An unexpected Lesson von MajinMina (Eine unerwartete Lektion) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Was passierte während der Jahre seiner Wanderschaft mit Kenshin, dass ihn von dem kalten, effizienten Killer Battousai in den irgendwie trotteligen Wanderer, den uns bekannten Rurouni mit den Kulleraugen verwandelte? Irgendwie muss er wohl seine Verhaltensweise geändert haben. Hier ist mein Vorschlag, wie diese Verwandlung zustande kam. Eine unerwartete Lektion [An Unexpected Lesson] by Conspirator übersetzt von MajinMina Kapitel 1 (Irgendwo in den Bergen der ehemaligen Provinz Satsuma, Herbst 1871) Vor ihm wandte sich die staubige Strasse in Kurven dahin. Nicht viele Leute schienen heute auf diesem Bergpfad unterwegs zu sein, obwohl er einige Dörfer und Städte miteinander verband. „Vielleicht ist Vielen die Strasse zu kurvig“, sinnierte der einsame Wanderer, „oder zu holprig wegen der vielen Wurzeln“. Was auch immer der Grund für den wenigen Verkehr war, dieser spezielle Wanderer fand die Strasse perfekt für seine Absichten. Er war sowohl auf eigenen Wunsch wie auch der Notwendigkeit halber alleine und versuchte, wann immer es möglich war, Meschenmengen zu vermeiden – aus gutem Grund. „Rote Haare, kreuzförmige Narbe...“ würden die Leute wispern. „Trifft auf ihn nicht die Beschreibung Hitokiri Battousais zu?“ Hitokiri Battousai. Immer schon hatte er diesen Namen verflucht. “Himura,” war er gewohnt, seinen Kameraden beizubringen, “mein Name ist Himura Kenshin!“ Aber seine Kampfgefährten schienen nie zuzuhören. Jetzt, drei Jahre nach dem er vom Schlachtfeld bei Toba Fushimi verschwunden war, konnte er immer noch nicht diesem verhassten Namen entkommen – oder der Angst und dem Hass, den dieser Name normalerweise hervorrief. Er lächelte reuevoll zu sich selbst. Jetzt war er nur noch ein Rurouni, ein zielloser Wanderer mit dem Schwur, niemals mehr zu töten und er hatte es bis jetzt auch nicht getan. Er hatte sein für unzählige Menschen tödliches Schwert auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Jetzt trug er nur ein Sakabattou, in Schwert mit verkehrter Klinge, aber dennoch waren die Rache-Suchenden hinter seinem Leben her. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geschworen, dass irgendwo auf seinem Rücken ein Schild sein musste mit der Aufschrift: „Sie haben Rachegelüste? Ich stehe ihnen gerne zur Verfügung!“ Es war schwierig gewesen, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Bevor er ein Vagabund wurde, hatte er nicht realisiert, wie sehr er süchtig nach dem Rausch von Adrenalin, ausgelöst von permanenten Kämpfen, geworden war. Als er abgeschnitten von dem Chaos der Kämpfe war, hatte sein Körper Wochen gebraucht, um herauszufinden, dass er nicht dauernd in Alarmbereitschaft sein musste. Die Schreckhaftigkeit hatte ihn fast wahnsinnig gemacht. Danach kam die tiefe Verzweiflung – er hatte realisiert, dass er für jedes Opfer seines Schwertes noch mehr Familien in tiefe Trauer gestürzt hatte. Diese Verzweiflung wurde in der Tat so überwältigend, das er oftmals überlegt hatte, sein Leben einfach zu beenden, nur um sich dann an Tomoes letzte Worte zu erinnern, die ihn ermahnten, weiterzuleben. Dennoch, ab und zu, als die Zeit voranschritt, erkannte er, dass er bereits angefangen hatte, Wiedergutmachung für seine Taten zu leisten. Da war zum Beispiel die Vaterlose Familie, der er bei der Reisernte geholfen hatte. Sie waren wirklich nett zu ihm gewesen – bis ihn ein Durchreisender erkannt hatte und das ganze Dorf wie einen wilden Bienenkorb aufgescheucht hatte. Immerhin, wenn er ihnen nicht bei der Ernte geholfen hätte, wären sie vermutlich im Winter alle verhungert. Und da war noch das Dorf, dass durch einen Blitzschlag fast komplett niedergebrannt war. Er war eingesprungen und hatte den Menschen geholfen, ihre Häuser und Ställe wieder aufzubauen. Diese waren, als Gegenleistung, so dankbar gewesen, dass sie ihm ein kleines Stück Land zum bebauen schenkten. Doch wie immer, jemand erkannte ihn. Dieses mal war es eine Bande der örtlich ansässigen Samurai, die unterwegs waren, um „Steuern“ von ihren Bauern einzutreiben, um so ihr Einkommen zu bestreiten, dass ja nun von der neuen Regierung nicht mehr bezahlt wurde. Als sich die Bauern geweigert hatten und die wütenden Samurai begannen, wahllos zu töten, hatte Kenshin nicht länger zuschauen können. Es dauerte nur einige wenige Minuten, um die Samurai außer Gefecht zu setzten, aber es war für die Meisten genug Zeit, um Eins und Eins zusammen zu zählen und herauszufinden, dass der rothaarige Fremde der gefürchtete Hitokiri Battousai war. Aber jetzt, nach drei Jahren, hatte er sich langsam mit seinem Schicksal abgefunden. Es war genug, hatte er herausgefunden, dass er wandern konnte. Wenn er dabei unterwegs auch noch jemandem helfen konnte, umso besser. Ihm wurde klar, dass das wohl das Leben war, was sein ehemaliger Meister Hiko führte und somit konnte es nicht allzu schlecht sein. Und aus diesem Grund war er wieder unterwegs, als der Herbst hereinbrach, auf dieser kurvigen Bergstrasse in Satsuma in Richtung des warmen Südens. Gerade hatte Kenshin wieder einen Hügel erklommen, als er jemanden weiter die Strasse entlang schreien hörte. Er alarmierte seine Sinne, ob Gefahr im Anzug war, aber er fühlte keine Bedrohung. Aber immer noch waren laute und wütende Stimmen zu hören. Als er schließlich um eine Kurve bog, sah er, warum: Ein großer Wagen war von der Strasse abgekommen, umgekippt und auf einen Mann gefallen, dessen Bein nun eingeklemmt war. Einige andere Männer, Frauen und Kinder versuchten, den Wagen hochzuheben, aber der Wagen musste wohl schwer sein, weil sie es alle zusammen nicht schafften. Der Mann schrie vor Schmerzen. “Alle zusammen, bei drei!” hörte er einen der Männer rufen. „Schnell, bitte!“ schrie eine panische Frau, die neben dem eingeklemmten Mann kniete. „Er hält es nicht mehr lange aus!“ Kenshin rannte schnell zum Ort des dramatischen Geschehens um zu helfen. Er wurde nicht einmal bemerkt, als er schnell seine Wandergepäck auf die Erde warf und seine Schulter zusammen mit den anderen unter den Wagen stemmte. Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hob sich der Wagen endlich, gerade genug, um den Mann frei zu geben. Ein weißhaariger Mann, der wohl der Anführer dieser Gruppe zu sein schien und mit ihm ein Schwertkämpfer eilten herbei, um die Wunden des Verletzten zu untersuchen. Kenshin distanzierte sich von der Menge, um zu zuschauen, aber selbst von seinem entfernteren Blickwinkel sah er, dass das Bein des Mannes gebrochen war. Während der Anführer nach Verbänden und Wasser verlangte, versuchte der Schwertkämpfer etwas, das wie ein großer Eisennagel aussah, aus dem Oberschenkel des Mannes zu entfernen. Doch durch diese Handlung blutete das Bein des Mannes nur noch mehr. “Verdammt!”, rief der Kämpfer aus, “beeilt euch mit den Verbänden. Ich kann die Blutung nicht stoppen!“ Das Opfer weinte nun mit noch mehr Schmerzen und wandte sich hin und her, was das Stoppen der Blutung nur noch schwerer machte. Kenshin wollte eigentlich nicht eingreifen, aber jetzt packte er doch nach seiner Tasche und holte aus ihr ein kleines Päckchen mit Pulver. Zu einem der nahe ihm stehenden Kinder gewandt sagte er: „Schnell - bring mir ein Gefäß mit Wasser!“ Der erstaunte Junge starrte mit offenem Mund den Fremden an, doch dann eilte er davon. Kurze Zeit später kam er zurück und übergab Kenshin schüchtern einen Becher mit Wasser. Kenshin schüttete das Pulver in das Wasser und näherte sich der Frau, die den Kopf des verwundeten Mannes in ihrem Schoß hielt und leise weinte. “Onna-dono,” sagte Kenshin in drängender Stimme zu ihr, “das hier ist ein Schmerzmittel. Es könnte die Leiden eures Freundes lindern...“ Die Frau schaute verwirrt auf. „Wer bist du?“ fragte sie mit tränennassem Gesicht. Bei ihren Worten bemerkten endlich auch alle anderen Kenshins Anwesenheit und schauten zu ihm herüber. „Nur ein Vagabund, Onna-dono,“ sagte Kenshin schnell, „aber ich war einmal ein Apotheker und kenne mich ein bisschen mit Medizin aus...“ Die Frau schaute fragend in Richtung des Anführers, der Kenshin mit hartem Blick einige Zeit fixierte. Dann nahm er ihm den Becher aus der Hand und gab ihm dem verwundeten Mann. “Wenn sie sich mit Medizin auskennen, Fremder, dann würden wir ihre Hilfe gerne in Anspruch nehmen!” sagte der Schwertkämpfer. „Ich habe nicht so viel Erfolg!“ Und wie als Bestätigung spritze noch mehr Blut aus der Wunde. Kenshin ging zum Verletzten und inspizierte das verwundete Bein. Das Schienbein war gebrochen, aber es war ein einfacher und klarer Bruch, und deswegen wohl auch nicht so schwer zu heilen. Es würde wieder gerade zusammen wachsen. Aber was ihm Sorgen machte, war der Eisennagel, der im Oberschenkel steckte und Ströme von Blut vergoss. Anscheinend war die Hauptschlagader getroffen. Schnell schüttete er Wasser über die Wunde und versuchte, den Dreck zu entfernen. Dann riss er die Verbände in kleine Stückchen. Danach öffnete er die Wunde mit seinen Fingern und begann, die Stücke der Verbände hinein zu drücken. Der Mann schrie trotz der Schmerzmittel umso lauter. “Haltet ihn unten!” rief Kenshin, als ihn das Bein des Mannes fast ins Gesicht schlug. Innerhalb einer Minute war die Wunde verbunden und das Bluten hatte aufgehört. Jetzt lag der Mann wieder ruhig da. „Eurem Freund wird es bald wieder gut gehen,“ sprach Kenshin, als er mit dem Verarzten fertig war. „Er hat viel Blut verloren, aber solange sich die Wunde nicht entzündet, kann er sich wieder erholen. Und das Bein wird bestimmt gut heilen, wenn er es in nächster Zeit nicht beansprucht. Sessha hat leider nur wenig von dem Schmerzmittel übrig, aber es sollte genug sein, um ihn die nächsten Tage zu behandeln, bis ihr ein Dorf mit einem richtigen Doktor erreicht habt.“ Und mit diesen Worten verbeugte er sich tief und begann, sich zum gehen bereit zu machen. „Warte – geh nicht weg!“ rief die Frau. „Kannst du nicht bleiben, um meinem Mann zu helfen? Keiner von uns kennt sich mit Verletzungen dieser Art aus!“ Und an den Gruppenanführer gewandt, sagte sie: „Schwiegervater, bitte, mach, dass er bleibt!“ Der weißhaarige Mann betrachtete den Verwundeten, der nun bis auf einige Seufzer ruhig und blass auf dem Boden lag. „Rurouni-san,“ sagte er, „Würden sie uns...“ „Daisuke, Vater, nein!“ unterbrach ihn einer der anderen Männer. „Wir wissen nichts über diesen Jungen. Vielleicht ist er ein Dieb, ein Vergewaltiger, wer weiß?“ Abermals starrten alle auf Kenshin. Dieser war sich nicht sicher, was er nun tun sollte und stand unschlüssig mit seinen Wandersachen da. „Orinosuke hat Recht!“ gab Daisuke zu. Dann, an den Schwertkämpfer gewandt, sagte er: „Baiko-san, du bist unser Sicherheitsmann. Was denkst du?“ Kenshin unterdrückte schnell seine Ken-Ki als er spürte, wie der Schwertkämpfer ihn unter die Lupe nahm. Er fühlte, das dieser Baiko kein Meister im Schwertkampf war, aber er was selbstsicher und kompetent – vermutlich ein ehemaliger Soldat. Kenshin wartete, während alle anderen ihn beäugten. Endlich sagte Baiko: „Ich denke, er ist wirklich ein Vagabund. Ich denke nicht, dass er gefährlich ist. Außerdem, während er sich um den verletzten Ennosuke kümmerte, habe ich in seine Wandertasche geschaut – nur einige Essensreste und persönliche Gegenstände. Ich denke, er ist keine Bedrohung für uns.“ “Rurouni-san,” sagte Daisuke zu Kenshin gewandt, “bitte vergib uns unsere Vorsicht. Aber wir hatten schon einige Probleme mit Dieben während der letzten Wochen. Wärst du einverstanden, einige Tage bei uns zu bleiben, bis wir einen Doktor gefunden haben? Natürlich würden wir dir dankbar sein und auch wenn du gehen willst, bleib wenigstens noch zum Essen.“ Kenshin schaute in die Runde. Er musste zugeben, dass er einigermaßen hungrig war und bis auf den einen, misstrauischen Mann - wie hieß er doch gleich, Orinosuke, überlegte er - schienen alle anderen eher freundlich zu sein. „Danke,“ sagte er schließlich, „Sessha wird bleiben, bis ihr das nächste Dorf erreicht habt.“ Dann legte Kenshin seine Tasche wieder nieder und folgte Daisuke, Orinosuke, Baiko und dem vierten Mann, Ryosuke, hinüber zum Wagen, der immer noch auf der Seite lag. „Behalt ihm im Auge, Ja?“ Wisperte Daisuke leise zu dem Schwertkämpfer Baiko, als sie zu den Pferden hinüber gingen, „Nur für den Fall...“ Der Wagen sah aus wie der eines fahrenden Händlers und war ziemlich groß. Er war jedoch auffällig dekoriert und verziert. Während Kenshin sich um den Verletzten gekümmert hatte, waren die Frauen und Kinder damit beschäftigt gewesen, den Wagen leer zu räumen und Kenshin sah jetzt den Inhalt auf dem Weg ausgebreitet, darunter zwei riesige Koffer mit teuer aussehender Kleidung, eine Truhe voller Schwerter und anderen Waffen, eine große Box voll mit etwas, das nach menschlichem Haar aussah und ein seltsames Sammelsurium von Möbeln und Töpferware, alles in einem antiken Design, aber nicht wirklich alt. Kenshin hatte niemals zuvor eine Ansammlung so seltsamer Besitztümer gesehen, aber er verdrängte seine vielen Fragen vorerst um den Männern bei der Aufrichtung des Wagens zu helfen. Sie brauchten drei Anläufe, bis sie es schließlich schafften und der Wagen wieder auf allen vier Rädern stand. “Vater,” sagte der offensichtlich wütende Orinosuke, “Du musst diesen verdammten Wagen endlich loswerden! Hier im Süden haben sie andere Rädergrößen. Ich hab dir das schon hundert Mal gesagt, und jetzt siehst du, wohin dich deine Ignoranz gebracht hat! Verdammt noch mal, das Ding ist zu breit und fährt ständig über die großen Wurzeln und es hätte fast meinen jüngsten Bruder getötet!“ “Dieser Wagen hat uns gute Dienste geleistet, seit wir Kyoto verlassen haben und so wird es auch weiterhin sein!” sagte Daisuke stur zu seinem Sohn. „Ich möchte nichts mehr davon hören!“ “Kyoto!!? Wir haben es vor sieben Jahren verlassen! Nur ein Narr würde diesen Wagen behalten, zum Himmel noch mal…” Seine Worte wurden von einem Klaps in sein Gesicht unterbrochen, der von einer älteren Frau ausgeführt wurde. „Pass auf, was du sagst, junger Mann!“ knurrte sie. „Er ist dein Vater, dein Anführer und dein Lehrmeister, vergiss dass nicht!“ Orinosuke dampfte vor Wut. „Selbst meine Mutter stellt sich gegen mich...“ grummelte er, als er die ältere Frau anfunkelte. “Nun,” sagte Ryosuke in einem Versuch, die Stimmung zu heben, “das alles hat meinen Appetit ganz schön angeregt. Also, lasst uns sehen, ob wir nicht was Essbares dabei haben!“ Als sie alle in Richtung des Lagerfeuers gingen, das die Frauen gerade anzündeten, fühlte Kenshin, wie ihn vier Paar Augen unauffällig beobachteten. Er selbst hielt seine Augen auf den Boden gerichtet. Er wusste aus Erfahrung, dass er, auch wenn er sein Bestes gab, nicht wirklich das Talent hatte, harmlos auszusehen und er wollte auf keinen Fall die anderen beunruhigen. Es war der wachsame und argwöhnische Blick seiner Augen, wurde ihm einmal gesagt, der die Leute so nervös machte. Allerdings, nachdem er die ganzen Sachen dieser Wanderer gesehen hatte – eine Kiste voller Haare und lauter Waffen? Waren diese Leute wirklich harmlos? Er musste Bescheid über sie wissen und zwar jetzt. Deswegen zog Kenshin den Schwertkämpfer zur Seite, als sie sich dem Lagerfeuer näherten. „Wenn Sessha fragen dürfte,“ sage er mit weicher Stimme, „was für Leute sind das? Einige Dinge in ihrem Wagen... die Waffen, das Menschenhaar...“ „Menschenhaar?“ wiederholte Baiko, verwirrt dreinschauend. „Ach, du meinst das Haar in der Kiste da?“ Er fing an zu lachen. „Rurouni-san, diese Leute sind wandernde Kabuki-Schauspieler! Das ist kein menschliches Haar, das sind natürlich Perücken!“ Und er lachte weiter, sehr zu Kenshins Verlegenheit, denn jetzt starrten ihn alle Frauen und Kinder an. „Oh.“ Meinte Kenshin leise. Er setzte sich etwas abseits, um die Peinlichkeit zu verdauen. Dabei sah er, wie Baiko unter Lachen mit Daisuke flüsterte, worauf dieser auch das Lachen anfing. „Hey, Rurouni-san,“ sagte der alte Mann grinsend zu ihm, „vergib mir, dass ich uns nicht früher vorgestellt habe.“ Seine Stimme wurde plötzlich kraftvoll und tief wie Donner in einem heftigen Sturm, und er reckte sich zu voller Größe auf. „Ich bin Kawayama Daisuke VI, Erbe des Names des großen Kabuki-Schauspielers Daisuke I,“ verkündete ihn ehrerbietender Stimme. „Sicher hast du schon von uns gehört!“ “Ähm…” murmelte Kenshin. „Eigentlich weiß Sessha nicht viel über Kabuki...“ „Lass mal gut sein, Vater, du bist doch nicht Danjuro!“ lachte Ryosuke, unter Anspielung auf den Namen eines der größten Kabuki-Legenden. „Zweiter Sohn, deine Grausamkeit durchbohrt mein Herz!“ antwortete Daisuke mit gespielter Dramatik. „Nein, unsere Familie ist nicht so bekannt wie die von Danjuro, aber in Kyoto sind wir schon seit hundert Jahren berühmt und respektiert, auch unser Theater.. auch wenn wir jetzt in Satsuma wohnen – Kagoshima, um es genau zu sagen. Wir sind während der Bakumatsu-Zeit dorthin geflogen, als Kyoto zu gefährlich wurde...“ Kenshin zuckte unmerklich zurück. „Der Daimyo selbst hat und dorthin berufen!“ sage Daisuke, „und das hier sind meine Söhne – mein Ältester, Orinosuke V, mein Zweiter Sohn, Ryosuke III, und mein jüngster Sohn, Ennosuke II liegt da drüben mit dem gebrochenen Bein. Jeder hat durch seine großartige Schauspielleistung seinen Ahnen bereits große Ehre erwiesen. Und wer bist du...?“ „Ah!“ Kenshin fühlte sich von der plötzlichen Frage überrumpelt. „Nur ein wandernder Vagabund, Kawayama-dono.“ Er versuchte, wenn möglich, nie mehr als diese Informationen von sich preis zu geben. „Es reicht, wenn du mich Daisuke-san nennst,“ korrigierte ihn Daisuke. „Aber Rurouni-san geht nicht. Du hast doch sicher einen Namen, oder?“ Jetzt hatte Kenshin keine Wahl. Mit weicher Stimme antwortete er: „Himura. Himura Kenshin.“ Er bemerkte, wie sich die Augen des Schwertkämpfers bei der Nennung dieses Namens leicht weiteten, aber er fühlte keine Feindseligkeit oder Angst. Wirklich eine seltsame Gruppe, schloss er daraus, und er fühlte sich nicht wirklich wohl. „Nun, Himura-san, wir fühlen uns geehrt, dass du unser Gast beim Essen bist,“ fuhr Daisuke herzlich fort. „Baiko-san, unser Gast wird zusammen mit dir einquartiert. Zeige ihm doch, wo er seine Sachen hinlegen kann.“ Kenshin lächelte in sich hinein. Trotz Daisukes freundlichem Verhalten wollte er wohl, dass dieser Schwertkämpfer ihn im Auge behielt. Kabuki-Schauspieler waren offensichtlich nicht dumm. Er verbeugte sich tief vor Daisuke und den anderen, nahm dann seine Sachen und folgte Baiko zum Rand des Lagers, wo die Pferde angebunden waren. Während sie gingen, hörte er die Gruppe miteinander flüstern. Er schnappte Wörter wie „Haare“ und „seltsam“ auf und spürte die Blicke in seinem Rücken. Seine Haare – sie waren der Fluch seiner Existenz seit dem Tag seiner Geburt. In einer Gesellschaft, die sich wegen ihrer Konformität rühmt, war er immer aufgefallen. Wenn es irgendetwas belustigendes an seiner früheren Rolle als heimlicher Auftragskiller gab, dann, dass sich jemand mit solchen auffälligen Haaren so gut hatte verstecken können. “Ich schlafe im Freien, um die Pferde im Auge behalten zu können,” erklärte Baiko, als sie den Rand der Lichtung, in der sie das Lager aufgeschlagen hatten, erreichten. „Wenn du willst, kann ich dir ein Zelt aufbauen. Aber ich denke nicht, dass es heute Nacht regnet oder sehr kalt wird.“ „Nein, Nein, Sessha ist es gewöhnt, im Freien zu schlafen,“ wandte Kenshin ein. Dann, als er spürte, das Baiko ein freundlicher Kerl war, fügte er hinzu: „Diese Familie... sie sagen, sie sind Schauspieler aus Kagoshima, aber wir sind mindestens 100 Meilen davon entfernt und hier gibt es auch keine Theater in der Gegend. Sind sie Flüchtlinge?“ Baiko kicherte. “Ja, das hab ich mich auch schon gefragt, als sie mich angemietet haben. Man kann ja zur heutigen Zeit nicht vorsichtig genug sein. Aber sie sind nur so unterwegs. Es scheint mir, als ob sie die heißen Sommer in Kagoshima nicht mögen, deswegen schließen sie ihr Theater und fahren in die Berge. Ab Oktober, wenn das Wetter wieder kälter wird, kehren sie zurück. Sie halten unterwegs an und geben Vorführungen auf Dorfplätzen oder in Tempeln, wo auch immer. Es ist witzig, im Wald zu kampieren und einem Haufen von Schauspielern bei ihren Proben zuzuschauen, aber das machen sie jeden Tag. „Und du reist schon immer mit ihnen?“ „Zur Hölle, nein – ich bin ein Soldat, oder wenigstens war ich das mal. Ich war bis kürzlich mit der Armee in Aizu – der Boshin-Krieg, du weißt schon - aber als das Kämpfen endlich aufgehört hat, entschied ich mich, die Armee zu verlassen. Ich war gerade auf dem Weg nach Kagoshima, mein Zuhause, als sie mich fragten, ihr Sicherheitsmann zu werden. Es lag also auf dem Weg und da hab ich mich ihnen angeschlossen. Und ich muss sagen, ich habe gar nichts dagegen, wenn mir ein meisterlicher Schwertkämpfer, so wie du einer bist, zur Seite steht.“ “Was bringt dich dazu, zu denken, dass Sessha ein Meister der Schwertkunst ist?” fragte Kenshin vorsichtig. Seine Augen wurden leicht schmäler als sich seine Hand unauffällig dem Griff seines Sakabatou’s näherte. „Nun, du bist der Hitokiri Battousai, oder nicht?“ war Baikos lässige Antwort. Kenshin spannte sich an, sagte aber nichts. “Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Bekannten,” fuhr Baiko fort, „einen Mann namens Matsuo Hideoki“. „Matsuo?“ Kenshin war überrascht. “Matsuo aus Choshuu?” Er erinnerte sich, diesen Mann in seinem ersten Jahr in Kyoto getroffen zu haben. “Genau dieser. Wie ich sagte, ich kam gerade aus dem Boshin Krieg und er war dort mein Gruppenführer. Eine Nacht, als einer der Männer uns gerade mit Geschichten über den Hitokiri Battousai unterhielt, griff Matsuo ein und schnitt ihm das Wort mit einem Blick, der hätte töten können, ab. „Sein Name“, sagte er uns mit wirklich wütender Stimme, „war Himura, nicht Battousai. Und er war mein Freund und ein guter Mann!“ dann ging er einfach davon. Er klang so unbeirrbar und felsenfest überzeugt, dass sich das irgendwie in mein Gehirn gebrannt hat. „Matsua war nett zu mir,“ sprach Kenshin leise. „Nicht viele waren so.“ „Jedenfalls, als ich hörte, wie du Daisuke-san deinen Namen gesagt hast, und dazu dein rotes Haar und alles, hab ich dich erkannt. Auch wenn ich zugeben muss, das ich dich für älter gehalten hab – und für größer!“ Kenshin starrte in seine Hände. „Sicher wirst du deine Entdeckung deinem Arbeitgeber mitteilen...“ „Wozu?“ sagte Baiko. „Matsuo ist der ehrlichste Mensch unter der Sonne. Wenn er sagt, du warst sein Freund und ein guter Mann, dann glaube ich ihm. Außerdem, du hast heute ein Leben gerettet. Warum also Daisuke-san etwas sagen, was er nicht zu wissen braucht? Kenshin war überrascht. Er hatte schon viele Reaktionen bei dem Bekanntwerden seiner wahren Identität erlebt, aber niemals so eine wie heute. In der Tat, es war schwer zu glauben, aber der Mann schien sich sicher zu sein. “Danke, Baiko-san. Für dein Vertrauen.” „Schon gut. Oh, und nur damit du es weißt – mein Schlaf ist nicht sehr tief, ich habe gute Reflexe, auch wenn ich schlafe.“ Kenshin lachte leise. „So wie ich Baiko, so wie ich.“ Die Beiden kehrten zum Lagerfeuer zurück, wo die Frauen bereits Schälchen mit Miso-Suppe und Reisbällchen austeilten. Kenshin aß langsam und er genoss jeden Bissen, denn es war Tage her, dass er so ein üppiges Mahl bekommen hatte. Als er aß, sinnierte er über die Gruppe, mit der er nun reisen würde. Er hatte nie zuvor echte Schauspieler getroffen. Er wusste, dass die besten Schauspieler wohl so glaubhaft in ihren Rollen waren, dass manch einer sie für echt hielt. Waren dann Schauspieler eigentlich dazu fähig, ihre eigene Ki zu verstecken und eine andere anzunehmen? Er schärfte seine Sinne für die Ki’s der Gruppe und war erleichtert, dass niemand sie versteckte. Daisuke, der kein Krieger war, hatte allerdings die selbe Aura wie ein meisterlicher Schwertkämpfer. Auch Ryosuke schien diese Art Selbstvertrauen auszustrahlen. Orinosuke allerdings war verschieden. Seine Aura verströmte eher Wut und Verwirrung – nicht gefährlich, aber auch nicht harmlos. Kenshin würde ihn im Auge behalten “Wie wollen wir jetzt zurück nach Kagoshima kommen?” fragte Ryosuke gerade seinen Vater und Kenshin ließ die Gedanken hinter sich um wieder dem Gespräch zu folgen. „Ohne Ennosuke sind wir verloren...“ „Das nächste Dorf ist sowieso zu klein für unseren großen Auftritt,“ antwortete Daisuke. „Also können wir einfach nur ein bisschen Akrobatik und ein paar Zaubertricks aufführen und so ein bisschen Geld verdienen. Ich denke, in zwei Wochen wird Ennosuke wieder auf den Beinen sein, nicht wahr, Himura-san?“ Kenshin hatte nur mit halbem Ohr zugehört und nicht erwartet, in das Gespräch verwickelt zu werden. Bevor er Luft holen konnte, hatte ihn Orinosuke schon unterbrochen. „Was weiß der schon? Der ist nur ein Vagabund, und außerdem noch ein Teenager.“ „Hm, eigentlich ist Sessha schon 22...“ ergänzte Kenshin. “22 willst du sein?” Orinosuke lachte fies. „Dann bin ich der Sohn des Kaisers!“ “… und es wird vermutlich bis zu fünf oder sechs Wochen dauern, bis das Bein eures Bruders wieder komplett geheilt ist,” beendete Kenshin ungerührt seinen Satz. “Fünf oder sechs Wochen? Ryosuke hat Recht – jetzt haben wir wirklich ein Problem!“ stöhnte Orinosuke. Zu seinem Vater gewand sprach er wütend: „Warum bestehst du auch darauf, jeden Sommer die Stadt zu verlassen. Keines dieser Unglücke wäre passiert, wenn wir einfach dort geblieben wären...“ „Jetzt reicht es!“ kommandierte Daisuke. „Du weißt, dass wir einen Auftritt in der Nähe von Miyazaki haben, in wenigen Tagen, koste es was es wolle. Dieser Auftritt ist wichtig. Wir sind nicht reich, aber wir haben genug Geld um zurück nach Kagoshima zu gelangen, ob wir jetzt auftreten oder nicht. Außerdem weißt du, dass bei der Hitze im Sommer eh keiner in Kagoshima ins Theater geht. Außerdem, können wir nicht die Stücke einfach auf drei Rollen umschreiben? Wir können auch die Frau einfach weglassen. Die Dorfleute hier merken den Unterschied sowieso nicht.“ Kenshin wandte sich fragend an Baiko. „Was ist denn mit der Frau nicht in Ordnung?“ „Nichts ist nicht in Ordnung,“ flüsterte er zurück. „Es geht um die Tatsache, das Ennosuke-san, der mit dem gebrochenen Bein, die Onnagata war.“ „Onnagata?“ Jetzt war Kenshin wirklich verwirrt. „Frauen dürfen doch nicht auf der Bühne auftreten. Also müssen die Männer die weiblichen Rollen übernehmen,“ erklärte Baiko. „Und der Mann, der in eine Frauenrolle schlüpft, wird Onnagata genannt.“ „Oh.“ Die Welt des Theaters schien wirklich seltsam zu sein. Kenshin schlief diese Nacht gut, besser als die letzten Tage – wahrscheinlich lag das auch an dem vollen Magen. Dennoch, er wachte mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Als er sah, das jeder, auch Baiko, noch zu schlafen schien, stand er leise auf und ging auf die Bäume zu. „Wo gehst du hin, Rurouni?“ Kenshin drehte sich um und sah den verschlafenen Baiko, mit einem offenen Auge in seine Richtung blinzelnd. „Mich erleichtern, Baiko-san,“ antwortete Kenshin. „Oh. Ach so. Ja. Gut. Mach weiter.“ Baiko gähnte. „Ach, und bitte bring etwas Wasser, ja?“ Leise nahm Kenshin die Eimer und als er zurückkam, war er nicht überrascht, den nun wachen Baiko auf ihn warten zu sehen. Baiko schien Matsuo zu glauben, dass Kenshin ein guter Mann war, aber offensichtlich wollte er nichts dem Zufall überlassen. Innerlich lächelte Kenshin. Er hätte das Selbe getan, wenn er an Baikos Stelle wäre. Er nickte ihm kurz zu, als die Eimer zum Lagerplatz brachte. Inzwischen wachte auch der Rest des Lagers auf und Kenshin beobachtete amüsiert, wie verschlafene Mütter ihre hellwachen Kinder anzuziehen versuchten, wo diese doch viel lieber Verstecken in dem Wäldern gespielt hätten. Die Frau des verwundeten Ennosukes winkte nach ihm und führte ihn zu ihrem Mann ins Zelt. Er war schwach aber wach. „Liebling, das ist der Mann, der dir geholfen hat.“ Sie drückte ihm die Hand. Ennosuke schaute zu Kenshin auf und lächelte, ein Versuch, der ihm alle Kraft kostete. „Ich verdanke dir mein Leben!“ wisperte er. „Wie kann ich das wieder gut machen?“ Kenshin kniete sich neben Ennosukes Futon. „Du brauchst dir darüber keine Sorgen zu machen.“ Er begann, die Verbände vorsichtig abzunehmen, um sie durch frische zu ersetzten. „Es tut mir leid, aber ich muss deine Wunden neu verbinden. Es wird leider weh tun.“ Er wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr es wehtat, die Wunde zu öffnen, um neues Verbandzeug anzulegen, deswegen bereitete er Ennosuke gleich einen Becher mit Schmerzmittel. Als er aus dem Zelt ging, um schnell das Pulver zu holen, fühlte er wieder diese Blicke – allerdings hatte er mehr das Gefühl, dass sie ihn musterten, von Kopf bis Fuß. Doch zu welchem Zweck blieb ihm schleierhaft. Als er den Mann verarztet hatte, wurde ihm jedoch dieses Rätsel gelost, denn als er zum Lagerfeuer zurückging, sah er Daisuke und seine zwei Söhne lebhaft auf ihn zeigen. Er spannte sich unmerklich an und näherte sich vorsichtig. „Siehst du nicht?“ hörte er Ryosuke sagen, „Schau seine Größe an, die Eleganz seiner Bewegungen. Er ist perfekt!“ „Sei nicht lächerlich!“ Antwortete Orinosuke. „E weiß nichts davon – er wird uns blamieren!” “Er muss ja gar nicht reden – das können wir für ihn machen,” entgegnete Ryosuke. „Alles, was er machen müsste, wäre, sich zu bewegen.“ Er wandte sich zu seinem Vater. „Siehst du nicht, die Lösung all unserer Probleme steht hier vor uns. Er hat ungefähr die Größe von Ennosuke. Vielleicht ein bisschen kleiner. Und er hat das Gesicht, na ja, bis auf die Narbe...“ Kenshins Anspannung verstärkte sich. Was war das mit seiner Narbe? “Er könnte Ennosukes Rolle als Schauspieler solange einnehmen, bis sein Bein geheilt ist.” Kenshins Kinn klappte nach unten. Jetzt eilte Ryosuke zu ihm und führte ihm am Ellebogen vorwärts. Die Überraschung in Kenshins Gesicht war nicht mehr zu übersehen. „Aber.. Aber... Sessha hat keine Ahnung vom Schauspielern!” stotterte Kenshin, als er gegen seinen Willen zum Lagerfeuer geführt wurde. „Oh, das können wir dir alles beibringen!“ meinte Ryosuke aufgeregt, als er Kenshin das Frühstück in die Hand drückte. „Natürlich würdest du nur stumme Rollen spielen, und nur Komödien, keine Dramen. Alles, was du machen musst, ist Pantomime. Den Rest machen wir.“ Orinosuke umkreiste nun Kenshin und beäugte ihn auf sehr unangenehme Weise. „Er hat die richtige Größe,“ gab er zu, „und er hat in der Tat das passende Gesicht...“ „Aber, Sessha ist nicht...“ Kenshin suchte verzweifelt nach den passenden Worten, um seinem Wiederwillen Ausdruck zu verleihen. „Ich meine, Ennosuke-san ist die Onnagata!“ „Und, hast du damit ein Problem?“ Der Ton in Oriosukes Stimme war schneidend. „Aber...“ „Dann ist das jetzt abgemacht!“ rief Daisuke aus, bevor Kenshin noch ein weiteres Wort sagen konnte. „Wir bringen dir bei, wie man eine Frau zu spielen hat. Und als Gegenleistung bekommst du Essen und einen Schlafplatz für die nächsten Wochen. Du hast doch nichts dagegen, mit uns in Richtung Kagoshima zu reisen, oder?“ Kenshin stand da. Sein Mund bewegte sich, ohne das Wörter über seine Lippen kamen. Er hatte die letzten drei Jahre damit verbracht, Menschenmengen zu vermeiden, vor allem Orte, an denen er erkannt werden könnte. Und jetzt war er plötzlich... ohne dass er eigentlich ja gesagt hatte... „So, du bist also die neue Onnagata?“ Kicherte Baiko, als er sich mit einer Schale Reis neben Kenshin setzte. „Baiko-san.“ Kenshin sprach so leise, dass nur dieser ihn hören konnte. “Du weißt, dass das nicht geht – wenn mich jemand erkennt, bringe ich hier alle in Gefahr!” „Oh, das ist kein Problem!“ lachte Baiko. „Wenn die dich erst einmal geschminkt haben, würde dich selbst deine Mutter nicht mehr erkennen!“ Kenshin war sich da nicht so sicher, aber er brauchte einen Job und er wollte ja sowieso nach Süden. Er hatte kaum Zeit, etwas von dem Reis in seinem Schälchen zu essen, als ihn schon Ryosuke und sein Vater packten und ihn in Richtung des Wagens zerrten. „So, Rurouni-san!“ sagte Ryosuke, “Es ist gar nicht so schwer, eine Frau zu sein – ich erklär es dir...“ Japanische Begriffe Onna-dono: Meine Dame (wörtlich Frau Dame). Arigatou: Danke. Sessha: ‘Dieser Unwürdige,’ eine veraltete Form der Anrede, mit der sich Kenshin bevorzugt selbst anspricht. Ki: Die ‘Aura’ einer Person, der Kampfgeist. Bakumatsu: Der Bürgerkrieg, in dem die Anhänger des Kaisers gegen die Anhänger des Shogunats kämpften. Daimyo: Feudaler Herrscher einer Provinz im Japan der Edo-Zeit. Conspirators Anmerkungen: Conspirator, die Autorin dieser FF, meint, sie wolle zwar humorvoll schreiben, aber insgesamt wird die Geschichte eher ein Drama sein. Am meisten hat sie die Sache gereizt, nachzuvollziehen, wie aus dem begnadeten aber gepeinigten Killer der typische Kenshin mit den kullernden Augen geworden ist, den wir aus dem Manga und der TV-Serie kennen. Wir wissen, das dieses trottelige Verhalten meistens nur gespielt ist, aber irgendwo muss Kenshin das ja gelernt haben. Wer eignet sich da besser als Lehrer, als eine Kabuki-Theater-Gruppe? Matsuo ist ein Charakter aus Conspirators früherer FF, „Descent into Madness“, die ich übrigends jedem, der gut englisch kann, ans Herz lege! Über Kabuki-Theater: Auch heute noch sind die Schauspieler sehr stolz darauf, wenn sie über eine Ahnenlinie von mehreren Generationen von Schauspielern zurückblicken können. Die berühmteste Dynastie von Kabuki-Schauspielern wurde von Danjuro im 17. Jh. gegründet. Historische Anmerkungen: Nach dem endgültigen Fall des Shogunats im Januar 1869 rebellierte die Provinz Aizu (erinnert euch an Megumis Familiengeschichte). Der Boshin-Krieg brach aus, und die Satsuma-Armeen schlugen schließlich den Aufstand brutal nieder. Anmerkungen der Übersetzerin: Hallihallo. Obwohl ich mitten in meiner eigenen Fanfiktion „Divine Justice“ stecke, habe ich mir doch überlegt, meine Englischkenntnisse etwas aufzufrischen und für euch die tolle Fanfiktion „An unexpected lesson“ zu übersetzen. Sie ist eine meiner Lieblingsgeschichten, weil sie wirklich gut die innere Entwicklung von Kenshin nachvollzieht und witzig geschrieben ist. Außerdem.. Kenshin verkleidet als Frau!!! Hihihi!!! Beim Übersetzten habe ich es mit dem Motto „So nah am Text wie nötig, so frei wie möglich“ gehalten... Nächstes Kapitel: Kenshin bekommt zu spüren, was für ein Gefühl es ist, eine Onnagata zu sein. Außerdem wird er selbst zum Objekt von Verdächtigungen und einige Begegnungen bringen unwillkommene Erinnerungen an die Vergangenheit ans Tageslicht. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Wird die Verkleidung als Onnagata einer Kabuki-Theater-Gruppe ausreichend sein, um Kenshins wahre Identität geheimzuhalten? Kapitel 2 Hitokiri Battousai als Frau verkleidet. Kenshin konnte nicht glauben, dass er sich gerade eben einverstanden erklärt hatte, die Rolle der Onnagata in einer wandernden Kabuki-Theatergruppe zu übernehmen. Nun, überlegte er, immerhin würde keiner nach ihm in Frauenkleidern suchen. Es waren zwar schon drei Jahre seit dem Ende der Bakumatsu-Zeit vergangen, aber er wusste aus eigener, bitter gemachter Erfahrung, dass der Hass derjenigen, die Rache an Battousai dem Attentäter suchten, kein bisschen nachgelassen hatte. Was noch schlimmer war – die Aufdeckung seiner wahren Identität hatte mehr als einmal im Laufe seiner Zeit als Wanderer zu dem Tod von Menschen geführt, die sehr nett zu ihm gewesen waren. Aber hier war er nun, unter Leuten, die keine Ahnung hatten, wer er war – bis auf den Kämpfer Baiko, dem das allerdings total egal war. Wie hoch standen die Chancen, dass ihn jemand erkennen würde, während er als Frau verkleidet auf der Bühne stand? Und da die Kabuki-Truppe ständig am umherziehen war, wie hoch war da die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemanden irgendjemand treffen würde, der ihn erkannte, wenn er gerade nicht verkleidet war? Dann war da noch die schrecklich verlockende Aussicht auf regelmäßiges gutes Essen für mehrere Wochen... „Das einzige Problem, dass du haben wirst, wenn du eine Frau spielst, ist das Laufen. Du trägst nämlich diese verdammt hohen Geta-Sandalen“. Kenshins Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Ryosuke neben ihm. „Danach hast du eine ganz andere Vorstellung vom vermeintlich schwachen Geschlecht...“ Sie hatten den Wagen der Truppe erreicht, wo Ryosuke’s Mutter, Ikuko, auf sie wartete. Sie hatte einen der Koffer geöffnet und wühlte nun in ihm herum auf der suche nach den Frauenkostümen. Kenshin starrte mit großen Augen, als sie verschiedene Stoffe aus feiner Seide, alle mit höchst kunstvollverzierten Stickereien, durch ihre Finder gleiten ließ. „Ah, hier ist das, nachdem ich gesucht habe,“ sagte Ikuko, während sie einen wunderschönen blauen Kimono empor hielt, der mit Drachen und Bambus bestickt war. Sie hielt ihn Kenshin unter die Nase, schüttelte dann aber den Kopf. „ Zu lang. Naja, Zeit für Veränderung.” Sie gestikulierte Kenshin, ihr in den Wagen hinein zu folgen, was er nach einem Schubser von Ryosuke auch tat. “Kawayama-dono,”, sagte Kenshin, “Sessha ist sich nicht so ganz sicher wegen all dem...“ „Quatsch, Himura-san!” Sagte Ikuko. “Du wirst deine Sache gut machen. Und nenn mich Ikuko. Wir haben jetzt alle Vornahmen, seit uns die Regierung das erlaubt hat. Ich hab mich aber auch noch nicht daran gewöhnt.“ Kenshin beobachtete, wie Ikuko ein Mäppchen mit vielerlei Nadeln herausholte und drohte: “Nun, wir werden jetzt das Kostüm an dich anpassen…” Kaum geendet griff sie nach Kenshins Schwert, um es aus seinem Obi zu enfernen, der erste Schritt, ihn für die Anprobe vorzubereiten. Plötzlich, schneller als ein Auge sehen konnte, fand sie ihre Hand gefangen in einem schraubstockartigen Griff. „Aua!“ japste sie überrascht. Sofort ließ Kenshin ihre Hand los, wie als ob sie heiß wie Glut gewesen wäre, und trat zurück – die Reflexe des Hitokiri waren zu schnell, zu tiefsitzend. „Entschuldigt vielmals, Ikuko-dono,“ beeilte sich Kenshin zu sagen und verbeugte sich tief. „Ich hab nicht nachgedacht...“ Ikuko erholte sich schnell von dem Schreck. „Nein, es war mein Fehler!“ sagte sie ein bisschen atemlos während sie über ihre schmerzende Hand strich. „Ich hätte es wissen müssen – du bist ein Schwertkämpfer, kein Schauspieler. Das ist ein echtes Schwert, keine Bühnensäbel. Natürlich hätte ich dein Schwert nicht anfassen sollen. Kannst du einer alten Frau vergeben, die zu sehr daran gewöhnt ist, einen Haufen Schauspieler umzukleiden?“ Kenshin blieb wo er war, Kopf gesenkt und deutlich über das aufgeregt, was gerade passiert war. Mit einschätzendem Blick beobachtete Ihn Ikuko. Er war so angespannt, dieser junge Mann, wie als ob er dachte, jeden Moment könne Gefahr drohen, aber warum? Sie trat einen Schritt näher an ihn heran – langsamer diesmal – und nahm vorsichtig seine Hand in die ihre. Sie tätschelte sie aufmunternd und fühlte, wie er vor ihrer Berührung zurückschreckte. War er Freundlichkeit anderer Menschen so wenig gewöhnt? „Ikuko-dono, vielleicht ist das alles keine gute Idee,“ meinte er sanft. Er wollte seine Hand aus der ihren zurücknehmen, aber traute sich nicht recht. „Komm schon, junger Mann, du hast mich nicht verletzt und du warst im Recht, dein Schwert zu beschützen. Allerdings sehen Kimonos nicht sehr Elegant aus, wenn man ein Schwert unter ihnen trägt, also könntest du es vielleicht selber abnehmen?“ Sie sah ein kleines Lächeln in seinen Mundwinkeln aufblitzen. Er entfernte seine Hand aus der Ihren, kniete dann nieder und legte das Sakabatou auf die Art und Weise vor sich, wie es alle Schwertkämpfer gelernt haben um dem Schwert Respekt zu erweisen. Dann stand er wieder. Ikuko beobachtete seine Bewegungen fasziniert. Selten hatte sie jemanden sich in so flüssiger Eleganz bewegen sehen, fast wie Wasser, das über glatte Steine rann. Selbst ihre Söhne konnten sich nicht so grazil bewegen, grübelte sie, auch wenn sie Schauspieler waren. Sie vermutete, dass das von dem Training als Schwertkämpfer kommen musste, obwohl sie annahm, das er aufgrund seiner schnellen Reflexe wohl auch ein Soldat gewesen sein musste. Es würde wirklich interessant werden, zu sehen, wie dieser junge Mann sich als Schauspieler so machte... Kenshin fühlte sich unwohl, als er Ikukos Augen bemerkte, die seinen Körper hinauf und hinunter wanderten, seinen fadenscheinigen und geflickten, alten braunen Gi und die ramponierten grauen Hakama musternd. Nervös verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, nicht sicher, was er tun sollte. Außerdem fühlte er sich ohne sein Schwert irgendwie nackt. “Nun, die Klamotten, die du trägst, gehen gar nicht,” sagte Ikuko schließlich. „Ich dachte vielleicht, dass wir deinen Gi für unter das Kostüm nehmen können, aber nein, der ist ja überhaupt nicht tragbar, wir brauchen komplett neue Klamotten für dich. Weißt du, hochwohlgeborene aristokratische Frauen tragen nicht nur einen Kimono - sie tragen zusätzlich drei und manchmal sogar vier Unter-Kimonos, alle sorgsam übereinander, um von jedem die verschiedenen Farben am Hals und an den Armen zu zeigen. Für unsere Kostüme nähen wir diese Verschiedenen Stoffe einfach an, das hat den selben Effekt und ist weit weniger aufwändig. Aber wenigstens ein Stück Kleidung sollte man darunter tragen, um nicht das Kostüm zu verschwitzen. Dein Gi hätte gepasst, wäre er in einem besseren Zustand. Aber ich glaube, wir nehmen lieber einen von unserem jüngsten Sohn. So, jetzt zieh doch bitte deinen Gi aus.“ Der Blick in Kenshins Gesicht hätte sie um ein Haar laut auflachen lassen, denn seine Augen waren fast so groß wie Teller. „Meinen Gi ausziehen?“ schluckte er. „Hier?“ Vor einer Frau ausziehen war eine Sache, mit der er nicht gerechnet hatte, als er dem Plan zustimmte. “Tu einfach so, als ware ich deine Mutter – sicher würdest du dich nicht schämen, dich vor ihr auszuziehen,” sagte Ikuko, während sie versuchte, ernst zu bleiben und ihm einen langen, rosafarbenen Unter-kimono hinhielt. Darauf wusste Kenshin nichts zu sagen. Er erinnerte sich kaum an seine Muter, aber er wusste, dass andere Menschen keine Scham hatten, diese Dinge vor den Augen ihrer Eltern zu tun. Ikuko war jedoch nicht seine Mutter. Wenn er dennoch diese Sache durchstehen würde, dann hätte er einen Job und Essen für mehrere Wochen. Zögerlich begann er, seinen Gi aufzubinden, aber er drehte Ikuko den Rücken zu, bevor er ihn vollkommen auszog. Ikoku war nicht sicher, was sie erwartet hatte zu sehen, aber sicherlich nicht das. Für so einen schmächtigen jungen Mann hatte er sicherlich einen sehr muskulösen Rücken und sie war überrascht, dass darauf kaum Narben zu sehen waren, bis auf ein par seltsame Einschnitte an seiner Schulter und seinem Hals und einer langen, breiten Narbe nahe seiner Hüfte, die sich von vorne bis hinten herumzog. Es war ja nicht so, als ob sie hobbymäßig die Rücken von Männern betrachten würde, aber hätte nicht ein Soldat mehr Narben? Vielleicht war er ja doch kein Soldat, obwohl, da waren ja noch die zwei tiefen Schnitte auf seiner Wange... Kenshin streckte seinen Arm nach dem Unterkimono aus. Es war ein dünner Arm, mit mehr sehnigen als protzigen Muskeln, aber dennoch ein Arm, der von großer Kraft zeugte. Als sie ihm den Unter-Kimono in die Hand drückte, sah sie viele kleine Narben, die sich seinen Arm herauf und herunter zogen. Nur einige wenige sahen tief und gefährlich aus. Ja, er musste doch ein Soldat gewesen sein - es war der Arm von jemandem, der im Schlachtfeld Kontakt mit vielen Schwertern gemacht hatte. Überraschenderweise waren die Narben alle etwas blass. Es brauchte Jahre, bis die meisten Narben von einem leuchtenden Rot zu einem zarten Rosa verblassen. Das hieß, seine Narben mussten alle schon älter sein. Ihr Mann hatte ihr erzählt, das der Junge vor ihr erst 22 Jahre alt war. Er konnte aber doch nicht vor dem kürzlich stattgefundenen Boshin-Krieg schon gekämpft haben, oder? Er würde zu jung dafür gewesen sein! Er war ihr wirklich ein Rätsel, dieser junge Mann. Kenshin wandte sich, den pinkfarbenen Unterkimono sicher zugebunden, wieder Ikuko zu. „Er ist mir ein bisschen groß,“ sagte er betreten, als er den Stoff um seine Füße schlackern und die Ärmel über seine Hände fallen sah. „Meine Güte, du bist wirklich klein!“ lachte Ikuko als sie ihre Nadeln zur Hand nahm. „Ungefähr fünf Zentimeter kürzer als mein Ennosuke. Aber du wirst gut als Frau aussehen.“ Sie begann, den Kimono an ihn anzupassen. „Sicher wirst du erleichtert sein, zu hören, dass du dich nie mehr vor mir umziehen musst, sobald dein Kostüm fertig genäht ist. Allerdings muss ich dir noch zeigen, wie du das Brust-Teil tragen musst, bevor du deinen eigenen Gi wieder anziehen kannst.“ Brust-Teil? Kenshins Kopf schoss so schnell herum, dass er Ikuko fast K.O. geschlagen hätte. „Ikuko-dono, Sessha...“ “Oh, keine Angst!” lachte Ikuko. „Es ist nicht das, was du denkst. Es ist nur Watte, aufgenäht an einer Art Hosenträger. Sie wühlte erneut im Koffer und förderte das seltsame Gerät zu Tage. „Hier, du ziehst die Schlingen so über deine Arme, genau, und schon fertig! Wenn dann noch das Kostüm drüber kommt, siehst du wie eine Frau aus.“ Um das zu beweisen, nahm Ikuko einen Blauen Kimono und zog ihn Kenshin über. Dann band sie ihm schnell einen einfachen Obi um. Beides Zusammen, Unter-kimono und Kimono, waren viel zu lang, aber Ikuko freute sich trotzdem und hielt Kenshin einen großen Spiegel vor die Nase. „Siehst du, Himura-san? Wie eine Frau. » Kaum hatte Kenshin einen Blick in den Spiegel geworfen, da wurde er auch schon röter als sein rotes Haar. Es war, als ob sein Kopf auf den Körper irgendeiner jungen Frau gesetzt worden wäre – aber es war ja sein Körper. Irgendwie fühlte er sich desorientiert. „Ich... aber... Es ist nicht so....“ stotterte er und schließlich, „Hilfe, Ikuko-dono!“ Ikuko konnte sich nicht länger halten. Sie begann so heftig zu lachen, dass sie schon dachte, ihr Bauch würde platzen. „Himura-san,“ schaffte sie es zwischen dem Lachanfall zu sagen, „sei nicht so beschämt. Du siehst perfekt aus. Aber du musst aufhören, so rot zu werden!“ Kenshin hielt es nicht länger aus – all die Spötteleien, die er während seiner Jugend über sein weiblich wirkendes Äußeres hatte ertragen müssen, fielen ihm wieder ein. Er versuchte, den Obi aufzubinden. Er wollte so schnell wie möglich diesen Kimono loswerden und wieder männlich sein! „Ist es für dich so schockierend, dich im Spiegel als Frau zu sehen?“ fragte Ikuko. Kenshin nickte heftig. Ikuko wurde plötzlich ernst. „Himura-san,“ sagte sie bestimmt, als sie ihn vom Losbinden des Obis abhielt. “Lass es mich unverblümt sagen: Ich nehme an, du bist ein Soldat gewesen, wie Baiko-san. Und was bringt man Soldaten bei? Soldaten bringt man bei, zu töten. Es hat keine Bedeutung, ob für oder gegen die Regierung, euch wurde beigebracht zu töten, und das hat nur Trauer und Entsetzen über die Familien der Opfer gebracht, oder nicht?“ Kenshin wurde plötzlich sehr still und, wie sie spürte, noch angespannter als vorher. „Aber was wird Schauspielern beigebracht?” sprach sie mit weicherer Stimme weiter. „Sie lernen, wie man Menschen aus ihren täglichen Sorgen und Nöten herausreißt, indem man ihnen Glück und Freude durch ein lustiges Theaterstück schenkt. Und das werden wir dir jetzt beibringen!“ Der Ausdruck in Kenshins Gesicht war nicht zu entschlüsseln und seine Augen starrten matt und gefühllos geradeaus, aber Ikuko wusste, das sie auf dem richtigen Weg war. Sie sah eine kurze Regung in seinem Gesicht, bevor er den Kopf senkte und einen leisen Seufzer ausstieß. „Glück und Freude hat man bisher noch nie mit mir in Zusammenhang gebracht,“ sagte Kenshin schließlich mit einer Stimme, die kaum mehr als ein leises Flüstern war. „Sessha bezweifelt, dass sich das jemals ändern wird.“ Diese Feststellung bestürzte Ikuko. „Aber du hast doch schon Glück und Freude geschenkt – meiner Familie!“ sagte Ikuko. „Ohne dich hätten wir Ennosuke verloren. Warum versuchst du es nicht einfach – was hast du zu verlieren? Vielleicht bringt es dich sogar irgendwann mal selbst zum lächeln. Auf jeden Fall wären wir dir sehr dankbar, wenn du es versuchen würdest.“ Kenshin entwich der Hauch eines Lachens. Wenn ihm das Leben irgendetwas beigebracht hatte, dann das Glück und Freude nicht für ihn bestimmt waren und er es auch keinem anderen schenken konnte. Dennoch war es verführerisch. Er war so glücklich gewesen, in Otsu. Seine Zeit mit Tomoe war so schön, dass er sein Leben fast lebenswert gefunden hatte. Vielleicht konnte er ja wenigstens den Kabuki-Schauspielern helfen, anderen Menschen Freude zu bereiten – er selbst würde Freude wohl nie wieder empfinden können. Endlich sagte er: „Ich werde es versuchen. Aber ich werde mich wohl nie daran gewöhnen.“ Ikuko kicherte und tätschelte seine Hand. „Keine Sorge, Himura-san, niemand gewöhnt sich daran.“ Kenshin empfand es als große Erleichterung, seine alten Klamotten wieder am Leib zu spüren und vor allem sein Sakabatou wieder in seinen Obi zu stecken. Er war jetzt nur für circa 5 Minuten eine „Frau“ gewesen, aber es war trotzdem lang genug, um sich seltsam zu fühlen. Seine Hand wanderte instinktiv zum Heft seines Schwertes, wie als ob er einen verloren geglaubten Freund begrüßte. Er wünschte, er könnte jetzt einfach irgendwo hingehen und seine Schwertübungen machen, nur um sich zu erinnern, das er immer noch er selbst war, aber als er den Wagen verließ, sah er, wie alle sich zum Aufbruch bereit machten. Also ging auch er seine Sachen zusammenpacken und fand Baiko, der ihn zu sich winkte. „Himura-san, auf ein Wort?“ Er führte Kenshin weg von den anderen. „Erinnerst du dich an gestern, als ich sagte, ich hätte kein Problem damit, einen Meister der Schwertkunst um mich zu haben? Nun, ich hab gerade eben einen Mann aus dem nächsten Dorf getroffen und der sagte, wir werden vermutlich weiter südlich Probleme mit irgendwelchen Yakuzas bekommen.“ „Ach, deswegen ist die Strasse wohl so verlassen?“ fragte Kenshin. „Zweifellos,“ antwortete Baiko, „Und wenn das stimmt, haben wir ein Problem. Diese Kabuki-Leute sind nicht reich, auch wenn sie so aussehen wegen dem ganzen Kostümkram – wahrscheinlich sehen sie wie ein lohnenswertes Ziel aus. Die Männer haben zwar alle einige Grundkenntnisse mit dem Schwert, aber nichts, was in einem echten Kampf taugen würde. Mit ein paar lumpigen Dieben könnte ich schon selber fertig werden, aber Yakuza?“ „Was meinst du, soll ich tun?“ fragte Kenshin “Ich habe Daisuke und seine Söhne gebeten, sie alle als Samurai zu verkleiden, um uns mehr wehrhafter erscheinen zu lassen, wenn du weißt, was ich eine. Orinosuke-san läuft immer vorne, und Ryosuke-san und Ennosuke-san bewachen die zwei Seiten des Wagens. Ich bilde die Nachhut. Daisuke-san fährt. Und die Frauen und Kinder laufen nebenher, nur die kleinsten sind im Wagen. Jetzt, wo Ennosuke außer Gefecht ist, dachte ich, du könntest seinen Platz einnehmen...“ „Sessha tut alles, was nötig ist.“ „Obwohl,“ meinte Baiko, „wenn Orinosuke einverstanden ist, wäre es besser, du würdest voraus laufen.“ „Ich bin der Älteste. Ich laufe voraus!“ Die zwei drehten sich um zu Orinosuke, der auf sie zuging. „So, ihr denkt, ich wäre nutzlos in einem Schwertkampf!“ Orinosukes Stimme hatte einen sarkastischen Unterton. „Ich möchte, dass ihr wisst, dass ich acht Jahre lang Kenjutsu studiert habe, wahrscheinlich also länger, wie ihr beide. Ich werde der Anführer des Konvois bleiben. Nebenbei bemerkt, wir brechen jetzt auf. Also Los.“ Damit drehte er sich um und ging. “Jetzt weißt du, warum der Sicherheitsmann hinten läuft,“ grummelte Baiko. Kenshin’s Augen verengten sich, da er die feindselige Stimmung von Orinosuke spürte. „Er ist auf mehr wütend als auf uns,“ überlegte er laut. Baiko rollte die Augen. „Sein Selbstvertrauen ist größer wie der Fujiyama, aber frag mich nicht, warum. Oh, lassen wir ihn halt vorauslaufen. Es dauert sowieso nur zwei Stunden, bis wir das nächste Dorf erreichen. Trotzdem – halte bitte beide Augen offen, ja?“ Kenshin nickte und die Beiden gingen zurück zum Wagen, der gerade losfuhr. Als sie ihre Positionen rund um ihn herum einnahmen, kam Kenshin plötzlich alles so unwirklich vor. Wie oft, während der Bakumatsu-Zeit, hatte er genau diesen Job ausgeführt – als Aufpasser neben einem Konvoi herzulaufen? Ein duzend Mal? Zwei duzend Mal? Es waren zwar drei Jahre seit dem letzten Mal her, aber die alte Gewohnheiten kamen sofort wieder – die angespannte Vorsicht setzt alle seine Sinne in Alarmbereitschaft. Er erwartete fast, neben sich ein paar Anführer der Ishin Shishi oder vielleicht eine Truppe Soldaten vorzufinden. Statt dessen war neben ihm die Frau von Ennosuke, Noriko, und ihre drei Jahre alte Tochter. Der Wagen war nicht voll Munition, sondern voll Kostümen. Zum zweiten Mal an diesem Morgen fragte er sich, wo er da wohl hineingeraten war. Ein leichtes Lächeln kräuselte sich in seinen Mundwinkeln, als er sich diese absurde Situation bewusst machte. Sie waren nur wenige Minuten unterwegs, als Kenshin bemerkte, wie die Mutter und die Tochter neben ihm ihn anstarrten. Ihm war die Gesellschaft von Fremden schon immer unangenehm gewesen, weil sie, wenn sie nicht gerade mit Starren beschäftigt waren, sie ihn in Gespräche verwickeln wollten, und er war nicht gut im Gespräche führen. Wie als Bestätigung begann Noriko keine zehn Minuten später mit ihm zu sprechen. „Wir sind so dankbar, Rurouni-san, dass du meinem Mann geholfen hast.“ „Mhm.“ Kenshin schaute gerade aus. Nach einer Minute gegenseitigen Anschweigens begann sie erneut. „Warst du schon mal bei einer Kabuki-Aufführung?“ „Nein, Noriko-dono, noch nie.“ Seine Augen ließen die Strasse vor ihm keine Sekunde unbeobachtet. „Dann weißt du ja gar nicht, was dich erwartet,“ kommentierte sie. „Die Kinder lieben die Komödien, vor allem wenn die Schauspieler sich mit Dingen bewerfen.“ Überrascht blickte Kenshin sie an. „Sich bewerfen? Das muss ich tun?“ Sie lachte. „Manchmal. Manchmal schlagen sie sich auch mit Bratpfannen auf den Kopf.“ Kenshin lächelte. Er erinnerte sich an die Zusammenstösse, die einige Männer mit Okami-san, der Wirtin der Herberge in Kyoto, wo er sein erstes Jahr als Hitokiri verbracht hatte, gehabt hatten. Sie hatte mehr als einmal die Männer mit der Bratpfanne in ihre Schranken gewiesen. „Ich dachte, Kabuki-Theater beschäftigt sich mit den alten Zeiten und legendären Schlachten.“ „Oh Nein, oftmals gibt es auch alte Volksmärchen oder einfach alberne Geschichten, nur um die Leute zwischen den ernsten Stücken wieder aufzuheitern. Mein Schwiegervater hat auch neue Stücke geschrieben, zum Beispiel über die Bakumatsu-Zeit. Sie sind in Satsuma sehr beliebt!“ Kenshin versteifte sich. „Was für Stücke über die Bakumatsu-Zeit?“ Noriko nahm die Veränderung bei Kenshin wahr und fasste die Hand ihrer kleinen Tochter ein bisschen fester. Wie bescheuert, dachte sie, die Revolution zu erwähnen, wo sie doch nichts über diesen Wanderer wusste. Immerhin waren noch einige Leute unterwegs, die das Shogunat unterstützten. „Es geht um die Ikedaya-Affaire,“ sagte sie zögerlich, seine Reaktion beobachtend. „Die Ishin Shishi sind die Helden, die Shinsengumi die Bösen, und Okubo Toshimichi aus Satsuma, der den Angriff überlebt, schwört Rache auf das Shogunat.“ Zu Norikos Erleichterung lachte Kenshin leise. „Was ist daran so lustig?“ fragte sie. „Okubo Toshimichi war nicht dabei,“ erklärte Kenshin lachend, „und Satsuma hat sich in diesem Sommer mit dem Shogunat verbündet.“ „Woher...“ wollte sie fragen, aber sie brachte sich schnell wieder unter Kontrolle. „Ich meine, mein Schwiegervater schrieb das Stück ja für Satsuma, da wollen die Leute so was hören.“ „Ah so..“ meinte Kenshin, immer noch ein Lachen in seiner Stimme. In dem Moment zog das kleine Mädchen am Arm ihrer Mutter und wisperte laut etwas, während sie unverblümt auf Kenshin zeigte. Kenshin hörte etwas von „lustigem Haar“ und die Ermahnungen der Mutter. Er seufzte innerlich. Warum war er in diesem Land geboren? „Rurouni-san,“ sagte Noriko endlich laut, „Meine Tochter möchte deinen Namen wissen, aber ich muss gestehen, ich kenne ihn nicht.“ Diese Frage war unerwartet aber nicht unangenehm. Kenshin entschloss sich, die kleine Dame mit seinen besten Manieren zu ehren und verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor ihr. „Himura Kenshin ist mein Name,“ verkündete er feierlich und fügte lächelnd hinzu, „du darfst mich Kenshin nennen.“ Das kleine Mändchen starrte ihn nur mit offenem Mund an. „Nomi-chan,“ flüsterte die Mutter, „wo bleiben deine Manieren?“ Das Kleine Mädchen verbeugte sich schnell und nuschelte, „ ich bin Nomi“, bevor sie sich hinter ihrer Mutter versteckte. „Bitte verzeih ihr, Himura-san, aber niemand hat sie bisher wie eine Erwachsene behandelt,“ lachte Noriko. Sie wollte sie wieder an die Hand nehmen, aber das kleine Mädchen flüchtete sich zur anderen Seite des Wagens. „Die neue Meiji-Zeit ist für Kinder wie sie,“ Sagte Kenshin. „Deswegen verdienen sie unseren Respekt!“ Noriko musterte ihn. Wie sonderbar, so etwas zu sagen, überlegte sie, aber sie hatte keine Zeit, weiter zu grübeln, denn Nomi kam zurück gerannt, mit zwei kleinen Jungs im Schlepptau, der eine vier, der andere sieben Jahre alt. Sie stellten sich vor den zwei Erwachsenen auf und schauten erwartungsvoll. „Himura-san,“ kicherte Noriko. “Ich glaube, die Kinder von Ryosuke, Oda und Saburo, wollen, dass du dich ihnen auch vorstellst.” Kenshin tat dies mit einer erneuten Verbeugung. „Darf ich auch eure Namen erfahren?