deswegen nicht nach Russland und vier Nächte auf der Lauer liegen. Manchmal regt mich der Man wirklich auf.“ Stöhnend folgte Lavi seinem Kameraden zu dem Fahrplan. „Und weißt du, was Komui noch sagte?“ „Marie“, erhob sich Kandas Stimme neben ihm und in die Erzählung vertieft, schüttelte Lavi nur den Kopf. „Wieso hätte er von Marie reden sollen? Der hatte doch gar nichts damit zu…“, er blickte auf und verstummte. Überrascht verlangsamte er die Schritte. Ihr Kamerad war längst auf sie aufmerksam geworden. Deutlich mussten ihre Stimmen zu ihm gedrungen sein, denn zielstrebig wandte er sich ihnen zu und blickte ihnen mit seinen blinden Augen entgegen. Er reiste scheinbar alleine, stand an einem der Gleise und die Freude über dieses ungeplante Treffen ließ Lavi lächeln, als sie aufeinandertrafen. „Marie, grüß dich.“ Freudig berührte Lavi den Arm des Größeren. „Was machst du denn hier?“ „Ich bin auf dem Weg nach Ungarn“, erwiderte Marie milde lächelnd und neigte in flüchtiger Begrüßung den Kopf, bevor er sich an Kanda wandte. Zielsicher fand seine Hand dessen Schulter und Lavi registrierte die anhaltende Entspannung seines Kameraden. Kanda wich nicht zurück und wie unerwartet erhob auch er die Stimme. „Du warst lange nicht mehr im Hauptquartier“, sprach er Marie an und dieser löste die Hand von seiner Schulter. Aufmerksam verfolgte Lavi, wie er ruhig nickte. „Es gibt viel zu tun in letzter Zeit. Habt ihr Marshall Tiedoll getroffen? Auch er ist derzeit hier in der Nähe.“ „Tatsache?“ Lavi staunte. „Nein, ihm sind wir nicht über den Weg gelaufen. Eigentlich schade.“ Er lugte zu Kanda, doch dieser wirkte nicht, als würde er sich seiner Haltung anschließen. Dass sie Tiedoll nicht getroffen hatten, schien ihm nicht nahe zu gehen. „Was ist in Ungarn los?“, erhob Kanda wieder unerwartet die Stimme. Spätestens hier zeigte sich seine Sehnsucht nach den alten Missionen. Nach den alten Gefahren, doch Marie hatte nichts Spannendes zu erzählen. „Ich bringe Marshall Cloud nur neue Innocence-Einheiten.“ Und sofort verlor Kandas das Interesse. Er wandte sich ab und ächzend wendete Lavi das schwere Paket und klemmte es sich unter den Arm. „Wir sind auch nur unterwegs, um etwas abzuholen.“ Er seufzte, wurde auf den Zug aufmerksam, der zischend in den Bahnhof einfuhr. Ein Zeichen, dass das ungeplante Treffen abrupt endete und so kam es dazu, dass sie sich wieder trennten und ihre eigenen Wege verfolgten. Nachdem Marie im Zug verschwunden war, kehrten Kanda und Lavi zurück zum Fahrplan. Diesmal war ihnen das Glück hold. Der passende Zug stand schon bereits und diesmal achtete Lavi strikt darauf, dass sich Kanda nicht verkroch. Dreist folgte er ihm in das Abteil und gewährte der alten Stille nicht die Rückkehr. Das Paket neben sich auf dem Polster, streckte Lavi die Beine von sich, machte es sich bequem. „Ach ja, der Marshall.“ Er kam nicht um ein Grinsen, während Kanda aus dem Fenster blickte. „Ich mag Tiedoll. Wenn ich mir einen Marshall hätte aussuchen können, hätte ich ihn genommen. Mit ihm wird es bestimmt niemals hektisch.“ Er rutschte etwas tiefer, spürte, wie sich der Zug in Bewegung setzte. Zischend schoß Dampf aus den Kurbeln, als er anfuhr und dann glitten sie aus dem Bahnhof hinaus und hinein in die alte Einöde. „Ich beneide dich ein wenig.“ „Was gibt’s da zu beneiden?“ Kritisch sah Kanda Lavi an und dieser hob die Braue. „Na ja, es muss doch eine schöne Zeit gewesen sein, als er dich ausgebildet hat, oder nicht?“ „Ts.“ Kanda schienen finstere Erinnerungen heimzusuchen. Jedenfalls sah er nicht sehr amüsiert aus und kurz darauf verfolgte Lavi, wie er die Hand hob und seine Brust betastete. Auch Grübeleien waren ihm deutlich anzusehen und einige Momente schwiegen sie sich an, bevor Kanda die oberen Knöpfe seiner Uniform öffnete und etwas hervorzog. Es sah aus, wie ein zusammengeklapptes Blatt Papier und lange starrte Kanda es an. Es schien eine gewisse Bedeutung zu haben, doch Lavi brauchte seine Neugierde nicht auszusprechen. Vermutlich war sie ihm deutlich anzusehen, denn bald darauf blickte Kanda auf und warf es ihm wortlos zu. „Was ist das?“ Sofort griff Lavi danach. Er richtete sich auf, blickte vom Papier zu Kanda und zurück. Doch sein Kamerad deutete ihm nur an, dass er es sich ansehen sollte und Lavi tat es gerne. Hier und jetzt hatte er das Gefühl, dass Kanda ihm etwas anvertraute und umso heiliger wurde der Augenblick, als er die Zeichnung erkannte, die Kanda bislang bei sich getragen hatte. Er verengte das Auge, starrte auf das Papier und lehnte sich stockend zurück an die gepolsterte Lehne. Was er vor sich hatte, bedurfte keiner Worte. Er erblickte eine von Fels durchzogene Landschaft… eine steinerne Einöde. Doch dort und im Zentrum des Bildes erkannte Lavi eine einzige Blume, die sich ihren Weg durch das Gestein gebahnt hatte und zu einer schieren Pracht erblüht war. Auch wenn ihre Blätter fragil wirkten, sie hatte einen schweren Kampf hinter sich und den Sieg davongetragen. Im Grunde musste man zu diesem Bild nichts sagen und Lavi tat es in den ersten Momenten auch nicht. Tiedoll musste es ihm gegeben haben, als er vor kurzem im Hauptquartier gewesen war. Natürlich hatte er sich Zeit für seinen Sprößling genommen. Lavi hatte gesehen, wie sie gemeinsam verschwunden waren. Er musterte das Bild weiterhin, erblickte dieses triste Nichts, in dem eigentlich nichts gedeihen konnte und doch gab es diese eine Blüte, die stolz an ihrem Stängel emporspross. Lavi musste lächeln, als er aufblickte und traf sofort auf Kandas Blick. Ein stummes Austauschen schien zu beginnen und es war Kanda, der letztendlich vor dem Blickkontakt floh. „Dieser dumme alte Mann“, murrte er leise, während er sich wieder dem Fenster zuwandte und noch immer lächelnd faltete Lavi das Blatt Papier zusammen und gab es an seinen rechtmäßigen Besitzer zurück. Er fühlte sich… stolz. Stolz darauf, dass Kanda es ihm gezeigt und somit ein weiteres Fragment seiner Schwäche offenbart hatte, denn die Skizze war bezeichnend. Sie war aussagestark, hatte soviel zu bedeuten und Lavi hoffte, dass Kanda sie in Ehren hielt, auch, wenn sie ihm das zeigte, was er derzeit nicht sehen wollte. *tbc* Kapitel 22: ~12~ ---------------- Gute Verbindungen erwarteten die beiden. Sie hatten sich kaum zu gedulden, lediglich selten umzusteigen und so erreichten sie ihr Ziel diesmal bei weitem rascher. Der restliche Weg war nicht gerade von Unterhaltungen geprägt gewesen und doch war Lavi mit sich zufrieden. Endlich kam er auch wieder in den Genuss einer gewissen Zuversicht. Er hatte einen Plan geschmiedet, war gegen seine Unwissenheit vorgegangen sich recht sicher, im Hauptquartier das Richtige vorzuhaben. Vermutlich wäre es für Kanda ein schier unbekanntes Gefühl, dass sich jemand immens sorgte, doch genau das lag in Lavis Interesse. Wenn sich Kanda schon nicht um sich selbst kümmerte, so würde er es übernehmen und sich niemals beklagen. Er lächelte, als sie in den frühen Abendstunden die steinerne Festung betraten, verabschiedete sich jedoch nur vorläufig von Kanda. Beide würden fürs Erste wohl nach Entspannung und Erholung trachten. Beides waren Dinge, die man in einem Zug nicht wirklich fand. Während sich Lavi auf den Weg zu Jerry machte, verschwand Kanda lieber in seinem Zimmer. Er spürte keinen Hunger, eher eine gewisse Müdigkeit in den Beinen, als er sein Ziel erreichte, die Tür öffnete und in sein Zimmer trat. Es lag so vor ihm, wie er es verlassen hatte und doch blickte er flüchtig um sich, bevor er die Tür hinter sich schloss. Unaufhaltsam stieg dieses Gähnen in ihm höher, als er dann an sein Fenster herantrat und müde ließ er es gewähren, hob die Hand vor den Mund und strich sich in derselben Bewegung das Haar zurück. Es war schwer, etwas durch die fabrigen Gläser zu erkennen, doch mehr, als einen dunklen Nachthimmel gab es wohl ohnehin nicht zu sehen und so verlor er rasch das Interesse daran und kehrte dem Fenster den Rücken. Schlürfend trat er an sein Bett heran, streckte sich flüchtig in die Höhe, bevor er sich auf die Matratze sinken ließ. Seinen Körper zog es regelrecht nach unten und es nahm so einige Momente in Anspruch, bis er sich dazu durchringen konnte, sich in Bewegung zu setzen, um die Stiefel loszuwerden. Still und dunkel umgab ihn der Raum, als er die Reißverschlüsse hinabzog und die schwarzen Stiefel von den Füßen streifte. Er war nicht sehr erfüllt von Hoffnung, wenn er an die kommende Nacht dachte, doch vermutlich war es einen Versuch wert. Träge schob er die Stiefel neben das Bett, ließ sich träge zurückfallen und tastete nach seiner Hose, als er auf der Decke lag. Absent tasteten seine Hände nach dem Knopf, während er zur dunklen Decke seines Zimmers aufblickte. Seine Lider waren schwer. Sie setzten sich zur Wehr, hoben und senkten sich nicht ohne widerstand und wieder blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gähnen. Auch seine Finger wurden fündig, doch hielten sofort in ihrem Treiben inne, als sich ein leises Klopfen an der Tür erhob. Kandas Stirn legte sich kraus, als er den Kopf wandte und zur Tür blickte. Es entsprach nicht seiner Gewohnheit, dass man ihn zu solch später Stunde noch störte und für kurze Zeit zweifelte er daran, dass er sich erheben würde. Ebenso gut könnte er den Störenfried mit Ignoranz abtun und entspannt liegen bleiben. Langsam glitten seine Finger über den Hosebund, sein Körper machte keine Anstalten, sich zu erheben, doch bald darauf klopfte es erneut. Energischer. Länger. Ein leises Stöhnen erhob sich im Zimmer, als sich Kanda dann doch aufrappelte. Er stemmte sich in die Höhe, zog sich in derselben Bewegung das Band aus den Haaren und schob sich vom Bett. Nur matt und unsicher kam er zum Stehen. Ihm stand nicht einmal der Sinn nach der berechtigten Wut aufgrund dieser Störung. Viel eher war ihm wohl die Müdigkeit anzusehen, als er die Tür öffnete und sich in den Rahmen lehnte. Vereinzelte Strähnen fielen in sein Gesicht, als er die Hand hob und die Augen mit ihr beschattete. Blendend drang das Licht des Treppenhauses in seine angenehme Därmmernis. Seine Augen waren der Helligkeit nicht gewachsen und umso irritierter richteten sie sich auf das, was der Störenfried bei sich trug. „Abend.“ Lange war es Lavi nicht mehr so leicht gefallen zu lächeln. Er ließ das Tablett sinken, balancierte es konzentriert aus und legte den Kopf schief. „Bin ich froh, dass ich dich noch wach antreffe. Hier.“ Somit hob er das Tablett in Kandas Sichtfeld zurück, bot seinen Augen den Anblick einer simplen Kanne mitsamt Becher. „Das ist Baldriantee. Das wird dir helfen, zur Ruhe zu kommen und vielleicht schläfst du dann endlich mal ordentlich.“ Kanda zögerte jedoch. Nur eine Sekunde, bevor Lavi schief grinste. „Komui hat damit nichts zu tun, versprochen. Das ist ein natürlicher Tee ohne etwaige Schlafmittel.“ Noch immer hing Kanda im Türrahmen und machte keine Anstalten, das Tablett entgegenzunehmen. Kritisch sah er von der Kanne zu Lavi, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Was hast du erwartet?“, erkundigte er sich. „Denkst du, ich kümmere mich nicht, nachdem ich es versprochen habe?“ Nachdrücklich hielt er Kanda das Tablett entgegen. „Hier, bitte.“ „Baldrian, also.“ Kanda runzelte die Stirn, doch endlich öffnete er die Tür weiter und trat an das Tablett heran. Lavi nickte nur und war mit sich zufrieden, als Kanda sein Mitbringsel endlich annahm. Eine Danksagung war dennoch zuviel verlangt. Es blieb bei einem unverständlichen Murmeln und bevor sich Lavi versah, schloss sich die Tür vor ihm und er stand wieder alleine im Treppenhaus. Entspannt versenkte er die Hände in den Hosentaschen, wandte sich ab und gab sich einem herzhaften Gähnen hin. Auch er war bereit für das Bett, doch es gab noch einen einzigen Weg, auf den er hier und jetzt nicht verzichten durfte. „Lavi, Schätzchen.“ Eines musste man Jerry lassen. Auch, wenn in der Küche Stress und Hektik herrschten, er hatte stets dieses Strahlen im Gesicht und ließ sich nichts anmerken. So nun auch, als er vor dem Rothaarigen stand und liebevoll eine Geschirrtuch zusammenfaltete. Er stand dort und lächelte, während in seinem Rücken die Köche von einer Seite zur anderen rannten und sich lautes Keuchen erhob. „Was kann ich für dich tun?“ Endlich war das Tuch ordentlich gefaltet. Sofort wurde es zur Seite gelegt und neugierig nahm Jerry einen Zettel an. Mit großen Augen laß er das Rezept und sah Lavi anschließend fragend an. „Ist nicht für mich.“ Lachend hob Lavi die Hände. „Das ist das Rezept für einen kräftigenden Vitamin-Drink. Bist du so gut und kreierst Kanda täglich so einen zum Frühstück?“ „Mm.“ Jerry wirkte nicht sehr zuversichtlich. „Das Rezept klingt sehr süß aber Kanda ist eher der scharfe, herzhafte Esser.“ Doch Lavi schloss sich seinen Zweifeln nicht an. Lächelnd klopfte er gegen Jerrys Oberarm. „Keine Angst“, meinte er nur, bevor er ging. „Er wird es trinken.“ „Wenn du das sagst, Schätzchen?“ Jerry seufzte laut auf, ließ den Zettel in der Hosentasche verschwinden und eilte galant davon. Endlich konnte sich dieser Tag also als abgeschlossen betrachten. Es gab für Lavi nichts mehr zu tun und die Müdigkeit, die in seinen Beinen steckte, führte ihm vor Augen, wie anstrengend der zurückliegende Tag doch gewesen war. Die Hände in den Hosentaschen schlenderte er abermals durch all die steinernen Gänge, vor einer gewissen Tür stehen und lauschte kurz in die Stille hinein. Konzentriert blieb sein Auge auf den Boden gerichtet, entspannt regten sich seine Hände in den Hosentaschen, doch letztendlich setzt er sich wieder in Bewegung, schlenderte weiter und ließ die wenigen Meter hinter sich, die ihn noch von seinem eigenen Zimmer trennten. Auch ihm war die Müdigkeit nun anzusehen, als er nach der Klinke griff, sie zu sich zog und die Tür öffnete. Sogleich zog ihm leises Schnarchen entgegen und die Blätter, die auf dem Boden des Zimmer verstreut lagen, raschelten leise, als der Rothaarige eintrat. Bookman schlief bereits. Nur noch eine kleine Öllampfe hüllte das kleine Zimmer in einen angenehmen Schein und Lavi achtete darauf, leise zu sein, als er aus seinen Kleidern schlüpfte, vorsichtig die Flamme der Lampe erstickte und sich gähnend unter die Decke schob. Wie hatte er sich danach gesehnt… Hier erwartete ihn das vertraute Gefühl der Heimat und auch von dem Schnarchen, das rasch lauter wurde, ließ er sich nicht stören, als er auf dem Kopfkissen nach der richtigen Bequemlichkeit suchte und das Auge schloss. Es gelang ihm nur noch, sich auf den Rücken zu drehen, bevor alles an ihm schwer und dumpf wurde und er haltlos im Schlaf versank. Gerne driftete er in sein friedliches schwarzes Nichts und als er die Augen wieder öffnete, fiel helles Tageslicht zu ihm in das Zimmer. Es fiel durch das Glas des Fensters direkt auf den Boden. Grelle Sonnenstrahlen bündelten sich dort und vorerst rollte sich Lavi erst einmal auf die andere Seite, machte es sich wieder bequem und gähnte herzhaft. Er streckte die verschlafenen, müden Glieder, zog sich das Kissen über den Kopf und lauschte in die Stille des Zimmers hinein. Dass Bookman nicht hier war, war keine Besonderheit. Es geschah nur selten, dass er ihn noch antraf, wenn er aufwachte. Wahrscheinlich war Bookman bereits in der Bibliothek und mit Informationssuche beschäftigt, während sein rothaariger Schützling noch im Bett lag. Doch welch Großzügigkeit, dass er ihn nicht einfach geweckt hatte. Letztendlich hatte sich Lavis Körper nur das geholt, was er brauchte und er tat es auch weiterhin, denn es vergingen nur wenige Momente, bevor Lavi noch einmal einschlief. Sein Atem vertiefte sich, reglos blieb er liegen und es grenzte an schierer Überwindung, sich aus dem Bett zu schieben, als er nach einer Stunde erneut zu sich kam. Auch, wenn die Wärme und die Gemütlichkeit des Bettes ihn bannen wollten, er schlug die Decke zurück, kam auf die Beine und tastete nach seinen Sachen. Es verhieß ein Tag zu werden, wie jeder andere auch. Ein Tag, den man am besten mit einer Dusche begann. Warm prasselte kurz darauf das Wasser auf seinen Kopf nieder. Mit geschlossenem Auge streckte er sich dem heißen Strahl entgegen, bewegte die Seife nur nachlässig am Körper. Und er hoffte. Dass Bookman ihn nicht den gesamten Tag an sich band. Dass er die Gelegenheit fand, an Kanda heranzukommen, um den nächsten Schritt in die Wege zu leiten. Immerhin trug er nun eine gewisse Verantwortung war endlich davon überzeugt, diese Last auszuhalten. Er legte die Seife zurück, strich sich mit beiden Händen das rote Haar zurück und nahm sich nicht allzu viel Zeit, bevor er nach einem Handtuch griff und in seine Kleider schlüpfte. Er beließ es bei einem lockeren Shirt, bei einer schwarzen Hose und selbst bequeme Schlappen waren ihm heute lieber. So hatte er es bequem, als er sich auf den Weg zum Frühstück machte. Und das Glück war ihm hold. Er schaute um sich, als er die Halle betrat. Nicht auf das Kratzen des Geschirrs achtend, auch nicht auf das Klirren der Gläser oder das Stimmengewirr. Sein Auge suchte nach jemandem und wurde fündig. Wie immer saß Kanda ein wenig abseits. Es war schwer, aus der Ferne zu erkennen, wie er aussah, doch Lavi hatte ohnehin nicht vor, es bei dieser Distanz zu belassen. Er besorgte sich sein Frühstück und mit einer selbstverständlichen Beiläufigkeit ließ er sich anschließend Kanda gegenüber nieder. Er lächelte ihm flüchtig zu, bevor er sein Tablett abstellte und über die Holzbank stieg. Im Gesicht seines Gegenüber war eine flüchtige Unzufriedenheit zu erkennen, eine leichte Überforderung, doch etwaiges Wort blieb in seinem Hals stecken. Er verscheuchte Lavi nicht, blickte nur kurz um sich und wurde dabei gemustert. Ihm war nicht anzusehen, ob er diese Nacht mit Schlaf verbracht hatte oder ob er sich wälzte und nicht zur Ruhe kam. Diese leichte Blässe war seit kurzer Zeit zu einem Normalzustand geworden, doch Lavi scheute sich nicht, einfach nachzufragen. „Hat der Tee etwas bewirkt?“ Entspannt griff er nach einem der Brötchen und versenkte das Messer in dem Gebäck. Kanda hatte sich mit einem Müsli zufrieden gegeben, doch viel gegessen schien er bislang nicht zu haben. Die Schale war so gut wie unangerührt und auch jetzt versenkte er nur den Löffel in dem in der Zwischenzeit weichen Brei und ließ ihn anschließend zurück in die Schale tropfen. Doch was Lavi sofort aufgefallen war, war dieser Vitamin-Drink, der ebenso bei ihm stand. Auch dieser schien noch nicht angerührt, doch Lavi war schon zufrieden, dass Kanda ihn überhaupt angenommen hatte. Eine Antwort erhielt Lavi jedenfalls nicht. Ihm gegenüber wurde nur die Stirn gerunzelt und weiterhin in dem Müsli gerührt. Lavi blieb es überlassen, seine Schlussfolgerung darauf zu ziehen, also zweifelte er daran, dass Kanda erholsame Stunden hinter sich hatte. Er saß auch etwas zusammengesunken dort. Von der stolzen, entspannten Haltung war nichts zurückgeblieben. Lavi griff nach dem Butterteller und zog gleichsam die Marmelade zu sich. „Was hast du heute vor?“, erkundigte er sich weiterhin und wieder tropfte ihm gegenüber das matschige Müsli in die Schale zurück. Beinahe mürrisch verfolgte Kanda all das und letztendlich war es nur ein knappes Schulterzucken, mit dem er reagierte. „Weißt du was?“ Lavi hatte mit nichts anderem gerechnet. Behäbig begann er sein Brötchen zu schmieren. „Am Wichtigsten ist es, dass du dich nicht verkriechst, okay?“ Er sprach leise, damit niemand es mitbekam. „Also verschwinde nach dem Frühstück bitte nicht sofort in dein Zimmer.“ „Was soll ich sonst machen.“ Kanda wirkte völlig hilflos. Lustlos. Verdrießlich. Er hing völlig in Seilen, seit man ihm etwaige Pflichten entzogen hatte. Doch Lavi wusste zu schätzen, dass er überhaupt diese Frage stellte. Ein Zeichen, dass er doch auf ihn und seinen Rat baute. Er begann zu kauen, leckte seinen Daumen ab, an dem Butter haften geblieben war. „Tu doch das, wofür du niemals Zeit hast zwischen den Missionen. Soweit ich es mitbekommen habe, beschäftigst du dich meistens nur mit Training aber ich denke, das ist derzeit einfach nicht das Richtigte für dich.“ Mürrisch sah Kanda ihn an, konnte scheinbar nicht viel mit Lavis Worten anfangen. Er war nicht gerade der Mensch, der über viele Hobbies verfügte. Er sah den Sinn und Zweck bei einer solchen Sache einfach nicht. Sinnvoll war das, worauf er angewiesen war und so hatte er hartes Training niemals als überflüssig angesehen. „Geh spazieren… hol dir ein gutes Buch. Aber vor allem“, Lavi wies mit einem Nicken auf den Drink, „trink das. Das ist die Grundlage für einen guten Tag.“ Kanda starrte zurück auf sein Müsli. „Ich muss heute wieder mit dem Opa arbeiten. Ich weiß nicht, ob ich heute Zeit habe.“ „Zeit wofür“, murrte Kanda und Lavi grübelte nicht lange. „Um mit dir zu arbeiten“, erwiderte er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Sofort blickte Kanda wieder auf. „Wir haben eine Menge zu tun.“ Lavi grinste heiter und wenn auch unwillig, Kanda ließ den Löffel im Müsli versinken und griff nach dem Vitamindrink. Keine viertel Stunde später verließ er den Speisesaal. Tief durchatmend trat er hinaus in den Gang, versenkte die Hände in den Taschen seiner lässigen Hose und blickte von einer Seite zur anderen. Deutlich war ihm die Unschlüssigkeit anzusehen. Es hatte stets Wege gegeben, die er hier zu verfolgen hatte. Training, um seine Fähigkeiten zu verbessern zum Beispiel. Stunden hatte er in den Trainingshallen zugebracht und war anschließend stets sehr zufrieden mit sich gewesen. Nun blähte er die Wangen auf, wandte sich nach links und begann zu trödeln. Ohne Ziel, ohne Absicht. Er ging einfach ein paar Schritte, starrte zu Boden und wenn auch unwillig, er erinnerte sich an Lavis Worte. Der Rothaarige hatte mit einer Sicherheit und einem Selbstverständnis gesprochen, als wüsste er genau, was gut für ihn war, doch irgendetwas in Kanda setzte sich zur Wehr. In die Bibliothek, also, ging es ihm dabei durch den Kopf. Sich ein Buch holen. Welches Buch? In seinem gesamten Leben hatte er bislang kein einziges Buch gelesen. Er hatte nie die Zeit gefunden oder sie sich genommen. Das Lesen war zu einer Sinnlosigkeit abgestempelt worden. Es gehörte nicht zu seinen Pflichten, belesen zu sein und so trotzte er auch weiterhin mit diesem Vorschlag. Er wusste nicht einmal, welche Thematik ihn interessierte, doch was blieben ihm sonst für Möglichkeiten? Nirgendwo würd er hier Arbeit finden. Jeder würde ihn abweisen und damit Komuis Befehle befolgen. Diese Tatsache lag deutlich vor ihm und somit wurden seine Gedanken immer verbissener. Natürlich war ihm danach, zu seinem Zimmer zurückzukehren. Sich unter die Decke zu schieben und einfach liegenzubleiben, bis irgendetwas geschah. Selbst das Frühstück in der Öffentlichkeit hatte ihn angestrengt und nun sollte er sich genau dieser Öffentlichkeit ausliefern? Es war schwierig, den Sinn darin zu finden, doch während er die nächsten Schritte tat, erinnerte er sich an die Reise, die hinter ihm lag. Die Wege, die er mit Lavi gegangen war und wie deutlich hatte er den Moment vor Augen, in welchem er nach Lavis Hand gegriffen und sich auf die Beine hatte ziehen lassen. Er war auf alles eingegangen, sich entschieden, sich auf den Rothaarigen einzulassen und vermutlich gehörte dazu auch ein nicht geringer Teil an Selbstdisziplin. Er hatte strikt mit sich zu sein und natürlich bedeutete dies auch, Gewohnheiten abzulegen. Würde er sich jetzt verkriechen, so würde er es vermutlich auch weiterhin tun. Seine Hände ballten sich in den Hosentaschen zu Fäusten und angespannt zwang er sich dazu, im nächsten Gang links abzubiegen. Er machte sich auf den Weg in die Bibliothek und wie lange stand er dort vor den Regalen. Es gab Fachbücher, jedoch auch andere Lektüre und es musste eine knappe halbe Stunde vergehen, bis er sich in die Höhe streckte, nach einem Buchrücken tastete und das Werk ins Freie zog. Es handelte sich um Kriminalliteratur. Ob er sich dafür interessierte, das würde er noch herausfinden. So verließ er die Bibliothek und wie automatisiert entschloss er sich dazu, in seinem Zimmer zu lesen. Nur wenige Schritte tat er, bis er jedoch wieder stehenblieb und still bei sich den Kopf schüttelte. Das Buch unter den Arm geklemmt, betrat er kurz darauf die Lounge. Sie war nur spärlich besucht. In einer Ecke hatte sich eine Gruppe Finder ihre Bequemlichkeit auf den Sofas gesucht. Leise erhoben sich ihre Stimmen, als sie miteinander sprachen. Auch leises Rascheln drang an Kandas Ohren und machte ihn auf einen Wissenschaftler aufmerksam, der eine Zeitung vor sich bewegte. Die wenigen Lampfen entsannen ein entspannendes, mattes Licht und sorgten für eine ruhige, friedliche Atmosphäre, in der es sich aushalten ließ. Nur flüchtig musterte Kanda sein Umfeld, bevor er sich auf eines der Sofas sinken ließ. Er hielt sich an Lavis Rat. Auch, wenn er einen hohen Preis dafür bezahlte, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Er hatte sich dem zu stellen, die Herausforderung auf sich zu nehmen und konzentriert versuchte er nicht auf die anderen Gäste zu achten, als er sich tieferrutschen ließ und das Buch aufschlug. Er konnte sich nicht daran erinnern, etwas derartiges schon einmal getan zu haben. Dass stets die Zeit fehlte, wäre eine leerer Vorwand. Er hatte sich diese Zeit einfach niemals genommen, sich stets auf andere Dinge konzentriert und an seinen Fertigkeiten gefeihlt und erst wurde er sich auch der Tatsache bewusst, dass er sich selbst fortwährend vernachlässigt hatte. Seien Lage brachte so manche Einsicht mit sich und Kanda versuchte nicht auf das leise Stimmengewirr zu achten, als er in dem Buch zu blättern begann. Raschelnd wurde auch die Zeitschrift bewegt und letztendlich schlüpfte Kanda aus den Schuhen, zog die Beine zu sich auf das Polster und begann zu lesen. Regungslos verharrte er, behielt den Kopf gesenkt und kümmerte sich auch nicht um die Strähnen, die sich aus dem lockeren Dutt stahlen und kitzelnd herabsanken. Ruhig blieben die dunklen Augen auf die Schrift gerichtet und es geschah recht rasch, dass er die Umgebung und jedes Fragment der Wirklichkeit von sich streifte. All das existierte einfach nicht mehr, während seine Pupillen über die Zeilen schweiften und seine Hand fast absent nach der Seite griffen, um umzublättern. Stumm bewegte er den Mund, presste die Lippen aufeinander, saugte an seinen Zähnen und nach einer knappen Stunde legte er sich auf dem Sofa nieder. Den Kopf bettete er auf der Armlehne, streckte die Beine von sich und hietlt das Buch erhoben. Während er sich so in dieses Buch vertiefte, waren noch andere gekommen, die er keines Blickes gewürdigt hatte. Wie Schatten waren sie an ihm vorbeigezogen. Flüchtig und unscheinbar. Das Buch weckte Kandas Interesse. Es war spannend, intelligent und dennoch bezweifelte er, dass er bei der nächsten Gelegenheit erneut danach greifen würde. Für den heutigen Tag war es richtig, war es gut und doch würde Lesen nicht in seinen festen Tagesplan integriert werden. Er rückte sich zurecht, winkelte die Beine an und blätterte ein weiteres Mal um und schloss flüchtig die Augen. Auch, wenn er in der vergangenen Nacht halbwegs geschlafen hatte, seine Lider waren schwer und wurden durch das Lesen nur noch schwerer. So unterdrückte er auch ein Gähnen, legte das Buch kurz auf der Brust ab und reckte sich auf dem Polster. Wieder zog eine kleine Gruppe Finder an ihm vorbei und wie deutlich war ihnen anzusehen, dass sie einen solchen Anblick nicht erwartet hatten. Sie wirkten überrascht ob Kandas Treiben in der Lounge, doch letztendlich zogen sie schweigend an ihm vorbei und versuchten sich nichts ansehen zu lassen. Kanda rieb sich die Augen, das Gesicht und gerade wollte er wieder nach seinem Buch greifen, als er auf etwas aufmerksam wurde. Er öffnete die Augen, wandte den Kopf zur Seite und starrte Johnny an, der mit einer kleinen Kiste dort stand und ihn leicht unentschlossen ansah. Unbeteiligt erwiderte Kanda seinen Blick, tastete nach dem Buch, doch bevor er sich wieder darin vertiefen und sich zerstreuen konnte, erhob Johnny die Stimme. „Eh…“, hob er leicht unschlüssig an und kratzte sich am Kopf, „… hättest du vielleicht Lust auf eine Runde… Schach?“ Und sogleich hielt Kanda wieder inne. Seine Stirn legte sich in skeptische Falten, doch Johnny war noch nicht fertig. „In meinen Pausen tue ich nichts lieber als das und bin immer auf der Suche nach würdigen Gegner. Ich… ehm…“, nervös rückte er an seiner Brille, „… habe auch Lavi gefragt aber der hatte zu tun und meinte nur, dass ich es bei dir versuchen sollte.