Tell me the best way I could kill you & Back to reality von abgemeldet (~ Yu Kanda x Tyki Mikk~) ================================================================================ Kapitel 20: ~10~ ---------------- Ihr Weg zum Bahnhof war von Schweigen und Nachdenklichkeit geprägt. Sie schritten nebeneinander und doch machte es den Anschein, als wären sie beide nicht in der Realität. Lavi waren Grübeleien anzusehen, als sie das große, steinerne Gebäude betraten und weiterhin stumm fanden sie sich vor dem Fahrplan ein und begannen ihn zu studieren. Kanda fand weniger Interesse an dem Aushang. Er blickte an Lavi vorbei, während sich dieser das Kinn rieb, begann er die Halle zu mustern. Es gab einige Reisende, die zu dieser Stunde an den Gleisen ausharrten. In Gespräche vertieft, brachten sie die Wartezeit hinter sich. Auch auf eine Gruppe Finder wurde Kanda aufmerksam. Sie standen nahe des Einganges, unterhielten sich angeregt und verleiteten Kandas Augen nicht gerade dazu, bei ihnen auszuharren. Desinteressiert wandte er sich zur anderen Seite, tastete nach Mugen und rückte an seiner Uniform. Auch, wenn er es nicht zeigte, so litt er dennoch unter einer gewissen inneren Nervosität. Es war wohl der Schlafmangel, der ihm diesen Zustand verschaffte und unauffällig rieb er sich die Augen, als Lavi leise seufzte und zurücktrat. Eine volle Stunde müssten sie sich noch um die Ohren schlagen, bevor ihre lange Reise nach Österreich beginnen konnte. Flüchtig driftete Lavis Auge zu seinem Kameraden. Er war aufmerksam, blieb es auch und nichts tat er lieber, als Kanda unauffällig zu mustern, zu studieren. Es war ein seltsames Gebiet, in das er bereit war, einzutreten. Was er vor sich hatte war ein schier unendlicher Weg durch das Labyrinth, das Kandas Inneres ausmachte. Verworrene Pfade würden ihn führen zu Bereichen, von denen er befürchtete, dass sie aus den schlimmsten Alpträumen auferstanden. Er wusste nicht, wie sehr er selbst dabei leiden würde, wie nahe es ihm ging, wenn er eines Tages der Wahrheit begegnete. Er stemmte die Hände in die Hüften, nahm die Stille ein weiteres Mal wahr. Kanda schien nichts auf dem Herzen zu haben. Er wandte sich gar ab, als sich Lavi zu ihm drehte und so kam es dann auch dazu, dass der Rothaarige alleine auf einer der hölzernen Bänke Platz nahm, an der Lehne tiefer rutschte und die Beine von sich streckte. Er versenkte die Hände in den Hosentaschen seiner Uniform, legte den Hinterkopf in den Nacken und blickte zur hohen Decke der Halle auf. Kanda war währenddessen nahe des Planes stehengeblieben. Gleich eines verschreckten Tieres hielt er sich vorerst von Lavi fern und dieser registrierte dies mit mangelnder Verblüffung. Vermutlich wussten sie beide nicht, worauf sie sich wirklich einließen. Tief atmete Lavi ein, atmete aus und schloss flüchtig das Auge. Wenige Stunden Schlaf hätten ihm wohl gut getan, doch er hielt es für einen guten Schritt, sich nach Kanda zu richten und nach dessen Wunsch, ohne Verzögerung aufzubrechen. Es gab wohl Gründe dafür, auch, wenn sich diese Lavi noch nicht vollends eröffneten. Unauffällig blickte er zur Seite, bewegte den Kopf auf der Lehne der Bank und blieb behaglich sitzen. Über ihm tickte der Zeiger der großen Bahnhofsuhr, leise drangen die Gespräche der anderen Menschen zu ihm. Gurrend tappten auch Tauben in seinem Rücken ihres Weges, beharrlich den Boden absuchend, während unaufhörlich Züge eintrafen. Zischend schoss der Dampf aus ihren Kurbeln, kroch gespenstisch über den steinernen Boden. Eine junge Frau eilte an Lavi vorbei hin zu einem anderen Gleis, leises Lachen erhob sich in einer Ecke und flüchtig schloss Lavi das Auge. Während Kanda sich nicht mit ihm abgab, bestand für ihn doch die Möglichkeit, sich ein wenig auszuruhen, doch mit einem Mal war er wieder vollständig wach und richtete sich auf. Kanda hatte sich in Bewegung gesetzt. Fast eine halbe Stunde hatte er in der Nähe des Fahrplanes gestanden und trat nun mit vorgetäuschter Beiläufigkeit näher. Er tat einen Schritt, tat den nächsten und bedacht beendete Lavi das Starren, als er die Bank erreichte und sich nach einem weiteren Zögern niederließ. Es blieb bei einer gewissen, durchaus durchdachten Distanz, mit der sich Lavi jedoch zufrieden gab. Es war ein angenehmes Gefühl, Kanda so nahe bei sich zu haben und die nächsten Minuten brachten sie damit zu, abermals ihren eigenen Gedanken nachzugehen und abwesend die Halle zu durchmustern. Langsam regte Lavi die Hände in den Hosentaschen, bevor er sie hervorzog, auf dem Schoß ineinander faltete und die Bewegungen seiner Daumen akribisch verfolgte. Wenn er beschäftigt wirkte, erschien das Schweigen fast beiläufig und doch entschied er sich dazu, es nach wenigen weiteren Minuten zu beenden. Seine nachdenkliche Miene wurde von einer gewissen Wachheit heimgesucht und er grübelte nicht lange, bevor er das Wort ergriff. Nebenbei und ruhig, ohne zur Seite zu blicken. Kanda saß durchaus zusammengesunken neben ihm, hatte Mugen auf dem Schoß gebettet und betastete die ausgeliehene Scheide. Man sah ihm nicht an, woran er dachte und auch, als sich Lavis Stimme neben ihm erhob, gab seine Miene kaum eine Regung preis. „Weißt du eigentlich, wie ich Allen kennengelernt hab?“, stellte Lavi eine Frage und erwartete keine Antwort. Er verschränkte die Arme vor der Brust und kreuzte die Beine. „Ich war mit Bookman unterwegs, als wir abrupt nach Deutschland gerufen wurden. Auch Komui war dorthin unterwegs und wir trafen uns unterwegs und beendeten den Weg gemeinsam. Als wir dort ankamen… im Krankenhaus…“, er runzelte die Stirn bei der Erinnerung, „… hatte Allen fast sein linkes Auge verloren und Leenalee war seit Tagen bewusstlos und blieb es auch noch für eine Weile.“ Flüchtig spähte er zu seinem schweigsamen Banknachbarn. „Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast.“ Wieder erwartete er keine Antwort und behielt sie auch nicht. „Allen erholte sich nur langsam und konnte sein Auge lange Zeit nicht benutzen und der Opa kümmerte sich um Leenalee, bis auch sie wieder zu sich kam.“ Er straffte die Schultern, blickte zur Seite und blieb seiner Beobachtung treu. Kanda kratzte noch immer an der Scheide. „Weißt du, was den beiden zugestoßen war?“ Diesmal hoffte er auf eine Erwiderung und wirklich… es machte den Anschein, als würde Kanda grübeln, als würde er versuchen, sich zu erinnern. Aber es dauerte zu lange, also fuhr Lavi seufzend fort. „Sie waren einem Noah begegnet.“ Und endlich erwachte Kanda zum Leben. Er richtete sich um ein Stück auf, seine Augen lösten sich von Mugen und Lavi nickte. „Einem einzigen Noah“, murmelte er leise. „Und sie waren zu zweit.