“ Die zwei Jungs erröteten und stammelten ihre Namen. Dann rannten sie wieder weg. Kenshin lachte leise. „Kommen noch mehr?“ fragte er mit einem ungewohnten Lächeln im Gesicht. Kenshin sah Baiko in der Nähe, der sich Mühe gab, nicht loszulachen. “Es gibt nur noch Byako und Bunjiro, die Kinder von Orinosuke,” antwortete Noriko. „Aber sie sind neun und zwölf. Ich glaube nicht, dass sie es so spannend finden wie die kleinen, von einem Erwachsenen begrüßt zu werden.“ Das Eis war endlich gebrochen. Kenshin fühlte sich nun nicht mehr so unwohl, neben dieser Frau herzulaufen. Er musterte sie unauffällig, um sie besser einschätzen zu können – eine Angewohnheit, die er sich als Hitokiri angeeignet hatte und die er auch nicht aufgegeben hatte. Es hatte ihn immer Sicherheit gegeben, soviel wie möglich über die Leute um ihn zu wissen, nur für den Fall... Was für einen Fall, fragte er sich. Diese Frau, das wusste er, würde nicht plötzlich ein Katana ziehen, oder, weiß Gott, einen Dolch. Ihr Ki war wie eine leichte Sommerbriese und bis auf die leichte Sorge wegen ihrem verletzten Ehemann strahlte sie Zufriedenheit aus. Sie schien in seinem Alter zu sein, nicht viel größer als er, und sie war sehr hübsch. Deswegen war er auch zuerst so nervös gewesen. Jetzt aber schein sie seine Anspannung gelöst zu haben. Ihr spielerisches Verhalten gegenüber den Kindern hatte Kenshin bestätigt, dass sie glücklich sein musste. Er fragte sich kurz, ob Tomoe wohl jemals so gefühlt hatte. Kurze Zeit später schloss sich ihnen die Frau von Orinosuke an. Kenshin fühlte, wie sich Noriko in Gegenwart dieser streng wirkenden Frau anspannte. „Noriko-chan,” sagte sie kurz angebunden, “du kannst jetzt zu deiner anderen Schwieger-schwester und zu Ryosuke gehen.“ „Ich laufe gern auf dieser Seite des Wagens,” antwortete Noriko steif. „Dennoch wirst du jetzt zur anderen Seite gehen, Noriko,” kommandierte die Frau. Kenshin verblüffte dieses unfreundliche Verhalten der Frau gegenüber ihrer angeheirateten Schwester. Naja, nichts, was ihn etwas anging. Er konzentrierte sich wieder auf die Strasse vor ihnen, während Noriko nach kurzer Verbeugung davoneilte. Orinosukes Frau jedoch war aus einem bestimmten Grund herübergekommen und sie brachte ihn auch gleich zur Sprache. Kaum war Noriko verschwunden, wandte sie sich an Kenshin. „Habe ich das richtig verstanden, dass sie sich selbst einen Rurouni nennen, Himura?“ “Ja, Onna-dono,” antwortete er, auch wenn die Frage nicht sehr freundlich klang. Er warf einen Seitenblick auf sie. Sie war groß und sah königlich aus, mindestens 10 Jahre älter wie Noriko, mit einem harten Zug um ihren Mund und einer kalten Ausstrahlung. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart fast so angespannt, wie wenn er gleich in die Schlacht ziehen müsste. „Woher kommen sie?“ fragte sie direkt. Jetzt war es klar, da sie gekommen war, um ihn auszufragen – auf ihren eigenen Wunsch oder auf den ihrer Familie. Nichtsdestotrotz baute Kenshin sofort seine inneren Barrieren auf. Es gab einige Dinge, über die er mit niemandem, egal aus welchem Grund, sprechen würde. „Sessha wuchs in den Bergen auf, westlich von Kyoto,“ antwortete er vage in seiner höflichsten Stimmlage. Sie warf ihm einen stechenden Blick zu. „Westlich von Kyoto? Also im hintersten Wald. Kein Wunder, dass du so altertümliche Manieren hast. Sessha in der Tat. Und du wirst mich mit meinem Namen ansprechen.“ „Gomen nasai, gute Frau, aber ich weiß ihren Namen nicht.“ Kenshin verbeugte sich demütig. „Kawayama Mayako. Du wirst mich Kawayama-san nennen,“ befahl sie. „Jawohl, Kawayama-dono.“ Sie ignorierte das –dono. „Und ich werde dich im Auge behalten!“ fügte sie knapp hinzu. „Wenn irgendwas verschwindet, wissen wir, wer es gestohlen hat.“ Kenshin war an diese Art von Misstrauen gewöhnt – er war ja immerhin ein Fremder für sie - aber irgendwie war da auch Feindseligkeit in ihrem Verhalten. Vielleicht war er doch nicht so willkommen. “Kawayama-dono,” sagte er ruhig, “wenn sie möchten, dann gehe ich, sobald ihre Familie einen Doktor gefunden hat.” Mayako fixierte den Fremden erneut. Sie vertraute ihm nicht, genau wie ihr Mann. Ein Schmarotzer, so hatte ihn ihr Mann genannt – ein professioneller Schmarotzer wie er im Buche stand. Sie hatte nicht gedacht, das er so leicht auf regelmäßige Mahlzeiten verzichten würde. „Tja, diese Entscheidung kann ich leider nicht treffen,“ antwortete sie. „Der alte Idiot Daisuke hat gesagt, das sie bei uns bleiben sollen, deswegen bleibst du auch. Er ist das Oberhaupt der Familie, ob uns das gefällt oder nicht. Aber wir werden dich im Auge behalten.“ Mit diesen Worten verschwand sie. Kaum war sie weg, holte Baiko Kenshin ein. Er schaute schnell, ob sie auch keiner belauschte, dann sagte er: „Hat sie dir die alte „Wir werden dich im Auge behalten“-Leier reingedrückt? Das gleiche hat sie zu mir auch gesagt, als ich hier angefangen hab.“ „Mir macht das nichts aus,“ antwortete Kenshin. „Ich hab so was in der Art erwartet.“ “Erwartet?” wiederholte Baiko. „Du erwartest, das die Leute dich für einen Dieb oder schlimmeres halten?“ „Sessha ist nur ein Rurouni,“ meinte Kenshin sachlich. „Diese Leute wissen nichts über mich, außer, dass ich ihnen im Notfall geholfen habe. Kawayama-dono ist nur um die Sicherheit ihrer Familie besorgt. Sessha verdient kein anderes Verhalten.“ Verblüfft starrte Baiko ihn an. Hier war er, DER Hitokiri Battousai, oder nicht? Der legendäre Attentäter. Den Mann, den man den größten Patrioten der Bakumatsu-Zeit nannte. Der Mann, der vermutlich mehrere Medaillen, wenn nicht sogar eine Lebenslange Pension verdient hatte. Und dieser Mann erwartete, das man ihn wie einen Gauner behandelte? Kenshin fühlte Baikos Verwirrung. „Baiko-san,“ sagte er nach einer Weile. “Wie lange kennst du mich?” „Ich? Weniger als einen Tag. Warum?” “Heute Morgen, als ich aufstand und in Richtung Wald ging, was hast du da gedacht?” “Ich hab mich gefragt, was du machst.” „Obwohl wir einen gemeinsamen Bekannten haben, der dir meinen Charakter bestätigt hat, warst du trotzdem nicht sicher, ob man mir trauen kann, oder? Und es war richtig so. Wie könnte ich also beleidigt sein, wenn ihr alle zurecht misstrauisch seid? Ob es mir passt oder nicht, so ist es nun mal.“ Baiko konnte nicht glauben, was er da hörte. Die meisten Männer würden, wenn sie eine Frau so herablassen behandelte, vor Wut dampfen, Rache schwören, oder sonst etwas, um sie in ihre Schranken zu weisen. Er selbst würde nicht überrascht sein, wenn ein Hitokiri – vor allem dieser Hitokiri – so fühlen würde. Er wusste nichts auf die Worte von Kenshin zu antworten und zuckte schließlich mit den Schultern. „Ich muss wieder zu meinem Posten,“ sagte er. „Lass dir die Reden dieser Frau nicht zu Herzen gehen!“ “Keine Sorge,” sagte Kenshin mit einem schwachen Lächeln. Ihm geisterten noch die Worte durch den Kopf, die Mayako so beiläufig gesagt hatte. „Der alte Idiot Daisuke... solche Umgangsformen hatte er zuletzt in Kyoto erlebt. Die Männer hatten sich über ihre idiotischen Kommandeure beklagt, Katsura Kogoro oder Yamagata Aritomo hatten die Politiker „alte Idioten“ genannt. Er wunderte sich, was in dieser Familie nicht in Ordnung war... er hatte keinerlei Erfahrung mit Familiensachen, er hatte selbst nie in einer gelebt – zumindest konnte er sich nicht erinnern, weil er noch zu jung gewesen war. Jetzt, wo er allein neben dem Wagen herlief, drifteten seine Gedanken ab, obwohl er immer noch die Strasse im Auge behielt. Er sah vor sich Orinosuke und seine zwei Söhne, die mit ihren Holzschwertern spielten. Ab und zu lief der ältere der Jungs, Bunjiro, neben seinem Vater und der jüngere, Byako, neben seiner Mutter, die ihm den Arm liebevoll um die Schulter legte. Eine Geste, die so gar nicht so ihrem rüpelhaften Verhalten ihm gegenüber passen wollte. Wie immer kam er irgendwann auf Tomoe. Er und Tomoe waren so glücklich gewesen, wenn auch nur wenige Monate lang. Damals in Otsu... Dort hatte er gelernt, was Glück wirklich bedeutet, wie es war, wenn zwei Menschen zusammen leben konnten und sich liebten. Er fragte sich oft, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn Tomoe nicht gestorben wäre. Er wusste, das solche „Was wäre wenn“-Fragen zu nichts führten, aber er konnte nicht anders. Vielleicht hätten sie Kinder gehabt, vielleicht wären sie Bauern geworden, er würde auf dem Feld stehen und das Lachen seiner Kinder hören, unterbrochen von den ermahnenden Worten der Mutter. Vielleicht würde sie eines der Kinder in den Arm nehmen, wie Mayako es gerade tat. Doch er wusste, dass dies alles niemals passiert wäre. Selbst wenn Tomoe nicht gestorben wäre, Katsura hätte ihn zurückgeholt. Er wäre wieder nach Kyoto gegangen, abermals als Hitokiri. Und Tomoe- hätte sie ihn dann noch geliebt? Nein. Er musste aufhören zu denken. In der Vergangenheit zu leben war gefährlich, er musste sich auf die Gegenwart konzentrieren. Nur was, wenn das Leben in der Gegenwart einfach sinnlos war? Der einzige Grund, warum er noch lebte, war das Versprechen, das er der sterbenden Tomoe gegeben hatte. Kurz vor Mittag erreichte die Truppe ihr Ziel: ein kleines Dorf. Wie sie es gewohnt waren, kletterten die Frauen und Kinder in den Wagen, bevor sie in das Dorf hinein fuhren, damit niemand unterwegs verloren gehen konnte. Das wäre hier allerdings sehr schwierig gewesen, weil das Dorf nur aus einer einzigen Strasse bestand. Als sie am Dorfplatz angekommen waren, kamen die Leute aus ihren Häusern und Geschäften, um die seltsamen Fremden zu begutachten. Daisuke ließ den Wagen schließlich anhalten und beugte sich zu der ihm am nächsten stehende Person. „Guter Mann,“ fragte er jemanden, der wie ein Schmied aussah, „wir hatten gestern einen Unfall. Können sie uns sagen, ob es hier im Dorf einen Arzt gibt?“ Der Schmied runzelte misstrauisch die Stirn, vor allem als er die vielen Männer mit Schwertern sah. „Das hängt davon ab, wer Hilfe braucht.“ Daisuke blickte in die sich angesammelte Menge und sah überall in den Gesichtern Misstrauen. Er stand auf und verkündete theatralisch: „Liebe Leute, wir sind die Daisuke Kabuki Familie aus Kagoshima. Wir kommen, um euch den Tag mit akrobatischen Kunststücken zu verschönern. Aber einer von uns wurde leider gestern verwundet, als unser Wagen einen Unfall hatte.“ „Keine Yakuza?“ wisperte eine Frau. Daisuke wandte sich an sie. „Wir sahen keine Yakuza unterwegs. Aber wir haben gehört, das welche hier in der Gegend sein sollen. Haben sie Probleme mit ihnen gehabt?“ Es gab Gemurmel in der Menge, aber keiner antwortete. Der Schmied zeigte auf ein Haus. „Hier wohnt der Dorfarzt. Das Haus mit dem großen Schild vor der Tür.“ Daisuke bedankte sich und versprach um drei Uhr Nachmittags eine Show. „Ooooh!”, rief da plötzlich die Menge und alle Leute liefen, um die Neuigkeit zu verbreiten. Das Haus des Arztes war groß, aber es sah geschlossen aus. An der Tür fanden sie ein Schild: „Sprechzeiten: 15-18 Uhr.“ „Vielleicht sollten wir später wiederkommen?“ meinte Ryosuke. „Nein, wir klingeln,“ sagte Daisuke. Als sich die Tür endlich öffnete, stand da ein Mann um die dreißig, mit einem Schwert im Obi und verkniffenem Gesicht. „Ich bin Satoshi,“ stellte er sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor. „Was für Hilfe brauchen sie? Meine Sprechstunde ist erst um 15 Uhr!“ Baiko stupste Kenshin an, als er sah, das sich die Hand von dem Arzt dem Griff seines Schwertes näherte. Anscheinend schien er sich bedroht zu fühlen. Daisuke musste das auch bemerkt haben, denn er verbeugte sich tief und sagte so demütig wie er konnte: „Satoshi-san, Ich bin Kawayama Daisuke, der Anführer der Daisuke Kabuki Familie aus Kagoshima. Unser Wagen ist umgekippt und hat meinen jüngsten Sohn unter sich begraben und ihm einen Nagel durch das Bein gestoßen. Wir haben ihn schon behandelt, aber die Verletzungen sind ernst. Könnten sie ihn nicht wenigstens kurz untersuchen, nur um sicher zu gehen, das alles in Ordnung ist? Hier drüben steht der Wagen.“ Satoshi betrachtete die fünf Männer vor der Tür. Drei sahen aus wie Samurai, einer wie ein Soldat und der kleinste mit der abgetragenen Kleidung ... wie ungewöhnlich, er hatte rote Haare. Aber auch ein Schwert, und das sah benutzt aus. Was, wenn das Yakuza waren? „Ihr müsst ihn herüber bringen,“ sagte Satoshi. „Dann entscheide ich.“ Niemals würde er einfach so in einen Wagen steigen, wer weiß, am Ende nahmen sie ihn noch gefangen. Daisuke befahl sogleich, Ennosuke herzubringen. Satoshi sah die Kinder und Frauen aus dem Wagen hüpfen und einen Koffer mit Kostümen. Seit wann haben Yakuza Frauen und Kinder dabei, fragte er sich. Außer, es waren Geiseln... aber wenn sie Geiseln waren, warum halfen sie dann den Männern? Und seit wann waren Samurai Kabuki-Schauspieler. Es sei denn, sie spielten nur Samurai... Endlich trugen sie den halb bewusstlosen Mann mit blutigen Bandagen aus dem Wagen. Eine ältere Frau und ein Mann begleiteten sie, und eine jüngere Frau hielt dem Verletzten die Hand. Ein kleines Mädchen rannte hinterher. Nein, das waren wirklich keine Yakuza, und Satoshi fühlte sich plötzlich beschämt, so üble Verdächtigungen angestellt zu haben. Er sah auf den ersten Blick, das die Familie sich zu recht Sorgen machte. „Bitte, folgt mir,” sagte er schnell. „Ihr hattet Recht, nicht zu waren. Bitte, akzeptiert meine Entschuldigung für mein misstrauisches Verhalten. Wir hatten in letzter Zeit viele Probleme mit den Yakuza...“ “Schon vergeben,” sagte Daisuke. “Wir sind einfach nur dankbar, dass sie unserem Sohn helfen können.” Satoshi führte sie in sein Haus und bemerkte zu Daisuke: „Das wird jetzt eine schmutzige Angelegenheit. Vielleicht sollten die Frauen und Kinder draußen bleiben.“ „Gute Idee,“ stimmte Daisuke zu. Er schickte bis auf Ryosuke, Noriko und Ikuko alle nach draußen. Er selbst ging auch mit Orinosuke, um den Dorfältesten zu finden und um Erlaubnis für ihren Nachmittagsauftritt zu fragen. Sotoshi begann, Ennosukes Bein zu untersuchen. Er sah deutlich die Bandagenstücke, die jemand in die tiefe Wunde gedrückt hatte. Das sollte eigentlich das Bluten stoppen, aber es hatte nicht funktioniert. Um zu sehen, woher das Blut kam, spreizte er vorsichtig die Wunde auf und zog die Bandagenstücke heraus. Sofort spritzte ihm Blut entgegen und er hörte auf. Leise fluchend verband er die Wunde wieder. An Ikuko gewand sagte er: „Ihr Sohn hat wirklich Glück, noch am Leben zu sein.“ Er hörte wie Noriko scharf die Luft einsog. „In seinem Bein wurde die Hauptader getroffen, und das heißt, er hätte innerhalb von wenigen Minuten verbluten können. Ihr Mann sagte, es käme von einem Eisenstab. Der hat wahrscheinlich so tief gesessen, das er diese Ader durchstochen hat. Wenn sie nicht diese Bandagenfetzen hineingedrückt hätten...“ „Wäre er verblutet?“ beendete Ryosuke den Satz. Satoshi nickte. „Nicht viele Leute kennen sich mit so tiefen Wunden aus, es sei den Ärzte und vielleicht noch Soldaten. Woher wusstet ihr, wie...?“ „Wir wussten das nicht!“ antwortete Ryosuke. „Aber mit uns reist ein ehemaliger Soldat, als Sicherheitsmann, aber auch der konnte die Blutung nicht stoppen. Dann tauchte plötzlich ein Junge – na ja, also eigentlich kein Junge, aber er sieht so aus – auf und er wusste genau, was zu tun war.“ „Er sagte, er war mal ein Apotheker oder so,“ fügte Noriko hinzu. “Er war auch einmal ein Soldat, da bin ich sicher,” bemerkte Ikuko - sie erinnerte sich an die Narben, die sie an Kenshin heute morgen gesehen hatte. Ryosuke warf ihr einen überraschten Blick zu. „Er? Ein Soldat? Wirklich?” “Glaub mir, Sohn, er war irgendwann mal ein Soldat.” „Was auch immer er war, er hat richtig gehandelt,“ stellte Satoshi fest. „Und er hat gute Arbeit geleistet, den Bruch zu begradigen. Dennoch muss ich mich jetzt um diese Blutader kümmern. Bringt mir heißes Wasser und Bandagen.“ Während sie auf das Wasser warteten, holte der Arzt eine große hölzerne Kiste aus der Ecke des Raumes. Als er sie öffnete, sahen sie verschiedene Kräuter und Arzneimittel darin, wie auch etwas, das wie ein Sammelsurium von Foltergegenständen aussah, darunter eine kleine Säge für Amputationen. „Sie werden ihm nicht sein Bein abschneiden, oder?“ flüsterte Norika, als sie das sah. Ennosuke hörte das und versuchte sich panisch und stöhnend aufzusetzen. Satoshi drückte ihn sanft wieder nach unten. „Keine Angst,“ lachte er leise, “diese Medizinkiste habe ich bei mir, seit ich in den Kreigen der Bakumatsu-Zeit war. Dort habe ich auch den Beruf des Arztes gelernt. Sie enthält alles, was man auf dem Schlachtfeld braucht. Die Säge habe ich zum Glück schon lange nicht mehr benutzen müssen!” Eine kleine Frau mit einem dampfenden Bottich voller Wasser und einem Arm voller Verbände tauchte auf. Sie verbeugte sich schüchtern, redete einige Worte mit Satoshi und begann dann, einige Kräuter zu einem Medizinischen Tee zu zerreiben. Kaum war der Tee gebrüht, flößte Satoshi ihn Ennosuke ein. „Es ist gegen den Schmerz,“ erklärte er. Dann klemmte er ihm ein Stückchen Holz zwischen die Zähne. „Und das gegen die Schmerzen, die du trotzdem haben wirst,“ fügte er entschuldigend hinzu. Dann began er, sein medizinisches Gerät vorzubereiten. Sie beobachteten ihn, wie er ein kleines Messer, eine Nadel und Seidenfäden hervorholte. Er entfernte vorsichtig die blutigen Bandagen aus der Wunde und begann sie zu nähen. Ryosuke reichte es und er verließ leicht grün im Gesicht den Raum. “Ein Sensibelchen wie sein Vater,” kommentierte Ikuko. Ryosuke konnte nicht schnell genug den Raum verlassen. Als er in der frischen Luft stand, atmete er tief durch und setzte sich schwankend auf den Rand eines Zaunes. Seine Frau, eine untersetzte kleine Frau namens Mei, eilte herbei und fühlte seine Stirn. „Bist du krank? Wie geht’s deinem Bruder?“ Ryosuke schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. „Keine Angst, Liebling – du weißt, wie es mir geht, wenn ich Blut sehe.“ Die anderen Familienmitglieder, die sich auch bereits um Ryosuke versammelt hatten, kicherten bei dem Kommentar. Ryosuke wurde leicht rot, verkündete dann aber: „Unser jüngster Bruder wird in Ordnung sein. Der Arzt muss die Wunde nähen und den Bruch noch mal gerade rücken, mehr nicht.“ Während Ryosuke noch drinnen gewesen war, hatten Mayako und Mei bereits eine Brotzeit für die Familie vorbereitet. Sein Sohn Saburo brachte ihm ein Teller kalter Nudeln. Als er ihn nahm, fragte er: „Wo sind Baiko-san und der Rurouni? Jemand könnte ihnen sagen, das unser Patient gesund wird.“ „Ich mach das,” meinte Mayako kalt. „Sie sind beim Wagen.“ Sie ging schnell mit zwei Schüsselchen mit Nudeln zu ihnen. Zu sich selbst murrte sie: „Jetzt müssen wir auch noch hier essen kaufen, mit den Extra-Mäulern, die wir zu stopfen haben. Noch mehr Geld den Gulli runter...“ “Mayako-chan!” rief Mei aus, “Er hat uns doch geholfen!” Mayako warf ihrer Schwieger-Schwester einen verächtlichen Blick zu. „Geholfen, ja. Aber trotzdem, eine Person mehr durchzufüttern kostet Geld!” Sie verließ die anderen und kam zum Wagen, wo Baiko und Kenshin waren. Zu Kenshin sagte sie: „Ich denke, du hast dir diese Mahlzeit verdient – Ryosuke sagt, mein Schwiegerbruder wird wieder gesund werden, was wohl dank deiner Hilfe gestern möglich ist.“ Kenshin verbeugte sich und meinte nur, „Danke, Kawayama-dono.“ Baiko fluchte über diese nervige Frau, kaum hatte sie sie verlassen. Kenshin kicherte nur, als er die Nudeln auf seinen Stäbchen balancierte. „Baiko-san, wenn überhaupt habe ich folgendes auf meinen Wanderungen gelernt: Verweigere niemals eine Mahlzeit, egal wie dich jemand behandelt!“ Wenig später kamen Daisuke und Orinosuke mit der Erlaubnis des Dorfältesten, ihr Stück aufführen zu dürfen, zurück. Daisuke gab Baiko die Liste mit Sachen, die für den Auftritt bereit gemacht werden mussten, dann wartete er zusammen mit dem Rest der Familie im Hof des Arztes. Dieser kam endlich, eine gute Stunde später, aus seinem Behandlungszimmer. “Mein Sohn – gehts ihm gut?” bestürmte ihn sofort Daisuke. Satoshi lächelte. „Ja, er kommt in Ordnung. Mit ein bisschen Ruhe und ein Paar Wochen Zeit, heilt das Bein und er ist wieder so gut wie neu!” „Wie lange?“ fragte sofort Orinosuke. „Nun,“ meinte Satoshi nachdenklich, „Er wird zumindest einen Tag lang noch hier liegen bleiben müssen, damit die Naht heilt. Ansonsten, ich würde meinen, vor dem Ablauf von sechs Wochen sollte er nicht länger wie ein paar Minuten auf den Beinen sein. Bis dahin sind sie bestimmt wieder in Kagoshima.“ „Sechs Wochen!“ wiederholte Orinosuke. „Wie der Rurouni uns gesagt hat,“ stellte Ryosuke fest. „Gut, das wir ihn als Rollenersatz haben, nicht?“ „Dank diesem Rurouni ist ihr Bruder überhaupt am Leben!“ bemerkte Satoshi. „Wenn er nicht diese Wunde so behandelt hätte, wäre euer Bruder verblutet. Ich würde ihn gerne treffen, wo kann ich ihn finden?“ „Himura-san?“ sagte Daisuke. “Er ist hinten beim Wagen – es ist der kleine mit den roten Haaren.” Den roten Haaren. Ja, Satoshi hatte diesen Typen gesehen, als der Wagen im Dorf angekommen war. Irgendwas klingelte bei ihm beim Anblick von diesen Haaren, aber er konnte noch nicht ganz herausfinden, was. Er ging aus dem Hof zum Wagen, sah aber dort nur den anderen stämmigen Soldat, der gerade Kisten herumtrug. „Entschuldigen sie,“ fragte er Baiko, „Wo finde ich Himura-san?“ „Das ist der da drüben,“ sagte Baiko, mit dem Finger hinter den Wagen weisend, wo Kenshin gerade mit einer weiteren Kiste auftauchte. „Oi, Himura-san, der Arzt will dich sprechen!“ Kenshin setzte geschwind die Kiste ab und verbeugte sich. „Du siehst zwar verdammt jung aus,“ begann Satoshi, „aber du hast Erfahrung als Arzt? Ich war beeindruckt, als ich den Verband um die Wunde gesehen habe. Nicht viele Laien wissen, wie man eine blutende Aterie behandelt. Und wie du den Knochen gerichtet hast – ich hätte es nicht besser machen können.“ Erfahrung? Kenshin wusste nicht, wie er das beantworten sollte. Nein, keine Erfahrung als Arzt. Aber Erfahrung mit solchen Verletzungen. Leider ja. „Sessha... hat zugeschaut,” antwortete er endlich, nicht erwähnend, dass dieses Zuschauen oftmals ihm selbst galt, als er verwundet war und behandelt wurde. „Nun, du könntest ja mal drüber nachdenken, Arzt zu werden. Du hast offensichtlich Talent!“ Kenshin lächelte in sich hinein bei dem Gedanken, dass ein ehemaliger Auftragskiller Leute verarztet anstatt sie zu töten, aber dann wurde er wieder ernst, als er sah, dass ihn Satoshi so seltsam beäugte. Er fühlte keine feindselige Stimmung, aber irgendwas anderes, was ihm nicht gefiel. “Ist irgendwas?” fragte er schließlich. Satoshi schüttelte heftig den Kopf. „Weißt du. Ich könnte schwören, dich von irgendwoher zu kennen. Haben wir uns schon mal getroffen?“ Kenshin versteifte sich. „Nein, ich denke nicht,“ sagte er wahrheitsgemäß. Es passierte schon wieder – jemand erkannte ihn. Allerdings war er sich hier nicht so sicher. Er war gesegnet – oder verflucht – mit einem photographischen Gedächtnis, das ihm erlaubte, sich an alle Gesichter von Menschen, die er schon mal getroffen hatte, zu erinnern. Aber dieser Mann gehörte nicht dazu. “Warst du jemals bei der Kiheitai?” fragte Satoshi. „Kiheitai?” Kenshin war wirklich überrascht. Keiner, nicht seit seinen drei Jahren Wanderschaft, hatte ihn so etwas gefragt! „JA, das ist es, das ists!” rief Satoshi. „Jetzt weiß ich es wieder. Daher kenn ich dich. Oder jemanden, der so aussieht wie du. Ich war bei der Kiheitai – dort hab ich Arzt gelernt – und nach ein paar Wochen hat mir mein Meister dort mal einen kleinen Jungen gezeigt. Er war wirklich klein, mit roten Haaren und einem Schwert fast so groß wie er selbst. Er war kaum eine Woche da, als er schon mit irgendeinem großen Ishin Shishi-Typ nach Kyoto ging, um sein Kammerdiener zu werden oder so was. Lustig ist, dass man sich später erzählte, das genau dieses kleine Kind es war, was zum berüchtigten Hitokiri Battousai wurde... aber ich glaub das nicht. Jeder weiß doch, das Hitokiri Battousai riesig groß ist, und dieses Kind war so klein... Außerdem war er damals wohl um die 13 oder 14 Jahre alt, auch wenn er jünger aussah. Das würde ihn heute so an die 22 Jahre alt machen. Und du bist.. na ja, 16, oder so? Nein, er wäre viel älter als du, da bin ich sicher.“ Baiko war während Satoshis Monolog an Kenshins Seite getreten und sah, wie sich sein Gesicht zu einer grimmigen Maske versteinerte. Ehe noch mehr gesagt werden konnte, unterbrach er Satoshi. „Sie waren bei der Kiheitai? Aah, interessant. Was macht denn jemand aus Satsuma in Choshu?“ Kenshin warf Baiko einen dankbaren Seitenblick zu und nutzte die Chance zur Flucht. „Was ich?“ sagte Satoshi. „Ich bin geflüchtet, weil hier Samurai herrschten und uns das Leben zur Hölle machten. Kaum hatte ich von Takasugi Shinsaku und der Kiheitai gehört, die jeden, der gegen das Shogunat war, trainierten, bin ich nach Choshu gewandert. Ist ja nicht so weit weg, per Boot. Leider hat sich herausgestellt, das ich kein begabter Schwertkämpfer war, aber ich hatte Talent als Arzt. Oh, wo ist euer Freund denn hin?“ Baiko schaute sich müßig um. „Wohl Weg. Und, konntet ihr diese höllischen Samurai schließlich vertreiben?“ „Nein, das hat die Regierung geregelt,“ antwortete Satoshi leise, als hätte er Angst, gehört zu werden. „Sie wurden von einem mächtigeren Ishin Shishi Anhänger vertrieben. Aber zwei Söhne sind noch da. Sie sind es, die jetzt hier mit ihren Leuten die Gegend unsicher machen. Sie wollen ihr Land zurück und uns wieder das Geld aus der Tasche ziehen. Sie terrorisieren das ganze Gebiet bis runter nach Miyazaki.“ „Genau da wollen wir hin,“ meinte Baiko beunruhigt. „Tja, vor einer Woche waren sie noch in dieser Gegend. Wir hörten, sie töteten einige Wanderer, nur um ihnen das Essen zu stehlen. Also wäre ich an eurer Stelle sehr vorsichtig!“ „Danke für die Warnung.“ Baiko sah, wie Satoshi wieder in sein Haus zurück ging. Dann suchte er nach Kenshin, den er schließlich mit geballten Fäusten hinter dem Wagen sitzend fand. “Ich war nicht so klein,” murmelte er, als er Baikos Anwesenheit spürte, „und das Schwert hat mir gut gestanden.“ Baiko schluckte sein Gelächter hinunter. Nur daran zu denken, Hitokiri Battousai als Kind mit einem Schwert, das viel zu groß für ihn war, zu sehen, ließ ihn fast vor Lachen platzen. Aber Kenshin war offensichtlich nicht sehr gut gelaunt. Es folgten einige unangenehme Minuten des Schweigens. Dann stand Kenshin auf und begann wieder, die Kisten, die Daisuke für die Aufführung wollte, aus dem Wagen zu holen. „So.” Baiko half ihm beim Tragen. „Dann hatte der Arzt also Recht. Er kennt dich von der Kiheitai.“ Wieder Schweigen. Baiko dachte schon, dass Kenshin seine Frage überhaupt nicht beantworten würde, bis er plötzlich sagte: „Ich war bei der Kiheitai, vielleicht eine Woche, oder zwei. Ich glaube nicht, das mir Satoshi-san begegnet ist, auch wenn er mich gesehen haben könnte.“ Er wurde still. Dann, mit leiser, weicher Stimme fuhr er fort. „Ich war jung, nicht viel älter wie Bunjiro – jung und idealistisch.“ Ruhig drehte er sich zu Baiko um, dem es kalt den Rücken herunter lief, als er Kenshins farblose, matte Augen sah. „Während des Bakumatsu,“ sagte er mit tonloser Stimme, „gab es keinen Platz für Jugendliche mit Idealen.“ Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu, und Baiko war sich sicher, dass das Gespräch jetzt wohl beendet war. Er wunderte sich, was einen so berühmten Patrioten wohl so verbittert hatte. Japanische Begriffe Onnagata: Die weibliche Rolle, die ein Mann im Kabuki-Theater spielt Bakumatsu: Japanischer Bürgerkrieg. Geta: Holzsandalen mit Absätzen. Sessha: ‘Dieser unwürdige’ Kata: Die vorgeschriebenen Bewegungen während des Schwerttrainings Yakuzas: Gängsterbande Kenjutsu: Die Kunst des Schwertkampfes Ki: Geist, Aura Ishin Shishi: Während der Bakumatsu-Zeit die Fraktion gegen das Shogunat, die Patrioten Onna-dono: wörtlich “Frau Dame.” Gomen nasai: Tut mir sehr leid Kiheitai: die Privatarmee, die sich Choshu während der Revolution schuf, ins Leben gerufen von Takasugi Shinsaku. Bestand vor allem aus Bauern, Handwerkern oder Kaufleuten, weniger aus Samurai. Bakufu: Militärregierung des Schogunats Anmerkungen: Ich fand dieses Kapitel seeehr langatmig zu übersetzten, auch wenn es viele schöne Stellen hat (Kenshins Umziehszene mit Ikuko oder am Schluss das Gespräch mit Baiko…) Allerdings lässt sich die Autorin dieser FF oftmals von endlos langen Szenenbeschreibungen davontragen – deswegen habe ich einige Stellen mal frecherweise gekürzt. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Kenshin bekommt seinen ersten Schauspielunterricht als Onnagata, aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los. Kapitel 3 “Sie haben Talent, nicht?” Ikuko saß zusammen mit Kenshin im Hof des Doktors und sie schauten den Kindern und Erwachsenen zu, wie sie Akrobatische Kunststücke übten. Ikuko war sichtlich stolz auf ihre Familie. Die Frauen hatten gerade eben ihre Probe beendet – sie spielten Instrumente, um die Aufführung musikalisch zu begleiten – und schauten jetzt den Männern beim Saltoschlagen, Händelaufen und Jonglieren zu. „Keiner in der Welt des Kabuki übertrifft meinen Mann und unsere Söhne an Gelenkigkeit,“ bemerkte Ikuko schwärmerisch. „Vielleicht könnten sie dir auch ein paar Kunststücke beibringen?“ Kenshin schmunzelte. Wenn sie wüsste, dachte er. Vieles, was die Männer da gerade machten, war auch Teil einiger Hiten Mitsurugi Techniken. Er fragte sich nebenbei, ob nicht vielleicht der erste Meister der Hiten Mitsurugi Schule, Hiko Seijuro der Erste, einmal ein Akrobat gewesen war. Oder vielleicht sein Meister, Hiko der Dreizehnte. Hiko hatte mit ihm natürlich nie über seine Vergangenheit geredet – er hatte behauptet, das er bereits erwachsen und perfekt auf die Welt gekommen sei. Die Männer der Daisuke-Familie sprangen vielleicht nicht so hoch oder so weit wie Hiko oder Kenshin, aber das mussten sie auch nicht. Ihre Aufgabe war es, das Publikum in Staunen zu versetzen; Wer den Hiten Mitsurugi Stil lernte, dessen Aufgabe war es, lebend einen Schwertkampf zu überstehen. Dennoch, während er all diesen doch recht kleinen, normal gebauten Menschen zusah, wie sie durch die Luft sprangen, erinnerte er sich, wie beeindruckend Hiko gewesen war, ein Berg von einem Mann – er war weiter und höher als sie alle gesprungen und trotzdem leichtfüßig wie eine Katze. Die Kinder, die auch trainierten, erinnerten Kenshin daran, wie verschieden doch seine eigene Kindheit gewesen war. Der fünf Jahre alte Sohn von Ryosuke, Oda, versuchte sich gerade am Handstand. Kenshin erinnerte sich, wie er selbst fünf gewesen war. Er hatte damals noch eine Familie und lernte keine Akrobatik, sondern wie man ein Feld zu bestellen hatte. Ryosuke’s anderer Sohn, Saburo, war bereits sieben und konnte schon auf den Händen laufen. Kenshin hatte in diesem Alter bereits seine Famile verloren und er war ein Sklave gewesen, hatte gerade so das Gemetzel der Banditen, die seine Gruppe angegriffen hatten, überlebt. Zu dem Zeitpunkt, an dem er so alt wie Ryosuke’s ältester Sohn Byako, also neun, gewesen war, hatte er schon sein Training bei Hiko begonnen. Und als er schließlich wenig älter war wie Orinosuke’s zwölfjähriger Junge Bunjiro, hatte er... Kenshin drückte seine Augen zu, als ob das seinen Gedankenstrom aufhalten könnte. Welchen Sinn hatte es, sich zu erinnern? Zu der Zeit, als er wenig älter wie Bunjiro gewesen war, war er bereits ein Mörder. Er war ein dummer Teenager gewesen, überzeugt, die Welt mit einem Schwertstreich ändern zu können. Ein Fehler, der ihn für immer verfolgen würde. Selbst hier, so weit weg von Kyoto und den Schrecken der Bakumatsu-Zeit, hatte ihn schon jemand erkannt und ein Zweiter war kurz davor gewesen. Alles, was er mit seinem noch übrig gebliebenen Leben anfangen wollte, war Wiedergutmachung zu leisten, die Erinnerung an Hitokiri Battousai zu begraben – aber sobald die Menschen herausfanden, wer er gewesen war, konnten sie ihn nie mehr als einen normalen Menschen ansehen. So in Gedanken hörte er plötzlich Bunjiro schreien. „Byako, NICHT!“. Sein Kopf schoss hoch und er sah gerade noch Byako, wie er sich selbst von einer Mauer stürzte, um einen Doppelten Salto zu versuchen. Innerhalb einer hundertstel Sekunde erkannte Kenshin, dass der Junge zu wenig Schwung dafür hatte und sicherlich auf den Kopf oder den Hals fallen würde. Ohne nachzudenken schoss er quer über den Hof und fing den Jungen im Flug. Auf dem Rücken liegend, mit dem Jungen auf ihm, schlitterte er einige Meter über den Boden, bevor sie zum liegen kamen. Als er aufsah, kam bereits Bunjiro angerannt. Byako starrte Kenshin panisch an, als ihm bewusst wurde, dass er sich eben fast den Hals gebrochen hätte. Orinosuke kam nur Sekunden später und sah Kenshin mit seinem Sohn auf dem Bauch, der weinte. „Was machst du mit einem Jungen, zur Hölle!“ brüllte er und rannte auf sie zu. „Nimm deine Hände von ihm!“ Er packte Byako grob am Arm und zog ihn mit sich. „Vater! Hör auf!“ rief Bunjiro aus. „Byako hat versucht, einen Doppelten Salto die Mauer herunter zu machen. Er hätte sich fast das Genick gebrochen, wenn ihn Kenshin-san nicht...“ „...ihn nicht was – lüsternd umarmt hätte?“ Kenshin kam langsam wieder auf die Beine und war bereits umringt von Daisuke, Orinosuke und Ryosuke. „Orinosuke“ begann er, „es ist die Wahrheit...“ Orinosuke packte Kenshin am Kragen. „Wenn ich dich jemals wieder dabei erwischen sollte, wie du meinen Sohn begrapscht...“ Jetzt kam auch Baiko mit gezogenem Schwert in den Innenhof gerannt. „Wer wird angegriffen?“ schrie er, doch dann sah er, wie Orinosuke Kenshin gepackt hielt und Kenshin sich nicht wehrte. „Was zur Hölle ist denn hier los?“ “Baiko-san, tu dein Schwert weg. Keiner wird hier angegriffen – außer der Rurouni hier.“ Meinte Daisuke spitz. Orinosuke funkelte ihn an, ließ aber Kenshin mit Blick auf Baikos Schwert los. „Ich würde auch gerne wissen, was hier los ist,“ sagte er mit drohender Stimme. „Ich erzähl es euch!“ sagte Ikuko. Sie war wütend auf ihren aufbrausenden Sohn und stellte sich zwischen ihn und Kenshin. „Byako weiß, dass er noch keine Saltos kann, aber er wollte es trotzdem versuchen, als Bunjiro nicht aufpasste. Himura-san und ich saßen da drüben und haben Bunjiro schreien gehört. Ehe ich reagieren konnte, war Himura-san schon bei ihnen und hatte Byako aufgefangen. Er hat einen schlimmen Unfall verhindert!“ Orinosuke schaute quer über den Hof. „Niemand kann so schnell von der einen Ecke zur anderen rennen,“ schnauzte er sie an. “Vielleicht, aber er hat es getan.” Wiedersprach Ikuko gereizt. „In der Tat wäre dein Junge jetzt nicht mehr so lebendig, wenn dieser Mann nicht das getan hätte, wovon du behauptest, das es kein Mann tun kann. Du bist ihm eine Entschuldigung schuldig!“ Kenshin hörte stumm diesem Familienstreit zu, in den er sich nicht einmischen wollte. Er spürte an Orinosuke’s Ki, wie ernorm wütend er war und das würde auch keine Entschuldigen ändern. “Ikuko-dono,” sprach Kenshin sanft, “sie brauchen das nicht zu tun. Der Junge ist sicher, das ist alles, was zählt.” Oriosuke hatte sichtlich damit zu tun, seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Er sah zu Byako, der nun in den Armen seiner Mutter lag, dann zu Bunjiro, der verängstigt war. Schließlich biss er seine Zähne zusammen und verbeugte sich steif vor Kenshin. „Ich nehme die Hilfe, die du meinem Sohn geleistet hast, zur Kenntnis.“ Er spuckte die Worte förmlich aus und stapfte dann davon. Nun, da die Situation aufgeklärt schien, half Daisuke Kenshin aufzustehen. Er war überrascht, wie fest der junge Mann seinen Griff erwiderte und wie viel Stärke er ausstrahlte. Für jemanden, der so schmächtig aussah, war diese Kraft unerwartet. Er beobachtete, wie Kenshin sich den Staub von der Kleidung klopfte und fragte sich, was er wohl noch alles über diesen jungen Mann lernen würde. “Wir haben jetzt keine Zeit für Zänkereien.” Meinte Daisuke erschöpft zu seiner Familie. „Wir müssen in weniger als einer Stunde auftreten. Byako, du wirst heute nicht dabei sein – du hilfst deiner Tante Mei beim Kinder aufpassen.“ Byako wollte schon protestieren, aber der Blick Daisukes ließ ihn verstummen. „Und du, junger Mann,” sagte er an Kenshin, der immer noch voller Staub war, gewandt, „Du willst dich sicher umziehen und sauber machen.“ Danach ging er zu Orinosuke, der etwas entfernt mit verschränkten Armen stand und immer noch vor sich hin brütete. „Was ist bloß in dich gefahren, ältester Sohn?“ fragte er betroffen. Orinosuke funkelte seinen Vater an. “Du willst es nicht einsehen, oder?“ meinte er besserwisserisch. „Dieser Typ, mit dem stimmt irgendwas nicht. Ich vertraue ihm nicht.“ Daisuke beobachtete, wie Kenshin den Hof gerade verließ. Er konnte immer noch den überraschend kraftvollen Händedruck von ihm spüren. “Ich weiß, was du meinst – irgendwas stimmt nicht so ganz mit ihm. Aber ohne konkrete Beweise können wir ihn nur nach seinen Handlungen beurteilen, die alle sehr ehrenvoll waren – das musst selbst du zugeben. Meine Intuition sagt mir, das er ein friedvolles Herz hat und das er keine Gefahr für uns ist. Orinosuke schnaufte verächtlich. “Friedvoll – das denkst du? Ich denke, er versteckt etwas vor uns...“ „Jeder hat seine Geheimnisse.” Entgegnete Daisuke. “Auch du.” “Was zur Hölle soll das nun wieder bedeuten?” “Du weißt genau, was ich meine. Der Grund warum du so gereizt bist. Aber ich sag es dir noch einmal – wir gehen nicht zurück nach Kyoto und dabei bleibt es!“ Daisuke machte kehrt und ließ den wütenden Orinosuke stehen. In Wahrheit jedoch wusste er, das Orinosuke irgendwie recht hatte. Dieser Wanderer verbarg ein Geheimnis und dieser kraftvolle Händedruck gerade eben hatte sein Gehirn in Schwung gebracht. Er selbst hatte sich immer für jemanden gehalten, der andere gut einschätzen konnte – und er war sich sicher, das dieser junge Mann genau das war, was er schien: ein netter Typ, der vielleicht eine Tragödie miterlebt hatte oder seine Familie im Bürgerkrieg verloren hatte. Aber ein gefährlicher Typ? Nein, er hatte nicht das Gefühl, das er gefährlich war. Aber irgendwas war trotzdem seltsam... Aber als Orinosuke ihn am Kragen gepackt hatte, hat er keinerlei wiederstand geleistet. Also, dieser Mann war friedlich und keine Gefahr. Immerhin, es würde interessant werden, ihn als Schauspieler zu sehen, denn er wusste, das beim Schauspielern oftmals verborgene Geheimnisse den Weg ans Licht fanden. Um drei Uhr stand der Wagen auf dem Dorfplatz, geschmückt mit farbenprächtigen Plakaten und Girlanden. Da es eine Freiluft-Aufführung war, kostete es keinen Eintritt, aber Baiko saß am Eingang und bewachte eine kleine Spendenbox. Kenshin jedoch blieb im Wagen. Sein brauner Gi hatte nach dem Vorfall mit Byako nun mehrere neue Löcher und musste dringend genäht werden. Wenn Ikuko schon über seinen braunen Gi den Kopf geschüttelt hatte, was würde sie über den Ersatz-Gi denken, den er jetzt anhatte? Ryosuke’s Frau Mei war nun dran, die Kinder zu hüten, und er saß neben ihr, halb beim Nähen, halb beim Zuschauen, wie die Männer ihre akrobatischen Stunts vorführten. Mei bemerkte, wie er seinen Gi flickte und meinte „Du bist sehr begabt mit Nadel und Faden.“ Kenshin antwortete freundlich. „Ein Rurouni muss nunmal alles selber machen, nicht?“ „Das nehme ich an, aber es tut uns allen Leid, das deine Kleidung kaputt gegangen ist.“ „Die Sicherheit des Jungen war wohl um einiges wichtiger, wie mein alter Gi.“ Bemerkte Kenshin während er untersuchend seinen Finger durch eines der neuen Löcher steckte. Er sah im Augenwinkel Byako, der in der Ecke schmollte. Er erinnerte sich, das er in dem Alter auch oft geschmollt hatte, vor allem, nachdem Hiko ihn geärgert hatte. Mei seufzte tief. Mit ernstem Gesicht wandte sie sich an Kenshin. „Orinosuke ist zur Zeit sehr unglücklich. Und das hat er an dir ausgelassen.“ Überrascht schaute Kenshin auf. Er wusste zwar, das Orinosuke nicht glücklich war – seine Ki voller Unzufriedenheit sprang ihm förmlich ins Gesicht – aber das Mei so offen mit ihm sprach, war unerwartet. Er war es nicht gewohnt, das man ihn in Vertrauliches einbezog und er wusste auch nicht, wie er reagieren sollte. Mei bemerkte seine Verschämtheit. „Bitte, verzeih mir, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen!“ entschuldigte sie sich. „Aber du solltest wissen, das unsere Familie sehr glücklich ist, dass du mit uns reist, wenn es auch einige nicht zeigen können.“ Der Auftritt war nun vorbei und die Familie freute sich über die mehr als zahlreichen Spenden. Es blieb noch genug für die Einkäufe übrig und sogar für das Sparschwein der Familie. Sie kauften also frisches Essen im Dorf ein und kehrten dann zum Wagen zurück, um einen ruhigen Lagerplatz für die Nacht zu finden. Keine fünfzehn Minuten vom Dorf entfernt fanden sie eine kleine Lichtung, nicht zu weit weg vom Doktor, wo Ennosuke die Nacht verbringen würde. Das Abendessen war üppig, mit Früchten und Gemüse und sogar Fisch. Die Spannung vom Nachmittag hatte sich gelöst – nur Orinosuke schien noch nicht besänftigt. Bald war es Zeit für die Kinder, ins Bett zu gehen und Kenshin leistete Baiko beim letzten Rundgang ums Lager Gesellschaft, bevor sie ihre Betten in der Nähe der Pferde aufschlugen. Als sie gerade an Daisukes Zelt vorbeigingen, rief es: „Himura-san! Morgen beginnt deine Arbeit!“ Kenshin nickte bestätigend aber fühlte die Furcht wie einen Stich im Magen. Er hatte keine Ahnung vom Schauspielern und sicherlich keine Ahnung vom Frau-sein. Wiedereinmal fragte er sich, was ihn geritten hatte, dem aberwitzigen Plan zuzustimmen. Immerhin erinnerte ihn sein gut gefüllter Bauch an einen Grund. Also, wenn er den Krieg überlebt hatte, dann könnte er das doch auch überstehen, dachte er sich. Als sie ihre Betten aufschlugen, meinte Baiko: „Ich denke, ich halte heute Nacht lieber Wache. Nach dem was der Arzt gesagt hat, wegen den Yakuza in der Gegend. Du kannst ruhig schlafen.“ „Wir können uns die Nacht auch aufteilen,“ schlug Kenshin vor. Baiko überlegte kurz, beschloss aber dann, Kenshin zu vertrauen. “Ok.” Entschied er sich. „Du übernimmst die erste Wache, ich löse dich dann irgendwann um Mitternacht ab.“ Mit diesem Entschluss wollten sie gerade ihre Betten aufrollen, als Mayako, Mei und Noriko kamen. Mayako hielt einen grünen Gi in ihren Armen. „Himura-san,“ begann sie etwas drucksend, „Meine Schwieger-Schwestern und ich sind übereingekommen, dass es eine Schande war, dass deine Kleidung kaputt gegangen ist, als du meinem Sohn geholfen hast.“ Himura-san? Warum auf einmal so freundlich? „Wir würden uns geehrt fühlen, wenn du diesen Gi als Ersatz annimmst.“ Kenshin sah an sich herab. Den Ersatz-Gi, den er anhatte, war von einem häßlichen Gelb und verlieh ihm ein kränkliches, gelbsüchtiges Aussehen. Aber er fühlte sich nicht wohl, dieses Geschenk anzunehmen. „Er gehörte meinem Mann, also müsste er dir passen.“ Sagte Ennosuke’s Frau Noriko. „Bitte, nimm ihn!“ Mayako nickte. „Das ist unsere Art, Danke zu sagen.“ Schließlich nahm Kenshin etwas schüchtern den Gi. „Sessha ist sehr dankbar, Kawayama-dono.“ „Nenn mich Mayako.“ Dann, nach einer Reihe formaler Verbeugungen, gingen die Frauen wieder in Richtung Wagen. „Ein Tag voller Überraschungen.“ Stellte Baiko fest. „Die alte Eis-frau ist anscheinend aufgetaut.“ Kenshin beäugte den neuen Gi noch etwas ungläubig. „Anscheinend...“ Er verstaute den Gi in seiner Wandertasche. Morgen könnte er ihn gleich anziehen. Dann nahm er seinen Wachposten ein. Dieser Tag war wirklich voller Überraschungen gewesen, nicht die geringste davon Mayakos Verwandlung. Aber er wusste er nicht so ganz, was er davon halten sollte. Er glaubte, dass die Frau die gleiche Einstellung wie ihr Mann Orinosuke hatte – deswegen war er über ihr kaltes und argwöhnisches Verhalten nicht überrascht gewesen. Aber kaum ging es um ihren Sohn Byako, war sie – im Gegensatz zu ihrem Mann Orinosuke – aufgetaut und zeigte Herz. Also Familienangelegenheiten waren wirklich nicht sein Ding. Im Laufe der Nacht fand er sich schließlich zu müde, um aus all dem noch schlau zu werden und er fiel erleichtert ins Bett, als Baiko endlich die zweite Wache übernahm. Natürlich war der Schlaf für Kenshin nur eine Angelegenheit, die man so schnell wie möglich hinter sich bringen sollte. Manchmal, wenn er Glück hatte, schlief er still – ab und an erinnerte er sich sogar an einen schönen Traum. Meistens jedoch, wenn nicht immer, quälten ihn im Schlaf die Albträume. Deswegen hoffte er jedes Mal, wenn er die Augen nachts schloss, das es eine von den guten Nächten werden würde. Und auch heute schien es zuerst so zu sein. Als er langsam in den Schlaf glitt, dachte er an das morgendliche Gespräch mit Noriko und den Kindern. Im Traum hörte er dann die Geräusche von spielenden Kindern. Er schaute sich um und sah, das er in Otsu war, in ihrem kleinen Bauernhaus, das er mit Tomoe geteilt hatte. Sie war draußen auf der Wiese, mit einem kleinen Lächeln im Gesicht und spielte mit den glücklichen Kindern. Er ging auf sie zu und legte ihr den Arm sanft um die Hüfte, fühlte, wie sie sich an ihn schmiegte. Dann erkannte er, dass die spielenden Kinder nicht nur irgendwelche Kinder, sondern seine eigenen Kinder waren. Und er fühlte sich glücklich. Er war jetzt ein Bauer, kein Soldat. Nachdem er Tomoe einen Schmatzer auf die Backe drückte, ging er zur Scheune, um den Vorrat an Gemüse zu überprüfen. Kaum ging er auf die Scheune zu, verwandelten sich das dort liegende Obst von frisch und knackig in verdorrt und stinkend. Die Rüben und Blätter wurden plötzlich knochige Hände, die zu seinem Schrecken alle nach ihm griffen und ihn zu Boden rissen. Er versuchte, sich von dem Gemüse in Handform zu befreien und als er danach griff, griff er plötzlich eine echte, blutende Hand. Er schrie nach Tomoe, aber als sie am Einfang der Scheune auftauchte, war auch sie blutig. Er schreckte hoch, fand sich selbst nicht in Otsu sondern auf seiner Bettrolle und kalter Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Sein Herz klopfte wild und er schaute sich panisch um, um zu sehen, ob er geschrien hatte. Anscheinend und das beruhigte ihn etwas, war das nicht der Fall gewesen, denn alle schliefen friedlich und Baiko saß ruhig da und hielt Wache. Er setzte sich auf, den Kopf zwischen seinen Händen. Was für ein Recht hatte er, zu denken, dass er jemals eine Familie haben könnte? Was für ein Recht hatte er, zu denken, dass er jemals solchen Frieden und solches Glück erleben durfte? Nein, alles führte zu einem Punkt zurück – er war ein Mörder, ein Attentäter, er hatte zu viele Leben genommen. Es hatte keine Bedeutung, ob seine Morde gerechtfertigt waren oder nicht. Sie ließen sich nicht mehr rückgängig machen. Was war das noch mit Ikuko, die sagte, sie werde ihm beibringen, den Leuten Glück und Freude zu bringen anstelle von Leiden und Tod? Es war nichts weiter als ein schlechter Witz, ein weiterer grausamer Scherz, den sich die Götter mit ihm erlaubten. Schon als er noch ein Attentäter war, hatten die Götter ihren Spaß mit ihm. Sie versprachen ihm Hoffnung, nur um sie danach zu zerschmettern. Jetzt wieder. Aber er spürte, das er sich die Hoffnung nicht nehmen lassen wollte. Nein, er wollte wirklich von Ikuko lernen. Bitte, flehte er zu den Göttern, erlaubt mir, von Ikuko zu lernen! Baiko erwachte auf einen Schlag, als die Sonne bereits aufging. Wie konnte er nur eingeschlafen sein, wo er doch die Wachpflicht hatte! Naja, überlegte er, wenn Yakuza gekommen wären, hätte er sie wahrscheinlich gehört. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und drehte sich um, in Erwartung, Kenshin noch schlafend vorzufinden. Baiko schlief nicht fest und er war sich sicher, dass er Kenshin gehört hätte, wenn er aufgestanden wäre – doch umso überraschter war er, ein leeres Bett und weit und breit keinen Kenshin vorzufinden. Vielleicht hatte er Geschäft zu erledigen, wie gestern Morgen, aber es gefiel ihm trotzdem nicht, dass Kenshin so einfach verschwunden war und er nichts davon bemerkt hatte. Heutzutage konnte man nicht vorsichtig genug sein und trotz seinem milden Verhalten war Kenshin immer noch der berüchtigte Hitokiri Battousai. Schnell vergewisserte er sich, dass alle seine Habseligkeiten und die der Familie noch an ihrem Platz waren. Immerhin, nach dem hässlichen Zusammenstoß gestern, zwischen Kenshin und Orinosuke und dann noch die ganzen Gewinne, die die Familie mit ihrem Auftritt gemacht hatte ... doch alles war noch da. Warum hatte er sich also heimlich davongeschlichen? Er entschloss sich, nicht auf die Rückkehr des Vagabunden zu warten. Statt dessen ging er zu dem kleinen Bächlein, was nahe vorbei floss. Vielleicht hatte Kenshin ja Lust auf ein Bad bekommen? Kaum stand er am Ufer, da hörte er es – die unverwechselbaren Geräusche eines Schwertes, das durch die Luft saust. Er konnte zwischen den Bäumen kurz ein silbernes Aufblitzen in der Sonne sehen und er folgte diesem Blitzen und den Geräuschen vorsichtig. Langsam kroch er näher an die Lichtung, aus der die Geräusche zu kommen schienen, heran. Er erwartete dort, einige Yakuza zu finden, von denen ihm die Dorfleute erzählt hatten. Aber als er näher kam sah er, dass es nur eine einzelne Gestalt war, mit fliegenden roten Haaren. Er kroch noch näher und hielt den Atem an. Es war Kenshin – nein, der Battousai, korrigierte er sich – der hier die atemberaubendsten Schwertübungen machte, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Diese unglaubliche Gewandtheit der Bewegungen, die Geschwindigkeit des Schwertes, die kaum fassbare Höhe seiner Sprünge – noch nie hatte er dergleichen gesehen. Kein Wunder, dass Kenshin dieses Talent vor anderen verbergen wollte. Baiko war wie hypnotisiert. Er verlor jegliches Zeitgefühl, während er im hohen Graß verborgen saß und dieser Vorführung an Schwertkunst beiwohnte, die jeglichen Gesetzen der Schnelligkeit und Schwerkraft zu trotzen schien. Schließlich war Kenshin bei den letzten Kata angelangt, die seinen Puls senken und die Muskeln entspannen sollten. Baiko sah, wie Kenshin leicht in seine Richtung nickte, als Zeichen, das er seine Anwesenheit bemerkt hatte. Verdammt, grübelte Baiko, woher weiß er, dass ich da bin? Es bestand also kein Grund mehr zum Verstecken und Baiko stand auf und ging zu Kenshin, der gerade sein Schwert wieder in die Scheide steckte. “Ein bisschen früh für Sport, oder?” sagte Baiko. Er versuchte, sich seine Beindruckung nicht anmerken zu lassen. Kenshin zuckte mit den Schultern. „Ich konnte nicht schlafen.“ Antwortete er. „Egal, ich glaub ich brauchte das, nach dem ich gestern in Frauenkleidern herumlaufen musste.“ „Das hat dich belastet, oder nicht?“ stellte Baiko fest, während sie zusammen zurück zum Lager gingen. „Es war ein seltsames Gefühl, ja.“ Sagte Kenshin mit leichtem Lächeln. Baiko fand das gedankliche Bild von Kenshin in Frauenkleidern verstörend, jetzt, nachdem er gerade Zeuge von seiner unglaublichen Schwertkunst geworden war. Was war dieser Mann? Mit einer Begabung wie dieser könnte er mit dem Schwert alleine ein Vermögen machen – wenn nicht als Soldat, dann doch auf alle Fälle als Kenjutsu-Lehrer. Die Leute würden ihm die Bude einrennen, ob Meiji-Zeit hin oder her. Aber, dieser Mann war ein verarmter Wanderer, der sich für eine warme Mahlzeit Frauenkleider anziehen ließ. Das machte alles irgendwie keinen Sinn! „Sooo... das war also der legendäre Hiten Mitsurugi-Stil?“ fragte Baiko mit der Hoffnung auf eine Erklärung. „Ja.“ Kenshin war offensichtlich nicht der Typ für viele Worte. „Ich wusste nicht, das ein Mensch sich so schnell bewegen kann.“ Stellte Baiko fest. „Mein Meister war schneller.“ Meinte Kenshin sachlich. Schneller? „Aber... das ist doch… nicht möglich,” stotterte Baiko. Kenshin antwortete nicht, aber ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Nun, ich bin auf jeden Fall froh, niemals vor der Spitze dieses Schwertes gestanden zu haben...“ murmelte Baiko. „Ich auch.“ antwortete Kenshin. Am Lager angekommen fütterten sie erst die Pferde, die schon ungeduldig schnaubten und gingen dann mit Wassereimern bewaffnet zurück zu dem Bach. Baiko grübelte immer noch über das gerade Gesehene nach. „Du musst aber lange Kenjutsu gelernt haben, um so gut zu sein.“ Bemerkte er. „Sessha hat sehr jung angefangen, ja.“ „Ich hab erst ab meinem 18. Lebensjahr Schwertunterricht bekommen.“ erzählte Baiko. „In der Satsuma-Armee.“ Kenshin betrachtete Baiko. Er wusste sein Alter nicht, aber er schätzte ihn auf einige Jahre älter wie sich selbst. Das bedeutete, das auch er in der Bakumatsu-Zeit gekämpft hatte. “Warst du vor Beginn der Boshin-Krieges schon in der Satsuma-Armee?” fragte Kenshin. „Ja, nachdem Satsuma sich mit Choshu gegen das Schogunat verbündet hatte, zwei Jahre vor Toba Fushimi. Ich habe am Hafen von Kagoshima gearbeitet, als sie mich angeworben haben. Nie hab ich richtig kämpfen gelernt. Aber ich hatte genug Muskeln von der Hafenarbeit, deswegen haben sie mich genommen. In der Armee hab ich dann die Grundlagen in Angriff und Verteidigung gelernt.“ Sie füllten ihre Eimer am Bächlein. „Hast du Pläne ? » fragte er Kenshin nach einer Weile. „Ich werde, wenn ich heim komme, ein Schreiner werden, dann such ich mir eine gute Frau und bau mir ein schönes Haus.“ „Warst du nicht ein Hafenarbeiter?“ fragte Kenshin freundlich, einer Antwort ausweichend. „Ja,“ anwortete Baiko, „Aber einer meiner Kameraden in der Armee war Schreiner und in seiner Freizeit hat er mir einiges begebracht. Außerdem, jetzt ist das Klassensystem abgeschafft, da kann man machen, was man will.“ „Das stimmt“. Nickte Kenshin. “Und was ist mit dir?” „Ich?“ Kenshin war diese Frage sichtlich unangenehm. „Ja. Du kannst doch nicht vorhaben, dein ganzes Leben mit Herumwandern zu verbringen, oder?“ Kenshin seufzte tief. „Wahrscheinlich schon.“ „Bitte? Keiner will für immer wandern!“ Kenshin blieb stehen. „Für jemanden wie mich gibt es keine andere Wahl.“ Sagte er mit kaum hörbarer Stimme. „Was ich will steht nicht zur Debatte.“ “Aber du bist doch ein Held und alles!” Kenshins Augen blitzten plötzlich hell auf. „Held?“ zischte er. Seine seltsam glühenden Augen fixierten die von Baiko. „Ich war ein Attentäter.“ Er spuckte das letzte Wort so verachtungsvoll aus, das es Baiko verstörte. “Aber… wenn du nicht gewesen wärst,” begann Baiko, nachdem er wieder Worte finden konnte, „wäre die neue Ära nicht zustande gekommen. Ich meine, das sagt doch jeder. Außerdem gibt es auf der Welt keinen Soldaten, der noch nie jemanden getötet hat!“ „Aber ich habe kaltblütig getötet, nicht in der Schlacht.” Kenshins eisige Stimme ließ es Baiko kalt den Rücken herunter laufen. „Hunderte Männer haben ihr Leben an mein Schwert verloren. Nicht nur Soldaten, sondern auch Männer, deren einzigstes Verbrechen es war, das Shogunat zu unterstützen.“ “Aber der Krieg ist vorbei! Die Ishin Shishi haben gewonnen.“ Konterte Baiko. „Aber der Wunsch nach Rache hört nie auf.“ entgegnete Kenshin. „Drei Jahre wandere ich jetzt durch Japan. Weißt du, was passiert, wenn jemand sich mit mir einlässt? Diejenigen, die Rache an mir üben wollen, töten sie, in der Hoffnung, dadurch auch mich zu erreichen.“ In Anblick von Baikos geschocktem Gesicht fügte er hinzu: „Es ist mehr als einmal passiert. Erinnerst du dich, als Daiskuke mir die Arbeit hier anbat und ich gezögert hab, dass es gefährlich sein könnte, wenn ich bei ihnen bliebe? Genau deswegen – weil ich Angst hatte, das ich durch meine Anwesenheit alle gefährde. Nein, ich werde nie eine Frau oder eine Familie haben können. Mein Schicksal war schon entschieden, als ich ein Junge war und meine Dienste Choshuu angeboten habe. Keiner kann die Vergangenheit jetzt noch rückgängig machen.“ Erinnerungen an den Albtraum kamen zurück, ausgelöst von dem Lachen der Kinder, das jetzt aus dem Lager zu hören war. Eine Welle von unbeschreiblicher Traurigkeit erfasste ihn, als er die Kinder da so spielen sah, zusammen mit ihren Eltern. Er war kurz in den Genuss eines solchen Lebens gekommen. Schnell versuchte er, diese Gedanken wieder zu verdrängen, doch Baiko hatte den Schmerz in seinem Gesicht wahrgenommen. Baiko konnte sich nicht vorstellen, wie jemand ein so hoffnungsloses Leben führen konnte... “Rurouni.” Meinte er. “Vielleicht ändert sich ja dein Leben, wer weiß?“ Kenshin schenkte ihm ein leeres Lächeln. „Nette Idee.“ Als sie die Eimer zum Lager gebracht hatten, erinnerte sich Kenshin an den grünen Gi, den ihm Mayako geschenkt hatte. Besser, er zog ihn schnell an. Nicht, das ihn sein Aussehen besonders interessieren würde, aber dieser gelbliche Gi gefiel ihm wirklich nicht. Er beschloss, dass, wenn ihm der grüne gefiel, er den gelben verbrennen würde und so die Welt davor bewahrte, seine Hässlichkeit noch einmal zu sehen. Natürlich war ihm der grüne Gi zu groß. Die Ärmel hingen über seine Hände. Aber er fühlte sich trotzdem wundervoll an, da die Wolle, im Vergleich zu seinem alten, rauen Gi sehr weich war. Schnell band er die zu langen Ärmel mit einer Kordel nach hinten und ging mit den Wassereimern zum Lagerfeuer. Die Frauen begannen, das Frühstück vorzubereiten. Sie kochten Nudeln und Fisch. Ikuko nickte bestätigend, als sie Kenshin in seinem neuen grünen Gi sah. „Ah, du hast also Mayakos Friedensangebot akzeptiert?“ sagte sie. „Oh. Ja.“ Kenshin sah an sich hinunter und befingerte das Material. “Es ist eigentlich zu schade für jemanden wie mich.” Sagte er. „Ich bin sehr dankbar.“ “Nun..” bemerkte Ikuko mit einem verschlagenen Lächeln, “Wenn man es so sieht, dann hast du Glück. Du kannst den Gi unter deinem Kostüm tragen und musst dich nicht mehr vor mir umziehen!