Tell me the best way I could kill you & Back to reality von abgemeldet (~ Yu Kanda x Tyki Mikk~) ================================================================================ Kapitel 16: ~6~ --------------- Langsam schloss Kanda die Tür hinter sich, verließ sein Zimmer, das annähernd unbenutzt wirkte. Säuberlich gefaltet war die Decke auf die Matratze gebettet. Das Bett war in der vergangenen Nacht kaum genutzt worden und doch wirkten die Schritte des jungen Mannes zielsicher und fest. Selbst das Schuhwerk war nicht in Vergessenheit geraten und der Zopf durch scheinbar viel Arbeit in ansehnlichem Zustand. Erst vor kurzem war die Sonne über den Horizont gestiegen. Es war früh am Morgen und am besten konnte man diesen Tag mit einem ausgewogenen Frühstück beginnen. Es waren nur wenige Finder, die bereits im Speisesaal Platz genommen hatten und mürrisch registrierte er ihr Beisammensitzen, als er die Tür hinter sich schloss. Seine flüchtigen Blicke wurden ebenso knapp erwidert und ihm kurz darauf die Rücken gekehrt. Geschehnisse verbreiteten sich hier rasch und unauffällig tastete er nach dem Hemd. Auch dieses saß perfekt. Es gab keinen Grund, weiteres Aufsehen zu erregen. „Einen schönen guten Morgen!“ Seufzend ließ sich Jerry auf die Theke sinken, als Kanda sie erreichte. Seine Stimmung schien auch an diesem Tag und in dieser frühen Stunde ihrem Höhepunkt entgegenzupendeln und unter einem weiteren Seufzen stemmte er die Wange in die Handfläche, als Kanda den Gruß knapp und lustlos erwiderte. „Was darf’s sein? Heute etwas Entschlussfreudiger?“ Ein Kommentar, den Kanda gerne überhörte. Unter einem tiefen Atemzug versenkte er die Hände in den Hosentaschen, lugte unbeteiligt zur Seite. „Das Übliche.“ „Kommt sofort!“ Und augenblicklich wurde der Koch seinen Worten gerecht, fuhr in die Höhe und eilte davon. Nachdenklich betrachtete sich Kanda eine der leeren Bänke. Nach einer schlaflosen und trägen Nacht, war ihm selbst das untätige Hier stehen zuwider. Obgleich Jerry niemanden lange warten ließ, zogen sich selbst wenige Augenblicke in die Länge und bald blähte er die Wangen auf. Eine gewisse Erleichterung verschaffte ihm wenigstens der Gedanke, einen arbeitsreichen Tag vor sich zu haben. Auch der Gestrige hatte ihm angenehme Ablenkung verbracht und vermutlich verdankte er der Plackerei auch die wenigen Stunden, die er mit erholsamem Schlaf verbracht hatte. Auf diese Art und Weise ließ sich der Urlaub doch recht gut aushalten. Und was wäre es nur, wenn ihn nicht eine gewisse Befürchtung wie ein Quälgeist heimsuchte. Seit Lavi ihn am gestrigen Abend aufgesucht hatte… auch eine Tatsache, an die er in den dunklen Stunden der Nacht viele Gedanken verschwendet hatte. Ohne ein Ergebnis zu erzielen… und doch, die Hoffnung, dass man ihm genug Zeit gab, einen Ausweg zu finden, verschaffte ihm eine Haltung, die sich aushalten ließ. „Bitteschön!“ Grinsend präsentierte Jerry ihm das dampfende Frühstück. „Lass es dir schmecken! Einer der Köche kam vor kurzem darauf, den Geschmack der Soba-Nudeln zu verfeinern. Ich bitte also um die Einschätzung eines Kenners!“ Freudig lachte er auf und Kanda rümpfte die Nase, zog das Tablett zu sich, starrte auf die Mahlzeit. Sehr viel anders sah es nicht aus und auch seine restliche Begeisterung hielt sich in armseligen Grenzen. Kommentarlos nahm er das Tablett also an sich, hielt jedoch inne, bevor er sich abwandte. „Ich komme nachher wieder vorbei und greife euch etwas unter die Arme.