“ Worauf er hinauswollte, schien Kanda sofort zu verstehen, denn fast eisern blickte er zu Mugen zurück und presste die Lippen aufeinander. Er hielt das eigene Schweigen aufrecht und Lavi seufzte leise. „Ein einziger Noah hat sie derartig zugerichtet.“ Er hob die Braue, spähte zu seinen Daumen, die sich aneinander rieben. Noch immer umgab sie diese Geräuschkulisse und kurz lauschten sie ihr, bevor Lavi fortfuhr. „Dass wir die Noah gegen uns haben ist ein Geschenk der Hölle. Sie sind Gegner, die keiner von uns unterschätzen sollte. Auch jetzt, wo einer von ihnen tot ist. Niemand hat Allen oder Leenalee einen Vorwurf gemacht und so ist es auch bei dir. Der einzige, der sich die Niederlage nicht verzeihen kann, bist du selbst.“ Auch, wenn es ganz sicher nicht das war, was Kandas derzeitigen Zustand ausmachte… Lavi war der Meinung, dass es dennoch eine Rolle spielte hatte. Kanda verlor nicht oft. Im Grunde konnte sich Lavi an keine einzige Niederlage erinnern, wenn er an die Zeit zurückdachte, die er bislang mit Kanda verbrachte. Stets hatte er nur Lobeshymnen gehört. Auch selbst konnte er sich oft von Kandas Können und seiner Entschlossenheit überzeugen, wenn er gemeinsam mit ihm gereist war, auch, wenn es nicht sonderlich oft vorkam. Er rückte sich zurecht, noch immer herrschte das alte Schweigen, doch mehr hatte er in diesen Momenten einfach nicht zu sagen. Diese eine Sache hatte ihm auf der Seele gebrannt und dennoch zweifelte er an der Wirkung seiner Worte. Sich selbst vergeben war zuweilen schwerer, als von anderen Vergebung zu erhalten. Das wusste er und doch hoffte er, mit diesen Sätzen auf dem richtigen Weg zu sein, auch, wenn es für ihn eine Tatsache darstellte, dass neben der Niederlage noch mehr geschehen sein musste. Er schloss die Augen und erinnerte sich. Er hatte mit Kanda diese Stadt betreten, um nach jenen beiden Exorzisten zu suchen und waren augenblicklich in diesen Kampf verwickelt worden, in welchem Kanda schier den Verstand verlor und ebenso fast sein Leben. Lavi Miene verzog sich, als diese Bilder in sein Gedächtnis zurückkehrten und das so deutlich, als hätte er einen Film vor sich. Als er auf diesen Marktplatz gestolpert war… jenen Verletzten zurückgelassen hatte und anschließend auch alles getan, um Kanda aus der lebensgefährlichen Lage zu befreien… er wusste es noch genau. Was daraufhin geschehen war… Was… mit Kanda… geschehen war. „Fass mich nicht…!!“ Er hörte sie. Diese Stimme, die in seinem Kopf widerhallte. So fahrig, so heiser. Es war schiere Angst gewesen, die Kanda ins Gesicht geschrieben stand und nimmer würde Lavi diesen Moment vergessen. Das Zittern, das Beben und wie die Stimme, die sich stets so stolz und monoton erhob, sich in Flehen und Bitten kleidete. „Hör auf…“, hörte er ihn keuchen. „Fass mich nicht an!!“ Wie er am Boden kauerte… mit vor Panik geweiteten Augen auf seine Hände starrte und soviel mehr zu sehen schien, als die tiefen, klaffenden Schnitte. „Ich… blute…“ Wie sehr raste Lavis Herz zu diesem Zeitpunkt und wie hart hatte er zugeschlagen, um ihn den Wahnvorstellungen zu entreißen und ihn zurück in die Realität zu holen. Zurück zu sich. Und zu sich selbst. Er hatte Angst gehabt. Hatte die Situation nicht verstanden und intuitiv gehandelt und dennoch war es Kanda anschließend so furchtbar schlecht ergangen. Wie abwesend er wirkte, wie kreidebleich… „Ich…“ Plötzlich erhob sich Kandas Stimme und mit einem Mal kam Lavi wieder zu sich. Er streifte die Erinnerungen von sich, blickte auf und ohne zu zögern zu Kanda, der wirklich das Wort ergriff. Wenn auch leise – Lavi wartete, verfolgte, wie Kandas Hände die schwarze Schwertscheide umfassten, sie pressten und zur Seite glitten. Vorsichtig und abwesend strichen sie über das schwarze Leder, kratzten hie und da. „… habe ihn nicht im Gebirge getroffen.“ Und Lavi hob die Braue. Er war aufmerksam und ohne zu zögern drehte er sich auf der Bank. Er zog das Bein zu sich hinauf, wandte sich Kanda offen zu und nickte. Er hatte derartiges erwartet. Es waren halbwegs Lügen, denen er in jener Trainingshalle begegnet war und so überraschte es ihn nicht, dass selbst dieser Part der Erzählung nicht gestimmt hatte. Es war eine einzige Irreführung, in die Kanda sich verstrickt hatte. Noch immer starrte dieser zu Boden, tastete sich weiter über das Leder und Lavi wurde lange warten gelassen, bevor er einatmete und fortfuhr. Leise. „Es geschah in einer verlassenen Stadt“, murmelte er. „Irgendwo im Sudan.“ Sofort nickte Lavi, umschloss das angezogene Bein mit den Armen und wie hoffte er, dass Kanda fortfuhr, dass er noch mehr Gewissheit genießen konnte und somit das Recht erwarb, sich Hoffnungen machen zu dürfen, doch noch die volle Wahrheit zu erfahren, doch Kanda schien sich in das alte Schweigen zu hüllen. Mehr als diese wenigen Worte kamen nicht über seine Lippen und vorsichtig wagte Lavi es, nachzuhaken. „Dass ihr nicht miteinander gesprochen habt, bevor es zum Kampf kam…“, flüsterte er und erkannte ein humorloses, flüchtiges Grinsen auf Kandas Lippen. Eine Geste, die gruselig wirkte. Er schüttelte vorerst jedoch nur den Kopf und Lavi verstand es sofort. Eine weitere Unwahrheit also. „Es…“, meldete sich Kanda wieder zu Wort, „… lief nur auf Hohn und Desinteresse hinaus.“ „Desinteresse?“, erkundigte sich Lavi grüblerisch und flüchtig verzog Kanda den Mund. Er regte sich auch auf der Bank, offenbarte eine seltsame Nervosität, die sich auch auf die Bewegungen seiner Finger niederschlug. Sie streckten sich, spreizten sich, bevor er beide Hände zu Fäusten ballte. „Er war nicht auf einen Kampf aus“, gab er dann zu und Lavi wusste es wirklich zu schätzen. Fast spürte er ein gewisses Hochgefühl ob der Ehrlichkeit, die Kanda mit einem Mal an den Tag legte. Es fühlte sich gut an und es war ein erster Schritt. Der Rothaarige juckte sich am Kinn, bettete es auf dem angewinkelten Knie. „Ich bin derjenige“, hauchte Kanda leise und atmete tief durch, „… der angriff.“ Wieder dieses schauerliche Grinsen. „Ich Vollidiot“, fügte er noch kaum hörbar hinzu und nachdenklich sah Lavi ihn an. „Er hätte mich ziehen lassen, ohne mir ein Haar zu krümmen.“ „Hm.