“ Sie lachte laut, als sie Kenshins rot werdendes Gesicht sah. „Himura-san, du bist wirklich ungewöhnlich. Ich mag dich.“ Lachte sie und er wurde noch röter. Sie tätschelte seine Hand und merkte, wie er sich abermals unter ihrer Berührung anspannte. „Eigentlich..“ fügte sie hinzu, „..bin ich überrascht, das dich noch kein nettes Mädchen abgeschleppt hat.“ Kenshins Augen weiteten sich und er wurde plötzlich sehr still. „Hab ich was Falsches gesagt?“ wunderte sich Ikuko über diese unerwartete Reaktion. Es folgte eine lange Stille. „Nein, Ikuko-dono.“ Antwortete Kenshin schließlich. „Ihr habt nichts falsches gesagt. Ich hab nur schlecht geträumt heute Nacht, das ist alles.“ Sorgenvoll beobachtete Ikuko Kenshin. Was für einen Traum er gehabt haben musste, dass ihn plötzlich so eine Aura von Traurigkeit umgab... Schon wieder ein neues Rätsel um diesen Wanderer. „Nun,“ meinte sie, „Nach dem Frühstück werde ich dir beibringen, wie sich eine Frau zu bewegen hat. Das wird deine schlechten Träume hoffentlich verdrängen.“ Da – ein kleines Lächeln in seinem Gesicht! Als das Frühstück fertig war, setzten sie sich rund um das Feuer, Kenshin neben Baiko. Dieser stupste ihn an. „Ich hab gehört, die Männer üben heute ihren Schwertkampf , gleich nach dem Frühstück. Sowas hast du noch nicht gesehen!“ „Schwertkampf?“ fragte Kenshin. „Was für eine Art Kata machen denn Kabuki-Schauspieler?“ Baiko kicherte. „Willst du wissen, warum diese Leute in einem echten Kampf total nutzlos wären? Dann musst du heute zuschauen, mehr kann ich dir nicht sagen.“ Kenshins Neugier war geweckt, und er freute sich, dass Daisuke alle drängte, schnell zu Frühstücken. Kaum waren sie fertig, eilten die Männer zum Wagen und holten aus ihm die Kiste mit den Waffen, die Kenshin bei seiner ersten Begegnung mit der Theatergruppe so beunruhigt hatte. In ihr fanden sich die verziertesten Schwerter, die Kenshin je gesehen hatte. Die Griffe waren voll mit Silber und Gold, an den Scheiden waren viele Edelsteine und Ornamente in Drachenform. Baiko drängte ihn, eines der Schwerter zu ziehen. Kenshin erwartete wegen des reichen Schmucks ein Schwert von allerfeinster Qualität, aber statt dessen sah er nur ein Stück billiges Metall. Auch war es schief und krumm, nicht in der Hand ausbalancierbar. Also total nutzlos. Fragend blickte er Baiko an. „Alles Attrappen.“ Erklärte er Kenshin. “Sie spielen Kaiser und Shogune oder berühmte Samurai, deswegen sind die Schwerter so verziert. Aber es sind Attrappen, genau wie ihr Schwertkampf.“ „Ein falscher Schwertkampf?“ „Schau zu!“ sagte Baiko. Die Männer und auch die ältesten Söhne nahmen ihre Schwerter zur Hand und stellten sich in einer Linie auf, mit Daisuke ganz vorne. Kenshin sah, wie sie ihre ersten Schwünge begannen, die sich nicht großartig von einem normalen Kata irgendeiner Kenjutsu-Schule unterschieden. Als sie die Defensiv- und Offensiv-Übungen begannen, sah er jedoch, was Baiko gemeint hatte. Wie oft hatte Hiko ihn angebrüllt, als er angefangen hatte, Kenjutsu zu lernen: Die Schläge immer mit gleichem Schwung ganz ausführen. Doch was machten diese Männer? Sie stoppten mitten im Schlag. Es war, wie wenn sie Angst hätten, über einen gewissen Punkt hinaus zu schlagen und ihren Angreifer zu treffen. Was würde das Ganze in einem Schwertkampf nützen, fragte Kenshin sich. Dann endlich begriff er – künstliche Schwerter, künstlicher Schwertkampf. Natürlich. Sie brauchen die Kunst des Schwertkampfes nur auf der Bühne, aber logischerweise wollten sie keinen verletzten, geschweige denn, sich töten. Jetzt befahl Daisuke den Männern, sich paarweise aufzustellen. Und wirklich: die Männer kämpften, und ihre Schwerter stoppten immer genau in der Mitte, so dass es aussah, als wäre der Kampf echt, sie sich aber niemals gegenseitig treffen oder verletzen würden. Diese Übungen beeindruckten Kenshin. Aber Baiko hatte recht – wie viel auch immer von echtem Kenjutsu in diesen Übungen stecken mochte, in einem echten Kampf hätten sie keine Chance. Dennoch machte das Zuschauen Spaß und es ärgerte ihn ein bisschen, als Ikuko ihn abholte. Doch jetzt musste er sich ganz auf sich selbst konzentrieren. Das Erlebnis mit dem Spiegel war schon so schockierend – wie würde es sein, wenn er jetzt auch noch lernte, sich wie eine Frau zu bewegen? „Hast du schon mal beobachtet, wie eine Frau läuft?“ fragte ihn Ikuko, während sie auf den Wagen zugingen. „Gibt es da Unterschiede?“ fragte Kenshin unschuldig. Ikuko lachte. „Unterschiede? Himmel, Ja! Ich denke nicht, dass es einen lebenden Mann gibt, der nicht einer gutaussehenden Frau hinterher schaut. Das machen wir, um den Männern zu imponieren: Unsere Hüften schwingen, kleine zierliche Schritte, die Art, wie wir schüchtern unsere Augen senken...“ Kenshin beobachtete Ikuko, die ihre Gangart von einer fünfzigjährigen Mutter in die einer jungen, koketten Dame verwandelte. „Nie vorher bemerkt?“ fragte sie, während sie ein flirtendes Mädchen imitierte, das über den Rand ihres Fächers zwinkerte. Kenshin wurde rot. „Hm.. na ja...“ stotterte er. Natürlich hatte er Mädchen bemerkt. Er war ja immerhin mal mit einem verheiratet gewesen. „Es ist nur, Sessha starrt ihnen nicht so direkt hinterher,“ schaffte er es endlich zu sagen. Er hatte das Gefühl, das Ikuko Freude an seiner Beschämtheit hatte. „Tja, dann ist es wohl an der Zeit, das du ein bisschen Starren lernst.“ Meinte sie belustigt. Sie kramte in einem der Koffer aus dem Wagen und fand ein Paar hoher Geta-Sandalen, die sie Kenshin in die Hand drückte. Er zog sie über und versuchte zu laufen – sofort stolperte er und fiel hin. Auch ein erneuter Versuch endete schon nach wenigen Schritten. Das Problem war, dass er selbst Geta nie benutzt hatte, geschweige denn die hohen Geta einer Frau. Diese Holzsandalen waren teurer als seine normalen Zori und ihre harte, hölzerne Konstruktion denkbar ungeeignet für einen Schwertkämpfer, der oftmals schnell rennen musste. Deswegen hatte er nie so etwas besessen. Als er nach einem erneuten Versuch aufstand, hörte er Ryosukes Sohn Saburo hinter seinem Rücken über ihn kichern. Bunjiro verpasste ihm eine Kopfnuss und knurrte: „Halt die Klappe. Er hat Byako gestern gerettet, vergiss das nicht!“. Toll, dachte Kenshin, jetzt lachen schon Kinder über mich. Ikuko begann, in ihren eigenen hohen Geta vor ihm her zu laufen und Kenshin beobachtete sie angestrengt. Er war vorher nie auf die Idee gekommen, den Gang einer Frau zu analysieren. Hiko hatte ihm zwar beigebracht, jede Bewegung eines Feindes zu bemerken, aber natürlich waren das alles Männer. Jetzt sah er, wie verschieden sich Ikuko bewegte. Anstatt wie ein Mann mit großen Schritten zu schreiten, machte sie kleine Schritte. Er versuchte es nachzuahmen, konzentriert, nicht wieder hinzufallen. Ikuko kam an seine Seite und lief neben ihm her. Er versuchte vorsichtig, seine Schrittart ihrer anzupassen und es gelang ihm, auf den Beinen zu bleiben. Wenn Ikuko anhielt, hielt auch er an. Wenn sie sich umwandte, wandte auch er sich um. Wenn sie sich verbeugte, verbeugte auch er sich – und fiel sofort um. „Nein, Himura-san,“ lachte sie. “Du musst die Füße am Boden lassen und deine Beine nicht zu weit auseinander stellen. Immer schön sittsam...“ Sittsam?... Nach einer halben Stunde hatte Kenshin langsam den Dreh heraus. Er folgte Ikuko einmal um das Lager herum wie ein Phantomime, kopierte alle ihre Bewegungen und Gesten. Er erkannte, wie sie diese Eleganz ihrer Bewegungen erreichte. Es war die Leichtigkeit ihrer Bewegung, die so verschieden war von den kraftvollen Bewegungen, die man als Krieger antrainiert bekam. Einige ihrer Bewegungen erinnerten ihn an eine gewisse Frau – diejenige, die es vor so langer Zeit geschafft hatte, ihn vor dem Rand des Wahnsinns zu bewahren. Warum musste ihn alles immer an Tomoe erinnern? „Himura-san?“ fragte Ikuko mit besorgtem Gesicht. „Oh! Verzeihung!“ antwortete er mit einem unbeholfenen Lächeln. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er stehen geblieben war und in die Leere gestarrt hatte. “Naja, vielleicht reicht es auch für heute. Ich denke, du hast die Grundbewegungen langsam heraus, zumindest für das Stück, das Ryosuke herausgesucht hat. Es ist ein gutes Stück und wird dir bestimmt gefallen.“ Es war eine Erlösung, diese unbequemen Geta auszuziehen und in seine vertrauten Sandalen zu schlüpfen. Er fühlte sich fast an, als ob er auf Luft laufen würde. Hatte nicht Ryosuke so etwas in der Art gesagt – dass Laufen in Geta ihm mehr Annerkennung für die Frauen beibringen würde? Wie hatte er recht gehabt! Ikuko schickte Kenshin jetzt zu Ryosuke, der an einem Tisch, der über und über mit Papierrollen bedeckt war, saß. “Oh, Himura-san. Genau dich hab ich gesucht.“ Trällerte er ihm fröhlich entgegen. Er hielt ihm eines der Papiere hin. „Kannst du lesen? Ich hoffe es, weil das ist dein Text.” Kenshin nahm das Papier und überflog schnell, was da geschrieben stand. „Ja ich kann lesen, aber trotzdem – was ist das?“ „Es ist unser Stück. Ich musste es etwas umschreiben, weil du ja nicht sprichst und das die anderen Schauspieler für dich übernehmen müssen. Das Stück heißt: Dämon heraus, Glück herein. Du weißt schon, das, wo die Witwe den Dämon verjagt, in dem sie ihn mit Sojabohnen bewirft – sehr beliebtes Stück zur Setsuban-Zeit. „Aber es ist nicht Setsuban-Zeit.“ bemerkte Kenshin. „Ich weiß, aber genau dieses Stück wurde von unserem Gönner in Miyazaki gewünscht.“ Kenshin laß schnell seinen Text zu Ende und meinte: „Aber hier steht etwas von sich gegenseitig mit Dingen bewerfen...“ “Ach, das tut nicht weh – wirst du sehen.” Sagte Ryosuke. Er begann, mit Kenshin die stilisierten Bewegungsabläufte des Kabuki zu üben und Kenshin versuchte, ihm alles nach zu machen. Er fühlte sich erst total lächerlich, aber je mehr er übte, desto mehr entdeckte er einen gewissen Rhythmus in den Bewegungen. In Wahrheit fiel es ihm sogar leicht, bis auf eine Sache. „Zu Angespannt, Himura-san, zu angespannt!“ rief Ryosuke verzweifelt zum vielleicht hundertsten Mal in dieser Stunde. „Es ist eine Komödie, kein Militärmarsch! Du tanzt, wie wenn du aus Holz wärst.“ Und Kenshin entschuldigte sich zum vielleicht hundertsten Mal in dieser Stunde für seine Unfähigkeit, lockerer zu werden. Als sie endlich bei der letzten Szene angelangt waren, erklärte Ryosuke genau, wie der Höhepunkt des Stückes, in dem das Bewerfen mit den Bohnen stattfinden sollte, auszusehen hatte. „Die Witwe hat Angst, aber sie erinnert sich, dass sie mal einen wandernden Exorzisten gesehen hat, der einen Dämon mit Bohnen ausgetrieben hat. Also wirft sie die Bohnen nach dem Dämon. Meinst du, du kriegst das hin?“ Kenshin nickte und nahm eine Handvoll Bohnen, während Ryosuke eine erschreckte Frau imitierte, die Bohnen warf. „So. Jetzt versuch du es und bewirf mich von da drüben aus.“ Kenshin tat, wie ihm befohlen und drehte sich um, um etwas Abstand zwischen sich und Ryosuke für die Bohnen-Werf-Szene zu bringen. Doch kaum hatte er Ryosuke den Rücken zugedreht, hörte er ein zischendes Geräusch, als ob etwas auf ihn zufliegen würde. Ohne überhaupt nachzudenken, schoss er herum und – schneller als mit dem Auge zu sehen – fing er das, was auf ihn zuflog, mit der Hand. Es waren drei Sojabohnen. Seine Augen weiteten sich, als er begriff, das es nur ein Scherz von Ryosuke, der jetzt mit offenem Mund Kenshin anstarrte, sein sollte. “Oh, Ryosuke-san, gomen nasai!” beeilte sich Kenshin zu sagen. „Ich...ich hab nur etwas auf mich zufliegen gehört... es war Instinkt...“ Gedanklich verpasste er sich eine Ohrfeige, weil er sich so von seinen Reflexen hatte leiten lassen. Ryosuke schüttelte die Überraschung langsam ab, versuchte aber immer noch, zu verstehen, was er gerade gesehen hatte. Wie konnte dieser Rurouni so schnell reagieren? Er hatte ihm doch den Rücken zugewandt, woher wusste er dann, das die Bohnen auf ihn zuflogen – geschweige denn, wie konnte er sie so schnell fangen? „Wie hast du das gemacht?“ rief er verwundert aus. „Das ist zweifellos einer der besten Tricks, die ich je gesehen habe. Das Publikum wird dich dafür lieben!“ Publikum? Trick? Worüber redet dieser Mann! „Ich hab das von meinem Shishou gelernt...“ antwortete Kenshin verwirrt. Ryosuke ging zu ihm herüber und nahm ihm die Bohnen ab. „Hör zu, Rurouni.“ Sagte er. „Du bist angespannter wie ein Schraubstock. Du musst lockerer werden. Dieser Kampf mit den Bohnen – das ist doch alles Spaß. Es soll lustig sein. Ich bewerfe dich, du wirfst zurück, wir lachen alle und so weiter. Du hast schnell gelernt, wie du die Rolle der Witwe in dem Stück spielen sollst, aber das leichteste – den Humor – kannst du nicht so ganz rüber bringen. Stell dir vor, es ist, wie wenn du ein Kind bist, und Streiche spielst... Deinem Bruder einen Frosch in den Futon setzt oder so was. Hast du so was in deiner Kindheit nicht gemacht? Kenshins Augen wurden unergründlich – selbst Ryosuke erkannte, wie der Rurouni plötzlich eine unsichtbare Mauer um sich und seine Gedanken errichtete. „Sessha hatte nicht wirklich eine Kindheit.“ Sagte Kenshin ausdruckslos. „Obwohl...“ seine Stimme wurde etwas weicher, wie auch seine Augen. „Ich habe mal den Lendenschurz meines Meisters mit Wurzelsaft beschmiert – er konnte eine Woche nicht mehr richtig laufen, weil das Zeug so gebrannt hat... und einmal hab ich ihm Wasabi-puder in seinen Sake gemischt...“ „Das ist es. Diese Einstellung brauchst du auch hier!“ rief Ryosuke aus. „Ich hab die Idee. Ich werde den Lausbuben in dir herauskitzeln, ob es dir passt oder nicht. Daher hast du folgenden Auftrag: Du musst heute noch jemandem aus der Familie einen Streich spielen. Dann wirst du dich wieder daran erinnert, was es für ein Gefühl ist, schadenfroh zu sein. Dann wirst du in der richtigen Stimmung für das Stück sein!“ „Jemandem aus der Familie?“ schluckte Kenshin. „Das kann ich nicht tun... sie sind doch alle freundlich zu mir.“ „Nicht jeder.“ Betonte Ryosuke. “Zum Beispiel gibt es da meinen ältesten Bruder – Orinosuke.” „Was?! Aber der hasst mich doch sowieso schon!“ “Aber er wird nie herausfinden, wer ihm den Streich gespielt hat, wenn du es richtig anstellst,” meine Ryosuke verschwörerisch lächelnd. „Immerhin weiß er immer noch nicht, wer ihm damals den Frosch in den Futon gesetzt hat, und das ist schon sechs Jahre her...“ „Aber... aber...“ In dem Moment kam Bunjiro zu ihnen herüber, um sie zum Mittagessen zu rufen. „Kein Aber, Himura-san.“ Sagte Ryosuke, während sie zum Lager gingen. „Nach dem Mittagessen trainieren ich und mein ältester Bruder eine Schwertkampfszene. Danach holen wir Ennosuke vom Doktor ab. Also genug Zeit, dir etwas Gutes einfallen zu lassen. Abends dann haben wir Gesamtprobe von dem Stück, bis dahin musst du also in der richtigen Stimmung sein. Bis später!“ Damit ließ er Kenshin stehen, der sich fragte, was er jetzt anstellen sollte. Nach dem Essen setzte er sich an einen Baum gelehnt hin und grübelte über das Stück und über den lächerlichen Auftrag von Ryosuke nach. Baiko stand etwas abseits und beobachtete ihn, wie er Grimassen und Armbewegungen übte. Er fand das alles sehr lustig. „Hey, Fräulein, alles in Ordnung?“ scherzte er, als er zu ihm herüber ging. Kenshin funkelte ihn böse an. “Ach komm, nur ein Scherz.” Sagte Baiko. Kenshin seufzte. “Kein Scherz, Baiko-san.“ Mit leidendem Gesichtsausdruck sprach er weiter. „Ryosuke-san hat mich beauftragt, meinen Humor wieder zu finden und deswegen soll ich jemandem hier einen Streich spielen. Und zwar Orinosuke-san. Das ist wirklich keine gute Idee - der Mann hasst mich – aber ich konnte ihn nicht davon überzeugen.“ Baiko rieb sich die Bartstoppeln. „Einen Streich, eh?... Hört sich lustig an, Rurouni. Schon Ideen?“ „Ich dachte eigentlich, dass du mir hilft, Ryosuke von dieser Schnapsidee abzubringen..“ „Schnapsidee? Das ist eine großartige Idee!“ lachte Baiko. „Also, was hast du vor? Dornen für seinen Zeh? Oder Würmer in seinem Tee?“ Kenshin lächelte über die Vorschläge – er hatte all diese Streiche schon vor Jahren bei Hiko ausprobiert. Doch langsam kam sein Gehirn in Schwung. Er musste sich jetzt etwas Lustiges ausdenken, aber es durfte nicht zu offensichtlich sein. Etwas außergewöhnliches, aber nicht zu brutal, und wichtig: Es durfte nicht zu ihm zurück führen. Sein Lächeln weitete sich. “Eine Ginko-Beere an der Sohle seiner Sandalen – das mach ich!” erklärte er schließlich. „Ginko? Was passiert dann?“ fragte Baiko „Noch nie bemerkt, was passiert, wenn du auf so eine Beere trittst?“ erklärte Kenshin. „Es stinkt wie Hundescheiße. Heute Morgen im Wäldchen bei meinem Training hab ich welche gerochen.“ Schnell stand er auf und ging zu dem Platz, den er in Erinnerung hatte, mit Baiko auf den Fersen. Kaum hatten sie die Sträucher gefunden, umgab sie auch schon der eklige Gestank. Baiko hielt sich die Nase zu, während Kenshin aufgeregt flüsterte: „Da! Ginko-Beeren!“ Vorsichtig pflückte er eine und wickelte sie in ein paar Blätter. Dann brach er noch einen kleinen Ast, an dem Harz heruntertropfte, ab. So bewaffnet gingen sie ins Lager zurück und warteten auf eine günstige Gelegenheit. Lang mussten sie nicht warten. Keine zehn Minuten später sahen sie, wie Orinosuke und sein Vater zum Wagen gingen, um sich für die Schwertkampf-Probe umzuziehen. Die Männer holten sich ihre Schwerter und schlüpften aus ihren Sandalen, um sich lederne Kostümstiefel anzuziehen. Dann gingen sie auf der Suche nach einem freien Platz für ihr Training. Kenshin tastete mit seinen Blicken das Lager ab. Noriko war in ihrem Zelt, zusammen mit Ikuko und Nomi, die ein Nickerchen hielt. Mei war mit ihren zwei Kindern am Fluss, um Wäsche zu waschen. Mayako war mit ihren zwei Söhnen im Zelt und übte Kalligraphie. Es würde also keine Zeugen geben. Jetzt schlich Kenshin lautlos wie eine Katze zum Wagen und schnappte sich Orinosuke’s Sandalen. Denn schlüpfte er unbeobachtet hinter den Wagen und schmierte das Harz des Astes auf die Unterseite der Zori – die Ginko-Beere blieb perfekt daran kleben. Schnell stellte er die Sandalen wieder an ihren Platz und eilte an den Rand des Lagers zurück. Dort fand er seinen zerstörten braunen Gi und das Nähzeug und damit setzte er sich ganz unschuldig an einen Baum und wartete. Die Männer trainierten fast eine Stunden lang, bevor sie zum Wagen zurückkamen, aber das war in Ordnung – Kenshin hatte viel Erfahrung mit geduldigem Warten. Sie legten ihre Schwerter beiseite und zogen ihre Stiefel aus. Dann nahmen sie ihre Sandalen und gingen davon. Orinosuke kam nur wenige Schritte weit, bevor er stehen blieb und schnüffelte. Er ging noch zwei weitere Schritte und schnüffelte wieder. Dann beugte er sich herunter und schaute unter die Sohlen seiner Zori. Eine Ginko Beere! Sein Gesicht verfinsterte sich, als er realisierte, dass er gerade Opfer eines Streiches geworden war. “Bunjiro! Komm sofort her!” schrie er wütend nach seinem ältesten Sohn. Kaum hatte der Junge seinen Kopf aus dem Zelt gesteckt, als ihn Orinosuke anbrüllte: „Du hast mir eine Ginkobeere unter meine Sandalen geklebt, oder nicht? Ich leg dich übers Knie!“ Mayako schoss aus dem Zelt heraus. „Was redest du da? Die Jungs haben mit mir die letzten Stunden Kalligraphie geübt.“ Orinosuke wandte sich ab und wollte nach den Kindern von Ryosuke rufen, sah aber dann, das sie am Fluss mit ihrer Mutter beschäftig waren. Er sah zu Baiko, der unwissend mit den Schultern zuckte. Der Rurouni schien sehr damit beschäftigt zu sein, seinen Gi zu nähen. Orinosuke funkelte zu Daisuke und Ryosuke, die jetzt beide fast schon hysterisch über die ganze Situation lachten. Mit einem wütenden Grummeln riss sich Orinosuke die Sandalen von den Füßen und zog die Kostümstiefel wieder an, bevor er zum Fluß stapfte um dort die stinkenden Dinger loszuwerden. Kaum war er außer Hörweite, stimmten Kenshin und Baiko in das Gelächter mit ein. Ryosuke ging zu ihnen und lobte: „Gute Arbeit, Rurouni!“ Kenshin fand es überaus seltsam, sein eigenes Lachen zu hören. Es dauerte einige Minuten, bis er sein Lachen wieder unter Kontrolle hatte, aber danach fühlte er sich wie ein anderer Mensch. Alles schien irgendwie leichter, heller – die Luft, die Leute, er selbst. Es dämmerte ihm plötzlich, dass er sich gar nicht mehr erinnern konnte, wann er das letzte Mal so ausgelassen und frei gelacht hatte. In Wahrheit war er sich sicher, dass es schon vor Jahren gewesen sein musste, als er noch bei Hiko trainiert hatte. Er fühlte es auf seiner Haut kribbeln, wie als ob ihn warme Sonnenstrahlen kitzeln würden. Ein gutes Gefühl. -- Japanische Wörter: Ki: ‘aura.’ Yakuzas: Gängsterbande Kata: Die vorgeschriebenen Trainingsbewegungen einer Kampfkunst Kenjutsu: Kampfkunst Shishou: Meister einer Schwertkampfkunst Toba Fushimi: Entscheidende Schlacht im Januar 1868, die den Untergang des Shogunats mit sich brachte. Setsuban-Zeit: Fest während der Tag und Nacht-Gleiche im Frühling. Traditionell werden Dämonen und Unglück aus den Häusern vertrieben um Glück für das neue Jahr hereinzulassen. . Wasabi: scharfe, japanische Rettichpaste Zori: japanische Sandalen Author’s Note: Warum denkt Kenshin bei mir so viel über Tomoe nach? Ich denke, weil er nach ihrem Tod niemals die Gelegenheit dazu hatte. Er wurde ja sofort wieder in den Horror der Bakumatsu-Zeit hineingeworfen. Danach musste er erst einmal seine Taten verarbeiten. Ich kann mir schon vorstellen, das es drei Jahre dauert, ehe er seine Trauer, wenn auch nur kurz, vergessen kann und, wenn auch nur kurz, von Herzen lachen kann. Nächstes Kapitel: Kenshin muss lernen, was es für Gefahren mit sich bringt, eine Frau zu sein. Außerdem mehren sich die Verdächtigungen über seine Vergangenheit . Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Der Moment, auf den alle gewartet haben: Kenshin’s erster Auftritt als Onnagata. Eine unerwartete Lektion Kapitel 4 "Papa!" Die drei Jahre alte Nomi rannte dem Wagen entgegen, der gerade um die Kurve gebogen war. Vor einer Stunde hatten Daisuke und Ryosuke endlich ihren verletzten Bruder Ennosuke vom Arzt abgeholt. Jetzt saß er vorne auf dem Wagen, das gebrochene Bein hochgelegt und zwei hölzerne Krücken im Arm. "Papa, Papa, Papa!" Das Gesicht Ennosuke’s verwandelte sich in ein großes Lächeln, als er seine kleine Tochter auf ihn zurennen sah. Noriko, seine Frau, rannte hinter ihr her und holte sie kurz vor dem Wagen ein. Sie hob das kleine Mädchen schwungvoll hoch und streckte es Ennosuke entgegen, der ihr einen Schmatzer auf die Wange drückte. Ungeduldig wartete Nomi, bis Ennosuke mit Hilfe seiner Brüder vom Wagen gestiegen war und sie endlich mit den Krücken humpelnd umarmte. “Willkommen zurück, mein Jüngster!” rief Ikuko aus, die nun mit dem Rest der Familie zu ihrem Sohn eilte. „Wir haben uns so um dich gesorgt.“ „Mir geht’s prima, Mutter!” sagte Ennosuke. „Nur ein bisschen erschöpft bin ich.“ Noriko wollte ihn gleich zu ihrem Zelt führen, doch Nomi zog an seinem Kimono. „Du musst meinen neuen Freund kennen lernen,“ quengelte sie. „Da drüben!“ Ennosuke folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger und sah Kenshin, der, an einem Baum gelehnt sitztend, die Ärmeln seines neuen Gi’s kürzte. Ennosuke sagte etwas zu Noriko und folgte dann langsam Nomi. Als Kenshin die Beiden näher kommen sah, legte er schnell sein Nähzeug beiseite und stand auf, um sie mit einer höflichen Verbeugung zu begrüßen. “Sein Name ist Kenshin-san,“ informierte Nomi ihren Vater schwärmerisch, „und er nennt mich Nomi-dono!“ Ennosuke lächelte. „Tut er das?“ Dann erwiderte er Kenshins tiefe Verbeugung und sagte: “Noch einmal, ich danke dir von ganzem Herzen für deine Hilfe. Satoshi, der Arzt, hat mir erzählt, dass ich ohne deine Hilfe verblutet wäre oder den Rest meines Lebens als Krüppel verbracht hätte. Aber dank dir werde ich wieder so gut wie neu sein. Ich stehe für immer in deiner Schuld.“ Kenshin verbeugte sich noch tiefer. Als er sich aufrichtete, hatte er die erste Gelegenheit, den Mann, dem er geholfen hatte, richtig zu betrachten. Natürlich ähnelte er sehr seinen beiden Brüdern Ryosuke und Orinosuke, aber er war kleiner und irgendwie auch dünner gebaut. Er sah nicht viel älter aus als Kenshin – vielleicht so alt wie Baiko – und Kenshin konnte an seinem Gesicht deutlich sehen, dass er sehr glücklich war, seine Frau und seine Tochter wieder zu sehen. Kenshin sah aber auch die Blässe und Erschöpfung, so dass er sich zu Nomi herüber lehnte und ihr zuflüsterte: „Vielleicht sollte dein Vater sich jetzt in sein Zelt legen und etwas ausruhen.“ “Komm, Papa!” kommandierte Nomi und schleifte ihren Vater zum Zelt. Kenshin wollte gerade seine Nähsachen wieder zur Hand nehmen, als Daisuke zu ihm kam. „Himura-san.“ Sagte er vorsichtig, „Leider etwas früher als geplant aber – morgen ist dein erster Auftritt!“ „Morgen?!“ “Mh. Gerade, als ich den Arzt bezahlen wollte, fragte er mich, ob wir nicht eine echte Kabuki-Aufführung im Dorf geben wollen – er würde dafür auf sein Geld verzichten. Ich war von der Bitte etwas überrascht, aber es schien mir eine gute Idee zu sein. Auf die Art und Weise kannst du gleich deinen ersten Auftritt mit Lampenfieber und all den unangenehmen Begleiterscheinungen hinter dich bringen und du bekommst ein Gefühl dafür, was es heißt, vor einem Publikum zu spielen. Also stellen wir unsere tragbare Bühne gleich heute auf. Wenn wir damit fertig sind, werden wir uns umziehen und schminken für die Generalprobe. Wenn wir das Essen nach hinten verschieben, müssten wir alles in drei Stunden schaffen, bevor die Sonne untergeht.“ Der Moment der Wahrheit war also gekommen, dachte Kenshin mit Furcht – sie würden ihn jetzt komplett als Frau verkleiden. Er hätte schon bei der Brustattrappe und bei dem Kimono am liebsten seine Haut gegen eine andere eingetauscht. Doch jetzt würde er nicht nur das ertragen müssen, sondern auch die Perücke und das Make-up.. Naja, es gab jetzt kein Weg zurück, aber wenigstens etwas konnte er tun... „Bitte keine Spiegel.“ Meinte er leise. Daisuke brach in Lachen aus. „Einverstanden!“ sagte er und klopfte Kenshin auf den Rücken. Obwohl Kenshin seine Hilfe bei dem Bühnenaufbau anbat, wurde ihm befohlen, lieber noch Mal seine Bewegungen, die er mit Ikuko und Ryosuke einstudiert hatte, durchzugehen und zwar mit den hohen Geta-Sandalen. Er nahm also die Geta und begab sich zum Fluss, wo er hoffte, ungestört üben – und gegebenenfalls hinfallen – zu können. Leider war er dort nicht alleine, denn Bunjiro hatte den einsamen Platz schon für sein „Schwerttraining“ auserkoren. Begeistert übte der Junge die Kabuki-Schwert-Techniken und tat so, als wäre er ein Samurai. Kenshin nickte dem Jungen zu und zog die Geta an. Dann übte er die Bewegungen einer Frau. Bunjiro schaute ihm kurz zu, übte dann aber weiter. Nach ein paar Minuten meinte er zu Kenshin: „Du weißt, wie man ein Schwert richtig benutzt, oder?“ „Hm.“ Antwortete Kenshin, der gerade in seinen hohen Schuhen stolperte. “Kannst du mir einen Schlag, ich meine, einen echten Schwert-Schlag zeigen?” Kenshin lächelte. Er hatte im Augenwinkel Bunjiro bei seinen wilden Angriffen und Abwehrschlägen zugesehen und in sich hineingelacht. Er beugte sich herunter und zog schnell die Geta aus, dann stellte er sich hinter den Jungen und nahm seine Hände. „Als Erstes musst du das Schwert so halten,“ erklärte Kenshin und korrigierte Bunjiro’s Hände am Schwertgriff. „Dann schwingst du sooo.“ Gemeinsam schwangen sie das Schwert in ein paar einfachen, diagonalen Bewegungen, dann ließ Kenshin es den Jungen alleine probieren. Er hatte Talent. „Weißt du, wenn wir wieder in Kagoshima sind, bekomme ich echten Kenjutsu-Unterricht.“ Erzählte Bunjiro enthusiastisch. „Es ist der Kogen Itto-Ryu, der Stil, den mein Vater schon gelernt hat.“ „Ein guter Stil,“ sagte Kenshin während er Bunjiros Bewegungen korrigierte. “Du warst ein Soldat, wie Baiko-san?” fragte Bunjiro. „So was in der Art,“ antwortete Kenshin. „Für welche Seite hast du gekämpft?“ „Für die Patrioten.“ „Toll! Das waren die Guten!“ Bujiro rief das mit der festen Überzeugung eines Zwölfjährigen aus. „Du weißt, warum das die Guten waren, oder? Weil nämlich die neue Regierung sagt, dass wir nicht mehr den Beruf unserer Eltern erlernen müssen, sondern alles werden können, was wir wollen! Und ich will kein Schauspieler werden. Ich will Soldat werden und alle bösen Männer umbringen und ein Held sein, wie in unseren Schauspielen!“ Kenshin fing plötzlich Bunjiros Schwert mitten im Schlag auf. „Du hast keine Ahnung, was du da sagt.“ Seine Stimme hatte sich verwandelt, sie war kalt – aber seine Augen glühten wie Feuer. Bunjiro schnappte nach Luft. „Du weißt nicht, wie es ist, zu töten – das Licht des Lebens in den Augen deines Gegners erlischen zu sehen, das Blut. Es ist nicht wie in einem von euren Stücken, wo der Mann stirbt und dann wieder aufsteht, um am nächsten Tag das nächste Stück zu spielen. Wenn ein Mann stirbt, dann ist das für immer! Hör auf deinen Vater – werde ein Schauspieler. Mache keinen Fehler, den du für den Rest deines Lebens bereuen wirst.“ Kenshin stieß das Schwert von sich und drehte sich um. Er hörte hinter sich Bunjiros schnellen Atem und spürte seine Angst und Verwirrung. Er fluchte innerlich, dass er den Jungen so erschreckt hatte, aber besser, Bunjiro zu erschrecken, als ihn in sein Verderben rennen zu lassen. “Vielleicht sollten wir zurückgehen…” sagte Bunjiro mit gedämpfter Stimme. „Sie haben die Bühne bestimmt schon aufgebaut.“ „Bestimmt.“ Die zwei liefen zurück, eine unangenehme Stille zwischen ihnen. Schließlich sprach Kenshin: „Bunjiro-san. Ich hoffe, du kannst Kenjutsu lernen, wenn ihr wieder daheim seid. Es wird dir Spaß machen und du wirst ein guter Schüler sein. Erinnere dich immer daran, niemals die Lehren deines Meisters zu missachten.“ Bunjiro sah zu Kenshin herüber und seine Augen leuchteten wieder. „Hai, Kenshin-san! Ich werde mich daran erinnern!“ Damit rannte er den restlichen Weg zurück zum Lager. Als Kenshin dort ankam, fand er alles ganz verwandelt vor. Statt einer Lichtung mit einem Wagen, einem Lagerfeuer und ein paar Zelten stand da nun eine große, hölzerne Plattform mit einer Rampe, die zu einem großen Zelt führte. Die Plattform, bessergesagt, die Bühne sah aus, wie ein Querschnitt durch ein Haus: Wohn- und Esszimmer waren zu sehen mit den typischen Einrichtungsgegenständen, die so in einem Haus zu finden waren: Ein kleiner, dekorierter Wandschirm, zwei schön gefaltete Futons in einer Ecke, ein kleiner Schrein zur Ehre der Vorfahren, ein Herd mit einem Kessel, der über künstlichen Flammen hing und ein kleiner Esstisch. Es sah so realistisch aus, dass Kenshins Mund aufstand, bis ihn Ikuko antippte. „Magst du unsere Bühne?“ fragte sie schmunzelnd. “Sie sieht wirklich echt aus…” meinte Kenshin bewundernd. “Und du wirst auch echt aussehen, Himura-san – sobald wir dich geschminkt in einem Kostüm stecken haben...,“ lächelte sie. „Komm mit!“ Sie führte ihn zu dem Wagen, bugsierte ihn hinein und setzte ihn auf eine Bank. „So, Himura-san! Ich weiß, dass es dir nicht angenehm ist, angefasst zu werden, aber ich werde dir jetzt dein Gesicht und deine Augenlieder mit Schminke einrubbeln,” erklärte sie. Kenshin war dankbar für die Warnung. Er wusste, dass sie seine Anspannung bei ihren Berührungen gespürt hatte – er hoffte, sie wusste nicht, warum – und deswegen versuchte er jetzt, locker zu bleiben. Aber das war gar nicht so leicht. Die Jahre als Attentäter hatten ihm beigebracht, dass es gefährlich war, sich von jemandem berühren zu lassen. Es war nicht leicht, diese Gewohnheit abzulegen. Ikuko hatte inzwischen ihre Utensilien gefunden und setzte sich nun vor Kenshin, der kerzengerade und steif auf der Bank saß, die Augen krampfartig geschlossen, wie als ob er gleich einen Schlag ins Gesicht erwarten würde. „Himura-san...“ flüsterte sie. „Es sind nur meine Finger... ich werde kein Schwert zum Schminken benutzen...“ Kenshin öffnete eines seiner zugekrampften Augen und sah das weiße Puder in ihren Händen. Bevor er protestieren konnte, hatte sie schon seine zwei Backen damit eingepudert und begann, die weiße Farbe zu verreiben. Das Make-up fühlte sich erschreckend kalt an. Er saß still da und wartete, währen Ikuko die Farbe auf seinem Gesicht, seinem Hals und seinen Augenliedern verteilte – besonders lange brauchte sie für die linke Wange, um seine X-förmige Narbe wegzuschminken. Dann nahm sie einen Kohlestift und malte damit über seine Augenbrauen und anschließend rund um seine Augen herum. “Du machst das sehr gut, Himura-san,” sagte sie, als er vor dem Stift an seinem Auge zurückzuckte. Niemand war jemals so Nahe mit etwas an seine Augen gekommen – niemand – und er hoffte, es würde auch niemals mehr passieren. Ikuko wollte gerade das andere Auge schminken, als plötzlich Orinosuke in den Wagen stürmte, sein Gesicht eine wütende Grimasse. “Was hast du meinem Sohn erzählt?!” polterte er los, einen anklagenden Finger auf Kenshins Brust gerichtet. Er sah aus, als ob er Kenshin gleich packen und aus dem Wagen werfen wollte. „Ältester Sohn, was auf der Welt soll das werden?“ schrie Ikuko verstört, die Schminkutensilien in ihren Händen zitterten. „Mutter, halt die Klappe! Das geht nur mich und ihn was an. Schlimm genug, das mein ältester Sohn denkt, er könnte ein Soldat werden... Jetzt hast du ihm auch noch den Floh in’s Ohr gesetzt, dass er Kenjutsu lernen soll. Wie kannst du es wagen?! Du kannst dich nicht in Dinge einmischen, die dich nichts angehen!“ “Orinosuke-san!” unterbrach ihn Kenshin. „Ich habe ihm gesagt, er soll auf seinen Vater hören und Schauspieler werden.“ „Was?“ „Dein Sohn hat mir erzählt, er will Kenjutsu lernen und Soldat werden,“ fuhr Kenshin so ruhig fort, wie er konnte. „Ich hab ihm gesagt, er soll den Unterricht genießen aber auf seinen Vater hören und ebenfalls Schauspieler werden. Das war alles.“ Orinosuke war so wütend, dass er Kenshin kaum verstand. Er funkelte ihn und Ikuko an, ballte seine Hände zur Faust, entspannte sie wieder, bis er schließlich drohend rief: „Komm meinen Kindern nicht mehr zu Nahe! Oder ich werde dich rausschmeißen.“ Draußen vor dem Wagen stand Mayako, seine Frau und befahl ihm, mit dem Schreien aufzuhören. Daisuke kam auch gerade angerannt, sein Gesicht nur halb von Make-up bedeckt und sein Haar verwuschelt. Baiko und Ryosuke waren hinter ihm. Sie kamen genau dann am Wagen an, als Orinosuke herausstürmte. Daisuke packte ihn und zog ihn herum. „Was machst du?!“ schimpfte er. “Wen bedrohst du? Was geht hier vor?“ Ikuko steckte ihren Kopf zum Wagen heraus und erklärte wütend, „Er hat mir gesagt, ich solle meine Klappe halten!“ Ihre Stimme zitterte vor Wut. „Mein eigener Sohn sagt mir, ich soll die Klappe halten! Jetzt reichts mir endgültig!“ Ikuko ging wieder in den Wagen hinein, doch draußen wurde jetzt bunt herumgeschrien und gebrüllt. Sie sah Kenshin wie zuvor auf der Bank sitzen, doch jetzt hielt er den Kopf in den Händen und als er zu ihr aufsah, waren seine Augen voll mit Schmerz. Normalerweise war er so gut darin, seine Emotionen zu verbergen, dass sie bis jetzt gar nicht gemerkt hatte, wie ausdrucksvoll seine Augen eigentlich waren. „Ikuko-dono,“ begann Kenshin mit sanfter Stimme, „vielleicht ist es besser für alle, wenn ich sofort gehe. Sessha will nicht der Anlass für Streitereien in eurer Familie sein.“ “Nein, du bleibst!” Ihre Stimme ließ keinen Wiederspruch zu. „Du bist vielleicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, aber eben nur ein Tropfen von unendlich Vielen. Diese Konflikte haben sich schon in den ganzen letzten Monaten zusammengebraut, nämlich seit dem Tag, an dem Orinosuke rausgefunden hat, dass wir nicht zurück nach Kyoto gehen werden. Da ist er explodiert und diese Wut hat sich wohl jetzt ganz schön angesammelt.“ Sie nahm die rote Farbe zur Hand und bemalte damit Kenshins Lippen. „Orinosuke war 23, als wir Kyoto verlassen haben, weißt du, und er war gerade dabei, sich einen Namen in der Stadt zu machen. Er hatte schon Mayako geheiratet, die aus einer der berühmtesten Kabuki-Familien stammt, die es zu dieser Zeit in Kyoto gab, jeder beneidete ihn um diese Ehe. Er wollte Karriere machen, wie sein Vater. Aber es war im Jahr der Ratte, also 1864, als Kyoto vollends im Chaos versank. Du bist vielleicht noch zu jung, um dich zu erinnern, aber Kyoto wurde damals von mehreren Hitokiri terrorisiert, die ohne Warnung zuschlugen und dann gab es noch die tückischen Shinsengumi, die die Leute erst erschlugen und dann später die Fragen stellten. Unser Publikum traute sich kaum noch ins Theater und wir machten riesige Verluste. Dann bekamen wir die Einladung eines Daimyos aus Satsuma und wir zogen nach Kagoshima. Anscheined hatte einer der Männer dieses Daimyos unsere Auftritte in Kyoto lieben gelernt und uns deshalb weiterempfohlen. Nach dem Ikedaya-Vorfall packten wir dann schließlich unsere Sachen und nahmen das Angebot an. Orinosuke war am Boden zerstört, aber er verstand, warum wir gehen mussten. Leider hat ihm mein Ehemann immer versprochen, wieder nach Kyoto zurückzukehren, wenn der Krieg vorbei wäre. Aber wir sind jetzt so erfolgreich in Kagoshima, dass Daisuke dort bleiben will. Orinosuke ist verbittert.“ Zu jung, um sich zu erinnern? Was für ein Witz. Wenn es nur möglich wäre, sich nicht zu erinnern! Es stach in seinem Herzen, wenn er daran dachte, dass er der Grund war, weswegen diese Familie aus Kyoto fliehen musste. Es gab in diesem Jahr in Kyoto nur eine handvoll Hitokiri, aber die meisten lebten nicht länger wie ein paar Monate. Nur Hitokiri Battousai – er – lebte lang genug, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzten. Er wusste immer, dass seine Taten ihm den Hass der Hinterbliebenen seiner Opfer einbringen würden, aber nie war ihm in den Sinn gekommen, was er damit den harmlosen Zivilisten angetan hatte, die vor Angst keinen normalen Alltag mehr führen konnten. Ikuko spürte die Verzweiflung in Kenshin hochsteigen, dachte aber, es wäre Mitleid für ihre Familie. “Ach, du musst kein Mitleid mit uns haben,“ meinte sie, während sie sein Haar hochband und am Kopf feststeckte. „Uns geht es in Kagoshima gut und unsere Söhne sind glücklich. Nur Orinosuke war ein paar Mal wieder in Kyoto zu Besuch bei seinen Schwiegereltern. Sie haben ihn gedrängt, zurückzukommen und wieder einer der führenden Schauspieler der Stadt zu werden. Man kann es ihm nicht übel nehmen, dass ihn das verführt hat. So, jetzt die Perücke!“ Sie öffnete die Kiste – nicht mit dem menschlichen Haar, wie Kenshin zuerst gedacht hatte, sondern mit den Perücken - und suchte eine mit hochgesteckten Haaren heraus. Sie sah nicht besonders spektakulär aus, aber Ikuko schmückte sie mit einigen Haarspangen und setzte sie Kenshin auf den Kopf. “So!” freute Ikuko sich. „Jetzt siehst du aus wie eine vornehme Dame.“ Die Perücke vertrieb Kenshins düstere Gedanken, brachte ihm aber neue Sorgen - wenn er seinen Kopf hin und her wandte, wackelte sie bedrohlich und es fühlte sich an, als ob sie gleich herunterfallen würde. Zusammen mit den hohen Getasandalen verlor er fast seine Balance. „Oje...Sessha ist sich nicht sicher, ob er mit dieser Perücke laufen kann!“ klagte Kenshin, während er damit beschäftigt war, nun noch den Kimono anzuziehen. „Oh, du wirst dich schon dran gewöhnen. Kinn hoch, das ist der Trick!“ Kinn hoch. Jetzt wusste er, warum die Mütter das ihren Töchtern immer wieder eintrichterten – damit sie nicht wegen dem Gewicht auf ihren Köpfen umfielen! Er nahm sein Sakabatou aus dem Obi und legte es vorsichtig auf die Bank, um dann den Kimono anzuziehen. Es machte nichts aus, dass er zu zwei-drittel schon wie eine Frau aussah. Aber ohne das Sakabatou an seiner Seite fühlte er sich nervös und irgendwie nackt, obwohl er wusste, dass er es unmöglich mit auf die Bühne nehmen konnte. Ikuko übergab ihm die Brustattrappe und dann den Kimono. Jetzt war er für den neuen grünen Gi wirklich dankbar, denn er konnte den Kostümkimono einfach darüber anziehen und musste sich nicht wieder vor Ikuko entkleiden. Als Ikuko ihm noch den prachtvollem Obi umband, war er fertig für die Generalprobe. Er nahm wahr, dass der Lärm draußen verstummt war. Es beruhigte ihn – er hätte nicht gewusst, wie er in dem Zustand, in dem er sich befand, mit Orinosuke hätte fertig werden sollen. Allerdings stand immer noch die ganze Familie um den Wagen herum und wurde so Zeuge seines Debüts als Onnagata. Als er aus dem Wagen stieg, klatschten die Kinder und die Frauen murmelten „Perfekt!”. Er jedoch war höchst verlegen. Schließlich bot Ryosuke, der wie ein furchteinflößender Dämon geschminkt war, ihm den Arm und half ihm vom Wagen. „Onna-san,” sagte er mit einer höflichen Verbeugung, “Bitte erlaube mir, dir zu helfen.“ „Ryosuke-san, bitte!” zischte Kenshin und versuchte, sich von seinem Griff zu befreien. „Bitte, ich schaff das schon alleine!“ – was nicht ganz die Wahrheit war, denn er schwankte bedenklich mit den hohen Sandalen. „Aber Himura-san,” wisperte Ryosuke zurück, “Du bist jetzt eine Lady. Alles, was du machst, während du dieses Kostüm trägst, musst du als Lady machen!“ „Alles?“ In Kenshins Stimme war ein Hauch von Panik zu hören. “Ja, naja, fast alles,” zwinkerte ihm Ryosuke zu. Er übergab Kenshin einen Fächer. „Hier, benutz ihn. Hinter so was verstecken die Frauen ihre Verlegenheit.“ Ein Fächer? Wie zur Hölle benutzte man den so was? Er schlug ihn ruckartig auf - die einzige Art und Weise des Fächeraufschlagens, die er kannte, denn er hatte einmal Serizawa Kamo, einen Shinsengumi-Anführer, beobachtet, wie er seinen gefürchteten und für viele tödlichen eisernen Fächer so aufgeschlagen hatte. “Oh, und Himura-san?” Ryosuke versuchte, nicht zu lachen. “Ich glaube, man muss einen Fächer sanft benutzen, nicht wie eine Waffe…” Kenshin sah in die Gesichter um ihn herum, die alle ein breites Grinsen unterdrückten. Ryosuke zeigte ihm, wie man den Fächer sanft öffnete und sein Gesicht dahinter versteckte. Kenshin ahmte ihn nach. „Exzellent,“ lobte Ryosuke enthusiastisch. „Gleich geht’s los!“ Baiko zog Kenshin zur Seite. „Auf ein Wort unter vier Augen – Onna-san?“ „Nicht du auch noch...“ stöhnte Kenshin. Baiko ignorierte ihn und führte ihn ein Stück von den anderen weg. Er war sichtlich aufgeregt. „Hör zu, Himura, ich habe Orinosuke dabei beobachtet, wie er vor einiger Zeit deine Sachen durchsucht hat,“ meinte er mit leiser Stimme. „Er ist überzeugt, dass du gefährlich bist und will irgendwas finden, womit er das beweisen kann!“ Kenshin war plötzlich auf der Hut. Seine Augen glitten zu Orinosuke, der bei seiner Frau stand und mit ihr stritt. „Hat er gefunden, nach was er gesucht hat?“ „Natürlich nicht – du hast ja nichts wertvolles in deiner Tasche.“ Angesichts Kenshins überraschtem Blick fügte er entschuldigend hinzu, „Ich hab schon mal deine Sachen untersucht, als du gerade zu uns gestoßen warst – als Ennosuke noch unter dem Wagen lag. Ich meine, ich wollte sofort wissen, mit wem wir es hier zu tun haben.“ Kenshin versuchte, seinen Ärger hinunter zu schlucken. Er jedenfalls respektierte die Besitztümer anderer Leute und fühlte sich deswegen verletzt, wenn andere die Seinen durchsuchten. Aber er verstand schon, warum Baiko das getan hatte. Bei Orinosuke war das anders... “Baiko-san, Danke für deine Warnung.” Meinte er schließlich angespannt. „Sei einfach vorsichtig, wenn er in der Nähe ist.“ Riet ihm Baiko und fügte lächelnd noch hinzu: „Vor allem in deiner jetzigen Verfassung.“ „Verfa.. was?!“ Baiko begann unkontrolliert zu kichern. „Weist du, wie bescheuert ich mir vorkomme, mit du-weißt-schon-wem zu sprechen, wenn er wie eine zierliche Frau aussieht?“ Kenshin schlug seinen Fächer auf, aber nicht auf die Weise, die Ryosuke ihm gezeigt hatte und Baiko trat hastig einen Schritt zurück. „Die tödliche Angriffstechnik eines Shinsengumi-Anführers,“ erklärte Kenshin spitz; Dann ließ er den Fächer ebenso schnell wieder zuschnappen. Behutsam ging er wieder zur Bühne zurück, vor der jetzt alle bereit standen, leider auch zu Kenshins Bedauern Orinosuke. Er saß auf dem Boden, die Arme vor der Brust verschränkt und war bereit, jeden Fehler Kenshins lautstark zu kritisieren. Daisuke spielte den Exorzisten, und er würde für Kenshin den Text sprechen. Der erste Durchlauf war schwierig. Kenshin wusste zwar, was er zu tun hatte, aber in vollem Kostüm und mit den ständigen Ermahnungen im Hinterkopf, sich wie eine Frau zu bewegen, gestaltete sich die ganze Sache als Herausforderung. Ryosuke flüsterte ständig, „Zu angespannt, Himura, zu angespannt!“ und Orinosuke schrie andauernd besserwisserische Kommentare. Selbst die Bohnen-Werf-Szene am Ende war voller Anspannung. Es hatte 45 Minuten gedauert, ein 20 Minuten-Stück zu spielen, aber Kenshin war es ewig vorgekommen. Als er Orinosuke anschaute, schüttelte der nur angeekelt den Kopf. Während Daisuke und Orinosuke die Bühne für den zweiten Durchlauf wieder herrichteten, zog Ryosuke Kenshin beseite. „Was ist mit dem Humor passiert, den du heute Nachmittag noch hattest?“ Kenshin starrte ihn an, als ob er verrückt wäre. „Ryosuke-san. Mit Perücke und Geta ist Sessha einfach nur froh, nicht umzufallen.“ “Es hat einen Grund gegeben, warum ich dich den Streich hab spielen lassen!” Fuhr Ryosuke ungerührt fort. „Erinnere dich an den Spaß, den du dabei hattest! Wie du dich gefühlt hast, als Orinosuke dir in die Falle gegangen ist. Dieses Gefühl brauchst du während dem Stück!“ Kenshin hatte das Lächeln angefangen und die Erinnerung an den Nachmittag brachte ihn wieder zum Kichern. Es war wirklich witzig gewesen, und Orinosukes Reaktion war zum Brüllen gewesen. Dieses Gefühl durfte er nicht vergessen! Er sah jetzt Ryosuke mit neuem Respekt – dieser Mann war weiser, als er den Eindruck machte. Der zweite Durchgang war weit besser als der Erste. Kenshin machte es langsam Spaß, die Rolle der Witwe zu spielen. Er musste nicht länger dauerhaft konzentriert sein und er fand sogar Wege, Ryosuke zu ärgern, die gar nicht im Skript standen. Ryosuke war zuerst überrascht über Kenshins Improvisation, aber dann sichtlich erfreut und als schließlich die Bohnen-Werf-Szene dran war, fing Kenshin die Bohnen im Flug auf, wie er es am Nachmittag versehentlich getan hatte. Am Ende sah sogar Orinosuke nicht ganz so düster aus wie immer. Die Musik spielte dann beim dritten Durchgang mit und die ganze Familie kam nun zum Zuschauen. Kenshin merkte das gar nicht. Er war vollkommen auf das Stück fixiert, wie wenn es ein Schwertkampf gewesen wäre. Ryosuke ärgerte Kenshin nun noch mehr und am Ende des Stückes überraschte er ihn, indem er einige Bohnen nach ihm warf, aber andere am Boden zu ihm herüber rollen ließ. Kenshin hatte das nicht erwartet und trat mit seinen hohen Sandalen auf die Bohnen, die wegkullerten und ihn sein Gleichgewicht verlieren ließen. Plötzlich fand er sich auf dem Rücken liegend, die Füße mit den Geta-Sandalen in die Luft gereckt und Arme und Hände noch immer in die Seiten gestemmt. “Oro!” rief er überrascht. Oro? Wo zur Hölle kam dieses Wort her, fragte er sich verwundert. Er hatte dieses Wort nicht gesagt, seit... Seit Hiko ihn während eines Wortgefechtes einfach in eine Schlammpfütze geschleudert hatte. Es war kurz bevor Kenshin die Berge und seinen Meister für immer verlassen hatte und er erinnerte sich mit Befriedigung, dass sein Meister große Mühe gehabt hatte, ihn zu besiegen. Jetzt brachte er allerdings seine Gedanken wieder zurück zur Gegenwart und nahm eine Handvoll Bohnen und warf sie blitzschnell a la Hiten-Mitsurugy-Ryu auf den lachenden Ryosuke. Die Familie brach in Applaus aus. Daisuke rannte herbei und half Kenshin auf die Beine. „Brilliant, Himura-san! Mensch, wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, du hast Erfahrung als Schauspieler!“ „Toll!“ freute sich auch Ryosuke. „Ich hätte es selbst nicht besser machen können.“ Dann, an Orinosuke gewandt, fragte er, „Was meinst du, Bruderherz?“ Orinosuke hatte die Arme immer noch verschränkt. „Wenigstens wird er uns nicht blamieren,“ war alles, was er zu sagen hatte, bevor er mit dem Aufräumen begann. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte Kenshin eine Wärme in sich aufsteigen, die vom Lachen zu kommen schien. Er fühlte sich ganz leicht ums Herz. Er war immer noch erstaunt über das plötzliche „Oro“ – ein Wort aus den Tagen seiner Unschuld, in Wort, an dass er während der letzten acht Jahre nie gedacht hatte. War passierte mit ihm! Er ging zurück zum Wagen und begann, den Kimono und die Perücke abzulegen. Als Ikuko herbeieilte und ihn abschminkte, zuckte er bei ihrer Berührung nicht einmal mehr zusammen. Dennoch fühlte er erleichtert das Gewicht seines Sakabatous an seiner Hüfte. Ein kleines Lächeln kroch über sein Gesicht. Inzwischen zogen sich auch die anderen um. „Nun, es lief besser, als ich gedacht hatte,“ begann Daisuke, während er seine Perücke absetzte. „Hmhm,“ nickte Ryosuke beim Abschminken. „Du hast mehr Zeit mit dem Rurouni verbracht, als wir anderen. Was hältst du von ihm?“ fragte Daisuke. Ryosuke hielt beim Gesicht-abrubbeln inne und überlegte. „Weißt du, ich bin mir nicht sicher.“ Antwortete er. „Er ist ein sehr ernster Mensch, sehr konzentriert – ein guter und schneller Schüler – aber... Weißt du, heute Nachmittag, als wir angefangen haben, zu üben, war er so angespannt... Er war wirklich unfähig, locker zu werden. Ich habe dann bei der Bohnen-Szene heimlich ein paar von hinten auf ihn geworfen, um ihn aufzumuntern oder in Kampfeslaune zu versetzen, und... Tja, es war der Hammer! Er konnte nicht gewusst haben, dass ich die Bohnen auf ihn geworfen habe, aber er schoss wahnsinnig schnell herum und fing sie mitten in der Luft auf. Ich meine, so schnell, dass ich es nicht sehen konnte! Was für eine Begabung – das Publikum würde ihn dafür lieben! Und was war seine Reaktion? Er hat sich entschuldigt! Gesagt, „Tut mir Leid, das war Instinkt!““ “Instinkt, eh? Er fühlte also die Bohnen kommen?” Daisuke ließ sich das durch den Kopf gehen. „Sonst noch was?“ „Ja, er hat gesagt, dass ihm das sein früherer Shishou beigebracht hatte. Shishou – ist das nicht die altertümliche Bezeichnung für einen Meister des Kenjutsu?“ „Ich glaube schon.“ Sagte Daisuke. „So, der Rurouni ist also im Kenjutsu trainiert. Das erklärt viel. Deine Mutter ist davon überzeugt, dass er mal Soldat gewesen ist. Und die besten Kenjutsu-Schulen trainieren einen Schwertkämpfer, wie man die „Ki“ eines Feindes fühlt. Macht alles Sinn. Orinosuke meint, er ist ein gefährlicher Mann. Er liegt nicht oft daneben bei so was.“ Ryosuke schnaubte. „Lass ihn endlich nach Kyoto verschwinden.“ “Hmpf.” Murmelte Daisuke. Dann: “Du hast nicht meine Frage beantwortet.” Ryosuke seufze. „Gefährlich? Naja, wer weiß schon, was er für eine Vergangenheit hat. Aber ich weiß, das die Kinder ihn lieben. Und Kinder haben ein Gespür für so was.“ „Und du?“ „Ich?“ sagte Ryosuke. „Ich sehe, das sein Schwertgriff benutzt ausschaut. Und trotz all seiner „Sessha’s“ wirkt er irgendwie sehr Selbstbewusst. Wie er sich gibt und benimmt und auch bewegt. Bedeutet das, dass er gefährlich ist? Vielleicht einfach nur seiner Fähigkeiten sicher. Doch mich interessiert, wie er diese Fähigkeiten einsetzt. Bis jetzt hat er alles getan, um sie zu verbergen, wenn du mich fragst...“ „Hmpf. Wir sollten ihn immer noch im Auge behalten, denke ich...“ “Hmpf.” Stimmte Ryosuke zu. Japanische Wörter: Geta: Holz-sandale mit hoher Sohle. Kenjutsu: Kunst des Schwertkampfes Daimyo: japanischer Feudalherrscher über eine Provinz Boshin War: Rebellion gegen die neue Regierung, 1868-1869, vor allem in Aizu und Hokkaido. Onnagata: Der Mann, der im Kabuki-Theather die Frau spielt Sessha: Dieser unwürdige, demütige Selbstanrede Onna-san: geehrte Dame Zori: Japanische Sandalen Ki: ‘aura.’ Author’s Note: Zum Kabuki: Eigentlich werden auf der Bühne kaum Gegenstände als Kulisse eingesetzt. Leider hat das die Autorin erst nach dem Kapitel herausgefunden, deswegen gibt es bei Daisuke viele Kulissen usw... Serizawa Kamo gab es wirklich, er war Mitglied der Shinsengumi in Kyoto, starb dort aber bereits im September 1863. Es könnte sein, das Kenshin ihn dort noch getroffen hat. Wichtig in dieser Geschichte war, das Kenshin zurück zu seinem Ausruf “Oro” gefunden hat. Für die Autorin machte es Sinn, das er dieses Wort bereits als Kind benutzt hatte, es aber während seiner Jahre als Hitokiri vergessen hat. Jetzt, da er sein „Oro“ wiederfindet, ist das ein Zeichen, dass er wieder zurück ins Leben kommt, die traumatischen Erlebnisse des Krieges abschüttelt.... aber egal, wie sehr er sich Mühe gibt, die Vergangenheit kommt immer wieder ans Licht... wie lange geht es noch gut, bevor seine Identität als Hitokiri Battousai auffliegt?..... Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Kapitel 5 Ein strahlender Morgen brach an, perfekt für ein Auftritt unter freiem Himmel. Kenshin war dafür sehr dankbar, denn Donner oder Regen als Ablenkung brauchte er nun wirklich nicht für seinen ersten Bühnenauftritt. Auch war er dankbar, dass er relativ gut geschlafen hatte. Es war wohl diesmal eine der wenigen Nächte ohne die schrecklichen Albträume gewesen. Vielleicht war ja das Schauspielern ein gutes Gegenmittel gegen diese Träume, überlegte er träge. Auch diese Nacht hatten Kenshin und Baiko sich die Nachtwache geteilt. Am Morgen zuvor war Kenshin davon geschlichen, um heimlich seine Kata zu üben. Doch Baiko hatte ihn später gefunden und beobachtet. Diesen Morgen jedoch sah Kenshin keine Notwendigkeit, sein Training vor Baiko zu verheimlichen und sagte ihm, wohin er zum Üben gehen würde. Es fühlte sich gut an, das Schwert durch die frische Morgenluft schwingen zu lassen. Es gab einmal eine Zeit, während der dunklen Jahre in Kyoto, wo ihn die Schwertübungen nur an Mord und Gemetzel erinnert hatten. Aber jetzt hatte er wieder die kindliche Freude am Training entdeckt. Als er fertig war, fühlte er sich erfrischt und bereit, den Herausforderungen des Tages entgegen zu treten. Der Termin für den Auftritt war auf den späten Morgen festgelegt worden, damit die ganze Gruppe gleich nach dem Mittagessen weiter nach Miyazaki fahren konnte. Nicht nur das Stück mit Kenshin stand auf dem Plan, sondern auch eine Szene aus dem Drama „Kanijncho“. In diesem Drama, so wurde Kenshin erzählt, könnten Daisuke und Orinosuke ihre ganze Schauspielkunst unter Beweis stellen. Das ganze Lager glich an diesem Morgen einem Ameisenhaufen. Schnell wurde das Frühstück hineingeschlungen, um halb Acht Kabuki geübt, um Neun die Bühne hergerichtet und geschmückt. Kenshin saß zu dieser Uhrzeit schon bei Ikuko zum Schminken. Keine zehn Minuten nachdem Kenshin im Wagen verschwunden war, tauchte der Arzt Satoshi auf. Er entschuldigte sich für seine frühe Störung und sagte, er wolle nach Ennosukes Bein schauen, aber der wahre Grund war, dass er Kenshin noch mal zu sprechen wünschte. Die Tatsache, das dieser rothaarige Wanderer dem kleinen Jungen, den er vor Jahren im Lager der Kiheitai gesehen hatte, so ähnlich war, hatte seine Neugier geweckt. Allerdings war Daisuke der Einzige, den er im Lager traf. Satoshi versteckte seine Enttäuschung und betrachtete die emsigen Vorbereitungen, bis Ennosuke angehumpelt kam und ihn zu seinem Zelt führte. Wenig später kehrte er zurück zur Bühne, auf der jetzt die Möbel und Kulissen schon bereit standen und traf dort Orinosuke, der ihn begrüßte. “Satoshi-san”, verbeugte er sich kurz, “wie geht’s meinem Bruder? Vater ist gerade beim Umziehen und hat mich beauftragt, mich für ihn zu erkundigen.“ „Er erholt sich schnell,“ begann Satoshi. „Die Naht heilt gut und die Blutung hat aufgehört. Ich denke, er wird keine Probleme mehr haben, wenn er nicht zu viel auf den Beinen ist.“ „Gute Neuigkeiten!“ sagte Orinosuke. Er wandte sich sofort wieder seiner Arbeit zu, doch Satoshi hielt ihn auf. „Ich habe etwas Medizin und Anweisungen zur Pflege deines Bruders dabei. Vielleicht sollte ich das Himura-san übergeben?“ “Himura!” knurrte Orinosuke. Der Name alleine brachte schon sein Blut in Wallung, aber er kontrollierte seinen Ärger und antwortete mit so ruhiger Stimme wie möglich: “Himura-san zieht sich gerade für das Stück um. Er ersetzt meinen jüngsten Bruder. Vielleicht kannst du ja deine Sachen mir übergeben.“ Satoshi übergab ihm einige Päckchen mit Salben und geschriebenen Anweisungen und meinte dann, „Weißt du, es ist wirklich seltsam, einen Japaner mit roten Haaren zu treffen, aber der Rurouni ist schon der Zweite, der mir begegnet!“ “Der Zweite?” wiederholte Orinosuke, plötzlich sehr interessiert. „Ja,“ fuhr Satoshi fort, begierig, jemandem – irgend jemandem - seine Geschichte erzählten zu können. „Vor circa acht Jahren war ich Mitglied der Kiheitai, drüben in Choshu – du weißt schon, die Armee, die sich gleich am Anfang der Bakumatsu-Zeit formiert hat – und da gab es einen kleinen Jungen mit einem großen Schwert und roten Haaren. Ich hatte damals noch nie zuvor rote Haare gesehen, aber man sagte mir, er sei wirklich ein Japaner. Dreizehn oder Vierzehn musste er gewesen sein. Wahrscheinlich hatte sich irgendwann einmal ausländisches Blut in die Familie gemischt. Ich habe ihn nie persönlich getroffen - er war schon wenig später nach Kyoto verschwunden. Deswegen ist der Rurouni der zweite Mensch mit roten Haaren, den ich sehe. Vielleicht ist er ja ein Verwandter zu dem Jungen? Wäre das nicht ein Zufall?!“ “Ich glaube nicht an Zufälle,” murmelte Orinosuke düster. Er starrte den Wagen an, in dem, wie er wusste, Kenshin jetzt saß und geschminkt wurde. „Wenn ich jetzt so darüber nachdenke,“ erzählte Satoshi weiter, „Ist er sogar der dritte Rothaarige, von dem ich gehört habe!