“ Lediglich eine Anmerkung, auf die er keine Antwort benötigte. Doch ein bedauerndes Seufzen ließ ihn stocken. „Ach, weißt du, Schätzchen.“ Kopfschüttelnd stemmte sich Jerry auf den Tresen, wurde säuerlich angestarrt. „Ich danke dir wirklich für deine Hilfsbereitschaft aber heute ist nichts mit helfen.“ „Wie bitte?“ Das Tablett fand seinen alten Platz auf der hölzernen Ablage und Jerry fuchtelte mit der Hand. „Heute können wir leider keine Hilfe gebrauchen“, erklärte er bedauernd und Kanda fiel es schwer, ihm ins Wort zu fallen. „Ich habe zwei Hilfsköche bekommen, die sich um den Rest kümmern und so oder so ist es in der Küche schon eng genug. Also…“, verspielt zwinkerte er Kanda zu und dieser öffnete sprachlos den Mund, „… wenn du etwas tun willst, wirst du leider woanders nachfragen müssen.“ „Ah.“ Zu mehr als einem unentschlossenen Brummen war Kanda nicht imstande. Seit wann benötigte Jerry keine Helfer? Doch weitaus ominöser, als das, war wohl die scheinbare Tatsache, dass Komui plötzlich Gnade zeigte und ihm Hilfskräfte zukommen ließ. Was war nur in ihm gefahren? „Also dann“, meldete sich Jerry wieder zu Wort. „Lass es dir schmecken“, verabschiedete er ihn winkend und wandte sich an einen Finder, der bereits ungeduldig und mit hungrigem Magen wartete. „Guten Morgen!“, hörte Kanda ihn kurz darauf wieder juchzen. „Was darf es denn für dich sein?“ Er begriff es nicht… nahm das Tablett an sich und machte sich auf den Weg. Auch, als er sich niederließ, war seine Mimik von irritiertem Sinnieren geprägt und letzten Endes rang er sich zu einem Kopfschütteln durch. Wie auch immer. Glücklicherweise war die Küche nicht der einzige Ort, an dem man Arbeit fand. Unter einem tiefen Atemzug streifte er die Nachdenklichkeit von sich und griff nach den Stäbchen. Dem Erfolg des Tages war kein Abbruch getan. Als er bald darauf die Wissenschaftsabteilung erreichte, schenkte er seinen Ohren erneut keinen Glauben. Perplex suchte er nach Worten, während River vor ihm saß, sich einem innigen Gähnen hingab und die Hände im Nacken faltete. „Hier gibt’s nichts zu tun“, wiederholte er die Worte, die nicht zu der Abteilung passten. „Schau dich doch um.“ Müde wies River hinter sich und Kanda blickte sich um. „Wir haben heute ziemlich wenig zu tun.“ Und wirklich… träge und unentschlossen schwebte Rokujugo neben einem von Akten belagerten Schreibtisch, während Johnny, die Füße hochgelegt, entspannten Atem über die dampfende Oberfläche seines Tees blies und Tapp Topp sich schnarchend auf seiner Arbeitsfläche räkelte. Auch die anderen Wissenschaftler wirkten etwas unentschlossen. Faul saßen sie herum, starrten auf nahe Unterlagen und nur in einer Ecke raschelte das Papier, als eine junge Frau Origami aus wahllosen Kopien bastelte. Sprachlos starrte Kanda um sich und River gähnte erneut. Eine ungewohnte Stille herrschte in dem Raum und spätestens jetzt wurde Kanda von purem Argwohn befallen, mit dem er den Leiter der Wissenschaftler erneut ins Visier nahm. „Frag einfach nicht, ja?“ Schnell wurde dieser darauf aufmerksam, zuckte jedoch nur mit den Schultern. „Wenn wir schon einmal in den Genuss eines ruhigen Tages kommen, sollten wir das nicht hinterfragen.“ Unbeeindruckt erwiderte River den starren Blick des jungen Mannes. „Geh doch mal in die Bibliothek. Die haben doch immer was zu tun.“ „Mm.