“ Das alles klang nach Kanda, klang nach dem, wie er einfach war und Lavi hatte diese Bilder fast vor Augen. Wie sie aufeinandertrafen und es dabei nur einen unter ihnen gab, der einen Kampf provozierte und anschließend das bitterste Los zog. Er verharrte reglos, driftete gedanklich ein wenig ab und nahm unterdessen die alte Stille wahr. Mehr schien Kanda nicht sagen zu wollen, doch Lavi spürte diese Sucht nach weiteren Worten. Er wollte mehr erfahren, um es sich selbst leichter zu machen. Erst, wenn er alles wusste, wusste er auch, wie er helfen konnte. „Und dann habt ihr gekämpft“, flüsterte er leise und Kanda deutete ein Nicken an. „Er war schnell“, sagte er leise und begann wieder die schwarze Scheide zu bearbeiten. „Vermutlich war ich wenige Sekunden nicht aufmerksam genug. Er brachte mein Trommelfell zum platzen und zerriss mir die Schulter.“ „Und dann?“, erkundigte sich Lavi sofort und verfolgte die Reaktion. Kandas Hände ließen mit einem Mal von der Scheide an. Viel lieber verschränkte er die Arme vor dem Bauch und nahm so eine deutliche Abwehrhaltung ein. Auch seine Lippen blieben versiegelt und Lavi hatte das Gefühl, dass es für diese Frage noch zu früh war. Vermutlich hatte er überstürzt gehandelt, hatte sich locken lassen von der zögerlichen Ehrlichkeit. Doch hier und jetzt schien diese zu enden. Kanda schwieg. Auch, wenn er nachdenklich war, ein weiteres Wort kam nicht über seine Lippen, dann plötzlich begann er sich zu regen und kam auf die Beine. „Der Zug kommt“, meinte er nur, bevor er ging. Lavi drehte sich um und erblickte ihn. Zischend fuhr er in den Bahnhof ein und seufzend erhob er sich von der Bank. Lavi wusste nicht, was er erwartet hatte, was seinen Vorstellungen entsprach, doch er verbrachte den Großteil der Reise alleine. Er war einsam in seinem Abteil, niemand war bei ihm und auch, wenn dadurch Zweifel nach ihm griffen, er nutzte die Gelegenheiten dennoch, um zu sinnieren. Kanda hielt sich nach wie vor von ihm fern. Er verkroch sich, sobald sie den nächsten Zug betraten. Er zog sich zurück und zeigte vorerst kein Fragment seiner alten Bereitschaft. Lavi hatte es befürchtet. Er war es wohl, der den Anfang machen musste, der herauszufinden hatte, wie weit er gehen konnte. Natürlich würde Kanda nicht von alleine auf ihn zukommen. Vermutlich bräuchte er Fragen, um die Stimme zu erheben, brauchte eine gewisse Reaktion, um selbst auf sie zu reagieren. Doch wo begann man? Fürs erste empfand Lavi dennoch Erleichterung. Er hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Kanda aus dem Orden zu holen… den gefährlichen Ort zu verlassen und in anderes Land zu reisen. Es brachte hoffentlich Abwechslung mit sich, möglicherweise auch Ablenkung, auch, wenn das auf Dauer nicht der richtige Weg war. Fürs erste jedoch… Er hatte sich wohl darauf zu verlassen, dass Kanda seine Vorteile aus dieser neugewonnenen Freiheit zog. Wie verheerend wäre es gewesen, hätte man ihn weiterhin im Orden eingemauert, ihn daran gehindert, frische Luft zu atmen und es frei zu tun. Es lief wohl darauf hinaus, dass er sich nur weiterhin verkrochen hätte. Tiefer und tiefer hinter seine erschütterten Mauern, bis niemand ihn mehr erreichen könnte. Stundenlang sahen sie sich nicht und als sie den dritten Bahnhof erreichten und sich wieder unter die Augen traten, versuchte Lavi zu erkennen, ob der andere zumindest ein paar Stunden geschlafen hatte. Doch diese Zuversicht und dieses Hoffen verblasste rasch, als er die alte bleiche Miene sah, die alten ausgemergelten Gesichtszüge und die geduckte Haltung. Der ruhige, erholsame Schlaf schien für Kanda derzeit unmöglich. Wie ein Traum, den man nicht erreichen konnte, weil er einfach nicht real war. Auch, wenn sie anschließend wieder auf derselben Bank saßen, um auf den Anschlusszug zu warten, die Kommunikation fiel schwer und es folgte nur ein stummes Kopfschütteln auf Lavis Frage, ob er Hunger hätte. An der Apettitlosigkeit hatte sich scheinbar nichts geändert und Lavi wurde beinahe von Schuldgefühlen heimgesucht, als er seinem eigenen Hunger folgte und sich eine Kleinigkeit an einem der Stände besorgte. Es war ein seltsames Gefühl, neben Kanda zu sitzen und es sich schmecken zu lassen. Jeden Bissen musste er hinunterwürgen, spähte oft zur Seite und bekam keine Erwiderung. Kein Blick, kein Wort, keine Aufmerksamkeit und spätestens, als er dann im nächsten Zug saß und es wieder einmal alleine tat, wurde er sich der Tatsache bewusst, dass er langsam etwas bewegen musste. Ein erster Schritt musste getan werden, doch er fragte sich, wie dieser auszusehen hatte. Er hatte empathisch zu sein, ohne zu wissen, auf welche Gefühle er Obacht zu geben hatte. Hatte auf Kanda zuzugehen, ohne zu wissen, worauf er sich genau einließ. Jedenfalls empfand er es als seine Aufgabe. Wenn Kanda selbst nicht erwachte, hatte er wohl an ihm zu rütteln und in dieser Gedankenlosigkeit zog auch der Rest der Reise an ihm vorbei. Die Stunden vergingen, die Umwelt hinter dem Fenster veränderte sich und es war in den Mittagsstunden des nächsten Tages, dass sie einen weiteren Zug verließen und ihr Ziel erreicht hatten. Es war eine Einöde, in der sich standen. Der Weg, der vor ihnen lag, war lang, doch Lavi war guter Dinge, dass sie die Stadt in den Abendstunden erreichen und somit ihren Auftrag erfüllen würden. Seite an Seite setzten sie sich so wieder in Bewegung und schritten durch Felder, ließen einen Wald hinter sich und taten dies alles, ohne ein Wort an den anderen zu richten. Lavi konnte nichts dagegen tun, sich nicht zur Wehr setzen. Seit langer Zeit war er nun derjenige, der abwesend erschien und den Gedanken quälten. Unsicherheiten stürzten über ihn herein, ließen ihn zögern und mit seinen Entschlüssen hadern. Die letzte Zeit, die er mit Kanda verbracht hatte, hatte alles verkompliziert. Wie hatte er ihn beobachtet, gemustert, sein Verhalten studiert und war zu einer Einsicht gelangt, die zu Kandas Verhalten passte. Fast beiläufig hatte er die Hand auf seiner Schulter gebettet. Er hatte es am vorletzten Bahnhof getan und augenblicklich war Kanda ausgewichen und nur, um sich ein weiteres Mal zu überzeugen, näherte er sich ihm unauffällig. Fast beiläufig trat er während des Weges an ihn heran und konnte sich nicht als verwundert bezeichnen, als Kanda sofort auswich und die alte Distanz zwischen sie brachte. Auch er kleidete dieses Verhalten in Beiläufigkeit und dennoch war es offensichtlich und ähnelte seinen Bewegungen, mit denen er seiner Hand ausgewichen war. Immensen Wert schien er darauf zu legen, Berührungen aus dem Weg zu gehen und Lavi hatte es in jeder Sekunde wahrgenommen, in jedem Augenblick. Noch nie hatte er einen solchen Abstand zu einem anderen Menschen gespürt, noch nie war ihm so deutlich vor Augen geführt worden, dass Nähe nicht ertragen wurde und wie verbittert versuchte er einen Kontext herzustellen. Immernoch. Dies war