“ Tief atmete Kanda durch. Er bettete die Hand auf dem Buchrücken, blickte zur hohen Decke der Lounge auf. Johnnys Liebe zu diesem Spiel war allseits bekannt, doch seit es Suman nicht mehr gab, war er zumeist erfolglos auf der Suche nach Leuten, die sich bereit erklärten, es mit ihm aufzunehmen. Auch Kanda zögerte. Er schürzte die Lippen, betastete den glatten Buchrücken und es nahm einige Augenblicke in Anspruch, bis er sich aufrichtete und das Buch zur Seite legte. Sofort entfaltete sich ein Grinsen auf Johnnys Lippen und eilig ließ er sich auf einem Sessel nieder und rückte näher an den Tisch heran. Er hatte nicht mit Kandas Bereitschaft gerechnet, doch nun war die Freude darüber so groß, dass er es nicht hinterfragen würde. „Spielst du oft?“, erkundigte er sich heiter, während er den kleinen Kasten öffnete und das Spiel vorbereitete. Kanda rutschte auf dem Polster zurück, setzte sich in den Schneidersitz und verfolgte, wie Johnny liebevoll die Figuren postierte. Ein wirsches Brummen genügte diesem als Antwort. Lachend setzte er einen Bauern auf das Feld. Konzentriert starrte Kanda auf das Spielbrett. Den Ellbogen auf das Knie gestemmt und das Kinn in die Handfläche, saß er dort und schwieg. Eine angenehme Stille herrschte zwischen den beiden. Geduldig wartete Johnny auf Kandas Zug und auch an den beiden Findern, die bei ihnen stehengeblieben waren, störte man sich nicht. Neugierig und gespannt verfolgten die zwei das Spiel. Sie standen in Johnnys Rücken, stemmten sich auf die hohe Rückenlehne und kurz flüsterten sie miteinander, als sich Kanda den Mund rieb, die Hand nach dem Spielbrett ausstreckte und einen Bauern bewegte. Johnny grinste, rückte vor bis auf die Kante des Polsters und griff nach seinem Springer. Seit gut einer halben Stunde befassten sie sich nun mit einem einzigen Spiel und Johnny fand rege Freude darin. Sein Gesicht strahlte. Er genoss es, hier zu sitzen, genoss vor allem, dass er einen würdigen Gegner gefunden hatte und dieser reagierte diesmal so schnell auf seinen Zug, als hätte er ihn vorausgesehen. Nachdenklich verfolgte Johnny den Zug, eine Figur bewegte sich auf dem Brett und diesmal war er es, der grübeln musste. Er lehnte sich zurück, betrachtete sich das Spielbrett fast überfordert und auch Kanda zeigte Geduld, während er sinnierte und den nächsten Zug durchdachte. In seinem Rücken bewegten sich die Finder gespannt. Sie wechselten knappe Blicke und weder Johnny noch Kanda fiel auf, dass weitere Finder hängen geblieben. Hatten sie sich vorgenommen, an Kanda vorbeizuflüchten, blieben sie doch hinter dem Sofa stehen, stemmten sich auf die Lehne und waren aufmerksam. Es nahm einige Minuten in Anspruch, bis Johnny sich entschied und wieder reagierte Kanda sofort. Entspannt griff er nach der eigenen Dame, wechselte ihre Position und Johnny schluckte, als er realisierte, dass er in eine Falle getappt war. Wie auch immer er nun handelte, vermutlich ging es ihm bei Kandas nächsten Zug an den Kragen, doch er wagte es. Es handelte sich letztendlich ja nur um ein Spiel. Von Suman war er es gewöhnt, hin und wieder das Verlieren zu ertragen und bevor er sich versah, da geschah es auch schon. „Schach“, murmelte Kanda nach seinem Zug und leise seufzte Johnny auf. Er hatte befürchtet, dass Kanda ein guter strategischer Denker war. Immerhin war er von den beiden der Einzige, der regelmäßig auf dem Schlachtfeld stand, während sich Johnny hier im Hauptquartier in Sicherheit wiegte. Nun waren diesem die Hände gebunden. Ganz gleich, für welchen Zug er sich entschied, er konnte sich nicht retten und so kapitulierte er und verlor seinen König. Er seufzte zwar, doch griesgrämig war ihm nicht zu mute. Viel eher grinste er kurz darauf. „Revanche?“ Kanda zuckte nur mit den Schultern. Ihm schien es gleichgültig zu sein und Johnny wartete nicht, bis er sich vielleicht doch dagegen entschied. Er wischte die Figuren vom Spielbrett und begann sie neu aufzustellen. Dabei erfreute er sich einer herrlichen Laune. Er hatte bereits daran gezweifelt, jemanden zu finden und nun war es sogar Kanda. Ein Ding des Unmöglichen, das hier und jetzt dennoch reell wurde. Mit Beiläufigkeit bemerkte er, dass sich weitere Finder eingefunden hatten. Neugierig umringten sie die beiden, ließen sich auch von Kandas kritischen Blicken nicht verscheuchen. Und dann begann es auch shcon von Neuem. Johnny machte den Anfang, fest entschlossen, diesmal den Sieg zu erringen. Grinsend lehnte sich der junge Wissenschaftler zurück und Kanda begann mit seinen Zügen erst nach wenigen Minuten zu zögern. Es machte den Anschein, als hätte er mit seiner Konzentration zu ringen. Doch er mied keine Anstrengung und blieb seiner Pflicht als Gegner treu. Er bewegte sich auf dem Sofa. Den Blick stets auf das Spielbrett gerichtet, rieb er sich den Unterschenkel und rollte mit den Schultern. Angestrengte Grübeleien waren seinem Gesicht zu entnehmen, doch nach wenigen weiteren Momenten brach seine Aufmerksamkeit und seine Fixierung schmählich zusammen. Es war ein leises Ketschen, das für diese Ablenkung sorgte und Stirnrunzelnd drehte er sich um. Kauend und schmatzend langte Allen abermals in die Süßigkeitentüte. Er stand direkt hinter Kanda und hob die Brauen, als er genervt gemustert wurde. Erwartungsvoll erwiderte er Kandas Blick und dieser wandte sich unter einem leisen Stöhnen wieder ab. Er kehrte Allen den Rücken, versuchte das Ketschen aus seiner Wahrnehmung zu drängen und machte seinen Zug. „Gewonnen“, stieß Johnny nach wenigen weiteren Minuten aus und streckte sich behaglich. Es war ein knapper Sieg und dennoch hatte er ihn errungen und während er sich freute, war Kanda eine gewisse Nachdenklichkeit anzusehen. Er rümpfte die Nase, blickte zur Seite, als sich Allen kauend neben ihm über die Rückenlehne neigte. Staunend spähte er auf das Spielbrett, versenkte die Hand wieder in der Tüte und steckte sich das nächste Gummitier in den Mund. Behaglich begann er zu kauen und wurde erst abgelenkt, als noch jemand neben ihm auftauchte. Die leichte Brise eines zarten Parfüms erreichte ihn und kurz darauf trat Linali zu ihm. Die zusammenstehende Masse hatte sie angelockt und selbst, als sie sich anschließend neben Kanda setzte, ließ sich dieser nicht stören. „Eine Runde noch“, entschied er sich und befreit lachte Johnny auf. Nun war Kanda erst richtig motiviert und sofort kümmerte er sich wieder um die Figuren. „Ich hab dieses Spiel noch nie verstanden.“ Seufzend machte Linali es sich bequem, während Kanda sich eine Strähne hinter das Ohr strich und sich bereit machte. „Mir ist es zu langweilig“, machte auch Allen auf sich aufmerksam und lugte in die Tüte hinein. Er hatte sich gegen das Rückenpolster gelehnt und fischte nach einem bestimmten Gummitier. „Ich esse lieber.“ Kanda kam nicht um ein leises Stöhnen, doch letzten Endes fehlte ihm die richtige Stimmung, um sich mit dem Weißhaarigen anzulegen. Sonst immer gerne und jederzeit, doch hier und jetzt war er nur auf dieses Spiel konzentriert und dieses begann sofort. Diesmal ging Kanda vorsichtiger vor. In seinem Kopf häuften sich Strategien, häuften sich Lösungswege und mögliche Fallen, die er seinem Gegner spielen konnte. Das einzige, was fehlte, war die Sicherheit, dass Johnny ihm entgegenspielte und letztendlich sich selbst in seine Hände. Tiefe Grübeleien gingen zum erneuten Mal jedem Zug voraus. Leise flüsterten die Finder miteinander, mit großen Augen sah Linali von Kanda zu Johnny und Allen war eine Weile damit beschäftigt, sich mit der Zunge die klebrigen Reste aus den Zahnwinkeln zu pulen. Er war weniger aufmerksam und so war er der erste, der einen weiteren Gast ersoähte. In bequemen Schlappen und in der Hand eine dampfende Tasse Kaffee trödelte Komui näher. Auch er musste sich aus dem Büro gestohlen haben und neugierig geworden sein. Flüchtig hob Allen eine Hand zum Mund und half etwas nach, während Komui bei der Gruppe zum Stehen kam und sich einen Weg in die erste Reihe bahnte. Kanda blickte nicht auf. Nur Johnny grüßte den Abteilungsleiter mit einem Grinsen. „Na hoi?“ Komui machte große Augen. Kanda bewegte unterdessen einen Springer. „Bin ich hier der einzige, der ordentlich arbeitet?“ Stirnrunzelnd blickte Linali auf. „Hattest du nicht vor wenigen Minuten noch einen ganzen Stapel, den du bearbeiten wolltest?“, flüsterte sie leise und ihr Bruder lachte ertappt auf. „Ach, der.“ Er kratzte sich im Haar. „Was soll’s… das kann River genauso gut wie ich.“ „Der Arme“, leistete Allen seinen Beitrag. „Willst du ein Gummitier?“ „Hm? Nein, danke.“ Komui winkte ab. Das Spiel ging unterdessen weiter. „Um was geht es hier?“, wollte Komui weiter wissen. Von Kanda blickte er zu Johnny und anschließend auf das Spielbrett. „Nur um Spaß“, murmelte Johnny konzentriert zurück und rieb sich grüblerlisch das Kinn. „Nur um Spaß.“ „Ihr wettet um gar nichts?“ Komui richtete sich auf, nippte an seiner Tasse. „Dabei macht es doch viel mehr Spaß, wenn man eine peinliche Wette am Laufen hat.“ „Was meinst du mit ‚peinlich‘?, wollte Linali wissen und auch Allen war sofort aufmerksam. „Ich weiß nicht.“ Komui seufzte leise auf. „Johnny und Suman haben einmal darum gespielt, Jerry einen halben Tag auszuhelfen.“ Johnny grinste bei dieser Erinnerung, ohne die Augen vom Spielbrett zu lösen. „Daran kann ich mich auch erinnern.“ Allen verzog den Mund. „Johnny hat eines meiner Tabletts fallen gelassen und ich musste ganz furchtbar hungern.“ „Also bitte.“ Kritisch lugte Linali zu dem Weißhaarigen. „Was war denn mit den anderen drei?“ „Was war das schon?“ „Schachmatt.“ „Nein!“ Unter einem schmerzhaften Zischen fuhr Johnny in die Höhe und raufte sich die Haare. Er biss die Zähne zusammen, schüttelte sich, während unter den Findern ein verhaltenes Klatschen ausbrach. Es war plötzlich passiert und erst jetzt bemerkte Johnny die Falle, die ihm gestellt worden war. So schnell hatte Kanda selbst bei dem ersten Spiel nicht gewonnen. Beim zweiten nicht einmal so schnell verloren. Linali staunte, Komui schlürfte seinen Kaffee und Allen begann wieder zu kauen, während sich Kanda zurücklehnte und nun doch zufrieden mit sich zu sein schien. Er nickte in sich hinein, stand im nächsten Moment jedoch schon auf. Es war der richtige Zeitpunkt für ihn, um sich zurückzuziehen. Weiterhin wollte er sich dieser Masse nicht ausliefern und man ließ ihn gerne gehen, als er knapp und verabschiedend die Hand hob und davonschlenderte. Ächzend stemmte Lavi die Bücher höher, bog um eine Ecke und sah das rettende Ziel endlich vor sich. Er neigte sich am Bücherstapel vorbei, raffte diesen erneut höher und begann nachzudenken, wie er mit der kommenden Klinke fertig werden sollte. Ein leises Stöhnen entrann ihm, als er sich der Tür der Wissenschaftsabteilung auch weiterhin näherte. Wie genoss er es, als Lieferbursche ausgenutzt zu werden, während Bookman herumsaß und Tee trank. Aber es war nun einmal das Leben eines Lehrlings. Schwer atmend blieb er dann stehen, begann sich zu regen und drängte die Klinke letztendlich mit dem Ellbogen hinab. Die Tür aufzuziehen war hingegen schon schwerer und was für ein Glück hatte er, dass ihm ein Weißkittel entgegenkam. Dankend schob er sich an ihm vorbei und suchte sich den erstbesten Tisch, um seine schwere Last loszuwerden. Erleichtert stellte er den Stapel an, trat zurück und rollte mit den verspannten Schultern. „Er hat mich mit 12 Zügen fertig gemacht“, vernahm er da Johnnys Lachen und wandte sich um. „Ich hätte nicht gedacht, dass Kanda so gut spielt.“ „Kanda?“ River wunderte sich und auch Lavi hob die Augenbraue, konnte sich nur als überrascht bezeichnen, doch gleichsam befiel ihn auch ein gewisser Stolz, verbunden mit einer gewaltigen Erleichterung. Das, was er hörte, zeugte davon, dass sich Kanda nach seiner Bitte richtete und sich nicht in seinem Zimmer verkroch. Er hatte sich also unter die Menschen gemischt. Lavi kam nicht um ein Grinsen, als er sich umdrehte und zur Tür zurückkehrte. „Ich werde ihn in den nächsten Tagen fragen, ob er nochmal mit mir spielt“, drang Johnnys Stimme noch zu ihm, als er die Abteilung verließ. „Würdige Gegner sind schwer zu finden.“ Schmunzelnd schloss Lavi die Tür hinter sich, rieb sich die Hände und machte sich auf den Weg zurück zu Bookman. Sie hatten sich heute in der Bibliothek niedergelassen. Sie befassten sich mit Nachforschungen und da war es immer praktisch, nahe an der Quelle zu sein. Der Rothaarige unterdrückte ein Gähnen, als er wieder durch die steinernen Gänge schlenderte. Er war müde und konnte diese Tatsache nicht verbergen. Das geschah einfach, wenn man stundenlang las und auch Bookman schien ihm seinen Zustand anzusehen, als er wenige Momente später wieder bei ihm eintraf. Umgeben von Büchern, hatte sich Bookman an einem abgeschiedenen Tisch niedergelassen. Flüchtig blickte er auf, blätterte um und runzelte die Stirn. „Räum deine Bücher weg und dann kannst du gehen“, erhob er dann die Stimme und wieder konnte sich Lavi nur als verblüfft bezeichnen. Er stand dort, als würde er seinen Ohren keinen Glauben schenken. „Wie kommt’s?“, wollte er dann auch wissen und Bookman griff nach seinem Tee und umschloss die Tasse mit beiden Händen. Noch immer drifteten seine Augen währenddessen über die Zeilen. „Ich habe lediglich nicht vergessen, dass du derzeit eine weitere Pflicht verfolgst“, murmelte er leise und hob die Tasse zu den Lippen. „Heute brauche ich dich nicht mehr.“ „Als ‚Pflicht‘ würde ich das nicht bezeichnen.“ Entspannt schloss Lavi das Buch, mit dem er bis vor kurzem gearbeitet hatte. „Es macht mir schon Spaß, auch, wenn es schwer ist.“ „Hrm.“ Bookman blickte nicht auf. „Und ob du es glaubst oder nicht, wir machen Fortschritte.“ Diesmal reagierte Bookman gar nicht. Wieder einmal war ihm seine Unzufriedenheit anzusehen und Lavi ging, bevor sich diese in Worten manifestierte, die später bereut wurden. *tbc* Kapitel 23: ~13~ ---------------- Wenn auch zögerlich offensichtlich skeptisch, langsam ging Kanda in die Knie und ließ sich Lavi gegenüber nieder. Sie hatten sich zurückgezogen an einen Ort, den Kanda oft aufgesucht hatte. Es handelte sich um einen abgelegenen, stillen Raum, in welchem er oft Stunden mit seinen Meditationen zugebracht hatte. Ein Ding, zu dem er derzeit nicht mehr fähig war und als er sich bequem setzte, schnellte sofort die kritische Frage in ihm hoch, was Lavi nun mit ihm vor hatte. Beinahe problemlos hatte er ihn gefunden und ihn gebeten, ihm zu folgen. Zielstrebig hatte er ihn hierher geführt und nun saßen sie sich gegenüber. Lavi fiel es schwer, dabei Kandas Mimik zu deuten. Es grenzte an Argwohn sowie auch an einer gewissen Erwartung, die in Kandas dunklen Augen funkelte und Lavi wich diesem stechenden Blick vorerst aus. Es war wichtig, dass er in diesen Momenten ruhig und entspannt blieb. Ebenso hatte er eine Sicherheit zu zeigen, die Kanda derzeit nicht innewohnte und so ließ er sich Zeit auf der Suche nach den Notizen, die er sich gemacht und mitgebracht hatte. Lange hatte er geforscht und sich informiert, bevor er Kanda aufsuchte. Die Bücher im Krankenflügel und bei den Therapeuten waren ihm dabei eine große Hilfe gewesen und wie neugierig war er darauf, inwieweit Kanda fähig war, sich auf dieses neue Gebiet einzulassen. Er räusperte sich, als er mehrere Blätter hervorzog und sie ruhig auseinanderfaltete. Kanda verfolgte währenddessen jede Regung und starrte auf die Blätter, als wären sie die Vorboten der Apokalypse. „Also.“ Lavi ließ die Notizen sinken und wandte sich direkt an seinen Gegenüber. „Ich habe mir vorgenommen, dafür zu sorgen, dass du heute Nacht endlich mal wieder ordentlich schläfst.“ Kandas Stirn legte sich in kritische Falten, doch das entsprach seinen Erwartungen, weshalb er nicht darauf einging. Er regte sich flüchtig auf den bequemen Bastmatten, setzte sich gemütlich in den Schneidersitz. „Dazu habe ich zwei Entspannungsübungen herausgesucht.“ Er fuchtelte mit den beiden Blättern, spürte noch immer diesen stechenden Blick. „Es ist wichtig, dass du mir jetzt vertraust und tust, was ich dir sage.“ Kanda wandte den Blick ab. Grübeleien waren ihm anzusehen und Lavi hoffte, dass es sich dabei nicht um eine Vertrauensfrage handelte. Er hatte für sich angenommen, diesen Punkt bereits hinter sich zu haben. Er schloss den Mund, presste die Lippen aufeinander und verfolgte, wie Kanda durchaus unentschlossen an den Matten kratzte. Wenn Motivation vorhanden war, so war er ein Meister darin, diese Tatsache zu verbergen. Jetzt war es Lavi, der voller Erwartungen war. „Yu?“, fragte er leise und beugte sich leicht nach vorn. „Vertraust du mir?“ Aus den Augenwinkeln richteten sich Kandas beinahe schwarze Augen auf den Rothaarigen zurück und einige Momente vergingen in Schweigen. „Was ist das für eine Entspannungsübung?“, erkundigte er sich dann leicht murrend. „Ich bin nicht verspannt.“ Es geschah genau das, was Lavi befürchtet hatte und Kanda hob die Brauen, als er seufzend in sich zusammensank. „Natürlich bist du verspannt.“ Er rieb sich die Stirn, atmete tief durch. „Das sieht man schon an deinem Gang. Die ziehst die Schultern zusammen und versteckst den Kopf zwischen ihnen. Außerdem siehst du ausschließlich immer aus, als wärst du vor irgendetwas auf der Flucht, wenn du unterwegs bist.“ Ihm stand nicht der Sinn danach, darüber zu diskutieren. Leicht mürbe sah er Kanda von unten an. „Du hast gesagt, dass du bereit bist, mit mir zu arbeiten und stellst dich schon gegen den ersten Schritt, den ich machen möchte?“ Die Worte schienen Kanda zu treffen. Eine schmerzhafte Ladung Wahrheit prallte ihm entgegen und mürrisch starrte er auf die Matten zurück. Was auch immer er sagte und wie auch immer er reagierte, Lavi wusste, dass eine nicht zu unterschätzende Masse aus Angst und Misstrauen mitschwang. Woher sollte Kanda auch gelernt haben, sich auf andere zu verlassen? Eine Art, die er auch nicht gerade auf dem Schlachtfeld praktizierte. Er war stets sich selbst am nächsten gewesen, hatte niemanden gebraucht und Lavi verstand sehr wohl, wie schwierig und schmerzhaft es sein musste, sich einzugestehen, dass es von nun an nicht mehr der Fall war. Er hatte sich von sich selbst entfernt. Vertrauen konnte er sich nun nicht einmal mehr selbst. Und Lavi war derjenige, der diese Tatsache sah und versuchte, mit ihr umzugehen. Auch, wenn es kompliziert war, zumindest er war fest entschlossen und tat sein Bestes, dieses Gefühl auf Kanda übergehen zu lassen. So entschied er sich dazu, einfach anzufangen. „Also.“ Er richtete sich auf. „Leg oder setz dich so hin, wie es dir angenehm ist.“ „Wieso?“ Es schien so, als… ja, vermutlich hatte Lavi falsch angefangen und so nahm er sich diese verständnislose Frage nicht zu Herzen. Er blieb ruhig und begann einfach zu lesen. „Bei den Übungen werden einzelne Muskelgruppen für kurze Zeit angespannt und dann willentlich entspannt. Bei der mit der Ausatmung erfolgten Entspannung soll alle Spannung im aktivierten Muskel abgebaut werden.“ Er blickte kurz auf, prüfte, ob Kanda aufmerksam war, doch es machte den Anschein, also las er weiter. „Den Unterschied zum Zustand der Anspannung sollte man spüren. Wichtig ist, während der gesamten Übung ruhig weiter zu atmen und sich auf die jeweilige Muskelgruppe zu konzentrieren." „Hm.“ Und endlich. Kanda begann sich zu regen. Wenn er es auch zögerlich tat, er drehte sich und erleichtert verfolgte Lavi, wie er sich sinken ließ und sich niederlegte. Schließlich schien er sich dem doch zu öffnen und aufmerksam rückte Lavi um ein Stück zurück. Er befürchtete, dass es Kanda die Entspannung und die Konzentration kosten würde, wenn er ihm zu nahe war und wirklich, mit einem knappen Blick schätzte Kanda die Distanz ein, schien sie für gut zu befinden und zog sich das Band aus dem Haar, um den Hinterkopf ablegen zu können. „Okay.“ Kurz überblickte Lavi seine Notizen, suchte die richtige Stelle. „Ich sage dir jetzt, was zu tun ist. Versuch dich danach zu richten. Ich denke, diese Übung wird dir wirklich helfen.“ „Hm.“ Es klang nicht so recht überzeugt, doch Lavi wusste schon zu schätzen, dass sich Kanda überhaupt hingelegt hatte. Er befeuchtete die Lippen flüchtig mit der Zunge, senkte die Stimme zu einem Flüstern und auch, als er Kanda bat, die Augen zu schließen, tat es dieser. Er blinzelte mehrmals, Lavi konnte sehen, dass er tief Luft holte, doch kurz darauf lag er wirklich vor ihm. Wie erbeten, bettete er die Arme neben seinem Körper auf der Matte, streckte die Beine von sich. Angenehme Stille umgab sie, als sie sich nun dieser Übung hingaben. „Versuch an nichts zu denken“, erhob Lavi leise die Stimme und lauschte in die Lautlosigkeit hinein. Nur leise drang Kandas Atem zu ihm. „Konzentriert dich voll und ganz auf meine Stimme. Blende alles aus, was dich ablenken könnte.“ Eine flüchtige Regung ging durch Kandas Gesicht, bevor es sich wieder entspannte. Konzentriert musterte Lavi ihn. Er wusste nicht, wie belastend und penetrant die Bilder dessen waren, was ihm zustieß. Ob er vor seinem geistigen Auge all jenes sah, was geschehen war. Ob er es wieder spürte, das alte Leid erlebte… Wenn dies der Fall war, so zeigte er eine Stärke, die an das erinnerte, was er einst war und wieder werden wollte. Er blieb liegen, ein geräuschvoller Atemzug drang über seine Lippen und zufrieden nickte Lavi in sich hinein. Er hatte sich alles aufgeschrieben, er hatte sich vorbereitet und dennoch war er nervös. Der Terapeut, mit dem er flüchtig gesprochen hatte, hatte ihm das Buch, welches davon handelte, mit Nachdruck empfohlen und so legte Lavi Vertrauen in das, was er nun vor sich hatte. Es machte nun auch den Eindruck, dass er beginnen konnte und so begann er mit langsamer, ruhiger und leiser Stimme zu lesen. „Balle langsam die rechte Hand zur Faust… spann dabei die Muskeln der rechten Hand des rechten Unterarmes an.“ Flüchtig blickte er auf und wirklich… Kandas Hand ballte sich zur Faust. „Halte die Spannung für zehn Sekunden und lass dann plötzlich locker.“ Und Kanda fügte sich. Er fügte sich dem, was Lavi vorlas, entspannte den Arm nach der vorgegebenen Zeit und tat anschließend dasselbe auch mit dem anderen. Es war irgendwie eine angenehme Atmosphäre. Es gab nichts… kein Laut. Nicht einmal das Ticken einer Uhr und Lavi baute eine zehnsekündige Pause ein, bevor er sich dem nächsten Schritt zuwandte. Dieser bezog sich auf das Gesicht und aufmerksam verfolgte er, wie Kanda die Stirn runzelte, die Augenbrauen verzog und auch diese Bewegung aufrecht erhielt, um sie nach jenen Sekunden wieder zu lösen. Die Übungen, die Lavi sich herausgesucht hatte, bezogen sich auf den gesamten Körper. Kein Glied würde er vergessen, keine Muskelpartie und entspannt wandte er sich hinterher den Augen zu. Er las es vor und Kanda ließ sich Zeit. Möglicherweise empfand er es als angenehm, dortzuliegen und flüchtig tat er auch nicht viel mehr, als das, bevor er die Lider fest schloss, mir den Augäpfeln rollte und auch diese Muskeln schließlich wieder entspannte. Sie ließen sich Zeit, ließen sich nicht hetzen und gerne schwieg Lavi für weitere Momente, bevor er sich den Notizen zuwandte. „Drück den Kopf möglichst fest auf den Untergrund“, murmelte er leise und betrachtete sich flüchtig die langen schwarzen Strähnen, die sich über die Matte schlängelten. „Und entspanne die Nackenmuskulatur wieder.“ Eine bequeme Regung ging durch Kandas Körper, als er auch diesen Worte Folge leistete. Mit jedem Körperteil verfuhr Lavi gleich. Er bat um Anspannung und stets auch darum, diese zu halten. Die Schultern… Die Arme… Der Rücken… Die Beine… Bequem stemmte Lavi den Ellbogen auf das Knie und das Kinn in die Handfläche. Leise hatte er die Zettel vor sich abgelegt und schenkte Kanda nunmehr keine Aufmerksamkeit mehr. Seine Konzentration legte sich einzig und allein auf das Lesen und auch darauf, die Stimme nicht zu schnell zu erheben, auch nicht zu laut. Mit allen Mitteln wollte er die enstpannte ruhige Atmosphäre aufrecht erhalten. Er verließ sich darauf, dass Kanda seinen Worten folgte und dass es in diesen Augenblicken nichts anderes in seinem Kopf gab. So verging die Zeit und Lavi könnte nicht sagen, wie lange er nun schon neben Kanda saß, als die letzte An- und Entspannung stattfand. Es handelte sich um die Füße. Lavi bat darum, die Zehen dem Schienbein entgegenzustrecken, anschließend auch gen Boden, bevor sich auch die Muskeln der Wade wieder lockern konnten. Fast wurde Lavi selbst ein wenig müde, als er zum nächsten Punkt kam. Er blickte auf, behielt das Kinn in die Hand gestemmt und musterte flüchtig und schweigend Kandas Gesicht. Es wirkte entspannt, nicht mehr so unruhig wie zu Beginn der Übung und ein knappes, unauffälliges Lächeln formte seine Lippen, als er zu den Zetteln zurückblickte. „Jetzt konzentriere dich auf deinen Atem“, flüsterte er. „Atme aus, atme ein und zähle jedes Mal bis zehn.“ Auch dafür ließ er sich Zeit. Bemerkbar hob sich Kandas Brust, senkte sich auch wieder und Lavi ließ es ihn fünfmal wiederholen, bevor er erneut die Stimme erhob. „Jetzt öffne die Augen“, meinte er leise und richtete sich auf. „Und streck dich, wenn dir danach ist.“ Kanda schien es damit nicht eilig zu haben. Weitere Momente blieb er still liegen, bis er zu blinzeln begann und seine dunklen Augen wieder zum Vorschein kamen. Er blickte zur Decke des Zimmer auf, sein gesamter Körper begann sich zu regen und er streckte sich wirklich, als wäre er soeben aus dem Tiefschlaf aufgewacht. Er streckte die Arme von sich, krümmte den Rücken und wirkte durchaus zerpflückt, als Lavi ihn letztendlich darum bat, sich aufzurichten. Was ihn anging, er war zufrieden mit sich und ebenso mit dem, was er sah. Kanda rieb sich die Augen, kurz wirkte es, als würde er ein Gähnen unterdrücken und auch die Art und Weise, wie er Lavi daraufhin ansah, erschien etwas trübe… müde. Lavi lächelte. „Wie fühlst du dich?“, erkundigte er sich sofort in der alten Tonlage und vorerst drang nur ein Räuspern an seine Ohren. Es war offensichtlich, dass die Übung nicht am Ziel vorbeigeschrammt war und ebenso, dass es Kanda schwerfiel, dies zuzugeben. Sich einzugestehen, dass etwaiger Argwohn einfach nicht angemessen gewesen war. Schlussendlich starrte er auch lieber an Lavi vorbei. Dieser lächelte erneut, als er den zweiten Zettel hervorzog. Schweigend überblickte er ihn, las sich durch, was er sich aufgeschrieben hatte, doch mit einem Mal machte er den Anschein, selbst nicht mehr ganz so entschlossen zu sein. Eine zweifelnde Regung ging durch sein Gesicht und fast vorsichtig blickte er dann auf und Kanda an. „Ich…“, hob er an, „… habe noch eine Übung.“ Er räusperte sich, juckte sich flüchtig im Schopf. „Aber ich verstehe, wenn du diese nicht machen möchtest. Es…“, er suchte nach Worten, „… war auch nur so eine Idee. Meinetwegen können wir die Übung auch später machen, wenn du…“ „Um was geht es denn?“, unterbrach Kanda ihn unerwartet und leise zischte Lavi auf, bevor er das Auge wieder an das Blatt Papier nagelte. „Es geht um eine Partnerübung“, erwiderte er mit der alten Unsicherheit. „Sie… basiert auf… Berührungen.“ „Was für Berührungen?“ Kanda schien zu seinem alten Argwohn zurückgekehrt zu sein, doch diesmal hatte er jedes Recht dazu. Lavi war sich ja selbst nicht sicher. „Na ja…“, er druckste herum, „… ich müsste deine Handgelenke berühren… und deinen Rücken…“ Vorsichtig blickte er auf und fühlte sich dennoch nicht ernüchtert, als Kandas Gesicht Bände sprach. Die Tatsache, dass es ihm unangenehm wäre, war deutlich sichtbar. „Wenn du es nicht willst…“ „Ich will es nicht.“ Eine deutliche Ansage und nickend nahm Lavi das Papier an sich und faltete es wieder zusammen. „In Ordnung… überspringen wir das.“ Er machte sich nicht viel daraus, gestand sich ein, wie er sich gewundert hätte, wäre Kanda dazu bereit gewesen, ihn an sich heranzulassen. Vermutlich war es wirklich überstürzt… nicht sonderlich gut durchdacht und dennoch war Lavi mit seinem Latein noch nicht am Ende. „Dann kommen wir zum übernächsten Schritt“, meinte er lächelnd und verstaute das Papier in seiner Hosentasche. Und wieder erinnerte er sich an das, was er gelesen hatte. „Der Körper giert ganz automatisch nach Schlaf, wenn die Kraftreserven allesamt aufgebraucht sind, also tob dich aus und tu etwas, das dich entkräftet, denn auch, wenn du es nicht glaubst, du bist noch nicht erschöpft genug.