“ Skeptisch und langsam versank Kanda in einem Nicken, verengte die Augen und wandte sich ab. Ihm wurde gewunken, als er zur Tür zurückkehrte und verstohlen lugte er zurück, bevor er diese öffnete und im Gang verschwand. Leise durchzog das Klicken des Schlosses die Stille der Wissenschaftsabteilung und entspannte faltete die junge Frau weiter. Auch Johnny nippte genüsslich an der Tasse und Rokujugos Aufmerksamkeit driftete allmählich zu den Bergen der Unterlagen zurück, während River träge zur Tür starrte. Er glaubte, Schritte auszumachen und entspannt hielt die Stille in dem Zimmer an, bis er in die Höhe fuhr. „So, die Pause ist vorbei!“, verkündete er und grabschte nach seinen Schreibutensilien. „Auf die Beine und keine Müdigkeit vortäuschen!“ Unter einem dramatischen Schluchzen stellte Johnny die Tasse ab und sofort stürzte sich Rokujugo auf die Unterlagen, während auch die anderen Wissenschaftler zu altem, hektischem Leben erwachten. Unterlagen raschelten und kurz darauf erhob sich wieder das zermürbte Ächzen und Jammern, welches Normalität bewies. Nur wenige Schritte war Kanda gegangen, bevor er inne hielt, sich seine Augen auf den Boden richteten. Die Erlebnisse des heutigen Tages ließen ihn die Stirn runzeln und spätestens an diesem Punkt verlor er etwaigen Glauben an die Antworten, die man ihm gab. Der Küche war es wohl möglicherweise noch zu glauben, doch gelangweilte Wissenschaftler hatte es hier noch nie gegeben. Mürrisch presste er die Lippen aufeinander, starrte zurück zu jener Tür und ballte die Hände zu Fäusten. Wie könnte es ihm entgehen…? Es war so offensichtlich, dass es annähernd tragisch war, zumal hier nur eine einzige Person ihr Unwesen, die dergleichen anordnen konnte und wohl auch die Gnadenlosigkeit dazu besaß. Doch bedauerlicherweise auch eine Person, der er weder unter die Augen treten, noch zur Rechtfertigung auffordern würde. Verbittert stieß er die Luft durch die Zähne, entspannte die Hände und setzte sich in Bewegung. Noch blieb ihm die Hoffnung, auf Komuis Unordnung zu hoffen, darauf, dass er sich nicht die Zeit genommen hatte, einen jeden zu informieren. Es war zu früh, die Gedanken an die Alternative zu vergeuden, sich dem daraus folgenden Unwohlsein zu stellen. Es würde sich etwas finden lassen und verbittert machte er sich auf die Suche. „Leider nicht.“ Ohne von seinem Buch aufzublicken, schüttelte der Bibliothekar den Kopf, tastete neben sich bereits nach einem Federhalter. „Wie Sie sehen, wurden die Umräumarbeiten gestern bereits beendet und sonst gibt es keine Arbeiten, die nicht meine Gehilfen übernehmen.“ Ihm gegenüber schürzte Kanda die Lippen. Nun stand er also hier an der Rezeption der Bibliothek und hinter ihm huschten jene Gehilfen von einer Seite zur anderen. Mit schweren Büchern beladen, taten sie das, wonach er sich sehnte und finster starrte er auch zu einer kleinen Gruppe aus Findern, die ihm sogleich den Rücken kehrten, sich einander zuwandten. Unverständliches Flüstern drang an seine Ohren und an den Lippen der Männer zog ein Grinsen, als sie die Köpfe schüttelten. Auch ihnen war es selbstverständlich zu Ohren gekommen. Komui war fleißig gewesen und Kandas verdrießliche Lagen waren von solch einer Seltenheit, dass sie sich gerne einem kleinen Spaß und vorsichtigem Hohn hingaben. Sprachlos befeuchtete Kanda die Lippen mit der Zunge, kehrte den Findern den Rücken und suchte in einem tiefen Durchatmen nach Beherrschung. Das konnte nicht wahr sein und ohne eine weitere Frage, verließ er die Bibliothek. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Seit einiger Zeit war er beileibe voll von Befürchtungen und doch handelte es hier um etwas, das er nicht einbezogen hatte. In keine seiner sicheren Planungen, die nun mit einem jeden Schritt mehr ins Schwanken gerieten. Er machte sich auf den Weg zum nächsten Ziel und abermals kam ihm jenes Treffen in den Sinn. Lavi wäre also für ihn verantwortlich? Nein, war er es nicht schon, wenn Komui plötzlich Maßnahmen in die Wege leitete, die ihm sehr gelegen kommen dürften? Wie war er nur zu diesem Desaster gekommen? Mit finsterer Miene schob er sich in sein Zimmer, steuerte auf Mugen zu, welches noch immer auf dem Tisch lag. Dass man versuchte, ihn an einen anderen zu binden… einen, der kaum älter war! Seit wann konnte er keine Eigenverantwortung mehr tragen? War er bislang nicht gut mit ihr zurecht gekommen? Ja, seit wann… Kurz darauf verließ er das Zimmer, durchquerte das Treppenhaus. Wirkte er wirklich so, als würde er nicht mit sich fertig?! Es war dieses verfluchte Wissen, das Lavi dazu bewegte! Wie erbärmlich… Er bog um eine Ecke, hielt Mugen sicher neben sich. ‚Etwaige Untersuchungen werden nachgeholt. Und die Arbeit wirst du für lange Zeit vermissen’, drangen die Worte des jungen Mannes in sein Gedächtnis, ‚während dich Ärzte umringen und die Probleme mit Medikamenten zu lösen versuchen. Dein verbissener Widerstand wird das Seine dazu beitragen.’ Ein verfluchtes Dahinvegetieren…! Ein Kampf, den er nicht gewinnen könnte! Medikamente also…? Und Fragen… ja, Fragen über Fragen, um die er sich einen Teufel scherte! Seine Miene verzog sich verbittert, seine Schritte gerieten ins Stocken. ‚Du fängst endlich an, dich zu entspannen und dir etwas Gutes zu tun. Arbeite an deiner Gesundheit und für eine gewisse Ausgeglichenheit. Zeig endlich den Willen, selbst etwas verändern zu wollen.’ >Verändern…?<, fragte er sich selbst und streifte sich das Haar von der Schulter. Wie schaffte man solche Veränderungen! Was sollte man denn noch tun, außer den Grund der Problematik auszumerzen! Er war nicht gut darin, untätig zu sein. Er wusste nichts mit sich anzufangen… mit dieser Begebenheit, die ihm völlig neu war! Sie war so sinnlos… in jedem Fragment ihrer aufgezwungenen Form! ‚Ich wäre für dich zuständig…’, erhob sich Lavis Stimme erneut in seinen Erinnerungen und beileibe machte dies die Sache nicht leichter. Es war all das, was ihn störte! ‚Ich wäre dazu bereit, dir zu helfen.’ Allein der Gedanke widerte ihn an… es war dramatisch gewesen… umso mehr, da Lavi es wirklich ernst zu meinen schien. Wie überheblich konnte man sein! Er wusste nichts… Er wusste wirklich überhaupt nichts… auch dieses verdammte Heldenlicht könnte er sich an einem anderen Ort suchen! ‚Ich sage es dir so, wie es ist: Unverändert kann es für dich nicht weitergehen.’ >Ich muss mir etwas einfallen lassen!< „Ich brauche eine neue Schwerthülle.“ Somit legte er Mugen vor sich auf dem schmalen Tisch ab, spürte die sofortige Aufmerksamkeit des Mannes, der für die Waffenräume zuständig war. „Nur vorübergehend“, erklärte er, blickte sich bereits um. „Die Alte wurde irreparabel beschädigt.