der Grund für seine Schweigsamkeit, für seine Grübeleien, die sich nur langsam einem scheinbaren Ziel zu nähern schienen. Er entsann sich, etwaige Erinnerung bedachte er und so hielt die Stille zwischen den beiden ein weiteres Mal an. Sie gingen ihren Weg gemeinsam und doch getrennt im Geiste. Irgendwann versenkte Lavi die Hände in den Hosentaschen. Fortwährend betrachtete sich sein Auge die verschiedenen Steine, die unter seinen Füßen vorbeizogen. Er besah sie sich, besah sich ihre Farbe, ihre Form und nicht selten geschah es, dass sich seine Stirn in erwägende Falten legte. ‚Fass mich nicht an…‘ ‚Ich blute…‘ Lavi presste die Lippen aufeinander und bald darauf schloss er einfach das Auge und atmete tief durch. Entspannung… er musste sich entkrampfen, seine Gedankenwelt freimachen für neue Wege und bestimmt sowie zielstrebig suchte er nach jenen Bildern. Er war dabei gewesen, hatte es gesehen und wie war er dabei erbebt. Seine Mimik offenbarte Konzentration, als er seinen Weg neben Kanda blind ging. ‚Das soll es gewesen sein?!‘ Gellend und plötzlich schlug Lavi die fahrige Stimme entgegen, ließ ihn erzittern… auch, wenn es sich lediglich um ein Fragment seiner Erinnerungen handelte… eine solche Emotionalität, eine solch immense Empfindung begegnete ihm, dass sie ihn haltlos mit sich riss. Ein weiteres Mal. ‚Das soll es sein?!!‘ Kandas Stimme hatte sich mit einer solchen Kraft erhoben. Nichts war von der alten Beherrschung zurückgeblieben. Worte, die stets in Desinteresse und monotonen Klang gekleidet wurden, brachen mit einem Mal hervor und taten es so laut, so fahrig. Keine Spur von Kontrolle… keine Spur von Gleichgültigkeit. Lavi war Zeuge einer Szene geworden, die ihm niemand glauben würde. Eher würde man ihn als Lügner betiteln, als ihm Glauben zu schenken, doch nicht nur darin bestand der Grund, dass er es bislang für sich behalten hatte. Es war sein Erleben und nur seines. Mit niemandem wollte er dieses Heiligtum teilen und dazu bewegte ihn nicht nur der Gedanke, es Kanda schuldig zu sein. Niemand sollte von diesem Augenblick der völligen Schwäche erfahren, niemand wissen, dass Kanda dazu imstande war, Tränen zu vergießen. ‚So einfach machst du es dir?!!‘ Und wieder… eine eiskalte Gänsehaut suchte Lavi heim, ließ ihn erbeben und tief nach Atem ringen. Es handelte sich um einen Sieg, der keiner war. Der tückische Ausgang eines harten Kampfes, der keinen Stolz mit sich brachte, keine Zufriedenheit. Nein, vielmehr wurde Lavi die Intuition nicht los, dass der Tod dieses Noah die bestehende Wunde nur tiefer gerissen hatte. Was auch immer er getan… was auch immer er Kanda angetan hatte, es gab nun niemanden mehr, auf den Kanda seinen Hass richten konnte. So hatte er sich selbst dazu auserwählt. Tot war der Schurke zu Boden gesunken und hatte ein Opfer zurückgelassen, das sich nicht zu helfen wusste, das verzweifelte ob des Anblickes jener Leiche. Der Tod schien keine gerechte Strafe zu sein. Für wenige Augenblicke womöglich befriedigend, doch Lavi hatte selbst gesehen, wie es Kanda anschließend ergangen war. Es war das beste Beispiel dafür, dass Rache die eigene Verletzung nicht tilgte, nicht zur Heilung bewegte und heiße und kalte Schauer gleichsam befielen Lavi, als er seine Erinnerungen weitersponn. ‚Du hast es dir leicht gemacht!! Aber das ist es nicht!!‘ Beileibe nicht. ‚Hey…‘ Mit einem Mal erhob sich diese andere Stimme in seinem Kopf. Es war die Stimme eines Augenzeugen, der nichts begriff. Wie konnte er auch…? ‚Es ist vorbei.‘ ‚Vorbei...?‘ Ein heiseres Flüstern und Lavi meinte noch Kandas eisernen Griff zu spüren. Seine Finger hatten sich in seine Uniform geschlagen und beinahe ungläubig hatte er dieses Wort wiederholt. ‚Vorbei?‘ Innerlich schüttelte Lavi über die eigene Torheit den Kopf. Wie hatte er davon ausgehen können, dass die Probelmatik mit dem Tod des Noah beendet war? Welcher Teufel hatte ihn geritten, dass er wagte, gutgläubig und hoffungsvoll zu sein? Wie hatte er die Situation verkannt und fast zuckte er merklich zusammen, als sich Kandas Stimme mit der alten Intensität, mit der alten Wut in seinem Kopf erhob und in seinen Ohren widerhallte. ‚Nichts ist vorbei!! Es wird niemals vorbei sein!!‘ Wie sah die völlige Kapitulation aus, wenn nicht so? „Ich kann nichts dagegen tun… ich… habe alles Mögliche getan!! Er ist tot!! Er hat seine Ruhe und ich nicht!! Darauf war ich nicht aus!!‘ Und augenblicklich verlor die Stimme an etwaiger Kraft, mit welcher sie sich so immens erhoben hatte. ‚Darauf war ich nicht aus…‘ Verzweiflung… Schmerz… Wie qualvoll musste Kanda diese Tatsache getroffen haben. Nach einem Kampf, der mit Hass und Rachsucht geführt wurde, eröffnete sich ihm die Realität, in der nichts so einfach war, wie es schien. Wie könnte es auch? War jemals etwas genauso, wie man es erwartete? Lavi schluckte. Sein Hals fühlte sich so trocken an, sein Mund und flüchtig rieb er sich die Stirn. Er hob die Hand, öffnete in ihrem Schutz das Auge und richtete den Blick zurück auf das Gestein. Mehr und mehr Gras mischte sich darunter. Der steinige Pfad verlief sich in einer Wiese und es dauerte nicht lange, bis ihre Füße durch hohes Gras strichen. ‚Er sollte leiden. Er sollte so leiden, wie ich es getan habe!!‘ Leiden?, fragte sich Lavi und blickte zum Horizont. Die untergehende Sonne färbte ihn rot, als würde er bluten. Eine seltsame Atmosphäre, die zu seinen finsteren Gedanken zu passen schien. ‚Er sollte büßen!! Und er grinst mir ins Gesicht, als wäre er über dieses Leid erhaben!!‘ Vermutlich war es ein schmerzvoller Tod gewesen, doch so qualvoll er auch gewesen war, er hatte sein Ende gefunden. Er war vergangen… nicht so wie die Wunde, mit der Kanda rang und es so verbittert tat. ‚Als könnte er keine Schmerzen spüren!! Aber die hat er verdient! Er hat sie verdient!!