“ Es mochte seltsam klingen und Kanda runzelte auch sofort die Stirn. Die Worte richteten sich entgegen dem, was er spürte und dennoch nickte er kurz darauf. Wie er seine Kräfte erschöpfen konnte, das wusste er sofort und gemeinsam kamen sie auf die Beine. Geschickt tauchte Kanda unter einem Ast durch, sprang über ein Hindernis des Waldes und sprintete weiter. Seit nun mehr als einer Stunde joggte er durch den Wald, der die schwarze Festung umgab. Das Haar haftete bereits im Schweiß seiner Stirn, hin und wieder gerieten seine Schritte ein wenig ins Schlingern und dennoch rannte er weiter. Er zog durch das Meer aus Stämme, folgte einem blinden Pfad und nahm es mit einer Steigung auf. Konzentriert achtete er darauf, nicht auszurutschen, setzte über dicke, über den Boden wuchernde Wurzeln hinweg und lief sich keuchend aus. Seine Beine waren bereits wie Gummi, seine Lunge brannte und doch blieb er nur kurz stehen. Er konnte noch, er musste noch weiter und so lief er wieder an, strich durch ein Gebüsch und joggte in dem ihm eigenen Tempo über eine kleine Lichtung. Seine Füße fanden guten Halt auf dem Boden und leicht sanken sie ins Moos des Bodens ein, als er weiterhin durch das Dickicht eilte. Ausdauerübungen wie diese, hatte er sich oft hingegeben. Mehrmals hatte er auch mit Mugen in diesem Wald trainiert und so kannte er jede Stelle. Schwer und dumpf raste das Herz in seiner Brust, als er den Wald verließ und an der Außenmauer des Ordens entlanglief. Er musste die Festung nun schon mehrmals umrundet haben und nach einer weiteren kapitulierte er. Er erreichte einen streng bewachten Hintereingang, lief sich keuchend aus und stemmte sich auf die Knie. Lavi hatte es sich an der Mauer gemütlich gemacht und kam nun zufrieden auf die Beine. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Kanda noch soviele Kräfte innewohnte. Bei weitem eher hatte er ihn hier erwartet und äußerst zufrieden musterte er die zusammengesunkene, erschöpfte Haltung seines Gegenüber. Die letzten Kräfte schienen nun endlich aufgebraucht und dennoch nahm sein Plan damit noch immer nicht sein Ende. Ein herrlicher Geruch zog den beiden entgegen, als sie dann die Speisehalle betraten. Auch das gewohnte Bild erwartete sie. In den frühen Abendstunden hatten sich viele eingefunden, um ihren Hunger zu bekämpfen. Wissenschaftler, Finder… sie alle hatten sich hier eingefunden und unauffällig wurden die beiden von vereinzelten Blicken verfolgt, als sie zum Tresen traten. Es geschah selten, dass Kanda nicht alleine diesen Ort betrat. Stets hatte er es alleine getan und umso irritierender wurde es, dass er Lavi an seiner Seite akzeptierte, zumal im Grunde jeder über Kanda und seine Eigenarten Bescheid wusste. Lächelnd erreichte Lavi die hölzerne Theke, lehnte sich seitlich dagegen. „Iss einfach das, was dir am meisten schmeckt“, wandte er sich dann an Kanda. „Du musst nicht aufessen aber es ist heute verdammt wichtig, dass du überhaupt etwas in den Magen bekommst.“ In diesem Moment schwang die Tür der Küche auf und galant schwebte Jerry hinaus. Er schien sich bester Laune zu erfreuen und begrüßte die beiden bekannten Gesichter lächelnd. „Ich wünsche euch einen herrlichen Abend, meine Herren.“ Seufzend stemmte er sich auf den Tresen. „Womit darf ich eure Gemüter beglücken?“ „Ich hätte Appetit auf eine Suppe“, grübelte Lavi laut und das schien gar kein Problem zu sein. Jerry stemmte denn Ellbogen auf den Tisch, das Kinn in die Hand und somit wandte er sich an Kanda. Dieser schien nicht sonderlich angetan von Lavis Worten. Unentschlossen stand er dort und es brauchte seine Weile, bis er sich entschied. Sofort eilte Jerry in die Küche zurück und Lavi und Kanda blieben stehen. „Was hat richtig essen mit schlafen zu tun?“, erkundigte sich Kanda nach wenigen Momenten bitter und verschränkte die Arme vor dem Bauch. „Wenig“, gab Lavi zu. „Es ist trotzdem wichtig, damit dir Energie zur Verfügung steht, wenn du wieder aufwachst.“ Er lächelte ihm zu und sofort wandte Kanda das Gesicht ab. Noch immer gab es keinen Hunger in ihm. Nicht einmal Appetit verspürte er, doch er war bereit, sich auch auf diese Sache einzulassen. Letztendlich blieb ihm keine andere Möglichkeit und dennoch saß er wenige Minuten später unentschlossen vor seiner Nudelsuppe, während Lavi bereits schlürfte und es sich schmecken ließ. Kanda rückte auf der Bank herum, starrte auf die Schale und seine Mimik zeugte von einer gewissen Überwindung, bevor er nach den Stäbchen griff, die Schale zum Mund hob und zu essen begann. Er zwang sich, er überwand etwaige Abneigung und fühlte sich nicht sonderlich wohl, als er die leere Schale nach einer schier unendlichen Zeit sinken ließ. Lavi schlürfte unterdessen schon an seiner zweiten Suppe. Auch Linali hatte sich bei ihnen niedergelassen. So saßen sie friedlich beieinander, doch Kanda und Lavi verabschiedeten sich bald. Das, wofür sie hergekommen waren, hatten sie getan und als sie wieder im Gang standen, wandte sich Lavi sofort an Kanda. „Ich denke, wir haben heute große Fortschritte gemacht“, meinte er zuversichtlich. „Bitte mach die Entspannungsübung noch einmal, bevor du dir bei Jerry den Baldriantee abholst. Und dann legst du dich hin und versuchst zu schlafen.“ Und Kanda nickte. Was ihn anbelangte, so, wie er nun dreinblickte, fand Lavi seine Zuversicht begründet. Er konnte sich hier und jetzt von Kanda verabschieden, ohne sich Vorwürfe zu machen. Ganz sicher würde Kanda heute Nacht besser… oder überhaupt schlafen. Der Tag war getan, war voll und ganz ausgeschöpft worden und Lavi kam nicht um ein Lächeln, als er sich verabschiedete und sich auf den Weg machte. Auch er würde sich nun hinlegen. Er wusste nicht, was ihn morgen erwartete, doch es war niemals falsch, sich mit Schlaf zu stärken und so legte er sich nieder, atmete tief durch und schloss die Augen. Es handelte sich diesmal um eine Nacht, die Lavi nicht mit ungesundem Halbschlaf und unendlichen Sorgen hinter sich brachte. Er war völlig entspannt, er fühlte sich wohl… auch ein kleines bisschen stolz und innig streckte er sich, als er am nächsten Morgen in aller Frühe wieder zu sich kam. Bookman lag noch schnarchend im anderen Bett und so schlich sich Lavi leise hinaus. Auf den Fußballen trat er zur Tür, öffnete sie und verließ das Zimmer. Eine Dusche würde ihm nun gut tun und kaum hatte er sich diesen Luxus geleistet, da machte er sich auf den Weg zum Speisesaal. Er war dabei bei bester Laune, pfiff leise vor sich hin und blickte auf, als er den richtigen Gang erreichte. Er hob die Braue, verlangsamte seine Schritte flüchtig, nur, um sie kurz darauf wieder aufzunehmen. „Yu?“, erhob er die Stimme und sofort hielt dieser inne. Er hatte sich gerade aus dem Speisesaal gestohlen und wandte sich Lavi zu, als ihn dieser erreichte. Der Rotschopf war dabei voller Erwartungen und Kanda sah das alte Grinsen, als er gemustert wurde. Und Lavi fühlte sich nur bestätigt. Kanda sah… besser… aus. Nicht mehr ganz so blass, nicht mehr ganz so abgekämpft und die Tatsache, dass er im Speisesaal gewesen war, musste wohl bedeuten, dass er sogar etwas zu sich genommen hatte. „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Lavi dennoch und Kanda schien kurz grübeln zu müssen, bevor er antwortete. „Es geht“, meinte er nur, doch es war offensichtlich, dass dies untertrieben war. Vermutlich fiel es ihm schwer, zuzugeben, dass Lavi Recht gehabt hatte und seine Ideen Früchte trugen. Aber das passte zu ihm, passte zu seiner Art und tat Lavis Zufriedenheit keinen Abbruch. „Wollen wir uns in einer Stunde treffen?“, erkundigte sich dieser sogleich. „Es gibt noch eine andere Übung, die ich gerne mit dir machen möchte.“ „Können wir tun.“ Und wieder fühlte sich Lavi bestätigt. Dass Kanda so rasch zustimmte, hatte ebenso etwas zu bedeuten und so betrat er die Speisehalle kurz darauf noch immer mehr als zufrieden. Bei Jerry besorgte er sich ein ausgewogenes Frühstück, suchte sich einen bequemen Platz und ließ es sich schmecken. Er löffelte sein Müsli, strich sich die Brötchen und grübelte bereits über das, was nach dem Essen auf ihn zukam. Bewusst hatte er sich für eine Übung entschieden, die keinen Körperkontakt forderte. Kandas Abneigung dem gegenüber war am gestrigen Tag deutlich geworden und ebenso wenig wollte und konnte er ihn zu etwas zwingen. Plötzlich meldete sich sein Golem. Lavi spürte die Bewegungen in seiner Hosentasche und kauend zog er ihn hervor. Er war überrascht, hatte nicht damit gerechnet, dass Komui etwas auf dem Herzen hatte und doch wurde er zu ihm bestellt. „Komm bitte gleich“, waren Komuis letzte Worte und Lavi schluckte, als er einen ernsten Unterton in der Stimme des Älteren wahrnahm. Es schien dringend zu sein und wenn auch unwillig, er ließ sein Essen stehen, erhob sich von der Bank und verließ die Speisehalle. In zügigen Schritten machte er sich auf den Weg, wischte sich noch einen Krümel aus dem Mundwinkel und stopfte den Golem in die Hosentasche zurück. Seine Intuiton sagte ihm, dass es sich nicht um eine Mission handelte. Etwas Seltsames lag in der Luft und spätestens, als er die Wissenschaftsabteilung erreichte, bestätigten sich gewisse Befürchtungen, denn es war Kanda, der ihm entgegenkam und dasselbe Ziel zu verfolgen schien. Lautlos öffnete sich Lavis Mund und vorerst blieben sie vor der Tür stehen. Lavis Stirn legte sich in Falten und selbst Kanda war eine gewisse Unruhe anzusehen. Vermutlich hatte auch er Komuis Ernsthaftigkeit wahrgenommen, doch letztendlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Rest des Weges zu bewältigen. Sie gingen Seite an Seite, ließen die Wissenschaftsabteilung hinter sich und wurden sofort nähergewinkt, als sie Komuis Büro betraten. Dieser nippte flüchtig an seinem Kaffee, zog sich das Barett vom Kopf und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Verbissen versuchte Lavi in seinem Gesicht zu lesen, als er mit Kanda nähertrat. Dass ausgerechnet sie beide gerufen wurden… es gefiel ihm nicht und so ließ er sich nur stockend und unsicher auf dem Sofa nieder, während sich Kanda nur an die Armlehnte lehnte und die Arme vor dem Bauch verschränkte. Eine unangenehme Still lag im Raum, als sich Komui auf seinem Stuhl zurechtrückte. Er sah seine beiden Gäste vorerst nicht an, rückte an seiner Tasse und erweckte auch dadurch den Anschein, dass etwas nicht stimmte… ebenso, dass es sich um etwas handelte, dass er nur ungern aussprach. Und je mehr Zeit er sich ließ und je länger er zögerte, desto unruhiger wurde Lavi auf dem Sofa. Er rückte vor zur Kante, kreuzte die Beine, doch auch ein Blick zu Kanda brachte keine Abhilfe. Wenn dieser seine Unruhe teilte, so konnte er diese Tatsache beiweitem besser verbergen als Lavi. Dieser spürte, wie trocken seine Lippen waren und eilig befeuchtete er sie mit der Zunge, als Komui aufblickte. Mit ernster Miene sah er von Lavi zu Kanda, atmete tief ein und lehnte sich unter einem leisen Seufzen zurück. Kurz schien er nach den richtigen Worten zu suchen, betastete einen Federhalter und presste die Lippen aufeinander. „Ich wurde gerade von den Großmarshallen vorgeladen“, hob er dann endlich an und Lavi wurde jäh von noch schlimmeren Befürchtungen heimgesucht. Er schluckte, wollte weitere Worte hören ebenso so sehr wie er sich vor ihnen fürchtete. Komuis Blick lenkte sich nun vorrangig auf Kanda. „Sie haben sich nach dir erkundigt.“ „Wie bitte…?“ Lavi traute seinen Ohren nicht. Von Komui blickte er zu Kanda und zurück, doch sein Vorgesetzter hob die Hand, bat ihn, still zu sein. „Ich weiß nicht wie, doch es ist zu ihnen gedrungen, dass etwas nicht stimmt.“ Und Kanda schwieg. Mit denselben verschränkten Armen lehnte er dort, während sich Lavi entrüstet den Hals rieb. „Doch sie wissen Bescheid.“ „Was wissen sie?“, wollte Lavi sofort wissen und kurz sah es danach aus, als wolle Komui wieder nach seinem Kaffee greifen. Doch seine Hand lenkte sich kurzum lieber zurück zum Federhalter. Er hob ihn vom Schreibtisch, bewegte ihn zwischen den Fingern. „Sie wissen, dass ich Kanda nicht wegen einer Verletzung beurlaubt habe und erkundigten sich nach den wahren Gründen.“ Nachdenklich verfolgte Komui die Bewegungen des Federhalters und wieder konnte Lavi sich nicht zusammenreißen. Er war zu nervös, so voller Befürchtungen. Würden sie Kanda doch noch holen? Ihn seiner Obhut entreißen? Doch Komui wirkte nicht, als hätte er Hiobsbotschaften vor sich. „Natürlich wissen sie von deinem Sieg über den Noah“, wandte er sich direkt an Kanda. „Dass du dafür meine Befehle missachtest hast, habe ich ihnen verschwiegen, doch natürlich hakten sie nach.“ Komui warf Blicke in alle Richtungen, als vermute er Wanzen in seinem Büro. Argwöhnisch blickte er um sich. „Ich habe ihnen gesagt, dass du wegen Erschöpfungszuständen hierbleibst und natürlich bestanden sie sofort auf eine Untersuchung.“ Lavi konnte kaum noch still sitzen. Während sich Kanda verhielt, als ginge es nicht um ihn, rutschte er auf dem Polster herum und rieb die Hände aneinander. Er traf hier auf alles, was er befürchtet hatte, denn er wusste, dass es bei einer von den Großmarshallen angeordnete Untersuchung niemals bei der Untersuchung an sich blieb. Sie würden nachhaken, sie würden tief graben und am Ende auf jede Wahrheit kommen, die Komui so mutig vor ihnen verborgen hatte. Ihm war danach, etwas zu sagen, doch ein Blick von Komui genügte, dass das Wort in seinem Hals stecken blieb. „Doch auch dem können wir aus dem Weg gehen, wenn wir uns nach der Alternative richten, die die Großmarshalle uns gelassen haben.“ „Wie sieht diese Alternative aus?“, wollte Lavi sofort wissen, hielt sich jedoch noch von etwaiger Zuversicht fern. Es war gut möglich, dass diese Alternative noch schlimmer war, als die Untersuchung an sich. Komui atmete tief ein, stieß die Luft geräuschvoll aus und starrte auf seinen Tisch. „Uns bleibt nur eine einzige Möglichkeit, um die Dinge so zu wenden, wie es gut für uns ist“, meinte er anschließend leise und blickte wieder auf. Er musterte seine beiden Exorzisten nachdenklich. „Und diese Möglichkeit besteht darin, uns nach der Alternative zu richten.“ Lavi war danach, erneut nachzuhaken. Es war nicht zu ertragen, wie Komui sie auf die Folter spannte. Selbst aus Kandas Richtung war eine flüchtige Regung wahrzunehmen. „Ich…“, hob Komui an, „… muss Kanda wieder einspannen und erwarten, dass er die alten Leistungen erbringt.“ Und sofort stöhnte Lavi auf. Wie Kanda darauf reagierte, dem schenkte er keine Beachtung. Vielmehr ließ er den Kopf sinken, schüttelte ihn und rieb sich die Stirn. Kanda war noch nicht fähig, wieder auf Mission zu gehen! Er wusste es, wollte es jedoch nicht aussprechen, um die stolzen Gefühle seines Kameraden nicht zu verletzen. „Mir gefällt es auch nicht“, stellte Komui klar und ließ den Federhalter fallen, um sich direkt an den Langhaarigen zu wenden. „Die Entscheidung liegt trotzdem bei dir, Kanda. Entweder du lässt die Untersuchungen und die unendlichen Fragen über dich ergehen oder du gehst wieder auf Mission.“ Lavi wollte seinen Ohren nicht trauen. Natürlich musste Kanda in diesen Momenten innerlich aufjubeln. Ablenkung rief da nach ihm, etliche Wege, sich nicht mehr mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. Letztendlich lief es darauf hinaus, dass ihre gemeinsame Arbeit ins Stocken geriet und Lavi erwartete auch nicht, dass Kanda die alte Offenheit an den Tag legte, nachdem er ein oder zwei Missionen erfolgreich beendet hatte. Es waren einfach Tatsachen für Lavi und ehrlich gesagt, er stand nahe der völligen Verzweiflung, doch Komui war noch nicht fertig. „Dennoch habe ich noch einen gewissen Einfluss auf all das und das einzige, was mir übrig bleiben würde, wäre, euch gemeinsam auf eine Langzeit-Mission zu schicken.“ „Uns zusammen?“ Sofort wurde Lavi hellhörig, doch Kanda reagierte um einiges schneller, als er. „Ich akzeptiere“, meldete er sich zu Wort und natürlich war Lavi nicht verblüfft. Er schickte seinem Kameraden einen kritischen, missmutigen Blick und beließ es dabei. „Die Sache ist trotzdem nicht so einfach, wie sie scheint“, warf er dann ein und an Komui gewandt. „Ich dachte, wir hätten noch ein paar Tage, um in Ruhe miteinander zu arbeiten. Wie sollen wir dazu kommen, wenn wir auf Mission sind?“ Er wollte es nicht. Diese Möglichkeit gefiel ihm nicht und ebenso wenig wollte er einsehen, dass es keine Alternative gab. Die Großmarshalle hatten diese zwar gestellt und dennoch war es unmöglich, sich danach zu richten. Lavi wusste es. Dass er Kanda lange Zeit nicht wiedersehen würde, wenn man ihn wirklich zu den Untersuchungen bestellte. Selbstverständlich würden die Ärzte herausfinden, dass etwas im Argen lag und es würde lange dauern, bis sie daraufhin von Kanda ablassen würden. Er war verbittert, ehrlich frustriert und das unter anderem auch durch Kandas Reaktion. Der Japaner dachte einfach zu pragmatisch, ohne auf die eigenen Gefühle einzugehen. Daraus formte sich ein riesiger Stolperstein. Am Ende machten sie auf den Ballen kehrt und trieben zurück an einen Punkt, den Lavi schon längst hinter sich glaubte. Sie waren doch schon längst an ihm vorbeigezogen? Lavi fühlte sich zurückgeworfen. Gerade so, als würden seine bisherigen Mühen nicht das Geringste bedeuten. „Was soll ich machen?“ Komui wirkte so hilflos und auch das machte Lavi Angst. „Wir müssen uns nach den Großmarshallen richten. Ich habe schon genug Lügen erzählt, habe schon genug verschwiegen. So kann es nicht weitergehen.“ Natürlich… er hatte sein Versprechen gegeben, doch all das löste sich in Luft aus, wenn die Befehlsgewalt der Großmarshalle plötzlich eine Rolle spielte. Lavi presste die Lippen zusammen und starrte frustriert zu Boden. Kanda dachte nicht einmal daran, einen Widerspruch zu wagen. Vermutlich ging es darum nicht einmal um ‚wagen‘… vermutlich fehlte wirklich das Interesse an der gemeinsamen Arbeit. Vielleicht wollte er diese Möglichkeit auch nur für eine weitere Flucht nutzen. Mit den Befehlen der Großmarshalle wurde es ihm einfach gemacht. Lavi fühlte sich boykottiert. Nicht mehr, nicht weniger. Komui entging seine Frustration natürlich nicht. „Wenn ich euch beide nach einer Langzeitmission beurlaube, fällt das weniger auf“, versuchte er Lavi zu versöhnen. „Macht diese Mission und dann gebe ich euch noch ein bisschen Zeit, ja?“ „Du tust, als könnten wir es uns aussuchen“, murrte Lavi zurück und Komui zuckte mit den Schultern. „Es hat die Großmarshalle noch nie interessiert, was ihr Exorzisten denkt oder wollt. Weshalb sollten sie jetzt damit anfangen?“ „Ts.“ Kopfschüttelnd starrte Lavi auf seine Hände zurück. Er wusste es. Er hatte sich zu beugen und so versuchte er sich von noch mehr Frust loszueisen. Er durfte sich nicht in ihm verlieren. Viel eher benötigte er nun Kraft und Entschlossenheit, denn eine Langzeitmission hatte sich bislang noch nie als heiße Luft entpuppt. Umso ironischer war das, was Komui noch dazu zu sagen hatte. „Ich habe eine perfekte Mission für euch“, sagte er. „Ich denke, dass es sich um falschen Alarm handelt. Letzten Endes wird es wahrscheinlich nur darauf hinauslaufen, dass ihr euch einschleicht und Informationen sammelt, bis ihr euch sicher seid.“ Seufzend kapitulierte Lavi. Er ließ die Hände sinken, richtete sich Augenrollend auf. „Um was geht es?“ Schweigend verließen sie eine halbe Stunde später Komuis Büro. Sie trugen die schwarzen Missionsmappen bei sich, bewegten sich still nebeneinander und sofort, als sie die Wissenschaftsabteilung hinter sich hatten, wandte sich Lavi an Kanda, bevor dieser verschwinden konnte. Offen wandte er sich ihm zu. Glücklicherweise musste er ihn nicht berühren, um ihn aufzuhalten und seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Resigniert sah er ihn an. „Wirst du jetzt rückfällig?“, erkundigte er sich mürbe und musterte seinen Gegenüber. „Wieder so tun, als wäre nichts gewesen, nachdem wir schon so weit gekommen sind?“ Kanda runzelte die Stirn, wendete die Mappe in die linke Hand und versenkte die andere in der Hosentasche. „Das, worauf wir uns jetzt zu konzentrieren haben, ist die Mission“, erwiderte er dann und erfüllte somit Lavis Befürchtungen. „Auch, wenn es nach einem Fehlschlag riecht.“ „Und wirst du dich wieder vor mir verkriechen, wenn wir sie hinter uns haben? Wird es das gewesen sein mit deiner Ehrlichkeit?“ Müde blickte Lavi zu Boden und die Stille, die daraufhin über sie hereinbrach, erstaunte ihn wenig. Kanda schwieg, blickte an ihm vorbei und atmete tief durch. Grübeleien waren ihm anzusehen und während sein Gegenüber noch immer zu Boden blickte, fanden seine beinahe schwarzen Augen zu ihm zurück. Er musterte ihn nachdenklich, abwesend bearbeiteten seine Finger die Mappe und flüchtig blickte er sich um, bevor er sich den Mund rieb. Es war verlockend, das gab er zu. Dass seine Problematik nicht mehr Thema war, wenn sie zurückkehrten. Vielleicht schenkte die Mission ihm auch Vergessen und genug Abwechslung, um jenes Erlebnis auf ewig hinter sich zu lassen? Hoffnungen, die automatisiert in ihm hervorschnellten, doch gleichsam zuckten auch andere Bilder vor seinem geistigen Auge auf. Jenes Erlebnis auf der Wiese… als er sich öffnete und anschließend keine Reue empfand. Irgendwie seltsam. „Nein.“ „Hm?“ Lavi blickte auf, sah, wie Kanda den Kopf schüttelte, ihn ernst ansah. „Wir werde genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“ „Ehrenwort?“ Lavi schien nicht überzeugt zu sein und umso erstaunter war er, als er Kanda ihm die Hand reichte. Es wäre ihr erste Berührung seit langem. Die erste Berührung, für die er Mut finden… und die Kanda nicht wehtun würde und auch wenn er zögerte, nach wenigen Momenten griff er zu. *tbc* Kapitel 24: ~14~ ---------------- Mit geschlossenen Augen ließ er das heiße Wasser auf sich hinabprasseln. Regungslos stand er dort. Die Hände auf den kühlen Fliesen gebettet, atmete er tief durch und genoss die völlige Stille, die neben dem leisen Rauschen des Wassers herrschte. In breiten Rinnsälen schlängelte sich das Wasser über sein Gesicht. Das lange, schwarze Haar haftete geschmeidig auf seiner hellen Haut und nach wenigen weiteren Momenten legte er den Hinterkopf in den Nacken. Lautlos tropfte das Wasser von seinen Wimpern und flüchtig regte er die Lippen aufeinander, bevor er blind nach dem Hahn tastete und ihn zudrehte. Sogleich verstummte das Rauschen, vereinzelte Tropfen gingen noch auf die Fliesen des Bodens nieder, als er auch schon zur hölzernen Bank trat und eines der Handtücher an sich nahm. Er war alleine hier und legte auch großen Wert darauf. Aufmerksam hatte er gewartet, hatte gelauert, bis niemand mehr die Duschen benutzt und so verspürte er eine gewisse Entspannung, als er sich niederließ und sich behäbig abtrocknete. Angemehm glitt das Handtuch über seine Haut, saugte jede Feuchtigkeit in sich auf. Dann beugte er sich nach vorn, wrang das lange Haar aus und bearbeitete es ebenso mit dem dicken, weichen Stoff. Er bewegte ihn auf dem Kopf, ließ sein Haar offen, als er zufrieden damit war und wandte sich der Kleidung zu, die er mitgebracht hatte. Wie war ihm danach, in die alte, lederne Uniform zu schlüpfen. Sie zu tragen, würde ihm so gut tun, doch für den kommenden Auftrag war zivile Kleidung wichtig. So streifte er ein schwarzes Sweatshirt über, stieg in eine simple Jeans und versenkte die Beine in schlichten ledernen Stiefeln. Während der folgenden Mission würden sie keine Exorzisten mehr sein. Vielmehr normale Jugendliche, die nach einer Arbeit suchten. Sie hatten diese Rollen zu spielen und Kanda war längst dabei, sich in seine hineinzufühlen. Beiläufig warf er das Handtuch dann zur Seite, schlüpfte in einen dünnen, schwarzen Mantel und kam auf die Beine. Er verließ die Dusche, trat in den weißgefliesten Vorraum hinaus und hielt abrupt inne, als er an den Spiegeln vorbeiziehen wollte. Er blieb stehen, blickte auf und betrachtete sich sein Spiegelbild. Es starrte zurück… mit einem Ausdruck, den Kanda nicht deuten konnte und nach wenigen Momenten trat er an den Spiegel heran. Langsam stemmte er sich auf eines der Waschbecken, lehnte sich nach vorne und betrachtete sich die dunklen Augen, die sich auf die seinen richteten. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Durchatmen, als er flüchtig die Lider senkte und doch sogleich zurückspähte. Dieser junge Mann, den er dort sah… er wirkte so fremd. Der Blick schien ihn schier zu durchbohren und wieder holte er tief Luft. Dieses Spiegelbild hatte etwas vor sich. Es stand kurz davor, auf eine wichtige Mission zu gehen und war sich innerlich nicht sicher, dem gewachsen zu sein. Eine Wahrheit, die niemals über seine Lippen kommen würde. Er würde diese verunsichernde Tatsache verschlucken, in sich vergraben und sich damit zufrieden geben, alles zu tun, was in seiner Macht stand. Er löste die rechte Hand vom Waschbecken, hob sie zum Spiegel und bettete die Finger auf der kühlen Oberfläche. Er berührte sich selbst, doch spürte nichts. Lediglich das kalte Glas, ohne Struktur. Beinahe abwesend blieb er seiner Betrachtung treu. Die vergangene Nacht hatte er recht guten Schlaf gefunden. Er war in sich versunken, ohne den Hauch eines Alptraumes, ohne den Hauch der Vergangenheit, die zu ihm zurückdrang und dennoch fühlte er sich nicht sonderlich gut. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Ob nun mit ihm oder mit der Umwelt… irgendetwas lag im Argen. Seine Pupillen fanden zu den schmalen, vollen Lippen. Sie verblieben reglos, verblieben versiegelt. Auch die Haut seines Gesichtes. Noch immer hatte sie den Hauch einer Blässe, während die dunklen, einst so ausdrucksstarken Augen so müde wirkten, so gläsern wie die einer leblosen Puppe, von der niemand eine Meinung erwartete. Geräuschlos glitten seine Finger tiefer. Seine Kuppen hinterließen einen schmalen Pfad auf dem Spiegel, der durch seinen nahen, warmen Atem beschlug. Das Haar… es fiel nass und noch etwas strähnig, verbarg einen Teil seines Gesichtes unter sich und schlängelte sich hinab bis zur Hälfte des Rückens. Seine Brauen verzogen sich sinnierend, als er der Beobachtung treu blieb und etwaige Zeit vergaß. Mit einem Mal gab es keinen Druck mehr, keine Eile. Diese Betrachtung fesselte ihn, ließ ihn nicht mehr los und verunsichert stellte er sich die Frage, was er dort sah. Seine Stirn legte sich in Falten, als er sich stockend zurücklehnte und die Finger vom Spiegel löste. Sogleich sank die Hand zurück zum Waschbecken und lautlos bewegten sich die Lippen. Sie lösten sich voneinander, formten stumme Worte, die er selbst nicht kannte. Was war nur mit diesem Menschen, den er vor sich hatte? Der ihn derzeit so kritisch und suchend taxierte. War er schön…? Stolz? Er wurde dieses Gefühl nicht mehr los. Das Gefühl, sich selbst verloren zu haben und sich anders zu sehen, als es die Menschen in seinem Umfeld taten. Er betrachtete sich sein anmutiges Äußeres nachdenklich und unbeteiligt, hob die Hand zum Hals und strich auch dort über die glatte Haut. Er wollte sich selbst spüren, wollte sich wahrnehmen, wie es kein anderer tat. Und es fühlte sich seltsam an. Seine Fingerkuppen hinterließen ein gewisses Kitzeln, als sie tiefer und bis zum Schlüsselbein glitten. Er legte den Kopf schief, rümpfte die Nase und ließ die Hand sinken. Vorerst regungslos blieb er stehen. Neben ihm öffnete sich die Tür. Ein Finder zog in seinem Rücken vorbei, doch Kandas Augen folgten ihm nicht. Argwöhnisch und gedankenvoll starrte er in den Spiegel, betrachtete sich seine durch den Stoff verhüllte Brust, seine Taille, soweit diese von dort oben zu erkennen war. Er nahm sich Zeit, er ließ sich nicht hetzen und selbst, als er den Entschluss traf, aufzubrechen, zögerte er dennoch. Wieder richteten sich die beinahe schwarzen Augen auf die seinen. Wieder wurde er beinahe feindselig gemustert und konzentriert versuchte er das eigene Gesicht zu entspannen. Blickte er permanent so drein, wenn er im Orden unterwegs war? Sah man ihn genauso, wie er sich derzeit selbst sah? Wie offensichtlich war dabei diese Schwäche. Übertriebene Wut war doch letztendlich nur ein Schutzwall, der die Schwachen und Ängstlichen hinter sich verbarg. Jeder, der denken konnte, musste sich dieser Tatsache bewusst sein und Kanda realisierte, dass er den eigenen Körper kaum noch unter Kontrolle hatte. Seine Mimik… seine Haltung. Wie sehr schrie all dies nach Hilfe, doch dann dachte er daran, dass er genau diese Hilfe erhielt. Durch Lavi. Auch der junge Bookman hatte seine nonverbale Sprache gelesen und es kam einer gewissen Erleichterung gleich, dass er mit ihm reisen und die Mission auf sich nehmen würde. Gemeinsam. Er würde nicht alleine sein in den nächsten Tagen… möglicherweise auch in den nächsten Wochen und soweit er es sich wagte, könnte er wohl jederzeit an Lavi herantreten. Selbstverständlich wäre es schwierig, Schonung zu finden, wenn sich Komuis Verdacht wirklich bestätigte. Wie gesagt, er hatte die alte Leistung zu erbringen, um die Aufmerksamkeit der Großmarshalle von sich zu lenken. Er hatte unauffällig stark zu sein und wenn er ganz ehrlich zu sich war, so gestand er sich eine gewisse Unsicherheit ein. Konnte er die alten Leistungen erbringen? Jetzt schon? Er biss die Zähne zusammen, riss sich von diesen verheißungsvollen Augen los und wandte sich ab. Beiläufig zog er sich das Haar über die Schulter, während er in den Gang hinaustrat und sich auf den Weg machte. Er lag gut in der Zeit und wurde bereits erwartet, als er in das Treppenhaus des Turmes trat. Auch Lavi trug zivile Kleidung, während er am steinernen Geländer lehnte und die Beine gekreuzt hielt. Sein Auge war auf zwei dünne Mappen gerichtet, die er vor sich hielt. Die schwarze Missionsmappe lag neben ihm auf dem Geländer, als er aufblickte und Kanda mit einem flüchtigen Lächeln grüßte. Auf seinem roten Schopf saß eine simple Mütze, gekleidet war er sonst in eine kurze dunkelgrüne Jacke und eine schwarze Hose, deren Beine in Kniehohen Stiefeln steckten. So wirkte er bestenfalls wie ein Dahergelaufener. Er schloss die dünne Mappe, als Kanda ihn erreichte, reichte diesem eine davon und klemmte sich auch die Missionsmappe unter den Arm. Mit stummen Blick sprachen sie sich ab, nickten einander zu und machten sich auf den Weg. Sie benutzten den unterirdischen Wasserweg, würden der Unauffälligkeit halber ohne Finder reisen und auf etwaige Annehmlichkeiten, die den Exorzisten zuteil wurden, verzichten. So saßen sie kurz darauf in dem schwankenden schmalen Boot, ließen sich von einem Finder fahren und konzentrierten sich beide auf die dünnen Mappen. Schweigend saßen sie sich so gegenüber, behielten die Köpfe gesenkt und es war Lavi, der nach wenigen Momenten die Stimme erhob, während das Wasser gegen die Außenhülle des Bootes schwappte. „Mein Name lautet Lawrence Gray“, murmelte er leise und rieb sich grüblerisch das Kinn. „Und ich bin Engländer.