“ „Der Dritte?“ fragte Orinosuke abwesend, die Augen immer noch auf den Wagen geheftet. „Hm. Natürlich hast du auch schon von Hitokiri Battousai gehört, oder nicht?“ Orinosuke wandte sich wieder zu Satoshi um, seine Augen verschmälerten sich. „Wir haben Gerüchte über einen Hitokiri mit Namen Battousai gehört, kurz bevor wir Kyoto verlassen haben. Wieso?“ „Nun, man erzählt sich, dass dieser Mann auch rote Haare hatte. Natürlich habe ich ihn nie gesehen, aber man sagt, er sei über zwei Meter groß gewesen mit glühenden Augen...“ „Gewesen?“ „Ja, von dem, was man so hört, soll er wohl gleich nach dem Sturz des Shogunats verschwunden sein. Ich vermute, ihn wird’s wohl doch noch erwischt haben. Aber die ganzen Geschichten über ihn erzählt man sich immer noch...“ “Ja, danke!” schnitt ihm Orinosuke das Wort ab. „Ich muss jetzt wieder arbeiten. Ich leite deine Anweisungen an den Rurouni weiter.“ Dann ging er davon und ließ Satoshi stehen. Nein, dachte Orinosuke, während er auf der Bühne weiterarbeitete. Solch einen Zufall konnte es nicht geben. Der Junge, den der Arzt gesehen hatte, war damals 13 oder so... und das war vor acht Jahren. Und der Rurouni war jetzt 22, hatte er gesagt. Himura mochte vielleicht den Arzt getäuscht haben, aber ihn nicht. Er würde seinen letzten Ryo darauf verwetten, das Himura genau dieser Junge war. Und das würde bedeuten, dass er mitten im Geschehen des Bakumatsu in Kyoto dabei gewesen war. Und dann noch die Sache mit Hitokiri Battousai. Es gab Gerüchte in Kyoto, die er selbst gehört hatte, bevor sie die Stadt verlassen hatten – ein Killer, dessen Name alle in Angst und Schrecken versetzte. Und der hatte auch rote Haare? Kagoshima war so weit südlich in Japan, deswegen hatten sie niemals Neuigkeiten aus Kyoto erhalten, nachdem sie dort weggezogen waren. Natürlich auch nicht über diesen Attentäter. Er wusste also nicht, ob er wirklich zwei Meter groß war, aber was er wusste, war, dass Augen sehr wohl glühen konnten, wenn man den Wunsch zu töten hatte... “Hey, Orinosuke, starrst du Löcher in die Luft?” rief Ryosuke aus dem Zelt hinter der Bühne. Orinosuke funkelte ihn an. Er stopfte die Sachen von Satoshi in seinen Ärmel und verdrängte vorerst die Gedanken über gewisse Menschen mit roten Haaren. Später, auf dem Weg nach Miyazaki, würde er noch genug Zeit haben, die Wahrheit aus dem Rurouni herauszuquetschen... Ikuko fügte gerade die letzten Pinselstriche an dem Gemälde auf Kenshins Gesicht an, als dieser plötzlich eine sehr feindliche Aura erspürte, die von Orinosuke kommen musste. Er konzentrierte seine Sinne, um zu erspüren, was der Grund für diese plötzliche Wut sein könnte, aber er konnte nichts herausfinden. Eine plötzliche Welle der Angst durchflutete ihn, als er befürchtete, der Arzt könnte zurückgekehrt sein und mit ihm gesprochen haben. „Ach was,“ redete er sich ein. “Vermutlich haben ihn die Kinder geärgert…” Ikuko fühlte die Anspannung, die Kenshin befallen hatte und fürchtete, er könnte jetzt Lampenfieber bekommen. “Nein, nein,” beruhigte sie Kenshin schnell. Ikuko lachte warmherzig während sie seine Haare hochsteckte. „Du wärst ja nicht der Erste mit Lampenfieber. Du hättest mal meinen Ältesten bei seinem ersten Auftritt sehen sollen... alle seine Nägel waren abgekaut, bevor er die Bühne betrat...“ Sie setzte ihm jetzt die Perücke auf den Kopf und half ihm in den Kimono. „Es kann sein, dass nach deinem Auftritt noch Leute zu dir kommen, um dir Komplimente zu machen. Wenn es so sein sollte, dann versuche immer, dich wie eine Dame zu verhalten. Nehme dem Publikum niemals die Illusion, auch wenn irgendein Mann dich dumm anmachen will.“ „Anmachen will?“ rutschte es Kenshin heraus. „Du meinst, verführen?“ Ikuko musste angesichts der Panik in Kenshins Gesicht ihr Lachen zurückhalten. „Ja, das passiert ab und an. Die Männer wissen ja oft nicht, dass ein Mann die Frauenrolle spielt“. Toll. Also nicht nur auf der Bühne so tun, als ob man eine Frau wäre, sondern sich danach noch von lüsternden Bauern anmachen lassen. “Ach, und noch was,” sagte Ikuko. „Mein Mann hat sich für dich einen Bühnennamen ausgedacht – Shinosuke der Erste. Magst du ihn? Er hat von deinem Vornamen die letzte Silbe genommen und einen Namen daraus gemacht, der denen unserer Familie ähnelt.“ Ein Bühnenname? Und dann auch noch einer, der so klingt, als ob er Teil dieser Familie wäre... damit hatte er nicht gerechnet. „Das ist mehr, wie Sessha verdient,“ bedankte er sich demütig und verbeugte sich so tief, wie er mit der Perücke konnte. Baiko wartete vor dem Wagen bereits auf ihn und half ihm beim Herabsteigen. Als sie zur Bühne gingen, sah Kenshin bereits die Leute aus dem Dorf zusammenströmen. Der Arzt war mit seiner Frau und seinen Kindern auch dabei und schaute sich andauernd um, wie als ob er jemanden suchen würde und Kenshin hatte das dumpfe Gefühl, das er dieser Jemand war. Baiko sah den Arzt auch und schlug sich plötzlich gegen die Stirn. „Fast hätte ich’s vergessen!“ sagte er entschuldigend und holte einige Dinge aus seinem Ärmel. „Hier, das ist für dich – Ennosukes Medizin und Anweisungen vom Arzt. Er hat sie Orinosuke-san gegeben und der hat sie mir gegeben. Ich werde sie am besten zu deinen anderen Sachen legen.“ So. Es war doch der Arzt gewesen, der Orinosuke so in Aufruhr versetzt haben musste. „Baiko,“ meinte Kenshin angespannt, „hat der Arzt mit Orinosuke gesprochen? “Weiß ich nicht. Wieso?“ Kenshin antwortete nicht. Ein Bauer mit seiner Familie kam gerade vorbei und verbeugte sich äußerst höflich vor ihm. Er schob seine Besorgnis beiseite und erwiderte möglichst damenhaft die Verbeugung, wobei er in seinen Geta stolperte. „Tss... nicht sehr damenhaft, was?“ stichelte Baiko. „Baiko...“ Kenshins Stimme war ein gefährliches Grummeln. “Du spielst mit dem Feuer.” “Hör zu, Himura,” kam Baiko wieder zum Thema zurück, “wenn der wütende Sack dich wieder auf dem Kieker hat, dann spiel doch einfach die unschuldige Dame. Benutz das, was du gelernt hast.“ „Wie meinst du das?“ fragte Kenshin. „Naja, ich dachte, dass ist offensichtlich,“ antwortete Baiko. „Wenn Satoshi wirklich Orinosuke-san irgendwas erzählt hat, willst du ihn ja nicht darin bestätigen, oder? Und das erreichst du nicht, indem du ihn mit dem Schwert bedrohst. Aber du könntest so tun, wie wenn du eine ahnungslose Witwe bist – so eine, wie du spielst – und das würde ihn sicher verwirren.“ „Hm, ich verstehe, was du meinst...“ Als sie am Zelt hinter der Bühne angekommen waren, verließ ihn Baiko mit den Worten „Wird schon schief gehen!“, doch Kenshin war jetzt angespannt. Ryosuke bemerkte das sofort, hielt es aber, wie Ikuko, für Lampenfieber. Er beendete schnell sein Make-up und sah nun wie ein doch recht furchterregender Dämon aus. Als er Kenshin aufmunternd anlächelte, war der Effekt eher beunruhigend. “Lampenfieber, Himura-san?” fragte er einfühlsam. „Hmmmm? Was?“ murmelte Kenshin. „Oh, Nein, Ryosuke-san, ich denke nur nach. Gomen...“ Daisuke warf Ryosuke einen kurzen Blick zu. Ryosuke nickte kaum merklich zurück. „Himura-san, hab ich dir eigentlich schon Mal erzählt, wie sich mein jüngster Bruder bei seinem ersten Auftritt benommen hat?“ begann Ryosuke. „Er war ja nicht das erste Mal auf der Bühne, aber das erste Mal musste er sprechen und singen. Kaum ging es los, da erstarrte er – wie eine Salzsäule. Weißt du, was Vater dann gemacht hat? Er kam von hinten an ihn heran und hat ihn gezwickt, genau in den Hintern. Das hat ihn wieder entspannt!“ Ryosuke brüllte vor Lachen während Daisuke die Handlung nachahmte. „Funktioniert doch immer!“ lachte Daisuke schallend. Kenshin schaute von einem zum anderen, Schrecken im Gesicht. Er beschloss, schnell seinen Humor wieder zu finden und sich zu entspannen, bevor diese drastischen Maßnahmen auch bei ihm ergriffen würden und zwang sich zum lächeln. „Schon besser, Himura-san.“ Bemerkte Daisuke anerkennend. „Also, nur Mut!“ Plötzlich verstummte das Gemurmel des Publikums draußen vor der Bühne und Kenshin hörte Ennosuke das Stück und die Namen der Schauspieler ankündigen. Es dauert ein bisschen, bis er bemerkte, das dieser Shinosuke der Erste ja er selbst war. Nun, besser als der Name, den man ihm während der Revolution gegeben hatte, dachte er reumütig. Er betete zu den Göttern, dass er diese Sache ohne Schaden überstehen möge. Endlich kündigte ein Trommelschlag den Beginn des Stückes an. Kenshin musste als erstes auf die Bühne. Für die ersten Minuten lief alles gut. Aber dann hörte er plötzlich das Publikum über ihn Lachen. Er sah in die Menschenmenge und erstarrte. Nach so vielen Jahren, in denen er versucht hatte, so unauffällig wie möglich zu sein, fand er es plötzlich erschreckend, von hundert Paar Augen angestiert zu werden. Er verkrampfte sich und seine Hand glitt instinktiv an seine linke Seite zu seinem nicht vorhandenen Sakabatou. Das Publikum lachte noch mehr, da es dachte, alles würde zum Stück gehören. Glücklicherweise betrat jetzt auch Daisuke die Szene und bemerkte sofort, was los war. “Ein wandernder Exorzist bin ich,” intonierte Daisuke seinen Kabuki-Sing-Sang, “und da sehe ich eine Witwe, die meine Hilfe benötigt. Ohne Zweifel ist sie von einem schrecklichen Gänse-Dämon besessen!“ Kenshin war zwar wie versteinert, bemerkte aber den neuen, nicht eingeübten Text. Von einem Gänse-Dämon besessen? So stand das nicht im Script. Die Angst, von Daisuke gleich in den Hintern gezwickt zu werden, löste ihn aus seiner Versteinerung. Er fokusierte all seine Konzentration auf Daisuke und Ryosuke, der nun ebenfalls die Bühne betrat und bald hatte er das Publikum um ihn herum vergessen. Es machte ihm mit der Zeit sogar Spaß und als am Ende die Bohnen-Werf-Szene kam, fand er sich sogar mutig genug, um absichtlich, wie am Tag zuvor, auf den Bohnen am Boden auszurutschen und hinzufallen – nicht ohne zuvor noch eine Ladung Bohnen schnell wie der Blitz auf Ryosuke zu werfen. Das Publikum war begeistert und klatschte lange und laut. Als er sich vor der Menge mit Ryosuke und Daisuke an seiner Seite verbeugte, war er zwar immer noch entgeistert, dass ihn so viele Leute anstarrten, aber es war jetzt okay – keiner hatte ihn bedroht und keiner hatte ihn erkannt. Er war immer noch sicher. Als sie alle hinter die Bühne ins Zelt gegangen waren und sich Daisuke und Ryosuke schnell für das nächste Stück umzogen, sah Kenshin, dass sogar Orinosuke seine Feindseligkeit verloren zu haben schien. Um sein Glück aber nicht weiter zu strapazieren, verließ er so schnell wie möglich das Zelt und steuerte auf den Wagen zu, um sich dort wieder in sein männliches Selbst zu verwandeln. Kaum war er so vorsichtig, wie es ihm in den hohen Sandalen möglich war, ein paar Schritte gelaufen, als ihn schon ein Bauer einholte. „Verehrte Dame, verehrte Dame!“ rief er aus aber Kenshin lief weiter, weil er nicht merkte, dass der Bauer ihn meinte, bis er ihn schließlich am Ellebogen packte. Überrascht blickte Kenshin den Mann an, der sich höchst freundlich vor ihm verbeugte. “Verehrte Dame! Bitte, erlaubt diesem unwürdigen Bauern, sich euer Hochwohlgeborenen vorzustellen!” begann er, während er sich ohne Unterbrechung immer weiter verbeugte. Kenshin war einigermaßen erschreckt und wusste nicht, wie er reagieren sollte, deswegen erwiderte er schüchtern die Verbeugungen. Niemals die Illusion zerstören, erinnerte er sich an Ikukos Worte. „Verehrte Dame, eure Notlage hat mich sehr bewegt,“ fuhr der Bauer fort. Was zur Hölle…? „Dass eine Witwe sich selbst vor so schrecklichen Dämonen verteidigen muss, ohne einen Ehemann, der sie beschützt! So eine himmelschreinende Ungerechtigkeit!“ Oh-oh, dachte Kenshin, der Typ musste das Stück für bare Münze gehalten haben! Er verbeugte sich, um das Gespräch zu beenden und versuchte, weiterzulaufen, aber der Mann stoppte ihn abermals. „Ich bin nur ein armer Bauer und selbst ein Witwer! Ich besitze allerdings einige Morgen Land voller Kartoffeln, Sojabohnen und paar Ochsen - es wäre mir eine Ehre, euch all meinem Besitz und auch mich selbst anzubieten – wollt ihr mich heiraten?“ Jetzt wurden Kenshins Augen groß und er schlug schnell den Fächer auf, um sein Gesicht dahinter zu verbergen. Dieser Mann machte ihm gerade einen Heiratsantrag! Ihm war zwar gesagt worden, er solle die Illusion aufrecht erhalten, aber das ging eindeutig zu weit! Panisch schaute er umher, um irgendeine Möglichkeit zu finden, sich aus dieser unmöglichen Situation heraus zu manövrieren. Glücklicherweise kam genau in diesem Moment der Retter in Form von Baiko. „Geliebte! Triffst du einen Bewunderer deines Auftrittes?“ rief Baiko herzlich aus und legte besitzergreifend seinen Arm um Kenshins Taille. „Geliebte?“ quietschte der Mann. „Diese Frau ist deine Frau? Oh. Ich dachte, sie wäre eine Witwe!“ Kenshin wich einen Schritt zurück und seine Augen huschten zwischen den beiden Männern hin und her. Er hatte keine Ahnung, was Baiko vor hatte, aber er wusste, das es peinlich enden würde. „Ja, sie ist meine Frau,“ antwortete Baiko mit einem Lächeln, „aber wir heiraten erst in ein paar Tagen.“ Er nahm Kenshins Hand und tätschelte sie zärtlich, bevor er sie auf seinen Arm legte und sich zum Gehen wandte. „Oh, Ah, Mh!“ stammelte der Mann. „Bitte, ehrwürdige Dame, verzeiht mir mein forsches Verhalten. Oh je...“ Schnell eilte er in einer Mischung von hektischen Schritten und entschuldigenden Verbeugungen davon. Kenshin ließ den Fächer zuschnappen und starrte Baiko an. Seine Hand krallte sich in Baikos Arm bis dieser vor Schmerzen japste. „Geliebte?“ Kenshins Stimme war tief und gefährlich. „Wir werden heiraten? Hättest du dir nicht etwas anderes ausdenken können?“ Baiko befreite sich von Kenshins Schraubstock-Griff. „Was denn, ich musste schnell handeln, oder?“ grinste er unbeeindruckt. „Und es hat doch geklappt! Eine Frau sollte dankbar sein, wenn ein starker Mann sie vor aufdringlichen Bewerbern beschützt!“ Kenshin knurrte und wollte gerade den Fächer wieder auf Shinsengumi-Art aufschlagen, als Baiko sagte: „Komm, ich geh mit dir das restliche Stück zum Wagen, falls es noch mehr liebeskranke Fans von der Sorte gibt. Ich wollte sowieso dahin um für Daisuke noch etwas für die Kulisse zu holen.“ Baiko platzierte Kenshins Hand wieder auf seinem Arm und schenkte ihm ein selbstgefälliges Lächeln. Wenn jemand die beiden zusammen laufen gesehen hätte, hätte er nur bemerkt, wie ein Mann eine Frau mit einem äußerst düsterem Gesichtsausdruck und einer schwarzen Wolke über ihrem hochgesteckten Haar führte. Verdammt, dachte Kenshin. Es war so demütigend! Kaum am Wagen angekommen, streifte er die Geta ab und hüpfte sofort hinein. Schnell befreite er sich von der Perücke und schüttelte in großer Erleichterung sein eigenes Haar. In wenigen Minuten war er auch von Obi und Kimono befreit und nun rubbelte er zu guter Letzt noch die weiße Schminke ab. Jetzt erst wagte er es, einen Spiegel zur Hand zu nehmen, um zu sehen, ob noch Rückstände der weißen Farbe in seinem Gesicht waren. Nur in seiner X-förmigen Narben schienen sich noch ein paar Reste gehalten zu haben, aber auch die verschwanden, als er noch einmal mit Nachdruck darüber rubbelte. Er band sein Haar zusammen und er holte – endlich - sein Sakabatou und steckte es durch seinen Gürtel. Jetzt fühlte er sich wieder komplett er selbst. Jetzt allerdings kam die Sorge wieder zurück, der Arzt würde noch irgendwo da draußen auf ihn warten. Er wollte gerne Daisuke und seine Söhne in dem Drama anschauen, aber wenn er sich zu dem Publikum stellen würde, könnte Satoshi ihn vielleicht sehen oder wieder mit Geschichten aus der Vergangenheit anfangen. Sein Blick glitt nach oben. Vom Wagendach aus konnte man sicher eine gute Sicht auf die Bühne haben, ohne dem lästigen Arzt zu begegnen, überlegte er. Leichtfüßig sprang er auf das Dach und setzte sich. Die Aussicht war exzellent und er genoss das dramatische Stück, in dem es um die Rivalität zweier großer Kriegsherren im Japan des 12 Jh. ging. Es ging um die Loyalität der Samurai zu ihrem Kriegsherren, Loyalität bis in den Tod. Kenshin kannte die Geschichte von seinem Meister, der ihm oft solche Legenden von Tapferkeit, Ehre und Tod erzählt hatte. Auch während der Bakumatsu-Zeit in Kyoto hatte er Männer kennen gelernt, die er zutiefst für ihre bedingungslose Treue gegenüber dem Shogun bewundert hatte. Natürlich hatte er sie trotzdem getötet, wie es eine eigene Pflicht erfordert hatte... Seine Gedanken wurden wieder in die Gegenwart gerissen, als er die Trommeln hörte, die das Ende des Stückes verkündeten. Schnell sprang er vom Dach und begann, den Wagen für die baldige Abfahrt zu beladen, hoffend, dass dieser verdammte Arzt nicht auftauchen würde. Doch als sie endlich alles verladen hatten, war schon eine Stunde vergangen und der Arzt war sicherlich schon lang gegangen. Kenshin atmete auf. Sie aßen alle schnell zu Mittag und machten sich dann wieder auf den Weg, um über die bergige Straße so schnell wie möglich nach Miyazaki zu gelangen. Kenshin nahm wieder die Position auf der rechten Seite des Wagens ein und Noriko und Nomi leisteten ihm Gesellschaft. Als die Strecke holpriger und die Straße schmäler wurde, setzten sich die zwei in den Wagen, sehr zur Erleichterung Kenshins, der jetzt seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten konnte, drohende Gefahr so schnell wie möglich bemerken zu können. Die Yakuza mussten hier irgendwo in der Gegend sein. Orinosuke bemerkte, dass Kenshin jetzt alleine war und verlangsamte sein Tempo, bis er neben Kenshin lief. Kenshin nickte ihm zu, sagte aber nichts. Irgendwas an Orinosuke machte ihn nervös, und seine ständigen, durchdringenden Seitenblicke machten es auch nicht besser. Endlich begann er zu reden. „Ich hatte eine faszinierende Unterhaltung heute Morgen. Mit dem Arzt, Satoshi-san. Er hatte wirklich ganz außerordentliche Geschichten zu erzählen.“ Vielsagend sah er Kenshin in die Augen, doch der lief unberührt weiter. „Scheint so, als ob er ein Mitglied der Kiheitai während des Bakumatsu war. Du kennst doch die Kiheitai, oder?“ Kenshin sagte abermals nichts. „Anscheinend gab es dort einen kleinen Jungen – einen kleinen Schwertkämpfer mit roten Haaren, der mit den Ishin Shishi nach Kyoto ging.“ „Warum erzählst du mir das?“ fragte Kenshin schließlich knapp. „Du bist dieser Junge, oder nicht!“ knurrte Orinosuke. Weil Kenshin darauf nicht antwortete, wurde seine Stimme drohender. „Antworte mir!“ Was war es , was Baiko ihm geraten hatte, falls es zu so einer Situation kommen sollte? Sich wie die dümmliche Witwe in dem Stück zu verhalten? Kenshin setzt ein unschuldiges Gesicht auf und wandte sich dann fragend zu Orinosuke um. „Oro?“ “Was zum…?” Jetzt war Orinosuke wirklich wütend und seine Augen sprühten. „Spiel hier nicht den Unschuldigen, Junge! Du bist es, oder nicht?!“ Vor Kenshin lagen einige größere Felsenstückchen auf dem Weg. Kenshin entschloss sich, diese nicht gesehen zu haben und stolperte rücklings darüber. Krachend fiel er zu Boden, wo er mit kullernden Augen liegen blieb. „Oro, oro, oro!“ rief er aus. Orinosuke hielt kurz an und schaute voller Verachtung zu ihm nach unten. „Jämmerlich!“ spuckte er aus. Dann stapfte er davon. Wenn Orinosuke seine Augen zurückgewandt hätte, hätte er die plötzliche Verwandlung Kenshins bemerkt, denn die Kulleraugen wurden sofort von den schmalen, alles-sehenden Augen eines Hitokiri ersetzt. Baiko eilte herüber, um ihm beim Aufstehen zu helfen. „Was war denn los?“ fragte er. „Er weiß es!“ sagte Kenshin. „Weiß was?“ „Der Arzt hat ihm von der Kiheitai erzählt. Er weiß es.“ “Aber er hat doch nichts über… du weißt schon wen gesagt?” „Nein, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch das herausfindet.“ „Naja, dann ists ja gut,“ meinte Baiko erleichtert. „Immerhin hast du ihn jetzt für eine Zeitlang mit deiner Vorstellung verwirrt.“ „Nein,“ sagte Kenshin grimmig. “Nichts ist gut! Er wird bald eins und eins zusammenzählen können. Am besten wäre es, wenn ich jetzt sofort gehe, bevor alles nur noch schlimmer wird.“ „Das kannst du Daisuke-san nicht antun. Er zählt auf deine Hilfe!“ „Ach, und du denkst, er will meine Hilfe noch, nachdem er herausgefunden hat, wer ich wirklich bin?“ Kenshin lachte bitter. „Nein, Baiko, jeder, der einmal herausgefunden hat, das ich ein Hitokiri – und zwar nicht nur irgendeiner, sondern DER Hitokiri Battousai – war, kann in mir nichts anderes mehr sehen. Und es ist richtig, wenn sie Angst vor mir haben - nicht weil ich gefährlich bin, sondern weil diejenigen, die Rache an mir üben wollen, gefährlich sind. Ich weiß leider aus Erfahrung, dass die Rachesüchtigen nichts dabei empfinden, Unschuldige niederzumetzeln, wenn sie denken, dass sie dadurch auch mich treffen können.“ Er senkte seinen Blick und schüttelte den Kopf. „Was habe ich mir nur dabei gedacht, als ich Daisuke’s Angebot akzeptiert habe? Für wen habe ich mich gehalten? Es wird immer so sein...“ Wieder einmal wuchs der Zorn in Baiko ob dieser Ungerechtigkeit. Was für eine Art von Dank war es, wenn jemand, der dieser alten, ungerechten Shogunats-Regierung ein Ende bereitet hatte von allen so behandelt wurde? Er seufzte frustriert. „Himura, Matsuo hatte recht – du bist ein guter Mann - aber wenn du versuchen solltest, dich heimlich davon zu machen, dann werde ich dir persönlich die Hölle heiß machen. Hast du das verstanden?“ Kenshin schenkte Baiko ein kleines Lächeln. „Sessha hat es verstanden, Baiko-san.“ Der Nachmittag schritt voran und sie kamen nur langsam auf der steilen Bergstrasse vorwärts. Als sie endlich die Spitze des Berges erreicht hatten, brach kurzes Gejubel aus, doch sie erlaubten sich keine Rast sondern eilten weiter, froh, dass es nun lange Zeit bergab gehen würde. Leider verdunkelte sich der Himmel zunehmend und es sah nach Regen aus. Das Licht wurde düsterer. Irgendetwas schien da vor ihnen auf der Strasse zu liegen. Irgendetwas Großes. Kenshin konnte es wegen den schlechten Lichtverhältnissen nicht klar erkennen, doch als er Orinosuke darauf hinwiesen wollte, war der bereits schon mit vorsichtshalber gezogenem Schwert voraus gerannt. Kenshin folgte. Als sie näher kamen, sahen sie, dass es ein umgestürzter kleiner Handkarren war, der mitten auf der Straße lag. Er war aufgeschlitzt und auf einer Seite war ein großer Blutspritzer. Der Inhalt des Karrens – Rettich und Kohl – lag auf der Strasse verstreut. „Schnell!“ rief Orinosuke aus, „geh zurück und schaff die Frauen und Kinder in den Wagen! Vielleicht sind die Banditen noch hier!“ Kenshin rannte zurück und tat, wie ihm befohlen. „Baiko,“ rief er, „Geh zu Orinosuke!“ Auch Ryosuke rannte jetzt nach vorne, gefolgt von Daisuke. Kenshin half in der Zwischenzeit den Frauen und Kindern schnell beim einsteigen und sprang dann auf das Dach des Wagens, um einen besseren Blick auf die Umgebung werfen zu können. Er hatte zwar nirgendwo in der Nähe eine feindliche Ki gespürt, aber man konnte sich nie zu sicher sein. Allerdings, kaum landete er auf den Wagendach, schrie eine der Frauen im Wagen: „Hilfe! Wir werden angegriffen!“ Es war Mei und sie war in Panik. Kenshin steckte schnell von oben seinen Kopf durch den Wageneingang. „Mei-dono, bitte beruhigt euch! Ich bin es nur!“ „Du kannst so hoch springen?!“ rief Bunjiro erstaunt aus. „Wow! Kannst du mir das beibri-...“ Seine Mutter packte ihn grob. „Lass deinen Vater nicht hören, dass du mit diesem Mann sprichst!“ zischte sie recht laut. Kenshin hatte sich unterdessen auf das Dach gestellt und die Umgebung untersucht. Es gab nicht das geringste Anzeichen von den Banditen, aber irgendetwas war links der Straße im Geäst zu sehen. „Baiko!“ rief er und winkte zu der Stelle. „Schau mal da drüben!“ Baiko rannte, wohin ihn Kenshins Finger wies. Es war ein Hut, der da im Geäst hing und wenige Schritte entfernt fand er einen blutbeschmierten Mantel. Er rannte zurück zur Strasse und winkte Kenshin, zu ihnen zu kommen. “Scheint so, als ob die Händler zu diesem Schubkarren angegriffen wurden,” bemerkte Baiko grimmig. „Aber das Blut ist nicht mehr frisch und ich konnte keine anderen Spuren bemerken. Was hat das zu bedeuten, Himura?“ Kenshin war schon den Spuren ins Geäst gefolgt. Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg, um ja keine Spuren zu zerstören. Die Banditen hatten sich nicht gerade Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen. Auch wenn sie vielleicht nicht für Jedermann sichtbar waren, für Kenshin, der jahrelang mit seinem Meister Spurenlesen geübt hatte, waren sie so offensichtlich, als ob ein Elefant durchs Gestrüpp getrampelt wäre. Nachdem er der Spur ein Stück gefolgt war, kehrte er zu den anderen zurück. „Scheint so, als ob die Banditen sich nach Osten gewandt haben. Dem Blut auf der anderen Straßenseite nach zu urteilen, haben sich die verwundeten Männer vielleicht nach Norden gewandt, um sich in das nächste Dorf zu retten. Anscheinend waren es mehrere Angreifer, mindestens drei oder vier!“ „Sicher, dass sie nach Osten sind?“ fragte Baiko mit einem besorgten Blick auf die noch vor ihnen liegende Strasse. „Ja.“ Antwortete Kenshin. „Sie waren nicht gerade vorsichtig, als sie durch das Gebüsch getrampelt sind. Ihre Spuren sind leicht zu finden und die gehen ein ganzes Stück nach Osten. Ich denke, wir werden bis zum nächsten Dorf auf der Strasse sicher sein.“ „Aha. Und das alles weißt du einfach so?“ bemerkte Orinosuke sarkastisch. „Vielleicht sind das ja Freunde von dir aus deiner Zeit in Kyoto, und du führst uns gerade zu ihnen.“ Kenshin überhörte die unverblümte Beleidigung und wandte sich statt dessen an Daisuke. „Es würde Sinn machen, wenn die Opfer in die entgegengesetzte Richtung gegangen sind. Also wenn ihre Spuren zum Dorf führen, dann sind die Angreifer wohl nicht den gleichen Weg gegangen. Außerdem, hat der Arzt nicht erzählt, dass die Yakuza überwiegend kleine, abgeschieden gelegene Gehöfte überfallen und nicht größere Dörfer?“ „Ja.“ Bestätigte Baiko. „Dann sind sie vermutlich nur auf der Suche nach leichten Zielen – Bauern auf dem Weg zum Markt, einsame Bauernhöfen. Da sie hier so offen ihre Spuren hinterlassen haben, sind sie wohl weitergezogen. Ich schätze, dass sie mindestens eine halbe Tagesreise entfernt sind. „Scheint mir Sinn zu machen,“ nickte Baiko. Auch die anderen nickten zustimmend. Nur Orinosuke nickte nicht – statt dessen zog er unvermittelt sein Schwert und hielt es Kenshin an die Kehle. “Hoffentlich hast du Recht!” knurrte er bedrohlich. „Denn wenn nicht, und wenn du uns ein eine Falle führst...“ Er drückte das Schwert fester gegen die Haut an Kenshins Hals. Baiko schnappte nach Luft. Er hatte Kenshin bei seinem Training gesehen und er wusste, wie schnell er sich bewegen konnte und zu was er fähig war. Plötzlich bekam er Panik, dass Kenshin vielleicht die Geduld verlieren konnte und... Doch zu seiner Erleichterung stand Kenshin steckensteif da, ohne einen Muskel zu bewegen. Er erwiderte Orinosukes wütenden Blick mit einem kalten Glitzern seiner Augen. Plötzlich mischte sich Ryosuke ein und stellte sich zwischen seinen Bruder und Kenshin. „Jetzt ist das Maß aber voll!“ schrie er und stieß Orinosuke mitsamt seinem Schwert weg. „Du vergiftest die ganze Reise mit deiner Bitterkeit, jeden Tag wird es schlimmer. Jetzt lässt du deine Wut sogar an Fremden aus! Warum gehst du nicht einfach nach Kyoto und lässt uns in Ruhe?!“ „Wie wagst du es!“ schnauzte ihn Orinosuke an. Er steckte sein Schwert ein und ballte nun die Fäuste, genau wie Ryosuke. Daisuke packte ihn und hielt ihn zurück. Dasselbe tat Baiko mit Ryosuke. „Weißt du, was ich denke?“ schrie Ryosuke weiter. „Ich denke, du bist neidisch auf den Rurouni! Er ist ein freier Mann, ohne Bindungen, kommt und geht, wie es ihm passt – du bist neidisch, dass du das nicht auch kannst. Nimm doch deinen Krempel und geh einfach!“ Orinosukes Gesicht war nun eine zornige Maske. „Wie kannst du so reden, obwohl du auch ein Angebot von der Familie deiner Frau aus Tokyo bekommen hast?!“ fauchte er. Angesichts von Ryosukes überraschtem Gesichtsausdruck fügte er hinzu, „Oh ja, dachtest du, dass ich das nicht wüsste?“ Ryosukes Augen verschmälerten sich und er funkelte seinen Bruder wütend an. “Hör mir genau zu, Bruder!” spuckte er aus. „Ich bin nicht wie du und werde es auch niemals sein. Du denkst, du bist zu gut für irgendeine andere Stadt als Kyoto. So denke ich nicht. Gib mir eine Bühne und ein Publikum und dann ist es mir egal, wo ich auftrete – ich biete den verdammt besten Auftritt, den ich geben kann. Ist mir egal, ob Kagoshima, Kyoto, oder dieses gottverlassene Dorf heute morgen! Was lässt dich denken, dass diese Bauern hier weniger verdienen als irgendeine hochstehende Persönlichkeit? Du bist ein Idiot, Bruderherz! Nimm endlich deine Sachen und verlasse uns. Und wenn du das nicht kannst, dann musst du endlich mit der Situation fertig werden und deine Bitterkeit herunterschlucken, denn es reicht uns! Und nur damit du es weißt - ich hab das Angebot aus Tokyo bereits abgeschlagen, bevor wir Kagoshima verlassen hatten!“ Damit wandte sich Ryosuke ab und stürmte zum Wagen zurück, den vor Wut dampfenden Orinosuke und den erschütterten Daisuke im Rücken. Daisuke ließ Orinosuke nun los und starrte ihm in die Augen. Er war einigermaßen entsetzt von der Wut, die er in ihnen fand. Anscheinend hatte sich wirklich viel angestaut in den sieben Jahren, seit sie Kyoto verlassen hatten. Und diese angestaute Bitterkeit war nun dabei, die ganze Familie zu spalten. „Nimm deine Position vor dem Wagen wieder ein!“ befahl Daisuke Orinosuke grimmig. „Wir reden später weiter. Baiko, pass auf, dass die Frauen und Kinder im Wagen bleiben, es geht weiter! Wir wollen noch vor Einbruch der Nacht in der nächsten Stadt ankommen. Ich möchte nicht im Dunkeln hier in der Wildnis sein, nur für den Fall, das Himura-san unrecht hat. Apropos, wo ist der eigentlich?“ „Was?!“ Baiko war so von dem Streit zwischen den beiden Brüder eingenommen gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie Kenshin sich diskret zurückgezogen und davongegangen war. Etwas Panik überkam ihn, da ihm einfiel, dass Kenshin noch nicht vor allzu langer Zeit den Wunsch geäußert hatte, die Familie zu verlassen. Schnell sprintete er zurück zum Wagen; Als er sah, dass Kenshin bereits schon dort war und mit Ennosuke sprach, verlangsamte er erleichtert sein Tempo. Ennosuke seinerseits hatte in der Zwischenzeit versucht, aus Kenshin herauszuquetschen, was da vorne zwischen den Brüdern vor sich ging, weil er sich leider mit seinem verletzten Bein nicht aus dem Wagen bewegen konnte. „Was ist passiert?“ „Einige Bauern wurden von Banditen überfallen,“ antwortete Kenshin. Als Ikuko’s Kopf bei dem Wort „Banditen“ aus dem Wagen schoss, fügte er schnell hinzu, „Es war nicht heute – mindestens vor einem Tag oder mehr. Wahrscheinlich haben sie die Gegend hier schon verlassen.“ Ikuko seufzte erleichtert und verschwand wieder im Wagen aber Ennosuke war nicht befriedigt. „Wenn das der Fall ist, warum schreien sie dann die ganze Zeit da vorne herum?!“ Kenshin versteckte seine Augen unter seinem Pony, ängstlich, die Wut in ihnen preiszugeben, die er gerade nur schwer zurückhalten konnte. „Das,“ presste er heraus, „scheint eine Familienangelegenheit zu sein.“ „Eine Familienangelegenheit? Wovon sprichst du?“ fragte Ennosuke genauer nach, aber dann sah er seine zwei Brüder herbeilaufen und konnte sich angesichts der Wut in Orinosukes Gesicht den Rest schon denken. „Orinosuke und Kyoto?“ Kenshin nickte, sagte aber nichts mehr. Statt dessen kehrte er zu seiner Position an der rechten Seite des Wagens zurück um für den Aufbruch bereit zu sein. Daisuke schwang sich nun zu Ennosuke auf den Wagen, doch bevor dieser seinem Vater irgendwelche Fragen stellen konnte, donnerte Daisuke schon, „Ich will darüber jetzt nicht sprechen! Heute Abend werden wir das Problem ein für alle Mal lösen!“ Japanisch: Kata: Übungen einer Kampfkunsttechnik. Kiheitai: private Armme Choshuus, gegründet von Takasugi Shinsaku am Beginn der Bakumatsu-Zeit. Bestand vorwiegend aus Bauern und nicht aus Samurai. Geta: Holzsandalen Gomen: sorry. Nächstes Kapitel: Die Wanderer treffen auf neue Bedrohungen und ein dunkles Geheimnis aus Daisukes Vergangenheit während der Bakumatsu-Zeit kommt ans Licht... Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Auch wenn ich nur übersetzte: Über Komments oder Feedback würde ich mich sehr freuen ;) Nur nochmal zur Erinnerung: Daisuke: Vater und Ältester der Kabuki-Familie. Verheiratet mit Ikuko, Söhne: Orinosuke, Ryosuke, Ennosuke. An Unexpected Lesson Eine unerwartete Lektion Kapitel 6 Der Himmer wurde dunkler und dunkler und schwere Gewitterwolken zogen herauf, während sich der Wagen langsam wieder in Bewegung setzte. Nach der Begegnung mit dem, was die Banditen von ihrem letzten Überfall zurückgelassen hatten, war beschlossen worden, die Frauen und Kinder sicherheitshalber nicht vom Wagen steigen zu lassen und alle Mann waren nervös. Der kleinste Windhauch, der Äste zum rascheln brachte, das kleinste Knacken im Geäst ließ jeden erstarren – nur nicht Kenshin. Er alleine blieb relativ entspannt, da ihm seine scharfen Sinne sofort jede drohende Gefahr gemeldet hätten. Er wusste, dass sie auf der Strasse relativ sicher waren, zumindest vorerst. Es dauerte nicht lange, bis die Pferde ihren Unwillen über die plötzlich durch die Frauen und Kinder erschwerte Last des Wagens kundgaben, so dass Daisuke Ennosuke die Zügel in die Hand drückte und vom Wagen sprang. Doch es half nichts, die Pferde waren erschöpft und deswegen befahl Daisuke, kurz Rast zu machen. Doch wegen der Gewitterwolken war es äußerst düster geworden und es schien jede Minute dunkler zu werden. Plötzlich tauchten vor ihnen Lichter auf der Strasse auf, die sich ihnen zu nähern schienen. Daisuke schaute zu Orinosuke, der genau wie er angestrengt in das Dunkel starrte, um auszumachen, von wem oder was die Lichter zu kommen schienen. Hinter den Lichtern auf dem Weg schienen noch weitere kleine Lichtpunkte in der Landschaft zu liegen - ein Dorf vielleicht? “Baiko!” rief Daisuke seinen Wachmann herbei, “kannst du ausmachen, was das für Leute bei den Lichtern sind?” Baiko fluchte. „Männer mit Fackeln. Ich wette, kein Begrüßungskomitee.” Er sah sich nach Kenshin um, doch Kenshin stand immer noch still an der rechten Seite des Wagens. „Himura!“ rief ihn Baiko herbei, „schnell, komm her!“ Der drängende Tonfall Baikos ließ Kenshin herbeieilen und er gesellte sich zu den Brüdern, wenn auch so fern von Orinosuke wie möglich. „Was hältst du davon?“ fragte Baiko ihn mit Blick auf die Lichter. Seine Stimme hatte nun einen ängstlichen Unterton. Die Männer mit den Fackeln waren nun nah genug, so dass man erkennen konnte, das sie mit allerlei Gerätschaften – Stöcken, Messer, Schwertern, Harken - bewaffnet waren. „Keine ausgebildeten Kämpfer,“ war Kenshins Antwort, „aber dennoch sind sie uns feindlich gesinnt.“ Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als Orinosuke schon sein Schwert zog und in Angriffsstellung ging. „Es wäre trotzdem besser,“ meinte Kenshin leise zu Baiko, „wenn Orinosuke-san seine Waffe wegstecken würde.“ Baiko legte die Stirn in Falten. „Steck das Ding weg!“ rief er dann Orinosuke zu. „Willst du uns alle umbringen?“ Orinosuke schaute ihn fragend und wütend an, bis Daisuke donnerte: „Tu, was er sagt!“ Die Männer hatten nun den Wagen erreicht. Es waren nur fünf – offensichtlich Bauern aus einem Dorf und keine Banditen. Ihre Waffen, so stellte Kenshin mit Erleichterung fest, waren alle in schäbigem Zustand. Er hatte also richtig vermutet – es waren keine Kämpfer, sondern normale Bauern, allerdings mit Sicherheit in wütender Stimmung. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ wollte ein Mann mit einer großen Spitzharke von ihnen wissen. „Wir sind die Daisuke-Kabuki-Familie aus Kagoshima,“ antwortete Daisuke so ruhig wie möglich. „Wir hofften, einen ruhigen Platz für die Nacht zu finden.“ „Ihr seid Yakuza!“ rief ihm der Mann als Antwort entgegen und richtete seine Spitzharke nach vorne. „Yakuza?“ wiederholte Daisuke. „Nein, mit Sicherheit nicht. Schaut euch unseren Wagen an, wir sind eine Kabuki-Truppe.“ Nun trat ein zweiter Mann nach vorne, der mit einem rostigen und schartigen Schwert bewaffnet war. „Und warum seid ihr Kabuki-Menschen hier in der Wildnis unterwegs?“ fragte er drohend. Daisuke begann, sich um die Sicherheit seiner Familie ernstlich Sorgen zu machen. Dennoch ermahnte er sich, ruhig zu bleiben. „Wir sind auf dem Weg nach Miyazaki, um dort für den Präfekt der Provinz ein Stück aufzuführen. Wir wollen niemandem schaden und suchen nur einen sicheren Weg nach Miyazaki!“ “Beweise!” rief wieder der erste Mann. Daisuke befahl seiner Frau, die Schriftrolle der Einladung des Präfekt Shimazu, der sie nach Myazaki eingeladen hatte, herauszusuchen. Nach einer Ewigkeit, in der nur das Knistern der Fackeln, das ungeduldige Scharren von Füßen auf dem Boden und Gepolter aus dem Wagen zu hören war, reichte Ikuko ihrem Mann schließlich das verlangte Schriftstück. Daisuke rollte es auf und hielt es den Männern hin. Diese schauten neugierig darauf, aber blickten immer noch grimmig. „Das sagt uns nichts!“ riefen sie. „Wir können nicht lesen!“ Daisuke rollte die Augen. „Dann schaut auf das Siegel unten an der Rolle!“ Endlich scheinen sich die Männer einig zu werden, dass Daisuke anscheinend wirklich die Wahrheit gesagt hatte. Sie senkten ihre Waffen und entschuldigten sich unter zahlreichen Verbeugungen. Der Mann mit der Spitzharke reichte Daisuke die Rolle zurück und meinte mit einer tiefen Verbeugung, „Bitte, vergebt uns. Einige unserer Freunde wurden bereits von Yakuza überfallen und einer starb an seinen Verletzungen. Wir halten seitdem nach seinen Mördern Ausschau, und wir dachten – bitte um Verzeihung – ihr seid es!“ Daisuke erwiderte die Verbeugung als Zeichen, dass die Entschuldigung akzeptiert sei. Im Hintergrund begann es zu donnern. Einer der Dorfleute trat vor. „Darf ich euch für heute Nacht einen Platz in meiner bescheidenen Herberge anbieten? Bei diesem aufziehenden Sturm wird das Übernachten im Freien sicherlich nicht besonders angenehm werden.“ Wie als Bestätigung flammten zackige Blitze über den Himmel. Nun war es Daisuke, der sich tief verbeugte. Schnell folgten sie den Männern in das Dorf und kamen genau dann bei der Herberge an, als bereits die ersten schweren Regentropfen zu fallen begannen. Ikuko scheuchte die anderen Frauen und Kinder in das Haus, während Baiko und Kenshin die persönlichen Gegenstände und das Essen aus dem Wagen luden und Daisuke, Orinosuke und Ryosuke entgegenreichten. Innerhalb einer halben Stunde war der Wagen in einer Scheune und die Männer in der Herberge sicher untergebracht. Nach dem Abendessen seufze Daisuke tief und rief seine Söhne zu sich. Er weiß alle an, sich niederzusetzen. „Wenn ich sagen würde, das es mich verletzt hat, euch heute morgen so streiten zu sehen, wäre das noch eine Untertreibung!“ begann er. „Wenn ich daran denke, dass sich meine eigenen Kinder untereinander fast geschlägert hätten...“ Er schaute seine Söhne an. „Wir leben in schwierigen Zeiten. Alles was wir gekannt haben - alles was unsere Vorfahren gekannt haben - wurde durch die Revolution verändert. Es ist jetzt ein neues Zeitalter angebrochen und es wäre hochmütig, glauben zu können, das wir ohne Veränderungen so weiterleben können wie bisher. Niemand kann jetzt mehr von seinen Söhnen verlangen, in ihre Fußstapfen zu treten, wie es vorher gängiger Brauch war.“ „Vater...“ wollte Ennosuke einwerfen, aber mit einer Handbewegung brachte ihn Daisuke zum Schweigen. „Ihr seid alle gute Söhne!“ fuhr Daisuke fort. „Ein Vater könnte sich nichts besseres erhoffen. Die Entscheidung, die ich vor sieben Jahren gefällt habe war die schwierigste in meinem Leben gewesen. Alle seid ihr mir ohne Murren weg aus Kyoto gefolgt. Erst jetzt erkenne ich, wie viel Überwindung es euch gekostet haben musste, mir so bedingungslos zu folgen.“ „Es gab keine Überwindung!“ rief Ryosuke, aber Orinosuke funkelte ihn wütend an. Daisuke nickte. „Ich glaube, dein ältester Bruder sieht das etwas anders,“ sagte er mit trauriger Simme, „und wie könnte ich es ihm übel nehmen? Ich habe ihn aus seiner Welt gerissen, in der er gerade Berühmtheit erlangt hatte. Sein Talent hat sich seit damals nur verbessert, deswegen ist es nur natürlich, wenn er wieder an seine früheren Erfolge anknüpfen möchte. Deswegen habe ich euch jetzt alle zusammengerufen. Es ist Zeit, dass ich euch erkläre, warum wir überhaupt Kyoto verlassen haben. Das bin ich euch schuldig!“ „Wieso?“ meinte Ryosuke fragend. „Ich dachte, der Grund war, weil die Leute vor lauter Angst vor Anschlägen nicht mehr ins Theater kommen wollten...“ „Komisch nur...“ warf Orinosuke ein, „dass keine der anderen Kabuki-Familien sich dazu veranlasst sahen, die Stadt zu verlassen. Nur unser Vater war feige!“ Daisuke schüttelte den Kopf. „Der wahre Grund für unsere Flucht war, dass ich die Familie vor ihrer totalen Auslöschung retten wollte.“ Alle hielten den Atem an. „Auslöschung? Wovon sprichst du?“ fragte Orinosuke langsam. Daisuke seufzte tief. „Wisst ihr, ich habe immer geglaubt, mein Leben würde genauso verlaufen, wie das meines Vaters und das meines Großvaters vor ihm und so weiter. Doch die Ankunft der schwarzen Schiffe hat alles verändert. Was wusste ich schon von Politik? Ich wusste nur, dass die Steuern immer höher und höher kletterten und dass dies die Schuld der Ausländer war, die unser Land bedrohten. Lebensmittel waren plötzlich kaum noch zu bezahlen, weil die Bauern rebellierten, Yakuza begannen plötzlich überall Schutzgeld zu erpressen, auch von uns Theaterbesitzern. Und was tat das Bakufu dagegen? Nichts! Wenn überhaupt, dann wurde die Korruption nur noch schlimmer. Ich weiß nicht, ob ihr euch erinnert, aber unser Theater war das Lieblingstheater von einem Mann namens Okubo Toshimichi. Ich glaube, er hatte jahrelang nicht eine einzige Vorstellung verpasst, immer verkleidet – er war ja Samurai – hatte er sich unter das normale Publikum gemischt. Eines Tages bat mich Okubo-sama um ein Treffen. Bei diesem Gespräch erfuhr ich von der Rebellion gegen das Bakufu, die die Provinzen Satsuma und Choshu planten. Ich fragte, wie ich mich dabei nützlich machen konnte und begann, immer einen Teil unserer Einnahmen den Rebellen zur Verfügung zu stellen – den Ishin Shishi. Ein Jahr lang unterstützte ich diese Vereinigung so finanziell. Dann aber begannen die Ishin Shishi, durch ihre Auftragskiller Terror in Kyoto zu stiften und das Bakufu reagierte mit harten Gegenmaßnahmen in Form der Shinsengumi. Nach außen hin versuchte ich ein neutrales Gesicht zu wahren, aber unsere Theaterbesucher waren nicht neutral. Wisst ihr noch, wie sie sich manchmal plötzlich in den Vorstellungen bekriegten und sogar Waffen zogen? Natürlich verängstigte das die normalen Theaterbesucher, und sie kamen nicht mehr. Allerdings, das alleine war nicht Grund genug für mich gewesen, die Stadt zu verlassen. Doch es kam noch schlimmer. Als die Shinsengumi die Führer der Rebellen im Ikedaya dahinschlachteten, kamen sie irgendwie auch an eine Liste mit den Namen derer, die die Ishin Shishi unterstützt hatten. Sofort begannen sie, alle auf der Liste zu eliminieren, egal, wie verdächtig man war. Eine Familie, mit der ich durch Theaterbesuche bekannt war und die auch die Ishin Shishi unterstützt hatten, wurde eines Nachts ermordet – alle, Mann, Frau, Kinder und sogar das kleine Baby. Nur, weil sie ein oder zweimal den Rebellen geholfen hatten! Dennoch fühlte ich mich nicht wirklich bedroht. Alles, was ich getan hatte, war ein bisschen Geld unter der Hand zu verleihen. Ich dachte, das kommt niemals raus. Natürlich lag ich total falsch. Zwei Tage nach dem Ikedaya-Vorfall ließ mir Okubo-sama durch seine Spione mitteilen, dass wohl auch mein Name auf der schwarzen Liste der Shinsengumi stand. Mein Leben war mir egal - ich hätte es gerne geopfert, wenn ich dadurch das Bakufu zu Fall hätte bringen können. Aber ich wusste, dass nicht nur ich in Gefahr war – sie würden alle töten, auch euch, meine Kinder. Unsere ganze Dynastie, die dreihundert Jahre in die Vergangenheit reicht, würde ausgelöscht werden. Deswegen musste ich einfach fliehen. Ich glaube nicht, dass es Feigheit war, Orinosuke!“ Nachdem Daisuke geendet hatte, legte sich Stille über den Raum. Daisuke nippte an seinem warmen Tee, spürte die warme Flüssigkeit seinen Hals hinunterlaufen, während er sich innerlich für das stählte, was er jetzt noch zu sagen hatte. „Unser Theater in Kagoshima läuft gut. Wir können viel freier Arbeiten wie in Kyoto und bekommen viel Zuwachs an jungen Theaterspielern. Auch mangelt es uns nicht an Aufträgen von berühmten Männern des Landes. Doch ich weiß, dass man wirklichen Ruhm nur in Kyoto erlangen kann. Deswegen, Orinosuke, erlaube ich dir hiermit, uns zu verlassen und nach Kyoto zurückzukehren. Es ist dein rechtmäßiger Platz und du wirst wieder der berühmteste Schauspieler der Stadt werden. Geh und akzeptiere das Angebot deiner Schwiegereltern. Auch du, Ryosuke, nimm das Angebot deiner Frau wahr und geh mit ihr nach Tokyo. Als neue Hauptstadt des Landes wird dort das Kabuki-Theater sicherlich in den nächsten Jahren zu neuer Blüte kommen. Und du, Ennosuke, ich halte dich nicht zurück, wenn du einem deiner Brüder folgen willst.“ Seufzend lehnte sich Daisuke zurück. Er hatte alles gesagt und er spürte nun, wie sich ein Klos in seinem Hals bildete. Er kämpfte die Tränen nieder, denn er wollte nicht, das einer seiner Söhne ihn so sah. Keiner sprach ein Wort. „Mein Wunsch war es immer, nach Kyoto zurückzukehren.... mit meiner Familie,“ sprach Orinosuke schließlich leise. „Ich muss es mir gut überlegen, ob ich alleine gehen möchte. Aber ich habe noch eine Frage, Vater. Hast du all die Aktionen der Ishin Shishi unterstützt? Auch die Auftragsmorde?“ „Natürlich nicht!“ antwortete Daisuke verblüfft. „Ich habe die Ziele unterstützt, nicht die Mittel, wenn das Mord bedeutete. Warum fragst du mich so etwas?“ „Ich werde dir meine Entscheidung mitteilen, wenn wir Myazaki erreicht haben,“ war alles, war Orinosuke darauf zu erwidern hatte, bevor er den Raum verließ. “Ich meinte das, was ich heute Nachmittag gesagt habe, ernst!” sagte Ryosuke. „Ich habe das Angebot bereits abgelehnt und dabei bleibt es.“ „Und du?“ fragte Daisuke Ennosuke. „Kagoshima ist mein Zuhause,“ antwortete er. „Und ich möchte bei dir bleiben, weil ich noch viel von dir zu lernen habe!“ -- Kenshin saß in der Zwischenzeit auf der Veranda des Gasthofes und genoss die frische Nachtluft. Der Sturm war vorbei und hatte die Temperaturen merklich abgekühlt und es fröstelte ihn etwas, weswegen er seinen Gi fester um seine Schultern zog. Gerade wollte er aufstehen und ins warme Innere gehen, als er die Brüder aus einem Raum kommen sah. Ihre Gesichter waren grimmig. Die Diskussion war wohl nicht allzu gut verlaufen, überlegte Kenshin. Eigentlich wollte er jetzt noch den Verband an Ennosuke’s Bein wechseln, doch er entschloss sich, noch etwas zu warten. “Kein Haori?” “Hu?” Fragend schaute Kenshin auf, als plötzlich Baiko an seiner Seite aufgetaucht war und mit ihm zusammen in Richtung der Scheune lief, in der der Wagen stand, bei dem sie heute Nacht schlafen würden. Baiko hatte sich seinen warmen Kimonomantel schon übergeworfen. „Sessha muss sich wohl noch mehr Geld verdienen, um sich einen Haori kaufen zu können, bevor es noch kälter wird,“ gab Kenshin zu. „Vielleicht ziehe ich einfach meinen anderen Gi noch darunter.“ „Den alten, hässlichen? Na, lass das bloß nicht Ikuko sehen!“ schmunzelte Baiko. Kenshin lächelte. Er überlegte, ob er nicht für den Gastwirt etwas Holz hacken konnte und somit gleich bares Geld verdienen konnte... Gerade, als er auf dem Weg war, Ennosukes Wunde zu verbinden, kamen Ennosuke und Orinosuke an ihm vorbei. Orinosuke warf Kenshin einen giftigen aber triumphierenden Blick zu, worauf Kenshin wohlweislich schnell auf die Seite trat, um ihn vorbeigehen zu lassen. Kenshin sah ihm hinterher. Dieser Mann war gefährlich, überlegte er, und jede Minute wurde es schlimmer. Aber er konnte jetzt nicht die Familie verlassen, nicht nach deinem Versprechen gegenüber Daisuke. Kenshin fand Ennosuke im Esszimmer, er war gerade damit beschäftigt, seiner Tochter eine Gesichte vorzulesen. Kenshin wollte nicht stören, und blieb an der Tür stehen, von wo aus er der Geschichte lauschte. Die Szene vor ihm war so friedlich - es erinnerte ihn an einen der wenigen Glücksmomente, von deren Existenz er vor Tomoe nicht einmal etwas geahnt hatte. Genau für solche Dinge hatte er gekämpft – hatte er seine Seele gegeben – damit Familien einfach nur in Frieden miteinander leben konnten. Er selbst konnte nur hoffen, für die vielen Leben, die er vernichtet hatte, zu büßen, in dem er solchen Frieden für Familien schützte. Erst als Ennosuke das Buch geschlossen hatte und seine Tochter zum schlafen schickte, betrat Kenshin den Raum. „Ennosuke-san,“ sagte er, während er ihm aufhalf, „der Arzt Satoshi hat mir Anweisungen gegeben, dass ich deine Verbände immer Abends vor dem Schlafengehen wechseln soll.“ „Ah so, na dann... Zeit, dem Schmerz ins Auge zu sehen,“ seufzte Ennosuke melodramatisch. Die Wunde war bereits gut geheilt und Kenshin versicherte Ennsouke, dass er auf dem besten Weg war, bald wieder fit zu sein. „Du weißt wirklich viel über Medizin, oder?“ fragte Ennosuke. „Satoshi-Sensei hat mir das gesagt. Er schien von deinem Können beeindruckt. Wo hast du das gelernt?“ Fragen, dachte Kenshin wehmütig, immer diese Fragen. Er begann, Ennosukes Bein in frische Bandagen zu verpacken, während er antwortete, „Ich habe eine zeitlang Medizin verkauft und habe viel gelernt, ich dem ich anderen zuschaute.“ “Hmmm.” Ennosuke war von dieser kurzen Antwort nicht recht überzeugt. „Weißt du dann vielleicht auch einen Trick, wie ich dieses unerträgliche Jucken unter dem Verband loswerde?“ Kenshin kicherte. „Vielleicht, wenn du ein Stöckchen findest, das dünn genug ist, um unter den Verband zu passen. Damit könntest du dich kratzen. Aber ich habe mal gehört, das eine gute Flasche Sake bei der Ablenkung von so etwas Wunder wirken kann.“ Ennsouke lachte aus vollem Herzen. „Ich glaube, diese Lösung wird meiner Frau nicht sonderlich gefallen!“ Kenshin stimmte in das Lachen mit ein und begann, die Salben und Verbände wieder einzupacken. Dabei spürte er Ennosukes Blick auf sich ruhen und irgendwie machte ihn das nervös. Er war erleichtert, als Ennosuke endlich weitersprach. „Weißt du,“ begann Ennosuke, „mein ältester Bruder ist nicht von der gleichen Machart wie mein Vater. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bleibt er solange stur, bis er sein Ziel erreicht hat.“ Kenshin wollte wegschauen, doch etwas in Ennosukes intensiven Blick fesselte ihn. War er etwa um ihn besorgt? „Ich vertraue dir, Himura-san. Und auch meine anderen Brüder und mein Vater vertrauen dir, wir stehen alle in deiner Schuld. Nur Orinosuke ist überzeugt, das mit dir etwas nicht stimmt. Er hält dich für gefährlich und will uns das beweisen. Er wird nicht lockerlassen, bis er sein Ziel erreicht hat. Deswegen frage ich dich jetzt gerade heraus – Was genau bist du?“ Kenshin schaute auf seine Hände. Was war er? Ein Killer – ein Mörder, der gehasst hatte, was zu tun von ihm verlangt wurde, aber trotzdem ein Mörder. Diese Sache ließ sich niemals ändern. Aber es war jetzt Vergangenheit, oder? Und jeder Tag, der verging, brachte ihn weiter von dieser Vergangenheit weg. „Ennosuke-san,“ antwortete Kenshin ruhig, „Sessha ist nichts anderes als was du vor dir siehst. Ja, ich trage ein Schwert, aber ich habe geschworen, damit niemals zu töten - sondern nur die Schwachen vor Ungerechtigkeiten zu beschützten. Deine Familie war so freundlich zu mir – ich habe diese Freundlichkeit nicht verdient. Wenn irgendjemandem von euch ein Leid geschehen würde, wäre das mehr, als ich ertragen könnte.“ Ennosuke war sprachlos von dem tiefen Ernst dieser Antwort. Mit so etwas hatte er nach dem Gespräch mit Orinosuke nicht gerechnet. „Himura-san, ich bin erleichtert, so etwas zu hören,“ antwortete Ennosuke. Kenshin verbeugte sich tief und verließ den Raum, Ennosuke hinter sich zurücklassend, in dessen Kopf jetzt noch mehr Fragen an den Rurouni herumschwirrten als zuvor. Jetzt verstand er, warum seine Mutter Ikuko diesen Mann so rätselhaft fand, denn er selbst wusste auch nicht, was er aus dem gerade stattgefundenen Gespräch machen sollte. Japanische Wörter: Yakuzas: Mafia-ähnliche Gangster Shimazu Hitamitsu: Er war der Daimyo der Provinz Satzuma und nach der Meiji-Restauration wurde er zum Präfekten oder Gouvaneur. Ikedaya: Das war die Gastwirtschaft, in der sich im Frühjahr 1864 die Führer der Ishin Shishi versammelten, von den Shinsengumi überrascht und getötet wurden. Schwarze Schiffe: Die Schiffe des Kommandeurs Perry. Er zwang die Japaner zur Öffnung ihrer Häfen und löste so die Innenpolitische Krise aus, die schließlich im Ausbrechen des Bürgerkrieges (Bakumatsu) gipfelte. Bakufu: Die Shogunats-Militärregierung Haori: warmer Mantel Anmerkung: Warum musste Okubo Tochimichi verkleidet ins Kabuki-Theater kommen? Damals durften keine Samurai in Vorstellungen des Kabuki, da dieses Theater nur für bürgerliche Personen gedacht war und es in den Stücken auch oftmals recht deftig zur Sache ging. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Eine unerwartete Lektion Kapitel 7 Ein frischer und klarer Morgen dämmerte und die Luft roch nach feuchter Erde. Kenshin atmete tief ein und zog seinen Gi enger um sich, denn es war doch recht kalt geworden. Verschlafen eilte er zum Brunnen und holte frisches Wasser, um sich die Müdigkeit schnell auf den Augen zu waschen. Doch da er vergessen hatte, sich noch einen Extra-Gi anzuziehen, entschloss er sich fröstelnd, das Wasser mit in die warme Scheune zu nehmen und sich dort zu waschen. Baiko kam gerade von seinem morgendlichen Rundgang zurück, als Kenshin die Wassereimer hereintrug. Sofort spürte er, dass etwas nicht in Ordnung war. Baiko war normalerweise immer in fröhlicher Stimmung und gesprächig, aber heute Morgen war sein Gesicht düster und seine Augen blickten grimmig geradeaus. Wie Kenshin ging er zum Brunnen und holte sich einen Eimer kaltes Wasser zum waschen. Nicht wie Kenshin schüttete er sich das eiskalte Wasser ohne zögern einfach über den Kopf um dann fluchend und die Nässe abschüttelnd wieder zur Scheune zurückzustapfen. Was auch immer los war, Kenshin ging es nichts an. Jeder hatte mal einen schlechten Morgen und Kenshin wusste nur allzu gut, dass es meistens wegen irgendetwas war, über das man nicht sprechen wollte. Deswegen ignorierte er Baikos unübliches Verhalten und beeilte sich mit dem waschen. Trotz der Nähe eines wärmenden Feuers war das Wasser ziemlich kalt und er schüttelte seinen Kopf, um so schnell wie möglich die Feuchtigkeit aus seinen Haaren zu bekommen. Wie in aller Welt hatte Baiko es geschafft, sich einfach so den Eimer überzuschütten, überlegte er. Dann zog er erst seinen alten Braunen Gi und dann darüber seinen neuen Grünen an - er würde sie heute beide brauchen, um warm zu bleiben. Als er sich angezogen hatte, bemerkte er Baiko, der immer noch mit steinernem Gesicht in der Ecke saß und abwesend Löcher in die Luft starrte. Kein Zweifel – irgendetwas schien ihn wirklich zu bedrücken. „Baiko?“ fragte Kenshin vorsichtig. Der Angesprochene antwortete nicht. „Baiko, alles in Ordnung?“ fragte Kenshin noch einmal. Baiko rührte sich immer noch nicht und Kenshin wollte ihn schon seinen Gedanken überlassen, als er doch antwortete. „Himura, glaubst du an Vorahnungen?“ „Vorahnungen?“ „Du weißt schon, das Gefühl, dass irgendetwas schreckliches passieren wird.“ „Sessha hat schon vor langer Zeit gelernt, solche Gefühle niemals zu ignorieren. Warum?“ „Nun, ich habe solch ein ungutes Gefühl. Irgendwas wird heute passieren.“ „Das glaube ich auch,“ antwortete Kenshin entspannt. „Aber Sessha hat auch gelernt, das es nichts bringt, sich über solche Gefühle groß Sorgen zu machen. Sie sind eine gute Erinnerung, in unserer Wachsamkeit niemals nachzulassen.“ Kenshin wandte Baiko seinen Blick zu, doch dieser starrte immer noch in die Leere und in seinem Gesicht spiegelte sich nicht Angst, sondern Traurigkeit. „Sind es die Yakuza, die dich beunruhigen?“ fragte Kenshin nach. „Hast du jemals was über den Krieg in Aizu gehört?“ meinte Baiko schließlich. „Die ganze Provinz – einschließlich der Alten, Kinder und Frauen – wollten nicht aufgeben und haben bis zum Tod gekämpft. In diesem Krieg gab es eine Gruppe. Sie nannten sich die Brigade des weißen Tigers. Sie haben bis zu letzt ihren Standpunkt auf einem hohen Berg verteidigt. Aber anstatt sich zu ergeben, haben sie alle Seppuku begangen – insgesamt waren es 19 Junge Leute. Ich war in der Division, die sie danach so gefunden hat.“ Baiko fuhr sich über die Augen. „Himura, es war schrecklich. Sie waren fast noch Kinder, und alle lagen da, geköpft, aufgeschlitzt und für was? Irgendeine angestaubte Vorstellung von Ehre im Tod? Ich bin kein Samurai – ich kann keine Ehre in dem Dahinschlachten von Jugendlichen entdecken. Wir waren nicht mal dabei, sie anzugreifen, als sie sich alle umbrachten. Zu diesem Zeitpunkt habe ich entschieden, niemals mehr etwas mit Krieg zu tun haben zu wollen. Ich wollte die Armee gleich verlassen, aber das ging natürlich nicht. Ich musste auf einen Einsatz nach Hokkaido. Jetzt, drei Jahre später habe ich meinen Entschluss wahr gemacht, aber die schrecklichen Bilder verfolgen mich noch immer. Und als ich gestern die Blutspritzer auf dem Handkarren gesehen habe, war wieder alles so lebendig. Und jetzt auch noch die Aussicht, mit diesen Yakuza kämpfen zu müssen...