‘ Lavi befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Was, fragte er sich, konnte Kanda, den kontrollierten und bedachten Japaner, dazu bewegen, eine solche Wut zu entwickeln? Einen solchen Hass oder gar blinde Raserei, in welcher er dem Noah mehr noch als den Tod an den Hals wünschte? Niemals hatte Kanda den Feind mit Hass bekämpft, nie die Kontrolle über einen Kampf verloren. Seine Entschlossenheit basierte auf seiner Pflicht als Exorzist und auch, wenn er gnadenlos war und kühl und kein Zögern zeigte, bevor er den Widersacher niederstreckte… niemals hatte ihn Hass gelenkt, niemals persönliche Antipathie. Pflicht. Mehr nicht. Das war es wohl, was Kanda zu einem der Besten machte. Kein Hinterfragen, kein Zaudern. Jeder, der einmal eine Mission mit ihm bestritten hatte, wusste das. Seine Entschlossenheit, seine Striktheit… sie hatten stets zum Erfolg geführt, waren stets respektiert worden. Wieder atmete Lavi tief durch. Ein seltsamer Druck hatte sich in seinem Hals ausgebreitet und absent rieb er ihn sich. Die Erinnerungen taten weh. Selbst ihm. Und sie verunsicherten ihn, offenbarten ihm die tiefe Schlucht des Unwissens, vor welcher er ausharrte. Stets verwickelt in die Hoffnung, einen Pfad zu erblicken, der ihn über die gähnende Leere führte und hin zum Licht, in welchem Tatsachen und Wahrheiten erstrahlten. Doch er sah ihn nicht. Vielmehr erblickte er sich selbst und keinen einzigen Schritt. Er verharrte auf einem Punkt, der kein Vorankommen hervorbringen konnte, keine Gewissheit, keine Klarheit. Und… es war ernüchternd. ‚Was soll ich mit dem Sieg, der mir nichts bringt?! Es sollte alles besser werden!!‘ Soweit sein Begehren, soweit seine Sehnsucht. Wie musste sich Kanda auf diesen Sieg verlassen haben. Mit welch einer Hoffnung musste er dem Kampf begegnet sein… und wie tief stürzte er daraufhin, als ihn die Tatsachen ereilten. Ein unendlicher Sturz und Lavi fragte sich, ob er bereits aufgeschlagen war oder ob er noch immer fiel. Ohne Boden unter den Füßen, ohne die geringste Sicherheit. Wie verstörend musste es sein, wie beirrend. Und er fühlte sich diesen Empfindungen selbst so nahe, als er sich an die zusammengesunkene Gestalt erinnerte. Sie hatte vor ihm gekauert und wie seltsam klang dieses Schluchzen. Laute, die nicht zu der stolzen, starken Stimme passten. Niemals hätte Lavi gedacht, dass sie sich auf diese Art und Weise erheben könnte und wie hilflos hatte er sich selbst empfunden, bevor er vor Kanda auf die Knie gesunken war und ihn einfach umarmt hatte wie ein Kind, das sich vor der Dunkelheit fürchtete. Momente, die sich in Lavis Seele gebrannt hatten. So tief, dass selbst sie ein wenig schmerzten. ‚Wann ist das endlich vorbei…? Was soll ich noch… machen…?‘ Fragen, auf die Kanda noch immer keine Antwort gefunden hatte. Antworten, die Lavi ihm geben wollte. Wie sehnte er sich danach, sie zu kennen. Die Lösung für dieses fatale Problem. Er richtete sich auf, festigte seine Haltung und betrachtete sich die Wiese, die sie nun zu allen Seiten umgab. Wenn er schon innerlich nicht gefestigt war, so wollte er wenigstens nach außen hin so wirken, um Kanda nicht weiterhin zu verunsichern. Er spielte eine wichtige Rolle, Kanda hatte ihm ein wichtiges Vertrauen geschenkt und hegte nun sicher Erwartungen, die er zu erfüllen hatte. Die er erfüllen wollte. Wieder schluckte er, verbannte die Trockenheit und jenen Druck aus seinem Hals und unauffällig lugte er zur Seite. Kanda wirkte entspannt, wenn auch absent. Mit gesenkten Schultern ging er seinen Weg, das Gesicht gesenkt, ebenso die Lider, als befände er sich in einem gewissen Halbschlaf. Lavi spürte seine Anspannung nicht… nahm auch den Frust nicht wahr, den Kanda mit jedem Schritt hinunterschluckte wie die giftigste Galle. Er verkannte seinen Weggefährten immens und so erreichten ihn auch keine Befürchtungen. Er wusste nicht, welche Wut auch in diesen Momenten in Kanda pulsierte, mit was für Gedanken er sich auch jetzt quälte und vorsichtig näherte er sich einem gewissen Entschluss. Er wollte einen Fortschritt wagen, ein Risiko eingehen, dass er schier unterschätzte und bedacht wandte er sich der Suche nach den richtigen Worten zu. Wie fing er an, wenn er keinen richtigen Ausdruck kannte? Er räusperte sich leise, ballte die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten und atmete kontrolliert aus. In seinem Kopf arbeitete es verbittert und mit einer solchen Schnelligkeit, dass Lavi beinahe schwindelig wurde. Soviel tummelte sich in ihm, soviel Unwissen, soviel Spekulation, denn zu mehr war er einfach nicht fähig. Hypothesen, mehr nicht. Annahmen, deren Richtigkeit er nicht überprüfen konnte. Kanda mied Berührungen. Kanda schuf Distanzen. Und je mehr sich Lavi in dieses unbekannte Gebiet hineinbegab, umso beirrender wurde sein Pfad. Gedanken erwachten in ihm zum Leben, die er verdrängen wollte, weil sie zu fremd erschienen. Einfach unmöglich. Er suchte nach Antworten, doch dann gestand er sich ein, dass er eine der vielen Antworten bereits hatte. Er wollte sie nur nicht sehen. Der Noah musste Kanda zu nahe gekommen sein, musste Grenzen niedergerissen haben. Barrieren gebrochen. Stolz zerschmettert. Würde erstickt. Bilder manifestierten sich vor Lavis Auge und unter einem knappen Kopfschütteln versuchte er sich von ihnen zu befreien. Er konnte sich nicht sicher sein…! Er konnte es einfach nicht! Und scheinbar unbedacht erhob er die Stimme. „Du weichst mir aus“, flüsterte er leise und wusste dennoch, dass Kanda ihn genau hörte, dass er ihn verstand. Doch er konnte nicht länger warten. Die Qual erreichte auch ihn mit jedem Zögern und so sagte er einfach das, was ihm auf der Seele lastete, was er wahrgenommen und was ihn in Verwirrung versetzte. „Du meidest meine Berührungen“, fuhr er gedämpft fort. „Baust eine Distanz auf, die ich nicht überwinden kann.“ Wieder atmete er tief durch, spürte Kandas Aufmerksamkeit, auch, wenn dieser zu seinen Worten schwieg. „Weshalb erträgst du keine Berührungen mehr?“, wollte er weiter wissen, bewegte sich ruhig weiter über die Wiese. „Es gibt soviel Schlimmeres, als das.“ Es waren seine Gedanken… verbunden mit einer gewissen Tücke, die sich hier und jetzt zu Worten formten. Was blieb ihm anderes übrig? Er gierte nach der Wahrheit wie ein Verdurstender nach Wasser und nur eine geringe Anspannung wohnte ihm inne, als er den nächsten Schritt tat, durch die Wiese strich. „Viel Schlimmeres, als angefasst zu werden“, fuhr er beinahe flüsternd fort und das leise Zischen, das sich daraufhin erhob, driftete nur langsam in seine verschwommene, nachdenkliche Wahrnehmung, als er den nächsten Schritt tat. Sein Fuß löste sich vom Boden, strich durch das Gras und es war eine schnelle Bewegung, die ihn mit einem Mal stocken ließ. Nur aus dem Augenwinkel hatte er sie festgestellt und wie entsetzt brach ein Keuchen aus ihm heraus, als er das Gesicht zur Seite riss. Beinahe schmerzhaft machte das Herz in seiner Brust einen erschütterten Sprung und nur knapp gelang es ihm, der Klinge auszuweichen. Wie plötzlich musste diese die Scheide verlassen haben, mit einem Mal stieß sie nach Lavi und hektisch wich dieser zurück. Eiskalte Schauer durchzuckten ihn, als er in Kandas Miene blickte, doch seine Flucht vor Mugen endete plötzlich. Hastig setzte sich sein Fuß zurück, stieß in das Gras