“ Es stellte nichts Ungewöhnliches dar, dass Lavi seine Identität… seinen Namen aufgab und mit einem Mal ein ganz anderer war und auch sein musste. Er war mehr als geübt darin, sein Unterbewußtsein akzeptierte den neuen Namen sofort und nachdenklich begann er zu blättern. Er hatte vollständige Bewerbungsunterlagen vor sich. Einen Lebenslauf, den er während der Reise auswendig zu lernen hatte. Ein säuberliches Anschreiben, Johnny sei Dank und auch mehrere Empfehlungsschreiben, die sicherstellten, dass er sofort eingestellt wurde. Dasselbe hatte auch Kanda erhalten. Einen neuen Namen… selbst über eine lückenlose Vergangenheit verfügte er nun und wie seltsam musste es wirken, wenn er auf seinen Lebenslauf blickte und dort den Besuch einer Schule fand. Dinge, die er niemals getan hatte. Dinge, die er niemals brauchte und die nach einem normalen Leben klangen. Kurz blickte Lavi auf, musterte Kanda und wandte sich wieder den Unterlagen zu. Komui hatte die bevorstehende Mission nur knapp und oberflächlich erklärt und bei weiteren Fragen auf die Missionsmappe verwiesen. Spätestens, wenn sie diese überflogen, wussten sie genau, was sie vor sich hatten. ‚Ich denke“, kamen ihm wieder Komuis Worte in den Sinn, ‚dass es sich um falschen Alarm handelt. Letzten Endes wird es wahrscheinlich nur darauf hinauslaufen, dass ihr euch einschleicht und Informationen sammelt, bis ihr euch sicher seid.‘ Kurz gesagt, es handelte sich um eine mögliche Broker-Mission. Ein Ding, in dem Lavi weitaus weniger Erfahrung hatte, als Kanda. Sie waren nun auf dem Weg nach Amerika und in eine abgeschiedene, kleine Stadt, auf die sich der Argwohn des Ordens gerichtet hatte. Vermehrte suizid-Fälle hatten seine Aufmerksamkeit erweckt und die geradewegs auf den Bürgermeister der Stadt gelenkt. Es war bekannt, dass Broker zumeist Führungspositionen kleideten und über eine gewisse Macht verfügten, in der sie besser agieren und dem Grafen beinahe problemlos neue Akuma schicken konnten. Sie waren es, die für die Armeen sorgten, die der Graf um sich scharte. Dafür, dass die Opferzahlen rapide anstiegen und sich jene Armeen unaufhaltsam vergrößerten. Eine Angelegenheit, die geklärt werden musste und so hatten Kanda und Lavi die Aufgabe bekommen, sich im Rathaus zu bewerben, dort zu arbeiten und somit unauffällige Nachforschungen anstellen konnte. Was Lavi anbelangte, er sehnte sich danach und hoffte, dass es sich wirklich um diesen falschen Alarm handelte. Dass die zahlreichen Selbstmorde einer gewissen Zufälligkeit entsprangen und nichts zu bedeuten hatten. Er betete, dass nichts Gefährliches auf sie zukam, denn er wusste nicht und war sich auch nicht sicher, inwieweit er sich auf Kanda und dessen Fähigkeiten verlassen konnte. Er wusste doch von Kandas Problem mit der Nähe zu anderen Menschen und ganz sicher würde niemand Acht darauf geben, wenn er anderen eine gewisse Distanz bot. Sie würden ihm unwissend näherkommen. Kanda hätte Berührungen über sich ergehen zu lassen, vermutlich auch rücksichtsloses Verhalten. Niemand würde Rücksicht nehmen und genau das war der Punkt, der Lavi verunsicherte. Stets, wenn er mit Kanda auf Mission gegangen war, hatte er sich blind auf ihn verlassen. Er hatte darauf vertraut, dass Kanda seinen Rücken deckte, wenn es Not tat, dass er gemeinsam mit ihm kämpfte und den Sieg errang. Niemals hatte er diese Verlässlichkeit bereut, niemals an Kanda gezweifelt, so, wie es nun der Fall war. Auch, wenn Kanda in der vergangenen Nacht endlich den wichtigen Schlaf gefunden hatte, es war und blieb doch nur der erste Schritt und dieser war nicht einmal sonderlich groß. Bedeutsam zwar, doch letztendlich nur der Tropfen auf den heißen Stein. Nun war sich Lavi der Tatsache sicher, dass Kanda einer solchen Mission nicht gewachsen war. Auch Komui musste dies wissen, doch sich ebenso bewusst sein, dass ihnen die Hände gebunden waren. Es blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als dieses Wagnis einzugehen und Lavi versuchte sich zu beruhigen, indem er an die Tage dachte, die auf diese Mission folgen würden. Sie hätten dann wieder Zeit füreinander, er könnte sich wieder kümmern. Wenn alles so verlief, wie er es sich wünschte. Doch wie oft war dies der Fall? Bei ihrer Arbeit trafen sie doch beinahe permanent und auf nicht vorausgesehene Vorfälle. Sie rutschten in Gefahren hinein, die sie nicht erwarteten… wurden in Dinge verwickelt, die keinem Plan antsprachen. Ein leises Stöhnen brach aus Lavi heraus, als sie das Boot verließen und sich auf den Weg zum Bahnhof machten. Diese Grübeleien taten beinahe weh und so versuchte er, sie abzustellen. Wenn er keine Erwartungen hegte, dann konnte auch nichts geschehen, was ihnen widersprach, sagte er sich, als er sich stumm neben Kanda hielt. Dieser befasste sich nun mit der Missionsmappe, schien aufmerksam zu lesen. Wenn auch ihn Sorgen quälten, so ließ er es sich nicht ansehen und alles täte Lavi lieber, als seinem Weggefährten die eigenen mitzuteilen. Wieder einmal würde es nur auf eine Kränkung hinauslaufen, darauf, dass sich Kanda verletzt fühlte und das würde es ihnen nur weiterhin erschweren. So wandte sich Lavi wieder dem Weg zu und klemmte sich die Mappe unter den Arm. Flüchtig rückte er an seiner Mütze, versenkte die Hände in den Hosentaschen und schwieg in sich hinein. Im Zug einen Platz zu finden, war schwierig, wenn man nicht das Rosenkreuz trug und so mussten sich die beiden wohl oder übel die Kabine mit zwei weiteren Reisenden teilen. In der zweiten Klasse. Die Bänke waren ungewohnt hart, die Polster durchgesessen, doch während Kanda unentschlossen auf ihm herumrückte, gab sich Lavi rasch damit zufrieden. So begann ihre Reise. Fortwährend blieben die Münder ihrer beiden Sitzgenossen dabei in Bewegung. Kanda war nahe an das Fenster herangerutscht, um ein wenig Platz zwischen sich und dem älteren Mann zu schaffen. Lavi hatte da weniger Glück. Er saß eingequetscht neben dem massigen Mann, der auf seiner Seite Platz genommen hatte, doch letztendlich hatten sie das permanente Gefasel nur bis zum nächsten Bahnhof zu ertragen. Spätestens dann waren sie wieder unter sich und konnten sich ungestört auf die kommende Mission vorbereiten. Leise unterhielten sie sich auch, während die Räder des Zuges unter ihnen ratterten. Oft zogen andere Reisende an ihrer Kabine vorbei, laute Gespräche wurden auf dem Gang des Zuges geführt und Lavis Verunsicherung wuchs nur weiterhin, als es den Anschein machte, dass Kanda diese Situation als belastend zu empfinden schien. Mürrisch blickte er zur gläsernen Tür, runzelte die Stirn, wenn lautes Lachen auf dem schmalen Flur ausbrach. Er schien sich daran zu stören und so entschied sich Lavi dafür, auch weiterhin die Stimme zu erheben. „Hoffentlich muss ich nicht putzen oder so“, maulte er und warf die Missionsmappe neben sich auf die Bank. „Jetzt mal ehrlich, was für Arbeiten kann man in einem Rathaus verrichten?“ Kanda stemmte den Ellbogen auf die Fensterbank und die Wange in die Handfläche. Er schwieg eine Weile, bevor er mit den Schultern zuckte. „Einige Rathäuser beinhalten ein Restaurant“, murmelte er dann zurück und Lavi ließ sich um ein Stück tiefer rutschen. „Hast du schon einmal in einer Küche gearbeitet?“, erkundigte er sich dann und fügte noch schnell etwas hinzu, als Kanda ihn skeptisch musterte. „Ich meine, das ist wohl nicht deine erste Mission, in der du dich irgendwo einzuschleichen hast.“ „Mm.“ Lavi schien ins Schwarze getroffen zu haben. „Ich meine, man kann seine Identität zwar ändern aber wenn man gewisse Sachen nicht kann, dann kann man sie auch dann nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Kochen zum Beispiel. Das einzige, was ich kochen kann, ist Tee.“ Kritisch runzelte Kanda die Stirn. „Oder putzen“, fuhr Lavi gesprächig fort. „Ich hasse putzen, weißt du?“ „Mm.“ „Was für Arbeiten würdest du denn gerne machen?“ Diesmal zuckte Kanda mit den Schultern. Er schien nicht wählerisch zu sein, was so etwas anbelangte und Lavi beneidete ihn ein wenig um diese Einstellung. Scheinbar würde Kanda alles tun, was getan werden musste. Dies entsprach nur seiner alten Devise. Es war schon immer so gewesen, dass er Befehle befolgte, ohne zu murren und Lavi wusste, ganz gleich, was auf sie zukommen würde, er wäre derjenige, der sich aufregte und würde damit auch alleine dastehen. Er stieß ein leises Seufzen aus und ließ sich im Polster tiefer rutschen. „Johnny hat sich wirklich jede Mühe mit den Lebensläufen gegeben aber so richtig fantasievoll hat er dabei nicht gearbeitet.“ Kurz warf Lavi einen Blick in diesen. „Sehe ich aus, als wäre ich zwanzig Jahre alt?“ Kanda sah ihn kurz an, sagte letztendlich aber nichts dafür, was als Reaktion auch Bände sprach. „Wie alt bist du?“, wollte Lavi weiterhin wissen und Kanda ließ sich mit der Antwort Zeit. Er überflog seinen Lebenslauf ein weiteres Mal. „Zweiundzwanzig“, murrte er dann. „Das ist auf jeden Fall glaubwürdiger als mein Alter.“ Lavi rieb sich die Stirn. „Und was zur Hölle soll ich studiert haben?“ Johnny hatte ihm bedacht Spielraum gelassen und dennoch wusste Lavi nicht, was er damit anfangen sollte. „Das ist doch gleich“, leistete Kanda durchaus lustlos seinen Beitrag. „Hauptsache, wir werden eingestellt.“ „Wenn du meinst?“ Lavi blickte aus dem Fenster, betrachtete sich die sommerliche Umgebung, die daran vorbeizog. Er rieb sich das Kinn, atmete tief durch. „Hoffentlich wird das ein Fehlschlag.“ Und aprubt blickte Kanda auf. Stirnrunzelnd tat er es, fragend und zu spät wurde sich Lavi der Tatsache bewusst, dass er sich verquatscht hatte. Er begegnete Kandas erwartungsvollen Blick nur kurz, bevor er sich räusperte. Wenn man seine Unlust einer Mission bekannt geben sollte, dann bestenfalls nicht vor Kanda. Selbstverständlich teilte der Pflichtbewusste Japaner dieses Denken nicht und Lavi entschloss sich, nichts weiter dazu zu sagen und die Worte offen im Raum stehen zu lassen. Noch immer hatte er nicht vor, Kanda von seiner Unsicherheit zu erzählen. Er würde es für sich behalten und wenn er Glück hatte, würde Kanda sich seinen Teil dazu denken und sich dabei in die völlig falsche Richtung bewegen. So zog der Rest der Fahrt recht schweigsam an ihnen vorbei. Es war in den frühen Abendstunden des nächsten Tages, als sie ihr Ziel erreichten. Der Zug hatte sie nicht ganz bis dahin gebracht und so hatten sie einen langen Fußweg hinter sich, als sie jene Stadt erreichten und sich vorerst in einer kleinen Herberge niederließen. Sie war nicht sonderlich schön, auch nicht sonderlich groß, doch Lavi hatte die Hoffnung, dass sie ohnehin keine lange Zeit dort verbringen würden, wobei er ebenso wenig davon ausging, dass die Angestelltenunterkünfte im Rathaus angenehmer waren. Daran stören, dass es nur noch ein einziges freies Zimmer gab, störte er sich nicht. Ebenso wenig an der Tatsache, dass es sich dabei um ein Doppelzimmer handelte. Nur Kanda runzelte die Stirn, als sie unten an der Rezeption standen und sie diese Nachricht ereilte. „Wir bleiben ohnehin nur für eine Nacht“, versuchte Lavi ihn zu versöhnen, als sie die alte hölzerne Treppe emporstiegen, auf dem Weg in die zweite Etage. Spielerisch drehte er den Schlüssel dabei um den Finger, blickte grinsend zu seinem Nebenmann. „Lass uns die Nacht in richtigen Betten genießen. Wer weiß, was uns im Rathaus erwartet.“ Doch selbst diese Worte schienen Kanda nicht sonderlich zufrieden zu stellen. Er stieß ein leises Ächzen aus, tat es abermals, als die dann im Zimmer standen und sich dieses als winzig entpuppte. Nur flüchtig kam ihm der Gedanke, vielleicht draußen auf einer Bank zu schlafen, doch diese Betten wirkten schon recht bequem. Erschöpft von der langen Reise, ließen sie sich auch nicht mehr allzu viel Zeit, bevor sie unter die Decken krochen und die Augen schlossen. Die Dunkelheit der Nacht lag bereits vor ihrem Fenster, völlige Lautlosigkeit umgab Lavi und nur das tiefe Durchatmen Kandas zeugte davon, dass dieser rasch eingeschlafen war. Mit einer Leichtigkeit, die Lavi verblüffte, doch auch, als er sich im Bett aufrichtete und nach drüben blickte, lag Kanda reglos auf der Seite. Die Augen entspannt geschlossen, schien er wirklich zu schlafen und Lavi entschied sich dazu, dies nicht zu hinterfragen und sich einfach der Erleichterung hinzugeben. Seufzend legte er sich so wieder nieder, zog die Decke bis zum Kinn und suchte auf dem Kissen nach der richtigen Bequemlichkeit. Er bewegte den Kopf, rollte sich anschließend auf die Seite und kehrte Kanda somit den Rücken. Er rutschte noch nahe an die Wand heran, bevor auch er sich dem Schlaf hingab. Seine müden Beine pochten, erinnerten ihn an den Marsch, den sie hinter sich hatten, doch letztendlich schlief auch Lavi recht schnell ein. Die Realität versackte in seinem Bewußtsein, sein Atem vertiefte sich und kurz darauf lagen beide regungslos in ihren Betten. Draußen auf der Straße erhoben sich mitten in der Nacht leise Stimmen. Wenige Stadtbewohner waren noch unterwegs, besuchten eine Kneipe, die nicht allzu weit entfernt war. Lachen drang in den finsteren Raum, das Knirschen der Schritte und angenehm im Tiefschlaf versunken, begann sich Lavi zu regen. Die Decke wärmte ihn bis zum Hals, als er sich tief durchatmend auf den Rücken sinken ließ und sich wie eine Katze streckte. Leise schmatzte er, rückte den Kopf auf dem Kissen zur Seite und streckte alle Viere von sich. Sein Gesicht blieb entspannt, sein Auge ruhig geschlossen und nach wenigen Momenten begann er leiser zu schnarchen. Völlig regungslos lag Kanda währenddessen da. Das Gesicht zur Hälfte unter der Decke verborgen, ragte nur seine eine Hand ins Freie. Im Flur der Herberge erhoben sich nach einer knappen Stunde weitere Geräusche. Schwere Schritte zogen an ihrer Tür vorbei, kurz darauf schloss sich eine Tür und wieder kehrte die angenehme Stille zurück. Unterbrochen nur von Lavis friedlichem Schnarchen, hielt sie auch an, bis sich ein leises Keuchen im Raum erhob. Es entrann Kandas Mund und augenblicklich durchfuhr eine hastige Regung sein bislang gelöstes Gesicht. Ein Zucken fuhr durch seine Mimik, unruhig drehte er sich auf den Rücken und doch ließ das nächste Keuchen nicht lange auf sich warten. Sein Atem verschnellerte sich, wandelte sich rasch zu einem permanenten Keuchen, unter dem Kanda in stetiger Bewegung blieb. Eine schiere Unruhe erfasste seinen Körper, ließ ihn sich winden. Die wärmende Decke rutschte von seinem Leib, glitt neben dem Bett zu Boden, während die trockenen Lippen atemlos zu flüstern begannen. Sie formten unverständliche Worte. Leise vermischte sich das Keuchen mit der atemlosen Stimme, rasch hob und senkte sich sein Leib. Sein Gesicht begann sich von einer Seite zur anderen zu werfen. Vereinzelte Strähnen blieben im Schweiß der Stirn haften und augenblicklich schreckte Lavi im Bett zusammen, als Kanda unter einem lauten Schrei in die Höhe fuhr. Es geschah mit einem Mal. Er schrie in den Raum hinein, riss erst dann die Augen auf und alarmiert richtete sich auch Lavi auf. Verstört rieb er sich das Auge, blinzelte in die Finsternis des Raumes hinein und nur undeutlich erkannte er die Bewegung der Gestalt, die im anderen Bett kauerte. Erschöpft sank Kandas Körper hinab, bebte unter schwerem Keuchen und Lavi zögerte keine Sekunde. Eine plötzliche Aufregung suchte nun auch ihn heim und fast verhedderte er sich mit dem Fuß in der Decke, als er sich aus dem Bett schob und stolpernd zum Stehen kam. Laut und trocken erfüllte Kandas Stöhnen unterdessen den Raum und eilig bewegte sich Lavi auf ihn zu. Die Schläfrigkeit war mit einem Mal gewichen und so war er hellwach, als er sich neben Kanda auf die Bettkante sinken ließ. „Yu… hey…“ Vorsichtig neigte er sich zu ihm, hob die Hand und hielt dennoch inne. Er wusste nicht, ob er Kanda berühren sollte… ob er es durfte und so ließ er die Hand sinken, während sich Kandas Hände in das Laken klammerte und er mit gesenktem Kopf auch weiterhin schwer und hastig keuchte. Lavi wusste nicht, ob er bereits bei Bewußtsein war oder noch immer gefangen in den Bildern, die ihn dazu bewegt hatten, so in die Höhe zu fahren. Auch, wenn Lavi unsicher war und aufgeregt, auch weiterhin ruhig erhob er die Stimme und sprach auf Kanda ein. „Yu…“, eilig befeuchtete er die trockenen Lippen mit der Zunge, achtete darauf, dass nicht auch er sich im Ächzen verlor. Und wie lockte ihn Kandas Körper. Wie versetzte er ihn in Versuchung. Ihn zu berühren… möglicherweise zu umarmen. Wenn er auch bebte, wenn er auch zitterte, er wollte ihm die nötige Ruhe schenken… und doch blieb er nur auf der Bettkante sitzen und fühlte sich selbst so hilflos. Wirr verdeckte das lange schwarze Haar Kandas Gesicht, als er dieses kurz hob, angespannt schluckte und doch sofort wieder dem alten Keuchen unterlag. „Hey… versuch langsamer zu atmen, ja?“ Mehr konnte Lavi nicht tun, doch ebenso wenig sah er, dass Kanda auf seine Worte reagierte. Er blieb dort sitzen, ließ sich noch um ein Stück tiefer rutschen und seinen Körper schien es regelrecht zu zerreissen unter diesem heftigen, rasenden Atem. „Yu!“ Aufgewühlt verfestigte Lavi seine Stimme. Sie erhob sich nun umso lauter und letzten Endes konnte er nicht anders. Auch, wenn er einen Fehler beging… es machte den Anschein, als wäre Kandas Bewußtsein noch immer nicht im Hier und Jetzt angelangt und so hob er abermals die Hand. Aufgeregt ballte er sie zu einer Faust, während er sie zu Kandas Schulter hob. Sogleich spreizte er dann die Finger, verfing sich in einem letzten Hadern, bevor er die flach auk Kandas bebender Schulter platzierte. Und augenblickblick zuckte Kanda zusammen. Es schien ihm durch Mark und Bein zu gehen, doch Lavi bildete sich ein, dass er jetzt endlich die Augen öffnete und wirr um sich starrte. Noch immer haftete das Haar dabei in seinem Gesicht, auf seiner Stirn und nur flüchtig sah er Lavi an, bevor er sich die zitternde Hand auf den Mund presste und gegen das trockene Keuchen anzugehen versuchte. Noch immer lag Lavis Hand dabei auf seiner Schulter und wie deutlich spürte der Rotschopf dabei, wie Kandas Körper zitterte. Als würde ihn furchtbare Kälte heimsuchen und Lavi atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen. Auch, wenn Kanda die Kontrolle über sich verloren hatte, er durfte es ihm nicht gleich tun. Er musste aufmerksam sein, wach und bereit zu handeln. Doch das spontane Handeln versackte mit einem Mal, als sich Kandas heftiges Hyperventillieren in einem gedrungenen Röcheln verlor. Der Lunge schien es an Sauerstoff zu mangeln, mit einem Mal verkrampfte sich der gesamte Körper, zuckte in sich zusammen und ohne zu zögern lehnte sich Lavi zur Seite und griff nach dem Kopfkissen. Was hier geschah, entpuppte sich als aufkeimende Panikattacke und eilig hielt er Kanda das Kissen vor. Gleichsam, wie er die Hand auf seinem Hinterkopf bettete und seinen Oberkörper weiterhin nach unten drängte und stets dem Kissen entgegen. „Atme hier rein!“, forderte er ihn hastig auf, als sich Kandas Hand um den Hals klammerte und selbst das Röcheln zu versiegen schien. „Kanda! Atme in das Kissen!“ Nachdrücklicher hielt er es ihm entgegen und wenn auch spät, endlich tastete Kandas zitternde Hand danach und presste es sich auf das Gesicht. Sofort wurde das Röcheln dumpf und leise und keuchend lehnte sich Lavi zurück. Er hatte getan, was er tun konnte, der Rest lag bei Kanda und still schüttelte er bei sich den Kopf, während Kanda sich nach einigen Momenten wieder zu beruhigen schien. Er schien wieder Luft zu bekommen, endlich erhob sich auch das alte Keuchen, doch auch dieses wurde im Kissen erstickt und es geschah nach einer Ewigkeit, dass Kanda das Kissen sinken ließ und erschöpft in sich zusammensackte. Gähnend ließ sich Komui tiefer in seinen Stuhl rutschen. Seine dunklen Augen fanden zur Tasse aber als er sie zu sich zog, musste er bemerken, dass sie leer war. Er zog ein langes Gesicht, blickte lustlos zu dem Stapel an Arbeit, der ihn noch heute Nachte erwartete und schloss unter einem leisen Stöhnen die Augen. Seine Lider waren schwer, ebenso pochte ein permanenter Schmerz hinter seinen Schläfen und er versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal ausreichend geschlafen hatte. Es musste lange her sein und wie sehnte er sich danach, sich für ein paar Minuten auf dem Sofa langzumachen. Er rutschte noch tiefer, streckte die Beine unter den Schreibtisch und wollte gerade zu einem weiteren Gähnen ansetzen, als sich leise Schritte erhoben. Mürbe blickte er auf, doch mit einem Mal erhellte sich seine Mimik und sofort fuhr er in die Höhe. Lächelnd trug Linali ein Tablett herein. „Linali!“ Komui seufzte beherzt, streckte ihr die Arme entgegen. „Oh, du meine Abendsonne! Wieder einmal bist du die pure Rettung für mich!“ „Ich habe mir schon gedacht, dass du keinen Kaffee mehr hast.“ Auf dem Schreibtisch wurde Linali das Tablett los, griff nach einer Kanne und gleichermaßen nach der Tasse ihres Bruders. Kurz betrachtete sie sich den weißen Hasen, der auf ihr abgebildet war, bevor sie sie füllte und an Komui zurückreichte. „Das heute ist eine schlimme Nacht“, begann dieser seinen Schwermut auszusprechen. Seufzend nippte er an der Tasse. „Die Wissenschaftler sind mal wieder egoistisch und wollen mich nicht schlafen lassen!“ „Was vielleicht daran liegt, dass du sie selbst nicht schlafen lässt?“ Linali legte den Kopf schief und entrüstet wurde sie für diese Worte angestarrt. „Hältst du mich wirklich für so einen abartigen Menschen?!“ „Na ja…“ Linalis Lächeln wirkte mit einem Mal unsicher, doch gerade als sie fortfahren wollte, meldete sich das Telefon auf Komuis Tisch. „Oh.“ Hoffnungsvoll weiteten sich Komuis Augen. Es roch nach einer Ablenkung und kurz streckte er seiner Schwester den Zeigefinger entgegen, bevor er das Telefonat entgegennahm. Er hob den Hörer von der Gabel, lehnte sich behaglich zurück. „Hier Komui.“ Seufzend stellte Linali die Kanne auf den Tisch zurück, nahm das Tablett wieder an sich und verließ das Büro. Eine kurze Stille herrschte in der Leitung, als Komui ihr nachsah. „Ich bin es“, meldete sich dann eine leise Stimme und stirnrunzelnd blickte Komui zur Uhr. „Lavi? Sag bloß, ihr seid immernoch nicht da?“ „Wir sind da.“ Zermürbt betrachtete sich Lavi den schwarzen Golem, der vor seinem Gesicht flatterte. Er stand im Erdgeschoss der Herberge am einzigen Telefon des Hauses und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er bewegte die Lippen, biss auf die untere und sah sich flüchtig um. „Was hast du denn dann auf dem Herzen?“ Komuis Frage folgte sofort und Lavi kam nich tum ein leises Seufzen. Er stemmte die Hand in die Hüfte, trat an die hölzerne Wand heran und lehnte sich dagegen. „Na ja…“, hob er dann etwas unentschlossen an und zog zischend die Luft durch die Zähne. „Ich hätte eine Frage.“ „Die da wäre?“ Entspannt nippte Komui an seinem Kaffee, bewegte die Füße unter dem Tisch und befürchtete nichts Schlimmes. „Na ja…“, murmelte Lavi wieder und juckte sich nervös im Schopf. Doch dann entschloss er sich dazu, es einfach zu sagen. Er kam nicht weiter, wenn er um den heißen Brei herumredete. „Könntest du die Großmarshalle vielleicht davon überzeugen, die Untersuchung von unseren eigenen Ärzten vornehmen zu lassen? Da könnte man doch dann sicher etwas drehen, oder nicht?“ Mit einem Mal war etwaige Entspannunf aus Komuis Gesicht gewichen. Eine gewisse Ernsthaftigkeit suchte ihn heim, während er die Tasse sinken ließ. „Was ist passiert?“ „Nein, ich meine nur.“ Lavi lachte nervös auf. „Da muss sich doch irgendetwas machen lassen, oder? Wenn einer die Schlupfwinkel des Ordens kennt, dann ja wohl du.“ Und er fuhr fort, darauf bedacht, Komui nicht zu Wort kommen zu lassen. „Nehmen wir mal an, wir lassen die Mission sein und kommen zurück…“ „Lavi!“ Diesmal sagte Komui seinen Namen mit Nachdruck. „Was ist passiert?“ Und seufzend sank Lavi in sich zusammen. Er senkte die Lider, starrte zu Boden und saugte an seinen Zähnen. Er wollte es nicht sagen, doch musste sich selbst eingestehen, dass er es nicht sehr klug angegangen war. „Mm…“ Er begann zu grübeln, doch Komui zeigte keine Geduld mehr. „Lavi?“ Fast drohend hörte sich seine Stimme nun an und wieder sah sich Lavi flüchtig um, bevor er antwortete. Vorsichtig und leise. „Ich… denke nicht, dass Kanda der Mission gewachsen ist“, sagte er dann das, was ihm auf der Seele lastete. Und Komui schwieg. „Er hatte gerade eine Panikattacke.“ Lavi klammerte sich nervös um den Hörer. „Ich zweifle nicht an seinen Fähigkeiten, jedoch an seiner Belastbarkeit.“ „Mm.“ Nachdenklich rieb sich Komui die Augen. Er hatte dergleichen befürchtet und nun geschah es wirklich. Die Mission, die die beiden erwartete, war schwierig und kompliziert und gefährlich. Es war unabdingbar, seinem Kollegen in diesem Fall zu vertrauen und so verstand Komui Lavis Anliegen. „Ich würde Yu gerne zurückschicken. Ich werde die Mission fortführen. Du kannst mir einen anderen Kollegen schicken, wenn du nicht willst, dass ich sie alleine auf mich nehme“, erhob sich wieder Lavis Stimme in der Leitung. „Aber ebenso wenig will ich, dass die Großmarschalle ihn holen. Das wäre fatal und deswegen bitte ich dich, dir irgendetwas einfallen zu lassen.“ „Das sagst du so einfach.“ Wieder nahm Komui die Tasse an sich. „Jeder wird bemerken, dass Kanda wieder hier ist, wenn wir ihn nicht verstecken und dazu fehlen mir die vertrauensvollen Männer. Es würde sicher zu den Großmarschallen dringen, wenn er zurückkehrt.“ Aber dennoch war er längst am Sinnieren. „Das einzige, was ich ausprobieren könnte, wie du gesagt hast, durchzuringen, dass unsere Ärzte die Untersuchung übernehmen. Das ist sicher einen Versuch wert.“ „Es ist nicht so, dass ich jetzt die Verantwortung von mir streife“, versuchte sich Lavi kurz zu rechtfertigen. „Sobald ich von der Mission zurück bin und Zeit habe, werde ich wieder mit ihm arbeiten.“ „Gut.“ Komui wirkte nicht wirklich zufrieden. Er klang eher besorgt… ernüchtert. „Also kümmer du dich erst einmal um die Untersuchung und dann…“ Lavi verstummte. Er hatte eine Bewegung bei sich wahrgenommen und als er sich umdrehte, stand dort Kanda. Soeben war er um die Ecke gebogen, nutzte die Wand als Stütze und sah furchtbar aus. Blass, abgekämpft. Stockend ließ Lavi den Hörer sinken und öffnete den Mund. Der Blick, der ihn traf, war bitter und mürrisch, als Kanda stehenblieb und sich um ein Stück aufrichtete. Er schien sich vollends beruhigt zu haben. Sein Atem fiel wieder monoton und entspannt, während das Haar noch immer etwas wirr wirkte. Das weiße Hemd war in der Nähe des Halses geöffnet und lange standen sie so voreinander und sahen sich an. „Lavi?