“ Eine neue Scheide zu besorgen, würde Zeit sowie Umstände in Anspruch nehmen und da er in den nächsten Tagen vermutlich so oder so kaum Gebrauch von dem Schwert machen würde, musste es vorerst genügen, einen Ersatz zu besorgen. Kurz darauf stand er vor einem offenen Schrank und begutachtete die Stücke. Eine große Auswahl stand ihm nicht zur Verfügung und ihm entrann ein mürrisches Brummen, unter dem er sich nach vorn beugte, nach einer der Scheiden griff. Hinter ihm wurde unterdessen fleißig gewerkelt und er verfolgte die Arbeit der Männer kurz und verdrießlich. Er hasste diesen Tag. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder der Suche zu, flink glitten seine Finger über die Oberfläche eines Heftes und sofort stellte er sie zurück. Letzten Endes wurde er dennoch fündig. Sie war schwarz und simpel, erlag seinen zurückgestellten Ansprüchen und passte. Zischend versenkte er die Klinge in ihr. Es klemmte nicht einmal, als er Mugen erneut zog und erneut wurde der Mann auf ihn aufmerksam, als er die Augen senkte, sich die Klinge betrachtete. Es tat so gut, sie in der Hand zu halten. Ein vergänglicher Genuss, auf den sogleich die Tatsachen der Realität folgten. Er wusste nicht, wann man ihn erneut in den Krieg ziehen ließ. Die nahe Zukunft lag undurchsichtig vor ihm und er scheute sich etwaigen Hoffnungen, dass der Augenblick bald kommen könnte. „Die soll es sein?“ Als sich die Stimme des Mannes erhob, löste er den Blick von Mugen, ließ es sinken und gleichsam in der Scheide verschwinden. Ein knappes Nicken musste genügen und während sich der Mann zufrieden seiner Arbeit zuwandte, schien Kanda es nicht eilig zu haben, diesen Ort zu verlassen. Das Schwert ließ er sinken, als er nahe der Tür stand, den Mann trübe in Augenschein nahm. „Gibt es bei euch etwas zu tun?“ Die Frage, die er heute oft stellte und sofort blickte der Mann auf. Unter einem zermürbten Ächzen schloss er die Tür hinter sich, wendete Mugen in die andere Hand und stieß einen leisen Fluch aus. Das Desaster manifestierte sich mit jedem weiteren Schritt und für einige Momente wusste er nicht, welches Ziel er sich nun setzen könnte. Wie marternd wäre es, weiterzusuchen und sich stets auf Abweisung einzurichten, die ihm darauf auch prompt vorgesetzt wurde. Noch nie hatte es ihm sowenig Freude bereitet, hier zu sein! Dieses Gebäude verfinsterte sich allmählich zu einem Gefängnis, in welchem man ihm keine Freiheiten ließ. „Kanda, warte mal!“ Der Klang einer bekannten Stimme ließ ihn innehalten und sich umdrehen. Wie aus dem Nichts war Leenalee aufgetaucht. „Guten Morgen.“ Beladen mit zwei großen Beuteln lächelte sie ihm freudig entgegen. Ganz im Gegensatz zu dem Jungen der ihr ächzend folgte und mit zwei großen Paketen rang. „Mm…“ Die Entschlossenheit, den Gruß zu erwidern, ging ihm schnell verloren. Die beiden anderen jedoch erfreuten sich scheinbar bester Laune, als sie ihn erreichten. Allen nutzte die Gunst der Stunde sofort. Die Pakete wurden abgesetzt und die müden Glieder gestreckt. Mürrisch wurde er angestarrt. „Marshall Tiedoll schickt uns einen neuen Exorzisten“, lenkte Leenalee ihn ab, legte frohgemut den Kopf schief. „Vermutlich kommt er sogar selbst. Die Willkommensparty wird heute Nachmittag veranstaltet. Hast du nicht Lust, auch zu kommen?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an und er erwiderte ihren Blick mit skeptischer Lustlosigkeit. Machte sie sich etwa wirklich Hoffnung? „Wir sind schon längst dabei, alles vorzubereiten. Alle helfen mit“, leistete Allen seinen Beitrag und sofort fand Kandas Aufmerksamkeit zu ihm zurück. Ebenso Leenalee, die dem Jungen einen vielsagenden knappen Blick schickte. „Das wird toll!