nieder und mit einem Mal entrann ihm etwaiges Gleichgewicht. Jedwede Fassung bröckelte aus seiner Miene, als sein Fuß keinen Halt fand und er ungebremst zu Boden rutschte. Er glitt aus, tat es so jäh und rasch, dass er haltlos auf dem Boden aufschlug und fahrig gelang es ihm gerade noch, den Hammer zu ziehen. Eine rasche Bewegung, heftig riss er ihn in die Höhe und laut erhob sich der Klang, als die Klinge auf den Schaft traf. Ein Zucken fuhr durch Lavis Arme, als er dem heftigen Druck standhielt, eine gespenstische Entschlossenheit im Gesicht des anderen las, der sich keuchend über ihn neigte. Kanda war in die Knie gegangen, knirschend bissen seine Zähne aufeinander und verbittert folgte ein flüchtiges Kräftemessen. Mehr und mehr wurde Lavi in das Gras niedergedrückt, mehr und mehr sank er hinab und zitternd leisteten seine Arme den letzten Widerstand. Eine Kraft begegnete ihm, die er in Kandas Körper nicht mehr vermutet hatte und ein schieres Entsetzen suchte ihn heim, als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass Kanda nicht gezögert hatte. Fassungslos stellte er sich die Frage, ob er ihn wirklich verletzt hätte und mit einem Mal fürchtete er sich ebenso vor den Ausmaßen, die seine Frage nehmen könnte. Wirr fiel das Haar in Kandas Stirn, als er sich über Lavi neigte, verkrampft verfestigte sich sein Griff um Mugens Heft und für kurze Zeit erhob sich nur das Keuchen der beiden. Erschüttert brach es aus dem einen heraus, wuterfüllt aus dem anderen. Reglos blieb Lavis Mund geöffnet, geweitet sein Auge, während ihn der Blick des anderen blutig zu durchstoßen schien und bis tief in sein Innerstes drang. Auf eine leichte Provokation war er ausgewesen und wie erschütternd war die Reaktion, mit der er nimmer gerechnet hätte. Aufgebracht hob und senkte sich sein Bauch, während seine Arme unter dem Druck Mugens bebten. „Kch!“ Ein fahriger Atem entwich Kanda, als er weiteren Druck ausübte. Gefährlich neigte sich die Klinge gen Lavis bleichem Gesicht, auf dem sich plötzlicher Schweiß bildete. Singend näherte sich die scharfe Klinge seiner Haut und ächzend stemmte er den Hammer von sich, fühlte sich der übermäßigen Wut des anderen nicht gewachsen. Soviel schien mit einem Mal aus Kanda hervorzubrechen. Ein Frust, der sich seit langem gebildet hatte und sich nun allein gegen Lavi richtete. „Es gibt soviel Schlimmeres…“, fast stimmlos brachte Kanda diese Worte hervor, keuchend und mit schwerem Atem. „Soviel Schlimmeres“, zischte er erneut und ein verwirrtes Zucken fuhr durch Lavis Gesicht. Langsam atmete Kanda ein, sog geräuschvoll den Sauerstoff in seine Lunge und deutlich zuckte Lavi zusammen, als sich seine Stimme mit einem Mal erhob und dies mit einer solchen Kraft, mit einer solchen Wut, wie Lavi es noch nie gehört hatte. „Du verfluchter Scheißkerl!!“ Fast schmerzhaft wurde Lavi von dieser Stimmgewalt getroffen. Beinahe verflüchtigte sich sogar die Kraft aus seinen Armen, doch verbittert hielt er den Druck aufrecht, als er realisierte, dass sich die Klinge noch immer und wirklich nach seiner Haut sehnte. „Was weißt du schon?! Was weißt du?!“ Haltlos schrie Kanda ihn an, stemmte sich mit aller Kraft auf ihn nieder. „Genauso wie du lag ich da aber im Gegensatz zu dir hatte ich keine Waffe!!“ Gedrungen rang Lavi nach Atem. Es fiel ihm schwer und gedrämpft rang er nach Luft, während er die letzten, verzweifelten Kräfte in seine bebenden Arme entsandte. „Ich bekam keine Luft… ich wollte nur noch sterben, als er mich nahm und du sagst, es gibt Schlimmeres?!!“ Und Lavis Gegenwehr brach. Mit einem Mal ließen seine Arme nach und der Atem erfror eisig in seiner Brust, als die schneidige Klinge singend an seinem Gesicht vorbeistieß und sich tief neben seinem Ohr in den Boden rammte. Lautlos sank rotes Haar in das Gras nieder und noch immer konnte Lavi nicht atmen, als Kanda keuchend zurückstolperte. Wenn Lavi noch blässer hätte werden können, er wäre es geworden, als er wie erstarrt liegenblieb. Dumpf und schwer raste das Herz in seiner Brust, beinahe schmerzhaft und nur stockend suchte seine Pupille nach Kanda. Sie bewegte sich im geweiteten Auge, verfolgte, wie Kanda bebend die Hand zum Mund hob und den Handrücken gegen die Lippen presste. Er war aufgebracht, er war außer sich und mit einem Mal verließen ihn die Kräfte des Zornes. Seine Knie wurden weich, stockend ließ er sich in das Gras sinken und blieb ächzend kauern. Er bettete die Arme im Schoß, neigte sich leicht nach vorn und wieder war es nur das Keuchen der beiden, das sich erhob. Trocken brach es hervor und wie erstarrt versuchte Lavi erneut gegen den Druck anzukämpfen, der sich neu in seinem Hals gebildet hatte. Der Hammer war seinen Händen entglitten, war zu der Haarsträhne in das Gras gesunken und lange verharrten sie reglos, bis Lavi stockend zu altem Leben erwachte. Mit offenem Mund begann er sich zu regen, fahrig hob und senkte sich seine Brust unter dem gehetzten Atem und seine Bewegungen wirkten schier unkontrolliert, als er sich langsam aufsetzte. Kitzelnd rann eine Schweißperle über seine Stirn, keinen Moment löste sich sein starrer Blick von Kanda und auch weiterhin keuchte er nur, als er aufrecht saß. So kauerten sie voreinander, rangen um Fassung und es verlangte Lavi viel ab, den Kopf zu schütteln. Eiskalt fraß sich das Entsetzen durch all seine Glieder, jede Bewegung fiel ihm schwer und atemlos versuchte er die Stimme zu erheben. Vorerst war es nur ein scharfes Keuchen, das er ausstieß und fortwährend bewegte sich sein Kopf von einer Seite zur anderen. „Yu…“, brachte er dann beinahe stimmlos hervor, „… das… das hab ich nicht gewusst…“ Fast qualvoll war die schwere Betroffenheit, die sich mit einem Mal über ihn neigte… und Kandas Atem stoppte. Er schien in seiner Lunge zu vereisen, reglos starrte er zu Boden und es geschah mit einem Mal, dass etwaige Wut und Verbissenheit aus seinem Gesicht bröckelten wie alter Putz. Noch immer schüttelte Lavi den Kopf, als er stockend aufblickte und den Rothaarigen mit engeisterter Ungläubigkeit taxierte. „Was…?“ Fahrig befeuchtete Lavi die Lippen mit der Zunge und das Herz schien sich in seiner Brust zu verkrampfen, als er sich weiterhin und zaudernd aufrichtete. Eine panische Nervosität brach unterdessen über Lavi herein. „Ich hab das nicht gewusst…!“, versuchte er sich hektisch zu erklären und schluckte schwer. Spürbar lastete dabei dieser starre Blick auf ihm. Kanda wirkte, als hätte er etwaigen Glauben verloren, etwaige Fassung. „Wirklich nicht…!