“ Komui runzelte die Stirn. „Ich lasse mich nicht untersuchen“, erhob Kanda dann die Stimme und Lavi seufzte. Kanda klang entschlossen und der Rotschopf befürchtete eine schiere Gegenwehr, sollten sie den Plan in die Tat umsetzen. „Wir versuchen gerade eine Alternative zu finden“, rechtfertigte er sich durchaus unsicher, während noch immer diese bohrende Blick auf ihn gerichtet blieb. „Damit du nicht in den Keller musst. Weißt du, es ist vielleicht möglich, dass unsere Ärzte…“ „Ich – lasse – mich – nicht – untersuchen!“ Nachdrücklich wiederholte Kanda dies und trat um wenige Schritte näher. Seine Mimik zuckte vor Gram. „Du hast gesagt, so etwas würde nicht zur Debatte stehen, wenn du dich kümmerst!“ „Darum geht es doch aber nicht“, erwiderte Lavi flehend, hoffte so inständig, dass Kanda ihn verstand. „Natürlich werde ich mich weiterhin um dich kümmern aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen meiner Fürsorge und der Tatsache, mit dir auf Mission zu gehen. Du weißt selbst, wie wichtig es ist, diese Mission zu erfüllen.“ Schweigend lauschte Komui der Unterhaltung. Die Hand um die auf dem Tisch stehende Tasse gelegt, saß er dort und hielt den Hörer am Ohr. „Wieso verstehst du nicht, dass ich diese Verantwortung nicht tragen kann? Ich bin nicht stark genug, um mich gleichzeitig auf zwei wichtige Dinge zu konzentrieren. Was passiert, wenn du während eines Kampfes zusammenbrichst? Was passiert, wenn dir bei unserer Arbeit jemand zu nahe kommt?“ Endlich sprach er das aus, was ihn die gesamte Reise über beschäftigt hatte. „Ich werde mich nicht um dich sorgen können und deswegen denke ich, dass es noch zu früh für dich ist. Lass uns Komui vertrauen, ja? Er wird irgendeine Möglichkeit finden. Das meine ich ernst. Wir werden nicht zulassen, dass sie dich holen.“ „Es ist mir gleich, wer diese Untersuchung vollzieht!“, fauchte Kanda sofort zurück. „Ich werde keine Frage beantworten! Ich werde einen Teufel tun!“ „Deswegen ist es ja so wichtig, nach einer Alternative zu suchen, Yu. Wenn unsere Ärzte die Untersuchung vornehmen, kannst du dir doch irgendetwas einfallen lassen. Du kannst ihnen erzählen, was du willst, damit sie dich in Frieden lassen aber dazu müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass die Großmarschalle ihre Befehle zurückziehen.“ „Ts!“ Kopfschüttelnd löste Kanda die Hand von der hölzernen Wand, begann sofort zu schwanken, als er so ohne Stütze stand. Lavi sah ihn mitfühlend an, bewegte den Hörer zwischen den Fingern. „Wir boykottieren dich nicht, Yu“, seufzte er dann leise, verzog die Braue und legte den Kopf schief. „Ich… will dich einfach nur nicht verlieren.“ „So schnell sterbe ich nicht.“ Ein humorloses Grinsen zeichnete sich auf Kandas Lippen ab. „Und die Entscheidung, ob ich weitermache oder zurückfahre, solltest du übrigends mir überlassen.“ „Ich weiß eben nicht, ob ich das kann“, gab Lavi ehrlich zu. „Ich kann mich einschätzen!“, ging Kanda ihn sofort an. „Denkst du wirklich, ich habe nicht nachgedacht, bevor ich diese Mission angenommen habe?! Dass ich Lust darauf habe, mich umzubringen?! Ich mache diese verdammte Mission und dazu brauche ich deine Fürsorge nicht!“ „Hast du dich in letzter Zeit mal im Spiegel angeschaut?“ Lavi ging sofort in die Offensive und Kanda wirklich mit einem Mal unsicher, deutlich aus dem Konzept gebracht. „Vielleicht hast du endlich mal wieder ordentlich geschlafen aber was ist das schon? Nur ein winziger Schritt auf unserem steinigen Weg.“ „Habe ich“, murrte Kanda zurück. „Okay? Ich weiß, wie ich aussehe! Aber ich weiß ebenso gut, dass ich dieser Mission gewachsen bin! Niemand verlangt von dir, die Verantwortung zu übernehmen! Die trage ich schon alleine! Sag das Komui und belasse es dabei!“ Mit diesen Worten stieß er einen leisen Fluch aus, verzog mürrisch die Miene und wandte sich ab. Den Hörer noch immer in der Hand, sah Lavi ihm nach und seufzte leise, als Kanda hinter der Ecke verschwand. Er hatte nichts andere erwartet, nichts anderes befürchtet und nun stand er da und wusste nicht, was er tun sollte. Komui wartete noch immer und er nahm sich mehrere Momente, um hastig zu sinnieren, bevor er den Hörer wieder zum Ohr hob. „Komui?“, sagte er leise und atmete tief durch. „Ich wage es.“ „Bist du dir sicher?“ Komui schien es jedenfalls nicht zu sein. „Unter einer Bitte.“ Lavi biss sich auf die Unterlippe. „Falls wir Verstärkung brauchen…“ „Das ist kein Problem“, antwortete Komui sofort. „Marie und Allen sind derzeit ebenfalls in Amerika. Falls ihr Verstärkung braucht, werde ich sie sofort zu euch schicken.“ „Richte dich darauf ein, dass es so sein wird.“ „Mache ich.“ Und Lavi legte auf. Er hängte den Hörer zurück in die Kabel, koppelte seinen Golem ab und ließ ihn in der Hosentasche verschwinden. Nachdenklich blieb sein Auge auf den Boden gerichtet und stöhnend rieb er sich das Gesicht, bevor er sich in Bewegung setzte. Ihm war nicht mehr nach Schlafen zumute. Die Anspannung hatte dafür gesorgt, dass er nun hellwach war und so verließ er die Herberge, um an frische Luft zu gelangen und in aller Ruhe weiterhin sinnieren zu können. *tbc* Kapitel 25: ~15~ ---------------- Die Sonne war gerade erst am Horizont aufgestiegen, als die beiden die Herberge verließen. Es war recht kühl an diesem Morgen und fröstelnd hüllte sich Lavi enger in seinen Mantel. Weiß beschlug sein Atem in der frischen Morgenluft und nur flüchtig blickte er zu Kanda, bevor sie sich gemeinsam in Bewegung setzten. Leise schallten ihre Schritte an den Wänden wider, als sie eine schmale Gasse hinter sich ließen und auf einen großen, gepflegten Platz hinaustraten. Die vergangene, schlaflose Nacht steckte Lavi noch in den Knochen. Er unterdrückte sichtlich ein Gähnen, wendete die nötigen Unterlagen in die andere Hand und rieb sich flüchtig das Auge. Er erinnerte sich. Kanda war verschwunden, nachdem sie sich im Flur getroffen hatten. Als er dieses Telefonat führte und er ihn aufspürte. Er wusste nicht, wohin der Japaner gegangen war. Vermutlich hatte er sich seine Abgeschiedenheit gesucht, wohl auch die erfrischende Nachtluft genossen. Einfach alles getan, um wieder zu sich zu finden und wirklich, nun, da er sich neben Lavi hielt, wirkte er so gefasst, wie lange nicht mehr. Er offenbarte die Mimik, die man von ihm kannte. Das gesamte Verhalten des Japaners wirkte, als wäre nichts geschehen und wenn er im tiefsten Grund genauso nachdenklich war wie Lavi, so wusste er diese Tatsache mit beneidenswerter Genialität zu verbergen. Er schwieg, hatte heute morgen auch nichts zu sich genommen. So rasch, wie er verschwunden war, so rasch war er auch wieder aufgetaucht und schien nun bereit, es mit der Mission aufzunehmen. Konzentriert achtete Lavi darauf, seine Blicke mit Zufälligkeit zu tarnen. Oft zog es sein Auge zum stillen Weggefährten, doch stets räusperte er sich leise und wandte sich lieber dem Weg zu, der vor ihnen lag. Wenn sie der Beschreibung des Betreibers der Herberge Glauben schenken konnten, so dürften sie ihr Ziel bald erreichen. Sie schritten kurz darauf durch einen blühenden Park. Lachend rannten Kinder an ihnen vorbei. Viele Menschen verbrachten ihre Freizeit an der frischen Luft, doch Lavi schenkte dem keine Beachtung. Er war abwesend, versunken in seinen Gedanken und Grübeleien. Kanda schien überzeugt. Von sich… Von seinen Fähigkeiten, mit dieser Mission umzugehen… Er hatte es Lavi gegenüber deutlich gemacht, doch noch immer fragte sich dieser, ob es nicht die richtige Situation gewesen wäre, um sich durchzusetzen. Wenn er hart und unnachgiebig geblieben wäre, wären sie nun nicht auf dem Weg zum Rathaus. Vermutlich hätte man Kanda auf den Nachhauseweg geschickt. Ganz gleich, wie sehr er sich zur Wehr gesetzt hätte. Und Lavi hätte sich in Geduld geübt, bis ein neuer Kollege eintraf, auf den er sich blind verlassen konnte. Der Rothaarige seufzte leise. Er verschränkte die Arme vor dem Bauch, presste die Unterlagen an sich und rümpfte die Nase. Soviel Fantasie er auch besaß… wenn er darüber sinnierte, konnte er nicht einmal ansatzweise einschätzen, was auf sie zukam. Welche Aufgaben sie übernehmen würden und in welchem Maße diese praktisch waren, um Informationen zu sammeln. Er mochte solche unvorhersehbaren Missionen nicht. Auch ohne die Zweifel, die er Kanda gegenüber hegte, war er schon angespannt genug. Er biss die schüttelte leise bei sich den Kopf und schöpfte tiefen Atem. Sie hatten den Park bereits hinter sich gelassen, eine breite Straße passiert und bevor sie sich versahen, erstreckte sich dieses große, stolze Gebäude vor ihnen. Es war aus massivem Gestein erbaut, ragte über vier Stockwerke in die Höhe und nicht zuletzt wurde Lavi auf das Rathauseigene Restaurant aufmerksam. Es schien gut besucht. Arbeit schien es wohl zur Genüge zu geben. In schnellen Schritten verließ ein junger, blonder Kellner das Restaurant. Er trat auf den Freisitz hinaus und flüchtig verfolgte Lavi, wie er freundlich und kulant die dortsitzenden Gäste bediente. Abwesend betastete er seine Unterlagen währenddessen mit den Fingern. Seine Kuppen glitten über die in Leder eingebundene Mappe und erst, als Kanda sich wieder in Bewegung setzte, tat auch er es. Zielstrebig steuerte Kanda auf die große, hölzerne Tür zu und ohne ein Zögern zu zeigen, öffnete er sie kurz darauf und trat in das kühle Foyer des Rathauses. Die Luft war sauber und angenehm. Sie ließ sich gut atmen und nur kurz blieben die beiden stehen und verschafften sich einen knappen Überblick. Vor ihnen führte eine breite, steinerne Treppe in die erste Etage. Etliche Türen führten von dem Foyer fort, doch letztendlich war alles recht gut ausgeschildert und es nahm nicht viel Zeit in Anspruch, bis sie die richtige Tür im zweiten Stockwerk erreichten. Dickes, verziertes Holz erhob sich vor ihnen und bevor sich Lavi versah, klopfte Kanda bereits an. Es war seltsam. Wirklich… einfach wie immer. Kanda war und blieb der antreibende Part auf der Mission. Derjenige, der stets den ersten Schritt tat und sich nach raschen Resultaten sehnte. Nach wenigen Momenten erhob sich eine Stimme auf der anderen Seite der Tür und sogleich griff Kanda nach der Klinke und betrat das Büro des Sekretärs. Dort saßen sie dann. Die Stühle waren komfortabel und angenehm. Das Büro, das sich um sie herum erstreckte, wirkte ordentlich und nobel… säuberlich. Nicht so wie das Büro eines gewissen Abteilungsleiters und dennoch fühlte sich Lavi nicht sonderlich wohl. Nachdenklich musterte er den jungen Mann, der seit geraumer Zeit ihre Unterlagen überflog. Obgleich er viel zu tun zu haben schien, nahm er sich die Zeit und blätterte die Mappen durch. Und er wirkte nicht abgeneigt, was davon zeugte, dass Johnny und die anderen gute Arbeit geleistet hatten. Die Bewerbungen schienen dem Sekretär zuzusagen und es vergingen weitere, stille Minuten, bis er die Mappen sinken ließ und an seiner schwarzumrahmten Brille rückte. So lehnte er sich auch zurück, atmete tief ein und faltete die Hände auf dem Bauch. Und endlich richteten sich seine dunkelbraunen Augen direkt auf die beiden Bewerber. „Sie sind viel herumgekommen, meine Herren“, meinte er mit einem flüchtigen Wink zu den Mappen. „Und Sie sind sehr qualifiziert, weshalb wir sicher Verwendung für Sie haben.“ Lavi zwang sich zu einem Lächeln. Knapp nickte er. „Das wäre sehr schön“, bestärkte er den Sekretär dann in seiner Entscheidung. „Es ist uns auch gleich, welche Aufgaben Sie uns zuweisen. Wer werden jede zu der Zufriedenheit des Bürgermeisters ausführen.“ „Sind Sie auf der Durchreise oder kommen Sie aus der Nähe?“, erkundigte sich der junge Sekretär weiter und bevor er in den Unterlagen nach dieser Information suchen musste, meldete sich Lavi wieder zu Wort. „Eigentlich sind wir nur damit beschäftigt, die Welt zu bereisen. Bisher haben wir vielerorts gearbeitet, um uns die Weiterreise zu finanzieren und irgendwie zu überleben.“ „Ein wahres Vagabundenleben“, fiel dem Sekretär auf und sofort nickte Lavi. „Ich könnte so etwas nicht.“ „Nun, Ihre Pflichten binden Sie sicher an diesen Ort aber im Grunde ist es doch sehr schön.“ „Mm.“ Der Sekretär rieb sich das Kinn, begann offensichtlich zu grübeln. „Wenn Sie über soviel Erfahrung verfügen, kann ich Sie im Grunde überall einsetzen, nicht wahr?“ „Das stimmt“, bestritt Lavi das Gespräch auch weiterhin alleine. Aufmerksam musterte Kanda unterdessen das Büro. Seine dunklen Augen drifteten über die Massen von Aktenordnern. Er sondierte die Umgebung, während Lavi wenig auf diesen Fakt achtete. „Nun“, der Sekretär schien eine Entscheidung getroffen zu haben. Er richtete sich auf, griff nach seinem Kaffee und nippte flüchtig an der Tasse. „Ihre Unterlagen lasse ich noch heute dem Bürgermeister zukommen, also stellen Sie sich darauf ein, kurzfristig doch noch woanders eingesetzt zu werden.“ „Ach, wir sind da flexibel.“ Lavi zuckte mit den Schultern. Nur kurz betrachtete Kanda sich das weiße, säuberliche Hemd, bevor er es sich überstreifte, seinen nackten Oberkörper darunter verbarg und aufmerksam die Knöpfe in die Löcher drehte. Fortwährend blieben seine Augen dabei auf das Spiegelbild gerichtet. Streng erwiderte dieses seinen Blick. Vor allem, als auch der letzte Knopf am richtigen Platz war. Fließend glitt er mit den flachen Händen über den dünnen Stoff, über seine Brust, seinen Bauch. Flüchtig glitten die Finger auch unter den Gürtel und verstauten den unteren Saum des Hemdes dort, wo er hingehörte. Aufmerksam kleidete er sich, rückte flüchtig an der Hose und drehte sich zur Seite, um sich aus einer anderen Perspektive betrachten zu können. Seine Mimik offenbarte eine gewisse Nachdenklichkeit, als er seinen Körper musterte, auch die ledernen Schuhe, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren. Tief atmete er aus, atmete ein und strich sich anschließend das Haar zurück. Er band es streng zu einem säuberlichen Zopf, strich die kürzeren Strähnen hinter die Ohren und griff anschließend noch nach der schwarzen Krawatte, die neben ihm auf dem kleinen Schrank lag. Das Zimmer, das ihn umgab, wirkte trist und lieblos zusammengestellt. Es war klein, das winzige Fenster erlaubte durch sein vergilbtes Glas kaum den Blick nach draußen. Wo es ohnehin nicht viel zu sehen gab, denn die fantasielos verschnittenen Äste eines Baumes ragten bis hinauf. Mehr als grüne Blätter gab es nicht zu sehen. Das Gestell des Bettes war hässlich und kahl, die Matratze dünn und unbequem, während die Decke nicht viel mehr war, als ein Hauch von Stoff. Von dem Kissen ganz zu schweigen. Der Stuhl, der daneben stand, wirkte marode. Nicht mehr dazu fähig, das Gewicht eines Menschen zu tragen und Kanda hatte nicht vor, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Er band die Krawatte umständlich und dreimal, bevor er damit zufrieden war, richtete auch den Kragen des weißen Hemdes und blieb noch weitere Momente vor dem Spiegel stehen. Es war seltsam. Sobald er sich selbst sah, fühlte er sich dazu gezwungen, innezuhalten. Sein Blick wurde schier gefesselt von dem, was er in diesen Augenblicken sah und auch diesmal blieb er stehen und blickte in die annähernd schwarzen Augen, die mit einem seltsamen Ausdruck auf ihn gerichtet blieben. Er starrte sich an, hob flüchtig die Hand zur Wange, bevor er still den Kopf schüttelte und sich abwandte. Er hatte zu funktionieren. Durfte nicht innehalten. Das hatte er noch nie getan. Regungslos stand Lavi dort. Das rote Haar zu einem winzigen Zopf gebunden, starrte er auf den aufgetürmten Haufen aus Geschirr und Besteck. Seiner Mimik mangelte es bei dieser Betrachtung an etwaiger Euphorie. Viel eher blähte er die Wangen auf, rückte an seiner Augenklappe und blickte mürrisch zu den Spülmitteln, die dort auf einer Ablage standen. Sie riefen nach ihm, als wollten sie ihn verhöhnen, verlachten ihn und die Lage, in der er sich befand. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, seine Braue zuckte und beinahe verstohlen blickte er um sich. Man hatte ihn in die hinterste Ecke der Küche verbannt und er fragte sich, woran es lag, dass man ihn scheinbar von den Gästen des Restaurants fernzuhalten gedachte. Sein Lebenslauf stand dem von Kanda in nichts nach und doch schien man mehr Gefallen an dem Japaner zu finden, als an ihm. Vielleicht war seine scheinbare Einäugigkeit auf mangelnde Sympathie gestoßen. Er brummte leise und sah an sich herab. Nicht einmal seine weiße Kleidung war mit Liebe hergestellt worden und die karierte Schürze machte den Eindruck, schon viele Narren wie ihn überlebt zu haben. Der Tumult der Küche drang unterdessen in seine Wahrnehmung und nicht zum ersten Mal sehnte er sich einen Koch herbei, wie Jerry es war. Der Oberkoch des Rathausrestaurants wirkte stets frustriert und Lavi fiel nicht erst jetzt auf, wie gnadenlos und barsch er die Hilfsköche befehligte. Vorrangig seine Stimme war es, die den ganzen Tumult und die Hektik ausmachte, während die Hilfsköche schnaufend von einer Seite zur anderen rannten und angespannt in den Töpfen rührten. Eine furchtbare Atmosphäre, die Lavi über sich ergehen lassen musste und es war das erste Mal, dass er hoffte, die Mission würde rasch an ihnen vorüberziehen. Er sah es schon vor seinem geistigen Auge. Dass er wochenlang hierstehen und abwaschen würde, bis er zu Grunde ging oder ihm die Ohren abfielen. Er stieß ein lautes Ächzen aus, rollte mit den Schultern und tastete mehr als lustlos nach dem Wasserhahn. Lachend näherte sich eine Reisegruppe dem noblen Restaurant. In heitere Gespräche vertieft, passierten sie die gläserne Eingangstür und fanden sogleich einen freien Tisch, der ihrer Größe gewachsen war und an dem sie sich liebend gerne niederließen. Begeistert waren sie von der ruhigen Musik, die sie sogleich umgab. Es roch sauber, alles glänzte vor Reinheit und die Gruppe war bei bester Laune, als sie sich der Karten annahmen. Sie lehnten sich zurück, machten es sich gemütlich an dem bequemen Polster der Sitzbank und erst, als sie sich allesamt in die Angebote vertieften, wurde es etwas stiller. Leise erhob sich unterdessen das leise Kratzen des Bestecks. Geschirr klirrte und zufriedene Münder kauten, während hinter der Küchentür eine strenge Diktatur herrschte. Von all dem Chaos und dem Geschrei bekamen die Gäste nichts mit und nur, als die Küchentür aufschwang, drangen kurz verräterische Geräusche in das Restaurant hinaus. Entspannt schlenderte Kanda hinaus. Nur beiläufig erspähte er die neuen Gäste und auch ihm fehlte eine gewisse Euphorie, als er einen Block zückte und am Tisch stehenblieb. Mit der gewohnt finsteren Miene zog er auch einen Stift aus dem tiefsitzenden Kellnergürtel und atmete tief durch, bevor er sich an die Gäste wandte. Sie auch anzusehen, lag ihm dabei fern. Lieber starrte er auf den Block und ließ den Stift darüber kreisen. „Was darf’s sein?“, murmelte er unterdessen leise und begann zu schreiben, als sie Essens- und Getränkewünsche auf ihn einprasselten. Durch sein Verhalten schien er bei diesen Gästen keinen Schaden anzurichten, doch kaum kehrte er zurück in die Küche, da wurde er vom Restaurantmanager zur Seite gezogen. Es geschah plötzlich und bevor sich Kanda versah, stand er dem kleinen Mann gegenüber und wurde kritisch gemustert. „Du bist also der Neue“ Der zu kurz geratene Mann rieb sich das Kinn, beäugte Kanda von Kopf bis Fuß und fand schnell Grund, Kritik zu äußern. „Was ist das für eine Frisur?“, wollte er wissen und wurde stoisch angestarrt. „Wie wäre es damit, die Haare kurzzuschneiden?“ Die Reaktion blieb aus, doch er war noch nicht fertig. „Gepflegt wirkst du ja aber ich sage dir, es ist nur eine Frage der Zeit, bis deine Haare im Essen hängen! Aber das Schlimmste“, ein nackter Finger richtete sich auf Kanda, „ist dein Gesicht! Los, lächle mal!“ Beinahe entsetzt verzog sich Kandas Miene, doch der Mann schien es ernst zu meinen. Er verschränkte die Arme vor dem Bauch, hob voller Erwartung die Brauen und flüchtige Blicke nach allen Seiten bewiesen, wie unwohl sich Kanda mit dieser Aufforderung fühlte. Er räusperte sich, rümpfte die Nase, bevor er tiefen Atem schöpfte und sich an einen Versuch heranwagte. Etwas unentschlossen verzog er den Mund, doch das Resultat wirkte wie ein verzweifelter Versuch. Gerade so, als hätte er furchtbare Schmerzen. Das Lächeln zeugte nicht von Heiterkeit, es war eine verzerrte Grimasse und annähernd entsetzt wich der kleine Mann zurück. „Gute Güte!“, ächzte er. „Hör sofort auf damit!“ Resigniert erschlaffte Kandas Gesicht und durchaus zögerlich wurde sein Oberarm getätschelt. „Die Mimik gefällt mir doch ganz gut.“ Der Mann räusperte sich. „Tu mir den Gefallen und mach so etwas nie wieder.“ Stoisch starrte Kanda an dem Mann vorbei und erleichtert war er, als er ihn endlich loswurde. Ohne zu zögern mischte er sich so wieder in das Arbeitsleben und es wirkte, als hätte er niemals etwas anderes getan. Gekonnt balancierte er das Tablett aus, während er es durch das Restaurant trug, nur die Sache mit dem Lächeln ließ er ruhen. Es war mit Anstrengung verbunden, doch es gelang ihm, zumindest neutral dreinzublicken. Im schwarzen Orden hatte niemand eine heitere Mimik verlangt. Er hatte sich dort stets so gezeigt, wie er nun einmal war und es gab keinen, der sich daran gestört hätte. Man kannte ihn so… so und nicht anders. Zurückgelehnt saß der Mann dort. Im matten Licht einer Lampe blickte er auf seinen Schreibtisch, während die Ecken des Raumes in Schatten gehüllt wurden. Er atmete tief durch, machte es sich an der Rückenlehne bequem und begann sich mit seinen Händen zu befassen. Er faltete sie ineinander, rieb sich die Handflächen und unterdrückte sichtlich ein Gähnen. Auch, wenn erst ein knapper halber Tag hinter ihm lag, er fühlte sich erschöpft und unentschlossen begann er an den Unterlagen zu rücken, die vor ihm lagen. Ihm fehlte derzeit die Motivation, um sich damit zu befassen und flüchtig schloss er die Augen. Eine Pause… genau das würde er sich gönnen. Sein Hinterkopf sank gegen die hohe Rückenlehne, behaglich streckte er die Beine von sich, doch es dauerte nicht lange, bis sich seine Lider wieder hoben. Schweigend und entspannt überblickte er sein Büro, schürzte die Lippen… und mit einem Mal erstarrte seine Mimik. Er verharrte reglos, ein dünner Atemzug strich über seine Lippen und stockend richtete er sich auf. Geweitet blieben seine Augen auf eine Ecke des Raumes gerichtet und ein eiskalter Schauer überkam ihn, als er sah, wie sich dort im leichten Schatten des Raumes eine Gestalt manifestierte. Sie schien sich aus dem Nichts herauszubilden und mit einem Mal kam der Mann auf die Beine. Quietschend rutschte der Stuhl zurück, als er sich eilends erhob und angespannt blieb er stehen, als seine Augen eine Bewegung ausmachten. Es war eine große Gestalt, die dort in der Ecke erschienen war und trocken schluckte der Mann, als diese mit einem Schritt in das Licht der Lampe trat. Es war ein runder, beleibter Körper, der mit einem Mal erschien. Die kleinen Pupillen bewegten sich in den schmalen Augen, die sich hinter den runden Brillengläsern verbargen, als er um sich blickte, seine Umgebung musterte und bald darauf richteten sie sich direkt auf den Mann, der um einiges blasser geworden war. Er wurde mit einem breiten Grinsen gemustert, lange gemustert, bevor die knollige, in einem Handschuh steckende Hand sich zum hohen Zylinder hob und leicht an diesem rückte. „Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend“, erhob sich eine verspielte Stimme und sofort senkte der Mann den Kopf. Er zeigte Respekt, zeigte Ehrerbietung und beinahe geschmeidig näherte sich der beleibte Körper des Grafen dem edlen Schreibtisch. „Die Anzahl der Akuma, die du mir zukommen lässt, lässt allmählich etwas zu wünschen übrig.“ „Verzeiht mir.“ Ehrfürchtig senkte der Mann den Kopf noch tiefer, presste die Lippen aufeinander. „Ich werde tun, was in meiner Macht steht, damit Ihr wieder mit mir zufrieden seid.“ Dem Grafen war nicht anzusehen, wie er darüber dachte. Sein Gesicht blieb entspannt, während er mit den klobigen Fingern der Tischkante folgte und aus dem Fenster spähte. „Es ist wichtig“, hob er dann an, „dass ich mich auf meine Untertanen verlassen kann. Vergiss nicht, durch wen du diesen Posten erhalten hast.“ „Ich vergesse es nicht“, versprach der Mann sofort. Vorsichtig blickte er zum Grafen, der nun neben dem Schreibtisch zum Stehen gekommen war. Es war eine seltsame Atmosphäre. Eine Angespannte und Ernste und das Herz des Mannes begann zu rasen, als sich der Graf dem Schreibtisch zuwandte. Desinteressiert und beiläufig besah er sich die Unterlagen, die sich dort stapelten und während sich der Mann leise räusperte, drifteten die Augen des Grafen zu einem gewissen Punkt. Sie schienen zielstrebig, bis er regungslos verharrte und auf eine Mappe starrte, die offen dort lag. Unschlüssig verzog sich der Mund des Grafen und angespannt verfolgte der Mann, wie er sich über den Schreibtisch neigte. Die Augen noch immer auf ein und denselben Fleck gerichtet und ein langes Schweigen brach über die beiden herein. Irritiert folgte der Mann dem Blick des Grafen zu dieser Mappe. Flüchtig befeuchtete er die Lippen mit der Zunge und seine Verwirrung nahm zu, als der Graf langsam den Arm ausstreckte und nach jener Mappe griff. Behutsam nahm er sie an sich, starrte noch immer auf diesen einen Punkt und beirrt verzog sich das Gesicht des Mannes, als sich die Lippen des Grafen zu einem zögerlichen Grinsen vertieften. „Interessant“, erhob sich seine Stimme leise. Er hob die Hand, glitt mit den Fingerkuppen über das Foto und so rasch, wie es gekommen war, verblasste sein Grinsen auch wieder. „Was meint Ihr?“ Zögerlich tastete der Mann nach dem Stuhl, trat letztlich jedoch ebenso unsicher näher an den Grafen heran. Er nahm an seiner Betrachtung teil, runzelte die Stirn. „Kennt Ihr ihn?“ Der Graf atmete tief durch, seine Augen vermochten es unterdessen nicht, sich von Kandas Foto zu lösen. Er starrte ihn an, schien flüchtig in sich selbst versunken, während der Mann nervöser und nervöser wurde. „Herr Graf?“ Die Augen des Grafen drangen erneut durch die Fensterscheibe. Er behielt die Mappe in den Händen, schien offensichtlich zu grübeln. Ein weiteres Schweigen brach so über die beiden herein. Regungslos verharrte der Graf, wurde beirrt gemustert. „Sehr… interessant.“ „Was meint Ihr denn?“ Der Mann trat zögerlich zu dem Grafen, baute eine ehrfürchtige Nähe auf und schloss sich der Musterung des Grafen an. „Arbeitet er hier?“ Das alte Grinsen des Grafen war zurückgekehrt. Durchaus amüsert blickte er auf und stockend nickte der Mann. „Seit… heute Morgen.“ „Kam er alleine?“ Beinahe liebevoll wendete der Graf die Mappe in den Händen und nur wenige Momente später, wurde ihm auch Lavis Mappe gereicht. Für den Rotschopf schien er sich weitaus weniger zu interessieren. Nur kurz betrachtete er sich das Foto, bevor er die beiden Mappen auf den Schreibtisch zurücksinken ließ und den Mann annähernd enttäuscht ansah. „Es scheint so“, hob er dann leise an, „… als hättest du zwei Exorzisten in deinem Haus.“ „Wie bitte…?“ Auch die letzte Fassung bröckelte aus dem Gesicht des Mannes. Hastig blickte er zu diesen beiden Mappen. Eilige Grübeleien waren ihm anzusehen, bevor er sich hektisch an den Grafen wandte. „Was soll ich denn jetzt machen…?“, verlangte er aufgebracht zu wissen, doch der Graf teilte seine Nervosität nicht. „Um den einen werde ich mich selbst kümmern“, antwortete er letztendlich leise und mit einem Anflug von Vorfreude. „Was den anderen anbelangt…“ „Ja?“ „Wenn du einen Feind nicht loswirst“, langsam wandte sich der Graf ab, sein stattlicher, runder Körper bewegte sich schlendernd durch das Büro, „ist das Beste, was du tun kannst, ihn permanent um dich zu haben.