“ Er seufzte tief. „Himura, es ist nicht so, als ob ich Angst vor dem Kämpfen hätte – ich werde mein Bestes geben, falls es zum Kampf kommen sollte. Es ist nur so, ich dachte, ich könnte das alles hinter mir lassen. Aber ich habe immer noch Albträume...“ „Genau wie ich...“ murmelte Kenshin. „Ich weiß,“ sagte Baiko, ein kleines Lächeln schlich sich dabei in seine Mundwinkel. Kenshin schaute ihn überrascht an, worauf Baiko hinzufügte, „Du bist kein ruhiger Schläfer, weißt du...“ Kenshin wusste, dass dies leider wahr war und so zuckte er einfach nur mit den Schultern. Baiko stimmte in das Schulterzucken mit ein. „Weißt du, Himura – wir sind kaputte Menschen. Wir haben zu viel Blut und Tod gesehen.“ Kenshin nickte. „Wahrscheinlich. Wir können nur hoffen,” meinte er mit einem schwachen Lächeln, “dass die Zeit die Wunden heilt.“ Beide gingen zur Herberge zum Frühstück mit der Hoffnung, durch das fröhliche Geplapper und die lustigen Streiche der Kinder der Familie auf andere Gedanken gebracht zu werden. Doch als sie im Haus ankamen, war die Stimmung dort so eisig wie das Wasser aus dem Brunnen. Selbst die Kinder saßen grimmig in der Ecke. „Ist was passiert?“ fragte Baiko die vorbeilaufende Ikuko. „Ist jemand krank?“ „Krank?“ antwortete sie kurz angebunden. „Nein. Wütend vielleicht. Mein Mann hat meinem ältesten Sohn die Erlaubnis erteilt, nach Kyoto zurückzukehren.“ Sie warf Orinosuke einen stechenden Blick zu und stürmte dann davon. Baiko und Kenshin sahen sich an. Beide dachten das gleiche – besser, heute Orinosuke aus dem Weg zu gehen! Beide entschieden sich, ihr Frühstück mit auf die Veranda zu nehmen und dort zu essen. Wenige Minuten später kam Daisuke mit dem Wirt der Herberge vorbei. „Ich habe gerade eben erfahren,“ begann Daisuke mit ernster Miene, „dass die Yakuza heute Nacht ein Gehöft nördlich dieses Dorfes überfallen haben.“ „Nördlich? Aber das ist die Richtung, in die wir gehen wollten!“ rief Baiko aus. Seine dunklen Vorahnungen, dachte er grimmig, wurden also wahr. „Gab es Tote?“ „Nein,“ antwortete der Wirt, „aber sie wurden bedroht. Ihr Leben gegen all ihre Wertsachen. Und als sie alles hatten, was sie wollten, haben sie trotzdem einige Männer zusammengeschlagen.“ „Wie viele?“ fragte Kenshin „Fünf Männer. Aber es waren wohl noch mehr, denn irgendeiner von ihnen sprach von ihrem Boss, der auf sie irgendwo warten würde.“ Der Wirt wandte sich nun an Daisuke. „Bitte, Daisuke-sama, gehen sie nicht in diese Richtung. Warten sie, bis einige unserer bewaffneten Männer diesen Abschaum aufgespürt und dingfest gemacht haben.“ Daisuke schüttelte den Kopf. „Ich danke ihnen für ihre Fürsorge, aber wir müssen heute noch unbedingt Miyazaki erreichen. Der Boss, denn die Yakuza erwähnten, ist vermutlich ein ehemaliger Samurai, von dem wir schon gehört haben, sein Name war Nobu. Uns wurde erzählt, dass er mit seiner Bande die Gegend unsicher macht, um sich seinen luxuriösen Lebensstil beibehalten zu können. Wahrscheinlich überlasst er die schmutzige Arbeit seinen Handlangern. Wenn es also nur fünf Handlanger sind, dann werden wir mit denen schon fertig, wir sind auch fünf starke Männer und können alle mit dem Schwert umgehen.“ „Aber Daisuke-sama...!“ „Wir haben keine Wahl,“ sagte Daisuke entschlossen und das Gespräch war beendet. Der Wirt verbeugte sich und ging händeringend. „Nun, der Typ hat schon recht,“ sagte Baiko. „Ich meine, dass wir angegriffen werden könnten, ist ja fast sicher. Ich hab schon den ganzen Morgen so etwas im Gefühl.“ Daisuke seufzte. „Was für eine Wahl haben wir denn?“ meinte er resigniert. „Wir müssen morgen in Miyazaki auftreten, das ist unser Auftrag. Außerdem wäre es unehrenhaft, den Kopf zwischen die Beine zu stecken, wo wir doch gar nicht wissen, ob wir wirklich in Gefahr sind. Und wenn wir angegriffen werden, wehren wir uns. Fünf gegen Fünf, keine schlechten Vorraussetzungen.“ „Aber...,“ wollte Baiko sagen. Doch Daisuke starrte ihn stechend an. „Ich weiß, was du sagen willst – meine Söhne und ich sind nutzlos in einem Kampf. Aber ich erinnere dich daran, dass wir nicht nur die Schwerttechnik können, die wir im Kabuki benutzten. Daheim in Kagoshima trainieren wir alle Drei jede Woche in einem Dojo. Außerdem haben wir ja zwei ehemalige und erfahrene Soldaten an unserer Seite...“ Er wandte sich zu Kenshin um. „Du bist doch ein ehemaliger Soldat, oder nicht?“ Kenshin wollte gerade antworten, als Baiko plötzlich schallend lachte. Ehemaliger Soldat? Zur Hölle, wie Daisuke wohl schauen würde, wenn er wüsste, was für ein Soldat genau hier vor ihm stand! Zweifelnd schaute Daisuke von Baiko zu Kenshin. „Aber ich dachte... mein Enkel Bunjiro hat mir erzählt, du wärst ein ehemaliger Soldat...“ „Hai, das bin ich auch,“ beeilte sich Kenshin zu sagen, während er Baiko einen warnenden Blick zuwarf. Das fehlte noch, dass Baiko jetzt seine Identität aus lauter Unachtsamkeit preisgab. Daisuke sah erleichtert aus. „Bei den Patrioten, hat mir Bunjiro-chan erzählt.“ „Hai,“ bestätigte Kenshin. „Nun, gut. Dann ist ja alles geregelt!“ Mit einem Schulterklopfen verließ Daisuke die Männer. „Warum habe nur das Gefühl, dass es alles andere als gut ist?“ murmelte Baiko. „Komm, Himurai, lass uns den Wagen vorbereiten. Je früher wir der Gefahr ins Auge sehen, desto besser.“ Innerhalb einer Stunde waren sie wieder auf der Strasse in Richtung Norden. Daisuke jedoch wollte jetzt keine Risiken mehr eingehen wie nötig. Er befahl den seiner Meinung nach besten Schwertkämpfer der Truppe, Baiko, an die rechte Seite des Wagens und Kenshin, dessen Fähigkeiten er nicht kannte, ganz nach hinten an die Rückseite des Wagens. Düster lief Kenshin hinter dem Wagen her. Noch niemals zuvor hatte er einen Konvoi von hinten aus bewacht, denn aufgrund des hohen Niveaus seiner Schwertkunst war er bei den Ishin Shishi stets vorneweg gelaufen, oder – im schlimmsten Fall – an der Seite. Jetzt lief er jedoch hinten und hatte keinerlei Blick auf die Strasse vor ihnen. Natürlich machte er diesen Verlust durch seine geschärften Sinne wieder weg, mit denen er sofort eine nahende Bedrohung fühlen würde. Dennoch machte ihn die Situation äußerst nervös. Nach einiger Zeit stieß Ikuko zu ihm, die ebenfalls hinter dem Wagen herlief. „Eine Schande,“ zischte sie ihm ihre geschlossenen Zähne zu. Ihre sonst so freundliche, mütterliche Natur war eher der eines entschlossenen Kriegers gewichen. „Bitte?“ fragte Kenshin verwirrt. „Eine Schande, was Orinosuke dir gestern angetan hat! Mein Mann hat es mir erzählt. Das Schwert an deine Kehle zu halten – wie schändlich!“ Kenshin entspannte sich. Er hatte schon gedacht, die wäre wütend auf ihn. „Niemand ist zu Schaden gekommen,“ versicherte er ihr. Sie starrte ihn an und Kenshin war es plötzlich, als ob sie seine Ki lesen könnte. Nicht wissend, ob sie diese Fähigkeit besaß oder nicht versteckte er sofort seine Gedanken tief in sich. „Mein Mann hat mir erzählt, wie nobel du dich verhalten hast, als mein Sohn dir das Schwert an den Hals hielt.“ Sie beobachtete die Reaktion in Kenshins Gesicht, sah aber nichts außer vielleicht, dass sich sein Mund etwas verschmälerte. „In der Tat,“ fuhr sie fort, „er sagte, du bist nicht mal zurückgezuckt. Du musst entweder ein sehr mutiger junger Mann oder ein sehr törichter sein, um solche einer Bedrohung so ruhig entgegen zu treten.“ Kenshins Lippen wurden noch dünner. Eine seltsame Reaktion, dachte Ikuko. „Himura-san,“ sprach sie weiter, „die meisten Männer hätten ihr Schwert gezogen und so eine Beleidigung nicht hingenommen. Und wer weiß, was dann passiert wäre. Es ist kein Geheimnis, das ich auf Orinosuke sehr wütend bin, weil er die ganze Familie mit seiner Bitterkeit vergiftet, aber er ist trotz allem mein Sohn. Deswegen bin ich dir dankbar, dass du dich zurückgehalten hast.“ Kenshin entspannte sich etwas. Sie schien seine Handlungen nicht misstrauisch aufzufassen. Wenn sie nur wüsste, wie viel Anstrengungskraft es ihn gekostet hatte, seinen Killer-Instinkt bei diesem Angriff zurückzuhalten. „Ich wollte die Situation nicht verschlimmern,“ antwortete er endlich. Sie liefen einige Minuten schweigend nebeneinander, bis Ikuko wieder zu sprechen begann. „Ich würde mir niemals anmaßen, dich zu fragen, warum du den Weg eines Rurouni gewählt hast. Aber wenn du diesen Pfad verlassen willst, sei gewiss, dass ich dir in Kagoshima eine Arbeit anbieten kann. Du wirst doch mit nach Kagoshima reisen, oder nicht?“ Kenshin zögerte einen Moment. „Ich denke nicht, dass es unter den gegebenen Umständen schlau wäre, so etwas zu tun.“ „Wegen Orinosuke? Ich denke, der wird uns sowieso bald verlassen und nach Kyoto gehen. Er würde dir dann keine Probleme mehr bereiten.“ Sie nahm seine Hand in die Ihre. „Denk bitte über mein Angebot nach.“ Dann ging sie zurück zu ihren Schwiegertöchtern. Kenshin spürte noch ihren warmen Händedruck, als er ihr nachsah. Seine Situation, so erkannte er, wurde mit jedem Tag komplizierter. Natürlich könnte er ihr Angebot niemals wahrnehmen. Selbst wenn durch wunderbare Umstände seine Identität als Hitokiri Battousai nicht von Orinosuke entdeckt werden würde, irgendwann würde jemand anderes ihn erkennen. Was dann passieren würde, mochte sich Kenshin gar nicht vorstellen. Es tat trotzdem weh – niemand hatte ihn seit langer Zeit so herzlich behandelt und bei niemandem hatte er sich akzeptiert und willkommen gefühlt. Er realisierte plötzlich, dass er, obwohl er es gar nicht wollte, irgendwie in den Bund dieser Familie aufgenommen worden war und dass man sich um ihn sorgte. Er spürte auf einmal ein seltsames Verlangen in ihm - das Verlangen nach einem Zuhause und einer Familie. Doch wenige Sekunden später drängte die dunkle Vergangenheit wieder in sein Bewusstsein. Unterhalb seiner oberflächlichen Ruhe, das wusste er, schlummerte immer noch die Geschicklichkeit und Grausamkeit des Hitokiri, der er einmal gewesen war. Es war kein Zufall, dass er nie lange an einem Platz blieb. Wer konnte schon sagen, ob oder wann diese Grausamkeit sich vielleicht entfesselte und den Tod von jemandem, der ihm nahe stand, zur Folge hatte, so wie es mit der einzigen Person, die er je geliebt hatte, passiert war. Nein, schüttelte er den Kopf, er würde gleich nach dem großen Auftritt in Myazaki die Familie verlassen. Er hoffte nur, das wenigstens bis dahin seine Identität geheim bleiben würde. Die dunklen Gedanken abschüttelnd konzentrierte sich Kenshin jetzt wieder voll und ganz auf die Strasse. Eines war klar - obwohl sie sich jetzt auf einer breiteren, vielbenutzten Strasse befanden, gab es keine Reisenden, die ihnen begegneten. Kleinere Stände oder Läden am Straßenrand sahen verfallen oder zerstört aus. Die zwei Dörfer, die ihnen unterwegs begegneten, waren wie ausgestorben und die Menschen versteckten sich verängstigt in ihren Häusern. Die Yakuza schienen in dieser Gegend sehr aktiv gewesen zu sein, und, wie es den Anschein hatte, war dies noch nicht lange her. Er spürte langsam wieder die angespannte Nervosität über sich kommen, die ihm während des Bakumatsu für so lange Zeit ein ständiger Begleiter gewesen war – dieser Zustand der äußersten Wachsamkeit, in dem jeder Nerv seines Körpers sofort auf die geringste Veränderung in seiner Umgebung reagierte. Sie liefen der Gefahr genau in die Arme und es war sein Job, alle zu beschützen. Wenn das bedeutete, die Macht Hiten Mitsurugis zu entfesseln, dann sollte das wohl so sein, auch wenn er sich dadurch selbst verriet. Niemals könnte er diese Familie Schaden nehmen lassen. Nach über einer Stunde angespannten Marsches spürte er es endlich – das unverwechselbare Gefühl, beobachtet zu werden. Schnell huschte er ein wenig nach rechts und sah in der Ferne einige Vögel aus dem Geäst flattern. Niemand sonst hatte es bemerkt oder sich etwas dabei gedacht, doch Kenshin wusste es besser. Er suchte mit den Augen das Unterholz ab. Da, weiter die Straße entlang, sah er eine kurze Bewegung hinter einem Baumstamm. Er spürte eine feindliche Ki von dort ausgehen. In dem Augenblick kam Bunjiro zu ihm gelaufen, um ihn nach etwas zu fragen. „Bunjiro-san,“ wies ihn Kenshin mit ernster Stimme an, „ich habe einen wichtigen Auftrag für dich!“ „Oh...“ Mit großen Augen starrte Bunjiro Kenshin an, dann richtete er sich zu voller Größe auf und streckte sein Kinn nach oben. „Hai, Himura-san!” Kenshin unterdrückte ein Lächeln. „Bunjiro-san, ich möchte, dass du so unauffällig wie möglich zu Baiko-san nach vorne gehst. Sag ihm, er soll sich zurückfallen lassen, ich möchte mit ihm sprechen. Aber es darf nicht verdächtig wirken. Verstanden?“ „Hai!“ wisperte Bunjiro und schlenderte davon und tat, wie ihm geheißen. „Ein guter Schauspieler,“ dachte Kenshin, als er den Jungen beobachtete, der ganz beiläufig ein paar Worte mit Baiko wechselte, während die Blätter eines Busches für ihn viel interessanter zu sein schienen. Baiko lief daraufhin etwas langsamer, so dass Kenshin ihn bald eingeholt hatte. Sie schauten sich nicht einmal an, als Kenshin sagte, „Wir werden beobachtet.“ Baiko zeigte keine Reaktion aber antwortete, „Du fühlst es also auch.“ „Ja. Jemand ist hinter den Bäumen da vorne auf der linken Seite versteckt, gerade an der Kurve der Strasse. Auf die Entfernung kann ich allerdings nicht genau ausmachen, wie viele es sind.“ Baiko schaute zu der Stelle, die Kenshin ihm beschrieben hatte. „Ich seh’ gar nichts,“ stellte er fest, „aber ich fühle es einfach in meinen Knochen. Vielleicht sollten wir jetzt die Frauen und Kinder besser in den Wagen tun, das dürften sie von da vorne aus nicht sehen. Sag du auch noch Ryosuke-san bescheid. Ich sag es Daisuke-san und Orinosuke-san.“ Kenshin nickte kaum merklich und die zwei trennten sich wieder so unauffällig, wie sie zusammengekommen waren. Als Bunjiro wieder herüber kam, befahl ihm Kenshin, die Frauen und Kinder so unauffällig wie möglich anzuweisen, in den Wagen zu steigen. Vorher sollte er noch Ryosuke bescheid sagen, dass sie beobachtet würden. „Wenn du deine Aufträge erledigst hast, dann steigst du zu den Frauen in den Wagen,“ endete Kenshin. „Aber...!“ Kenshin warf Bunjiro einen strengen Blick zu. „Du willst doch Soldat werden? Ein Soldat hinterfragt niemals die Befehle, die einem gegeben werden. Außerdem hast du doch ein Holzschwert. Wenn der Wagen angegriffen wird, liegt es allein an dir, die Frauen zu verteidigen. Los!“ Als alle Frauen und Kinder im Wagen saßen, ließ Ennosuke die Pferde schneller traben, so das sie näher und näher an die Kurve mit den Bäumen kamen. Kenshin fühlte nun die Anwesenheit von mehreren Männern – fünf oder sechs, schätzte er – aber sie rührten sich immer noch nicht von der Stelle. Kaum hatten sie die Kurve erreicht, da sah er endlich kurz einen bunten Stoff zwischen den Bäumen aufleuchten und Geraschel in den Büschen zeugte von Männern, die sich ein Stück vom Weg entfernt im Unterholz versteckten. Kenshin konnte jetzt spürten, dass es mehr als nur sechs Männer waren – sechs auf der einen Strassenseite, aber auf der anderen noch mal zwei – oder waren es drei? Kenshin strengte alle seine Sinne an, aber die dritte Ki, die er eben noch gespürt hatte, war verschwunden... Drei von den sechs Männern stürmten nun vor sie auf die Strasse und blockierten mit gezogenen Schwertern ihren Weg. Der Wagen hielt an und Daisuke und Orinosuke liefen den Männern entgegen. Kenshin konzentrierte sich unterdessen auf jedes Anzeichen einer Bewegung der restlichen Männer in den Büschen. Allerdings, solange sie sich nicht bewegen würden, würde auch er sich nicht bewegen. Es war ja auch möglich, dass sie nur etwas Geld erpressen wollten, und sich, sobald die Summe bezahlt, wieder zurückziehen würden. Doch auf einmal waren laute Rufe von Vorne zu hören, denn einer der Wegelagerer hatte Daisuke am Kragen gepackt und Ryosuke rannte vom Wagen weg, um seinem Vater zu helfen. Genau in diesem Moment schienen sich die drei noch im Gebüsch verborgenen Männer in Richtung Wagen zu bewegen. „Ryosuke, nein!“ rief Kenshin, als er realisierte, was da vor sich ging. Die Blockade war nur ein Trick gewesen, um die Männer vom Wagen zu trennen. Im Augenwinkel sah er, wie Daisuke seinen Angreifer bereits losgeworden war und Baiko und Ryosuke zu Orinosuke stürmten, um ihm gegen die restlichen zwei Angreifer zu helfen. Es würde jetzt zu spät sein, ehe sie realisierten, dass die wirkliche Gefahr nicht vor, sondern hinter ihnen beim Wagen lag. Zeit zu Handeln. Kenshin rannte mit blitzartiger Geschwindigkeit den drei Männern entgegen, die gerade eben aus dem Unterholz auf der Strasse auftauchten. Bevor sie Kenshin überhaupt bemerken konnten, war er schon über ihnen. Die Männer waren schwerfällig und nicht einmal schnell genug, um ihre Schwerter zu ziehen, doch Kenshin zeigte keine Gnade. Mit einem wuchtigen Aufwärtsschlag seines Sakabatous flog der erste der Männer ins Gebüsch zurück. Der zweite konnte nicht einmal innehalten und wurde von dem folgenden, nach unten zielendem Schlag Kenshins auf den Boden gehauen. Gerade, als er sich dem Dritten zuwenden wollte, war Ryosuke schon zur Stelle und trat ihn mit einem mächtigen Fußkick nieder. Wer hätte gedacht, das Ryosuke so talentiert im Kempo ist, dachte Kenshin kurz. Die Situation am Wagen war nun in Kontrolle, doch Kenshin spürte noch die zwei anderen Ki’s, die etwas tiefer im Wald zu finden waren. Und war da nicht schon wieder das Anzeichen einer dritten Ki? Oder waren es vier? Kenshin sprang schnell wie der Wind in das Unterholz, die peitschenden und schneidenden Äste ignorierend. Da vor ihm fand er sie – zwei Samurai, die sich hinter einem Baumstamm versteckt hielten. Kenshin kam zum stehen und rief ihnen zu, „Eure Spießgesellen sind besiegt worden – jetzt seit ihr an der Reihe!“ Gerade wollte er seine Drohung wahr machen, als er plötzlich auf seiner linken Seite ein zischendes Geräusch hörte, als ob etwas durch die Luft flog. Kenshin schwang sich genau rechtzeitig herum und wich so dem Wurfmesser aus, das auf seinen Hinterkopf gezielt war. Ein Ninja! Kein Wunder, dass er die dritte Ki nicht recht hatte spürten können. Doch kaum war er dem Wurfmesser ausgewichen, da kam auch schon ein zweites, diesmal von der rechten Seite auf ihn zugeflogen. Schnell sprang er nach oben und das Wurfmesser kratzte ihn nur ein bisschen am Oberarm. Mit einem Salto katapultierte er sich hinter die zwei Samurai vor ihm, weil wer wusste, dass die Ninja es höchstwahrscheinlich nicht wagen würden, irgendetwas in die Richtung ihrer Arbeitgeber zu werfen und diese dann aus Versehen zu verletzen. „Rote Haare?“ hörte er einen der Samurai stottern. „Das kann nicht sein... ich dachte, er wäre tot! ... Mein Gott, das ist der Hitokiri Battousai!“ Die zwei Samurai entschlossen sich nun zu einem gemeinsamen, verzweifelten Angriff, doch Kenshin war schon losgerannt um sie auseinander zu locken und weiter weg von den Ninja zu gelangen. Er ließ sich von dem ersten Samurai einholen, sprang dann plötzlich herum und entfesselte einen kraftvollen Abwärtsschlag, der den Mann vom Hals bis zur Leiste traf. Bevor er zu Boden fallen konnte, traf ihn Kenshins Schlag auf den Rücken und schleuderte ihn gegen einen Baumstamm, an dem er wie ein Häufchen Elend zusammensackte. Der zweite Samurai griff ihn jetzt an, sein Gesicht in Entsetzten und Wut über das, was Kenshin seinem Bruder angetan hatte, verzerrt. Er ging in Battoujutsu-Stellung und es schien Kenshin, als ob er im Jigen-Stil trainiert war. “Du Abschaum der neuen Regierung!” spuckte er in Kenshins Richtung wütend aus. „Wie kannst du es wagen, dich den Nobu-Brüdern entgegenzustellen?!“ Dann sprang er vorwärts mit all der Geschwindigkeit, die er meistern konnte. Auch Kenshin ging jetzt in Battoujutsu-Stellung und sah den Mann näher kommen. Er rannte zwar schnell, aber für Kenshin schien es fast wie Zeitlupe. Er wartete bis zur letzten Sekunde, dann zog er sein Schwert in einem gleißenden Licht aus Bewegung. Weniger als eine Sekunde später hatte er den Mann mit Schlägen an Hals, Bauch und Brust niedergestreckt. Wie sein Bruder lag er jetzt zusammengekrümmt auf dem Boden. Nun sprang Kenshin herum um die Ninja zu finden, denn die zwei Samurai konnten ihm jetzt keinen Schutz mehr bieten. Als er wieder zurückrannte, kam ihm Ryosuke entgegen, aber genau ich dem Moment sah er einen der Ninja über ihnen in den Bäumen und schon kam ein Wurfmesser geflogen. „Ryosuke!“ schrie Kenshin, „Achtung! Ein Wurfmesser!“ Ryosuke, dank seines akrobatischen Trainings beweglich, schwang sich sofort zu Boden und rollte sich zur Seite ab. Dort wo er eben noch gestanden hatte, steckte jetzt das Messer im Boden. Der Ninja sprang jetzt vom Baum aus auf Ryosuke mit der eindeutigen Absicht, ihm das Messer ins Genick zu stecken. Ryosuke jedoch war schnell. Kaum hatte er sich abgerollt, da stand er auch schon und schwang sich ein einigen Rückwärtssaltos von dem Ninja weg um sich für einen offenen Kampf bereit machen zu können. Doch alle Angriffe von Ryosuke prallten am Ninja ab, der nur auf seine Chance zum Angriff wartete. In diesem Moment kam auch Baiko am Ort des Geschehens an und sofort sprang er den Ninja von hinten an und rammte ihm den Griff seines Schwertes von Hinten an den Hals. Der Ninja fiel zu Boden. Doch Kenshin hörte wieder das zischelnde Geräusch eines Wurfmessers – der zweite Ninja wollte wohl nicht kampflos aufgeben. Doch durch sein Wurfmesser verriet er Kenshin die Richtung seines Versteckes. Ohne Mühe wich Kenshin dem Messer aus, warf sich dann mit Saltos in Richtung des zweiten Ninjas, so dass es diesem unmöglich war, ihn zu treffen. Kaum landete Kenshin vor dem Ninja, als dieser schon einen gezielten Fußtritt auf seinen Hals richtete. Kenshin schwang schnell sein Schwert in großem Bogen nach oben und erwischte das ausgestreckte Bein des Mannes. Dieser fiel rückwärts um, doch bevor er den Boden berührte, schlug Kenshin ihm noch gezielt mit dem Schwert auf den rechten Ellebogen. Es gab ein ekelerregendes knackendes Geräusch und Kenshin wusste, dass dieser Mann nie mehr jemanden mit Wurfmessern bewerfen konnte. Der Ninja lag nun wie ein nasser Sack am Boden, sein Bein und sein Arm standen in grotesker Weise von seinem Körper ab. Als Kenshin aufsah, bemerkte er Orinosuke mit einem blutigen Schnitt am Arm den Platz des gerade stattgefundenen Kampfes betreten, gefolgt von Daisuke. Beide schauten sich entgeistert um, bevor sie die vier bewusstlosen Männer am Boden genauer betrachteten. Erst jetzt bemerkte Kenshin, das irgendetwas nicht stimmte. Dieser kleine Kratzer von dem Wurfmesser an seinem Oberarm brannte wie Feuer und das Atmen fiel ihm plötzlich schwer. Er kniete sich auf den Boden, versuchte, wieder zu Atem zu kommen, aber es fiel ihm schwer. „Mein Gott, was hast du getan?“ hörte er Orinosuke ausrufen, der gerade die beiden Ninjas inspizierte, die Kenshin besiegt hatte. Seine Stimme klang verschwommen und fern. „Du hast sie getötet! Hitokiri! Du hast alle getötet!“ Kenshin spürte eine Hand am Arm, die ihn hochziehen wollte, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen und so sank er wieder zurück auf die Knie. „Orinosuke-san, hör auf!“ Es war Baiko. “Alle leben, schau doch genau hin! Er hat niemanden getötet!“ „Orinosuke-san,“ gelang es Kenshin irgendwie zu sagen, „Sessha tötet nicht!“ „Was zur Hölle? Schau dir die Männer doch an!“ schrie Orinosuke. Kenshin legte langsam sein Schwert vor sich auf den Boden, so dass es alle sehen konnten. Warum fühlte sich sein Gewicht auf einmal so schwer an? „Es ist... ein Sakabatou,“ keuchte er. „Ich... kann nicht töten.“ Er sah durch den vor seinen Augen immer dichter werdenden Nebel Baiko, der sich zu dem Schwert beugte und mit dem Finger über die stumpfe Seite der Klinge strich – die Seite, die bei einem normalen Schwert rasiermesserscharf gewesen wäre. „Verdammt noch mal, er hat recht!“ hörte er ihn sagen, aber seine Stimme klang weit entfernt. Jetzt erst bemerkte Baiko, dass mit Kenshin etwas ganz und gar nicht zu stimmen schien – er war blass wie ein Toter und wankte auf seinen Knien hin und her. Schnell eilte er an seine Seite und sah das Blut an seinem linken Oberarm. Gerade wollte er die Wunde genauer anschauen, als Kenshin sagte, „Halt! Gift... Das Wurfmesser... war vergiftet.” „Was?!“ „Baiko,“ flüsterte Kenshin, zu schwach um lauter Sprechen zu können, „schnell – meine Reisetasche... Wasser.“ Er hörte Bewegung um sich herum, Rufe und Schreie, doch er fühlte bereits, wie das Gift sein Herz angriff, sein Atem immer schwerer wurde und er sich kaum noch bei Bewusstsein halten konnte. Das Gift wirkte schnell. Minuten später kam Baiko endlich mit der Tasche und Bunjiro folgte ihm mit einem Wassereimer. “Das Päckchen mit dem weißen Pulver…” keuchte Kenshin. „Zwei Messerspitzen, ins Wasser...“ Baiko tat wie ihm befohlen und half Kenshin dabei, die Medizin zu sich zu nehmen. Der Effekt war unmittelbar – Kenshins Herz begann heftig zu pochen und sein Atem wurde wieder schneller. Der schwarze Nebel, der sich ihm vor die Augen gelegt hatte, begann, sich aufzulösen und als er endlich wieder klar sehen konnte, erkannte er vor sich alle Männer und auch einige Frauen, die ihn umringten. Er fühlte jetzt, wie jemand ihm den Gi über die verletzte Schulter zog, die Wunde mit einem Messer neu aufritzte und mit frischem Wasser auswusch. Wasser spritzte über den Boden und dann das Gefühl einer seiner Salben auf der Wunde. Er sah auf und erkannte Baiko, der ihn verarztete. Er packte ihn bei der Hand und versuchte, aufzustehen. Als er endlich zum stehen gekommen war, dämmerte es Kenshin plötzlich, dass jeder rings um ihn herum schrecklich schweigsam war. Er schaute herum und ihm begegneten nur Gesichter mit großen Augen und voller Unverständnis. „Damit hetzt er uns die Regierungspolizei auf den Hals, mit diesem Massaker hier, ich sag’s euch,“ hörte er Orinosuke sagen. „Ruhe!“ zischte Daisuke. „Dieser Mann hat unsere Familie gerettet. Bist du blind? Das hier sind Ninja, verdammt noch Mal! Und ich dachte, wir müssen uns nur um 4 oder 5 unorganisierte Banditen Sorgen machen...“ Er schüttelte seinen Kopf und meinte dann an Kenshin gewandt, „bist du fit genug zum weiterreisen?“ „Ja,“ antwortete Kenshin etwas atemlos. Er lief einige Schritte und spürte, wie die Kraft in seine Beine zurückkehrte. „Ich bin nur etwas erschöpft, ansonsten fühle ich mich wieder ganz gut.“ Er winkte die Arme, die ihm zur Unterstützung entgegengestreckt wurden, ab, denn er musste jetzt selbst wieder zu Kräften kommen, doch er spürte ohne sich umzudrehen, dass ihm die Blicke aller folgten. Ryosuke’s Ki schien von allen am meisten aufgewühlt zu sein – und das sagte viel. Tja, dachte Kenshin grimmig, während er mit den anderen zurück zur Strasse lief, die Männer hatten ihn gerade eben in Aktion erlebt. Es war nun nicht mehr abwendbar, dass sie ihn jetzt verdächtig finden würden und dass sich unangenehme Fragen in ihren Köpfen bilden würden. Als sie den Wagen erreichten, sah er Ikuko und dieses eine Mal streckte Kenshin selbst seine Hand aus, um nach ihr zu greifen und sich an ihr festzuhalten, denn seine Beine begannen nun nach den paar Metern Weg wieder zu wackeln. „Himura-san! Alles in Ordnung?“ rief Ikuko besorgt aus. „Himmel, du bist verletzt. Kinder – aus dem Weg. Himura-san braucht jetzt Platz im Wagen.“ „Fass ihn nicht an, Mutter!“ schrie Orinosuke hinterher. „Er ist kein Killer! Ein Dämon! Du weißt nicht, was er da draußen getan hat!“ Ryosuke packte Orinosuke grob am Arm und drehte ihn zu sich um. „Kein Dämon – Er ist ein Meister!“ Dann, an Kenshin gewandt, sagte er fast anschuldigend, „Warum hast du uns nicht erzählt, dass du ein Meister der Schwertkunst bist?“ „Ryosuke-san, ich bin kein Meister,“ antwortete Kenshin erschöpft. „Sessha kam nie so weit.“ Dann kletterte er langsam in den Wagen und sank auf einer Matratze nieder. Wenige Minuten später war er eingeschlafen. Ryosuke begutachtete nun die am Boden liegendend und blutenden Körper der Banditen. „Schnell weg von hier,“ meinte er fröstelnd. „Wir können nicht einfach so gehen und die so liegen lassen,“ warf seine Frau Mei besorgt ein. „Sie sterben vielleicht!“ “Sollen sie doch,” sagte Orinosuke, der gerade die Schnittwunde an seinem Arm verarztete. „Wir sagen einfach im nächsten Dorf bescheid, was passiert ist. Die werden sich freuen, persönlich die Banditen „verarzten“ zu können.“ „Mh..“ nickte Daisuke. „Ikuko, Liebes, bleib bitte bei Himura-san im Wagen und kümmere dich um ihn. Der Rest von uns kann Laufen. Ich denke, wir sind jetzt sicher.“ Und so bewegte sich die Truppe mit ihrem Wagen erneut des Weges entlang, alle erleichtert, die Gefahr nun endlich hinter sich gelassen zu haben aber alle noch von den gerade stattgefundenen Ereignissen aufgewühlt. Nach kaum einer Stunde hatten sie das nächste Dorf erreicht und nach anfänglichem Misstrauen wurden sie von den Bewohnern überschwänglich begrüßt. „Die Götter mögen euch für immer wohlgesonnen sein!“ riefen die Leute. „Diese Yakuza haben uns fast alle unsere Geschäfte ruiniert! Endlich können wir wieder aufatmen und Handel treiben!“ Kenshin bekam von all dem Aufruhr nichts mit - er lag, war er doch dem Tod nur knapp entkommen, in einem tiefen Schlaf. Dieser Schlaf war jedoch nicht erholsam oder friedlich. Als erstes wälzte er sich wild umher – ein Effekt der Medizin, die ihn aufgeputscht hatte. Dann begann er zu stöhnen und ächzen und der Schweiß lief ihn in Strömen herunter, obwohl es recht kühl um ihn herum war. Ikuko versuchte, ihm zu helfen und als sie ihn da so schwitzend daliegen sah, entschloss sie sich, seine zwei Gi’s auszuziehen und ihm statt dessen einen dünnen Yukata anzuziehen. Das war nicht besonders schwer, denn Kenshins Gewicht war das einer Feder. Was sie jedoch sah, erinnerte sie wiedereinmal daran, dass dieser Junge wohl schon einiges in seinem Leben durchgemacht haben musste, denn auf seiner Brust waren drei dicke, alte Narben, die von Schwertern zu kommen schienen. Ikuko hatte Kenshin schon seit dem ersten Tag, an dem sie ihn begegnet war, ins Herz geschlossen und es brach ihr mütterliches Herz, sich vorstellen zu müssen, was er trotz seines Alters schon für Schmerzen ertragen hatte müssen. Sehr zu ihrer Erleichterung schien jetzt Kenshin endlich etwas ruhiger zu werden. Sie hoffte, er würde sich ordentlich ausschlafen und frisch und fit wieder aufwachen. Aber statt dessen begann er nun im Schlaf zu murmeln und sich abermals hin und her zu wälzen. Kenshin wusste, dass er eingeschlafen war, doch als er die Augen öffnete und sich umsah, fand er sich nicht in einem Bett sondern auf dem Schlachtfeld von Toba Fushimi. Er ergab überhaupt keinen Sinn für ihn, hier zu sein, aber da war er, inmitten von Rauch und Feuer auf einem infernalischen Schlachtfeld. Schnell sprang er auf die Beine und zog sein Katana, denn schon stürmte eine Truppe Soldaten des Bakufu auf ihn und seine Kameraden zu. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er bereits Dutzende der Angreifer getötet, sein Herz klopfte wild in seiner Brust und er schwitzte wegen der körperlichen Anstrengung. Von Ferne hörte er das Dröhnen von schweren Feuerwaffen, aber um ihn herum waren nur die Schreie der Soldaten und das Stöhnen der im Sterben liegenden. Er hasste es – das Blut, das Dahinschlachten und die Verschwendung von Menschen als Kanonenfutter – er hasste es so abgrundtief, aber er wusste, dass heute alles vorbei sein würde. Dann, plötzlich inmitten einer erneuten Angriffswelle, wurde alles still. Die Feinde schienen sich zurückzuziehen und er sah, wie überall auf dem Schlachtfeld die Standarten von Choshuu aufgerichtet wurden. Schreie ertönten – keine Schmerzensschreie, sondern Freudenschreie: Das Bakufu war besiegt! Es war also getan – Seine Anwesenheit in diesem Krieg war nicht länger nötig. Er würde nicht länger töten müssen. Er war frei! Da wo er gerade stand ließ er sein Katana und sein Wakizashi einfach in die Erde fallen und wollte davongehen, doch die Schwerter flogen auf wundersame Weise wieder zurück in seine Hände. Er schmiss sie noch einmal zu Boden doch wieder waren sie im nächsten Moment auf ihrem angestammten Platz. Voller Entsetzen erkannte er jetzt, dass die Toten vom Schlachtfeld alle auf ihn zukamen, ihn umzingelten und anklagend mit blutenden Fingern auf ihn zeigten. Er versuchte zum dritten Mal seine blutbefleckten Schwerter wegzuwerfen und davon zu gehen, aber erfolglos. „Mörder, Mörder!“ hörte er die Toten flüstern. Er wollte rennen, weg von diesem Bild des Grauens, doch die Toten folgten ihm, immer noch mit anschuldigend ausgestreckten Fingern. Seine Schwerter klebten nun an seinen Händen und als er auf die Klingen herabsah, schien es, als ob endlose Blutströme von ihnen auf die Erde herabtropften. „Lasst mich los!“ schrie er seine Schwerter an, „Lasst mich gehen! Lasst mich in Ruhe!“ „Lasst mich in Ruhe!“ Kenshin schoss hoch, sein Gesicht verzerrt als er spürte, wie jemand ihn zurückhalten wollte. Es war Baiko. „Ruhig, Junge, Ruhig!“ sagte Baiko. „Du hast nur schlecht geträumt!“ Hinter Baiko konnte Kenshin Ikuko sehen, die ihn sehr besorgt ansah und deren Ki fast so etwas wie Angst auszustrahlen schien. Kenshin hörte auf, sich gegen Baikos Griff zu wehren und ließ sich zurückfallen. Baiko lehnte sich über ihn und flüsterte ihm leise zu, „Du zauberst besser schnell ein Lächeln in dein Gesicht, Himura, denn du hast mit deinem Albtraum Ikuko eine Heidenangst eingejagt.“ „Was...?“ fragte Kenshin verwirrt, wurde jedoch von Baiko grob unterbrochen. „Frag nicht, sondern tu es einfach!“ befahl er, „Jetzt!“ Kenshin war erschrocken über das plötzlich so barsche Benehmen Baikos aber er folgte schnell seinem Befehl und pflasterte ein kleines, irgendwie schüchternes Lächeln in sein Gesicht. Er spürte sofort, wie sich Ikukos Angst und Gespanntheit auflöste. Er war überrascht, wie schnell so ein falsches Lächeln die Besorgnis einer Person hinwegzaubern konnte. „Mir geht es gut, wirklich,“ sagte Kenshin zu ihr. „Der Albtraum... muss noch eine Nachwirkung des Giftes gewesen sein!“ Das war zwar eine Lüge, überlegte er, aber besser wie die Wahrheit allemal. Baiko tat so, als würde er Kenshins Temperatur auf seiner Stirn fühlen und stellte dann fest, “Ich denke, er hat jetzt alles überstanden. Warum lässt du uns nicht einen Moment allein, Ikuko, damit ich ihn komplett durchchecken kann?“ „Das wird wohl das Beste sein...“ meinte Ikuko. „Ich hatte wirklich Angst um dich, Himura-san...“ Kenshins Lächeln weitete sich etwas. „Bitte vergib mir, ich wollte dich nicht verängstigen,“ meinte er so aufrichtig, wie er konnte. Ikuko lächelte zurück und verließ den Wagen. Kaum war sie verschwunden, verschwand auch Kenshins Lächeln. An Baiko gewand fragte er, „Was zur Hölle sollte das Getue eben?“ „Hör Mal, Himura,“ antwortete Baiko, „ich weiß, dass es sich nicht vermeiden ließ – verdammt, du hast uns vorhin den Arsch gerettet – aber jetzt fragt sich jeder, wirklich jeder, wer du eigentlich bist. Wir parken gerade im nächsten Ort und stehen hier schon seit gut einer Stunde und die ganze Zeit posaunt Orinosuke draußen herum „Hey, ich hatte recht, er ist gefährlich,“ bla, bla. Jeder hat es gehört, auch Ikuko. Deswegen solltest du sie nicht noch mehr verunsichern sondern sie weiterhin glauben lassen, das du das bist, wofür sie dich hält!“ „Und was ist das?“ fragte Kenshin, der schon fast Angst vor der Antwort hatte. „Na, harmlos natürlich!“ Kenshin lachte bitter. „Baiko, es hat seinen Sinn, sich jetzt noch was vor zu machen. Sie haben gesehen, wer ich bin...“ „Ja, du hast sie sicherlich verwirrt – Ennosuke vor allem,“ sagte Baiko. „Du hast ihm anscheinend erzählt, du wärst irgendein Niemand, der Leute mit seinem Schwert beschützt, aber nicht tötet? Naja, so wie du gekämpft hast, war es klar, das du mit Sicherheit kein Niemand bist, und das hat Ennosuke etwas zu schaffen gemacht. Und was hat es eigentlich mit dem Schwert mit verkehrter Klinge auf sich?“ Kenshin warf ihm einen kalten Blick zu. Informationen darüber würde er mit niemandem teilen. „OK, ich hatte kein Recht, dich danach zu fragen,“ sagte Baiko schnell, „Aber du hättest mich wenigstens warnen können. Weißt du, jedes Mal, wenn Orinosuke versucht hat, dich aufzumischen, hat mich das Jahre meines Lebens gekostet, weil ich dachte, gleich ist es aus mit ihm!“ „Weißt du jetzt, was ich meine?“ fragte Kenshin verbittert. „Du wusstest, wer ich bin und deswegen hast du von mir erwartet, dass ich ihn jeden Moment umbringen könnte. Wenn ich nicht einmal dich davon überzeugen konnte, das ich kein Hitokiri mehr bin, was für eine Hoffnung bleibt mir da noch, irgendjemanden anderes überzeugen zu können – oder überhaupt jemals ein normales Leben führen zu können? Du weißt, Ikuko-san hat mir sogar einen Job in Kagoshima angeboten. Was du nicht weißt, ist, wie sehr ich mir innerlich wünsche, Ja zu diesem Angebot sagen zu können! Doch das kann ich nicht!“ Kenshin bemerkte jetzt den Yukata, den er trug und während er ihn auszog um wieder in seine zwei Gi’s hineinzuschlüpfen, sprach Baiko wieder. „Hör mal, Orinosuke hätte seinem Vater beinahe erzählt, dass er vermutet, wer du bist. Aber Daisuke hat ihm das Wort abgeschnitten. Soweit es ihn und alle anderen betrifft, bist du ein Held, der ihr Leben gerettet hat. Ryosuke-san ist sogar überzeugt, du bist ein Meister der Schwertkunst und kann gar nicht versehen, warum du das bisher geheim gehalten hast. Daisuke hingegen denkt, du hast irgendein dunkles Geheimnis, das mit irgendetwas aus der Bakumatsu-Zeit zu tun haben muss – und die Frauen... na ja, die sind einfach noch etwas hysterisch wegen dem Überfall und der zerschmetterten Körper der Banditen und sie können sich nicht vorstellen, wie so ein netter Typ wie du zu solcher Gewalt fähig ist. Verstehst du jetzt, warum du dir ein Lächeln in dein Gesicht heften solltest?“ Kenshin seufzte. “Baiko, wir kennen und zwar noch nicht lange, aber du bist mir wirklich ein guter Freund. Ich werde tun, was du sagst.” Er zupfte seinen Gi zurecht und stopfte ihn in seine Hakama, dann folgte er Baiko aus dem Wagen. Sofort spürte er eine seltsame Stimmung um sich herum, denn jeder der Anwesenden hörte auf zu sprechen und schaute ihn an. Er stand still und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, bis sich Baikos Ellebogen in seine Seite bohrte. „Lächeln,“ wisperte dieser ihm zwischen geschlossenen Zähnen hindurch zu. Kenshin senkte den Kopf und versteckte seine Augen hinter seinem Pony und versuchte möglichst unschuldig zu lächeln. Dann folgte er einfach Baiko, wo auch immer er gerade hinging, denn das fand er besser, als dumm vor dem Wagen herum zu stehen und sich von allen anstarren zu lassen. Weit waren sie nicht gekommen, als sie Mayako einholte und ihm mit einer tiefen Verbeugung ein Tablett voll mit leckerem Essen reichte. „Dein Mittagessen, Himura-san.“ Kenshin schaute sie verblüfft an, verbeugte sich dann ebenfalls, worauf sich Mayako nochmals tiefer verbeugte und dabei das Tablett fast herunterwarf. „Himura-san,“ sagte sie steif, während sie ihm das Tablett hinreichte, „nicht du, sondern wir alle sollten uns tief vor dir verbeugen.“ Kenshin fühlte abermals Baikos Ellebogen zwischen seinen Rippen. Er lächelte Mayako an und brachte ein „Arigatou, Mayako-dono,“ über die Lippen. Sie verbeugte sich zum dritten Mal bevor sie wegging. “Wirklich, Himura-san, du solltest dich nicht für deine Taten schämen!” sagte nun Ikuko, die mit einer Tasse heißen Tee auf ihn zu kam. Anscheinend hatten alle auf ihn gewartet, was Kenshin noch nervöser machte. „Die Götter haben dir ein mächtiges Talent geschenkt und du hast es ehrenhaft genutzt, um unsere Familie zu beschützen. Bitte, erlaube uns, dass wir dir unsere Dankbarkeit zeigen!“ Damit verbeugte auch sie sich tief. „Bitte, Ikuko-dono,“ sagte Kenshin unsicher, „Sessha verdient das nicht...“ Wieder der Ellebogen in seiner Seite. „Bedank dich einfach,“ zischte Baiko. “… aber natürlich bin ich sehr dankbar,” fügte er schnell hinzu. „Du musst deine Begabung nicht vor uns verstecken,“ sprach Ikuko weiter, „in unserer Familie wird die Schwertkunst in allen Ehren gehalten.“ Dann ging sie davon um die Teller zu spülen. “Was geht hier vor?” fragte Kenshin schließlich Baiko, als sie wieder alleine waren. Er hatte eigentlich erwartet, von allen mit Verachtung, wenn nicht sogar mit offener Feindschaft behandelt zu werden, nachdem, was er getan hatte. Aber statt dessen wurde er wie ein Fürst bedient. Es ergab für ihn keinen Sinn! „Es ist, wie ich gesagt habe – erst haben sie dich für gering geschätzt, jetzt wissen sie nicht mehr, wie hoch sie dich einschätzen sollen,“ sagte Baiko, der gerade im Augenwinkel Orinosuke wahrnahm, der ihn zu sich winkte. „Wenn du lästige Fragen vermeiden willst, solltest du besser schnell allen versichern, dass du nichts weiter als ein vom Schlachtfeld davongelaufener Vagabund bist, der ziellos durchs Land wandert. Ich muss jetzt die Pferde einspannen. Kannst du alleine laufen?“ Kenshin fühlte sich immer noch ein bisschen wackelig, aber nickte. Als Baiko gegangen war, spürte Kenshin plötzlich seinen leeren Magen und er biss herzhaft in einen der Äpfel auf dem reich gefüllten Tablett. Der Kampf und danach noch die Giftattacke hatten ihn hungrig gemacht und so war er so mit dem Essen beschäftigt, dass er die kleine Nomi erst bemerkte, als sie sich schon fast auf ihn gestürzt hatte. Schnell stellte er das Tablett zur Seite und fing die Dreijährige auf, die ihn fest umarmte und sich in seine verletzte Schulter krallte. „Kenshin-san! Dir gehts wieder gut!” rief sie freudig aus. Kenshin lachte. „Ja, Nomi-dono, und jetzt gehst mir noch besser, de gozaru yo!“ Jetzt kam auch Noriko, Nomi’s Mutter, angerannt und nach einer hektischen Verbeugung riss sie ihre Tochter von Kenshin runter. „Bitte, Himura-sama, vergib Nomi-chan.“ Himura-sama? “Ah, Noriko-dono, nicht sama – Sessha ist doch nur ein Rurouni!” sagte Kenshin schnell. „Aber wir wussten nicht, dass du ein Meister der Schwertkunst...“ begann sie zu sagen. Kenshin unterbrach sie. „Sessha ist auch kein Meister!“ Er vergewisserte sich, dass er ein Lächeln im Gesicht hatte um Noriko nicht noch mehr zu verunsichern. Diese starrte ihn aber trotzdem verwirrt an. Dann, als sie ihre Sprache wiedergefunden zu haben schien, fragte sie schüchtern: „Himura-sama, äh, Himura-san, wenn ich fragen dürfte...“ Sie druckste etwas herum. „Ich meine, wenn es nicht zuviel verlangt wäre...“ „Kann ich etwas für dich tun, Noriko-dono?“ kam Kenshin ihr zur Hilfe. Warum hatte Noriko, die sonst so freundlich zu ihm gewesen war, nun auf einmal Angst, mit ihm zu sprechen? „Himura-san, bitte, ich glaube, die Wunde von meinem Mann hat sich wieder geöffnet. Wenn es dir nicht zu viel Mühe macht... könntest du dir sie mal anschauen?“ Sofort stand Kenshin auf. „Natürlich, Noriko-dono, das werde ich gleich tun. Und...“ Er lächelte Noriko noch einmal möglichst ehrlich an, „... Sessha ist wirklich nichts weiter wie ein einfacher Vagabund!“ Noriko führte ihn zu ihrem Ehemann Ennosuke, der gerade mit seinem Vater und seinen Brüdern in ein ernstes Gespräch vertieft war. Als sie ihn kommen sahen, hörten sie abrupt auf und Kenshin konnte das Gefühl nicht loswerden, das er Thema dieser Diskussion gewesen war. “Schatz,” begann Noriko und schenkte ihrem Mann einen um Verzeihung heischenden Blick, “Ich weiß, du wolltest nicht, aber ich habe Himura-sama trotzdem gefragt, ob er nicht dein Bein untersuchen kann…” „Du hättest ihn nicht belästigen sollen...“ wollte Ennosuke antworten, aber Kenshin unterbrach ihn. Er sah das Blut, das von der Wunde aus bereits Flecken auf Ennosukes Hakama hinterlassen hatte. „Darf ich?“ Ennosuke nickte, krempelte seine Hakama hoch und zu tage kam der blutige Verband. “Ich weiß, Satoshi-sensei hat mir geraten, mich körperlich noch nicht anzustrengen,” sagte Ennosuke entschuldigend, “aber als die Banditen angriffen, hatte ich Probleme, die Pferde ruhig zu halten…” Kenshin untersuchte die Wunde genau. Beim Anblick des aufgerissen Fleisches wurden die Männer um ihn herum leicht grün. „Keine Sorge,“ versicherte Kenshin ihnen, „es ist keine Hauptschlagader verletzt, nur die Haut um die Wunde blutet ein wenig. Ich werde sie gleich neu verbinden, ich hole nur schnell meine Tasche...“ Daisuke schnitt ihm das Wort ab. „Noriko, warum holst du nicht schnell die Tasche für Himura-san?“ Mit sinkendem Mut sah Kenshin Noriko davongehen. Schon das ganze Verbeuge und Getue von allen hatte ihn ziemlich nervös gemacht. Jetzt war er auf der Hut, denn er hatte das Gefühl, das Daisuke auf die Gelegenheit wartete, ihn ausfragen zu können. Schnell pflasterte er das schüchterne Lächeln in sein Gesicht. „Die Vorsteher des Dorfes haben einen Arzt zu den Banditen geschickt, sie verarztet und weggebracht,“ erzählte ihm Daisuke nun. „Sie haben einen Boten nach Miyazaki geschickt, der die Behörden dort informiert und Polizisten mitbringen soll, die sich dann um diese Gauner kümmern werden. Ich habe ihm gesagt, er soll ausrichten, dass unsere zwei Sicherheitsmänner sie dingfest gemacht haben.“ „Ohne eure Hilfe hätten wir es nicht geschafft,“ sagte Kenshin und mit Blick auf die Brüder fügte er hinzu, „Eure Söhne waren ebenfalls eine große Hilfe.“ Orinosuke schnaubte selbstzufrieden. „Naja, ich hatte eher den Eindruck, dass du unsere Hilfe gar nicht nötig hattest,“ sagte Daisuke enthusiastisch. „Ich sah ja nur das Ende deines Kampfes, aber es war wirklich beeindruckend, was du da gezeigt hast – eine perfekte Kombination von Akrobatik und Kenjutsu! Wir haben gerade davon gesprochen, dass es interessant wäre, einige deiner Techniken für unsere Übungen zu übernehmen. Das wären großartige Show-effekte, denkst du nicht? Darf ich den Namen deiner Schwerttechnik erfahren?“ Kenshin spannte sich unmerklich an. „Meine Technik?“ wiederholte er mit unschuldigem Blick. Er wusste, dass es bereits Leute gab, die genau wussten, wie die Technik hieß, die der Hitokiri Battousai benutzt hatte. Wie viel konnte er ihnen sagen, ohne sich zu verraten? „Es ist eine alte Schwerttechnik, die kaum einer kennt... aus der Sengoku-Zeit.“ „Sengoku?” Daisuke befingerte sein Kinn. “Das wäre sicherlich ein Kassenschlager...“ „Schwerttechniken aus der Sengoku-Zeit werden seit über zweihundert Jahren nicht mehr unterrichtet,“ grummelte Orinosuke in die Runde, „also hör auf uns anzulügen und sag einfach die Wahrheit!“ Unter dem bohrenden Blick Orinosukes seufzte Kenshin innerlich und hoffte auf das Beste. „Hiten Mitsurugi Ryu – das ist meine Technik.“ Es war Ennosuke, nicht Orinosuke, dessen Augen sich bei diesen Wörtern weiteten. „Hiten Mitsurugi Ryu?“ rief er aus. „Ich denke, davon hab ich schon gehört.“ Er wandte sich an Ryosuke. „Ist das nicht die Technik, die einer der berühmtesten Patrioten benutzte? Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wer genau... jedenfalls sagt man, das ohne diesen Mann die Revolution nicht zustande gekommen wäre.“ „Stimmt!“ nickte Ryosuke. „Hat uns nicht auch ein Bekannter erzählt, das Okubo-sama nach diesem Mann sucht und ihn unbedingt finden will? Warum eigentlich...“ Er wandte sich zu Kenshin. „Vielleicht war dieser Mann aus deinem Dojo? War dein Dojo berühmt während der Bakumatsu-Zeit?“ Kenshin war nun äußerst angespannt – Okubo Toshimichi suchte ihn? Warum? Er hatte Gerüchte gehört, dass die neue Regierung die Attentäter von damals alle aus dem Weg räumen ließ, weil sie zu viel schmutzige Geheimnisse wussten, aber Katsura hatte ihm vor seiner Abreise versichert... Jahre der Übung machten es leicht für ihn, seine innerliche Aufgewühltheit und Gefühle vor den anderen zu verstecken und so bemerkte nicht einmal Orinosuke mit seinem ständig drohenden Blick, dass sich Panik in Kenshin breit machte. Alles, was sie sahen, war das schüchterne Lächeln in seinem Gesicht und – „Oro?“ Ryosuke verschluckte sich und lachte. „Dein Dojo, Junge, dein Dojo! Du warst damals nur ein Kind, deswegen weißt du es vielleicht nicht, aber war einer deiner Meister ein berühmter Kämpfer während des Bakumatsu?“ Orinosukes Ki erreichte einen gefährlichen Höhepunkt, denn er kaufte Kenshin seine Schauspielerei nicht ab. „Es gab eigentlich kein Dojo, wo ich trainiert habe - wahrscheinlich kam der berühmte Kämpfer von wo anders,“ antwortete Kenshin schließlich lahm. Orinosukes Augen blitzten und gerade eben wollte er etwas sagen, doch da kam Noriko zurück und damit war das Gespräch beendet, sehr zu Kenshins Erleichterung. Schnell nahm er das Verbandszeug zur Hand und ging ans Werk. Die Brüder ließen sie alleine, weil sie nicht schon wieder grün angesichts der üblen Wunde werden wollten. Kenshin beeilte sich, fertig zu werden und verließ dann Ennosuke. Als er zurück zum Wagen ging, wich das Lächeln in seinem Gesicht einem eher grimmigen Ausdruck. “Was ist los?” fragte ihn Baiko leise. „Für mich wirkten deine Schauspielkünste sehr überzeugend.“ „Morgen werde ich gehen!“ war Kenshins Antwort. „Nicht das schon wieder,“ sagte Baiko lächelnd, doch ein Blick in Kenshins Augen ließ ihn verstummen. „Das ist hier kein Scherz oder so etwas,“ sagte Kenshin. „Ich habe ihnen gerade von dem Namen meiner Schwerttechnik erzählen müssen. Und Ennosuke und Ryosuke haben den Namen erkannt, wenn sie auch nicht genau wussten, woher.“ „Aber der Alte hat doch Orinosuke erlaubt, die Familie zu verlassen. Damit ist doch die eigentliche Gefahr gebannt, oder nicht?“ Kenshin schüttelte den Kopf. „Nein, Baiko. Er wird nicht aufgeben, bevor er sein Ziel erreicht hat. Und inzwischen sind auch die anderen alle der Wahrheit ziemlich nahe gekommen.“ Er seufzte. „Das Lustige ist, dass es mir sogar Spaß gemacht hat. Der Auftritt gestern und alles. Es war ein ungewohntes aber angenehmes Gefühl, die Leute einmal über mich Lachen zu hören, weißt du?“ Er stopfte seine Tasche in den Wagen und nahm seinen Posten auf der rechten Seite ein und schon bald war die ganze Familie wieder in Bewegung. Noriko und Nomi liefen neben ihm her, aber etwas war anders. Das Gefühl der Vertrautheit war weg, statt dessen herrschte nun ein Gefühl von Formalität. Kenshin scherzte mit Nomi wie zuvor, doch Noriko schien unsicher, ob sie sich zu ihm wie zu einem Freund oder zu einer höhergestellten Person verhalten sollte. Dann kam Bunjiro auf ihn zu. Vorsichtig fragte ihn Kenshin, ob sein Vater Orinosuke es erlaubt hatte, sich mit ihm zu unterhalten, doch Bunjiro winkte ab. „Großvater hat mir gesagt, dass ich mit dir reden darf.“ Doch selbst Bunjiro schien nicht mehr so lebhaft wie am Morgen sondern eher schweigsam und zurückgezogen. „Macht dir etwas Sorgen?“ fragte Kenshin sanft. Bunjiro sah in überrascht an. „Woher weißt du das?“ Kenshin lächelte. „Eine Gabe, die Sessha vor langer Zeit gelernt hat.“ Bunjiro seufzte. „Es ist, was vorhin passiert ist. Was du getan hast.” „Oh.“ Kenshins Mut sank. Noch einer mehr, den er verängstigt hatte. „Ich sah, wie die Männer aussahen, gegen die du gekämpft hast,“ sagte Bunjiro. „Sie sahen schlimm aus, nicht?“ „Hm,“ sagte Kenshin. „Sie werden doch nicht daran sterben, oder?“ „Sessha hofft, nicht – nein.“ Bunjiro war wieder schweigsam. Dann meinte er, „was ich da gesehen habe... die Gewalt – ist es das, weswegen du mir gesagt hast, ich soll kein Soldat werden?“ „Hm.“ Bunjiro seufzte. „Danke Kenshin-san.“ -- Japanese Terms: -sama: ehrerbietende Endung, vornehmlich für einen Herrscher Shimazu-sama: Ehemals der Daimyo (Feudalherrscher) der Provinz Satsuma, nun Gouvaneur unter der neuen Regierung. Yakuzas: Mafia-ähnliche Gangs. Bakumatsu: Bürgerkrieg Kempo: Kampfkunst, die vornehmlich Hände und Füße anstelle von Schwertern einsetzt. Toba Fushimi: Die finale Schlacht des Bakumatsu. Bakufu: Militärregierung des Shogunats Wakizashi: Kurzschwert Sengoku: Periode der japanischen Geschichte, in der nahezu alle kleinteiligen Staaten miteinander im Krieg lagen. Nach ihr folgte das Tokugawa Shogunat Ende des 16. Jh. Okubo Toshimichi: einer der führenden Patrioten aus Satsuma, jetzt einer der wichtigsten Mitglieder in der neuen Regierung. Anmerkungen: Eine Menge historischer Information in diesem Kapitel. Die Brigade des weißen Tigers hat es wohl wirklich gegeben, es waren neunzehn Jugendliche, die dachten, ihr Daimyo wäre im Kampf gefallen und daraufhin alle Seppuku begingen. Die Medizin, die Kenshin gegen das Gift einnimmt, ist Digitalis, also eigentlich ein Gift, das in geringen Dosen aufputschend wirkt. Nächstes Kapitel: Kommt die Familie Kenshins Geheimnis auf die Spur? Und wie wird es in Myazaki, wo viele Soldaten aus Satsuma stationiert sind, die mit Kenshin zusammen im Bürgerkrieg gekämpft haben? Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Kenshin wurde auf seinem Weg bereits von Leuten erkannt. Wie wird es ihm jetzt in Miyazaki ergehen? Daisuke: Vater und Ältester der Familie Ikuko: Daisuke's Frau Orinosuke: Ältester Sohn Mayako: Orinosuke's Frau Ryosuke: Zweitältester Sohn Mei: Ryosuke's Frau Ennosuke: Jüngster Sohn Noriko: Ennosuke's Frau Bunjiro, Byako: Orinosuke's Söhne. Saburo, Oda: Ryosuke's Söhne Nomi: Ennosuke's Tochter Eine Unerwartete Lektion Kapitel 8 Miyazaki. Niemals vorher war eine Gruppe Reisender so froh gewesen, das Schild dieser Stadt zu erblicken! Nach dem schrecklichen Vormittag mit dem Kampf gegen die Yakuza wollte die Familie nichts lieber, als endlich die sichere Stadt zu betreten. Der Rest der Reise dorthin war nicht schwierig gewesen, eher das Gegenteil. Kurz nach der Abreise hatten die Kinder ein fröhliches Lied angestimmt und bald hatten alle mitgesungen. Auch Kenshin hatte, zuerst zögerlich, die Melodie mitgesummt, rief doch dieses Kinderlied die seltsamsten Erinnerungen in ihm wach. Vor seinem geistigen Auge sah er sich selbst als kleines Kind auf einem Acker stehen und neben sich seine Mutter, deren Gesicht im Nebel seiner Erinnerung schon verblasst war und sie summte ihm gerade dieses Lied zu. Doch schon bald lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, auf der jetzt viele Wanderer und Reisende unterwegs waren. Anscheinend hatte so weit im Norden der Terror der Yakuza die Menschen nicht betroffen. Die Strasse wurde immer voller, je näher sie der Stadt kamen und vor allem die Kinder, die jetzt wegen der Menschenmassen vorsichtshalber im Wagen saßen, um nicht verloren zu gehen, wurden aufgeregt und freuten sich auf die Stadt – nur nicht Kenshin. Während er neben dem Wagen herlief, bemerkte er die Blicke der Menschen, die beiläufig und neugierig seine auffälligen Haare bemerkten. Zum Glück, überlegte er, war seine linke Wange dem Wagen zugewandt – seine Narbe war für die Menschen also nicht zu sehen. Jetzt erinnerte er sich wieder, warum er einsame Strassen bevorzugte. Als sie die Stadt betreten hatten, fragte Daisuke in einem der Geschäfte nach dem Weg. Als der Ladeninhaber hörte, dass es sich um die berühmte Daisuke-Kabuki-Familie handelte, wurden seine Augen größer und in einer Flut von Verbeugungen gestikulierte er Daisuke die Richtung. Neugierig blieben einige Menschen stehen und sahen, wie der Ladenbesitzer Poster in seine Fenster hängte, die den Auftritt der Kabuki-Familie ankündigten. Lautes Gemurmel erhob sich und einige der Leute näherten sich begeistert dem Wagen. Kenshins Hand schwebte schon über dem Griff seines Sakabatous, doch Daisuke beruhigte ihn. „Keine Aufregung, Himura – das sind nur unsere Fans!“ Fans? Kenshin schaute sich das Poster im Fenster an. „Kabuki Auftritt! Die berühmte Daisuke-Familie aus Kagoshima. Morgen, Miyazaki, im großen Jingu Schrein Donnerstag und Freitag im Soudai-Theater.“ Darunter waren Abbildungen von Daisuke, Orinosuke, Ryosuke und Ennosuke. Daisuke war nun damit beschäftigt, Bunjiro und Byako ein paar kleinere Flyer in die Hand zu drücken und sie damit in die Menge zu schicken. Innerhalb von Sekunden war unter den Frauen bereits ein Streit um die schönsten Zettel mit den Abbildungen ihrer Lieblingsschauspieler entbrannt. Kenshin tippte Byako auf die Schulter und fragte fast schon schüchtern, ob er auch einen Flyer haben könnte. Byako kicherte und fingerte ein Portrait von Orinosuke aus seinem Zettelbündel. „Mein Vater,“ erklärte er stolz. Baiko reckte seinen Kopf über Kenshins Schulter. „Ich wusste nicht, das sie so berühmt sind.“ Die beiden beobachteten mit wachsendem Erstaunen, wie sich die Menge fast schon um die Zettel zu prügeln begann. „Hast du gelesen, was drauf steht?“ „Nein,“ sagte Baiko, „warum?“ „Hier steht, das sie nicht nur morgen auftreten sondern auch die zwei Tage danach,“ antwortete Kenshin mit besorgter Stimme. Baiko las nun das Plakat durch. „Hmpf,“ nuschelte er, „die haben mir darüber auch nicht bescheid gesagt, aber was weiß ich schon? Ich bin nur der Sicherheitsmann.“ „Baiko, verstehst du nicht?“ Kenshins Stimme nahm nun einen drängenden Unterton an. „Ich wollte morgen gehen – ich kann nicht riskieren, länger in der Stadt zu bleiben!“ Er ließ seinen Blick in die Menge schweifen. „Sessha ist nicht einmal sicher, ob er heute nacht noch bleiben kann...“ Baiko legte Kenshin den Arm auf die Schulter und zerrte ihn zurück an die Seite des Wagens. „Himura, du hast dein Wort gegeben, dass du bei dem Auftritt dabei sein wirst. Und der ist nun mal erst morgen. Du musst also bleiben. Danach kann dich niemand mehr halten und du kannst verschwinden.“ Er klopfte Kenshin ermutigend auf den Rücken. „Es wird schon alles glatt gehen, du wirst sehen.