“ Es tat wirklich weh… mit welcher Deutlichkeit man ihn vorführte! Es ähnelte einer Provokation und ihm fiel beileibe nichts dazu ein. Aber man erwartete scheinbar wirklich von ihm, dass er antwortete. Die junge Frau hob die Augenbrauen, Allen juckte sich im weißen Haar und er war lediglich zu einem stummen Kopfschütteln imstande. Das war wirklich albern… und als Antwort bekamen die beiden ein humorloses Grinsen vorgesetzt, unter dem er sich auch schon abwandte. Hinter ihm herrschte Stille, als er auf sein Zimmer zusteuerte. „Allen…!“, hörte er Leenalee noch fauchen, bevor er die Klinke zu fassen bekam und in seinem Raum verschwand. Nur weg von dieser Öffentlichkeit, die ihn mit ihren zahlreichen Arbeiten verhöhnte! Träge ließ er sich an dem Tisch nieder. Mugen vor sich, zog er eine hölzerne Kiste näher und klappte sie auf. Hin und wieder ertönten laute Geräusche im Treppenhaus. In der Kantine schien wirklich großer Tatendrang zu herrschen. So viele Umstände für einen Neuen… Umstände, die er hätte akzeptieren können, wäre er nur selbst einer der Helfer! Abwesend zog er ein Tuch hervor, befreite die Klinge aus der Hülle und begann sie penibel mit dem Stoff zu bearbeiten. Stattdessen saß er nun hier… verfolgte eine Tätigkeit, die sinnlos war, bedachte man nur, dass Mugen binnen der folgenden Tage so oder so den alten Staub ansetzen würde. Und es könnten so viele sein… Er presste die Lippen aufeinander, streckte die Beine von sich und lehnte sich zurück. Unter einem tiefen Luftholen blähte er die Wangen auf, folgte dem Verlauf der stumpfen Seite der Klinge und kreuzte die Beine. >Der Marshall…< Unerwartet entsann er sich, hielt in den Bewegungen inne und löste das Tuch von dem Stahl. Der letzte Besuch lag lange zurück und abermals schöpfte er tiefen Atem, bekam die Unterlippe mit den Zähnen zu fassen. Weshalb jetzt? Weshalb um alles in der Welt gerade zu diesem Zeitpunkt? Stets meinte er, von den seltenen Besuch seines Gensei’ zu profitieren. Es ließ sich bisweilen recht gut aushalten, wie sie unter sich waren und wenn die Zeit blieb, Gespräche zu führen. Abwesend wurde Mugen vernachlässigt und er starrte auf das Gestein der Wand, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Es war ernüchternd, doch das, was er im ersten Augenblick mit dem Besuch seines Meisters verband, war das Gefühl, weiterhin in die Enge getrieben zu werden. Er wusste viel über ihn… soviel mehr, als all die Menschen, mit denen er hier zu tun hatte. Befürchtungen ließen ihn den Wunsch verspüren, einem Treffen aus dem Weg zu gehen. Das Letzte lag lange zurück, doch Tiedoll besaß die erschreckende Fähigkeit der unerschütterlichen Aufmerksamkeit, durch die er rasch Fragen stellen würde. Wie fern lag es ihm, sich wie ein Knabe vor ihm zu verstecken… zumal Tiedoll sich doch jedes Mal gerne die Zeit nahm, nach seinen einstigen Schützlingen zu schauen. Von welchen Fortschritten sollte er ihm berichten… von welchen Erfolgen? Er hatte nichts vorzuweisen… die letzte Zeit ähnelte einem Alptraum, den er allein für sich beanspruchte. Seine Miene verzog sich verbittert und er senkte den Kopf, legte Mugen ab. Komui, Lavi, nun auch noch Tiedoll… wie sollte er sich gegen sie zur Wehr setzen! Er klammerte sich an die Momente, in denen er hier saß, in denen er keine Entscheidung zu treffen hatte. In denen er den Ärzten und den Medikamenten ebenso fern war, wie dem angehenden Bookman. Gerade war er frei und die Pflege seiner Waffe brachte den leisen