“ Der Mann schien seinen Ohren nicht zu trauen. Sprachlos öffnete sich sein Mund und sinnierend blickte er auf seinen Schreibtisch. Aufmerksam umgingen seine Augen die Mappen der beiden Exorzisten und es dauerte nicht lange, bis er sich eilig aufrichtete. „Meint Ihr…“ Seine Stimme versagte. Abrupt verstummte er, als er realisierte, dass der Graf nicht mehr hier war. So rasch wie er gekommen war, so schnell war er auch wieder verschwunden. Der Mann stand nun alleine in seinem Büro, presste die Lippen aufeinander und und ließ sich stockend auf den Stuhl zurücksinken. Konzentriert belancierte Kanda das Tablett aus, als er aus der Küche trat. Vor allem zur Mittagsstunde war das Restaurant gut besucht. Es gab viel zu tun, Hektik war ausgebrochen. Eile und Stress herrschte im gesamten Restaurant und Kanda tat gut daran, sich nicht von alledem anstecken zu lassen. Er bewahrte Ruhe, als er mehrere Teller auf einem Tisch loswurde. Dankend wurde genickt und so wurde er auch die wenigen Getränke los, klemmte sich das Tablett unter den Arm und wandte sich ab. In eiligen Schritten steuerte er wieder auf die Küche zu, doch mit einem Mal hielt er inne. Er blieb stehen, senkte den Kopf und blickte in zwei runde, blaue Augen, die ihn von unten her musterten. Blondes Haar fiel lockig über die zierlichen Schultern des kleinen Mädchens, das plötzlich vor ihm stand. Gekleidet in ein rosanes Kleidchen, hielt es einen Teddy im Arm und kaum, dass sich ihre Blicke trafen, entfaltete sich ein sonniges Lächeln auf den Lippen des Kindes. Es schien so voller Freude, während es selbst desinteressiert angesehen wurde. „Hallo“, erhob sich dann ihre reine, liebliche Stimme und nur knapp nickte Kanda ihr zu, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Er war dabei, an ihr vorbeizuziehen, als sich die kleine Hand des Mädchens in seine Hose klammerte und ihn, wenn auch mürrisch, innehalten ließ. Ihr Lächeln hatte sich zu einem Grinsen vertieft und Augenrollend wandte sich Kanda ihr zu. „Was willst du?“ „Hast du…“, erwiderte das Mädchen ohne zu zögern, löste die Hand aus der schwarzen Kellnerhose und umklammerte ihren Teddy, „… ihn gesehen…?“ „Wen?“, hakte Kanda sogleich nach. Wenn er es auch desinteressiert tat, doch das kleine Mädchen lachte nur auf. „Hast du?“ Kanda runzelte die Stirn. Ihm fehlte die Geduld, um mit Kindern umzugehen und gerade wollte er genervt antworten, als sich eine Stimme aus der Richtung der Küche erhob. „Vincent?“ Kanda wirkte durch diese Ablenkung fast erleichtert und erblickte den Restaurantmanager, der eilig nach ihm winkte. So ließ er das Mädchen ohne ein Wort stehen und trottete zur Küche zurück. „Es ist zwar schön, wenn du Kinder magst“, wandte sich der kleine Mann an ihn, als sie dann in der Küche standen. Kanda rümpfte die Nase. „Aber du siehst ja, was hier los ist. Also versuch dich nicht zu verquatschen, ja?“ „Mm-mm.“ Kanda deutete das Nicken nur an, bevor er sich abwandte und weiterhin seiner Arbeit nachging. Seufzend versenkte Lavi einen Teller im Wasser, griff nach dem Schwamm und machte sich an den Essenresten zu schaffen, die auf dem feinen Porzellan hafteten. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. In der Küche war es unangenehm warm und auch die Hitze des Wassers machte all das nicht besser. Er fuhr sich mit dem Unterarm über das Gesicht, atmete tief durch und bemerkte vorerst gar nicht, wie der Restaurantmanager zu ihm trat. Der kleine Mann tauchte plötzlich auf, näherte sich ihm von hinten und verfolgte flüchtig die Arbeit des neuen Angestellten, bevor er die Stimme erhob. „Gray war Ihr Name, nicht?“ Überrascht wandte sich Lavi an den Mann, nickte und sah, wie er sich den Hals juckte. „Der Bürgermeister möchte Sie sprechen.“ „Mich?“ Pure Verwunderung stand in Lavis Gesicht geschrieben, doch er musste auch zugeben, dass er mehr als erleichtert war. Er roch die Befreiung von dieser undankbaren Aufgabe, trocknete sich eilig die Hände ab und machte sich auf den Weg. Durch das Restaurant und flüchtig sah er auch Kanda. Der Stress der Umgebung schien nicht zu diesem durchzudringen. Er strahlte eine angenehme Ruhe aus, während er von der Küche zu den Gästen und zurück schlenderte. Er stand gerade an einem Tisch, als Lavi an ihm vorbeizog und das Restaurant verließ. Lachend lief das kleine blonde Mädchen an ihm vorbei, bevor er nach draußen trat, mit einem tiefen Durchatmen die frische Luft genoss und mit den verspannten Schultern rollte. Es tat gut, aus der stickigen Küche rauszukommen und dennoch wunderte er sich. Er schlenderte über den kleinen Platz, betrat das Rathaus und wurde vom Bürgermeister durchaus freundlich empfangen. „Nehmen Sie Platz, Gray.“ Der Mann rückte an seiner Brille, während er auf einen bequemen Stuhl vor seinem Schreibtisch wies und gerne kam Lavi der Bitte nach. Wenn man stundenlang gestanden hatte, wurde so ein Stuhl wirklich sympathisch und kurz darauf saß er dem Bürgermeister gegenüber und verfolgte, wie dieser in seiner Mappe blätterte. Der Mann wirkte recht ausgeglichen, stolz und erhaben. Genauso, wie Lavi sich einen Bürgermeister vorgestellt hatte. Verwundert konnte er sich auch nennen, als eine Sekretärin ihm einfach einen Kaffee brachte. Auch an diesem nippte er gerne, während der Mann blätterte, ein wenig las und sich dann direkt an ihn wandte. „Ich habe gehört, Sie verfügen über ein großes historisches Wissen und sind geübt, was Schriften anbelangt?“ Auch seine Stimme klang sehr ruhig, sehr gefasst und ohne zu zögern nickte Lavi. Der Kaffee war recht bitter, doch auch genau das, was er nun brauchte. So nahm er einen weiteren Schluck und sah den Bürgermeister seufzen. „Ich finde, wir würden Ihr Können verschwenden, wenn wir Sie weiterhin Teller abspülen lassen.“ Das war doch mal ein Wort. Lavi wurde immer zuversichtlicher, dass er nicht in die Küche zurück musste und wirklich… nach wenigen Momenten legte der Bürgermeister die Mappe zur Seite und lächelte ihn an. „Was halten Sie davon, mit meinem ersten Sekretär zusammenzuarbeiten?“ Lavi hob die Braue, ließ den Kaffee sinken. Sein Inneres jubelte auf, während er äußerlich nur zurückhaltende Freude zeigte. „Was für Aufgaben würden mir denn da auf mich zukommen?“ „Tja.“ Der Bürgermeister lehnte sich zurück, machte es sich an der Rückenlehne bequem. „Schriftverkehr, Recherchen… alles, was Sie scheinbar können.“ Und Lavi nickte. Die Tasse hielt er im Schoß mit beiden Händen umschlossen, während er zurückhaltend grinste. „Wann soll ich anfangen?“ Es war in den frühen Nachmittagsstunden, als man Kanda und seinen Kollegen endlich eine Pause gönnte. Der große Mittagsansturm war vorbei, das Restaurant weitaus leerer, als zu diesen Stunden und so hatten sich die Kellner in den Hinterhof zurückgezogen. Sie saßen auf hölzernen Kisten, die von der morgendlichen Lieferung zeugten, einige rauchten auch eine Zigarette und es dauerte nicht lange, bis sich ein Kollege an Kanda wandte. Die Hände in den Hosentaschen, lehnte sich dieser gegen eine Wand, als sich der junge Mann spontan an ihn wandte. „Wenn wir Feierabend haben“, hob er an und flüchtig rümpfte Kanda die Nase, als eine Schwade aus stinkendem Rauch an seinem Gesicht vorbeizog, „gehen wir oft einen trinken. In einer Kneipe, die ist nicht weit entfernt.“ „Dort lassen wir öfter den Tag ausklingen“, mischte sich ein anderer Kollege ein, der bislang etwas unentschlossen mit dem Fuß über den Boden gescharrt hatte. „Dadurch bekommen wir zwar nicht sehr viel Schlaf aber Spaß macht es allemal.“ „Wie sieht’s aus? Magst du dich uns anschließen?“ Kanda schnalzte mit der Zunge, zeigte sich sofort unentschlossen und ließ die beiden länger auf eine Antwort warten. Er wusste, dass es sich vermutlich um eine gute Möglichkeit handelte, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen, doch ebenso rasch dachte er daran, eingeklemmt zu sein zwischen schwitzenden Körpern. Keine Freiheit zu haben… so eingekesselt würde ihn seine Selbstbeherrschung vor hohe Hürden stellen. Es wäre vermutlich auch laut. Der Alkohol würde Hemmschwellen abbauen und er wusste genau, dass er flüchten würde, ohne an eine Information gelangt zu sein. Vermutlich war es zuviel für ihn. Es gehörte zur Mission, gehörte auch zu seinen Pflichten und dennoch schüttelte er letztendlich den Kopf. Er war noch nicht so weit. Mehr noch, es war schier unmöglich für ihn. Eine solche Nähe zu Männern aufzubauen, der intensiven Geräuschkulisse zu erliegen. Pure Belastung. „Ach schade.“ Der junge Kollege seufzte. „Aber ich verstehe das schon. Am Anfang macht so ein Arbeitstag einen echt fertig. Du kannst ja mitkommen, wenn du dich daran gewöhnt hast.“ Und Kanda nickte, obwohl er daran zweifelte, dem jemals gewachsen zu sein. Doch das spielte hier und jetzt keine Rolle. Offiziell hatte er seine Gründe, die niemand hinterfragte. Entspannt kippelte Lavi auf dem Stuhl. Er war die weiße, hässliche Kleidung losgeworden, trug nun lieber seine zivile Kleidung, während er auf ein Schriftstück starrte und es sich durchlas. Wie gesagt, er war dem ersten Sekretär zur Seite gestellt worden, saß in dessen Büro an einem kleineren Tisch und fühlte sich in dieser Position bei weitem wohler als an der Spüle. Ein Stift klemmte hinter seinem Ohr und es dauerte nicht lange, bis er ihn hervorzog, sich über den kleinen Tisch neigte und zu schreiben begann. Er tat das, worin er Erfahrung hatte. Er war einfach in seinem Gebiet und nur nebenbei lauschte er der Stimme des Sekretärs, während dieser verschiedene Telefonate führte. Es war ein entspanntes Arbeiten und auch, wenn sich Lavi noch immer über diese abrupte Versetzung wunderte, er wollte dieses Glück auch nicht hinterfragen. Er schrieb noch immer in seiner feinen, schrägen Schrift, tastete nebenbei nach einem Buch und öffnete es. Etwas Besseres hätte ihm im Grunde nicht passieren können. War er zuerst soweit vom Bürgermeister entfernt gewesen, daß er nun direkt im Nebenraum und arbeitete mit dem Mann zusammen, der dem Bürgermeister am nahesten war. Es war wohl das perfekte Umfeld für Recherchen und doch ließ er sich mit Fragen noch Zeit. Die richtigen Momente würden noch kommen. Er atmete tief durch, griff nach seinem Kaffee und lehnte sich zurück. Er wusste nicht, wieviele Stunden er nun schon hier saß und ein Blick zur Uhr verriet es ihm. Es war in den frühen Abendstunden und unerwartet erhob der Sekretär das Wort. „Der Bürgermeister und ich… wir essen gerne im Restaurant zu Abend. Wollen Sie und Gesellschaft leisten?“ „Ich?“ Lavis Verwunderung kannte allmählich keine Grenzen mehr. Er hob die Braue, wollte und konnte nicht verstehen, weshalb er plötzlich so einbezogen… weshalb es ihm so einfach gemacht wurde, doch letztendlich nickte er ohne zu zögern. Er war hier direkt an der Quelle und genau an dem Mensch dran, der verdächtigt wurde, ein Broker zu sein. Etwas Besseres konnte ihm einfach nicht passieren und bevor er sich versah, saß er mit dem Bürgermeister und dem Sekretär in einer Ecke des Restaurants und vertiefte sich in die Karte. Es blieb nur noch eine knappe Stunde, bis das Restaurant geschlossen wurde, doch der Bürgermeister war ein so gern gesehener Gast, dass die Zeit keine Rolle spielte, wenn er hier aß. In einer anderen Ecke des Restaurants war ein Kellner bereits mit Putzen beschäftigt. Die letzten leeren Teller wurden von den Tischen geräumt und eine angenehme Ruhe umgab die drei letzten Gäste. Durchaus müde trotteten die Kellner aus der Küche und durch die Räumlichkeiten und es war ein junger Mann, dem keine Müdigkeit anzusehen war, der nach wenigen Momenten zu ihnen trat und einen Block zückte. Flüchtig lächelte Lavi seinem Kollegen zu, während dieser auch einen Kugelschreiber zückte. Kurz darauf kam Lavi in den Genuss eines herrlichen Abendessens. Hungrig beugte er sich über den Teller, achtete währenddessen aufmerksam auf die Gespräche, die der Bürgermeister mit seinem Sekretär führte, doch es handelte sich um nichts, das ihn interessierte. Geschäfte, Gesetze… die Palette der Gespräche war nicht sonderlich groß und es dauerte nicht lange, bis sich der Sekretär geradewegs an den kauenden Lavi wendete. „Ich weiß, Sie haben schon den gesamten Tag gearbeitet und deswegen fällt es mir schwer, diese Bitte an Sie zu richten.“ Lavi schluckte hinter. Flüchtig wurde er auf Kanda aufmerksam, der zurück in die Küche schlenderte und letztendlich hob er die Braue. „Worum geht es denn?“ „Es gibt das eine oder andere, das noch heute erledigt werden müsste. Normalerweise hätten Sie allmählich Feierabend aber könnten Sie nicht noch die eine oder andere Stunde drauflegen?“ „Kein Problem“, erwiderte Lavi sofort und letztendlich blieb ihm gar keine andere Möglichkeit. Nur, wenn er gut arbeitete und zuverlässig war, würde der Sekretär ihn auch weiterhin um sich haben wollen und auch, wenn er müde war, er nahm es gerne auf sich. „Das ist sehr freundlich von Ihnen.“ Der Sekretär wirkte sehr erleichtert, während der Bürgermeister in einem Braten stocherte. „Natürlich werden wir Sie entschädigen.“ Lavi war kurz davor zu sagen, dass Geld keine Rolle spielte, doch er schluckte diese Worte hinab, nickte nur und griff nach seinem Saft. Fröstelnd hüllte sich Kanda in seinen Mantel, als er aus dem Hintereingang des Restaurants trat. War es tagsüber angenehm gewesen, so war es nun umso frischer. Sein warmer Atem beschlug ein wenig in der kühlen Nachtluft und flüchtig blickte er orientierend um sich. Von den Unterkünften der Arbeiter trennte ihn ein langer Weg, doch ein entspannender Spaziergang war wohl genau das, was er nun benötigte und womit er sich wohlfühlen würde. Nach einem solchen Tag. Die Erschöpfung steckte größtenteils in seinen Knien. So setzte er sich nur langsam in Bewegung und schlug den Kragen des Mantels hoch. Er ging gemächlich, sog die frische Nachtluft genüsslich in sich ein und versenkte die Hände in den Taschen des Mantels. Nur wenige Menschen begegneten ihm. Sie alle wirkten erschöpft vom Tag und zogen wortlos an ihm vorbei. Ein Zeitungshändler war noch damit befasst, seinen Stand zu schließen, während lautes Lachen aus den Kneipen drang, die Kanda auf seinem Weg hinter sich ließ. Die schwere Dunkelheit hatte sich längst über die deutsche Stadt gesenkt. Matte Lichter schienen hinter den Fenstern, Türen waren und blieben verschlossen und eine angenehme Stille begleitete Kandas Schritte. Nur entfernte, leise Schritte drangen an seine Ohren. Auch laute Musik, als neben ihm die Tür einer Bar aufschwenkte und zwei Betrunkene lachend auf die Straße stolperten. Die gesamte Welt wirkte so heiter… so entspannt und vor allem in solchen Momenten fiel es doch sehr auf. Wie schwer das eigene Herz war. Eine Tatsache, die ohne Vergleiche gnadenlos unterging. Bedächtig trottete Kanda über eine schmale Straße, schob sich zwischen zwei Kutschen hindurch und blickte einer weißen Katze nach, die sich vor ihm über den Weg flüchtete. So rasch, wie sie erschienen war, so schnell verschwand sie auch schon im Schatten einer Gasse, aus der kurz darauf leises Knistern drang. Leise rauschten auch die Baumkronen, als er an einer kleinen Grünanlage vorbeizog. Es schien alles so friedlich, so ruhig… einfach angenehm für geschundene Nerven und flüchtig schloss Kanda die Augen. Tief atmete er durch, bevor er mit den verspannten Schultern rollte und eine Abkürzung durch eine Gasse nahm. Stinkende Mülleimer begegneten ihm auf dem schmalen Pfad. Fliegen bewegten sich surrend über den Essensresten und kalt fiel das Mondlicht auf Kandas Gesicht, als er auf einen kleinen Platz hinaustrat. Vor wenigen Stunden hatte hier scheinbar noch ein Markt stattgefunden. Nun war auch dieser Ort verlassen und still. Vereinzelt standen noch die hölzernen Stände dort. Überdacht von alten Planen, die sich still im Wind bewegten. In der Ferne schlug eine Turmuhr und erst jetzt wurde sich Kanda der Tatsache bewusst, wie spät es wirklich war. Den gesamten Tag über war er auf den Beinen gewesen, hatte bedient… war einfach auf den Beinen gewesen und flüchtig blickte er zu einer alten Bank. Sie lud dazu ein, sich auf ihr niederzulassen, doch letztendlich zog Kanda doch sein Bett vor. Wenn es auch nicht bequem war, für wenige Stunden Schlaf schien es schon geeignet. Und die hatte Kanda auch nötig. Er unterdrückte ein Gähnen, rieb sich das Gesicht und bog um eine Ecke. Leise klimperte ein Schlüsselbund auf, als ein Mann seinen Laden abschloss. Auch an ihm zog Kanda desinteressiert vorbei. Die Welt drehte sich weiter. Auf einen Tag folgte der Nächste und nun war er mittendrin. Er schob die Hand zum Nacken, bettete sie auf diesem und blinzelte müde. Die kleine Allee, die sich nun vor ihm erhob, war ebenso verlassen wie der Rest der Stadt. Keine Menschenseele war hier und umso mehr fielen die beiden Gestalten auf, die Kanda mit einem Mal entgegenkamen. Leise schallten ihre Schritte auf den blanken Pflastersteinen und Kanda wurde mit einem Mal aufmerksam. Ein Mann, in schlichte Robe gekleidet, kam auf ihn zu. Ein sauberer Hut saß auf seinem kurzen Haar, während seine Hand die eines kleinen Mädchens hielt. Springend und verspielt bewegte sich die Kleine neben dem Mann und kurz verlangsamte Kanda seine Schritte. Blonde Locken… große blaue Augen… selbst der Teddy war dabei. Er baumelte an dem anderen Arm des Mädchens, das wenig überrascht wirkte, ihn hier wiederzusehen. Ihre rosigen Lippen verzogen sich zu dem alten Lächeln, als sie sich einander näherten. Kanda in langsamen Schritten, die beiden anderen durchaus zielstrebig und es dauerte nicht lange, bis sie einander erreichten. Die Schritte des Mädchens verlangsamten sich, verspielt rüttelte sie am Arm ihres großen Weggefährten und abrupt blieb sie stehen, als Kanda gewillt war, an ihnen vorbeizuziehen. Die großen blauen Augen richteten sich auf den Japaner. Eine Musterung, die diesem nicht entging und wenn auch teilnahmslos und mürrisch, er hielt inne und erwiderte ihren Blick. So standen sie voreinander, während neben ihnen raschelnd vereinzelte Blätter über den Boden tanzten. Langsam löste Kanda die Hand aus seinem Nacken. Sie sank hinab, versenkte sich wieder in der Manteltasche und eine flüchtige Stille herrschte zwischen den dreien, bis das Mädchen ihre liebliche Stimme erhob. „Hast du…“, weiße Zähne kamen zum Vorschein, als sich ihr Lächeln zu einem kecken Grinsen vertiefte, „… ihn gesehen?“ Tief atmete Kanda ein. Er fand keinen Gefallen an diesen Rätseln. Auch sein Interesse ließ zu wünschen übrig und genervt verdrehte er die Augen. Verbunden mit einem leisen Stöhnen drang der Atem wieder nach draußen und flüchtig blickte er um sich, bevor er lustlos antwortete. „Wen denn?“ Dinge wiederholten sich. Im Restaurant war genau dasselbe geschehen und noch immer war ihm nicht danach, sich mit einem Kind zu unterhalten. Es brachte ihm nichts. Auch keinen Gefallen, keine Neugierde und leise drang das Lachen des Kindes an seine Ohren, als er sich erneut und durchaus mürrisch umsah. Niemand war hier. Sie standen alleine in dieser kleinen Allee und kurz wurde Kanda auf den Mann aufmerksam. Abwesend drifteten dessen dunkle Augen an ihm vorbei. Er erhob auch nicht die Stimme, war zwar anwesend und wirkte dennoch, als wäre er weit weg. „Hast du?“ „Okay.“ Mit schwindender Geduld wandte sich Kanda wieder dem Mädchen zu. „Entweder du sagst mir jetzt, wen du meinst oder ich lasse dich stehen.“ „Du hast ihn doch sicher gesehen, nicht?“ Das Mädchen blinzelte verspielt, schwenkte ihren Teddy und hängte sich an den Arm des Mannes. „Wen!“ Ungeduldig und genervt ging Kanda die Kleine an und wieder lachte sie auf. „Na…“, griente sie und legte den Kopf schief, „… Tyki.“ Ein erschrockenes Zucken jagte durch Kandas gesamten Körper. Ein schmerzhafter Stich erfasste sein Herz und kurz rang er nach Atem, während sich noch immer das Lachen des Kindes erhob. Das Mädchen wirkte so amüsiert, während etwaige Fassung aus Kandas Gesicht bröckelte. Es gab nur einen Namen, der fähig war, ihm die gesamte Beherrschung zu entreißen. Nur ein Name, der ihn zu Eis erstarren ließ. Stockend verließen seine Hände die Manteltaschen. Seine Lippen wollten Worte formen, seine Stimme sich erheben, doch es war nur ein trockenes Keuchen, das aus ihm hervorbrach. Geweitet blieben seine Augen auf das niedliche Gesicht des Mädchens gerichtet. Und er sah es. Wie sich der Kopf der Kleinen knackend verformte. Er streckte sich in die Höhe, die lieblichen blauen Augen verzogen sich in unterschiedliche Richtungen und es war der blanke Lauf einer Kanone, der mit einem Mal aus der Schläfe des Mädchens hervorquoll. Er wucherte hervor, richtete sich auf das erstarrte, bleiche Gesicht des jungen Mannes, der sich noch immer nicht bewegen konnte. Bitter drang das Gefühl der Gefahr in sein Bewußtsein. Seine Instinkte rieten ihm, sich sofort in Bewegung zu setzen, doch sein Leib wirkte mit einem Mal so kalt wie Eis. Zu keiner Bewegung fähig, blieb er so stehen, starrte in den schwarzen Schaft der Kanone. Beinahe hysterisch erhob sich nun das laute Lachen des Mädchens, während der Mann noch immer reglos verharrte. Wie eine Statue hielt er sich neben dem Akuma und trocken würgte Kanda ein Schlucken hinab, als sich ein leises Klicken erhob. Eine eiskalte Gänsehaut raste über seinen Körper, verbissen zwang er sich zu irgendeiner Reaktion, doch bevor er sich versah, zuckte das Mündungsfeuer vor seinen Augen auf. Ein lauter Knall erhob sich in der nächtlichen Stille der Stadt und Kanda spürt es genau. Wie die Wucht des Geschosses sein Gesicht traf und seinen gesamten Kopf nach hinten riss. Die Wucht, die seinen Schädelknochen bersten ließ, seine Nase zerfetzte, seine Lippen zerriss und wie dumpf erfasste ihn auch die Kraft, mit der sein Körper auf den Backsteinen aufschlug. Er wurde zurückgeschmettert, ging mit einem Schlag zu Boden und er glaubte noch, zu hören, wie sich sein Blut auf dem Boden verteilte, bevor alles um ihn herum schwarz wurde. Lavi blickte auf. In seinen Händen hielt er eine dünne Mappe, während er nachdenklich aus dem Fenster blickte, das sich neben ihm erhob. Entspannt und in das leichte Licht einer Lampe gehüllt, saß der Sekretär neben ihm am Schreibtisch und knapp blickte Lavi zu ihm. Hatte er es auch gehört? Es war nur ein leises Geräusch gewesen und es brachte Lavi dazu, an sich zu zweifeln. Vermutlich hatte er sich geirrt, hatte zu spät reagiert und tief durchatmend öffnete er die Mappe und begann zu lesen. Nebenbei griff er nach dem Tee, den die Sekretärin ihm gebracht hatte. Er schmeckte sehr gut und mehrmals nippte er an ihm, bevor er die Tasse wieder zurückstellte und neben sich nach einem Füller tastete. Wie ein Stromstoß erfasste ein tiefer Atemzug den leblosen Körper Kandas. Mit einem zuckte er zusammen, verkrampft bäumte sich sein Körper, seine Brust streckte sich in die Höhe, während seine Hände ebenfalls zu Leben erwachten. Die Finger spreizten sich, klammerten sich in das Gestein des Bodens. Schmerzhaft und mit einem Schlag kehrte das Leben in Kanda zurück und ein heiseres Husten brach aus ihm heraus, als er sich stockend zu regen begann. Er winkelte ein Bein an, räkelte sich auf dem kalten Boden und begann leise zu würgen. Ein starkes Kitzeln bewies, dass sich die Haut in seinem Gesicht neu bildete. Geschmeidig zog sie sich über das nackte, blutige Fleisch an den Wangen, während sich der Nasenknochen wie aus dem Nichts herausbildete. Auch er wurde sogleich mit Haut überzogen und es nahm nur wenige Sekunden in Anspruch, bis sich auch seine Lippen neu schufen. Binnen kürzester Zeit heilte der Körper die tödliche Wunde und sobald Kanda seine Lider spürte, begann er hastig zu blinzeln. Nass besudelte endloses Blut sein Haar, als er den Kopf aus der tiefen Pfütze hob. Es tropfte von seinen Strähnen, als er damit rang, die Augen wieder zu öffnen. Seine Gelenke fühlten sich erstarrt an. Der Körper tat sich schwer mit der zurückgekehrten Lebendigkeit. Jedes Glied seines Körpers zuckte, seine Knie zitterten und hastig fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht, als das Blut ihm auch in die Augen geriet. Heftig wischte er es fort, stemmte sich bebend in die Höhe und endlich hoben sich seine Lider. Seine Augen gaben ein verschwommenes, undeutliches Blick preis und keuchend brach auch sein Atem hervor, als er um sich blinzelte. Dunkle, runde Schatten umgaben ihn. Regungslos schwebten sie über dem Boden und es nahm mehrere Momente in Anspruch, bis Kanda wieder voll und ganz bei sich war und in die verzerrten Gesichter der Level-1 starrte, die ihn in enormer Anzahl umgaben. Regungslos waren ihre Kanonen auf ihn gerichtet, sie umgaben ihn wie eine undurchdringliche Mauer und wenn auch unsicher und zitternd, Kanda kämpfte sich auf die Knie. Seine Beine wollten sein Gewicht kaum tragen und erschöpft stemmte er sich zur Seite, um nicht wieder zu Boden zu gehen. Seine Hand badete im Blut, das den Boden überzog und instinktiv zuckte seine andere Hand zum Gürtel. Die Finger wollten zugreifen, erwarteten das Gefühl, Mugen unter sich zu haben, doch es traf ihn wie ein Schlag, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass er seine Waffe nicht dabei hatte. Mit geweiteten Augen starrte er zu seinem Gürtel, zu dem Platz, an welchem sich Mugen doch stets befand. Stockend ließ er die Hand sinken, sprachlos öffnete er den Mund und zögerlich blickte er auf und begegnete all den verzerrten Grimassen, die ihn umgaben. Wirr haftete das Haar im Schweiße seiner Stirn, als er um sich starrte. Seine Brust schmerzte beinahe unter dem rasenden Keuchen und kaum ein Blinzeln gelang ihm, als er in all die Rohrte starrte, die auf ihn gerichtet blieben. Er fand sich in einer völlig unbekannten Lage wieder. Noch niemals war er Akuma unbewaffnet begegnet und auch, wenn sein Kopf noch schmerzte, er zwang sich zu hastigen Grübeleien. Er wusste es. Er musste jetzt schnell sein, musste eine Entscheidung treffen, doch seine bebenden Beine bewegten ihn zu Argwohn. Würden sie ihn tragen? Er regte sich auf dem vor Blut durchnässten Boden, presste die Lippen aufeinander und es war ein leises Klicken, das seine Grübeleien mit einem Mal beendete. Es erhob sich direkt neben ihm, grell zuckte ein Mündungsfeuer vor ihm auf und sein Körper reagierte sofort. Es waren die puren Reflexe, die ihn vorerst retteten. Sein Körper sprang auf die Füße, wendig rollte er sich zur Seite und während er unter dem massigen Körper eines Akuma hindurchtauchte, schlug das Geschoss krachend auf dem Boden ein, auf welchem er soeben noch gekauert hatte. Ein einziger Schuss, der den Grundstein des Dramas legte. Keuchend sprang Kanda auf die Füße. Heftig stemmte er sich in die Höhe und sofort folgten ihm die Kanonen, als er sich zwischen den Akuma bewegte. Er musste schnell sein, musste wenig sein und auch, wenn ihn ein starker Schwindel heimsuchte, keine Sekunde durfte er zögern, keinen Moment, obgleich sein Körper nach einer solchen Heilung vorrangig Ruhe benötigte. Er konnte sich derartiges nicht leisten und er rannte, wie er noch nie gerannt war. Stolpernd und schlitternd durchbrach er die Reihen der Akuma. Er wich den massigen Körpern aus, schlitterte an ihnen vorbei, duckte sich unter den krachenden Schüssen und erst nach einigen Momenten sprintete er ins Freie. Keuchend fiel sein Atem, als er seinem Körper alles abverlangte. Das Herz raste in seiner Brust, als er den Weg zu seiner Unterkunft fortsetzte. Lautes Donnern erhob sich in seinem Rücken, als er zu einer nahen Gasse sprintete und er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass die Akuma ihm folgten. Er rannte so schnell er konnte, flüchtig stolperte er, schlug gegen eine Mülltonne und ächzend zwang er sich sofort dazu, wieder auf die Beine zu kommen. Grell umflammten ihn die Schüsse. Überall schlugen sie ein. In den Wänden neben ihm, zu seinen Füßen und verbittert biss er die Zähne aufeinander und hetzte weiter. Sein Zimmer war nicht mehr fern! Stockend richtete sich Lavi auf. Der Stuhl rutschte zurück, als er auf die Beine kam und während er abermals durch das Fenster starrte, wurde auch der Sekretär aufmerksam. Auch er wandte sich um und sogleich erblickten ihre Augen, wie weit entfernt grelle Lichter aufzuckten. Auch leises Donnern drang zu ihnen und beinahe ungläubig verfolgte Lavi all das. Sprachlos öffnete sich sein Mund, als auch der Qualm eines Brandes gen Himmel aufstieg und die Staubwolken verschiedener Häuser, die unter den berstenden Schüssen in sich zusammenbrachen. „Oh Gott…“ Lavis Herz begann zu rasen, als er zögerlich zur Seite trat. Der Sekretär runzelte die Stirn, auch er kam auf die Beine und gerade trat er an das Fenster heran, als Lavi zum Leben erwachte. Keuchend fuhr er herum, eilte zur Tür und riss sie auf. Er hastete in den Flur, rutschte flüchtig auf dem polierten Boden aus und stieß sich am Boden ab. „Gray?