“ Sie erreichten ihre Unterkunft, die sich weit im Nordosten der Stadt befand, nicht weit weg von dem Schrein, in dem sie ihren ersten Auftritt haben würden. Leider mussten sie vorher nahezu die ganze Stadt durchqueren. Daisuke ließ den Wagen alle paar Meter anhalten, so dass die Kinder weitere Flyer verteilen und Plakate aufhängen konnten und jedes Mal, wenn der Wagen hielt, wurde es Kenshin mulmiger. Es waren nicht nur die Blicke – was alleine schon schlecht genug war – sondern auch die Tatsache, dass mehr als nur ein paar Soldaten in der Stadt unterwegs zu sein schienen. Sie trugen alle das Zeichen der Armee von Satsuma. Die Jüngeren unter ihnen beachtete Kenshin gar nicht, da sie wahrscheinlich nur in dem noch nicht lange zurückliegenden Boshin-Krieg gekämpft hatten. Was ihm Sorgen machte, waren die älteren Soldaten, die wahrscheinlich alle in den Kämpfen der Bakumatsu-Zeit dabeigewesen waren, so auch in dem Entscheidungskampf bei Toba Fushimi... Kenshin unterbrach seinen Gedankengang. Es waren tausende Soldaten aus Satsuma und Choshuu bei diesem Kampf dabei gewesen, aber eigentlich hatte nur eine handvoll Männer zusammen mit ihm gekämpft und die waren vornehmlich alle aus Choshuu gewesen. Die Chancen, hier Soldaten zu treffen, die ihn damals gekannt hatten, war also relativ gering. Dennoch, als sie endlich die beeindruckend aussehende Unterkunft erreicht hatten, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Kenshin beobachtete den Gastwirt, der herauskam und Daisuke fast wie einen Fürsten begrüßte. Dieser wiederum ließ sich all das Geschmeichel gefallen, fast so, als ob er wirklich ein großer Feldherr sei. Es war kein Zweifel daran, das Daisuke etwas von einem Feldherr oder Kriegsherren hatte, aber Kenshin hatte ihn bisher noch nie so forsch und arrogant, ja sogar einschüchtern, erlebt. Neugierig über die plötzliche Veränderung versuchte Kenshin, Daisukes Ki zu lesen, doch alles was er spürte, war, dass Daisuke einen Riesenspaß zu haben schien. Und da, gerade als der Gastwirt Daisuke unter vielen Verbeugungen in das Innere seiner Herberge bat, sah er es, das schelmische Glitzern in Daisukes Augen. Dieser Mann war wirklich mit Leib und Seele ein Schauspieler. “Baiko-san, Himura-san,” rief Daisuke nun und die beiden kamen zu ihm. „Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Neuigkeiten. Wir dürfen in der Herberge übernachten, aber ihr bekommt leider nur kleine Zimmer beim Dienstpersonal zugeteilt. Der Wirt meinte auch, weil ihr die Diensträume bewohnt, dürft ihr das Badehaus nur dann benutzen, wenn alle Gäste fertig sind. Außerdem sollt ihr zusammen mit dem anderen Personal essen. Der hat Nerven, wenn man bedenkt, was ich für die Übernachtungen bezahle. Nachdem, was wir zusammen durchgemacht haben die letzten Tage würde ich euch gerne etwas besseres anbieten, aber leider lässt der Wirt nicht mit sich reden. Tut mir leid...“ Baiko seufzte tief. „Dienstbotenräume sind besser als Scheunen, nicht wahr, Himura?“ „Was?“ Kenshin war gerade damit beschäftigt gewesen, die verschiedenen Ki’s, die aus der Herberge strömten, genauer in Augenschein zu nehmen. „Oh, ja, das ist gut,“ stammelte er und rückte schnell das schüchterne Lächeln in seinem Gesicht zurecht. „Sessha ist doch sowieso nur ein Vagabund.“ “Gut, dann hätten wir das geklärt,” klatschte Daisuke in die Hände. „Lasst uns schnell den Wagen ausräumen und die Pferde im Stall unterstellen. Danach habt ihr Freizeit, bis morgen früh. Himura, bist du wieder fit?“ „Ja,“ meinte Kenshin, „noch ein bisschen müde, aber das wird sich bis morgen gegeben haben.“ „Gut,“ antwortete Daisuke,“ du weißt, ich bin davon überzeugt, dass es Schicksal war, dass wir dich in den Bergen getroffen haben. Du kamst genau richtig, um meinen Sohn zu retten und dann hast du uns heute auch noch alle gerettet – das war Karma. Wir stehen für immer in deiner Schuld, Himura-san.“ Daisuke verbeugte sich tief vor ihm, bevor er in die Herberge ging. Kenshin erwiderte die Verbeugung sprachlos. Schon wieder hatte er nicht mit so einer Art von Behandlung gerechnet. „Willst du hier Wurzeln schlagen oder mir beim Ausladen helfen?“ Kenshin löste sich lächelnd aus seiner Erstarrung und machte sich mit Baiko an die Arbeit. Innerhalb einer Stunde war alles ausgeladen und die zwei setzten sich in ihr gemeinsames Zimmer um sich erst mal ein bisschen Ruhe zu gönnen. Es war bereits dunkel, als ein Dienstbote herbeikam und sie zum Essen rief. Baiko war hungrig und er sprang schnell auf die Füße und war schon halb zur Tür hinaus, bevor er Kenshin bemerkte, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte „Was ist los? Nicht hungrig?” fragte er. Kenshin schüttelte den Kopf. „Du musst doch was essen!“ protestierte Baiko. Kenshin vergewisserte sich, das keiner vom Dienstpersonal mehr in der Nähe war, bevor er erklärte, „Baiko, es ist keine gute Idee, wenn ich mit so vielen Menschen zusammen esse.“ „Hä? Ich komm nicht so ganz mit. Einfache Diener werden dich doch nicht erkennen!“ Kenshin seufzte. “Schon als wir durch die Stadt hierher gelaufen sind, haben mich die Leute angestarrt. Die roten Haare, weißt du... aber sie konnten wenigstens die Narbe nicht sehen.“ Seine Hand glitt abwesend über das X auf seiner Wange. „Wenn sie jedoch die Narbe bemerken, dann...“ Baiko stapfte zu Kenshin zurück und wühlte in seiner Tasche. „Hast du da drin nicht irgendwas, eine Art Pflaster oder so? Das kannst du doch über die Backe kleben!“ „Hm, na ja... eigentlich schon,“ dämmerte es Kenshin langsam. „Aber fänden das Daisuke-san und die anderen nicht seltsam?“ „Essen die mit dem Dienstpersonal? Nein! Also!“ Kenshin lächelte. “Du hast recht.” Er förderte ein Pflaster zu Tage, das er vorsichtig über die X-Narbe klebte, bis nichts mehr davon zu sehen war. „Und?“ fragte er. Baiko lachte. „Perfekt. Jetzt aber los zum Essen!” Die beiden gingen in Richtung Küche, wo der Speiseraum der Dienerschaft war. Dort fanden sie nicht nur die acht Diener der Herberge sondern auch noch zehn weitere, die mit Gästen hergekommen waren und der Raum war somit recht überfüllt. Wie Kenshin erwartet hatte, glotzten ihn einige doof an, aber nach wenigen Minuten hatte sich jeder an seine Haare gewöhnt und keiner nahm noch groß Notiz von ihm. Nach dem Essen fragten ein paar Männer, ob sie nicht auch noch Lust auf ein kleines Würfelspiel hätten. Es kam Leben in die Menge und auch Baiko war von der Idee begeistert. „Himura, hast du Lust? Kannst du Würfelspiele?“ Kenshin kicherte. „Ja, Sessha kennt sich aus, aber es ist schon eine Weile her. Ich bin auch ziemlich müde.“ „Och, bitte – lass uns ein bisschen zocken,“ bettelte Baiko. „Du kannst Geld doch auch gut gebrauchen, oder nicht? Oder bist du ein Pechvogel, der nicht mal mit gezinkten Würfeln gewinnen würde?“ Kenshins Lächeln wurde breiter. „Ich könnte etwas Geld für einen Haori gebrauchen, das stimmt. Na gut, ich werde mitspielen. Aber nicht gegen dich. Nur gegen die anderen. Einverstanden?“ Baiko sah ihn komisch an, aber erklärte sich einverstanden. Sie setzten sich zu den anderen Mitspielern, die sie mit einem Gekicher begrüßten. „Hey, Soldat!“ sagte einer von ihnen zu Baiko. „Wer ist das Kind? Weiß seine Mutter, dass er hier Würfel spielt?“ Baiko sah sich um, während die anderen Männer laut lachten. „Welches Kind?“ fragte er verwirrt. Dann fiel sein Blick auf Kenshin, der wieder sein schüchternes Lächeln im Gesicht hatte und es dämmerte ihm. Mit der Bandage auf der Backe sah er wirklich nicht viel älter aus wie 16! „Ach, ihr meint ihn? Naja, er hat bestimmt mehr Erfahrung, wie ihr denkt.“ Er warf Kenshin einen hoffnungsvollen Blick zu. Kenshin lächelte nur. Das Spiel begann und jeder würfelte nach der Reihe. Die Männer freuten sich schon auf leichte Beute – der rothaarige Junge sah wirklich recht planlos aus. Doch leider gewann er zufällig die erste Runde. Anfängerglück, dachten die Männer. Doch auch die Zweite, nein sogar die dritte Runde gewann er. Vor ihm türmten sich jetzt schon einige Münzen und die Männer wurden langsam wütend. „Hey Himura, was machst du?” flüsterte Baiko ihm zu, der fühlte, wie die Luft im Raum immer dicker wurde. „Wieso gewinnst du immer? Betrügst du?” Kenshin schaute ihn unschuldig an. „Ich hab einfach nur Glück.“ Baiko nahm ihm die Würfel, die, wie er glaubte, auch ihm soviel Glück bringen würden, aus der Hand doch als er die ersten drei Runden verloren hatte, wollte er sie missmutig wieder wegwerfen. Kenshin ermutigte ihn jedoch zu einem vierten Wurf und kaum waren die Würfel gefallen und rollten über den Boden, da wisperte Kenshin von hinten „Zwei und Sechs.“ Schnell rief Baiko die Zahlen aus und siehe da – er gewann. Sie wiederholten das Spielchen noch zwei Mal, doch die Stimmung im Raum wurde zunehmend explosiver, so dass sie sich mit einer kurzen Verbeugung entschlossen, das Spiel zu beenden. Schnell rafften sie ihre Gewinne an sich und verließen den Raum. „Und wehe, ihr kommt zurück!“ rief ihnen einer der Männer hinterher. In ihrem Zimmer angekommen, packte Baiko Kenshin am Arm. „Wie zur Hölle hast du das gemacht?!“ „Was gemacht?“ fragte Kenshin unschuldig. „Du weist genau, was ich meine - jedes Mal die Augenzahl der Würfel richtig vorrausgesagt. Sowas hab ich noch nie gesehen!“ „Ach so,“ lachte Kenshin. „Das hat mir mein Meister beigebracht. Es geht darum, die Rotation und Flugbahn der Würfel richtig zu beobachten... na ja, es dauert eine Weile, bis man es raus hat. Deswegen wollte ich auch nicht gegen dich spielen!“ Er verstaute seine Gewinne in seiner Reisetasche. „Meinst du, das Badehaus ist jetzt frei?“ Er hatte seit – er wusste gar nicht wie lange – kein vernünftiges Bad mehr gehabt und es erschien ihm jetzt äußerst verführerisch, sich in eine warme Wanne zu versenken anstatt wie sonst in irgendeinen kalten Fluss zu stellen. Baiko sah aus dem Fenster. „Wir hätten es verdient. Scheint so als ob es frei ist.“ Wenige Minuten später saßen beide zufrieden im warmen Wasser. Kenshin versuchte vorsichtig, seine verwundete Schulter nicht ins Wasser zu tauchen. Er schloss seine Augen und entspannte sich und nach einiger Zeit fühlte er sich so erholt, dass er fast eingenickt wäre. Das Plätschern Baikos machte ihn wieder wach und so stand auch er auf und rubbelte sich trocken. Danach gingen sie in ihr Zimmer und sanken in wohlverdienten Schlaf. Kenshin erwachte wie gewöhnlich mit den ersten Sonnenstrahlen. Er war kurz verwirrt, sich selbst in den Räumen einer Herberge vorzufinden, doch dann erinnerte er sich, dass er in Miyazaki war und nicht in Kyoto und dass der Mann, der neben ihm noch friedlich schnarchte nicht irgendein Ishin Shishi Soldat war sondern Baiko. Er setzte sich langsam auf und streckte sich. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihn und er untersuchte die Schulterwunde, doch sie heilte schon und alle Nachwirkungen des Giftanschlags vom Vortag schienen endlich vorbei zu sein. Er sah aus dem Fenster und bemerkte, dass es wohl ein strahlender Tag werden würde. Auch Baiko wachte auf und gemeinsam machten sie sich fertig für den neuen Tag. Beim Anziehen beobachtete Kenshin die Menschen auf der Strasse. Für ihn war es immer etwas besonderes gewesen, so viele Leute unterwegs zu sehen. Er konnte sich noch erinnern, wie er nach seiner Einsiedlerzeit bei Hiko nach Kyoto gekommen war und wie es ihn fasziniert hatte, so viele Menschen auf einem Haufen zu sehen. Natürlich bekam das Menschen-Beobachten durch seinen Job als Hitokiri schnell eine ganz andere, finstere Bedeutung... Schon bald klopfte es an ihrer Tür, das Zeichen für Frühstück. Kenshin zögerte kurz, bevor er sich dazu entschloss, das Pflaster wieder auf seine Backe zu kleben. Kaum betraten sie das Esszimmer, begannen die Männer über sie verächtlich zu murmeln. „Da, der Junge da hat mir all mein Geld abgeluchst,“ flüsterte einer der Männer frustriert. „Ich glaube,“ meinte Baiko an Kenshin gewandt, „wir sind hier nicht mehr so willkommen...“ “Oro?” schaute ihn Kenshin unschuldig an. „Na, du weißt schon, du hast sie ganz schön abgezockt....“ „Ich weiß, ich weiß,“ lachte Kenshin selbstzufrieden. Das Essen war einfach, aber sättigend. Kaum waren sie fertig, da kam Bunjiro hereingeschneit. Kenshin drehte schnell den Kopf weg, da ihm das Pflaster auf der Backe einfiel und Baiko hielt den Jungen auf. „Was ist, Bunjiro?“ „Ihr sollt den Wagen einspannen, wenn ihr fertig seid, meint Vater.“ Sagte Bunjiro. „Geht klar,“ antwortete Baiko und wollte den Jungen gerade zur Tür herausschieben, doch dieser packte ihn am Ärmel. „Baiko-san...“, meinte er mit ängstlicher Stimme, „meinst du, Shimazu-sama ist sauer auf uns? Weil, wir sollten doch schon gestern hier ankommen und so weiter. Ich hab versucht, Vater zu fragen, doch der war gleich wütend und...“ Baiko tätschelte Bunjiros Haare. „Keine Sorge. Wenn Shimazu-sama hört, das wir überfallen wurden, wird er schon Nachsicht haben.“ Ermutigt nickte Bunjiro und rannte davon. Kenshin atmete auf. „Hey,“ fragte einer der Bediensteten, „das war doch eines der Kinder von dem Schauspieler, oder?“ „Und?“ antwortete Baiko fahrig. „Arbeitet ihr für die?“ „Ja, und?“ „Naja, wir leben in Kagoshima und mein Herr geht immer mit seiner Frau in das Kabuki-Theater. Die waren total aus dem Häuschen, als sie hörten, das ihre Lieblingsschauspieler genau wie sie hier in der Herberge übernachten. Die Frau konnte gar nicht mehr aufhören, über sie zu reden. Vor allem ihre Onnagata schien es ihr angetan zu haben... wie hieß er doch.. Enno...“ „Ennosuke-san?“ ergänzte Baiko. „Ja, der ist die Onnagata. Aber leider hat er sich ein Bein gebrochen, deswegen wird Himura...“ Baiko sprang auf, als er den Inhalt seiner Suppenschüssel, die er gerade noch in der Hand hatte, in seinem Schoß wiederfand. „Was zur...!“ Kenshin schaute so erstaunt wie jeder andere, aber war überhaupt nicht erstaunt, dass keiner seine Hand gesehen hatte, mit der er in unglaublicher Geschwindigkeit die Nudelsuppe in Baikos Schoß gekippt hatte. Die Bediensteten fingen an zu lachen und Baiko wurde rot, da sich der große feuchte Fleck an einer sehr prägnanten Stelle seines Körpers befand. Fluchend stapfte er aus dem Raum und rief Kenshin hinter sich her. „Los, an die Arbeit!“ Er stürmte in sein Zimmer davon und Kenshin folgte ihm so schnell wie möglich. „Sessha hasste es, das zu tun,“ sagte Kenshin fröhlich. „Gomen nasai.“ Baiko drehte sich langsam um, während er denn Sinn dieser Worte in sich aufnahm. „Du?!“ fragte er ungläubig. „Du hast das getan?!“ Kenshin schluckte sein Lachen hinunter. „Hast du vergessen, was du mir gesagt hast? Als Onnagata wird mich keiner erkennen – deswegen durftest du mich nicht verraten. Leider war der einzige Weg, dich unauffällig zum Schweigen zu bringen, der, dir deine Suppe auszuleeren. Kannst du mir verzeihen? Ich werde dir auch deine Hakama waschen.“ Baikos warf wütend seine dreckige Hose in die Ecke und zog eine neue an. „Weist du, was dein Problem ist, Himura? Du bist paranoid! Das ist es – du bist paranoid ! Du denkst, jeder in der Welt ist hinter dir her. Tja, vielleicht ist es aber nicht so und vielleicht hättest du mir gerade eben nicht die heiße Suppe in meinen Schoß leeren müssen.“ Kenshin versteifte sich und seine Augen nahmen einen unleserlichen Ausdruck an. „Natürlich,“ sagte er in einer plötzlich monotonen Stimme, „du hast recht. Sessha hatte kein Recht, das zu tun. Aber da gibt es noch etwas, was ich dir nicht erzählt habe – gestern hat mich einer der Banditen erkannt. Ich habe gedacht, vielleicht hat es meine Beschreibung nicht so weit in den Süden geschafft, aber anscheinend ist es so. Verstehst du endlich, dass ich hier schnell weg muss?“ Baikos Wut verdampfte. „Himura. Tut mir leid. Ich meinte das jetzt nicht böse. Ich war nur wütend. Naja, und ok, es war ja auch lustig.“ Kenshins Mundwinkel zuckten. „Außerdem hast du die Blutsauger von gestern Abend abgelenkt.“ Das Lächeln schlich sich zurück in Kenshins Gesicht. Er rupfte sich das Pflaster von der Backe und eilte seinem Freund hinterher, die Pferde anzuspannen. Innerhalb zwanzig Minuten stand der Wagen für Daisuke bereit, er schon auf sie wartete, gekleidet in seinem feinsten Kimono und in der Hand mehrere Plakate. „Ah, gut, gut,“ begrüßte er sie geschäftig und drückte ihnen die Plakate in die Hand. „Hier. Du und Himura werdet diese in der ganzen Stadt aufhängen. Eigentlich hätten wir ja schon gestern hier eintreffen sollen, deswegen beeilt ihr euch am besten. Ach ja, Himura-san, du solltest am späten Vormittag wieder hier sein, wir wollen noch mal das Stück durchgehen. Du wirst uns am alten Noh-Theater auf dem Gelände des Schreines finden. Eine Wegbeschreibung steht auf dem Plakat.“ Quer durch die Stadt mit Plakaten laufen? Das war das letzte, was Kenshin jetzt tun wollte. Es war eine Sache, mit einer dicken Schicht weißer Schminke im Gesicht und in Frauenkleidern auf der Bühne zu stehen – aber etwas ganz anderes war es, im hellen Tageslicht durch eine Stadt voll mit Soldaten zu schlendern, die ihn jederzeit erkennen könnten. Und das Pflaster aus seiner Tasche hatte er gerade weggeschmissen. „Ah,“ warf Kenshin verzweifelt ein, „ich muss mir noch Ennosukes Bein anschauen. Vielleicht sollte Baiko-san ohne mich...“ „Keine Sorge,“ unterbrach ihn Daisuke, „der Wirt hat uns schon den besten örtlich ansässigen Arzt geholt, der jede Minute eintreffen muss. Du kannst also ruhig Baiko-san begleiten. Außerdem geht es zu zweit ja schneller! Ich kümmere mich derweil um die Statisten.“ Während Kenshin und Baiko die Herberge verließen, machte sich Daisuke mit dem Wagen auf den Weg zum Haus des Gouverneurs. Einige seiner Leibwächter würden heute Nachmittag als Statisten in seinem Stück mitspielen. Kaum waren Baiko und Kenshin auf der Strasse, da drehte sich letzterer auch schon um und blieb stehen. „Baiko, ich kann nicht! Es ist zu riskant!“ Baiko sah ihn an. In der Tat, Kenshin war von einem der Yakuza erkannt worden, aber bedeutete das, dass man ihn auch in Miyazaki erkennen würde? Baiko wusste nicht, ob er sich nun Sorgen machen sollte oder nicht, aber Kenshin war wirklich aufgebracht. Wie als Antwort nickte Kenshin. „Sessha hat versucht, Städte zu vermeiden und wenn das nicht möglich war, dann habe ich wenigstens ein Pflaster auf meine Wange gemacht. Aber leider hab ich jetzt kein Pflaster mehr.“ „Wir können jetzt aber nicht mehr zurück,“ überlegte Baiko, „das würde verdächtig wirken.“ Er schaute sich um. Es war noch früh am Morgen und die Straßen waren ziemlich leer. „Hör mal, die Leute sitzen noch beim Frühstück und es wird dauern, bis sich die Straßen füllen. Vielleicht schaffen wir es ja schon vorher, alle Plakate aufzuhängen.“ Kenshin war von dem Vorschlag nicht wirklich überzeugt, aber er hatte keine Wahl. Als sie losgingen, spürte er, wie sich alle seine Sinne schärften und seine Muskeln anspannten. Sofort versuchte er, jegliche feindliche Ki sofort zu erspüren und er bestand darauf, zwischen den Gebäuden am Straßenrand und Baiko zu laufen, wo er für Vorbeigehende nicht sofort erkennbar war. Er fühlte sich fast wie damals in Kyoto während des Bakumatsu. Auch Baiko spürte den Unterschied, denn als er nach rechts zu seinem Begleiter schaute, traf sein Blick nicht die ruhigen Augen des Rurouni sondern die zusammengekniffenen und konzentrierten Augen eines Kriegers – des Hitokiri Battousai, realisierte er mit einer Gänsehaut. Sie waren schon auf dem Heimweg und gingen gerade um eine Ecke, als eine Gruppe Soldaten ihren Weg kreuzte. Sie alle waren am reden und scherzen und schenkten dem Verkehr nicht sonderlich Beachtung, doch einer der Männer sah flüchtig einen roten Schimmer. Neugierig drehte er sich um und sah nicht nur einen rothaarigen Mann, sondern einen rothaarigen Mann mit einer X-förmigen Narbe auf der Wange. Er blieb stehen und hielt auch seine Kameraden an. Kenshin fühlte plötzlich die feindselige Ki und verschmolz schnell mit einem nahen Hauseingang, so dass Baiko jetzt alleine auf dem Gehsteig stand. „Habt ihr das gesehen?“ fragte der Soldat. Er blickte in die Richtung, in der er eben noch das rote Haar gesehen hatte, wo aber jetzt niemand sonst als ein etwas perplex dreinschauender Schwertträger mit dunklen Haaren stand. „Was?“ fragte der zweite Soldat. „Ich sehe nichts.“ „Rote Haare,“ flüsterte wieder der Erste, langsam, als ob er seinen Worten selbst nicht so ganz glauben konnte. „Ich schwöre, ich hab jemanden mit roten Haaren gesehen – und einer X-förmigen Narbe... ich bin mir sicher...“ „Hast du Halluzinationen?“ fragte der dritte Soldat. „Oder hat das Mädchen gestern Nacht dich um den Verstand gebracht?“ Er lachte anzüglich. “Hey! Ich meine es ernst. Ich hab das wirklich gesehen!” versicherte der erste Soldat. „Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war Hitokiri Battousai...“ Während die drei Soldaten vor sich hin diskutierten, war es Kenshin in der Zwischenzeit gelungen, unbemerkt auf das Dach des Gebäudes zu springen. Er konnte jedes Wort, das gesprochen wurde, hören und eine eiskalte Ruhe befiel ihn. „Hitokiri Battousai? Du spinnst wohl!“ rief der dritte Soldat aus. „Der ist doch vor Jahren verschwunden.“ „Nein! Ich habe gehört, dass er durch die Wildnis streift, von den Göttern ausgesandt, um alles Böse niederzumetzeln,“ sagte der erste Soldat in verschwörerischer Stimme. Sie begannen weiter zu laufen, aber der Soldat warf noch mehrere Blicke über die Schulter zurück. Immer noch stand da nur der anscheinend geistig verwirrte Mann, der um sich blickte, als ob er seinen Schoßhund verloren hätte. Aber dieser „verwirrte Mann“ hatte auch jedes Wort, dass die Soldaten gesprochen hatten, gehört und er schalt sich selbst, dass er Kenshin nicht zurück in die Herberge gelassen hatte. „Tja,“ meinte der zweite Soldat, „wenn der Attentäter Battousai wirklich in der Stadt ist, dann sagen wir besser Ozawa-san bescheid. Sein Bruder wurde doch vom Hitokiri Battousai getötet. Das muss gleich zu Beginn des Bakumatsu passiert sein, als die Idioten aus Choshuu versucht hatten, den Kaiser zu entführen. Ozawa-sans Bruder war damals Mitglied der Palastwache und man erzählt sich, dass es der Battousai gewesen war, der ihn tötete. Ozawa-san hat damals ewige Rache geschworen.“ „Verdammt.“ Mit diesem Statement bewegten sich die Soldaten endlich weiter und kamen außer Hörweite. Baiko, der bis dahin vergeblich Ausschau nach dem verschwundenen Kenshin gehalten hatte, rief, kaum waren die Soldaten außer Sichtweite, leise seinen Namen. „Himura? Wo bist du?“ “Oben,” kam eine Stimme vom Dach. Baiko schaute nach oben und sah Kenshin, der flach gedrückt auf dem Dach lag. Weder Leiter noch sonstige Hilfsmittel, um ein Dach zu besteigen, waren zu sehen. Baiko war verblüfft. „Wie zur Hölle bist du da hoch gekommen?“ fragte er. „Und noch dazu, ohne von mir gesehen zu werden?“ „Egal,“ antwortete Kenshin, „Sessha muss so schnell wie möglich zurück zur Herberge, bevor noch jemand seine Anwesenheit bemerkt. Ich folge dir auf dem Weg zurück über die Dächer. Schau bloß nicht nach oben – tu einfach so, als ob alles ganz normal wäre.“ Baiko bekam eine Gänsehaut. Es dämmerte ihm plötzlich, auf welche Art und Weise Kenshin zu diesem Talent des „Auf-einmal-Verschwindens“ gelangt sein musste. Eine legendäre Fähigkeit des Hitokiri Battousai war, dass er sich wie ein Schatten bewegen konnte und Baiko wurde heute Zeuge erster Hand von diesem Talent. Jetzt wusste er, wie es sich anfühlte, beobachtet zu werden – gejagt zu werden – von einem unsichtbaren Schatten auf den Dächern und seine Beine begannen, sich wie Wackelpudding anzufühlen. Er erinnerte sich hastig daran, das Kenshin ja ein Sakabatou trug und kein Katana und dadurch bestärkt begann er, in Richtung des Myazaki Jingu Schreines zu laufen. Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis er dort war, aber Baiko war überzeugt, das dies die längste halbe Stunde seines Lebens gewesen war. Es war nicht so, als ob er sich ernstlich in Gefahr befunden hatte, aber das Gefühl, dass jeder seiner Schritte, alle Bewegungen, die er machte, von einem Hitokiri beobachtet wurden, war unerträglich gewesen. Naja, ein ehemaliger Hitokiri, aber trotzdem! Es war ihm trotzdem eiskalt den Rücken herunter gelaufen. Der Schrein tauchte in seiner Sichtweite auf und die Bäume um ihn herum wurden dichter. Baiko lief jetzt langsamer und fragte sich, ob er anhalten und auf Kenshin warten sollte. „Bin da,“ sagte Kenshin leise von hinten und Baiko hüpfte vor Schreck. „Verdammt!“ rief er und sein Herz raste, „du hast mich zu Tode erschreckt!“ Kenshin lächelte ein wenig. Er verbeugte sich zur Entschuldigung und ging dann in Richtung Schrein voraus. Baiko atmete einmal tief ein und aus, bevor er ihm folgte. Kenshin spürte, dass er nicht nur wegen dem Schreck gerade eben aufgeregt war. „Himura,“ meinte Baiko, „du hast auch gehört, was die Soldaten da geredet haben?“ Kenshin seufzte. Da wären wir, dachte er. “Ja,” war seine Antwort. Baiko fingerte am Griff seines Katanas, er war sichtlich äußerst angespannt. „Du hattest recht – es gibt wirklich Leute, die hinter dir her sind,“ gab er zu. „Ich hätte nicht an deinen Worten zweifeln sollen, aber...“ Für Baiko machte die ganze Geschichte einfach keinen Sinn. Das Ziel der Revolution war doch gewesen, die Macht an den Kaiser zurückzugeben. Also, warum sollte Kenshin dann die Palastwachen des Kaisers getötet haben? Außer, die Geschichten über Hitokiri Battousai waren wahr und er tötete wirklich nur zum Spaß... Kenshin seufzte nochmals. Er kam nicht drum herum, Baiko die Wahrheit zu erzählen. „Du weißt über Kinmon no Hen bescheid?“ fragte er mit sanfter Stimme. “Sicher, jeder weiß das. Damals hat Choshuu versucht den Kaiser zu entführen und somit den Shogun zu kontrollieren. Ein schwarzer Tag für Satsuma, denn damals haben sie sich mit den Bastarden aus Aizu verbündet, um Choshuu aufzuhalten. Soweit ich weiß, ist an dem Tag Kyoto fast komplett niedergebrannt.“ „Nicht alle Anführer Choshuus billigten diese Aktion,“ erzählte Kenshin, dessen Stimme nun tief und emotionslos war. „Katsura Kogoro wusste, dass es ein Fehler war. Er war mein Vorgesetzter, der Anführer der Choshuu Ishin Shishi in Kyoto, und er wollte diese halsbrecherische Aktion verhindern. Dreitausend Männer aus Choshuu waren gerade dabei, aus dem Süden heranzukommen und deswegen befahl er uns, als erstes den Palast zu erstürmen und ihn zu halten, während er in der Zwischenzeit versuchen wollte, die Truppen für sich zu gewinnen und von ihrem selbstmörderischen Vorhaben abzubringen. Ich wurde vorausgeschickt, um so viele Palastwachen wie möglich zu töten, bevor die anderen Männer von uns einrücken würden. Sie waren nicht vorbereitet – Mir gelang es, dreiundzwanzig zu töten, bevor ich bemerkt wurde. Es ist möglich, das der Bruder dieses Ozawa-sans unter den Toten war.“ Baiko hielt an und starrte Kenshin an. Dreiundzwanzig Männer? Eiskalt? Er hatte von Männern gehört, denen es nichts ausmachte, Leute aus dem Hinterhalt zu töten, aber Kenshin? Und das alles passierte vor sieben Jahren, was bedeutete... Moment! Das konnte nicht sein. Kenshin war jetzt nur zweiundzwanzig Jahre alt, das hieß, er war damals – als er der gefürchtete Hitokiri Battousai wurde – nicht viel alter als…” „Sessha war fünfzehn,“ sagte Kenshin, als ob er Baikos Frage geahnt hatte. „Himmel...“ murmelte Baiko. Sie liefen eine Weile schweigsam nebeneinander her. Kenshin fühlte, wie Baiko versuchte, mit all den aufwühlenden Informationen fertig zu werden. „Baiko,“ meinte er schließlich, „dieser Hitokiri von damals existiert nicht mehr. Sessha hat geschworen, nie wieder zu töten. Sessha lebt jetzt nur noch, um die damaligen Sünden wieder gut zu machen.“ „Himmel...“ murmelte Baiko nur, „Himmel nocheins...“ Sie erreichten nun den Schrein, der nicht besonders groß zu sein schien. „Warum hält wohl Shimazu-sama so viel von diesem Ort?“ fragte Baiko. „Sieht nicht so besonders aus.“ „Naja,“ antwortete Kenshin, „immerhin ist hier das Siegel des Kaisers angebracht. Also muss es doch irgendwas besonderes sein.“ Sie eilten den Pfad entlang, der sie zu dem alten Noh-Theater führte. Kenshin spürte die Spannung, die ihn in der Stadt befallen hatte, wie schwere Steine von seinen Schultern fallen. Hier im Wald war es friedlich, fast wie damals in seinem Zuhause bei Hiko. Baiko dagegen war immer noch auf der Hut und ertappte sich dabei, wie er kontinuierlich die Äste und Gebüsche mit den Augen absuchte, als ob dort versteckte Banditen lauern würden. Warum war er auf einmal so nervös? Er schielte seitwärts zu Kenshin, der entspannt dem Blätterrascheln zu lauschen schien. Sein scharfer Verstand sagte ihm, dass alles in Ordnung sein musste, wenn Kenshin so ruhig war, aber er konnte sich trotzdem nicht beruhigen. Dann dämmerte es ihm. Gerade eben in der Stadt hatte es ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen, dass der Mann, den er jetzt wirklich als einen Freund schätzen gelernt hatte, ein wahrer Attentäter war. Ja, er hatte die Geschichten gehört - dass der Hitokiri Battousai nur lebte, um zu töten, dass er sich am Blut seiner Opfer weidete, dass er nicht einmal menschlich sei – aber er hatte diesen Geschichten nie viel Beachtung geschenkt, weil er ganz einfach nichts damit zu tun gehabt hatte. Deswegen hatte er Matsuo, seinem Befehlshaber, ganz einfach geglaubt, als der ihm versichert hatte, Himura Battousai wäre nicht ein böser Geist sondern ein guter Mann. Doch das war bis hierher alles nur Theorie gewesen. Dann hatte Baiko Kenshin in Aktion erlebt. Er hatte zwar nur das Ende von seinem Kampf mit den Yakuza gesehen, aber was er da erblickt hatte, hatte ihm den Atem geraubt. Diese Geschwindigkeit, die tödliche Treffsicherheit – kein Zweifel, der Mann, den er einen Freund nannte, war ein Killer. Und jetzt heute noch die Erfahrung in der Stadt, wo Kenshin im hellen Tageslicht einfach verschwunden war und das Gefühl, verfolgt zu werden ohne auch nur den leisesten Schimmer von Kenshin erhaschen zu können – es hatte ihn mehr als erschüttert. Er wusste nicht was er mit dem Sakabatou oder Kenshins Schwur, niemals mehr zu töten, anfangen sollte - er wusste nur, dass er in der letzten halben Stunde in der Stadt jeden Moment damit gerechnet hatte, sein Leben würde ein schnelles und blutiges Ende nehmen – und zwar von der Hand eines scheinbar netten und freundlichen Mannes. Es erschien ihm, als ob in Kenshin zwei verschiedene Persönlichkeiten existierten: Auf der einen Seite der friedliebende Wanderer und auf der anderen Seite ein potentieller, skrupelloser Killer. Er schaute noch einmal zu Kenshin. Er schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein und seine Augen starrten in die Ferne – und da sah Baiko es: Tief unter der Oberfläche und unter dem normalerweise kontrollieren Emotionen blitzte eine unsagbare Traurigkeit in Kenshins Augen auf. Innerhalb eines Augenzwinkerns war sie verschwunden, wieder ersetzt durch einen wohlkontrollierten Ausdruck, aber ohne Zweifel, sie war da gewesen. Fünfzehn, überlegte Baiko. Kenshin war nur fünfzehn gewesen, als er zu einem Killer gemacht wurde. Er fühlte heiße Wut in sich aufsteigen. Katsura Kogoro, hatte Kenshin gesagt, war sein Auftraggeber während der Bakumatsuzeit gewesen. Katsura Kogoro, den jeder als einen der größten Väter der neuen Ära feierte. Großer Vater? Schwachsinn! Kein Vater der Welt würde einen fünfzehnjährigen Jungen zu einem Hitokiri machen. Nicht einmal eine neue Ära war es wert, einen Jungen so zu misshandeln. Er schwor sich, falls er jemals diesem Katsura Kogoro über den Weg laufen würde, dann würde er ihn töten. {b]Japanische Wörter: Boshin Krieg: Die letzte Wiederstandschlacht der Shogunatsanhänger, 1868-69. Vor allem Aizu und Hokkaido kämpften gegen die neue Meiji-Regierung. Bakumatsu: Japanischer Bürgerkrieg Toba Fushimi: Die entscheidende Schlacht der Revolution, die zum Fall des Shogunas führte. Haori: warmer Mantel Shishou: Meister Ishin Shishi: Rebellen gegen das Shogunat Shimazu-sama: Herr Shimazu, ehemaliger Daimyo von Satsuma, jetzt der Gouvaneur. Onnagata: Der Mann, der im Kabukitheater die Frau spielt Noh: hochstilisiertes und sehr traditionelles Theater für die japanische Oberschicht (Kabuki war ursprünglich nur für die unteren Klassen bestimmt.) Kinmon no Hen: Die Erstürmung des Kaiserpalastes durch die Choshuu-Truppen Nächstes Kapitel: Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Neuigkeit in Miyazaki: Hitokiri Battousai soll in der Stadt sein… Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- An Unexpected Lesson By Conspirator übersetzt von Mina-Chan Kapitel 9 Es war nicht schwer, das alte Noh-Theater zu finden. Selbst Baiko, der nicht sehr sensibel für die Ki anderer Menschen war, hätte den Weg mit geschlossenen Augen finden können. Alles, was er hätte tun müssen, wäre, dem Lärm – eine Mischung aus Rumgeschreie, Singen und Hämmern - zu folgen. Baiko und Kenshin lächelten sich an, als sie das Theater betraten, in dem ein kaum kontrollierbares Chaos herrschte. Zu ihrer Rechten waren da die Kinder, die ihre routinemäßigen Akrobatik-Übungen machten. Vor der Bühne übten die Frauen gerade die Musikstücke für den Nachmittagsauftritt. Und zu ihrer Linken sahen sie, zu ihrer Überraschung, Ennosuke, der in einem seltsamen, stuhlähnlichen Apparat saß, der Räder hatte. Als er sie erblickte, rollte er sich zu ihnen herüber. „Was denkt ihr?“ rief er freudig aus und tätschelte die Armlehne seines Rollstuhles. „Der Doktor hat mir den geliehen. Die Kontakte mit dem Ausland sind also doch für was gut!“ Auf der Bühne standen inzwischen Orinosuke und Ryosuke, deine Art Rampe zusammenzimmerten. „Das funktioniert nicht,“ hallte Orinosukes wütende Stimme durch das Theater. „Wir kriegen das auch ohne einen Schreiner hin!“ versuchte ihn Ryosuke aufzumuntern, doch in dem Moment brach die ganze Konstruktion mit einem lauten Krachen in sich zusammen. „Was hab ich dir gesagt?!“ dampfte Orinosuke, „So was bescheuertes... die ganze Idee, diese verdammte Reise zu machen, war bescheuert! Erst der Unfall mit Ennosuke und dem Wagen, dann die Banditen – das hätten wir uns alles ersparen können!“ Ryosuke drohte mit dem Hammer. „Jetzt reicht es! Kannst du nicht mal aufhören? Vater hat dir doch die Erlaubnis gegeben, abzureisen. Was willst du mehr?“ Wütend hämmerte er auf ein paar Nägel im Holz ein. In der Zwischenzeit waren auch Kenshin und Baiko zu den Beiden gestoßen und halfen mit, die Rampe wieder aufzurichten. Ryosuke warf ihnen einen dankbaren Blick zu, während Orinosuke sie anherrschte: „Endlich seid ihr da. Ihr hättet schon vor einer halben Stunde zurück sein müssen.“ „Gomen nasai,“ sagte Baiko und verbeugte sich, „aber dein Vater hat uns beauftragt, noch ein paar Plakate in der Stadt aufzuhängen und es ist nun mal keine sehr kleine Stadt. Aber sagt mir, wozu soll diese Rampe eigentlich gut sein?“ Ryosuke wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. „Das soll so eine Art Laufsteg werden, der ein Stück in den Bereich für das Publikum hineinragt. So sieht auch unsere Bühne in Kagoshima aus - dadurch fühlt sich das Publikum mehr in die Handlung mit einbezogen. Leider bin ich ziemlich ungeschickt mit dem Hammer und Orinosukes rechter Arm ist noch lädiert von dem Schwertkampf mit den Banditen...“ „Gib mal her!“ Baiko nahm ihm den Hammer aus der Hand. „Überlasst das alles mir. Ich hab bei der Armee das Zimmern gelernt. Gebt mir als Unterlage ein paar Hölzerne Kisten und schon baue ich euch einen Laufsteg, auf dem eine ganze Armee einmarschieren könnte.“ Orinosukes Augen bohrten sich in Baikos Rücken. „Wehe, das Ding bricht zusammen! Du wirst dir wünschen, du wärest nie geboren! Bunjiro! Hol ein paar hölzerne Kisten!“ Damit stapfte er davon. „Bist du dir auch sicher?“ fragte Ryosuke vorsichtig Baiko. „Na klar, kein Problem,“ versicherte ihm dieser. „Geh du lieber mit Himura üben.“ Kenshin wünschte seinem Freund noch viel Erfolg, bevor er Ryosuke auf die Bühne folgte. Er schnappte sich ein paar hölzerne Geta, die jemand stehen gelassen hatte und wärmte sich mit ein paar vorsichtigen Schritten und Drehwendungen auf. Ryosuke beobachtete in skeptisch, denn der Rurouni schien doch steif und ungelenk, doch je mehr Kenshin übte, desto weicher wurden seine Bewegungen und am Ende hätte er fast schwören können, dass sich Kenshin als Frau fast so natürlich wie seine Mutter über die Bühne bewegte. „Ich hoffe, du weißt noch die Handlung des Stücks, Himura-san? Wir haben heute nicht viel Zeit, alles noch Mal durchzugehen.“ Kenshin lächelte schüchtern, klappte einen unsichtbaren Fächer auf und tat so, als ob er schelmisch hinter diesem hervorblinzeln würde. „Gut, gut!“ lachte Ryosuke. „Ich hoffe, es klappt heute alles. Ich fühle mich nach den Ereignissen der letzten zwei Tage nicht recht in lustiger Stimmung. Vielleicht sollte ich vor dem Stück noch jemandem einen Streich spielen, um lockerer zu werden...“ Kenshin beschlich ein ungutes Gefühl, als er das plötzliche Glitzern in Ryosukes Augen sah. Irgendwie vermutete er, dass er das Opfer dieses Streiches sein würde. „Vielleicht...,“ sagte er schnell um Ryosuke von seinem Streich abzubringen, „kann ich dich auch mit einer lustigen Geschichte auflockern.“ Er erzählte ihm von dem Bauern, der ihm bei seinem ersten Auftritt einen Heiratsantrag gemacht hatte und von Baiko, der sich als sein Verlobter ausgegeben hatte, um ihn davor zu retten. Ryosuke brüllte vor Lachen. „Ein Heiratsantrag! Und Baiko als dein Verlobter? Unbezahlbar!” Er wischte sich ein paar Lachtränen aus dem Augenwinkel. „Du hattest recht, Himura, die Geschichte hat Wunder gewirkt. Jetzt fühle ich mich wieder in lustiger Laune. Also los!“ Es waren erst zwei Tage seit Kenshins erstem Auftritt vergangen und schnell fielen ihm all die Bewegungen wieder ein. Beim zweiten Durchgang lief dann alles wie am Schnürchen und Ryosuke war begeistert, wie gut Kenshin als Schauspieler geworden war. Vor nur drei Tagen hatte er ihm überhaupt erst die ganzen Sachen beigebracht. Wenn er jetzt noch singen könnte, dann wäre er ein echter Kabuki-Schauspieler. Stolz klopfte er Kenshin auf den Rücken. „Toll, Himura! Und das trotz all der Ablenkung.“ Ablenkung? Kenshin hatte sich so sehr auf das Spielen konzentriert, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass um die Bühne herum immer noch die Frauen übten, die Kinder herumschrien, Baiko und Orinosuke wie wild auf der Rampe herumhämmerten und Kommandos durch die Gegend riefen. Der Laufsteg war nun schon fast fertig und Ryosuke lief schon einmal vorsichtig darüber. „Und, ältester Bruder, was hältst du davon?“ Orinosuke tätigte ein paar letzte Hammerschläge und sprang dann zu Ryosuke auf die Rampe. Prüfend tat er ein paar Sprünge und begann dann plötzlich einen Schwertkampf mit Ryosuke. Die beiden fuchtelten mit nichts als Luft in ihren Händen umher, aber Kenshin schien es dennoch sehr realistisch. Anscheinend funktionierten diese Kabuki-Kata wirklich. „Ganz gut,“ bemerkte Orinosuke dann und ging dann davon. „Ein Kompliment aus seinem Mund! Fühle dich geehrt, Baiko!“ lachte Ryosuke. Baiko strahlte. „Das werde ich mir im Kalender anstreichen!“ “Himura-san, wir räumen jetzt besser die Bühne frei,” sagte Ryosuke mit Blick auf den Theatereingang. „Bald werden die Statisten hier sein und die brauchen viel Platz zum üben.“ Mit Baikos Hilfe räumten sie die Bühne schnell frei und trugen die Requisiten in den Raum hinter den Kulissen. Während sie so mit der Arbeit beschäftig waren, kam Ryosuke plötzlich wieder ein Gedanke in den Sinn, der ihn seit dem Kampf mit den Banditen nicht mehr losgelassen hatte: Wie um alles in der Welt konnte er selbst - und vor allem sein Vater – nicht bemerkt haben, dass hinter diesem jungen Mann mehr steckte, als das Auge sah? Alle, außer vielleicht Orinosuke, hatten geglaubt, dass Kenshin nichts mehr wie ein einfacher Wanderer war. Ja, er trug vielleicht ein Schwert, aber das taten viele Leute heutzutage, einfach nur zur Selbstverteidigung. Wer hätte gedacht, dass Kenshin so ein meisterhafter Schwertkämpfer war? Ryosuke hatte sich selbst immer für jemanden gehalten, der andere gut einschätzen konnte – wie konnte er sich also bei diesem Mann so verschätzt haben? Er hatte zwar einen gewissen Selbststolz im Verhalten von Kenshin wahrgenommen, der normalerweise bei einem abgebrannten Vagabunden nicht zu erwarten wäre, aber dennoch... Er beobachtete Kenshin beim arbeiten und ihm fielen plötzlich das schüchterne Lächeln und die beabsichtigt ausdruckslos blickenden Augen auf. Da verstand er es: Dieser Mann war in Wirklichkeit ein vollendeter Schauspieler – in der Tat war er sogar so gut, dass er sogar einen so herausragenden Schauspieler wie Daisuke hatte täuschen können. Nur Orinosuke war nicht auf ihn hereingefallen, auch wenn sich Ryosuke sicher war, dass selbst er nicht das ganze Können Kenshins geahnt hatte. Hatte sein ältester Bruder auch damit recht, dass Kenshin eine Gefahr für sie alle war? Waren sie alle so von dem anscheinend so unschuldig wirkenden Mann eingelullt worden und setzten jetzt gerade ihr Leben aufs Spiel? Ryosuke ging in Gedanken noch einmal die letzten vier Tage durch. Kenshin hatte ihnen geholfen, Ennosuke zu verarzten und Byako fast vor einem schlimmen Sturz bewahrt, er hatte die Yakuza außer Gefecht gesetzt, ohne einen einzigen Mann dabei zu töten und trotz der vielen Drohungen von Orinosuke hatte er sich nicht einmal mit Gewalt zur Wehr gesetzt. Nein, überlegte er, dass war nicht das Verhalten eines Mannes, der eine Gefahr darstellte. Das waren die Handlungen eines Mannes, der großes Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hatte. Doch warum in aller Welt wollte er sein großartiges Talent vor allen geheim halten? Ryosuke hielt es nicht mehr aus. Er packte Kenshin, der gerade mit einer Ladung Stoffballen vorbeiging, am Arm. „Himura-san, ich bin ein direkter Mensch. Ich sage dir einfach gerade heraus, was mir auf der Seele liegt. Wir wissen alle inzwischen, dass du kein einfacher Vagabund bist. Dein talentierter Umgang mit dem Schwert lässt einen an seinem Verstand zweifeln. Mir würden alleine in Kagoshima zwanzig Mann einfallen, die sich um so einen Schwertkämpfer wie dich reißen würden und dir viel Geld für deine Gunst bezahlen würden. Warum also tust du so, als ob du ein Rurouni wärst?“ Kenshin war so verblüfft über diese direkten Fragen, dass er fast die Stoffballen fallengelassen hätte. Nicht zum ersten Mal erstaunte ihn Ryosuke, der offenbar tief in seine Gedankenwelt hineinschauen konnte. Schnell vergewisserte er sich, das schüchterne Lächeln noch im Gesicht zu haben und antwortete nur, „Mir würde so ein Jobangebot einfach nicht gefallen.“ Ryosuke, der jetzt wusste, das Kenshins Verhalten nur gespielt war, ärgerte plötzlich diese ausweichende Antwort. „Nicht gut, Himura-san. Ich verstehe, dass du nicht in einer Armee dienen willst, aber ich verstehe nicht, warum du so ein außergewöhnliches Talent versteckst! Damit könntest du dir ein schönes Leben verdienen!“ Kenshins Lächeln verblasste und sein Gesicht nahm einen unergründlichen Ausdruck an. „Ryosuke-san,“ sagte er vorsichtig, „mein Meister brachte mir bei, dass ich als Schüler des Hiten Mitsurugi Ryu nur meinem eigenen Gewissen verpflichtet sein sollte und niemals den Befehlen anderer. Sessha hat diesem Grundsatz einmal nicht gehorcht und das hatte sich als großer Fehler herausgestellt.“ Schnell wandte er sich um und verschwand mit den Stoffballen hinter der Bühne. Dieses Gespräch wollte er wirklich nicht weiter führen. Kaum war er durch den Vorhang hinter die Bühne getreten, als er es auch schon spürte - die unmissverständliche Gegenwart von einer größeren Gruppe bewaffneter Männer. Dieses Gefühl traf ihn so unerwartet, dass er da wo wer war steckensteif stehen blieb und alle seine Sinne nur auf die Masse der Ki’s, die genau in seine Richtung zu kommen schienen, konzentrierte. Er fühlte, dass es sich um trainierte Kämpfer handelte die äußerst wachsam waren, aber sie schienen nicht auf einen Kampf aus zu sein. Er spähte durch den Bühnenvorhang ins Theater und sah Orinosuke, der zum Bühneneingang eilte und ausrief: „Na endlich! Die Statisten!“ Statisten. Daisuke hatte dieses Wort schon heute morgen erwähnt. Jetzt erst realisierte Kenshin, dass es wohl etwas mit den Schwertkämpfern zu tun haben musste, die sich dem Theater näherten. Schnell zog er Ryosuke zur Seite und fragte ihn so ruhig, wie er vermochte: „Was genau bedeutet Statisten?“ „Statisten?“ wiederholte Ryosuke abwesend. Er dachte immer noch über sein Gespräch mit Kenshin nach. „Das sind die Bühnenfüller – Hintergrundschauspieler und so was. Warum?“ „Die Männer, die jetzt kommen - das sind die Statisten?“ fragte Kenshin mit gepresster Stimme. Ryosuke bemerkte jetzt die Unruhe in Kenshins sonst so ruhig wirkendem Gesicht. „Ja, das sind sie – Mitglieder von Shimazu-samas persönlicher Leibgarde. Normalerweise nehmen wir für solche Rollen unsere Auszubildenden, aber hier geht das natürlich nicht und so hat uns Shimazu-sama netterweise seine Männer zur Verfügung gestellt. Sie eigenen sich hervorragend, da ja unser zweites Stück im Krieg spielt. Was passt da besser, als ein paar echte Soldaten im Hintergrund?“ „Leibgarde?“ Kenshins Stimme klang ruhig, aber in seinem Magen begann sich alles zu verknoten. Er musste verschwinden, und zwar schnell! So unbekümmert wie möglich sagte er, „Nun, wenn du mich nicht mehr brauchst, dann suche ich mir jetzt ein ruhiges Plätzchen, wo ich noch ein bisschen üben kann.“ „Natürlich, tu das, Himura-san...“ begann Ryosuke zu antworten, aber Kenshin war schon verschwunden. Ungläubig blinzelte Ryosuke zu der Stelle, wo er vor einer Sekunde noch gestanden war und er zweifelte an seinem Verstand. Doch dann kamen schon die Soldaten in das Theater gepoltert und er hatte keine Zeit, sich darüber weiter Gedanken zu machen. „Halt!“ rief Daisuke, der die zwölf Männer des Shimazu-Clanes hereingeführt hatte. „Wartet hier unten, bis wir die Bühne vorbereitet haben.“ Da erblickte er den Laufsteg. Ungläubig bewunderte er die Konstruktion. „Wer hat sie gebaut? Das ist ja eine tolle Idee!“ „Baiko-san hat sie gezimmert. Er hat wohl einiges Talent als Schreiner!“ sagte Ryosuke. „Brilliant!“ freute sich sein Vater. „Orinosuke, komm herüber. Wir wollen die Männer in zwei Gruppen einteilen und in das Stück einweisen!“ Orinosuke kam und suchte sich sechs Männer aus, die ihn allerdings nicht sonderlich zu beachten schienen und mitten in ein ernstes Gespräch vertieft waren. Daisuke war überrascht – Shimazu-sama hatte ihm versichert, dass diese Soldaten zu den Besten und Diszipliniertesten seines Clans gehören würden. Gerade wollte er herüber gehen und ihnen die Leviten lesen, als er einen Gesprächsfetzen aufschnappte. „...tötete seinen Bruder,“ hörte er einen der Soldaten sagen, „deswegen will er Rache...“ „Was ist hier los?“ mischte sich Daisuke ein und drängelte sich zwischen die Männer. „Wer will Rache?“ „Ozawa-san – der große Mann da drüben. Er sagt, dass der Mann, der seinen Bruder während des Bürgerkrieges getötet hat, in Miyazaki aufgetaucht ist und jetzt hat er geschworen, ihn zu finden und seinen Bruder zu rächen,“ erklärten ihm die Soldaten aufgeregt. “Zur Hölle,” murmelte Daisuke, „das kann er in seiner Freizeit tun aber nicht hier!“ Er wollte sich schon auf dem Weg zu dem Mann machen, als ihn einer der Soldaten zurückhielt. „Daisuke-san, verstehen sie doch! Der Mann, der seine Bruder tötete, war Hitokiri Battousai. Diesen Mann hat man in Miyazaki gesehen – den Dämon Kyotos! Seit Jahren war er verschwunden aber jetzt ist er hier aufgetaucht. Wissen sie nicht, was das bedeutet? Jeder ist in Gefahr!“ „Das ist ja lächerlich!“ Daisuke wurde rot im Gesicht. „Niemand weiß, wie dieser verdammte Hitokiri Battousai überhaupt aussieht...“ „Doch, das wissen wir!“ mischte sich ein weiterer Soldat ein. „Er hat...“ Doch Daisuke war nun wütend und hörte nicht zu. Die Zeit lief ihm langsam davon und er hatte noch viel Arbeit vor sich und sicherlich waren ein paar tratschende und tuschelnde Schwertkämpfer nicht das, was er sich unter ordentlichen Statisten vorgestellt hatte. Er ließ einen schrillen Pfiff los und all das Gemurmel erstarb. „Hört mir mal alle zu!“ schrie er mit vor Wut sprühenden Augen in die Runde. „Dieses ganze Gefasel von Attentätern und Rache hat hier nichts verloren! Ihr seid hier, um meinen Befehlen zu gehorchen und nicht, um euch Klatschgeschichten zu erzählen. Diese ganze Sache möchte ich hier nicht mehr hören oder ich werde mich bei eurem Hauptmann über euren Mangel an Disziplin beschweren!“ Die Männer unterdrückten ein wütendes Gemurmel und starrten immer wieder nervös in Richtung Theatereingang, als ob sie erwarteten, jeden Moment Hitokiri Battousai hindurchkommen zu sehen. „Also an die Arbeit!“ befahl Daisuke mit wütender Stimme und scheuchte die Soldaten auf die Bühne. Während sie über die Rampe nach oben stiegen, nahm Orinosuke seine ausgewählten sechs Männer schnell zur Seite. „Ich würde gerne mehr über diese Sache mit dem Attentäter Battousai wissen. Ich nehme an, ihr wisst wirklich, wie er aussieht?“ flüsterte er. „Ja,“ wisperte einer der Soldaten schnell, „einige von uns haben mit ihm sogar einige Zeit zusammen verbracht. Komm nach dem Theaterstück zu uns, wir sind in der Taverne gleich neben dem Schrein. Da können wir ungestört reden.“ Orinosuke nickte. In der Zwischenzeit war Kenshin schon längst wie der Blitz verschwunden und bevor die Soldaten überhaupt einen Fuß über die Schwelle des Theaters gesetzt hatten, war er schon im Wald bei dem Schrein angekommen. Shimazu-samas Leibwache als Statisten? Wie viel schlimmer konnte die Situation denn noch werden? Kenshin wusste, dass die Leibwache des ehemaligen Daimyo aus Satsuma, der jetzt Gouvaneur war, ein Kontingent aus den besten, stärksten und loyalsten Männern Satsumas war und insgesamt fast hundert Leute fasste. Er wusste auch, dass man, um überhaupt in diese Elitetruppe eintreten zu dürfen, mindestens fünf Jahre im Dienste des Gouvaneurs stehen musste. Woher er das alles wusste? Mitglieder der Leibwache hatten es ihm selbst erzählt! Und zwar während der Bakumatsu-Zeit, als er zusammen mit ihnen einem wichtigen Treffen zwischen den Führern der Provinzen Choshuu und Satsuma beigewohnt hatte. Dieses Treffen, das die zwei zerstrittenen Provinzen wieder vereinte, hatte zwei Jahre nach dem gescheiterten Überfall auf den Palast des Kaisers stattgefunden – der Überfall, der Katsura dazu veranlasst hatte, Kenshin zusammen mit Tomoe nach Otsu zu schicken. Nach diesem Desaster hatten sich Satsuma und Choshuu tief zerstritten und Satsuma war sogar kurz zum Shogunat übergelaufen. Deswegen wollte keine der beiden Seiten unvorbereitet sein, als es endlich zu einer Aussprache kam. Katsura hatte also zu seiner eigenen Sicherheit Kenshin zusammen mit fünf anderen Leibwächtern mitgenommen. Der Daimyo von Satsuma hatte weitere zehn Männer zum persönlichen Schutz dabeigehabt, natürlich Mitglieder der Leibwache. Und so waren sie Stunden um Stunden alle zusammen in einem Raum gesessen und hatten sich angestarrt. Das war vor fünf Jahren gewesen. Vielleicht würden ja nicht alle Leibwächter, die damals bei dem Treffen anwesend waren – die den Hitokiri Battousai von Nahem gesehen hatten – in Miyazaki sein. Aber es war unwahrscheinlich. Nun, überlegte Kenshin, es wäre nicht das erste Mal, dass seine Identität auffliegt. In der Tat, jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt, um sich aus dem Staub zu machen. Warum also zögerte er? Jede Faser seines Körpers wollte nichts mehr, wie schnell diese Stadt verlassen, bevor irgendetwas schlimmes passieren konnte. Aber warum nur konnte er sich trotzdem nicht vom Fleck bewegen? Kenshin war jetzt am Waldrand angelangt und vor ihm fiel das Gelände steil zur Küste hin ab. Unter ihm erstreckte sich ein wunderschöner weißer Sandstrand, der in der Sonne glitzerte. Die Aussicht war atemberaubend schön. Eine Weile stand er einfach nur da und ließ sich ganz von der Schönheit des Meeres einnehmen und beruhigen. Langsam dämmerte es ihm, warum er nicht gehen konnte. Es war das Gefühl, dazu zu gehören, dass sich langsam in den letzten vier Tagen in ihm breit gemacht hatte. Wie auch immer sie es geschafft hatten, aber irgendwie hatten Daisuke, Ikuko und Ryosuke, Noriko Bunjiro und all die anderen – außer Orinosuke – ihm das Gefühl gegeben, er würde zur Familie gehören. Wie konnte er diese Freundlichkeit so ausnutzen und sie am Tag ihres finalen Auftrittes einfach im Stich lassen? Vielleicht, überlegte er verzweifelt, konnte er erst auftreten und danach verschwinden. Er seufzte. Alles, was er sich im Moment wünschte, war, dass die Familie nicht in seiner Gegenwart von seiner wahren Identität erfuhr. Es war immer sehr verletzend, zu sehen, wie sich die Gesichter der Menschen, die ihm im Glauben, einem Vagabunden etwas Gutes zu tun, geholfen hatten, bei der Enthüllung seiner wahrend Identität vor Angst und dem Gefühl von Verrat verzerrten. Das auch bei dieser Familie erleben zu müssen – Kenshin glaubte nicht, dass er das ertragen konnte. Andererseits, nie zuvor war jemand so nett zu ihm gewesen wie diese Familie. Nie hätte er gedacht, dass die Reaktion auf seinen Kampf mit den Banditen die Worte „Wow, super Show – im Theater wäre das ein Kassenschlager!“ sein würden. Ihm war sogar der Gedanke gekommen, dass die Familie ihn vielleicht sogar als berüchtigten Hitokiri aufnehmen würde, um noch mehr Leute ins Theater zu locken. Doch da fielen ihm die Soldaten aus Satsuma wieder ein, die heute Morgen von Rache und Tod gesprochen hatten. Nein, dachte Kenshin bitter, nie würde er irgendwo in Japan leben können, ohne das sich irgendjemand für die Vergangenheit an ihm rächen wollen würde. Kenshin warf dem glitzernden Meer einen letzten Blick zu und ging dann zurück in den Wald, um noch einmal zu üben. Er hatte sich entschlossen, erst nach der Aufführung die Familie zu verlassen. Es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass ihn dieses Mal nicht sein Schwert vor den Feinden beschützte, sondern die Verkleidung als hilflose Frau. Er versuchte sich selbst zu beruhigen und rief sie die Worte Baikos ins Gedächtnis, der gesagt hatte, dass ihn in der Frauenverkleidung niemand erkennen würde – es war nicht einmal offensichtlich, dass er ein Mann war. Selbst der Doktor, der Kenshin als Mitglied der Kiheitai erkannt hatte, hatte ihn als Onnagata übersehen. So übte er die Gangart und die Verbeugungen der Frauen – wie er es sich von Ikuko abgeschaut hatte – und danach die Art zu stehen, sich zu setzen, Tee zu trinken, den Fächer zu schwingen und all die anderen weiblichen Dinge, die er auf der Bühne machen musste. Er war so konzentriert, dass er das Zeitgefühl verlor und erst das Knurren seines Magens verriet ihm, dass es schon längst Mittag sein musste. Schnell machte er sich auf den Weg zurück zum Theater, als er auch schon Baikos Bass hörte, der seinen Namen rief. Kenshin lief zu ihm und wollte ihn gerade begrüßen, als er bemerkte, das Baiko ungewöhnlich aufgeregt zu sein schien. Wahrscheinlich war auch er hungrig, überlegte er. „Schon Mittagszeit?“ fragte Kenshin fröhlich und verbeugte sich auf sehr damenhafte Weise. „Himura, hör mit dem Onnagata-Getue auf!“ Sagte Baiko gepresst. „Wir haben ein großes Problem!“ Kenshin riss sich sofort zusammen und war in Alarmbereitschaft. “Weißt du noch, der Typ, über den die Soldaten heute morgen gesprochen haben? Der, der sich an dir wegen seinem Bruder rächen will?“ fuhr Baiko fort. „Tja, anscheinend ist er einer von den Statisten, die bei dem Stück mitspielen und er war gerade eben im Theater! Und jetzt redet jeder davon – Hitokiri Battousai sei in der Stadt und dieser Ozawa sei nun unterwegs, um ihn aufzuspüren und Rache zu nehmen!“ Kenshins Herz setzte einen Schlag aus. „So,“ meinte er grimmig, „dann weiß die Familie also über mich bescheid?“ „Was? Nein – Daisuke hat sie zum Schweigen gebracht, bevor sie dich beschreiben konnten. Aber das ist nicht das Problem! Der Typ wird heute Nachmittag zur Aufführung wieder ins Theater kommen. Wenn er dich also sieht...“ „Sind sie jetzt noch im Theater?“ unterbrach ihn Kenshin. „Nein, sie sind zum Essen gegangen, werden aber eine halbe Stunde vor dem Auftritt wieder da sein. Ist ja auch egal, er wird auf jeden Fall dort sein!“ „Gut!“ sagte Kenshin mit wachsender Selbstsicherheit. „Also kann ich schon verkleidet sein, bevor sie zurück sind.“ „Ja, Himura.... – Moment! Heißt das, du willst wirklich heute auftreten!? Bist du verrückt? Zwölf Soldaten auf der Bühne, wenn das keine Bedrohung ist! So viel kann dein Versprechen gegenüber Daisuke nicht Wert sein.“ Kenshin klopfte Baiko auf die Schulter. „Beruhige dich. Immerhin hast du mir doch gesagt, dass mich als Onnagata nicht mal meine eigene Mutter erkennen würde!“ Baiko konnte seinen Ohren nicht trauen. Kenshin wollte das wirklich durchziehen? „Wie kannst du so leichtsinnig sein,“ rutschte es ihm heraus, „dieser Ozawa will deinen Kopf, ist dir das nicht klar?“ Kenshin seufzte und lehne sich mit geschlossenen Augen an einen der Baumstämme. Wie sollte er Baiko erklären, das diese Situation für ihn überhaupt nicht ungewöhnlich war, ja sogar fast Alltag in den letzten Jahren? „Baiko,“ sagte er schließlich, „die Sache ist so: Dieser Ozawa-san hat einen rechtmäßigen Anspruch auf mein Leben.“ „Hä?!“ „Sessha hat seinen Bruder getötet. Somit muss Sessha auch die Blutrache akzeptieren. Jetzt, wo ich weiß, wer dieser Ozawa-san ist, werde ich ihm eine Nachricht schicken. Ich werde ihm anbieten, sich mit mir zu Treffen und die Sache ins Reine zu bringen, so dass er die Ehre seiner Familie wiederherstellen kann. In dieser Nachricht werde ich auch schreiben, dass Sessha nun sein Leben einzig und alleine der Wiedergutmachung seiner schlimmen Taten verschrieben hat und dass er geschworen hat, nie mehr zu töten. Unter diesen Umständen, sollte er mich immer noch treffen wollen, werde ich da sein.