Hauch mit sich, den Alltag zu durchleben. Er blinzelte nach unten, faltete die Hände auf dem Schoß ineinander. Was brachte ihm der heutige Tag noch…! Dort, vor seiner Tür tobten das Leben und der Fleiß! Hilfe wurde gerne angenommen, solange es nicht seine war! Wie hintergangen fühlte er sich… wie verstoßen…! Er bevorzugte Distanz und Ruhe, wenn er sich freiwillig für sie entschied! Wenn nicht die Gefahr bestand, sich durch Grübeleien zugrunde zu richten! Seit er die Arbeit als Ablenkung missbrauchte, wurde sie ihm entzogen… Er musste doch etwas tun… irgendetwas. Mit gesenkten Schultern blieb er sitzen. Er wollte nicht zurückstecken, sich fügen… er konnte es nicht! Er hatte keine Erfahrung darin, alles in ihm widersprach den beiden Möglichkeiten, die ihm vor die Füße geschmissen wurden. Ein Übel überragte das Andere, es war erbärmlich und er mittendrin. Doch wo blieb der Zorn? Er kannte seine Art, mit Dingen umzugehen, die ihm nicht behagten. Ein Fluch auf die Sache, bevor er ihr den Rücken kehrte und sich darauf beschränkte, sie innerlich zu verwünschen. Wo war die Wut…? Er bewegte die Lippen aufeinander, schluckte… Wo war sie? Ihm war nicht einmal danach. In diesen Augenblicken kostete er vielmehr den bitteren Geschmack der Niedergeschlagenheit. Nicht einmal die Lust, sie von sich zu streifen… gar die Fähigkeit, sich ihrer Deutlichkeit bewusst zu werden. Es passierte und er richtete sich auf, stemmte die Ellbogen vor Mugen und die Stirn in die Hände. Das war er nicht. Es waren kleine Fehlschläge und Misserfolge, die ihn heute einholten. Ja, nur kleine. Seit wann ließ er sich von so etwas niederringen? Seit wann ließ er sich zu Befürchtungen und Abneigungen verführen, nur, weil er einen Menschen traf, der mit ihm umzugehen wusste? Nur kurz hielt er die Augen geschlossen, bevor er die Hände sinken ließ, auf die Klinge starrte, an der bislang nicht viel gemacht worden war. Genau jetzt… wand er sich in der Lage, der mit durch Ablenkung entflohen war! Genau jetzt! Wie konnte das so schnell gehen! Genügte es, wenn er für einen einzigen Augenblick nicht aufpasste?! Unter einem verbissenen Zischen erwachte er zum Leben. Quietschend rutschte der hölzerne Stuhl zurück, als er auf die Beine kam, Mugen liegen ließ und auf die Tür zusteuerte. Er brauchte frische Luft. Bald darauf schob er sich ins Freie. Durch eine bewachte Hintertür gelangte er aus dem Gebäude und blieb nach wenigen Schritten stehen. Die Sonne war hell… seine Augen schmerzten und er beschattete sie mit der Hand, als er um sich blickte. Dieses Plateau hatte ihm zu genügen, hinunter würde man ihn wohl kaum lassen und als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, versenkte er die Hände in den Hosentaschen, schlenderte weiter. In langsamen Schritten verschwand er in dem Wald, der den Turm umgab, zog zwischen den Stämmen hindurch und ließ sich Zeit. Immerhin war ihm der Druck wohl abhanden gekommen. Er schlenderte lange und ziellos, machte sich daran, versteckt den Turm zu umrunden. Es war wohl die Verbitterung, die ihm gewisse Gedanken ersparte… sein Grübeln vielmehr auf eine andere Sache lenkte. Er musste klar denken… er musste darüber sinnieren und einen Ausweg finden, ohne Schaden zu nehmen. Die Nachdenklich prägte seine Züge binnen der nächsten Minuten und bald ließ er sich auf einem Baumstumpf nieder, stemmte die Ellbogen auf die Knie und schürzte die Lippen. Eine andere Art der Ablenkung, sich zumindest