“ Es tat so weh… Lavi fühlte sich den Tränen nahe. „Du hast es nicht gewusst…“, wiederholte Kanda atemlos und flehend verzog sich Lavis Miene. „I-ich… ich dachte“, er geriet ins Stottern, „… ich dachte… dachte… er hätte dich nur angefasst…!“ Inständig und flehend erhob sich seine Stimme und der Druck in seinem Hals wurde schier unerträglich, als er verfolgte, wie Kanda langsam den Mund öffnete. Röchelnd atemete er ein, blinzelte kein einziges Mal und es nahm seine Zeit in Anspruch, bis er es begriff. Dass seine Wut eine nackte Beichte hervorgebracht hatte. Er hatte sich entblößt. Ein weiteres Mal. Sich gedemütigt. Eine Erniedrigung, die ihm die Luft zum atmen nahm und Lavi erstarrte augenblicklich, als ein fahriges Zucken durch Kandas Miene fuhr. Es war eine Mischung aus schierer Wut und Verzweiflung, die seine Züge formte und Lavi zuckte deutlich zusammen, als er unter einem lauten Schrei ausholte und die Faust in das Gras niedergehen ließ. Zorn… Leid… und krampfhaft beugte er sich nach vorn und biss die Zähne zusammen. Ein Missverständnis… mehr war es nicht und doch tat es nicht weniger weh, als die Vergewaltigung an sich. Alles in Kanda verkrampfte sich, alles knirschte, alles schmerzte und heftig presste Lavi die Lippen aufeinander, als er all dies verfolgte. Nur selten war ihm so sehr danach gewesen, in Tränen auszubrechen. Schmerzhaft traf ihn die Wahrheit, vermischte sich bitter mit Schuldgefühlen und wie wollte er sich schelten für die Worte, die Kanda soweit gebracht hatten. Er hatte nicht damit gerechnet… Wirklich nicht. Seine Denkweise war nicht gnadenlos genug, um diese Vermutung in ihm aufleben zu lassen. Er hatte es nicht geahnt, nicht befürchtet und zitternd ballte auch er die Hände zu Fäusten. Ihm gegenüber verharrte Kanda reglos. Tief blieb sein Oberkörper gesenkt, wirr schlängelte sich das lange schwarze Haar durch die feinen Halme des Grases und einzig allein die fahrigen Bewegungen seiner Schultern zeugten davon, dass er noch am Leben war. Sein Keuchen war verstummt, hatte sich in seinem Körper verkrochen und fast panisch suchte Lavi nach Worten, die dieser Situation gerecht werden konnten. Unsicher erhob er sich auf die Knie, bewegte sich stockend auf Kanda zu und nur gedrungen erhob sich seine Stimme kurz darauf. „Ich…“, brachte er atemlos hervor, „… hätte so etwas nie gesagt, hätte ich es gewusst, Yu!“ Die pure Angst sprach aus ihm und zögerlich streckte er die Hand nach Kanda aus, wagte es jedoch nicht, die bebenden Schultern zu berühren. „Es tut mir Leid… so Leid!“ Er zog die Nase hoch, kauerte sich vor Kanda ins Gras. Wie tief war der Abgrund, vor dem er mit einem Mal stand. Es gab keinen Pfad, der über ihn führte, kein Weg sowie auch keinen Willen weiterzugehen. Seine schlimmsten Erwartungen wurden hier und jetzt mit grausamer Gnadenlosigkeit übertroffen und beinahe spürte er, wie etwaige Entschlossenheit von ihm blätterte. Eine solch tiefe Wunde… konnte er sie heilen? Ein solches Trauma… konnte er damit umgehen und ihm stärkend begegnen? Was sollte er tun…?! Er fühlte sich hilflos… so furchtbar und fliehend wandte er den Blick ab und hob die Hand zum Gesicht. Stockend wischte er sich die Feuchtigkeit von der Wange. Er wusste nicht, ob es Schweiß war… oder gar etwas anderes. Und schleppend wurde Kanda von Regung erfasst. Die geballte Faust fand Entspannung, stockend betteten sich die Finger auf der feuchten Erde und wenn auch nur um ein Stück, er richtete sich auf. Mit gesenktem Gesicht. Lavi konnte seine Augen nicht erkennen, als er zu ihm zurückblickte. Und er versuchte es verbittert, beugte sich gar tiefer und erkannte dennoch nicht viel mehr. Das Haar versagte ihm die genaue Musterung und das Schweigen, das über sie hereingebrochen war, war diesmal so grausam und kaum zu ertragen - eiskalt. Endlos könnte Lavi um Vergebung flehen… sich endlos entschuldigen. Er würde sich verbeugen so tief er konnte, würde sich erniedrigen und endlose Demut zeigen… würde alles tun, damit Kanda ihm diese Verletzung verzieh. Es hatte mit dem Willen nach Wahrheit begonnen, doch letztendlich hatte er nur den Finger tief in die offene, klaffende Wunde gedrückt und Kanda weiteren Schmerz beschert. Diese Schuld zerfraß ihn qualvoll, während er noch immer nach Worten suchte. Am liebsten würde er fliehen… Das Problem, vor dem er stand, schien mit einem Mal so immens, so riesig und nicht zu lösen. Er hatte nicht gewusst, auf was er sich einließ. Kein bisschen, doch sobald dieses Fluchtdenken in ihm auferstand, kämpfte er auch schon dagegen an. Er presste die Lippen aufeinander, rang nach Fassung, rang nach Halt und eine rege Verspannung befiel sein Gesicht, als er mit sich selbst kämpfte. Er konnte es nicht… durfte es nicht!! Durfte nicht aufstehen und flüchten, während Kanda am Boden hockte, auf den er ihn selbst gezwungen hatte. Er hatte ihm etwas versprochen und auch, wenn er nicht wusste, was es nun zu tun gab, er würde nicht kapitulieren! Das hatte er noch nie getan! Zischend atmete er ein, straffte die Schultern und blinzelte erneut gegen die Feuchtigkeit an, die in seine Augen stieg. „Yu…“ Wenn auch unentschlossen, er erhob die Stimme und welch eine Erleichterung befiel ihn, als er ihr eine gewisse Festigkeit entnahm. Das Zittern in ihr war nur unterschwellig und wieder scheiterte er daran, Kandas Schulter zu berühren. Ein weiteres Mal zog er die Hand zurück. Er wagte es nicht. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, dass der andere aus dem fragilsten Glas bestand, das es geben konnte. Selbst eine leichte Berührung, so fürchtete er, könnte den anderen zerbrechen. „Yu“, sagte er wieder und tat es diesmal noch nachdrücklicher. Seine Miene zuckte. „Ich werde nicht gehen… hörst du? Ich werde nicht flüchten…! Ich bleibe, wo ich bin. Bei dir.“ Keine Reaktion. Kanda blickte nicht auf, nur leise erhob sich sein rasender Atem, wurde mit viel Kraft unterdrückt, während sein Gesicht gesenkt blieb. „Ich lass dich nicht stehen!“ Eine deutliche Angst ließ Lavis Stimme laut aufleben. Eilig schüttelte er den Kopf. „Wir können das schaffen… verstehst du? Wir… wir finden einen Weg!“ „Wie…?“ Es kostete Lavi jede Konzentration, Kandas Stimme zu vernehmen. Sie erhob sich nur flüsternd, so leise, dass sie kaum an Lavis Ohren drang. „Er… er ist überall“, fuhr Kanda fort und wirkte dabei so erschöpft, wie nur selten zuvor. „In meinem Kopf… in meinen Träumen… überall, wo ich hingehe.“ Ein Halm neigte sich unter einem Tropfen, der auf ihn niederging. „Er hat irgendetwas in mir zurückgelassen.“ Immer gedrungener sprach er, bis er es fast stimmlos tat. „Irgendwas…“, brachte er hervor. „Ich bin verflucht.