“, erhob sich noch die irritierte Stimme des Sekretärs, bevor Lavi die Stufen hinabhetzte, keuchend durch das Foyer sprintete und in die frische Nachtluft hinaussprang. Er machte einen weiten Satz, ließ mehrere Stufen hinter sich und hastig zerrte er den winzigen Hammer ins Freie, den er in seiner Hosentasche verborgen gehalten hatte. Kandas Beine bebten immer stärker. Seit Minuten sprintete er nun durch die nächtliche Stadt und wie erleichtert war er, als er endlich das kleine, unauffällige Haus vor sich hatte. Er war schnell genug gewesen, um die Akuma um ein Stück hinter sich zu lassen und es vergingen nur wenige Momente, bis er in sein Zimmer stolperte. Er hastete zum Bett, riss die dünne Matratze in die Höhe und griff nach Mugen, das dort verborgen lag. Es fühlte sich gut an, diese Waffe in die Hand zu nehmen. Er klammerte sich an sie, grabschte noch nach seinem Golem und verließ seinen Raum so schnell, wie er ihn betreten hatte. Schwer atmend schob er sich in das Treppenhaus, schmiegte sich gegen die Wand, bevor er an ein Fenster herantrat und vorsichtig nach draußen blickte. Mit geweiteten Augen blickte er durch das Glas, sah die Schatten der Akuma, die sich im kleinen, dreckigen Hinterhof einfanden. Sie wussten, wo er war, doch das Recht auf Zuversicht war greifbarer, als er Mugen aus der Scheide zog und das Innocence akitiverte. Hastig schlüpfte er aus dem Mantel. Er riss ihn sich von den Armen, schleuderte ihn zu Boden und genoss die verbesserte Armfreiheit. Erneut lehnte er sich gegen die Wand, schloss flüchtig die Augen und atmete tief durch. Nur kurz, bevor er sich abstieß und das Haus verließ. „Yu?!“ Keuchend blieb Lavi an einer Kreuzung stehen. Aufgebracht ließ er den Hammer sinken, fuhr herum, als sich neben ihm eine erneute Explosion erhob und ohne zu zögern rannte er in diese Richtung. Laut schallten seine Schritte, als er die breite Hauptstraße hinabsprintete und es dauerte nicht lange, bis ihm verstörte Stadtbewohner entgegenkamen. Sie alle waren geflüchtet, sie alle suchten nach Sicherheit, während Lavi genau das zum Ziel hatte, wovor sie flohen. Er drängte sich durch eine größere Masse, bekam mehrere Ellbogen zu spüren und nutzte eine kleine Abkürzung durch eine Gasse. Und es dauerte nicht lange, bis die Häuser zu seinen Seiten in Brand standen und er die ersten Akuma hinter einer fernen Ecke verschwinden sah. Sie schienen nicht auf ihn aus zu sein, doch so blieb ihm allemal die Möglichkeit, ihnen in den Rücken zu fallen. Grell legte sich das Licht der Explosion auf Kandas Gesicht, nachdem Mugen den nahen Körper eines Akuma zerschmettert hatte und dieser sofort in die Luft flog. Es war ein einziges Chaos, das er hinter sich ließ. Brennende Kadaver, qualmende Häuser und es schien kein Ende zu nehmen. Wieviele Akuma mussten in dieser Stadt gelauert haben und nun brachen sie allesamt hervor und sorgten dafür, dass Kanda in Schwierigkeiten geriet. Er führte Mugen sicher, zeigte Wendigkeit und schnelle Reaktionen und wie oft retteten ihm diese Eigenschaften das Leben. Keuchend bewegte er sich zwischen den massigen Körpern, zischend zog Mugen seine Bahn und ohne zu zögern brach er hervor, als die Akuma ihn einkesselten. Mugen machte es weitaus leichter, die Angriffslinien zu durchbrechen und hastig machte er sich auf die Suche nach einem Platz, der einen guten Kampf erlauben würde. Hastig strich er sich das Haar zurück, als er durch eine Gasse hastete. Das Gestein zu seinen Füßen berstete beinahe unentwegt unter wilden Schüssen und eilig stemmte er sich ab, als er eine Gabelung erreichte und änderte die Richtung. Lavi musste schon auf dem Weg zu ihm sein. Er rang laut nach Atem, ließ die Gasse hinter sich und rutschte schlitternd hinter eine dicke Mauer. Schwer atmend presste er sich gegen das Gestein und hastig holte er seinen Golem hervor. Flatternd erhob sich dieser in die Lüfte und angespannt blickte Kanda in beide Richtungen, bevor er atemlos die Stimme erhob. „Lavi…! Hey, hörst du mich!“ Er stieß ein Keuchen aus, schmiegte sich noch fester gegen das Gestein, als sich die Explosionen ihm näherten und es dauerte nicht lange, bevor die Leitung des Golems knackte und sich eine aufgebrachte Stimme meldete. „Yu?! Wo bist du?!“ „Westlich des Rathauses!“ Vorsichtig richtete sich Kanda auf. Nur kurz blickte er über die Mauer hinweg, stemmte sich auf Mugen und ließ sich wieder sinken. „In der Nähe des großen Parks!“ „Was zur Hölle ist passiert?!“ Lavi hörte sich an, als würde er rennen. „Wo kommen all diese Akuma her?!“ „Woher soll ich das wissen!“ Kanda schnitt eine Grimasse, machte sich bereit. „Wann bist du hier?!“ „Gib mir noch ein paar Minuten!“ „Kch!“ Hastig grabschte Kanda nach dem Golem, verstaute ihn wieder in seiner Hosentasche und sprang auf. Flink zog er die Klinge Mugens aus dem Boden, tauchte unter den heranschmetternden Schüssen hindurch und wählte eine nahe Gasse. Wenn er sich den Akuma alleine stellte, würde es zu einem endlosen Kampf werden. Er war ihnen gewachsen, doch nicht ihrer Anzahl und auch, wenn es nicht seiner Art entsprach, lieber ging er dem großen offnesiven Kampf aus dem Weg, bis Lavi eintraf. Grobes Gestein bröckelte auf ihn hinab, als er in die Gasse sprang und sich über seinem Kopf eine Salve in der Häuserwand versenkte. Staub und Dreck kam ihm in die Lunge und hustend lief er sich aus. So tauchte er in die Dunkelheit der Gasse ein, fuhr herum und keuchte laut auf, als er erkannte, dass die Akuma ihm nicht folgten. Er tat die letzten hastigen Schritte, bevor er stehenblieb und irritiert verzog sich seine Miene, als er die monströsen Körper der Akuma erspähte, wie sie sich vor der Gasse bewegten. Sie war breit genug. Die Akuma hielt nichts Offensichtliches auf und dennoch verfolgten sie ihn nicht. Ächzend ließ Kanda Mugen sinken, vorsichtig trat er zurück und lauschte in die plötzlich eingetretene Stille hinein. Kein Schuss erhob sich, kein Gestein berstete. Nur ein ferner Brand machte auf sich aufmerksam und eine kühle Brise erfasste Kanda, als er weiterhin zurücktrat, bis die Gasse um eine Ecke führte. Dumpf traf sein Rücken auf das Gestein der Wand, flüchtig fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund und wie schwer atmend blieb er vorerst dort stehen und starrte auf die Mauer aus Akuma, die dort draußen auf ihn lauerten. Er rieb sich etwas Staub aus den Augen, senkte kurz den Kopf und schloss flüchtig die Augen. Auch die Gasse, die neben ihm weiterführte war leer. Nicht einmal an ihrem Ende war der Gegner auszumachen und erst, als leichtes Gestein auf seine Schulter niederrieselte, blickte er wieder auf. Kleine Steinchen und Staub waren auf ihn hinabgebröckelt und kurz hielt er inne. Sein Gesicht verzog sich unter knappen Grübeleien, doch letztendlich zögerte er nicht lange. Er löste sich von der Wand, tat wenige Schritte und abrupt wandte er sich dann um und blickte auf zu dem Dach, das sich dort oben und vor ihm erstreckte. Er legte den Hinterkopf in den Nacken, verengte konzentriert die Augen und zuckend verfestigte sich sein Griff um Mugen, als er dort oben jemanden erspähte. Grell und hell erhob sich der runde, große Mond hinter dem niedrigen Dach. Er blendete Kanda und vorsichtig trat er auch weiterhin zurück. Die Akuma im Rücken, fixierte er sich nur auf dieses Dach und ein entsetztes Zucken durchfuhr seinen gesamten Leib, als er eine große Gestalt erblickte. Pechschwarz erhob sie sich vor dem Licht des Mondes. Dunkel war auch ihr Gesicht und dennoch erkannte Kanda ihn sofort. Eine weitere kalte Brise erfasste ihn, doch er konnte nicht sagen, ob sie es war, die für diese eiskalte Gänsehaut sorgte, als er mit einem Mal den Grafen vor sich sah. Der rundliche Körper, der in Zacken ausgefranste Mantel, der sich unter dem leichten Wind bewegte, während der große Zylinder hoch aufragte. Kandas Augen weiteten sich, sprachlos öffnete er den Mund und mit stockendem Atem verfolgte er, wie der Graf schweigend seinen Zylinder lüftete. Nicht weit. Begrüßend rückte er nur an ihm und erst jetzt fiel Kanda auf, dass er nicht mehr atmete. Keuchend holte er es nach, trat weiterhin zurück. Er erwartete einen sofortigen Angriff. Erwartete, dass er sich plötzlich dieser Übermacht zu stellen hatte, doch die rundliche Gestalt des Grafen verharrte reglos. Er stand dort oben, blickte auf Kanda hinab und wie irritiert war dieser, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass sich etwaige Akuma zurückgezogen hatten. Beide Wege aus der Gasse waren frei. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden und in der Stille, die somit ausbrach, hörte Kanda nur seinen eigenen rasenden Atem. Er blickte um sich, ließ den Grafen in keiner Sekunde unbeachtet und klammerte sich um Mugen. Es roch nach einer Falle. Irgendetwas musste einfach geschehen, doch mehrere Momente vergingen, ohne dass es sich bewahrheitete. Er stand dort unten, mit dem bekannten breiten Grinsen blickte der Graf auf ihn hinab und es waren Schritte, die sich plötzlich und mit einem Mal erhoben. Sie erhoben sich nur leise, wirkten als wären sie weit entfernt und sofort drehte sich Kanda wieder um. Doch die Gasse hinter ihm war leer… dunkel… verlassen. Noch immer raste das Herz in seiner Brust und angespannt fanden seine Augen zu der Ecke, hinter der die Gasse weiterführte. Und permanent erhoben sich auch weiterhin diese Laute… Langsam, bedächtig und Kanda zögerte lange, bis er sich in Bewegung setzte. Dass der Graf ihn angriff, davon ging er nicht mehr aus, doch so oder so… er wusste gern, mit wem er sich anlegte. Abermals strich er sich das Haar aus dem Gesicht, als er sich zögerlich der Ecke näherte. Vorsichtig und unentschlossen trat er näher, wendete Mugen in die andere Hand und wie achtsam blickte er letztendlich um die Ecke. Ohne Zweifel… von dort drangen die leisen Schritte zu ihm. Jemand näherte sich ihm und mit einem letzten beherzten Schritt trat Kanda um die Ecke und sah ihn. Eine schmale Gestalt näherte sich ihm. Sie war hochgewachsen, stolz aufgerichtet und schien es nicht eilig zu haben. So bewegte sie sich durchaus galant, still flatterten die unteren Säume des edlen Fracks auf, als eine Brise sich in den schlanken Rücken drängte und prompt hob sich eine in den Stoff eines weißen Handschuhs gehüllte Hand zum säuberlichen Zylinder, der auf dem dunklen lockigen Haar des jungen Mannes saß. Sachte erreichten die Finger den Rand des Zylinders, rückten ein wenig an ihm, während sich die dunklen, gepflegten Lippen zu einem tiefen Lächeln verzogen. Glänzende geputzte Stiefel zogen in bedächtigen Schritten über den dreckigen Boden hinweg, bis er mit einem Mal zum Stehen kam und seinen Gegenüber schweigend musterte. ~tbc~ Kapitel 26: ~16~ ---------------- Keuchend stolperte Lavi auf einen großen Platz hinaus. Sein Atem fiel rasch und aufgebracht und ein irritiertes Zucken fuhr durch sein Gesicht, als er hastig um sich starrte. Vor kurzem waren es noch viele Akuma, die ihn lauernd umkreist hatten. Viele hatten ihn auch verfolgt, doch mit einem Mal fand sich Lavi völlig alleine vor. Keine monströsen Körper regten sich in der Dunkelheit der Gassen, keine Schatten flüchteten sich um die Ecken. Fahrig hoben und senkten sich Lavis Schultern, als er sich auch umwandte und zurückblickte. Doch auch dort war kein Gegner mehr zu sehen und atemlos wandte er sich an den schwarzen Golem, der neben ihm flatterte. „Yu?!“, erhob er ächzend die Stimme, setzte sich wieder in Bewegung. „Yu, wo bist du!“ Mit zittrigen Knien zog er über den großen Platz, versuchte angespannt seinen Atem zu beruhigen, doch dies fiel umso schwerer durch die Tatsache, dass sich Kanda nicht meldete. Er antwortete nicht, Lavis Ruf wurde nicht erwidert und auch, als er es abermals tat, umgab ihn nur die alte Stille. Um ihn herum brannten Häuser, Asche und giftiger Dampf stiegen auf und aus der Ferne drangen auch die aufgeregten Stimmen der Stadtbewohner an seine Ohren. Panisch hasteten sie durch die Straßen, verzweifelt versuchte man die Brände zu löschen, während Lavi wieder stehenblieb und sich kurz auf seine Knie stützte. Er befand sich nun im Westen der Stadt. Genau dort, wo sich auch Kanda befunden hatte und ein flüchtiger Schwindel suchte ihn heim, als er sich wieder aufrichtete und weitertrottete. „Yu?!“ Aufgelöst rief er den Namen seines Kollegen, starrte um sich und stieg beiläufig über einen Berg aus Schutt und Gestein, der seinen Weg säumte. „Yu!!“ Das Herz raste in seiner Brust, schiere Ängste bestimmten sein Gefühlsleben und verbittert versuchte er zu pessimistisches Denken zu unterdrücken. Er hatte positiv zu denken, erinnerte sich an Kandas Fähigkeiten und die Tatsache, dass man seinen japanischen Freund nicht beschützen musste. Er war niemals darauf angewiesen gewesen und Lavi betete, dass es auch diesmal nicht der Fall war. Der Hammer schrumpfte in seiner Hand, als er an einer Mauer vorbeizog. Von ihr stand nur noch das Grundgestein. Eine Salve musste sie getroffen haben und wieder stieg er über Gestein hinweg und spähte um sich. Vermutlich war Kandas Golem beschädigt worden… und vermutlich befand er sich hier in der Gegend. Er musste ihn nur finden und anschließend einsehen, dass nichts passiert und er einfach zu fantasievoll war, was Ängste und Gefahren anbelangte. Er schluckte trocken, schluckte gegen den störenden Druck an, der sich in seinem Hals gebildet hatte und blieb stehen, als sich eine schmale Gasse neben ihm erstreckte. Sie führte zwischen zwei hohen Häusern hindurch und konzentriert blieb er stehen. Er betrachtete sich die dreckigen Wände, die zum Teil umgestürzten Mülltonnen und auch über den Boden driftete sein Blick bald. Seine Betrachtung war beiläufig und zufällig, doch mit einem Mal verengte er konzentriert das Auge. Er streckte den Kopf nach vorn, langsam ließ er den winzigen Hammer in der Hosentasche verschwinden und seine Schritte zeugten von einer gewissen Ungeduld… auch von einer schieren Unsicherheit und beinahe rennend ließ er die letzten Meter hinter sich und hielt abermals inne. Und sein Auge weitete sich entsetzt, als er so nach unten starrte und auf die staubige Klinge Mugens, die dort zu seinen Füßen lag. Wortlos öffnete er den Mund, fuhr in die Höhe und starrte abermals um sich. „Yu?!“ Seine Stimme brach sich an den hohen Wänden, leise knirschte der Dreck unter seinen Stiefeln, als er sich drehte. „Yu!!“ Abrupt begann sein Atem wieder zu rasen. Zischend fuhr er herum, presste sich flüchtig die Hand auf das Gesicht und biss die Zähne zusammen. Das Herz sprang ihm beinahe aus der Brust und lange zögerte er, bevor er langsam in die Knie ging und Mugen an sich nahm. Seine zitternde Hand umfasste das Heft des Schwertes, schleppend kam er zurück auf die Beine und wie gelähmt blieb er dort stehen und rang mit sich. „Wie viele von euch sind in dieser Stadt postiert?“, wandte er sich eine knappe Stunde später aufgeregt an einen Finder. Wie lange hatte er gezögert, wie lange benötigt, um zur alten Bewegung zurückzufinden, doch nun war er endlich dazu fähig, etwas zu tun. Der Finder grübelte ihm zu lange. Von seiner Geduld war nichts übrig geblieben und mit einer hastigen Geste trieb er den jungen Finder zur Antwort. „Vielleicht dreißig. Seit der Bürgermeister verdächtigt wird, hat man uns Verstärkung geschickt.“ „Dreißig.“ Lavi stemmte die Hände in die Hüften, wandte sich um und presste die Lippen aufeinander. Doch er grübelte nicht lange, bevor er sich wieder an den Finder wandte. „Ihr teilt euch auf und durchsucht die Stadt!“, befahl er. „Vielleicht ist Yu schwer verletzt… wir müssen so oder so vom Schlimmsten ausgehen.“ „Wenn er noch in der Stadt ist, werden wir ihn finden“, versuchte der Finder Lavi zu beruhigen, doch es war nur Skepsis, auf die er traf. „Wo soll er sonst sein!“ Lavi runzelte die Stirn. „Er muss noch hier sein! Kann ja nicht einfach verschwinden!“ „In Ordnung.“ Wieder nickte der Finder. „Ich sage den anderen Bescheid und wir beginnen sofort mit der Suche.“ Sogleich eilte er davon und mit gemischten Gefühlen blickte Lavi ihm nach. Mugen lag neben ihm auf einer Mauer gebettet und missmutig drehte er sich um und starrte auf die edle Klinge. Wie sehnte er sich nach Wissen. Alles würde er tun, um zu sehen, was geschehen war. Was mit Yu… geschehen war und gleichsam drückten ihn die Ängste und Befürchtungen so schlimm nieder, dass er sich ächzend neben Mugen auf die Mauer sinken ließ. Er setzte sich nieder, stemmte sich auf die Knie und starrte mit finsterer Miene auf einen nicht existenten Punkt. Er trug die Verantwortung für Kanda. War es nicht so? Tief atmete er ein, senkte den Kopf und kratzte sich angespannt den Nacken. Und er fragte sich, ob er einen Fehler begangen hatte. Dabei ging es ihm nicht um die Sicherheit, dass niemand ihn beschuldigen könnte… es ging darum, ob er das Recht hatte, sich selbst all das zur Last zu legen. Natürlich hatte er sich entschieden, auf Kanda zu achten, doch ihre Aufgaben im Rathaus hatten sie auseinander gerissen. Sie hatten sich beide auf etwas konzentrieren müssen, waren beide einem Ziel nachgeeifert… hatten getan, was in ihrer Macht stand. Gähnend trat Komui in die Wissenschaftsabteilung hinaus. Die Tasse in seiner Hand war leer und wie so oft auch, traf er auf müde, überarbeitete Gesichter. Auf Wissenschaftler, die sich gähnend über ihre Arbeiten neigten und er selbst unterdrückte ein Gähnen, als er sich auf den Weg zu all den Reagenzgläsern machte. Der leckerste Tee war natürlich alle, doch es gab noch einen Schwarzen, den er sich gerne einschenkte. Es war tragisch. Wenn Linali auf Mission war, gab es niemanden, der ihm Kaffee brachte und wie weinte er seiner Schwester nach, als er zurück in sein Büro schlenderte. Gerade hatte er die Rundbögen hinter sich gelassen, da erhob sich das Läuten seines Telefons. Müde rieb er sich den Nacken, ließ sich dennoch Zeit auf seinem Weg zum Schreibtisch. Gemächlich ließ er sich nieder, nippte an dem Tee und griff beiläufig nach dem Hörer. Er hob ihn von der Gabel, lehnte sich zurück und bettete den Höhrer am Ohr. „Hier Komui.“ „Komui.“ Erschöpft ließ sich Lavi gegen eine Mauer sinken. Geduldig harrte ein Finder neben ihm aus, dessen Telefon er benutzte. Er bewegte den Hörer am Ohr, griff nach dem Kabel und drehte es um den Finger. Um ihn herum herrschte das alte Chaos… obgleich die Sonne längst aufgegangen war. Die Brände waren gelöscht und doch lag noch der bittere Geruch der Angst und Panik in der Luft. „Könntest du mir einen Gefallen tun?“ „Worum geht es?“ Entspannt nippte Komui an der Tasse und verbittert presste Lavi die Lippen aufeinander. Er zögerte mit der Antwort, blickte flüchtig um sich und besah sich die Finder, die alles taten, um den Stadtbewohnern eine Hilfe zu sein. „Wir brauchen hier mehr Finder“, sagte er dann letztendlich und Komui runzelte die Stirn. Kurz darauf richtete er sich auf, schob rasch einen Haufen Unterlagen zur Seite und fand einen Notizzettel. „Wenn ich mich nicht irre, habe ich in letzter Zeit unentwegt Finder in die Stadt geschickt.“ Lavi nickte nachdenklich. Er wusste, dass es nun an der Zeit war, Ehrlichkeit zu beweisen, doch die richtigen Worte hangen wie giftige Galle in seiner Kehle fest. Er wendete den Hörer zum anderen Ohr, schöpfte tiefen Atem. „In der vergangenen Nacht ist hier ein Kampf ausgebrochen“, würgte er die Worte dann dennoch hervor und rieb sich das Auge. Komui schwieg überrascht. „Es geschah schnell und plötzlich. Auf einmal waren überall Akuma und…“ „Und?“ „… Yu ist verschwunden.“ Lavi senkte den Kopf, presste das Kinn gegen das Schlüsselbein, doch Komui schien den Ernst der Lage nicht zu begreifen. „Und das bereitet dir Sorgen?“, erkundigte er sich und resigniert öffnete Lavi das Auge und starrte zu Boden. „Ich denke, Kanda kann gut auf sich selbst aufpassen. Möglicherweise ist er durch den Kampf nur ein wenig abgedriftet. Er kommt sicher zurück.“ Lavi biss sich auf die Unterlippe. Langsam blickte er zur Seite und starrte auf Mugen, das neben ihm auf der Mauer lag. „Würdest du immer noch so ruhig bleiben, wenn ich dir sage, dass er seine Waffe nicht dabei hat?“ „Wie meinst du das?“ Komui ließ die Tasse sinken und mit einem Mal sprudelte es aus Lavi heraus. „Wir kämpften an verschiedenen Orten… ich bemerkte es möglicherweise auch zu spät, weil ich abgelenkt war und dann verschwanden die Akuma mit einem Mal und Mugen lag in irgendeiner Gasse. Wir haben jetzt die ganze Nacht über die gesamte Stadt auf den Kopf gestellt, jedoch ohne eine Spur zu finden. Und deswegen brauche ich dringend mehr Finder, damit wir auch die Umgebung der Stadt durchsuchen können. In der Nähe gibt es so viele Höfe und Dörfer…“ Komui atmete tief durch. Flüchtig schloss er die Augen, wurde die Tasse auf dem Schreibtisch los. „Ich werde sehen, wie viele Finder in der Nähe der Stadt stationiert sind und sie sofort zu dir schicken“, versprach er dann und sofort nickte Lavi. Er war angespannt, er war müde und doch war nicht an Schlaf zu denken. Nicht, wenn Kandas Aufenthaltsort ungewiss blieb. Er unterdrückte ein Gähnen und hängte den Hörer zurück in die Gabel, bevor er träge nach Mugen griff und sich von der Wand löste. Ein zitternder, langsamer Atemzug strich über Kandas Lippen, während seine Augen entspannt geschlossen blieben und sein Leib sich nur schleppend von der tiefen Bewusstlosigkeit erholte. Nur stockend erwachten auch seine Sinne zu altem Leben und nach einigen Momenten spürte er einen harten, kalten Untergrund, auf dem er lag. Er lag auf der Seite, hielt einen Arm von sich gestreckt und spürte flüchtig, wie eine Brise durch seine Finger strich. Sein Leib hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug, zuckend bewegten sich die Lider und auch die Lippen lösten sich voneinander. Er öffnete den Mund, holte abermals tief Luft und begann seine Finger zu bewegen. Kitzelnd glitt eine schwarze Strähne in sein Gesicht, doch er war nicht wach, auch nicht entschlossen genug, um die Hand zu regen und sie zurückzustreifen. Sein Körper fühlte sich taub an, kalt und unbeweglich… er wirkte, als wäre er gelähmt und auch, als ein leises Scharren in sein Bewusstsein drang, behielt er die Augen geschlossen und driftete allmählich in die Wirklichkeit zurück. Nur langsam, stockend und unbeholfen. Seine Augen bewegten sich hinter den gesenkten Lidern… bald fühlte er auch eine Unebenheit des Bodens, die in seine Seite drückte. Es war unangenehm, es schmerzte, doch es wollte ihm nicht einmal gelingen, sich auf den Rücken zu drehen. Matt und benommen blieb er liegen, seine trockenen Lippen formten sich zu stummen Worten und es nahm viele Augenblicke in Anspruch, bis er gestärkt genug war, um die Lider um ein Stück zu heben. Er begann zu blinzeln. Von irgendwo drang das gleißende Licht der Morgensonne zu ihm. Es blendete ihn und so schloss er die Augen abermals und lauschte mit matter Konzentration in die Umgebung hinein. Irgendwo sangen Vögel. Nahe Baumkronen schienen zu rauschen… doch dies waren auch die einzigen Geräusche. Keine Schritte, keine Stimmen und nach wenigen Momenten öffnete er die Augen abermals. Vorerst bot sie ihm nur ein verschwommenes, undeutliches Bild. Beige Farbtöne umgaben ihn, ein dunkles, hölzernes Dach erstreckte sich über ihm, doch viel eher wurde er auf den schwarzen Fleck aufmerksam, der ihm recht nahe zu sein schien. Er verengte die Augen, blinzelte mehrfach und bald bot sich ihm endlich ein scharfes Bild. Er lag in einer verlassenen Bahnhofshalle, recht nahe an einer alten, bröckeligen Wand. Er bewegte die Hand, ballte sie matt zur Faust, doch mit einem Mal war er wach. Ein Zucken durchfuhr seinen Körper und abrupt weiteten sich seine Augen, als er den jungen Mann erblickte, der vor ihm auf einer Bank saß. Er saß ihm zugewandt, hatte sich bislang zurückgelehnt und löste sich nun von der Rückenlehne. Seine Bewegungen schienen geschmeidig und entspannt, als er sich nach vorn neigte und die Ellbogen auf die Knie stemmte. Kaum zwei Meter trennten die beiden voneinander. Tykis lockiges Haar wiegte sich unter einer milden Brise, die sich ihren Weg in das alte Gebäude gesucht hatte. Säuberlich lag der Zylinder neben dem jungen Mann auf der Bank. Auch das Frack war ein wenig aufgeknöpft und erlaubte den Blick auf ein ordentliches, weißes Hemd, das den schlanken Oberkörper des Noah kleidete. Seine Beine steckten in einer edlen schwarzen Hose und leise knirschte der Dreck unter den sauber polierten Schuhen, als sich diese flüchtig regten. Tyki atmete tief ein, atmete aus… kein Gedanke war an seiner Mimik abzulesen, während Kanda erblich. Regungslos blieb er liegen. Keine Sekunde konnten sich seine Augen von Tyki lösen. Stockend drifteten sie über seinen Leib, schweiften auch zu seinem Gesicht, während zitternder Atem geräuschvoll über seine Lippen drang. Eiskalte Schauer suchten ihn unterdessen heim. Sie ließen ihn erschaudern, während ihm die schiere Angst wie ein bitterer Geschmack auf der Zunge lag. Stille herrschte zwischen ihnen. Sie betrachteten sich einander und merklich zuckte Kanda zusammen, als sich Tyki in Bewegung setzte. Er richtete sich auf, zückte eine Schachtel und zog eine weiße Zigarette ins Freie. Seine hellen Augen lösten sich flüchtig von Kanda und gerne ließ er sich Zeit mit dem Streichholz. Bedächtig entfachte er es, entzündete den Tabak und warf es anschließend hinter sich. Genüsslich nahm er einen tiefen Zug, schloss kurz die Augen und ließ den Rauch aus der Nase dringen. Bebend hob und senkte sich Kandas Leib unter dem heftigen Atem, keine Bewegung wollte ihm gelingen, während das Wissen in ihm pulsierte, dass er Tyki ausgeliefert war. Er spürte Mugen nicht an seiner Hüfte. Seine Waffe war nicht bei ihm und verbittert rang er mit sich. Sein rasendes Herz… Sein bebender Atem… Seine zitternden Glieder… Verzweifelt suchte er nach Fassung, nach Kontrolle, doch ein Blick Tykis machte jeden Versuch zunichte. Nur kurz blickte der Noah zu dem jungen Exorzisten, schürzte die Lippen und lehnte sich wieder zurück. Er machte es sich an der Rückenlehne bequem, schlug die Beine übereinander und ließ die Stille zwischen ihnen anhalten. Er schien es bequem zu haben, verträumt blickte er zum Dach der alten Halle auf, während nicht weit entfernt Tauben gurrend ihres Weges tappten. Flüchtig strich er sich auch das Haar zurück, während Kanda gegen den unangenehmen Druck in seinem Hals anschluckte. Es fühlte sich furchtbar an, unangenehm… doch während Tyki die Augen geschlossen hielt und den Hinterkopf in den Nacken legte, wurde Kanda auf eine nahe Tür aufmerksam. Er hob matt den Kopf vom Boden, starrte zu ihr und verschloss den bebenden Atem flüchtig hinter den Lippen. Er presste sie aufeinander, doch kurz darauf brach er umso lauter aus ihm hervor. Tyki schenkte seinen Blicken keine Beachtung. Behaglich rauchte er, bewegte den Fuß in der Luft und ließ den Rauch gen Decke aufsteigen. Er formte Kreise, genoss die Zigarette wie keine andere und noch immer starrte Kanda auf diese Fluchtmöglichkeit. Er wusste es… es war eine unumstößliche Tatsache für ihn, dass Tyki nach Rache sann und so, wie er ihn kannte, würde es ihm gleichgültig sein, ob er bewaffnet war oder nicht. Hier in dieser Halle befürchtete er seinen Tod und umso verlockender wurde diese nahe Tür. Wenn er schnell genug war… Hastig befeuchtete er die trockenen Lippen mit der Zunge. Fahrig blinzelte er auch, doch sobald er sich zu regen begann, durchzuckte ihn ein höllischer Schmerz, der ihn in sich zusammenfahren ließ. Er erbebte, stieß ein gequältes Stöhnen aus und ließ sich benommen gen Boden zurücksinken. Seine Beine… Sobald er darauf aus gewesen war, sie zu nutzen, hatte ihn diese schiere Pein erreicht und verbittert versuchte er sie zu bewegen. Stockend räkelte er sich auf dem Boden, tastete sich zu seinem Oberschenkel, während Tyki die Zigarette abermals zwischen die Lippen klemmte und tief an ihr zog. Kanda kannte diese Art von Schmerz. Er erinnerte ihn schmerzlich an das, das geschehen war. An seine Schulter, die Tyki mit nur einem Griff untauglich gemacht hatte. Nun waren es seine Beine unter deren Haut zerrissene Muskeln pulsierten. Er spürte sie, fühlte den Schmerz und gleichsam auch die Ausweglosigkeit seiner Lage. Er konnte weder aufstehen, noch konnte er flüchten und verkrampft biss er die Zähne zusammen, als er damit rang, sich zumindest ein wenig aufzusetzen. Er wollte nicht im Staub des Bodens sterben. Nicht zertreten werden wie Ungeziefer und während er mit sich kämpfte, richtete sich Tyki wieder auf. Er senkte den Kopf, senkte auch die Zigarette und verfolgte schweigend, wie sich Kanda in eine aufrechte Haltung quälte. Keuchend und stöhnend rappelte er sich auf, schob sich um ein Stück zurück und lehnte sich ächzend gegen die Wand. Tyki schürzte die Lippen. Schweigend blickte er zu der Zigarette und noch einen Zug nahm er, bevor er sie zur Seite schnippte und flüchtig an seinem Frack rückte. Schwer atmend stemmte sich Kanda mit den Händen noch um ein Stück höher, bevor er abermals gegen das poröse Gestein sank und kurz die Augen schloss. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme“, erhob sich plötzlich Tykis Stimme. Sie erhob sich ruhig, erhob sich entspannt und Kanda zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen. Der junge Noah wies mit einem Nicken auf seine Beine. „Ich möchte nur sichergehen, dass du mir zuhörst. Es wäre unpraktisch, wenn du zu flüchten versuchst. Aber keine Bange. Bis das geheilt ist, sind wir sicher längst miteinander fertig.“ Ein kurzes Zucken durchfuhr Kandas Gesicht. Es offenbarte puren Argwohn, pure Abneigung. Seine Augen blieben mit einer Mischung aus Hass und Angst auf den Älteren gerichtet. Und er war zu keinem Wort fähig. Seine Stimme war in seiner Brust vereist und so unterlag er auch weiterhin seinem scharfen Keuchen. Sein gesamter Körper fühlte sich in dieser Haltung abermals so gelähmt an und mit einem Mal zweifelte er daran, ob er wirklich auf die Beine gekommen… ob er nicht sofort wieder in sich zusammengesunken wäre. Mit einem Mal entpuppte sich der Wille zur Flucht als lächerlich und die Eindrücke der Umgebung verblassten in Kandas Wahrnehmung. Einzig und allein auf Tyki konzentrierte er sich. Wandte nicht die Augen ab, achtete auf nichts und niemanden. Der junge Noah wirkte unterdessen nachdenklich. Er rieb sich das Kinn, lauschte in die Stille hinein, die nur von Kandas Keuchen unterbrochen wurde und nach wenigen Momenten zückte er abermals die Schachtel. Er atmete tief durch, bot Kanda schweigend eine Zigarette an und zog die Schachtel zurück, als dieser nicht reagierte. An der Schachtel starrte er geradewegs vorbei, zeigte keine Regung und seufzend gönnte sich Tyki noch einen Glimmstängel. Die alte Stille brach zwischen ihnen aus, während er auch diesen entzündete, das Streichholz knirschend zertrat und es sich abermals auf der Bank bequem machte. Aufgebracht und unsicher verfolgte Kanda, wie der graue Rauch aufstieg. „Du hast Glück, weißt du das?“ Wieder ergriff Tyki das Wort ruhig und bedächtig. „Der Graf wollte deinem Leben eigentlich eigenhändig ein Ende setzen aber ich konnte ihn davon überzeugen, es mir zu überlassen.“ „Ts.“ Kanda versuchte sich an einem humorlosen Grinsen, doch die Mimik entgleiste ihm, verzerrte sich vielmehr, als Hohn zum Ausdruck zu bringen. So erhob sich seine Stimme auch bebend und leise. „Und das soll mich in eine bessere Lage bringen?“ Mit einem Mal erhob sich Tyki von der Bank. Er kam auf die Beine, stockend und geweitet folgten ihm Kandas Augen und zitternd presste sich der Körper des Jüngeren fester gegen die Wand, als sich Tyki bequem vor ihn hockte. Er ließ sich sinken, nahm einen bedächtigen Zug und schien sich Kanda genau zu betrachten. Er studierte sein Gesicht, legte den Kopf schief. „Als wir uns das letzte Mal trafen, blieb uns leider keine Zeit für eine gediegene Unterhaltung. Ebenso warst du so erpicht darauf, mich umzubringen. Deswegen… lass es uns jetzt nachholen.“ Ein knappes Lächeln flüchtete sich über Tykis Lippen. „Wie geht es dir, seit du mich besiegt und getötet hast?“ „Ich habe dich getötet, weil du es zugelassen hast!“, zischte Kanda leise zurück. „Also sprich nicht von Siegen! Du hast mit mir gespielt…“, Kanda schluckte, „… ein weiteres Mal.“ Wenn sie auch immer noch bebte, seine Stimme erhob sich nun etwas gefasster. „Ich sehe schon.“ Behaglich ließ sich Tyki tiefer sinken. Er setzte sich vor Kanda. „Es ist wohl zum Besten von uns beiden, dass ich zurückgekehrt bin.“ Finster richtete sich Kandas Blick auf ihn, doch er lächelte erneut. „Ich vermute, dass es viel gibt, was du mir sagen willst. Nun, du hast jetzt die Gelegenheit dazu.“ „Einen Teufel sage ich!“ Stockend regte sich Kanda an der Wand. Er fühlte sich eingekesselt, in die Enge getrieben, so wollte auch das Zittern seines Körpers einfach nicht nachlassen. „Wenn du mich töten willst, dann tu es einfach!“ Leise seufzte Tyki auf. Er kratzte sich im Schopf, betrachtete sich Kanda beinahe enttäuscht. „Waren wir nicht schon einmal an diesem Punkt?“ Und Kanda zuckte zusammen. Es schmerzte, dass Tyki diese Worte in den Mund nahm. Was geschehen war, wurde dadurch nur umso reeller, umso spürbarer und so schwieg er verbittert und angespannt. Tyki musterte ihn eine zeitlang schweigend und nachdenklich, bevor er die Zigarette auf dem Boden ausdrückte. Keinen Moment lösten sich seine Augen von dem Jüngeren und kurz darauf kam er nicht um das alte Lächeln. „Hast du Angst?“, erkundigte er sich leise, doch sah Kanda nur schweigen. Still drifteten die hellen Augen weiter. Sie wurden dem Gesicht untreu, richteten sich auf den freien Hals Kandas. Auch auf den Teil der Brust, der durch die offenen Knöpfe zu erkennen war. Und sein Lächeln vertiefte sich, bis er die Hand hob. Eine simple Bewegung, die Kanda dennoch zusammenzucken ließ und wie verkrampft schmiegte er sich gegen die Wand, als sich die dunkle, gepflegte Hand des Noah seinem Gesicht näherte. „Du bist…“, Tykis Fingerkuppen erreichten Kandas Wange, strichen sanft über sie hinweg, „… wunderschön.“ Angespannt versuchte Kanda den Berührungen zu entfliehen. Ruppig wandte er den Kopf ab, doch sofort erhaschte Tykis Hand eine schwarze lange Strähne. Er spielte mit ihr, drehte sie um den Finger. „Die Angst, die du verspürst, macht dich nur noch schöner, weißt du das?“ Angespannt schloss Kanda die Augen. Hasserfüllte Worte stiegen in ihm höher, doch gleichsam rang er auch mit einer schieren Übelkeit, die sich in seinem Magen bildete, dort rumorte und ihn schwer schlucken ließ. Nichts, das Tyki entging. Tief atmete er auf, sachte entfernte sich die Hand von Kanda. Die Strähne glitt zwischen seinen Fingern hindurch, bevor er die Hand sinken ließ. So senkte er auch den Kopf, blickte durchaus nachdenklich zu Boden. Er füllte die neu auflebende Stille mit Grübeleien, bald verzog sich seine Miene und Stirnrunzelnd sah er den Jüngeren wieder an. „Weißt du…“, erhob er leise die Stimme, verbittert starrte Kanda noch immer zur Seite. Auch seine Schultern… sie hoben und senkten sich unter dem alten, aufgebrachten Keuchen. Seinem Körper war es ein Unmögliches, zur Ruhe zu finden. Nicht in dieser Lage. „… es gibt zwei Stimmen in meinem Kopf.“ Tyki legte den Kopf schief, senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Willst du wissen, was sie mir sagen?“ Kanda zog die Nase hoch, presste die Lippen aufeinander und schwieg, stets darauf bedacht, sein Gegenüber nicht anzusehen. Es schmerzte. Der Anblick des jungen Noah… schmerzte. Langsam hob die Tyki die Hand zum Gesicht. Sachte tippte sein Zeigefinger gegen die Schläfe. „Die eine Stimme sagt mir…“, die Hand sank hinab, flüchtig verengten sich Tykis Augen, „… dass ich dich hier und jetzt und auf dem Boden abermals nehmen sollte und dass es mir mehr als gefallen wird.“ Flüchtig versiegte Kandas Atem. Es war ein quälender Stich, der ihn erfasste und alleine bei dem Gedanken, packte ihn die nackte Angst und ließ seinen gelähmten Körper heiß und kalt zugleich erschaudern. „Die andere jedoch…“, fuhr Tyki da schon leise fort, annähernd andächtig. Keinen Moment ließ er den erstarrten jungen Mann unterdessen aus den Augen, „… sie flüstert mir zu, dass ich viel eher vor dir auf die Knie sinken und um Vergebung bitten sollte.“ Ein Beben fuhr durch Kandas Arme. Mit einem Mal kehrte eine gewisse Beweglichkeit zurück und augenblicklich erwachte er zum Leben. Sein Kopf schnellte zu Tyki. Schlagartig riss sich auch sein Arm in die Höhe und wie gierig lechzten seine Finger danach, sich um den Hals des Noah zu schließen. Sie streckten sich ihm entgegen, doch plötzlich riss es seinen Körper zur Seite. Es war Tykis Hand, die ihm zuvorkam. Abrupt bettete sie sich auf Kandas Ohr und ein gequältes Stöhnen erhob sich, als er den Kopf des Jüngeren zu Boden schmetterte. Die alten Fliesen brachen unter Kandas Stirn, knackend sank sein Kopf tiefer und mit zusammengebissenen Zähnen rang er flüchtig mit dem tobenden Schmerz, der in seinem Kopf ausbrach. Er zischte auf, schloss die Augen und spürte kurz darauf das Gewicht des Noah auf seinem Kreuz. Entspannt stemmte sich Tyki auf ihn, bettete den Ellbogen in Kandas Nacken und löste die Hand von seinem Ohr. Er tat es sachte, verspielt nahmen seine Finger vereinzelte Strähnen mit sich und während Kandas Leib unter dem neu aufgelebten Keuchen bebte, machte er es sich ein wenig auf ihm bequem. „Du hast es also nicht verloren… dein Feuer.“ Tyki legte den Kopf in den Nacken und blickte zum alten, hölzernen Dach auf. Stockend begann sich Kanda unter ihm zu regen. „Weißt du… nicht nur deine Schönheit bewegte mich dazu, dich zu nehmen.“ Benommen tastete Kanda um sich. Nur kurz versuchte er sich in die Höhe zu stemmen, doch seinem Leib fehlte die Kraft, das Gewicht des Noah zu tragen. „Auch diese Flamme… die tief in deinem Inneren lodert“, fuhr dieser entspannt fort. „Die nicht einmal erlosch, als du dich nackt unter mir wandtest und unter meinen Stößen stöhntest.“ Gepeinigt schloss Kanda die Augen, sank auch nach dem nächsten Versuch zurück zu Boden. „Sei still…!“ Seine Stimme war nicht mehr als ein fahriges Keuchen. Er wollte es nicht hören…! Wollte nicht, das hervorbrach, was er in sich begraben hatte und wie wand er sich unter den grausamen Bilden, die vor seinen Augen aufflammten. Aufmerksam verfolgte Tyki seinen stillen Kampf. Er blickte zu Kandas Gesicht hinab, wortlos bewegten sich seine Lippen aufeinander und flüchtig strich er sich das Haar zurück, bevor er sich auf die Seite wendete und die Hand abermals zu Kandas Ohr senkte. Auffällig zuckte dieser in sich zusammen, als er spürte, wie er gestreichelt wurde. Beruhigend glitt Tykis Hand über seinen schwarzen Schopf hinweg, ließ sich kurz vom Ohr verleiten. Er umspielte es mit den Fingern, verfolgte deren Arbeit fasziniert, während Kanda mit der alten Übelkeit rang. Er fühlte sich, als müsste er sich endlos übergeben. Bei jeder Berührung, die der Noah ihm so heuchlerisch zärtlich zukommen ließ. „Aber nun muss ich dich bitten, dich zu benehmen.“ Innig übte Tykis Hand Druck auf Kandas Kopf aus. Er liebkoste ihn auch weiterhin, senkte die Stimme zu einem leisen Flüstern. „Du weißt, was geschieht, wenn du mich herausforderst. Bitte zwing mich nicht dazu, dir wehzutun.“ Er spürte ein Beben unter sich. Tief zog Kanda Luft in seine Lunge und annähernd irritiert hob Tyki die Augenbrauen, als ein trockenes, humorloses Lachen aus Kanda hervorbrach. „Seit wann hast du Probleme damit!“ Tykis Hand, soeben noch versucht, nach einer auffälligen Strähne zu greifen, hielt mit einem Mal inne. Er blieb auf Kanda liegen, doch zögerte in jeder Bewegung. Nachdenklich und erwartungsvoll blieben seine hellen Augen auf das Gesicht des Jüngeren gerichtet. Die deutliche Belustigung verblasste so rasch, wie sie gekommen war und kaum ein Moment verging, bis wieder schiere Verbitterung seine Züge formte. „Du hast mich verstümmelt, geschändet, bei den Mienen verhöhnt und mich anschließend ebenso gedemütigt, indem du es zugelassen hast, dass ich dich töte!!“ Gellend erhob sich seine Stimme in der verlassenen Halle. Ungewöhnlich laut erhob sich der Flügelschlag der Tauben, als sich diese aufgeschreckt in die Luft erhoben und tief atmete Tyki ein, als er langsam aufblickte. „So siehst du das?“, erwiderte er dann leise. Nach wenigen Augenblicken löste sich seine Hand von Kandas Schopf und erleichtert spürte dieser, wie der schwere Druck des Noah nachließ. Schweigend schob sich Tyki von dem Jüngeren, stemmte sich zurück und kauerte sich wieder vor ihn. Sofort versuchte sich Kanda wieder aufzurichten, doch seinen Armen fehlte es an jedweder Kraft und matt sank er zurück zu Boden, während sich Tyki flüchtig den Staub aus der Hose klopfte. Es machte den Anschein, als hätten ihn die zornigen Worte getroffen und flüchtige Stille brach zwischen den beiden aus, bevor sich Tyki seufzend aufrichtete. „Bevor wir gegeneinander kämpften, warst du wenig gesprächig.“ Kanda spürte einen Griff an seinem Arm. Tyki beugte sich über ihn, zog ihn in die Höhe und schob seinen Rücken zurück gegen die Wand. Bröckelnd löste sich das Gestein des Bodens von Kandas Stirn. Es vermischte sich mit dem Blut, das sofort das Gesicht des jungen Mannes hinabperlte. Kurz fasste Tyki ihn an beiden Schultern, doch sein Griff war sachte. Er fügte Kanda keinen Schmerz zu, postierte ihn aufmerksam am alten Fleck. Flüchtig strichen seine Finger über den Stoff des Hemdes hinweg. Nachlässig richteten sie es, doch umso liebevoller kümmerte er sich anschließend um Kandas Gesicht. Angespannt schloss dieser die Augen, als er das Kitzeln der milden Berührungen auf seinen Wangen spürte. Behutsam strich Tyki das wirre lange Haar zurück, legte sein Gesicht frei und kurz wischte er auch über die klaffende Wunde auf seiner Stirn. „Nun bleibt uns jedoch genug Zeit.“ Endlich lösten sich die Finger von Kandas Gesicht und als dieser die Augen öffnete, richteten sich diese zufällig auf die nahe Tür. Ein Blick, der Tyki nicht entging. Er nahm an seiner Beobachtung teil, schien die Gedanken des Jüngeren zu lesen. „Niemand wird dich hier finden“, murmelte er leise. „Niemand.“ Ein zitternder Atem strich über Kandas Lippen, als er die Augen von der Tür löste. Still blickte er zu Boden und lange zögerte er, bevor er zu leisen Worten imstande war. „Ich habe dir nichts zu sagen“, wisperte er abermals und Tyki hob die Brauen, wirkte überrascht. „Wirklich nicht?“, hakte er sogleich nach. „Nachdem ich starb… hast du dich niemals danach gesehnt, mir etwas ins Gesicht zu sagen? Mich anzuschreien? Mir Vorwürfe zu machen?“ „Das einzige“, stieß Kanda leise aus, „wonach ich mich sehnte, ist, dich abermals umzubringen.“ Ein Zucken durchfuhr seine Miene. „Immer… und… immer… wieder.“ „Diesen Gefallen kann ich dir leider nicht tun.“ Ein mildes Lächeln entfaltete sich auf Tykis Lippen. Verbittert starrte Kanda noch immer hinab und entspannt machte es sich Tyki auf dem Boden bequem. Er setzte sich nieder, winkelte die Beine an und bettete die Ellbogen auf den Knien. Locker umfasste er auch ein Handgelenk. „Aber wenn ich dich mir so betrachte, zweifle ich daran, dass mein Tod dir sonderlich geholfen hat.“ Und Kanda schwieg. Kein weiteres Wort kam über seine Lippen und diesmal handelte es sich um eine Stille, die Tyki kaum ertrug. „Sprich mit mir“, forderte er den Jüngeren nach wenigen Momenten sanft auf und Kanda antwortete, ohne ihn anzusehen. „Satan bittet zur Beichte?“, flüsterte er leise und schüttelte matt den Kopf. Diesmal war es Tyki, der dem Schweigen verfiel. An seiner Mimik war nicht auszumachen, wie er über die Situation dachte. Seine Lippen blieben versiegelt und er ließ Kanda Zeit. Er wartete… und er wartete lange, bis sich Kandas Brauen voller Missfallen verzogen und jeder Zug in seinem Gesicht dieser Emotion gleichkam. „Du interessierst dich einen Dreck!“ Nachdrücklich wurde er anschließend die Worte los, die sich nicht mehr länger in ihm hielten. „Dir geht es nicht darum, wie es um mich steht, du sadistischer Bastard! Das einzige, worum es dir geht, ist, dich bestätigt zu sehen… ja, vielleicht amüsierst du dich sogar prächtig!“ Kanda schöpfte tiefen Atem, regte sich kurz an der Wand. „Ich werde dir einen Teufel sagen.“ „Mm.“ Tyki senkte den Kopf. Seine Hand fand zum Kinn und grüblerisch rieb er es sich, während er sich das lose Gestein zu seinen Füßen betrachtete. Leise erhob sich das Gurren der Tauben. Sie hatten sich auf einem alten Dachträger niedergelassen und unauffällig mischte sich das Scharren des Gesteins darunter, als Tyki die Füße bewegte. Der Noah blieb gefasst, wirkte flüchtig absent, doch bald legte sich seine Stirn in Falten. „Als wir uns trafen… im Wald“, erinnerte er sich leise, „… gemeinsam mit deinen Kollegen.“ Er schürzte die Lippen, blickte sinnierend zu Kanda auf. „Du sagtest mir, dass du dich nach dem Tod sehnst. Dass du es hasst, am Leben geblieben zu sein.“ Und er hatte es erwartet. Dass er auch diesmal keine Antwort erhielt. Er wusste auch nicht, um welche es sich handeln sollte und so fuhr er leise fort. „Möchtest du…“, murmelte er, „… immer noch sterben?“ Kanda presste die Lippen aufeinander. Es schien, als gäbe es Worte in ihm, die hervorbrechen wollten, doch er gewann den Kampf gegen ihre Macht, wurde aufmerksam gemustert. „Ich wundere mich doch sehr, dass du mich nicht schon längst darum gebeten hast, deinem Leben ein Ende zu setzen.“ Kurz gestikulierte Tyki mit der Hand. „So vernarrt, wie du damals in diesen Wunsch warst…“ Und Kanda schloss die Augen. Seine Lider senkten sich, seine Schultern regten sich unter einem tiefen Durchatmen und geräuschvoll drang es an Tykis Ohren. Es zeugte von einem inneren Kampf, einem schier gnadenlosen Duell gegen die Emotionen, die dieser Situation gerecht werden könnten. Wortlos öffnete Tyki den Mund. Er streckte den Kopf nach vorn, verengte unter angestrengtem Sinnieren die Augen und eine lange, intensive Musterung seines Gegenüber brachte seine verzerrte Mimik zurück zur völligen Entspannung. Eine Einsicht erreichte ihn, unter der er sich langsam zurücklehnte. Sie schien ihn schwer zu treffen und offensichtlich suchte er lange nach Worten. „Nein…“, brachte er beinahe lautlos hervor, senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Kann es sein… dass…“ Seine Stimme versiegte in Unentschlossenheit, stockend rieb er sich abermals das Kinn und versunken in tiefen Grübeleien ließ er die Stille ein weiteres Mal gewähren. Sie saßen voreinander und Kanda wurde die Zeit gegeben, gegen seinen rasenden Atem anzukämpfen. Er schluckte ihn hinab, langsam tastete sich seine Hand zur Brust und kurz rieb er sie sich, bevor er den Arm im Schoß bettete und den Hinterkopf gegen die poröse Wand sinken ließ. Und er hörte Tykis Atem. Er fiel entspannt, fiel leicht und sachte und abermals schluckte er schwer und löste den Druck auf, der sich bei jedem Wort des Noah in ihm gebildet hatte. Tyki senkte den Kopf tiefer, unschlüssig glitt seine Hand zur Stirn und kurz verharrte er in dieser Haltung, bevor er den Arm sinken ließ und Kanda annähernd ungläubig ansah. Direkt und unausweichlich richteten sich seine hellen Augen auf das in der Zwischenzeit gefasste Gesicht seines Gegenübers. Kanda machte nicht den Anschein, sich Tykis Grübeleien anzuschließen. Seine Mimik machte auf keine Gedanken aufmerksam und abermals schöpfte er tiefen Atem. Er spürte, wie er in seine Brust floss, wie es in ihm pulsierte und kurz befeuchtete er die Lippen mit der Zunge. „Ich…“, flüsterte er dann mit brüchiger Stimme, „… will leben.“ Und Tyki begann sich zu bewegen. Er zog die Beine an, setzte sich in den Schneidersitz. Entspannt schlang er den Arm um die Brust, bettete den Ellbogen auf dem Handgelenk und die Wange in der Hand. „Darf ich erfahren, wie es dazu kommt?“, erkundigte er sich leise und mit einem Mal wandte Kanda das Gesicht zu ihm. Hatte er bislang darunter gelitten, das Antlitz des Noah vor sich zu haben, so suchte er nun offen die Konfrontation und ertrug es recht gut. Interessiert erwiderte Tyki seinen verschlossenen Blick, verharrte reglos, doch erhielt keine Antwort. Schweigend musterte Kanda ihn und langsam legte er den Kopf schief. „Hat jemand dein Herz erreicht?“ Kanda blinzelte. Flüchtig wandte er den Blick ab und ein unauffälliges Lächeln formte Tykis Lippen, als er wieder angesehen wurde. „Heilt die Wunde, die ich dir beibrachte?“ Abermals spähte Kanda zur Seite. Er sah an Tyki vorbei und dieser nickte langsam in sich hinein. „Das tut sie… nicht wahr?“ Seufzend ließ Tyki die Arme sinken. Seine Hände fanden einander. Sie rieben sich und noch immer war er der einzige, der sprach. Kanda hielt sich an sein Schweigen. Ihm war nicht anzusehen, woran er dachte, doch was auffällig war, war die Ruhe, die in seinen Körper floss. Sein gehetzter Atem hatte sich gelegt, sein Herz war dem alten monotonen Rhythmus verfallen, so verharrte auch sein Gesicht in einer gewissen Entspannung. Dabei wirkte er leicht absent. Gedankenvoll verfolgte Tyki unterdessen die Bewegungen seiner Hände. „Am besten heilen Wunden, wenn man sie nicht wieder aufkratzt“, murmelte er leise und lockte Kandas Aufmerksamkeit. Ausdruckslos lenkte sich seine Beachtung zurück auf den Noah. Tyki starrte an seinen Händen vorbei zu Boden und beinahe abwesend fuhr er fort. „Ich kann mir nur vorstellen, wie du gelitten hast… in letzter Zeit. Ich habe mich von meiner Lust leiten lassen… diese Stimme in meinem Kopf war zu stark. Ich höre sie beide zu jeder Zeit. Auch jetzt.“ Seine Hand hob sich zum Kopf, bettete sich auf den schwarzen Locken. „Du weißt, was sie mir sagen.“ Eine gewisse Ernsthaftigkeit befiel sein Gesicht, als er aufblickte. Nachdrücklich erwiderte er Kandas Blick und für wenige Augenblicke bewegte sich keiner von ihnen. Abwägend sondierte Kanda sein Gegenüber und er nahm es wahr. Die Kälte, die zurück in Tykis Augen strömte, die Härte, die sein Gesicht erfasste und er würgte ein schweres Schlucken hinab, als der Noah mit einem Mal auf die Beine kam. Dem erneuten Staub, der am Stoff seiner Hose haftete, keine Beachtung schenkend, richtete sich Tyki auf, erhob sich stolz und stark vor dem erschöpften jungen Mann, der am Boden kauerte. „Ich nenne mich ‚Noah‘, du dich ‚Exorzist‘“, laut und bestimmt erhob sich Tykis Stimme. „Wir beide haben unsere Pflichten, wenn wir aufeinandertreffen, weil es Geschöpfe gibt, die über uns stehen und uns Befehle erteilen.“ Kanda deutete das zustimmende Nicken nur an. „Die uns diese Pflichten aufbürden und wir müssen uns nach ihnen richten.“ Tyki zog an seinen Handschuhen, sicherte ihren Halt und schneidig richteten sich seine hellen Augen zurück auf den jungen Mann, der den Kopf senkte und schwer schluckte. „Du verstehst mich sicher, denn du würdest nicht anders handeln. Das hast du auch bei unserem ersten Treffen nicht getan.“ „Ich würde dich auf der Stelle töten, wenn ich es könnte“, hauchte Kanda stimmlos und Tyki sah sich nur bestätigt. „Das meinte ich damit. Wir verstehen einander und ich hoffe, dass du mit meiner Entscheidung fertig wirst.“ Ein zitternder, zurückhaltender Atemzug strich über Kandas Lippen. Natürlich verstand er die Worte des Noah. Beinahe gruselig war es, wie sehr er deren Sinn nachvollziehen konnte und wenn es ihm auch schwerfiel, er blieb sitzen, die verletzten Beine von sich gestreckt, die Hände im Schoß gebettet, während sich sein Verstand mit der völligen Kapitulation anzufreunden hatte. Gefühle und Emotionen, denen Tyki keine Beachtung schenkte. Hier würde es also geschehen. Wie ironisch dieser Moment doch war. Wie hatte er sich nach dem Tod gesehnt und kaum richtete sich sein innigstes Sehnen auf das Leben, wurde es ihm genommen. Vermutlich war es wohl sein Schicksal, hier zu enden. Unspektakulär… wehrlos… unbewaffnet… Hier in dieser Halle, in der man ihn höchstens Tage später finden würde. Wie schwer war es, sich an einen Tod zu gewöhnen, der ihn einholte, während er hier im Dreck kauerte. Kein Wort des Unbehagens hätte er verloren, wäre er ruhmreich im Kampf gestorben. Im Streben nach einer guten Sache. Stolz und unzerstörbar bis zuletzt. Er blinzelte, matt sank sein Kinn gen Schlüsselbein und resignierend schloss er letztendlich die Augen. Wenn auch nur ein Funken Gutes in dem Noah steckte, so würde er es schnell tun. Langsam hob Tyki die Hände. Die Augen nicht von Kanda lösend, führte er sie zueinander. Sachte zupfte er am Stoff, zupfte an den einzelnen Fingern und geschmeidig strich er kurz darauf den weißen Stoff von seiner Haut. Er entblößte seine Hände. Beide. Tat es langsam und bedächtig, während sein Gesicht einer versteinerten Maske ähnelte. Geräuschlos landeten die Handschuhe kurz darauf hinter ihm auf der Bank und kurz nahm er sich die Zeit, sich das Haar zurückzustreifen. Seine Lippen blieben reglos, blieben versiegelt und es geschah, als er einen Fuß zurücksetzte, dass Kanda zögerlich die Augen öffnete. Seine Befürchtungen hatten einen schnellen Angriff beinhaltet, doch nichts dergleichen geschah. Vorsichtig fanden die beinahe schwarzen Augen des Japaners zu dem jungen Noah und stockend weiteten sie sich, als dieser mit einem Mal in die Knie ging. Tyki ließ sich sinken, geschmeidig, entschlossen… So stemmte er sich nur kurz auf die Knie, bevor er den Oberkörper nach vorne neigte. Die nackten Hände betteten sich auf dem dreckigen Boden und wie stockte Kandas Atem, als er sich tief und inständig vor ihm verbeugte. Er senkte den Kopf, lockig fiel das Haar in seine Stirn, bevor diese auf das alte Gestein traf und geräuschvoll rang Kanda nach Atem, als Tyki unterwürfig in dieser Haltung verharrte. Die alte Starre legte sich auf Kandas Glieder, die letzte Farbe schien aus seinem Gesicht zu bröckeln, die letzte Fassung und stockend öffnete er auch den Mund. Er wirkte, als hätte reines Entsetzen ihn heimgesucht. „Ich flehe um Vergebung.“ Verkrampft verzerrte sich Kandas Miene. Er biss die Zähne zusammen, keuchte laut auf. Die alte Aufregung erfasste ihn, die alte Fahrigkeit und mit erschütterter Ungläubigkeit starrte er auf den Noah, der noch immer hinabgebeugt verharrte. Geräuschvoll gierte Kanda nach Luft, sein Unterkiefer erbebte und mit einem Mal löste er sich von der Wand. Sein Oberkörper schnellte nach vorn, heftig stemmten sich seine Hände auf den Boden nieder. „Das… ist nicht fair!“, erhob sich seine Stimme aufgelöst. Sein gesamter Körper bebte unter dem Schrei, den er hervorwürgte. „Hörst du?! Nicht fair!!“ Gellend hallte Kandas Stimme in der Halle wider. Die Gewalt seiner Worte brach sich an den Wänden und entspannt begann sich Tyki zu bewegen. Langsam stemmte er sich nach oben, öffnete die Augen und erhob sich auf die Knie. „Du weißt, dass ich dir niemals vergeben werde!!“ Fahrig schrie Kanda ihn abermals an. Es schien, als drang in diesem Moment etwaiger Schmerz nach außen. Jede Qual, jede Pein und doch versiegte seine Stimme unter einem leisen Röcheln, als Tyki auf die Beine kam. Zitternd atmete Kanda ein, abermals bissen seine Zähne aufeinander und seine Stimme wirkte mit einem Mal so brüchig, als sie sich wieder erhob. Erschöpft sank er gegen die Wand zurück, während sich Tyki gemach den Staub aus der Hose klopfte. „Das tust du doch nur, um dein Gewissen zu erleichtern…“, drang ein gedrungenes Flüstern an seine Ohren, doch er schöpfte nur tiefen Atem, wirkte mit einem Mal befreit, als er Kanda den Rücken kehrte und an die Bank herantrat. „Die Antwort darauf musst du dir selbst geben“, murmelte er leise zurück, während er nach seinen Handschuhen griff. Als würde es Kanda frösteln, klammerte er sich in seinen Oberarm. Er sank in sich zusammen, wurde kleiner und kleiner, während seine Mimik bebte. Seine Brauen verzogen sich. Es schien undeutlich, ob es abgrundtiefe Traurigkeit war, die ihn heimsuchte oder schierer Schmerz. Seine Mundwinkel zuckten, verkrampft presste er die Lippen aufeinander, während Tyki auch nach seinem Zylinder griff und ihn säuberlich auf seinem Kopf postierte. Er ließ sich Zeit dabei. Er flüchtete nicht, rückte an seinem Hemd und strich sich über die Brust. „Die Muskeln in deinen Beinen dürften verheilt sein. Deiner Freiheit steht nichts mehr im Wege.“ Zu keinem Atemzug war Kanda mehr fähig. Alles in seiner Brust verkrampfte sich und er wirkte so kraftlos, so morbide, als er schleppend den Kopf schüttelte. „Nicht fair…“, brachte er hauchend hervor, rutschte um ein Stück an der Wand hinab und fahrig hob er den Arm und presste ihn sich auf die Augen. Heiß sammelten sich die Tränen in ihnen, verbissen kämpfte er dagegen an und völlige Stille umgab ihn, als er einen der schwersten Kämpfe ausfocht und verlor. Er unterdrückte ein leises Schluchzen, kroch in sich zusammen. Die Beine bewiesen problemlose Beweglichkeit und stockend zog er sie zu sich und die Knie eng an die Brust. Krampfhaft schloss sich auch sein Arm um sie, während er den anderen auf dem Gesicht bewegte. Sein Körper zitterte, begann zu zucken und etwaige Hürden brachen. Laut erhob sich sein Schluchzen in der verlassenen Halle. Er würgte es hervor, abermals kapitulierte er vor der Intensität seiner Gefühle und wie zerbrach er erneut an den kläglichen Lauten, zu denen seine Lunge fähig war. Ein pochender Schmerz im Kopf führte ihm vor Augen, dass seine Innenleben unter schierer Überlastung litt. Kein Denken ließ sich aufbauen, kein Gedanke sich fassen. Eine endlose Konfusion rumorte in ihm, tat es so schmerzhaft, so gnadenlos, dass er das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen. Wäre er in diesen Augenblicken gestorben, so hätte er es nicht gespürt. Tiefer rutschte er hinab… immer tiefer, während ihn eine völlig leere Halle umgab. Er kauerte alleine hier. ~tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)