mit der Planung und der Suche nach Auswegen zu befassen. Ein Auseinandersetzen, ohne sich Gebieten zu nähern, die er fortan meiden wollte. Ihm stand etwas bevor… ob er wollte oder nicht. Wie Lavi sagte, es würde eine Veränderung geben und solange er noch immer einen Teil der Entscheidung trug, musste er dies zu seinen Gunsten einsetzen. Von vornherein konzentrierte er sich dabei auf die Möglichkeit, die keine Ärzte einbezog. Noch nie hatte er spüren müssen, zu was der schwarze Orden fähig war, wenn Verdacht auf ein fatales Unvermögen bestand. Natürlich nahm man ihn derzeit nicht für voll… er war ein gefundenes Fressen für die Menschen, die ohne Medikamente und strikte Maßnahmen keine Antworten erhielten und nichts unversucht ließen, um an diese zu gelangen. Seine Persönlichkeit war beileibe nicht soviel wert, wie seine Kompatibilität mit dem Innocence. Wie seine Dienstleistungen. Wichtig wäre es den Ärzten lediglich, dass er die alte Bereitschaft zeigte. Ganz gleich, mit welchem Hintergrund. Hauptsache, er wäre zurück und wieder zu gebrauchen. Ein Ziel, das er nicht erreichen würde. Die erste Hürde wäre nicht zu überwinden, kein Wort würde er mit der Vergangenheit in Verbindung bringen. Es wäre sein Ende. Er rieb sich den Mund, ein Ächzen entrann ihm… allein bei diesem Gedanke. Seine Freiheit würde sich drastisch einschränken, würde schrumpfen auf einen einzigen Raum, dessen Verlassen man ihm untersagte. Tage, wohl eher Wochen, die er im Keller des schwarzen Ordens verbringen würde… in der Gesellschaft zielstrebiger Fachkräfte, die kühle Professionalität ausstrahlten. Nein… viel würde er tun, um dem zu entkommen. Viel, jedoch nicht alles. Wie gut standen in diesem Vergleich die Möglichkeiten, die er bei Lavi hätte. Vermutlich würden es Tage werden, wie dieser einer war. Erdrückende Stunden, in denen er mit sich selbst rang. Doch er würde hierbleiben… und er würde frei sein… und gebunden an diesen Kerl. Das Angebot der Hilfe war letztendlich wohl eher ein Befehl, den er einfühlsam verpackte. Er durfte sie nicht ablehnen. Er lehnte sich zurück, stemmte sich ab und betrachtete sich die Gräser, die ihn umgaben. Es war nur Lavi… nur er. Und er war unerfahren und jung. Mit ihm musste sich doch umgehen lassen. Gab es keine Möglichkeit, dieses kleine Übel anzunehmen und doch nichts zu tun, was den Vorraussetzungen entsprach? Einen Ausweg, der ihn ungeschoren davonkommen ließ? Was wusste er denn über ihn? Wie könnte er etwas, das er sagte, als Lüge abstempeln? Sein Wissen war grob und lückenhaft. Er konnte ihn nicht einschätzen… mit viel Glück wäre es ein leichtes Spiel, sich das „Ja“ und „Amen“ des jungen Mannes zu verdienen. Niemals könnte er derart nachlassen, dass er nicht mehr fähig wäre, ein falsches Spiel zu treiben, Antworten aus Halbwahrheiten und Lügen aufzubauen. Einfach aus Dingen, die er aussprechen konnte und wollte. Und dabei dennoch überzeugend zu sein. War das so schwer…? Weshalb sollte er Lavi nicht all die Dinge geben, auf die er so erpicht war? Weshalb sollte er ihn meiden, wenn es sich mit ihm um eine Sache handelte, die er kontrollieren konnte? Er könnte das alte Leben zurückerhalten… die alten Aufträge, die alten Gefahren… Er könnte unverändert weitermachen. Er hatte keine Probleme. Jedenfalls keine, die er mit Routine und Arbeit aus seinem Leben verbannen konnte. Er würde es alleine schaffen. *tbc* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)