“ Weiteres Entsetzen brach über Lavi herein. Geräuschvoll atmete er ein und neigte sich zu Kanda hinab. „Hast du…“, hauchte er inständig, „… etwa aufgegeben?“ Und es wurde ihm nicht geantwortet. Kein Wort kam über Kandas Lippen und das einzige, was er tat, war, den gesenkten Kopf zur Seite zu wenden. Lavis Herz raste so sehr, dass er befürchtete, es könnte ihm aus der Brust springen, als er seine Schlüsse aus dieser Reaktion zog. So, wie Kanda hier vor ihm kauerte, machte es wirklich den Anschein, als würde er nie wieder aufstehen und allein dieser Gedanke verschärfte Lavis Panik. Hektisch suchte er nach Worten. Er wusste, wie wichtig diese Situation war. Wie wichtig, dass er sich zusammenriss, damit es unter ihnen wenigstens einen gab, der noch Hoffnung sah. Er zwang sich, rang mit sich… verstrickte sich in einen Kampf, der er unbedingt gewinnen musste. Nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für Kanda! Angespannt suchte er nach den Worten, die die richtigen zu sein schienen. Er musste Kanda dazu bringen, aufzustehen! Jetzt oder nie. Wenn er versagte, taten es zwei. „Willst du zulassen, dass er dich selbst nach seinem Tod noch weiterhin quält?!“ Nachdrücklich erhob sich seine Stimme. „Wenn du dich von ihm befreien willst, dann darfst du jetzt nicht aufgeben!“ Bettelnd verzog Lavi das Gesicht, sprach auf Kanda ein, als würde er um sein eigenes Leben flehen. „Lass diesen Mistkerl nicht dein ganzes Leben bestimmen! Wenn du dich auch damals nicht wehren konntest… dann tu es jetzt!“ „Ts.“ Lavi hatte es fast vor Augen. Wie sich Kandas Lippen zu dem alten, humorlosen und erschöpften Grinsen verzogen. Purer Hohn, verbunden mit verzweifelter Ungläubigkeit und eine Reaktion, die es Lavi nur noch schwerer machte. „Du bist nicht alleine!“, flehte er also weiter. „Ich helfe dir doch! Wir finden einen Weg, wenn du entschlossen bist!“ Beschwörend hob Lavi die Hände, abwartend, verlangend. „Ich bin es jedenfalls! Hörst du, ich bin es!“ Stille. Schweigend starrte Kanda zur Seite, schien kaum die Kraft zu haben, sich wieder aufzurichten. Geduckt blieb er kauern und mit jedem Augenblick, den er stumm blieb, verkrampfte sich Lavis Herz mehr und mehr. Er war nicht geübt darin, zu flehen, doch sein Innerstes, das es ernst meinte, legte ihm die Worte in den Mund. Die Worte, die er für die richtigen hielt. Aufgerichtet blieb er sitzen, lauschte dem leisen Rauschen, als ein leichter Wind auflegte und die Wipfel der nahen Bäume durchstreifte. Auch das Gras um sie herum begann sich zu wiegen und tief nahm Lavi diesen frischen Sauerstoff in sich auf. Unruhig rieben sich seine Hände aneinander. Er wartete, doch tat es sinnloser Weise. Kanda regte sich nicht, sagte nichts. „Yu.“ Nur leise erhob sich seine Stimme. „Ohne dich schaffen wir es nicht.“ Was sollte er noch sagen…? Was fiel ihm noch ein? Alles in ihm wurde so schwer. Er fühlte sich nahe der völligen Kapitulation. Wenn Kanda hier und jetzt aufgab… wenn er nicht wieder auf die Beine kam, dann fand jedes Vorhaben sein Ende. Jede Entschlossenheit würde daran zu Grunde gehen und Lavi befürchtete das Schlimmste, als er noch immer keine Antwort erhielt. Als hätte sich Kanda in sich selbst verkrochen. Als hätte er Lavis Worte nicht gehört… Waren sie überhaupt in sein geschundenes Bewußtsein gedrungen? Hatte er ihn erreicht? Reglos kauerte er dort im Gras, versuchte seinen Atem auch weiterhin zu besänftigen und ebenso alles andere, was in ihm tobte. Ganz ehrlich… Er hatte Angst. Hatte solche furchtbare Angst um seinen treuen Kameraden. Fast sah er vor seinem geistigen Auge, wie dieser von der völligen Dunkelheit verschlungen wurde und sich ihr gleichermaßen ergab. Resigniert. Erschöpft. Er schloss das Auge, senkte den Kopf und zum ersten Mal in seinem Leben begann er zu beten. Zu fragwürdigen Göttern, an die er niemals glaubte. Zu jeder Wesenheit, die ihm eine Hilfe sein konnte. Und er betete auch um Kraft. Die wurde dringend gebraucht… nicht von ihm. „Wieso.“ Augenblicklich kam er wieder zu sich. Er blickte auf, sein Bewußtsein erwachte zu altem Leben und sofort fragte er nach. „Was meinst du?“, erkundigte er sich sanft und langsam wendete Kanda das Gesicht zurück zum Boden. „Wieso willst du mir helfen.“ Lavi musste nicht lange grübeln. Ein müdes Lächeln formte seine Lippen. „Du bist mir wichtig“, erwiderte er. „Jeder von euch bedeutet mir soviel… für jeden von euch empfinde ich soviel, wie ich es niemals erwartet hätte und ich würde keinen Moment zögern und durch die Hölle gehen, um jeden von euch aus ihr zu befreien. Das ist der Sinn der Freundschaft, Yu. Und du bist mein Freund, ganz gleich, wie du selbst dazu stehst. Du kannst nichts dagegen tun, dass du mir wichtig bist und ich werde jede Gelegenheit nutzen, um dir das vor Augen zu führen, bis du es für mich dich annimmst und es akzeptierst.“ Er seufzte leise. „Wir leben in schwierigen Zeiten… in gefährlichen Zeiten und umso wichtiger ist es, dass wir zusammenhalten und als die Einheit agieren, die wir darstellen. Im Kampf würde ich keine Sekunde zögern, den Kopf für dich hinzuhalten.“ Endlich fielen Lavi die Worte leicht und befreit sprach er weiter. „Ich werde alles tun, verstehst du? Ohne Zweifel, ohne Zaudern oder Hadern und ich werde mich niemals beklagen und alles tun, was in meiner Macht steht, solange du bei mir bleibst und mutig genug bist, um es mit der Realität aufzunehmen! Noch tut sie dir vielleicht weh, doch du bist stark. Du musst dich nur an diese Kraft erinnern und zuversichtlich sein.“ Und somit begann er sich zu bewegen. Er richtete sich auf, stemmte sich in die Höhe und es fühlte sich gut an, wieder auf die Beine zu kommen. So stand er vor Kanda und ohne zu zögern reichte er ihm die Hand. „Das ist der richtige Moment, um aufzustehen, Yu.“ Entschlossenheit sprach aus seinen Worten und wie erleichtert war er, als er spürte, dass es sich um eine ehrliche Entschlossenheit handelte. Er machte niemandem etwas vor. Er würde den Weg gehen. Doch es wäre sinnlos, wenn er es alleine tat. „Steh auf, Yu. Tu es jetzt oder du wirst nie wieder auf die Beine kommen. Ich helfe dir auch, verstehst du? Greif nach meiner Hand und ich ziehe dich hoch.“ Auch weiterhin streckte er ihm die Finger entgegen, auch weiterhin zeigte er diese feste Zuversicht und auch, wenn Kanda lange zögerte, irgendwann löste er die Hand vom Boden, richtete sich langsam auf und griff zu. Er tat es matt, doch es war Lavi, der den Griff sofort stärkend verfestigte und ihn auf die Beine zog. *tbc* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)