“ Baiko war geschockt. „Das heißt, du hast vor, dich töten zu lassen?“ fragte er ungläubig. „Einfach so?“ Kenshin lächelte schwach. „Davon hat keiner gesprochen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Akzeptieren einer Herausforderung und sich töten lassen. Obwohl,“ fügte er hinzu, „bei jedem Kampf die Möglichkeit besteht, zu verlieren...“ Was für ein Geschwafel war das denn? Baiko starrte Kenshin voller Unverständnis an. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie wenig er auch nach vier Tagen noch über diesen Mann wusste. Was er jedoch wusste, war, dass Kenshin einer der ehrenhaftesten Persönlichkeiten war, die ihm je begegnet sind und dass er sich selbst nie verzeihen könnte, wenn er zuließe, wie dieser Mann sein Leben einfach wegwarf. Deswegen kreuzte er seine Arme auf der Brust und pflanzte sich vor Kenshin auf. „Nein! Ich werde das nicht zulassen. Du wirst jetzt deine Sachen packen und ich werde dir bei deiner Flucht helfen. Und zwar jetzt, bevor jemand von deiner Existenz Wind bekommt. Du hast jetzt nicht nur den nervigen Orinosuke auf den Fersen, sondern ein ganzes Pack von Soldaten. Wie schlimm soll es noch werden, bevor du gehst? Willst du dich töten lassen?“ Kenshin umkreiste Baiko. „Denkst du,“ herrschte er ihn an, „dass es mich interessiert, ob ich lebe oder sterbe?“ Er blieb stehen und schüttelte den Kopf über seinen plötzlichen Wutausbruch. „Sessha hat jemandem versprochen, weiterzuleben und dieses Versprechen werde ich in Ehren halten. Genau wie das Versprechen gegenüber Daisuke. Dieser Ozawa-san wird mich wohl nicht auf der Bühne angreifen und sobald der Auftritt beendet ist, werde ich verschwunden sein. Glaub mir, ich will die Familie nicht in Gefahr bringen.“ Baiko atmete erschöpft aus. Es war klar, dass er Kenshin nicht von seinem Entschluss abbringen konnte. Also lief er resigniert mit ihm zurück zum Theater. Doch aufgegeben hatte er dennoch nicht. In seinem Kopf rauschten jetzt Bilder vom Krieg und von Freunden, die verletzt oder getötet wurden an ihm vorbei. Auch Kenshin war ein Freund für ihn, auch wenn er ihn erst vier Tage kannte. Er erinnere sich an den Rückweg aus der Stadt, auf dem ihm Kenshin wie ein Schatten gefolgt war und er sich fast vor Angst in die Hosen gemacht hatte. Doch ihm fiel auch die Wut ein, die er empfunden hatte, als er herausfand, dass Kenshin ein kleiner Junge gewesen war, als ihn die Ishin Shishi zu ihrem Hitokiri gemacht hatten. Was hatte Kenshin nach dem Vorfall mit dem Arzt, der ihn erkannt hatte, gesagt? Die Revolution war kein Ort für einen Jungen mit Idealismus. Es war, als ob Kenshin es bedauerte, überhaupt mitgekämpft zu haben, und das, obwohl er als einer der größten Patrioten überhaupt galt. Deswegen konnte er auch kein Angebot der neuen Regierung annehmen – er fühlte sich schuldig. „Alles ist Katsura Kogoros Fehler,“ sagte Baiko zu Kenshin und brach damit das unangenehme Schweigen. „Er hätte wissen müssen, was er einem Kind, das nicht alt genug ist, um irgendwas zu verstehen, antut, in dem er es in eine Killermaschine verwandelt. Wie konnte er das tun? Ich meine, er hat dir dein Leben versaut, bevor du überhaupt erst angefangen hast, richtig zu leben!“ Kenshin schaute ihn überrascht an und ihn überkam ein reuevolles Lachen. „Würdest du mir glauben,“ sagte er, „wenn ich dir erzählen würde, dass ich nicht einmal wusste, als Katsura mich fragte, ob ich ein Bote der „Himmlischer Gerechtigkeit“ sein könne, dass er damit meinte: Geh los, und sei ein Hitokiri? Sessha war sehr naiv. Aber dennoch wusste Sessha, das ein neues Zeitalter kommen würde und das es bald kommen würde, auch wenn er es nicht mehr erleben sollte. Meine Hingabe an diese Sache hat sich nie geändert. Also sei nicht zu hart mit Katsura. Er war ein mutiger Mann, der mitgeholfen hat, das ungerechte und verhasste System zu beseitigen. Und er war auf seine eigene Art und Weise gut zu mir.“ „Gut zu dir?“ rief Baiko angewidert aus. „Hör mal Himura, mit solchen Freunden wie ihn brauchst du keine Feinde! Wenn er dich nicht zu einem Hitokiri gemacht hätte, säßest du jetzt nicht in so einem Schlamassel!“ Kenshin lächelte. „Schon Ok, Baiko – Sessha hat sich daran gewöhnt.“ Gewöhnt? Baiko würde sich an so etwas nicht gewöhnen und es schon gar nicht akzeptieren. Jetzt, wo sie das Theater schon in Sichtweite hatten, begann er sich von Neuem um Kenshins Sicherheit zu sorgen. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis Orinosuke oder jemand anderes Kenshin enttarnte. Und was dann los wäre, das mochte sich Baiko gar nicht vorstellen. Ihm erschien es gerade zu ein Wunder, das Daisuke und die Familie immer noch keinen Verdacht hatten, das Kenshin der Attentäter Battousai war. Wenn sie all die Jahre nicht in Kagoshima sondern in Kyoto gelebt hätten, dann wäre alles schon vor Tagen aufgeflogen, überlegte er. Ihm fiel gerade ein, was Ennosuke ihm erst heute morgen erzählt hatte. „Wusstest du, Himura, warum die Familie Kyoto wirklich verlassen hat?“ meinte Baiko beiläufig. „Scheint so, als ob die Angst vor den Attentaten und die geringen Besucherzahlen im Theater nicht der wahre Grund gewesen sind.“ „Nicht?“ Diese Erklärung hatte Kenshin von Ikuko gehört und er hatte sich danach noch schuldiger als sowieso schon gefühlt. „Nein. Als ich Ennosuke vorhin mit dem Rollstuhl umherschob, erzählte er mir, das sein Vater wohl die Ishin Shishi heimlich unterstützt hatte und er nach dem Massaker im Ikedaya aufgeflogen war. Er stand sogar auf der schwarzen Liste der Shinsengumi. Kannst du dir das vorstellen?“ Kenshin blieb stehen. Daisuke war ein aktiver Befürworter der Ishin Shishi gewesen? Dann war es also nicht alleine seiner – Hitokiri Battousais Fehler gewesen, dass die Familie die Stadt verlassen musste? „Baiko,“ sagte Kenshin und sein Gesicht hellte sich auf, „das ist die beste Nachricht seit Tagen!“ Milde überrascht sah Baiko ihn an. „Wie kann es eine gute Nachricht sein, auf einer schwarzen Liste zu stehen?“ „Es ist, wie soll ich sagen... diese Leute waren so nett zu mir, fast, als ob ich zur Familie gehören würde. Deswegen hat es mich sehr belastet, dass ich mit meinen Handlungen wahrscheinlich dafür verantwortlich gewesen war, dass sie Kyoto verlassen mussten und sich seitdem immer wieder darüber stritten. Vor allem an Orinosukes Verbitterung schien ich mitschuldig zu sein. Jetzt weiß ich, dass es nicht nur wegen mir alleine dazu kam. Das ist eine Erleichterung.“ „Was kümmert dich die Verbitterung dieses Bastards, nach all dem, was er dir angetan hat? Du bist noch verrückter, als ich dachte.“ „Baiko, er mag ja ein Bastard sein, aber er ist immer noch ein menschliches Wesen. Er versucht nur so zu leben, wie er es für richtig erachtet.“ Kaum verließen diese Worte seinen Mund, da hatte Kenshin das Gefühl, sie schon einmal von jemand anderem gehört zu haben. „Sowas...“ murmelte er vor sich hin, „jetzt klingt Sessha schon wie Hiko.“ “Was?” “Oh, nichts!” meinte Kenshin mit einem seltsam schiefen Lächeln. „Lass uns besser schnell zurück gehen, sonst bekommen wir kein Mittagessen mehr.“ Nächstes Kapitel: Genügt Kenshins Verkleidung als Onnagata, um ihn vor den kampferprobten Soldaten, die sein Aussehen kennen, verborgen zu halten. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Kenshin wurde in Miyazaki erkannt und nun weiß jeder, dass der Hitokiri Battousai in der Stadt ist. Er muss die Kabuki-Familie so schnell wie möglich verlassen, aber das ist gar nicht so einfach... Daisuke: Vater der Familie Kawayama Orinosuke: ältester Sohn Ryosuke: zweitältester Sohn Ennosuke: jüngster Sohn Ikuko: Daisukes Frau Mayako: Orinosukes Frau Mei: Ryosukes Frau Noriko: Ennosukes Frau Bunjiro, Byako: Söhne von Orinosuke Saburo, Oda: Söhne von Ryosuke Nomi: Ennosuke’s Tochter Eine unerwartete Lektion Kapitel 10 Ein Rurouni zu sein bedeutete, ein Leben voller Überraschungen zu führen. Während Kenshins Wanderungen durch das ganze Land fand er sich selbst immer wieder in Situationen, in denen er auf das Wohlwollen anderer Menschen angewiesen war, die ihn als Aushilfsarbeiter anheuerten. Und so hatte er unter anderem als Koch, als Geschirrspüler, als Schmiedgeselle, als Bauer, als Handlanger und sogar ein oder zwei Mal als Babysitter ausgeholfen. Aber niemals, nicht in einer Millionen Jahren, hätte er daran gedacht, dass einer seiner Jobs sein würde, sich als Onnagata für ein Kabuki-Theaterstück zu verkleiden. Und jetzt, nachdem er das alles, ja sogar seinen ersten Auftritt, hinter sich hatte, musste er zugeben, dass es ihm Spaß machte. Es fühlte sich gut an, die Menschen zum Lachen zu bringen und selbst zu lachen. Aber in nur weniger als einem halben Tag würde er diese nette, wenn auch etwas seltsame Familie verlassen müssen. Bis dahin, so war er entschlossen, würde er jeden Augenblick mit ihnen genießen. Und trotz all der Gefahren freute er sich sogar auf den Nachmittagsauftritt. Und so lächelte er, als er zusammen mit Baiko das Theater betrat und dieses Mal war sein Lächeln ehrlich. Leider hielt es nicht lange an, denn kaum hatten sie das Gebäude betreten, als ihnen Ikuko schon das Essen in die Hand drückte und sie aufforderte, es schnell hinunter zu schlingen und alle anderen währenddessen wild auf sie einredeten. „Wo wart ihr so lange?“ fragte Ryosuke Baiko und an Kenshin gewandt sagte er, „als du sagtest, du gehst üben, da dachte ich nicht, dass du dafür eine Meile weit weg laufen musst. Weißt du, wie spät es ist?“ “Entschuldigung,” verbeugte Kenshin sich schnell und sein ehrliches Lächeln wurde wieder durch das falsche, schüchterne Grinsen ersetzt, als er Orinosuke verächtlich aufschnauben hörte. Dennoch war er entschlossen, sich jetzt nicht die Laune verderben zu lassen. „Es ist nur so, dass direkt hinter dem Wäldchen beim Theater ein wunderschöner Sandstrand liegt, umgeben von Klippen, die eine herrliche Aussicht bieten. Es war so schön, dass ich wohl die Zeit vergessen habe.“ Er linste durch seinen roten Haarpony und sah, wie sich die Gesichtszüge der anderen erweichten. Erstaunlich, dachte er wieder einmal verblüfft, was so ein albernes kleines Lächeln alles ausmachen konnte. “Gut,” meinte nun Daisuke, dessen Wut über Kenshins Zuspätkommen verraucht war. „Wir haben jetzt etwas geschäftliches zu besprechen. Scheint so, als ob auf die Yakuza-Bande, die wir gestern dingfest gemacht haben, ein Kopfgeld ausgesetzt war. Und zwar kein geringes! Und wir, die wir zur Festnahme dieser Banditen beigetragen haben, bekommen es ausgezahlt!“ Er lächelte breit in die Runde und alle starrten ihn mit großen Augen an. „Das,“ sagte Daisuke zu Orinosuke gewandt, „hat mir alles heute morgen der persönliche Assistent von Shimazu-sama mitgeteilt!“ „Die Belohnung,“ fuhr er fort, „ist genug, um unsere komplette Reise einschließlich unserer beiden Schwertkämpfer hier zu finanzieren – wir können einfach mit der Fähre zurück nach Kagoshima fahren und müssen nicht mehr den weiten Landweg auf uns nehmen. Und trotz der teuren Fähre hätten wir noch Geld übrig, um jedem von uns sechs Männern eine großzügige Belohnung auszubezahlen.“ Daisuke sah auf und fand alle in einem mehr oder weniger geschockten Zustand vor. Baiko, der gerade den Mund voll hatte, war so überrascht, dass er die Hälfte verschluckte und nun abwechselnd hustete und sich verbeugte. Kenshins Hand mit den Essstäbchen schien auf halbem Weg zum Mund eingefroren zu sein. Eine Belohnung fürs kämpfen? Nein, nein, nein! „Ein Kopfgeld!“ keuchte Ryosuke. „Wer hätte damit gerechnet... ich meine, wir, als Schauspieler...“ „Naja, wir hatten ja Hilfe,“ nickte Ennosuke in Richtung von Kenshin und Baiko. „Mehr Hilfe, als uns lieb war,“ murmelte Orinosuke finster und funkelte in Kenshins Richtung. “Also, sind wir uns einig?” fragte Daisuke. „Wir nehmen einen Teil der Belohnung für die Fähre und der Rest wird gerecht zwischen uns sechs geteilt?“ „Mach, was du willst,“ sagte Orinosuke und stand unvermittelt auf. „Ich hab genug, euch von eurem Irrtum zu überzeugen.“ Dann stapfte er davon. „Was verdammt noch mal ist denn jetzt wieder?“ fragte Daisuke, aber Ryosuke meinte, „lass ihn gehen. Was mich betrifft, stimme ich deiner Entscheidung zu.“ Ennosuke nickte ebenfalls und auch Baiko senkte eifrig seinen Kopf als Zeichen seines Einverständnisses. Kenshin jedoch schien immer noch eingefroren. Wie konnte er diesem Vorschlag zustimmen? Er ließ seine Stäbchen langsam sinken. „Es ist sehr großzügig von euch, Sessha so etwas anzubieten, aber...“ Ein plötzlicher Hieb in seine Rippen nahm ihm die Luft. „Sehr großzügig!“ bestätigte Baiko. „Wir sind natürlich beide einverstanden, nicht wahr, Himura?“ „Aber...“ Er stieß Kenshin abermals in die Seite. „Halt den Mund und lächle!“ zischte Baiko in sein Ohr. Kenshin tat, wie ihm befohlen und nickte schnell. “Exzellent!” sagte Daisuke. Er rieb sich voller Befriedigung seine Hände. „Ein gutes Omen für den heutigen Tag, oder nicht? Also, an die Arbeit – wir haben einen Auftritt vor uns und dass in weniger als zwei Stunden! Baiko-san, du weißt den Souvenirhändlern und Essensständen ihren Platz zu, sie müssten jeden Moment kommen. Himura-san, du und Ryosuke werdet euch für das Schauspiel zurecht machen. Meine Frau wird euch Schminken, sobald sie mit ihren Vorbereitungen fertig ist - Der Rest räumt alles, was nicht zum Stück gehört, aus dem Theater und zieht sich um. In einer dreiviertel Stunde möchte ich alle zum Aufwärmen auf der Bühne sehen!“ Kaum war Daisuke davon gegangen, als es aus Baiko auch schon herausexplodierte. „Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht, als du sagen wolltest, du kannst das Geld nicht annehmen!? Hast du versucht, nicht mehr Aufmerksamkeit wie nötig auf dich zu ziehen? Das wäre wohl das bescheuertste, was ich je...“ „Du verstehst es nicht!“ war Kenshins knappe Antwort. „Niemals wird Sessha Geld dafür annehmen, dass er sein Schwert benutzt...“ Baiko seufzte vor Erbitterung. „Himura,“ sagte er langsam, wie wenn er mit einem Kind spräche, „du bist kurz davor, entdeckt zu werden, was du unbedingt vermeiden willst, oder nicht?“ „Ja.“ „Und dein Plan ist, uns zu verlassen, bevor jemand herausfindet, wer du bist, nicht?“ „Ja.“ „Und du bist entschlossen, zu gehen, sobald das Stück vorüber ist, nicht?“ „Ja.“ Baiko seufzte noch einmal. Konnte dieser Mann wirklich so auf dem Schlauch stehen? „Himura, warum musst du dann überhaupt etwas zu der Belohnung sagen? Du wirst nicht einmal da sein, wenn wir sie ausgezahlt bekommen, du Idiot.“ „Oh... .“ “Oh?” stotterte Baiko erschüttert. „Ein „Oh...“ ist alles, was dir einfällt? Himura, du bist vielleicht nicht mehr da, wenn wir das Geld bekommen, aber ich werde da sein und deswegen versau mir nicht alles vorher! Ich meine, das Geld ist wirklich wichtig für mich – was ist, wenn die Familie herausfindet, dass ich die ganze Zeit bescheid wusste, dass ich wusste, das du Hitokiri Batt...“ Kenshin packte plötzlich Baikos Arm. „Scht!“ Keine zwei Sekunden später kam Ryosuke um die Ecke und rief: „Ihr beide, beeilt euch. Die Händler kommen gerade und hinter der Bühne gibt es noch genug zu tun.“ „Komme schon,“ rief Baiko zurück. Beim gehen wandte er sich noch einmal zu Kenshin um. „Du weißt, dass du das nicht tun musst – du könntest jetzt einfach verschwinden. Sie hätten noch genug Zeit, einen Ersatz für dich zu finden.“ Baiko tat so, als ob er ruhig wäre, aber Kenshin spürte seine Aufgeregtheit und Sorge. „Schon in Ordnung,“ beruhigte er ihn. „Selbst wenn mich jemand aus der Leibgarde erkennt, würden sie es nicht wagen, während dem Stück etwas zu unternehmen. Sessha fühlt sich auf jeden Fall geehrt, sein Versprechen gegenüber Daisuke einzulösen. Sobald alles vorbei ist, wird Sessha gehen. Alle werden zu beschäftigt sein, es zu merken.“ „Sag wenigstens vorher auf Wiedersehen,“ meinte Baiko. So eine Bitte hatte Kenshin selten, wenn gar noch nie gehört. „Ich verspreche es, aber wo werde ich dich treffen?“ „Ich werde dich beim Hinterausgang des Theaters abpassen,“ antwortete Baiko und eilte in den Hof zu den Händlern davon. Kenshin betrat unterdessen die Räume hinter der Bühne. Sie waren recht geräumig, so dass mühelos mindestens ein duzend Schauspieler, Musiker, Instrumente und Kostüme hineinpassten und sogar noch Platz für ein paar Requisiten war. Vor dem Essen war der Raum noch leer gewesen. Jetzt allerdings war er so voll gestopft, dass Kenshin bei jeder seiner Bewegung darauf achten musste, nicht irgendwo hängen zu bleiben oder etwas herunter zu schmeißen. In der einen Ecke übten die Kinder ihre akrobatischen Kunststücke, die sie der Menge zur Belustigung präsentieren würden. In der anderen zogen sich ein paar Leute bereits um und einige Wandschirme waren aufgestellt. An der hinteren Wand war eine Leine aufgespannt, auf die Orinosuke und Daisuke nun die ganzen Kostüme in der Reihenfolge hängten, in der sie im Stück benötigt wurden. Aber es war Ryosukes Frau, Mei, die Kenshin plötzlich wie zu einer Salzsäule erstarren ließ. Sie stand vor einem langen Tisch, auf den sie vier Tischdeckchen gelegt hatte – und auf diese Deckchen platzierte sie nun in seliger Ruhe vier Köpfe. Jeder Kopf hatte eine Maske auf mit einem individuellem Gesicht und auf jeden setzte sie eine Perücke. Sie tat das alles mit sachlichem Handgriff und so, als ob es nichts unnormales wäre – aber für Kenshin brachten diese Köpfe plötzliche Erinnerung an schwarze Briefumschläge und an das Geräusch, das ein Kopf macht, wenn er vom Hals seines Trägers abgeschlagen wird. Mei bemerkte Kenshins starren Blick und fragte: „Gefallen dir die Masken? Sie sind aus Holz und ich habe sie alle selbst bemalt!“ Ihre Frage riss Kenshin aus der grauslichen Erinnerungswelt. „Ja,“ stammelte er und versuchte, seine Erinnerungen mit der harmlosen Realität zu vereinbaren. „Sie sehen sehr... realistisch aus.“ Mei kicherte verschämt. Kenshin löste seine Augen von dem äußerst aufwühlenden Bild der Köpfe auf dem Tisch und ging nun in Richtung der Wandschirme, um sich ebenfalls umzuziehen. Er traf Ryosuke, der gerade einige Möbel zurecht stellte. „Und, Himura-san, tut es dir Leid, dass du dich uns angeschlossen hast?“ fragte er, während er mit Kenshin schnell ein paar Schränke zurecht rückte. „Leid tun?“ wiederholte Kenshin. Ein kleines Lächeln kroch ihm über das Gesicht. „Eigentlich finde ich es sehr... angenehm.“ “Du klingst von dir selber überrascht.” Kenshin kicherte. Auch das überraschte ihn selbst. Er schien das in letzter Zeit oft zu tun. Anscheinend hatte diese Familie den seltsamsten Einfluss auf ihn. „Es war eine neue Erfahrung für mich, vor so vielen Leuten zu stehen,“ antwortete er wahrheitsgemäß. So viele Leute über ihn Lachen anstatt sich vor Angst verstecken zu sehen, fügte er im Stillen hinzu, denn das konnte er vor Ryosuke unmöglich sagen. „Dein Lampenfieber hast du auch gut im Griff,“ bemerkte Ryosuke stolz. „Naja, Sessha wollte nicht von deinen Methoden... aufgelockert werden.“ „Meinen Methoden?“ Ryosuke schaute fragend. “Ach so, du meinst, du wolltest von mir nicht in den Hintern gezwickt werden! Funktioniert doch immer gegen Lampenfieber!“ lachte er. „Im Ernst, Himura, du machst dich wirklich gut als Schauspieler. Willst du nicht bei uns in die Lehre gehen, wenn wir wieder in Kagoshima sind? Ich glaube zwar nicht, dass deine Stimme für männliche Rollen tief genug ist, aber du könntest dich auf jeden Fall auf Onnagata-Rollen spezialisieren.“ Kenshin räusperte sich. Was zur Hölle war an seiner Stimme falsch? „Sessha ist kein Schauspieler,“ sagte er mit so tiefer Stimme wie möglich. Ryosuke fixierte ihn. „Komm schon, Himura-san - du spielst uns doch schon die ganze Zeit etwas vor, seit du mit uns reist. Du bist kein dahergelaufener Rurouni, nicht mit deinem Talent mit dem Schwert, aber du konntest sogar Vater überzeugen, dass du nichts weiter als ein Vagabund bist. Wenn das kein Schauspieltalent ist, weiß ich auch nicht. Und dann ist da noch die Art, wie du dich gibst – diese Art von Selbstbewusstsein bei allen Bewegungen und diese würdevolle Ausstrahlung – das dauert Jahre, bis man das als Schauspieler erlernt. Dir scheint es angeboren zu sein. Alles, was du noch lernen musst, wären ein paar typische Kabuki-Dialoge und schon bist du berühmt.“ Baikos Ratschlag, nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu zeihen, hallte noch in Kenshins Ohren und stoppten ihn, Ryosukes Vorschlag mit irgendeiner verdächtig klingenden Begründung abzulehnen. Statt dessen sagte er einfach, „Oro?“ “Ich meine es ernst, Himura-san. Komm mit uns! Du hast doch sonst keine Job-Angebote, oder? Was hast du zu verlieren?“ Kenshin überlegte schnell. Was könnte er antworten, ohne seinen Entschluss, heute noch zu gehen, zu verraten? „Sessha könnte sich niemals das Geld für Schauspielunterricht leisten,“ sagte er schließlich. „Aber wenn wir erst einmal die Belohnung bekommen, dann schon!“ konterte Ryosuke. „Außerdem, du könntest damit bezahlen, indem du uns Unterricht im Schwertkampf gibst. Wie wir schon gestern nach dem Kampf mit den Yakuza gemeint haben, könnte uns deine Schwerttechnik auf der Bühne gute Dienste leisten – das Publikum würde durchdrehen vor Begeisterung!“ Sich dafür eine Ausrede einfallen zu lassen, war noch schwieriger. „Auch eure eigene Kampftechnik, der Kogen Itto Stil, gibt viel her,“ versuchte Kenshin es. „Auch dort gibt es viele beeindruckende Sprünge und Schwünge.“ “Aber nichts ist vergleichbar mit dir. Außerdem ist deine Technik aus der Sengoku-Zeit und in dieser Zeit spielen die meisten unserer Stücke. Das würde doch perfekt passen!“ Eine abrupte Stille folgte Ryosukes Worten und dieser fühlte plötzlich eine fast elektrische Spannung in der Luft. „Die Technik, die ihr zu lernen wünscht, ist zu tödlich,“ sprach Kenshin einer Stimme, die so kalt wie Eis war und Ryosuke gefrieren ließ. „Sie hat keinen Platz in dieser neuen Zeit des Friedens. Sessha wird sie niemals irgend jemandem beibringen. Diese Geheimnisse werden mit ihm ins Grab gehen.“ Damit verließ er Ryosuke und ging zurück zu seinem Kostüm und den Wandschirmen. Diese so untypische Stimme, die Kenshin plötzlich gehabt hatte, ließ Ryosuke noch einen Moment da stehen und ihm hinterher starren. „Himura-san, warte!“ rief er schließlich, aber Kenshin war schon hinter den Wandschirmen verschwunden. „Naja,“ meinte Ryosuke zu sich selbst, „dann nicht. Ich wollte ihn eigentlich noch fragen, ob seine Technik wohl gegen einen Hitokiri ankommt. Immerhin soll ja einer in der Stadt sein...“ Er wurde unachtsam, genau das war es, schimpfte Kenshin mit sich selbst, als er mit seinem Kostüm zum Umziehen verschwunden war. Diese Leute gaben ihm das Gefühl von Geborgenheit und Willkommen-sein und er hatte angefangen, seine inneren Schranken abzubauen. Wenn er alarmiert gewesen wäre und wachsam, hätte er an Ryosukes Ki sofort gespürt, dass er unangenehme Fragen stellen würde, dass er nahe an der Wahrheit des Rurouni war, dass er nach dem fragen würde, was er niemals beantworten konnte. Kenshin vergewisserte sich jetzt, dass sein Gesicht nichts verriet, weder Glück noch Neugier und sicherlich nicht die Anspannung, die er jetzt fühlte. So bahnte er sich seinen Weg durch die Menge an Schauspielern, Requisiten und Instrumenten hinter der Bühne. Er hatte beschlossen, sich nicht hinter den Wandschirmen umzuziehen, sondern lieber draußen vor dem Theater, wo irgendwo der Wagen stehen musste. Er hörte hinter sich Ikukos Stimme, die seinen Namen rief, aber er ging einfach weiter, denn er wagte es nicht, sich jetzt mit jemandem zu unterhalten – nicht bevor er sich über die Dinge wieder im Klaren war. Der Wagen war nicht weit weg vom Theater geparkt und stand nahe einer Wand. Dankbar für diesen Sichtschutz lehnte sich Kenshin hinter den Wagen und starrte die Wand vor ihm an, bis seine Augen brannten. Er schloss sie und rutschte Langsam am Wagen hinab, bis er schließlich auf dem Boden saß und seinen Kopf zwischen seinen Händen vergrub. Wie naiv war er, zu denken, er könne bei dieser Familie bleiben? Sein Leben war einfach zu gewalttätig, zu blut-durchtränkt – zu verschieden. Er beneidete ihr scheinbar sorgloses Dasein, in dem Schwertkämpfe etwas waren, was man einstudierte und einem Publikum zur Belustigung aufführte, in dem Rache die milden Folgen eines Umzuges von Kyoto nach Kagoshima hatte. Er würde niemals in dieses Dasein hinein passen, nicht mit seiner Vergangenheit. Er erinnerte sich an den ersten Tag, an dem Ikuko ohne jeglichen Hintergedanken sein Schwert aus seinem Gürtel nehmen wollte und wie er ohne auch nur zu denken ihre Hand gepackt hatte, als ob sie ein Feind wäre. Er erinnerte sich, wie sehr er den jungen Bunjiro erschreckt hatte, als er ihm plötzlich ins Gewissen redete, was es wirklich hieße, zu töten. Am besten jedoch erinnerte er sich an den Gesichtsausdruck des Jungen, als er gestern die zertrümmerten Körper der Yakuza am Boden liegen gesehen hatte. Baiko hatte recht, er war kaputt und selbst jetzt, nach drei Jahren der Wanderung, nach drei Jahren verzweifelten Vergessens seiner früheren Existenz konnte er sich immer noch nicht sicher sein, dass er Herr über die Instinkte des Killers waren, die noch in ihm schlummerten. Er stand nun auf, seine Gedanken waren, wenn auch nicht ruhig, dann wenigstens gesammelt und er holte tief Luft. Seine Sinne angespannt versuchte er jede Form von Ki im oder um das Theater ausfindig zu machen. Die Ki der Männer der Familie waren ihm mittlerweile vertraut. Nichts besonderes, fühlte er, außer ein seltsames Gefühl – war es Triumph? – das von Orinosuke zu kommen schien. Vielleicht ist irgendetwas für ihn gut gelaufen, dachte Kenshin, aber als er sich intensiver darauf konzentrierte, erkannte er, dass Orinosukes Stimmung gefährlicher war – es war die Stimmung von jemandem, der einen Hinterhalt plant. Kenshin wusste, dass das einzig hinterhältige, was Orinosuke planen konnte, etwas mit ihm zu tun haben musste. Baiko hatte ihm vorhin versichert, dass die Leibwächter keine Gelegenheit hatten, mit Orinosuke zu sprechen – was aber, wenn Baiko sich geirrt hatte? Dann spürte er jemanden, der sich dem Hintereingang des Theaters näherte, einer der Jungen. Kenshin spitzte um die Ecke uns sah Bunjiro, der sich schon fertig verkleidet suchend umsah. „Kenshin-san?“ rief er, „wo bist du?“ Als er Kenshin sah, rannte er auf ihn zu, aber kaum war er fast da, stolperte er über eine Wurzel am Boden. Instinktiv riss er seine Hände nach vorne, um seinen Sturz aufzufangen aber statt dem Boden trafen seine Hände Kenshins verwundete Schulter. Kenshin fing den Jungen mühelos auf und stellte ihn wieder auf die Beine ohne jedoch vorher einen schmerzvollen Seufzer unterdrücken zu können. “Oh Nein, Kenshin-san, ich hab dich verletzt!” entschuldigte sich Bunjiro. „Bist du in Ordnung? Meine Oma hat mich ausgeschickt, um nach dir zu sehen.“ Kenshin zwang sich mit viel Mühe zu einem kleinen Lächeln. „Sessha geht es gut,“ versicherte er dem Jungen, wenn ihn auch das Gefühl beschlich, dass diese Worte alles andere als stimmten. „Ist es schon Zeit für mein Make-Up?“ Bunjiro jedoch hörte ihm gar nicht zu. Er starrte nur auf Kenshins Schulter. Kenshin folgte seinem Blick und sah einen kleinen Blutfleck auf seinem Gi. Bunjiros heftiger Schlag hatte seine Wunde geöffnet. „Oje, Kenshin-san, es tut mir so leid!“ brabbelte Bunjiro panisch. „Die Oma bringt mich um, wenn sie es merkt...“ Kenshin klopfte dem Jungen auf die Schulter. „Alles ist in Ordnung, Bunjiro-san, du musst dir keine Sorgen machen. Sessha hat schon schlimmeres ausgehalten. Du kannst deiner Großmutter sagen, dass ich in ein paar Minuten kommen werde. Ich gehe nur noch schnell die Wunde neu verbinden. Sicher würde es sie nicht freuen, wenn ich Blut auf eines ihrer Kostüme schmiere.“ Er lächelte den Jungen aufmunternd an. Bunjiro erwiderte ein kleines Lächeln und verschwand. In der Zwischenzeit packte Kenshin unter seinen Gi und sah, sehr zu seiner Erleichterung, dass die Wunde nur ein bisschen aufgerissen war. Er hatte nicht daran gedacht, Verbandszeug heute morgen mit aus der Herberge zu nehmen aber das kleine Döschen mit Heilsalbe hatte er noch in seinem Ärmel. Wenn er Glück hatte, würde das die Blutung auch relativ schnell stoppen. Er schwang sich in das Innere des Wagens und zog seinen Gi von den Schultern. Während er die Verbände um die Wunde ablöste, wurde es draußen plötzlich windig und eine frische Böe wehte durch den Wagen. Kenshin bekam eine plötzliche Gänsehaut und abwesend überlegte er, dass es wohl stark auf den Winter zuginge und er sich wirklich schnell um einen warmen Haori kümmern musste. Jetzt, da er die Wunde offengelegt hatte, sah er, dass es nur Glück gewesen war, dass nicht mehr Blut in seinen Gi gesickert war. Zwar war die Verletzung durch das Wurfmesser relativ klein, aber der Schnitt, den Baiko gemacht hatte, um die Wunde frisch bluten zu lassen und zu reinigen war tief. Er fluchte leise in sich hinein, bevor er die abgewickelten Bandagen nahm und sie fest auf die immer noch blutende Wunde drückte. Wenn er unauffällig bleiben wollte, dann musste das hier schnell aufhören zu bluten. Warum hatte er bloß nicht daran gedacht, wenigstens einige Pflaster mitzubringen, ärgerte er sich zum zweiten Mal an diesem Tag. Er hob gerade die Bandagen ein wenig an, um zu sehen, ob sich die Wunde schon schloss, als Ikuko in den Wagen kletterte. Sie warf einen kritischen Blick auf seinen Schulter. „Dieser Junge“, murmelte sie, „tss....“ „Es war nicht Bunjiro-sans Schuld, Ikuko-dono. Er ist nur gestolpert, das war alles.“ Er drückte die Verbände wieder auf die Wunde. „Sessha geht es gut.“ Ikuko wühlte in einer der im Wagen übrig gebliebenen Kisten und förderte ein Geschirrtuch zu Tage. Sie riss es in schmale streifen. „Sie sind sauber und geben gute Bandagen ab, oder nicht? So, jetzt lass mich mal machen....“ Kenshin musste lächeln angesichts der Fürsorge von Ikuko. Sie war die Geschäftigkeit in Person, als sie ein Tuch mit Wasser anfeuchtete und Kenshin vorsichtig vom Blut säuberte. „Habe ich das nicht erst gestern getan?“ meinte sie mit einem verschmitzen Lächeln. Milde überrascht sah Kenshin sie an. Er hatte gar nicht gewusst, dass es Ikuko gewesen war, die ihn gestern verarztet hatte. Irgendwie hatte er angenommen, es war Baiko gewesen. „Überrascht?“ kicherte sie. „Wenn du Mutter von drei zappeligen Jungen wärst und die Großmutter von noch mal vier, dann wärst du in so was auch recht geübt.“ Einen Augenblick später war die Wunde schon gereinigt und hatte aufgehört, zu bluten. Kenshin gab Ikuko die kleine Dose mit Heilsalbe und ließ sich von ihr einreiben. Fasziniert beobachtete er, wie sensibel sie mit Verletzungen umging im Gegensatz zu den Feld– und Lazarettärzten, die er gewöhnt war. “So,” sagte sie zufrieden, “alles fertig. Jetzt bleibst du noch kurz hier sitzen und wartest auf mich. Ich muss mich noch um die Kinder kümmern, aber gleich komme mich mit dem Make-Up zu dir.“ „Sessha muss also nicht zurück hinter die Bühne?“ Das würde bedeuten, er müsste nicht diese Köpfe anstarren, während sie ihn schminkte. Gott sei Dank! Sie strich ihm sanft über die Schultern. „Nein, hier drin geht es auch. Ich hab mir schon gedacht, dass du dich wohler fühlst, wenn nicht so viele Leute zuschauen,“ zwinkerte sie, bevor sie den Wagen verließ. Woher wusste sie das nur, fragte sich Kenshin. Kein Zweifel, er würde sie vermissen. Er zog nun seinen Gi ganz aus und wusch den Blutfleck in einer Schüssel Wasser ein bisschen aus. Während er den Stoff rubbelte, ließ er seinen Blick im Wagen umherschweifen. Er hatte heute Morgen Orinosuke mit Schreibsachen gesehen – und dies wäre jetzt die perfekte Gelegenheit, einen Brief an den Mann der Leibgarde Satsumas zu schreiben, der sich an ihm rächen wollte. Er drückte hastig das Wasser aus dem Gi und zog ihn wieder an. Dann stand er auf und fand die Box mit Schreibsachen unter einer der Bänke. Schnell öffnete er sie, entnahm ein kleines Blatt Papier, befeuchtete mit ein paar Tropfen Wasser den Tintenstein und nahm einen Pinsel zur Hand. Er hatte nicht viel Zeit, deshalb schrieb er schnell. „An den Samurai Ozawa,“ begann er. „Ich bin der Mann, den sie suchen, derjenige, der ihrem Bruder während Kinmon no Hen das Leben genommen hat. Er starb einen ehrenhaften Tod bei der Verteidigung unseres Kaisers. Es hat mir kein Vergnügen bereitet, ihrem Bruder das Leben zu nehmen. Ich führte nur die Befehlte meines Vorgesetzten aus, bedingungslos, wie es im Krieg verlangt wird. Wisse, dass dieser, den du suchst, bei Kriegsende geschworen hat, nie mehr zu töten und nun nur noch zur Wiedergutmachen für die Opfer seines Schwertes lebt. Wenn sie, trotz dieses Wissens, immer noch ihren Bruder rächen wollen, dann finden sie mich um Mitternacht am Ende des Pfades, der vom Miyazaki Jingu Schrein zu den Klippen führt. Gezeichnet von demjenigen, der einst als Hitokiri Battousai bekannt war.“ Seine Hand zitterte, während er den ihm verhassten Namen schrieb. Wenn er nur einfach zu Staub zerfallen könnte, wie all die Knochen seiner Opfer. Plötzlich hörte er Fußschritte – es war Ikuko. Es war keine Zeit mehr, die Schreibsachen verschwinden zu lassen und so blies er schnell die Tinte auf dem Brief trocken und faltete ihn eilig zusammen, während sie den Wagen betrat. Auf ihren überraschten Blick hin erklärte er lahm: „Um, Sessha hat sich nur ein paar Notizen für das Stück aufgeschrieben. Natürlich werde ich für das Papier bezahlen.“ Er fischte in seinem Ärmel nach einem Geldstück. Ikuko sah ihn seltsam an. „Naja, das ist ja sehr vorsorglich von dir,“ sagte sie. „Lass das Geld stecken. Ich wusste nicht, dass du das Schauspielern so ernst nimmst.“ Kenshin installierte schnell das schüchterne Lächeln in seinem Gesicht, während er so unauffällig wie möglich den Brief in seinem Ärmel verschwinden ließ. Dann beobachtete er nervös, wie Ikuko die Schminksachen auspackte – als erstes den schwarzen Kohlestift, dann die weiße Kreme und schließlich die rote Farbe für die Lippen. Er spürte, dass sie ihm im Augenwinkel musterte. Er hatte schon früh gelernt, dass sie sehr begabt war, seine Gefühle oder Stimmungen zu erraten. Er hoffte, dass sie jetzt nicht seine Schuldgefühle spüren konnte. Deswegen war er erleichtert, als er sie sagen hörte: „Mein Mann wird beeindruckt sein, wenn er hört, dass du dir Notizen geschrieben hast.“ Sie begann jetzt, ihm das Gesicht zu schminken. Auch wenn Kenshin die ganze Prozedur schon einmal durchgemacht hatte, zuckte er trotzdem bei ihrer Berührung instinktiv zurück. „Himura-san, erinnere dich an letztes Mal – nur meine Finger, kein Schwert,“ sagte sie. Kenshin befahl sich, ruhig zu bleiben während er die Kühle der weißen Kreme in seinem Gesicht spürte. „Weißt du,“ begann Ikuko zu plaudern in einem Versuch, ihn zu beruhigen, „du kannst deiner Liste ja noch ein paar Dinge hinzufügen , an die du denken musst. Zum Beispiel deine Autogrammstunde nach der Aufführung, die darfst du nicht vergessen.“ Autogrammstunde?! Kenshins Augen sprangen auf und plötzlich fiel Ikuko ein, dass Kenshin ja noch nie in einem Kabuki-Theater gewesen war. „Oh, du kennst das nicht? Naja, außerhalb des Theaters stehen traditionellerweise viele bunte Stände mit Leckereien, Souvenirs und sonstigem Krims-Krams. Wie auf einem Festival. Einige dieser Stände verkaufen Bilder von unseren Söhnen. Nach jedem Stück stürmen unsere Fans diese Stände und kaufen die Bilder. Danach kommen sie zu uns und warten darauf, dass wir sie signieren. Von dir gibt es zwar keine Bilder, aber vielleicht wollen die Leute trotzdem Autogramme. Dann musst du einfach mit „Shinosuke der Erste“ unterschreiben – der Bühnenname, der mein Mann für dich erschaffen hat. Irgendwann einmal sind solche Autogramme richtig wertvoll. Also, nach dem Stück gehst du raus zu den Fans und unterschreibst ihre Sachen.“ Wenn Ikuko nicht wie ein Schraubstock Kenshins Kopf gehalten hätte, wäre er wahrscheinlich auf der Stelle aufgestanden und gegangen. Wie sollte er denn jetzt nach dem Stück fliehen, wenn er noch Autogramme geben musste? Nicht nur dass – wie sollte er sicher sein, dass diese dicke Schminkschicht die Narbe vor den Leuten verbarg, wenn sie ihn von Nahem sahen? Er trat sich selbst in den Hintern, es abgelehnt zu haben, sich geschminkt im Spiegel zu betrachten. „Bitte, Ikuko-dono, verlangt das nicht von mir,“ wollte er sagen, aber alles was aus seinem Mund kam war, „Beee Eeeeeoodonoonooo, vvvvvllllnnggd ssss nnnncht vvvvnnn mmm.“ “Keine Angst, Himura-san,” lachte Ikuko, die Kenshins Worte erriet. „Byako-chan wird mit dir gehen. Er wird dir die Hand halten, falls dir noch einmal jemand einen Heiratsantrag machen sollte.“ Es dauerte einen Moment, bevor sich Kenshin aus Ikukos Griff befreite. „Moment! Habt ihr mir nicht eingeschärft, niemals die Illusion zu zerstören?!“ Ikuko lachte laut angesichts Kenshins empörtem Gesicht. „Himura-san, du bist süß. Ja, natürlich sollte man die Illusion nicht brechen. Aber was wäre gewesen, wenn dich jemand nicht nur angebaggert, sondern auch noch in die Wange gekniffen hätte? Oder wo anders hin?“ Sie lachte noch lauter, als sie sich alles bildlich vorstellte. „Ich sage es mal so: Zerstöre nie die Illusion, es sei denn, du hast keine andere Wahl. Als Ennosuke zum ersten Mal als Onnagata auf der Bühne stand und danach Autogramme gab, kam ein betrunkener Priester auf ihn zu und wollten ihn anmachen. Er hat einfach nur nett gelächelt und ihm seinen Fächer in die empfindlichste Stelle gerammt. Dann ging er weiterhin lächelnd und so ruhig, als ob nichts geschehen wäre, davon. Verstehst du, was ich sagen will?“ Kenshin verstand es und wenn das weiße Make-Up nicht gewesen ware, hätte Ikuko bemerkt, dass sein Gesicht nun genauso rot wie sein Haar war. Er hatte ja keine Idee gehabt, wie gefährlich es war, eine Onnagata zu sein. Dennoch musste er das jetzt durchstehen. Ikuko spürte, dass Kenshin sich anspannte und versuchte, ihn zu beruhigen. „Mach dir nicht zu viel Gedanken um den Auftritt heute. Shimazu-samas Leute werden nicht so sehr auf unser Stück konzentriert sein, nachdem das Gerücht umgeht, ein schrecklicher Hitokiri sei in der Stadt. Sie haben sogar einige Soldaten ankommandiert, die alle Eingänge des Theaters bewachen sollen.“ Kenshin wurde zu Stein. „Du hast doch von den Gerüchten gehört, oder nicht?“ fügte sie wegen seiner Reaktion hinzu. Sie hatte gerade ihren Pinsel in die rote Farbe getaucht und wollte nun Kenshins Lippen bemalen, doch sie hielt mitten in der Bewegung inne – es schien ihr, dass sein Gesicht unter der Schminke plötzlich jegliche Farbe verloren hatte. Sie senkte ihren Arm. „Reg dich nicht über solche Gerüchte auf. Sie behaupten, es wäre der gleiche Hitokiri, der auch Kyoto während des Bakumatsu terrorisiert hat. Derjenige, den sie Battousai den Attentäter nannten.“ Sie schüttelte sich. „Natürlich waren das damals schreckliche Zeiten. Dieser Hitokiri... man erzählte sich, dass er immer wie aus dem Nichts auf den Strassen auftauchte und dann wieder verschwand. Es machte einem Angst, überhaupt noch einen Fuß vor die Tür setzten zu müssen.“ Sie schüttelte die dunklen Erinnerungen von sich ab, nicht bemerkend, dass Kenshin seine Augen nun mehr als nur zudrückte und seine Fäuste geballt hatte. Er wusste, dass seine Taten damals die Leute in Kyoto verschreckt hatten, aber solche Dinge mit so einer angstvollen Stimme von Ikuko zu hören, war fast nicht zu ertragen. “Wie auch immer,” sagte sie, während sie den Pinsel erneut in die rote Farbe tauchte, “dass war vor langer Zeit und der Krieg ist jetzt vorbei. Also, wenn du mich fragst, dann machen diese Gerüchte nicht viel Sinn. Mein Mann stimmt mir zu - er sagt, dass es alles nur Panikmache ist. Natürlich meint unser ältester Sohn, die Gerüchte sind wahr und das dieser Hitokiri irgendwo mitten unter uns lauert, aber er denkt immer gleich an das Schlimmste. Ich nehme an, Shimazu-sama will einfach kein Risiko eingehen, deswegen der Aufmarsch.“ Sie bemalte jetzt Kenshins Lippen, der somit nichts erwidern konnte, auch wenn er gewollt hätte - was natürlich nicht der Fall war. „Also warum hier und warum jetzt?“ sinnierte Ikuko vor sich hin. „Dieser Battousai war vielleicht ein Killer – aber immerhin war er unser Killer! Ich meine, der Killer für die Patrioten. Also hätte er sicherlich keinen Grund, Shimazu-sama zu töten. Die neue Regierung hat ja Shimazu-sama so hoch geschätzt, dass sie ihn als einen der ersten Daimyos in Japan zu einem Gouvaneur ernannt haben. Viele andere wurden von ihrem Land enteignet und nach Tokyo beordert. Und der einzige Grund, warum wir und er nach Miyazaki reisen, ist dieser tauschendjährige Schrein, der wohl von dem ersten Kaiser überhaupt erbaut worden ist. Also kann es wohl kaum die neue Regierung sein, die ihn umbringen will.“ Sie trat einige Schritte zurück, um Kenshins Gesicht zu mustern und bemerkte, dass seine sonst so weichen, violetten Augen jetzt kalt glitzerten und angestrengt geradeaus starrten. „Du denkst doch nicht wie Orinosuke, oder? Ich meine, meinst du, ein Attentat würde während unseres Stückes stattfinden?“ Kenshin senkte seinen Blick und befahl seinem Körper, sich zu entspannen. „Die Zeit der Hitokiri ist vorbei,“ antwortete er endlich so ruhig, wie ihm möglich war, auch wenn seine Stimme rau klang. „Shimazu-sama muss sich um nicht Sorgen machen.“ Er konnte sehen, wie sie sich nach seinem Statement entspannte. „Gut, dass du so denkst,“ sagte sie erleichtert, während sie die Perücke auf Kenshins Kopf befestigte. „Du bist ja immerhin ein erfahrener Kämpfer. Ich wusste, dass du diese Dinge verstehen wirst.“ Sie griff hinter sich zu dem zusammengelegten Kostüm. “AAAAH!” schrie sie plötzlich. Kenshin packte instinktiv sein Sakabattou und stürzte auf Ikuko zu, entschlossen, sie vor welcher Gefahr auch immer zu beschützen. Aber mitten im Sprung hielt er inne und sah seinen Gegner, den Grund für Ikukos Schrei, vor sich - er war grün und quakte fröhlich aus einem Ärmel des Kostüms. „Eine Kröte?!“ Ikuko und Kenshin starrten perplex das Tier an, das munter auf den Boden sprang und aus dem Wagen hoppelte. „Oooohhh, Ryosukeee...“ grummelte Ikuko, „...dass ist seine Tat, das wette ich... wenn ich ihn in die Finger bekomme...!“ Kenshins Angespanntheit und Angst löste sich in Rauch auf, als er sich plötzlich laut über Ryosukes gelungenen Streich lachen hörte. „Nein Ikuo-dono, ich glaube, dass hier verlangt eine Revanche.“ Ein schelmisches Lächeln kroch Ikuko übers Gesicht. „Hast du da etwa schon einen Plan, Himura-san? Hoffentlich etwas heimtückisches.“ Kenshin überlegte einen Moment und fragte dann: „Hat Ryosuke sich schon für sein erstes Stück umgezogen?“ Ikuko schaute zum Hintereingang des Theaters. Sie konnte die Männer laut singen hören. „Wahrscheinlich noch nicht. Sie werden sich erst fertig einsingen. Warum?“ Kenshin trat an ihre Seite und schaute ebenfalls zum Theatereingang. Er hatte es richtig in Erinnerung – direkt neben der Tür wuchs ein dorniger Busch. „Ikuko-dono, wenn es eine Möglichkeit gäbe, ein oder zwei Dornen dieses Busches da in die Innenseite von Ryosukes Perücke zu schmuggeln...“ „Oh, Himura-san, du bist teuflisch. Eine brilliante Idee!“ Sie half ihm schnell beim Anziehen und ging dann schnell, um den finsteren Plan wahr werden zu lassen. Keine Viertelstunde später ertönte ein schmerzerfüllter Schrei aus dem Theater, gefolgt von dem wütenden Ruf, „Himura-san! Wo bist du, du dreckiger Bastard!“ Eine Welle von Gelächter folgte dem Fluchen Ryosukes. Tja, dachte Kenshin, Ryosuke wird nun in der richtigen Stimmung für den Auftritt sein. Er begab sich jetzt zu den anderen in den Backstage-Bereich, wobei er vorsichtig mit seinen hohen Geta-Sandalen vom Wagen kletterte und zu dem Hintereingang schritt. Hinter der Bühne war immer noch alles vollgestopft und voller Hektik und um niemanden zu behindern, setzte sich Kenshin an die hintere Wand auf eine Bank. Er sah die Männer, die nun alle fertig verkleidet waren, aber einige Kostüme an der Stange schienen noch auf ihre Besitzer zu warten. Er erkannte einige Roben, die nach Priesterkleidung aussahen und weitere sechs Soldaten-Kostüme. Kenshin wusste, das Ryosuke genau wie Orinosuke verschiedene Kostüme für die Stücke hatten – aber gleich so viele verschiedene? Da dämmerte es ihm. Die zwölf Kostüme waren für die zwölf Statisten, die Männer aus der Leibgarde vom Gouvaneur. Ihm wurde weiterhin klar, dass er ja nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter der Bühne mit diesen Männern zusammen treffen würde. Du Idiot, schimpfte er sich, denn hier saß er nun, ohne eine Waffe und für jeden gut sichtbar. Aber was würden sie sehen? Er hatte immer noch keine Idee, wie er als Frau wirklich aussah, da er von Anfang an penibel alle Spiegel vermieden hatte. Er verfluchte sich selbst für diese blöde Ideen, denn so wusste er nicht, ob er erkennbar war oder nicht. Noriko kam zu ihm und setzte sich neben ihn. Kenshin nickte ihr vorsichtig zu, darauf bedacht, die Perücke nicht zu arg zum wackeln zu bringen. Noriko nickte zurück. „Du siehst wirklich gut aus, Himura-sama. Meine Schwiegermutter hat gute Arbeit geleistet.“ Himura-sama? Nicht schon wieder. Noriko hatte nach dem Kampf mit den Yakuza begonnen, ihn so zu nennen. „Nicht -sama, nur -san,“ erklärte er ihr freundlich. „Wie du wünschst,“ sagte sie. „Bist du jetzt ein bisschen selbstsicherer mit dem Kostüm und der Perücke? Es muss schwer sein, wie ein Frau zu sein, wenn man nicht als solche geboren ist.“ „Ich weiß nicht, wie ich als Onnagata wirke. Sessha hatte noch nicht den Mut, sich im Spiegel zu betrachten.“ Noriko lachte leise. „So was hab ich schon gehört. Willst du dich jetzt vielleicht anschauen?“ Sie ging kurz zu einem Schrank und holte einen Handspiegel. Kenshin schloss seine Augen fest, hielt den Spiegel vor sein Gesicht und öffnete sie dann. Was er sah, war jemand Fremdes – ein Fremder mit seinen Augen, aber dennoch ein Fremder. Es kam ihm irgendwie unreal vor, nicht sein Gesicht im Spiegel zu sehen, aber er zwang sich, genauer hinzublicken. Da, auf seiner linken Wange war das zu sehen, was er gefürchtet hatte – trotz der dicken weißen Creme zeichnete sich die verräterische Narbe ab. Dennoch, man musste sehr nah an sein Gesicht, um sie zu bemerken. „Ich komme mir selbst unbekannt vor,“ sagte er schließlich zu Noriko. Noriko lächelte. „Ich bin sicher, du wirst unserer Familie mit deinem Auftritt alle Ehre bereiten.“ Dann ging sie zurück zu den anderen Frauen. Kenshin sah ihr hinterher und er spürte, dass er sie vermissen würde. Sie war eine der ersten aus der Familie, die ihm das Gefühl von Erwünschtheit gegeben hatte. Ennosuke war ein glücklicher Mann. Jetzt konnte er nichts weiter tun, als dazusitzen und zu warten und so überlegte er sich, wie er sich wohl nach dem Stück am besten aus dem Staub machen konnte. Gleich nach dem Auftritt verschwinden zu können war nun nicht mehr möglich. Vielleicht aber dann, wenn das große Drama, in dem er nicht mitspielte, begann? Er konnte sicherlich nicht viel länger warten. Sein Gedankengang wurde jedoch von Musik unterbrochen und er stellte fest, das die Frauen bereits ihre Stücke auf der Bühne spielten und das Publikum das Theater zu betreten begann. Er schloss die Augen und versuchte, sich für den Auftritt zu sammeln. Sekunden später riss er seine aber wieder auf, denn er spürte die Ki von den Soldaten. Ein schneller Blick zu der Hintertür und er sah die zwölf Leibgarden hereinkommen. Ohne nachzudenken stand er auf und griff nach seinem Schwert und schaffte es gerade noch, seine plötzliche Bewegung ein eine artige Verbeugung umzuwandeln. Doch erst jetzt merkte er, dass ihn die Männer nicht einmal zur Notiz genommen hatten. Natürlich, dämmerte es ihm. Er war ja eine Frau, und zwar eine Schauspielerin – also unter der Würde solcher stattlichen Kämpfer. Dennoch setzte er sich jetzt so weit wie möglich von ihnen weg und verdoppelte seine Anstrengung, nichts von seiner Ki nach außen dringen zu lassen. Unauffällig musterte er die Leibgarde und stellte erleichtert fest, dass keiner von ihnen bei dem Treffen von Shimazu’s Abgesandten und Katsura vor drei Jahren anwesend gewesen war. Wenigstens etwas Glück, dachte er. Andererseits bemerkte er auch, dass jeder dieser Kämpfer eine hervorragende Kämpfer-Ki hatte. Sie würden also nicht leicht zu täuschen sein. Er fragte sich, wer von ihnen sich wohl an ihm rächen wollte, aber es war unmöglich, das herauszufinden. Daisuke begann nun, die Soldaten einzuweisen und ihnen einzuschärfen, nach dem ersten Stück hier hinter der Bühne bereit zu stehen. Dann zerstreuten sie sich. Keiner von ihnen ging weit weg. Ein paar verließen das Gebäude, um sich zu unterhalten und Kenshin konnte ihr Gespräch durch die Wand hören. Sie prahlten mit ihren Eroberungen der letzten Nacht im Vergnügungs-Viertel der Stadt und weiteren Dingen, die Kenshin sich entspannen ließen. Dann hörte er die Bemerkung über eine seltsame Frau hinter der Bühne und spitzte plötzlich wieder die Ohren. “Habt ihr sie nicht bemerkt?” hörte er einen der Leibgarden sagen. „Hübsches, kleines Ding, aber sie hat keine Ki. Ist das nicht seltsam?“ Er hörte Gelächter und anzügliche Bemerkungen, dann, „Yukio-kun, wusstest du nicht, dass Frauen keine Ki haben? Sie sind leer und warten nur darauf, dass ein Mann kommt und ihnen Leben einhaucht.“ Mehr Gelächter. Dann wieder der erste Mann. “Wenn du verheiratet wärst, würdest du sowas nicht sagen. Irgendwas stimmt mit dieser Frau nicht, ich weiß nur nicht genau, was.“ „Wahrscheinlich stört dich die Tatsache, dass sie dich nicht schon vom ersten Moment an angehimmelt hat, was? Weißt du denn nicht, dass das gar keine Frau ist, sondern die Onnagata?“ Das Gelächter erreichte einen neuen Höhepunkt. „Ach so. Sie sieht aber verdammt zierlich aus für einen Mann.“ „Pass lieber auf und lass ihn das nicht hören. Immerhin hat diese Kabuki-Truppe die Yakuza erledigt, und das waren Samurai und sogar Ninja!“ „Wahrscheinlich hat er sie mit seinem Fächer platt gemacht!“ Röhrendes Lachen. „Naja, ich weiß trotzdem nicht,“ sagte wieder die Stimme des ersten Mannes. „Es ist nicht normal, keine Ki zu haben. Ich finde es gruselig.“ Kenshin hörte sie netterweise weggehen. „Wahrscheinlich,“ hörte er noch eine Stimme lachen, „versucht er, sich vor dem Hitokiri Battousai zu verstecken!“ „Scht! Wenn die hören, dass du diesen Namen erwähnst, dann bringst du uns nur in Schwierigkeiten.“ Dann waren die Stimmen außer Hörweite. Hübsches, kleines Ding? Verdammt zierlich? Kenshin wusste nicht, ob er sich jetzt beleidigt oder erleichtert fühlen sollte. Vielleicht eher das letztere. Immerhin würde niemand eine hübsche, zierliche Frau für Battousai den Attentäter halten. Er überlegte kurz, ob er die Stadt nicht im Kostüm verlassen sollte, aber verwarf den Gedanken dann. Er wäre so nicht im Stande, sein Sakabatou mit zu nehmen und außerdem wäre es nicht recht, das Kostüm zu klauen. Nein, nach dem Theater würde er sich umziehen und sich auf sein Talent, spurlos zu verschwinden, verlassen müssen. Er sah nun die kleinen Jungs, die mit ihren Akrobatikutensilien die Bühne betraten und mit lustigen Kunststücken das Publikum aufwärmten. Gleich danach würde er dran sein. Schnell überlegte er sich einen Plan: als erstes würde er nach dem Stück die Autogramme geben, dann sofort das Kostüm loswerden, seine Reisesachen aus der Herberge holen und verschwinden. Den Brief musste er noch irgendwie Ozawa zukommen lassen und bis Mitternacht musste er sich irgendwo verstecken, aber das würde nicht schwierig werden. Ryosuke kam jetzt auf ihn zu. „Zeit zu gehen?“ fragte Kenshin ihn. Ryosuke funkelte ihn mit unheimlich glitzernden Augen an. „Nicht ganz, Himura-san. Ich wollte dich nur warnen, dass ich mich für deinen Streich vorhin rächen werde – und zwar auf der Bühne.“ Kenshin lächelte. Trotz der Gefahren versprach das Stück lustig zu werden. Minuten später kam Daisuke hinter die Bühne und nahm Kenshin und Ryosuke mit nach vorne vor den Eingang zur Bühne. Nur Orinosuke und Ennosuke waren jetzt noch in dem Hinterzimmer. „Meinst du nicht auch,“ begann Ersterer, „dass es Zeit ist, die Familienhierarchie zu verändern?“ „Nicht schon wieder,“ stöhnte Ennosuke. „Du hast doch jetzt die Erlaubnis, nach Kyoto zu gehen! Reicht das nicht?“ „Ich will nur sagen, dass Vater nicht die richtigen Entscheidungen treffen kann. Kyoto zu verlassen war falsch. Diese verdammte Reise ins Niemandsland zu unternehmen, war falsch. Aber die Entscheidung, diesen Rurouni aufzunehmen? Ich sage dir, der Mann ist ein Killer. Diese Entscheidung von ihm bringt uns alle in Gefahr – die schlechteste in einer langen Reihe von Fehlentscheidungen. Ennosuke krallte seine Hand um die Lehne seines Rollstuhls. „Dieser Mann rettete mein Leben, hast du das vergessen?“ Entgegnete er wütend. „Ich unterstütze die Entscheidungen meines Vaters – auch die Entscheidung, in Kagoshima zu bleiben!“ „Und was wäre, wenn ich beweisen könnte, dass dieser Vagabund nicht nur irgendeiner, sondern der berüchtigtste und gefährlichste Killer ganz Japans ist?“ Ennosuke schaute seinen Bruder an. „Tu das. Beweise es mir. Dann werde ich meine Entscheidung vielleicht überdenken.” Dann rollte er weg zu seiner Tochter Nomi, die ganz allein in einer Ecke saß und die streitenden Männer mit angstvollen, großen Augen beobachtet hatte. “Heute Abend!” rief ihm Orinosuke hinterher. „Ich habe den Beweis heute Abend. Danach wirst du mich unterstützen und endlich wird wieder jemand vernünftiges diese Familie anführen!“ Ennosuke antwortete nicht sondern schaukelte liebevoll seine Tochter auf seinem gesunden Bein. Orinosuke funkelte ihm hinterher und stürmte dann mit angewidertem Gesichtsaudruck auf die Bühne, um Kenshins Stück anzukündigen. Anmerkungen: Nur noch zwei Kapitel, dann ist die FF fertig übersetzt... Ich hoffe, ich habe damit dem einen oder anderen eine Freude bereitet :) Falls jemand von euch Wünsche offen hat, dann nur her damit ^^ Vermutlich will ich als nächstes die FF "Out of Time" von SiriusFan13 übersetzen (zu finden auf FF.com)... aber ich bin auch für andere Vorschläge offen! Japanische Wörter: Onnagata: Der Mann, der im Kabuki-Theater weibliche Rollen spielt. Shimazu-sama: Ehemals Daimyo von Satsuma, jetzt Gouvaneur Sengoku: Zeit der streitenden Lehensreiche, 1481 – 1573 Haori: warmer Mantel Kinmon no Hen: die gescheiterte Choshuu-Attake auf den Kaiserpalast im Juli 1864 Nächstes Kapitel: Der finale Auftritt… Doch alles läuft anders, wie geplant... Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Zeit für den finalen Auftritt… Eine unerwartete Lektion Kapitel 11 Dämonen hinaus, Glück hinein war ein einfaches Stück: Es ist Setsubun-Zeit, die Zeit, in der alle Menschen die bösen Geister aus ihren Wohnungen vertreiben und sich dabei Glück für das restliche Jahr wünschen. Eine Witwe beschafft sich einen Talisman, der diese bösen Geister vertreiben soll – ein Sardinen-Kopf aufgespießt auf einen heiligen Zweig und dazu geröstete Sojabohnen - und fragt einen wandernden Exorzisten, ob er ihr Haus von allem Bösen reinigen könne. Aber ein Dämon, verkleidet in der Gestalt eines Reisenden, taucht auf und überzeugt die Witwe, ihm Einlass zu gewähren, in dem er ihr wunderschöne Kimonos aus seinem magischen Beutel zaubert. Die Witwe wird gierig und versucht, den Dämon betrunken zu machen, um ihm den magischen Beutel zu stehlen. Als sie schließlich versucht, auch den Kimono zu stehlen, den der Reisende trägt, erkennt sie seine wahre, dämonische Gestalt und bewirft ihn mit den Sojabohnen, um ihn auszutreiben. Egal, wie oft die Kabuki-Familie Kawayama dieses Stück aufführte, es brachte jedes Mal den ganzen Saal zum lachen. Deswegen war es schon seit Jahren im Stamm-Repertoire. Kenshin hörte vom Eingang der Bühne aus, wie Orinosuke das Stück und seine Schauspieler ankündigte. Er schloss schnell die Augen, um sich ein letztes Mal zu sammeln – und um sich gegen den Streich zu wappnen, den Ryosuke ihm auf der Bühne spielen würde. Was könnte er sich wohl alles ausgedacht haben? Mulmig stellte er fest, dass es da ziemlich viele Möglichkeiten gab... So betrat Kenshin mit wachsamem Blick und alarmierten Sinnen die Rampe, die zur Bühne führte. Er lief vorsichtig und die Rampe gab schon mal nicht unter ihm nach – so weit so gut. Er lief also bis zur Bühne und dann zu einem dort aufgestellten Tisch, auf dem er eine Kerze anzünden sollte. Er hörte in seinem Rücken Daisuke, der wandernde Exorzist, der dem Publikum in Kabuki-Singsang die Handlung erzählte. Kenshin nahm die Streichhölzer zur Hand, aber als er versuchte, eines anzuzünden, ging es nicht. Schnell nahm er ein Zweites, und als er danach griff, stellte er fest, dass jemand die Hölzer nass gemacht hatte (und er wusste auch genau, wer). Jetzt war nur noch ein Streichholz in der Packung übrig und er wurde langsam nervös, da es Zeit wurde, die Kerze endlich anzuzünden. Schnell versuchte er es ein drittes Mal und siehe da – dieses Zündholz war nicht nass und brannte. Erleichtert hielt er es an den Docht der Kerze und in dem Moment schoss plötzlich eine Meterhohe Flamme empor, die Kenshin nach hinten umwarf. Kenshin roch beim fallen den Geruch von Alkohol – anscheinend hatte jemand (und er wusste auch genau, wer) den Docht der Kerze damit eingerieben. Das Publikum lachte. Als nächstes musste Kenshin den heiligen Zweig mit dem Sardinenkopf an der Tür zu seinem Haus anbringen, wo er Daisuke, den Exorzisten, traf. Daisuke übergab ihm dann eine Kiste mit Sojabohnen. „Keine bösen Geister in DIESEN Bohnen,“ sang er dabei und Kenshin atmete erleichtert auf. Immerhin würde ihn dann bei der letzten Bohnen-Werf-Szene nichts Unangenehmes mehr überraschen. Schließlich war es an der Zeit, das Ryosuke seinen Auftritt machte und als er an der Tür klopfte und um Einlass bat, machte Kenshin sich auf das Schlimmste gefasst. Er ging zur Tür, öffnete und schrie, wie er sollte, beim Anblick des Dämons. Jedoch folgte Ryosuke brav dem Stück und tat nichts ungewöhnliches, während das Stück seinen weiteren Verlauf nahm. Wie es geschrieben stand, ließ er sich zum Trinken einladen. Doch Kenshin zweifelte, dass der Streich mit der Kerze schon alles gewesen war. Nun war es an der Zeit, dass Ryosuke die Kimonos aus seinem Beutel zauberte. Der erste war ein einfacher Kimono, wie Daisuke als Erzähler erklärte, doch Ryosuke zog einen Kimono aus dem Beutel, der für eine Königin gemacht sein könnte – tief blau mit Silberstickereien und blutroten Drachenornamenten. Kenshin musste, wie es im Stück geschrieben stand, diesen Kimono wie ein Stück Lumpen abtun. Das Publikum schmunzelte. Ryosuke zauberte dann denn zweiten Kimono hervor, welchen Daisuke als noch schöner wie den ersten beschrieb. Doch obwohl der Zweite in einem lieblichen Grün gehalten und mit schönen Kirschblüten bestickt war, war er kein Vergleich zu der Pracht des ersten Kimonos. Kenshin jedoch musste so tun, als ob dieser Kimono den ersten noch überträfe. Das Publikum verstand den Scherz. Jetzt, erzählte Daisuke, sollte Ryosuke den wunderschönsten Kimono hervorzaubern. Doch der dritte Kimono war so einfach und gewöhnlich, wie er nur sein konnte. Kenshin hingegen tat so, als ob er der schönste Kimono sei, den er je gesehen hätte. Das Publikum bebte vor Lachen. Als nächstes war die Szene dran, in der Kenshin den Dämon betrunken machen sollte. Seine Sinne warnten ihn, das Gefahr unmittelbar bevorstand. Und tatsächlich, kaum hatte er die Schalen auf den Tisch gestellt und sich umgewandt, um die Sake-Flasche zu holen, da hörte er Kichern aus dem Publikum. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Ryosuke dem Publikum zuzwinkerte und etwas in Kenshins Schale schüttete. Kenshin musste es nicht mal genau sehen – er wusste, dass es Wasabi-Puder sein musste. Wenn er jetzt den Sake dazuschütten würde, dann würde dieser beim Trinken so stark brennen, dass man damit eine ganze Stadt anzünden könnte. Es wäre zu dämlich, Ryosuke dieses Vergnügen zu gönnen, deshalb tat er so, als ob er dessen Missetat nicht bemerkt hätte. Zu Ryosukes Überraschung verbeugte er sich nur, als er mit der Flasche wieder zum Tisch kam. Jetzt war Ryosuke dran, aufzustehen, um seine Flasche Sake zu holen, und während dessen vertauschte Kenshin schnell die Schalen, um dann höchst befriedigt Ryosuke dabei zuzusehen, wie er einen Schluck nahm – und dann entsetzt keuchte. Das Publikum lachte Tränen. Ohne weitere Zwischenfälle ging das Stück weiter und schließlich war die Bohnen-Werf-Szene an der Reihe. Als der Dämon schließlich mit einem letzten Hagel von Sojabohnen vertrieben wurde, klatschte das Publikum begeistert. “Bei den Göttern, Ryosuke, du hast gut gespielt!” lachte Daisuke, als er die zwei Schauspieler hinter der Bühne in Empfang nahm. „Danke, Vater!“ Ryosuke strahlte. „Es hat wirklich Spaß gemacht, nicht wahr, Himura-san?“ Er klopfte Kenshin herzlich auf den Rücken. „Die Sache mit dem Sake war der Brüller, auch wenn ich mir das anders vorgestellt hatte.“ Kenshin lächelte und ging mit Daisuke und Ryosuke noch einmal auf die Bühne, um sich zu verbeugen. Dann gingen sie hinter in das Hinterzimmer. “Gleich wird uns der Gouvaneur treffen,“ verkündete Daisuke. „Unser Stück war wohl ein Hit und hat ihm gut gefallen. Auch du, Himura-san,“ fügte er hinzu, als er sah, das dieser bereits Richtung Ausgang gehen wollte. „Er will dich auch sehen!“ Kenshin blieb stehen. Den Gouvaneur treffen? Shimazu Hisamitsu? Der Mann, der einer der führenden Daimyos der Revolution war und als solcher genau wusste, wer und was der Hitokiri Battousai war. Trotz aller Verkleidung und Schminke wusste Kenshin, dass, wenn man ihn nur lang genug betrachtete, die Narbe auf seiner linken Wange zu erkennen war. Er musste weg. „Sollte Sessha nicht Autogramme geben?“ fragte er. Ryosuke lachte. „Himura-san, niemand gibt Autogramme, wenn er die Möglichkeit hat, statt dessen einen Gouvaneur zu treffen, und dann auch noch einen, dem unsere Stücke gefallen! Du hast vielleicht noch nie einen Daimyo getroffen, aber ich kann dir sagen, es ist nichts, wovor man Angst haben muss.“ Eigentlich, dachte Kenshin, hatte er schon eine Menge Daimyos getroffen – allerdings waren diese Treffen eher von kurzer Dauer gewesen und wurden von schwarzen Briefumschlägen arrangiert. Er verdrängte diese Gedanken schnell und ließ sich von Ryosuke mitzerren in den Hof hinter dem Theater, wo nun alle auf den Gouvaneur warteten. Der Hinterhof, in dem auch der Wagen stand, war von einer Mauer umgeben. Man konnte ihn nur vom Hinterausgang des Theaters erreichen oder durch ein Tor, das auf der gegenüberliegenden Seite in den Wald führte. Diese Tor öffnete sich nun und herein kam eine wahre Flut von Leibwächtern. Die eine Hälfte bildete eine Gasse, die andere postierte sich vor alle Eingänge und die übrigen bewachten den Gouvaneur und seine Frau, die nun einmarschierten. Kenshin trat einen Schritt zurück und überblickte schnell die vielen Gesichter der Leibgarde. In der ersten Gruppe erkannte er keinen und auch bei den Garden, die die Eingänge bewachten, war kein bekanntes Gesicht dabei. Doch dann erkannte er einen Mann, der zur persönlichsten Leibgarde des Gouvaneurs gehörte – er war auch bei dem Treffen vor fünf Jahren dabei gewesen, bei dem er der Bodyguard von Katsura gewesen war. Nur für einen kurzen Augenblick entglitt Kenshins Ki seiner Kontrolle und der bekannte Leibwächter spürte das sofort. Er spannte sich an und musterte mit wachsamen Blick den ganzen Innenhof nach der Quelle dieser Ki. Er fand jedoch keine und blieb so mit steinernem Gesicht neben seinem Herren stehen. Kenshin wusste jedoch, dass er jetzt alarmiert war und er sich keine weiteren Fehler mehr erlauben konnte. Der Gouvaneur trat nun vor und lobte Daisuke für seine weite Reise und das exzellente Stück. Des weiteren bedauerte er den Überfall und die Verletzung von Ennosukes Bein. „Meine Frau hat sich nur wegen ihm das Stück Dämonen Hinaus, Glück hinein gewünscht. Allerdings scheint sie jetzt sehr entzückt von dem Ersatzspieler, Shinosuke, zu sein. Ist das euer Enkel?“ Kenshin verbeugte sich schnell, weniger aus Höflichkeit als aus Vorsicht, sein Gesicht zu verbergen – denn nun schaute ihn Shimazu direkt an. „Euch hat Shinosuke gefallen?“ freute sich Daisuke. Er zog Kenshin nach vorne. „Ein neuer Schüler, Shimazu-sama, und ein sehr talentierter noch dazu!“ Es ertönte ein verlegenes Räuspern. „Ach ja, meine Frau!“ lachte Shimazu. „Sie möchte gerne Autogramme von allen.“ Kenshin verbeugte sich noch tiefer, aber Daisuke riss ihn hoch. „Das ist genug,“ flüsterte er in sein Ohr. Schnell pflasterte Kenshin das schüchternes Lächeln in sein Gesicht. Eine der Zofen der Frau des Gouvaneurs trat mit einem Fächer nach vorne, den zuerst Daisuke signierte, dann Ryosuke und schließlich auch Kenshin. Als die Zofe den Fächer zu ihrer Herrin zurückbrachte, wisperte diese ihr etwas zu. Die Zofe verbeugte sich und gab die Botschaft an Shimazu weiter. Dieser lachte. „Meine Frau fragt, ob es nicht möglich wäre, auch ein Autogramm von Orinosuke und dem jungen Ennosuke zu erhalten.“ „Natürlich,“ antwortete Daisuke und seine Brust schwoll an vor Stolz. Er befahl Kenshin, die beiden zu holen und danach seine Autogrammstunde zu geben. Kenshin verbeugte sich und eilte davon, so schnell er konnte. Er hatte die Aufmerksamkeit des bekannten Leibwächters auf ihm gespürt – anscheinend hatte auch er festgestellt, dass diese zierliche Frau keine Ki besaß. Kaum kam er in die Hinterräume des Theaters, als ihm Byako in die Arme lief. Erleichtert gab er den Auftrag Daisukes an den Jungen weiter. Dieser holte sogleich seinen Vater und Ennosuke, beide schon halb verkleidet und sichtlich nervös, jetzt den Gouvaneur zu treffen. Byako führte Kenshin unterdessen zum Vordereingang des Theaters, wo das Publikum schon auf die Autogramme wartete. Die Frauen starrten ihn alle erst verwundert und dann verärgert an. „Das ist aber nicht Ennosuke-sama,“ rief eine der Frauen aus. Eine andere murmelte wütend, „wir wollen Ennosuke-sama sehen!“ „Öhm,“ begann Byako sichtlich verwirrt von der unerwarteten Situation zu erklären, „wie vor dem Stück angekündigt, hat Shinosuke der Erste die Rolle der Witwe gespielt.“ Mehr Gemurmel. Dann eine weiter Frau: „Aber auf den Plakaten stand, dass Ennosuke spielt. Wir wollen Ennosuke-sama! Oder Daisuke-sama. Auch Ryosuke und Orinosuke-sama!“ Kenshin trat einige Schritte zurück. Wie man mit einer Horde wütender und frustrierter Frauen fertig wird, war eine Sache, die ihm sein Meister Hiko nie beigebracht hatte. „Wir sollten besser gehen,“ flüsterte er Byoko verzweifelt zu. „Oh Nein, das können wir nicht,“ flüsterte dieser zurück. „Meine Mutter bringt mich um. Die Autogramme bringen viel Geld!“ Schnell überlegte er sich eine andere Taktik. Mit so theatralischer Stimme, wie er als neunjähriger vermochte, verkündete er: „Ennosuke-sama wurde auf unserer Reise durch einen schrecklichen Unfall verletzt. Unser Wagen fiel auf ihn und brach ihm ein Bein. Es war Shinosuke hier, der ihn gerettet hat! Wenn Shinosuke nicht gewesen wäre, dann wäre Ennosuke-sama jetzt vermutlich tot!“ Die Frauen verstummten kurz vor Schreck, bevor sie alle riefen, „Oh Nein, Ennosuke-sama! Ist er jetzt tot?“ „Nein, nein,“ versicherte Byako schnell, „er ist wohlauf und gibt nachher auch Autogramme. Aber in der Zwischenzeit – warum sich nicht ein Autogramm von seinem Lebensretter sichern?“ Byakos Ansprache zeigte offensichtlich Wirkung, denn plötzlich verwandelte sich der Ärger der Frauen in Dankbarkeit und sie alle umringten Kenshin und wollten nun doch Autogramme. Kenshin unterzeichnete nun schon zehn Minuten die ihm entgegengestreckten Fächer, Bilder und Sonstiges, aber es nahm noch kein Ende, denn die Nachricht von seiner heldenhaften Tat hatte sich offensichtlich wie ein Lauffeuer verbreitet. Plötzlich tauchte Baiko neben ihm auf. „Was machst du noch hier?“ fragte er leise. „Ich dachte, du wärst schon... du weißt schon...nicht hier.“ „Ich weiß,“ sagte Kenshin erschöpft, während er eine neue Flut von Fächern signierte, „aber Ikuko-san hat mich hierzu beauftragt. Sessha hatte keine Wahl.“ Er konnte nicht mehr sagen, da Byako neben ihm stand. „Naja, dann komm später zu mir,“ meinte Baiko. „Ich muss dir was wichtiges erzählen.“ Dann verschwand er wieder in der Menge. Es dauerte noch fast fünfzehn Minuten mehr, bevor der Ansturm auf Kenshin nachließ. „Meinst du, ich kann mich umziehen gehen? Falls noch mehr Fans kommen, kann ich schnell ein paar Fächer auf Vorrat unterzeichnen.“ Byakos Gesicht hellte sich auf. Er fand es langsam langweilig, herumzustehen und wollte auch fertig werden. „Gute Idee.“ Kenshin signierte schnell an die zwanzig Fächer und verschwand dann in der Menge auf der Suche nach Baiko. Er fand ihn schließlich ganz am Rande des Vorhofes nahe den Essensständen, wo er gerade ein Schälchen Nudeln leergegessen hatte und sich die Finger leckte. „Sehr gut, die Nudeln,“ begrüßte er ihn schmatzend, „solltest du auch mal probieren.“ Kenshin zog ihn vom Stand weg. „Sobald das nächste Stück beginnt, werde ich mich umziehen. Danach hole ich meine Sachen in der Herberge und bin weg.“ „Warte mal,“ unterbrach ihn Baiko, „darüber wollte ich doch mit dir sprechen. Es gibt da nämlich ein Problem. Weißt du noch, die Samurai, die dich beim Plakate-Aufhängen gesehen haben? Anscheinend haben sie die Nachricht, dass du-weißt-schon-wer in der Stadt ist, schnell verbreitet. Ich denke, spätestens jetzt weiß ganz Miyazaki über dich bescheid. Es ist sicher nicht klug, sich in der Herberge blicken zu lassen. Wenn du noch ein bisschen wartest, dann gehe ich schnell hin hole deine Sachen. Ich soll sowieso noch was für Daisuke mitbringen.“ Kenshin überlegte. Immerhin würde es auch noch etwas dauern, bis er sich umgezogen und abgeschminkt hatte. „Ok,“ erklärte er sich einverstanden, „Sessha wartet auf dich.“ „Gut,“ nickte Baiko und legte Kenshin den Arm auf die Schulter, „sobald alle wieder im Theater sind, gehe ich los.“ Einige der Gäste an einem Sake-Stand sahen in diesem Moment zufällig zu ihnen herüber und für sie sah es so aus, als ob Baiko eine überaus hübsche Geisha umarmte und sie fingen an zu lachen und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Als Kenshin sich auf den Rückweg zum Theater machte, folgten sie ihm. Man brauchte nicht viel Talent, um das zu merken und noch dazu war der Alkoholdunst, den die Männer verströmten, ziemlich penetrant – dennoch war Kenshin überrascht, als sich plötzlich Arme von hinten um ihn legen wollten, um ihn zu umarmen. „Hey Leute! Ne freie Geisha unnoch dazu eine Gutaussssehende!“ lallte einer der betrunkenen Männer. „Vielleicht unterhält sie uns ja, wenn wir gut bezahlen?“ Kenshin schlug schnell die Arme, die ihn umfassen wollten, weg und wäre dabei beinahe in den hohen Geta umgefallen. Schnell zückte er seinen Fächer und versteckte sein Gesicht dahinter, so, wie es beschämte Frauen tun würden. Leider schreckte das die Männer überhaupt nicht ab und die nächsten, grapschenden Hände streckten sich ihm schon entgegen. Kenshin schlug hart mit dem Fächer auf die grapschende Hand und danach drückte er ihn dem Mann unters Kinn. Dieser heulte kurz vor Schmerz auf, aber danach war er umso begieriger, diese widerspenstige „Geisha“ zu bekommen. Diesmal griff er nach Kenshins Schulter, um ihn zu sich zu ziehen und zu küssen. Kenshin trat schnell zurück und der Mann griff ins Leere. Eigentlich wollte er doch nur so schnell wie möglich im Wagen verschwinden und sich umziehen – er hatte jetzt keine Geduld für solche Spielchen. Deswegen fauchte er mit so tiefer Stimme wie möglich, „Ich bin keine Geisha. Ich bin Shinosuke der Erste, ein Mitglied der Theatergruppe!“ „Oooh, es ist einer dieser mädchenhaften Männer!“ rief einer der Betrunkenen aus und sie lachten alle laut, während Kenshin schnell davon ging. „Hey, wir sind bezahlende Kunden!“ rief ihm der erste Mann hinterher, der offensichtlich nicht locker lassen wollte. Er versuchte, abermals Kenshin zu packen, doch dieser drehte sich um und sagte mit einer Stimme, die den meisten Männern vor Angst die Haare hätte zu Berge stehen lassen: „Es ist besser für dich, wenn du mich jetzt in Ruhe lässt.“ Leider war der Mann einfach zu betrunken, um den gefährlichen Unterton in Kenshins Stimme wahrzunehmen. Was hatte Ikuko ihm noch gleich geraten, wenn er in Schwierigkeiten kommen sollte, überlegte Kenshin. Die aufdringlichen Männer mit galanter Gewalt loszuwerden. Innerhalb eines Augenzwinkerns packte Kenshin den nach ihm ausgestreckten Arm des Mannes und riss ihn nach oben – dem Mann klappten die Beine weg und er fiel wie ein nasser Sack mit einem Keuchen auf den Rücken. Es passierte alles so schnell, das die anderen Männer Kenshin nur verblüfft anglotzten – doch dieser hatte schnell seinen Fächer wieder aufgeklappt und lächelte ein geheimnisvolles Lächeln. Das war zuviel für die Männer – schnell zogen sie ab und schleiften auch noch ihren ausgeknockten Kameraden mit sich. Kenshin eilte nun zu dem Wagen, der im Hinterhof stand. Erleichtert ließ er die Menge hinter sich, die ihn äußerst angespannt und nervös gemacht hatte – denn er hatte permanent Angst gehabt, dass ihn vielleicht jemand im Gedrängel anrempeln oder umwerfen könnte oder er seine Perücke verlieren könnte. Und bei so vielen aus der Leibgarde Shimazu’s wäre er sofort erkannt worden. Mit einem aufatmenden Seufzer betrat er nun den Hinterhof, der inzwischen verlassen und leer war. Er hörte die Trommeln, die das Ende er Pause ankündigten. Jetzt war sein Moment zu verschwinden gekommen. Kaum wollte er jedoch in den Wagen klettern, als zwei Kinder ihren Kopf aus dem Eingang streckten. „Du kannst hier nicht rein,“ riefen sie – es waren Saburo und Oda, die Kinder von Ryosuke. „Warum nicht?“ fragte Kenshin irritiert. Er wollte so schnell wie möglich seine Perücke und den Kimono loswerden. „Weil Nomi-chan ihren Mittagsschlaf macht.“ „Mach ich gar nicht!“ rief ein Stimmchen aus dem Inneren des Wagens. Saburo rollte die Augen. „Solltest du aber, sonst wird die Tante böse! Mindestens eine halbe Stunde, hat sie gesagt!“ Kenshin zögerte. Er hätte nicht damit gerechnet, dass die Kinder hier sein würden, während er sich umziehen und flüchten wollte. Sicherlich könnte er irgendeine Geschichte erfinden, um die beiden Jungen vom Wagen wegzulocken. Aber er musste auf jeden Fall in den Wagen klettern, um dort seine Zori und sein Sakabatou zu holen. Doch dort schlief – oder besser gesagt, schlief nicht – das Mädchen, das sich immer so gern an seine Beine hing und ihn nicht mehr loslassen wollte. Er setzte sich auf die Einstiegs-Stufen. Da er sowieso noch auf Baiko warten musste, war die Situation noch nicht besonders dramatisch. Eine halbe Stunde würde Nomi noch schlafen und eine halbe Stunde würde auch Baiko noch brauchen. Jetzt saß er also da und hatte nichts zu tun, außer den beiden Jungs, die nun vom Wagen herabgeklettert waren, im Hof beim Spielen zuzuschauen. Doch entspannen konnte er sich dabei nicht – er war angespannt, ängstlich und nervös, denn er wollte endlich fertig zum gehen sein. Am liebsten hätte er gleich sofort das dämliche Kostüm von sich gerissen – es fühlte sich irgendwie unangenehm hilflos an, als Frau verkleidet zu sein. Die zwei Jungs spielten unterdessen fröhlich ein Ballspiel und lachten ausgelassen, während der Ball zwischen ihnen hin und her kullerte. Plötzlich driftete Kenshin ab in seine Erinnerungswelt – das Lachen der Kinder rief in ihm das Bild von seinem und Tomoes Haus in Otsu wach – sie beide hatten dort auch immer mit den Kindern aus den Nachbardörfern gespielt, wenn ihre Eltern auf dem Feld bei der Arbeit waren. Er wusste gar nicht mehr, wie genau es passiert war, aber eines Tages hatten ihn die Kinder dazu gebracht, mitzuspielen. Er wusste noch, wie ironisch es gewesen war: Er hatte einen bösen Shinsengumi-Anführer spielen müssen, der gegen die heroischen Ishin Shishi-Kämpfer verliert. Er erinnerte sich, wie sehr er es genossen hatte, die spielenden Kinder bei sich zu haben, denn in seiner eigenen Kindheit hatte er nie Spielkameraden oder überhaupt Zeit für Vergnügungen dieser Art gehabt. Gerade das hatte ihn umso entschlossener gestimmt, die neue Zeit des Friedens so schnell wie möglich herbeizuführen – damit diese Kinder, wie Oda und Sabura, niemals das erleiden mussten, was Kenshin unter dem brutalen Regime der Bakufu passiert war. Und tatsächlich, er hatte es geschafft – das Bakufu war gestürzt. Doch warum fühlte er sich jetzt überhaupt nicht glücklich, wenn er diesen Kindern beim spielen zu sah? War es nicht das, was ihn immer dazu gebracht hatte, weiterzumachen – damit Kinder in Frieden spielen könnten, ohne Angst vor einen plötzlichen, gewaltsamen Tod oder Unterdrückung und Sklaverei. Warum nur fühlte er sich jetzt aber so leer? Langsam dämmerte es ihm – er wollte nicht gehen! Er wollte lieber bei dieser Familie bleiben. Warum sonst war ihm seit der Mittagszeit eine Ausrede nach der anderen eingefallen, um länger bleiben zu können? Allein aus Vernunft hätte er schon vor Stunden gehen müssen. Doch eigentlich wollte er bleiben. Er fühlte sich bereits als Teil dieser Familie und es tat weh, sie verlassen zu müssen. Doch da war noch mehr. In seinem Leben war er bisher immer von Gewalt und Tod umgeben gewesen – der Tod seiner Eltern an der Cholera, die Brutalität der Sklavenhändler und schließlich das Blutbad des Bakumatsu. Hiko hatte ihm den Weg des Schwertes beigebracht und er würde für immer dafür dankbar sein, aber es war nur ein Weg, sein Leben zu führen. Damals hatte ihn diese beschränkte Ansicht dazu gebracht, als Killer die göttliche Gerechtigkeit über die Feinde der Ishin Shishi zu bringen. Aber jetzt hatte ihm diese Familie noch einen anderen Weg gezeigt - den Weg der Schauspieler, die mit ihren Stücken den Menschen Freude und Glück brachten anstelle von Tod. Sie hatten es nicht nur geschafft, dass er sich selbst wieder lachen hörte sondern auch, dass er es sogar genoss, andere über sich lachen zu hören. Nach der Dunkelheit des Bürgerkrieges und der Einsamkeit der Jahre des Wanderns waren dies alles kleine Sonnenstrahlen, die plötzlich in sein Leben traten – und er wollte sie nicht verlieren. Wenn nur Orinosuke nicht unbedingt die Wahrheit über ihn herausfinden wollte... Wenn doch nur der eine Leibwächter ihn auf der Strasse nicht erkannt hätte... Kenshin seufzte. Baiko hatte recht. Jede Chance, ein normales Leben im Kreise einfacher Menschen zu führen, hatte er sich in dem Moment genommen, da er ein Hitokiri geworden war. Dennoch hatte er unendliche Sehnsucht nach so einem Leben. Die letzten Tage hatte er sogar fast vergessen können, das er kein Recht auf so ein Leben hatte. Nein, sein Los im Leben war das endlose Wandern und das Büßen für die Schuld, die er auf sich geladen hatte, dass würde er nie vergessen. Er versuchte sich jetzt innerlich zu verhärten, denn er wusste, dass er trotz all seiner Wünsche, zu bleiben, dennoch so schnell wie möglich gehen musste. Gefahr lauerte jetzt überall, nicht nur in der Form von Orinosuke, sondern auch im Theater in der Form des Leibwächters, der noch eine Rechung mit dem Hitokiri Battousai offen hatte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich lauter Applaus aus dem Theater drang. Die Jungs hörten mit dem spielen auf, riefen Kenshin ein „Bis später!“ zu und eilten schnell zum Theater, aus dessen Hintereingang gerade Ennosuke mit Krücken herauskam. Kenshins Chance. Selbst wenn Ennosuke jetzt zum Wagen wollte, es dauerte etwas, bis er mit den Krücken über den Hof gehumpelt sein würde. Alles, was Kenshin jetzt nur noch brauchte, war sein Sakabatou und seine Zori – danach würde er über die Mauer des Hofes spirngen, sich irgendwo im Wald umziehen und das Kostüm dort liegen lassen, wo man es schnell finden würde. Doch kaum wollte er in den Wagen springen und Nomi, die es sicherlich kaum erwarten konnte, herausheben, als er sie eingeschlafen fand. Unglücklicherweise lag sie auch noch gerade so ausgestreckt vor dem Eingang, dass Kenshin kaum vorbeikommen würde, ohne sie zu wecken. Diese Minute des Zögerns reichte Ennosuke schon, um den Hof zu durchqueren und Kenshin zu winken. Resigniert drehte sich Kenshin um und winkte zurück. „Was machst du hier?“ fragte Ennosuke lächelnd. „Will die kleine Nomi immer noch nicht einschlafen?“ Kenshin lächelte unschuldig. „Sessha wollte sich eigentlich umziehen, aber Nomi-chan schläft jetzt im Wagen tief und fest.“ Das war wahr, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. “Ah, endlich,” sagte Ennsuke. „Die ganze Zeit hat sie krampfhaft versucht, wach zu bleiben.“ Er lehnte sich an den Wagen. „Naja, jedenfalls wollte ich dir nur sagen, dass du dich noch nicht umziehen kannst. Nach dem letzten Stück gehen wir alle noch einmal gemeinsam auf die Bühne um uns zu verbeugen.“ Kenshins Lächeln erlosch. Noch eine Aufschiebung? Er musste gehen, und zwar jetzt. Aber wenn jetzt auch noch Ennosuke um ihn herumstand und sich mit ihm die Zeit bis zum Ende vertreiben wollte, dann war es so gut wie unmöglich, unbemerkt zu verschwinden. Schnell ging er im Kopf verschiedene Möglichkeiten durch, die ihm jetzt noch offen standen. „Ennsuke-san,“ begann er, als ihm etwas eingefallen war, „solltest du nicht Autogramme unterzeichnen?“ „Ach, die Fans sind jetzt alle im nächsten Stück,“ antwortete Ennosuke. „Bis zur Pause wird keiner ein Autogramm wollen. Warum?“ „Ach, nur so,“ sagte Kenshin mit dem schnell in sein Gesicht gehefteten schüchternen Lächeln obwohl es in seinem Inneren jetzt ziemlich düster aussah. Da saß er nun, zusammen mit Ennosuke, der sich auf die Wagenplanke gesetzt und sein Bein hochgelegt hatte. Kenshin saß steif wie ein Stecken neben ihm und unangenehme Stille machte sich breit. Ennosuke sah immer wieder zu ihm herüber. Er hatte bisher noch nie die Möglichkeit gehabt, sich diesen jungen Mann genau anzuschauen, auch wenn das jetzt mit ihm in einem Frauenkostüm auch nicht besonders gut möglich war. Er versuchte sich, an ihr letztes Gespräch zu erinnern, das in ihm so viele Fragen hatte wach werden lassen. Irgendetwas musste es an Himura doch geben, dass seinen ältesten Bruder Orinosuke so misstrauisch sein ließ. „So,“ sagte Ennosuke deswegen nach einer längeren Pause, „du bist also eigentlich auf dem Heimweg nach dem Krieg in Aizu und Hokkaido, genau wie Baiko-san? Bist du wie er auch aus Satsuma?“ Kenshin spürte, das irgendetwas Ennosuke zu schaffen machte, aber er antwortete so unbedarft wie möglich, „Wie ich? Oh nein, Sessha ist nicht aus Satsuma.“ Er lächelte etwas unbeholfen und albern, so wie ziemlich häufig in letzter Zeit. Besser, sich dumm zu stellen, entschied er. „Oh, ich hatte angenommen... Was bringt dich dann so weit nach Süden?“ Bei Kenshin klingelten die Alarmglocken. Ennosuke war ein guter Schauspieler – seine Stimme klang ganz normal – aber Kenshin wusste instinktiv, dass hinter diesem Gespräch mehr als nur oberflächlicher Informationsaustausch steckte. Ausfragen wollte Ennosuke ihn – mit keiner bösen Absicht, aber trotzdem. Kenshin beschloss, dem schnell ein Ende zu machen. „Sessha wollte nur nach Süden, um den Winter im Warmen verbringen zu können.“ „Das ist eine gute Idee,“ antwortete Ennosuke. „Kagoshima ist bekannt für seine warmen Winter...“ Aber Ennosuke wollte es dabei nicht bleiben lassen. Es war irgendwas an Kenshin, dass Orinosuke so zu schaffen machte – und sein ältester Bruder irrte sich so gut wie nie. Irgendein Geheimnis musste es also geben. „So, wenn du nicht aus Satsuma bist, dann warst du wohl auch nicht mit der Armee aus Satsuma im Krieg. Mit wem hast du dann gekämpft?“ fuhr er in gleichgültigem Ton fort. Dieser Mann wollte nicht aufgeben. Seine Worte mit Bedacht wählend antwortete Kenshin, „Sessha war bei den Ishin Shishi.“ Besser nicht zu genau sein, dachte er und für einen kurzen Moment meinte er, Ennosukes Neugier sei befriedigt. Aber er lag daneben. „Ishin Shishi? Die Patrioten während des Bakumatsu? Aber das war vor Jahren.” Er schaute noch einmal zu Kenshin. „Du bist doch in meinem Alter, oder nicht? Vielleicht etwas jünger? Sicherlich hast du damals noch nicht gekämpft...“ “Sessha hat nach der Schlacht bei Toba Fushimi seinen Dienst niedergelegt,” unterbrach ihn Kenshin. Er wusste, dass das eine sichere Antwort war. Tausende Soldaten aus dem ganzen Land hatten nach dieser Schlacht ihren Dienst quittiert, egal aus welcher Provinz. Ennosuke musste wirklich nicht mehr wissen. “Aha,” nickte Ennosuke wissend. Dann, nach ein bisschen Kopfrechnen sagte er, “also musst du damals ungefähr 18 Jahre alt gewesen sein. Ja, das macht Sinn. Und damals hast du dich entschlossen, niemals mehr zu töten, oder? Das verstehe ich. Selbst hier im Süden, wo die Neuigkeiten schon veraltet sind, bevor sie überhaupt ankommen, hörten wir, das diese Schlacht bei Toba Fushimi ein sehr grausames Gemetzel gewesen war.“ „Hm,“ war alles, was Kenshin darauf antworten konnte. Er stand jetzt auf und vertrat sich etwas die Beine. Außerdem wollte er noch mehr Fragen von Ennosuke aus dem Weg gehen. Er lief ein Stück die Mauer entlang, bis er mehr fühlte als hörte, das Baiko sich dem Tor näherte. Wenige Sekunden später rannte Baiko, bepackt mit ihrem Gepäck und den Bettrollen, zielstrebig auf den Wagen zu – und versteinerte mitten im Rennen, als er Kenshin noch voll verkleidet im Hof stehen sah. Dieser eilte schnell auf ihn zu, bevor Ennosuke fragen stellen konnte. „Himura, was zur Hölle...?“ stotterte Baiko und legte das Gepäck neben den Wagen. „Sch...“ sagte Kenshin schnell. „Nomi-chan schläft,“ und mit einem bedeutungsvollen Blick, „im Wagen.“ „Im... Was?“ „Deinem Freund hier war in seinem Kostüm so bange, dass er sich schnell umziehen wollte... aber leider schläft im Wagen gerade Nomi-chan,“ erklärte Ennosuke unterstützend. Baiko sah von Ennosuke zu Kenshin zum Wagen und wieder zurück. Er verstand die vertrackte Situation – Kenshin saß fest. Er packte die Wandersachen und warf sie Kenshin zu. „Die verstauen wir jetzt erst mal vorne unter der Sitzbank des Wagens.“ Er packte Kenshin am Kimonoärmel und zog ihn mit sich. „Ich dachte, du wärst schon längst weg!“ flüsterte er ihm aufgeregt zu. „Ich konnte nicht,“ erklärte Kenshin schnell, „Nomi-chan schläft genau vor dem Eingang, und bevor ich hineinkam, tauchte auch schon Ennosuke auf.“ Baiko seufzte. “Naja, hoffentlich klappt es bald. Noch etwas anderes: Du willst doch diesem Typ, wie hieß er Ozana? Ozumi?“ „Ozawa,“ korrigierte Kenshin. „Genau, du willst ihm doch einen Brief hinterlassen, oder nicht? Ich denke mal nicht, dass du den Brief hier im Theater übergeben willst, oder?“ „Das wäre nicht gerade klug, nein.“ „Gut, das habe ich mir auch gedacht. Deswegen habe ich den Wirt der Herberge gefragt, ob er wüsste, wo man Shimazu-sama und seine Leibwächter finden kann. Es stellte sich heraus, dass er bei einem anderen hohen Tier, irgendeinem Präfekten, übernachtet – aber die Leibwächter sind in einem Gästehaus gegenüber untergebracht. Anscheinend nicht weit weg von unserer eigenen Herberge.“ Kenshin griff abwesend nach dem Brief in seinem Ärmel. Diese Information war gut, sie würde ihm später wertvolle Zeit sparen. „Danke,“ sagte er zu Baiko. „Und, erzählst du mir, wo und wann du den Typ treffen willst?“ fragte Baiko weiter. Kenshin schaute überrascht. „Baiko, das ist nur eine Sache zwischen mir und diesem Mann.“ „Ich weiß, ich weiß... aber weißt du... Ich meine, was, wenn dir was passiert... du bist alleine... also, du hast ja selbst gesagt, bei einem Schwertkampf hat man die Gewissheit, wer...“ Kenshin lachte leise. „Baiko, Sessha wird es gut gehen, aber wenn du es unbedingt wissen willst: Wir treffen uns in der Waldlichtung hinter dem Schrein um Mitternacht.“ Baiko lächelte schwach. „Ja, dir wird es gut gehen,“ bestätigte er, aber entschloss sich gleichzeitig, irgendwo in der Nähe alles zu beobachten, nur um sicher zu gehen. Baiko ging nun zurück zu Ennosuke und Kenshin hörte die beiden plaudern und lachen. Dann folgte wenig später das Geräusch von Applaus aus dem Theater und er sah Bunjiro, der von der Tür aus Ennosuke zuwinkte. Baiko half Ennosuke beim aufstehen und die beiden eilten zum Hintereingang, Kenshin alleine im Innenhof zurücklassend. Nun ja, er war nicht ganz alleine: kaum hatten Ennosuke und Baiko den Eingang erreicht, als sich der Hof mit den Leibwächtern füllte, die im Stück als Statisten mitgewirkt hatten. Trotz ihrer Kostüme hätte jedoch niemand diese Männer für echte Schauspieler gehalten. Jedenfalls sagten Kenshin seine gut trainierten Sinne, dass jeder dieser Soldaten ein gut ausgebildeter Samurai war und dass ihn einer dieser Soldaten ziemlich häufig anstarrte. Egal wie – in ein paar Minuten musste er einfach verschwunden sein. Er stieg von der Hinterseite aus auf den Wagen um so die schlafende Nomi wenigstens nicht zu wecken. Doch zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass irgendjemand diesen Eingang mit lauter Kisten zugestellt hatte. Er knurrte unbehaglich. Jetzt musste er einfach von der Vorderseite in den Wagen steigen, egal ob Nomi wach wurde oder nicht. Vorsichtig raffte er seinen Kimono und stieg über das schlafende Kind, seine Hand nach dem Platz ausstreckend, wo er sein Sakabattou hingelegt hatte. Seine Hand griff jedoch ins Leere. Kenshin lehnte sich vor, um besser sehen zu können, doch sein Sakabattou, genau wie seine Zori, waren nirgendwo zu sehen. Verzweiflung in sich aufkeimend spähte er angestrengt in jeden dunklen Winkel des Wagens. Nichts! „Mama?“ murmelte die schlafende Nomi, da Kenshin ihr Gesicht mit seinen langen Kimono-Ärmeln gestreift hatte. „Scht,“ sagte er so ruhig wie möglich, „schlaf weiter, Nomi-chan.“ „Oh, okay,“ antwortete sie schlaftrunken, rollte sich auf die andere Seite und atmete Sekunden später wieder tief und fest. Kenshin setzte sich auf seine Fersen, ein ungewohntes Gefühl von Panik in seiner Brust spürend. Er war sicher, dass er sein Sakabattou dort im Wagen nahe der Wand gelassen hatte, aber es war definitiv nicht dort. Moment. Er hatte nicht gewusst, das Kinder hier im Wagen spielen und schlafen würden – sicherlich hatte jemand das Schwert irgendwo hingelegt, wo es für Kinderhände nicht zu erreichen war. Er sah an den Wänden des Wagens hoch. Dort, auf einem der Wandregale ganz oben sah er es schließlich und gleich daneben lagen auch seine Zori. Ikuko musste die Sachen dort oben hingelegt haben, nachdem er geschminkt und verkleidet den Wagen verlassen hatte. Gerade wollte er noch einmal über die schlafende Nomi steigen, als er plötzlich spürte, wie sich jemand näherte. Sekunden später hörte er schon Ikuko’s Stimme in seinem Rücken. „Himura-san?“ rief sie, „wo bist du?“ Offensichtlich hatte sie ihn im Schatten des Wageneingangs noch nicht entdeckt. Kenshin versteinerte. Kurz überdachte er die Möglichkeit, sich einfach irgendwo im Wagen zu verstecken und zu warten, bis sie wieder verschwand. Doch schnell wurde ihm klar, dass dann Ikuko nur misstrauisch werden und ihn vermutlich im ganzen Theater suchen lassen würde – das würde nicht nur die Aufmerksamkeit von Orinosuke sondern auch von den Leibgarden auf ihn lenken. Mit sinkendem Mut stieg er also aus dem Wageneingang und verbeugte sich höflich. Wie unpassend, dachte er reumütig, als Ikuko mit einem Essenstablett auf ihn zu kam. Hier war er, der berüchtigte Hitokiri Battousai, weit und breit bekannt für seine Fähigkeit, aus dem Nichts aufzutauchen und wieder zu verschwinden und seine Fluchtpläne wurden von einem dreijährigen, schlafenden Mädchen und einer Oma durchkreuzt. “Konnichiwa, Himura-san,” sang Ikuko, ein großes Lächeln in ihrem Gesicht und ein Tablett voller Reisbällchen in der Hand. „Die Stücke laufen reibungslos, das Publikum ist in super Stimmung, alles dank dir! Dein Stück war der Hit! Hier, ich hab dir etwas für den kleinen Hunger mitgebracht.“ Kenshin zwang sich zu einem Lächeln und nahm das ihm angebotene Tablett mit einer Verbeugung entgegen. “Oh, was soll das? Du musst nicht so formal zu mir sein,“ grinste Ikuko. „Du bist jetzt ein Teil der Familie – Shinosuke der Erste - und wir sind stolz auf dich. Hast du dir nicht schon mal überlegt, unserer Schauspielschule beizutreten? Mein zweiter Sohn hat mir zwar gesagt, dass du abgelehnt hast, aber wir würden uns so geehrt fühlen...“ War würde er darum geben, einfach Ja sagen zu können - die Erfahrung weiterhin machen zu können, Leute zum lachen zu bringen – doch er wusste, dass dies alles nur ein Traum war. Nein, die Realität war, dass er so schnell wie möglich diese Familie verlassen musste und zwar für immer, bevor ihnen irgend etwas schreckliches nur wegen ihm geschehen würde. Natürlich blieb das Lächeln die ganze Zeit in seinem Gesicht, bis er es schließlich über sich brachte, zu sagen: „Das Angebot weiß ich sehr zu schätzen, aber ein Rurouni bleibt ein Rurouni, auch nach all dem...“ Ikuko wischte mit einer Handbewegung seine Worte davon. „Blabla,“ sagte sie. „Wenn du einen Grund hättest, dich nicht von Fleck zu rühren, dann würdest stehen bleiben bleiben, bis du verstaubst, oder?“ Sie wollte gerade noch mehr sagen, aber zu Kenshins Erleichterung tauchte Byako auf und rannte winkend auf sie zu. „Oh Gott,“ rief Ikuko aus. „Die Pause muss fast vorbei sein. Ich gehe besser schnell zurück! Also, Himura-san, guten Appetit!” Die Pause war fast vorbei? Diese Pause war Kenshins letztbeste Gelegenheit gewesen, das Theatergelände unauffällig zu verlassen! Er ging wieder zum Wagen und stopfte sich einen Reisball in den Mund, fieberhaft nachdenkend, was er nun anstellen sollte. Er kam zu dem Schluss, dass es mindestens fünf Minuten dauern würde, bis jemand während dem Stück zum Wagen kam um nach der schlafenden Nomi zu sehen. In einem Bruchteil dieser Zeit könnte er über das Kind steigen, sein Schwert und seine Zori packen und über die Mauer verschwinden. Nomi würde jedoch dabei aufwachen und vermutlich sofort ihrem Vater von seinem Verschwinden berichten. Ennosuke, so überlegte er weiter, würde dann Alarm geben, der sofort von den ganzen Leibgarden Shimazu-samas gehört werden würde. Innerhalb von Minuten würde das Gelände von Menschen wimmeln, die ihn suchen würden – sicherlich würden sie ihn unter normalen Umständen nie finden. Aber so, als Frau verkleidet? Unmöglich. Wenn also ein Sprung über die Mauer vor dem Ende der Aufführung keine Möglichkeit war, was dann? Es war Daisuke gewesen, der den Männern und Ozawa verboten hatte, über ihre Rache an Hitokiri Battousai hier im Theater zu sprechen. Aber nach der Aufführung hätten Ozawa und seine Kameraden keinen Grund mehr, länger zu schweigen. Und weiß der Himmel, vermutlich würde Orinosuke ein Gespräch mit den Leibwächtern anfangen, und wahrscheinlich noch genau mit dem Typ, der Kenshin an dem Treffen vor fünf Jahren gesehen hatte! Kein Zweifel, Orinosuke würde auf jeden Fall die Wahrheit über ihn erfahren und es sofort Ozawa weitererzählen. Egal wie, die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem blutigen Schwertkampf kommen würde war sehr hoch und in solch einer emotional aufgeladenen Atmosphäre würden wahrscheinlich auch noch Unschuldige verletzt werden oder gar getötet. Selten hatte sich Kenshin so hilflos gefühlt, das Unausweichliche zu verhindern. Der Anfang seiner düsteren Vorausahnung bestätigte sich jäh, als Ennosuke schon nach fünf Minuten aus dem Hintereingang des Theaters kam, um auf Nomi aufzupassen. Dabei hatte er noch Saburo und Oda, die sofort wieder mit einem fröhlichen Ballspiel begannen. Ennosuke sah blass und geschafft aus. Kenshin bot ihm einen Reisball an. „Oh, nein danke! Ich hatte schon was hinter der Bühne,“ werte Ennosuke ab während er sich vorsichtig auf die Wagenstufen setzte. Er schloss seine Augen und Kenshin bemerkte, dass er seine Zähne vor Schmerz zusammen biss. „Vielleicht habe ich es heute etwas übertrieben,“ murmelte er sanft. „Naja...“ Er kicherte plötzlich. „Ich habe gehört, dass dir deine Verehrer vorhin eine harte Zeit bereitet haben.“ Kenshin lächelte leidvoll. Er hatte wirklich keine Lust mehr auf diese Art von Small-Talk. „Sie waren recht aufdringlich, ja,“ antwortete er. Ennosuke kicherte wieder. „Manchmal können die Fans echt ein Ärgernis sein. Berühmt zu sein ist nicht so toll, wie man oft glaubt, wenn du weißt, was ich meine.“ Oh Ja, Kenshin wusste genau, was er damit meinte. Wenn er selbst seine Arbeit während des Bakumatsu nicht so gut gemacht hätte... „So,“ sprach Ennosuke weiter, „was planst du, wenn wir zurück nach Kagoshima kommen?“ Zurück nach Kagoshima? Ach ja, Kenshin erinnerte sich, dass er niemandem erzählt hatte, dass er im Traum nicht daran dachte, nach Kagoshima zu reisen. Baiko’s Anweisungen entsprechend ließ er diese Tatsache natürlich aus und meinte nur, „Sessha wird vermutlich wieder auf die Wanderschaft gehen.“ Ennosuke sah ihn an. „Aber warum bleibst du nicht bei uns? Ich weiß, dass dir mein Bruder eine Karriere als Onnagata vorausgesagt hat, aber als Schauspieler kannst du noch so viel meht tun.“ Kenshin stöhnte innerlich. Nicht von seinen wahren Gedanken preisgeben, erinnerte er sich noch einmal und sagte, „Ryosuke-san selbst sagte aber auch, dass meine Stimme zu hoch sei, um etwas anderes als die Onnagata spielen zu können.“ “Das hat er gesagt?“ Ennosuke lachte, bis ihm die Tränen kamen. Kenshin starrte ihn nur an. SO lustig war das nun auch wieder nicht, oder? „Entschuldigung, Himura-san,“ schaffte es Ennosuke irgendwann prustend zu sagen, „es ist nur das Ryosuke früher auch eine ziemlich hohe Stimme hatte und wir uns immer gnadenlos über ihn lustig gemacht haben. Erst vor wenigen Jahren hat sich seine Stimme gesenkt!“ Er kicherte noch etwas, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Er hätte dir sagen sollen, dass es Wege gibt, seine Stimme zu vertiefen. Alles, was man dazu braucht, ist ein wenig Stimm-Training. Das mache ich schon sein Jahren!“ Kenshin dampfte. Also hatte sich Ryosuke nicht nur über seine Stimme lustig gemacht sondern ihm auch noch verschwiegen, wie er etwas dagegen tun konnte? In der Tat hätte er mit solch einem Stimm-Training vor sieben Jahren viel anfangen können... „Na, na, Himura-san, schau nicht so düster. Dir gefällt es nicht, eine Onnagata zu sein, das weiß ich...“ „Ich dachte nicht, dass das so offensichtlich ist,“ unterbrach ihn Kenshin. „Tja, jeder, der so zappelig wie du ist und sich schnell umziehen will fühlt sich vermutlich nicht wohl in seiner Haut,“ bemerkte Ennosuke, „aber du könntest noch so viel mehr erreichen...“ Plötzlich spitze ein kleines Gesicht aus dem Wageneingang und eine verschlafene Stimme flüsterte „Papa?“. Nomi war aufgewacht. „Papa!“ rief sie und schwang sich in Ennosukes Arme, der sie herzlich an sich drückte. Sie schenkte Kenshin ein verschlafenes Lächeln und vergrub dann ihr Gesicht in der Schulter ihres Vaters. „Du siehst lächerlich aus,“ sagte sie zu ihm. Kenshin musterte Ennosuke. Er hatte bereits trotz seiner Verletzung eine Nebenrolle im Stück übernommen und war als verarmter Apotheker verkleidet. In der Tat sah er wirklich total lächerlich aus. Ennosuke tätschelte ihren Rücken und murmelte, „Na so was, Dankeschön!“ In welcher Familie, dachte sich Kenshin, wären solche Worte als ein Kompliment aufgefasst worden? Kein Zweifel, er würde sie alle vermissen – na ja, vielleicht nicht alle, aber die meisten. Dennoch fühlte sich Kenshin erleichtert, dass Nomi sein Gespräch mit Ennosuke unterbrochen hatte, denn es war ihm von Satz zu Satz schwerer gefallen, die Lüge aufrecht zu erhalten. Er war es leid, ihnen etwas vorzuspielen. Er wollte am liebste ehrlich zu diesen Leuten sein, aber er konnte es nicht. Statt dessen stand er auf, vertrat sich die Beine und beobachtete Oda und Saburo beim Ballspielen. Einige Zeit später kam Ennosuke zu ihm und forderte ihn zusammen mit den Jungs auf, jetzt hinten ins Theater zu gehen und sich für die finale Verbeugung bereit zu machen. Aufgeregt rannten die Kinder ins Theater, doch das Stück dauerte noch ein paar Minuten. Ungeduldig warteten die Kinder hinter dem Vorhang, während sich Kenshin in dem leeren Raum auf eine Bank fallen ließ. Kenshin ahnte, dass in wenigen Minuten der Raum voll mit Leibgarden sein würde. Doch er wäre dann zum Glück wieder auf der Bühne. „Himura-san,“ meinte Ennosuke leise, „sobald Vater und meine Brüder sich verbeugt haben, werden wir zu ihnen herausgehen und uns noch einmal zusammen mit ihnen verbeugen. Danach werden wir Vater durch den Saal zum Vordereingang hinaus folgen. Draußen werden wir noch eine letzte Runde Autogramme geben und innerhalb von zwanzig Minuten dürften dann alle gegangen sein und wir können uns ausruhen und zu Abend essen. Alles klar?“ „Alles Klar,“ bestätigte Kenshin. Zwanzig Minuten und alle Mann würden hinter der Bühne versammelt sein. Der Wagen würde leer sein – seine letzte Chance, zu verschwinden... Er folgte Ennosuke, der sich wieder in seinen Rollstuhl gesetzt hatte, zum Eingang zur Bühne. Wenige Minuten später wurden die letzten Worte des finalen Stückes gesprochen und lauter Applaus brach aus. Dann trat er in das Licht der Bühne vor ein jubelndes Publikum, stellte sich zu den anderen Akteuren, verbeugte sich mit ihnen allen noch ein letztes Mal und folgte ihnen von der Bühne über die Rampe herab in Richtung Theater-Ausgang. Anmerkungen: Puuuh, das Kapitel war echt langatmig zu übersetzen… es passiert ja auch nicht sonderlich viel Handlung. Trotzdem steht Kenshin jetzt ganz schön unter Druck. Im Nächsten Kapitel geht es dafür zur Sache. Schafft es Kenshin noch, rechtzeitig zu entkommen, bevor er enttarnt wird? Oder muss er kämpfen? Bekommt Orinosuke endlich einen Merkzettel für sein unrühmliches Benehmen? Muss Kenshin für immer als Frau verkleidet durch die Welt wandern? Japanese Terms: Setsubun: Fest der Frühlings- Tagundnachtgleiche. wasabi: scharfer, japanischer Rettich daimyo: Feudalherrscher Japans während der Edo-Zeit. onnagata: männlicher Kabuki-Schauspieler, der Frauenrollen spielt geta: hölzerne Sandalen zori: Japanische Sandalen Bakumatsu: Japanischer Bürgerkrieg Toba Fushimi: Entscheidungsschlacht 1868, die den Untergang des Shogunats besiegelte. Konnichiwa: Guten Tag, Hi Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Letztes Kapitel!!! Danke an alle, die's bis hierher geschafft haben! Bitte lest meine Anmerkungen am Ende!! Kenshin hat einen Brief an den Mann geschrieben, der Rache an ihm nehmen will. Nun muss er ihn auch irgendwie überbringen. Doch als erstes muss er unauffällig die Kabuki-Familie verlassen, bevor seine wahre Identität ans Licht kommt. An Unexpected Lesson - Eine unerwartete Lektion By Conspirator übersetzt von Majin Mina Kapitel 12 Es war nun schon fast dunkel und der Theaterhof war in ein schwaches Dämmerlicht gehüllt. All die Verkaufsstände hatten schon geschlossen und waren verschwunden und so gingen die meisten Theatergäste ohne Umschweife gleich nach Hause. Wie erwartet blieben allerdings noch eine Handvoll zurück, um eine letzte Runde Autogramme zu ergattern – auch von Kenshin. Doch dieser konzentrierte sich auf etwas ganz anderes – denn auch eine andere, bestimmte Gruppe schien nicht vorzuhaben, den Hof zu verlassen. Und das war ausgerechnet der Gouvaneur mit seinen ganzen Leibgarden! Nach dem letzten Autogramm kamen sie zu Daisuke und seiner Familie herüber, anscheinend, um sich diesmal ausgiebiger mit ihnen zu unterhalten. Zum zweiten Mal fand ein scheinbar endlos langer Austausch von gegenseitigen Höflichkeiten und Verbeugungen statt. Doch genau währenddessen bemerkte Kenshin, dass keiner, nicht einmal die Leibwache des Gouvaneurs, ihm Beachtung schenkten. Probehalber trat er zwei Schritte zurück. Keiner bemerkte es. Er ging noch einmal zwei Schritte zurück. Immer noch keine Reaktion. Niemand beobachtete ihn. Die Chance zur Flucht! Sofort ergriff er sie. Allmählich trat er Schritt um Schritt zurück, bis er in den tiefen Schatten eintauchte, den das Theatergebäude warf. Kaum dort im Dunkel angekommen eilte er schnell an den Wänden entlang zum Tor, das zu dem Hinterhof führte. Zwei der Leibgarden standen dort Wache, aber da Kenshin einer der Schauspieler war, zögerten sie nicht und gewährten ihm Einlass. Kaum schloss sich das Tor hinter ihm, da rannte er schon so schnell es seine hohen Geta erlaubten zum Wagen, warf sich hinein, packte sein Sakabatou und seine Zori, die immer noch auf dem hohen Wandregal lagen und schüttelte sich die Perücke vom Kopf. Es war unmöglich, in dieser Dunkelheit in einem Frauenkimono ohne Unfall durch den Wald zu rennen, deswegen zog er sich schnell um. Er streifte den Kimono und – mit etwas Genugtuung, es endlich loszuwerden – auch das Brustteil ab und zog seine vertrauten Gi und Hakama an Hastig griff er nach einem der Handtücher, die noch im Wagen herumlagen und schrubbte sich die weiße Schminke aus dem Gesicht, die ihm im Dunkeln nur unnötig auffallen lassen würde. In seiner Eile kümmerte er sich nicht einmal mehr darum, in einem Spiegel zu kontrollieren, ob auch alles wirklich abgeschminkt war. Er hoffte einfach, dass nach seinem fast schon gewalttätigen Schrubben alle Rückstände verschwunden wären. Gerade, als er fast fertig war und das Rot von den Lippen rubbelte, spürte er plötzlich eine extrem feindselige Ki, die sich ihm schnell näherte. Es war Orinosuke. Schnell warf Kenshin das Handtuch davon, steckte sein Sakabattou in seinen Obi und mit den vertrauten Zori an den Füßen eilte er zum Wagenausgang. Bevor er herausspringen konnte, war Orinosuke schon vor ihm. Kenshin versuchte, an ihm vorbei zu kommen, aber Orinosuke zog sein Schwert und hielt es Kenshin unter die Nase. Dieser schob es unbeeindruckt mit der Hand von sich weg und sagte, „das ist ein Kostüm-Schwert.“ Orinosuke lächelte höhnisch. „Wir wissen alle, das selbst ein stumpfes Schwert schwere Verletzungen bereiten kann – Hitokiri Battousai!“ Er starrte in Kenshins teilnahmsloses Gesicht und wartete auf eine Reaktion. Doch es kam Keine. „Oh ja, ich weiß jetzt, wer du bist und ich kann es beweisen. Denn gerade eben habe ich mich mit einigen der Leibwächter von Shimazu-sama unterhalten. Einer davon hat dich offenbar vor einigen Jahren schon einmal getroffen.“ Er versuchte, Kenshin wieder in den Wagen zu drängen und rief dabei laut: “Vater, Brüder! Kommt schnell! Ich habe den Hitokiri Battousai gefangen!“ Und zu Kenshin gewandt fügte er düster hinzu: „Leider und zu deinem Glück sind die Männer des Gouvaneurs gerade gegangen.“ „Warum tust du das, Orinosuke-san?“ fragte Kenshin mit kalter Stimme. „Ich habe nichts mir dir zu schaffen. Ich möchte nur gehen.“ Man hörte jetzt schnelles Fußgetrappel und Rufe im Innenhof. „Was ist hier los?“ Baiko war der erste, der am Ort des Geschehens eintraf und sobald Orinosuke ihn sah, bellte er ihn an: „Los, komm her und zieh dein Schwert. Er ist der Hitokiri Battousai!“ Baiko starrte in Orinosukes stürmisches Gesicht, dann in das emotionslose von Kenshin und zögerte. „Du hast mich gehört, Mann! Zieh dein Schwert!“, schrie Orinosuke ihn wütend an. „Das ist ein Befehl!“ Er schlug Baiko mit dem Handrücken ins Gesicht und Baiko zog endlich wiederwillig sein Schwert. „Und richte es auf IHN!“, fügte Orinosuke hinzu, als er sah, dass Baiko keinerlei Anstalten machte, sein Schwert in Kenshins Richtung zu halten. Inzwischen hatten auch Daisuke und Ryosuke den Wagen erreicht. Daisuke schubste Baiko grob aus dem Weg und schrie, „was zur Hölle geht hier vor? Was soll das hier?“ Orinosuke wandte sich zu seinem Vater um, sein Gesicht vor Triumph glühend. „Das, Vater, ist der Mann, den jeder sucht! Hitokiri Battousai – das ist die wahre Identität deines ach so netten Rurouni!“ Wegen dem Ausdruck absoluten Unglaubens im Gesicht seines Vaters fügte er hinzu: „Oh ja, ich habe auch Beweise! Du wolltest mir ja vorher nicht glauben, aber jetzt kann ich es auch beweisen! Einer von Shimazu-samas Leibwächtern, Vater – er hatte einmal eine Begegnung mit dem berüchtigten Hitokiri Battousai und er hat mir alles über ihn erzählt. Den, den sie einen Dämon aus der Hölle nennen; der, der sich mit der Geschwindigkeit eines Gottes bewegt und fliegen kann; Der, über den man sagt, dass er aus reinem Vergnügen tötet und das Blut seiner Opfer trinkt. Rote Haare, sagte er, eine kreuzförmige Narbe auf seiner linken Wange. Er hatte ihn für größer gehalten, aber in Wahrheit, so erzählte er mir, sei Hitokiri Battousai relativ klein – und sehr jung...“ Daisuke schob seinen ältesten Sohn beiseite und baute sich vor Kenshin auf. Er starrte ihm in die Augen und verlangte nach einer Antwort. „Stimmt das?“ Kenshin schaute zu Boden. „Einige,“ antwortete er leise, „haben mich bei diesem Namen genannt.“ “Da siehst du’s!” krähte Orinosuke. Er fasste nun Ennosuke ins Auge, der auch gerade auf Krücken humpelnd den Wagen erreichte. „Bruder, glaubst du mir jetzt?“ Dann, wieder an seinen Vater gewandt, fuhr er fort: „Sieben lange Jahre hast du uns in Kagoshima versauern lassen, eine schlechte Entscheidung nach der anderen getroffen und nun – du hast nicht nur damals die Ishin Shishi unterstützt und uns damit in Lebensgefahr gebracht, nein! Du hast sogar einen Killer in deine Familie aufgenommen und zwar nicht irgendeinen Killer, sondern den Berüchtigtsten in ganz Japan! Du hast das Leben deiner ganzen Familie in Gefahr gebracht!“ Er wandte sich zu Ryosuke und Ennosuke um. „Es ist nun Zeit,“ begann er zu verkünden, „dass sich alles ändert. Die Familie brauch einen neuen Führer. Wir werden unseren angestammten Platz in Kyoto wieder einnehmen. Wenn ihr vorher Zweifel über mich gehabt habt – jetzt dürften sie zerstreut sein. Das...“ Er zeigte mit dem Finger auf Kenshin, „...sollte Beweis genug sein!“ Ryosuke stürmte plötzlich vor und schlug seinem ältesten Bruder voller Wucht mitten ins Gesicht. Voll getroffen warf es Orinosuke zu Boden. „Ist es das, was du willst?“ schrie Ryosuke bleich vor Zorn. „Unseren Vater als Familienoberhaupt los werden? Niemals!“ Orinosuke rappelte sich wieder auf und wischte sich sein Blut von der Nase. „Du hast nichts zu sagen, Ryosuke. Du bist bereits überstimmt, denn dein jüngster Bruder hat gesagt, dass er zu mir hält, wenn ich ihm meinen Verdacht beweise. Nicht war, Ennosuke?“ Ennosuke funkelte hasserfüllt seinen Bruder an. „Nie habe ich so etwas gesagt. Ich würde nie zustimmen, Vater durch dich als Familienoberhaupt zu ersetzen!“ Demonstrativ wandte er sich an seinen Vater. „Daisuke, was sollen wir nun tun?“ Wütend über die unverhohlene Frechheit seines Sohnes verlangte Daisuke, “schafft ihn mir aus den Augen!“ Dann wandte er sich dem Wagen zu. „Und nun zu dir, Himura-san.“ Er rieb sich seine Stirn, während er versuchte, trotz der nun heftigen Schreiereien zwischen seinen Söhnen nachzudenken. Wie konnte es sein? Dieser freundliche Rurouni, der nicht nur das Leben seines jüngsten Sohnes sondern auch die Aufführung des Stückes gerettet hatte war der berüchtigte Hitokiri Battousai? Er schaute nochmals in das Gesicht des jungen Mannes, der nun etwas verloren vor dem Wagen stand. Dann bemerkte er Baiko, der immer noch mit seinem halbherzig vorgestreckten Schwert vor Kenshin stand. „Oh, steck das Ding weg!“ murmelte er zu Baiko. Dann trat er vor Kenshin. „Schau mich an!“ Kenshin sah empor, doch bevor er irgendetwas sagen konnte, rief Baiko dazwischen. „Daisuke-san, er ist nicht, was du denkst...“ Erschöpft fixierte Daisuke Baiko. „Wie lange weißt du es schon?“ „Seit der ersten Nacht,“ antwortete Baiko ehrlich, „als er uns seinen Namen genannt hat. Hör mir zu, du weißt, ich habe im Boshin-Krieg gekämpft. Mein Truppenführer war ein Typ namens Matsuo. Er kam aus Choshuu. Er hat nie viele Worte gemacht und war so ehrlich wie sonst nur was. Er hat uns aufgeklärt, dass der richtige Name von Battousai Kenshin Himura ist. Außerdem hat er uns erzählt, dass er mit diesem Himura zusammen in Kyoto war und sie befreundet waren. Er beteuerte, Himura sei ein guter Mensch und kein blutrünstiger Dämon. Und ich habe ihm geglaubt. Himura selbst hat es doch bewiesen. Sogar als Orinosuke ihm das Schwert an die Kehle gehalten hat, blieb er ruhig! Und diese Yakuza – er hat niemanden getötet, obwohl sie das weiß Gott verdient hätten. Matsuo hatte recht!“ Daisuke hatte während dieser flammenden Rede zwischen Baiko und Kenshin hin und her gestarrt und versucht, alles irgendwie zu verstehen. Hitokiri Battousai ein guter Mensch? Es fiel ihm schwer, das zu glauben. „Dann warst du derjenige,“ sagte er schließlich, „der damals in Kyoto soviel Blutvergießen verursacht hat?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. Hatte ihm Kenshin nicht erzählt, dass er erst 22 Jahre alt war? Aber das würde ja bedeuten... „Unmöglich! Dann wärst du damals ja kaum 15 Jahre alt gewesen!“ Kenshin sagte nichts. Er starrte nur weiterhin zu Boden. Es war einfach nicht zu glauben. Dieser junge Mann, der sowieso kaum wie ein Erwachsener aussah, war einst ein kaltblütiger Killer gewesen? Daisuke konnte sich das nicht vorstellen, aber die Fakten waren nun einmal erwiesen worden und Kenshin stritt nichts ab. „Himura-san,“ sagte er, „ich weiß nicht, was ich denken soll. Du bist es anscheinend wirklich, aber ich kann an dir kein Zeichen sehen, ich meine – du bist nicht einmal eine Spur so, wie ich mir einen Hitokiri vorstellen würde.“ „Dennoch ist es die Wahrheit,“ meinte Kenshin sanft. „Sessha kann es nicht leugnen, obwohl es mich damals fast meine Seele gekostet hat. Deswegen hat Sessha auch geschworen, nie wieder zu töten, sobald der Krieg beendet wäre. Sessha hat sein Schwert gegen ein Sakabattou eingetauscht und sich geschworen, die Unterdrückte zu beschützen. Das war der einzige Weg, auf dem es möglich schien, für all die Leben zu sühnen, die geopfert wurden. Ich kann es Orinosuke nicht vorwerfen, wenn er sich vor mir fürchtet. Mehr verdient Sessha auch nicht...“ Daisuke unterbrach ihn. „Solch ein Verhalten verdient niemand! Du hast dich nichts als ehrenhaft verhalten, während du mit uns unterwegs warst. Es gab keinen Anlass, dass dich Orinosuke so behandelt. Aber was tun wir nun...?“ „Daisuke-san, Sessha wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis man mir erkennt. Ich hätte schon heute Morgen gehen sollen, aber da war das Versprechen, dass ich dir gegeben habe. Nach dem Stück wollte ich dann gehen, aber...“ „Antworte mir bitte ehrlich, Himura-san,“ unterbrach ihn Daisuke abermals, „aber sucht man dich? Will die Regierung dich festnehmen?“ Kenshin zögerte. Er wusste es selbst nicht genau, denn Ennosuke hatte ihm ja erzählt, dass Okubo Tochimichi persönlich nach ihm Ausschau hielt. Er hatte bereit Gerüchte gehört, dass die neue Regierung jeden jagte, der zu viel über ihre schmutzigen Geschäfte während des Bürgerkriegs wusste, und Kenshin gehörte mit Sicherheit dazu. Andererseits… „Sessha wurde versprochen, dass so etwas nicht passiert!“ antwortete er schließlich. „Von wem?“ „Meinem Anführer, Katsura Kogoro.“ Daisukes Kinnlade klappte nach unten. „Katsura Kogoro?“ wiederholte er entgeistert. „DER Katsura Kogoro?“ „Er war Himura-sans direkter Vorgesetzter,“ mischte sich Baiko ein. „Auch das hat mir Matsuo erzählt.“ „Nun, das lässt die Dinge ja ganz anders aussehen...“ murmelte Daisuke aber Kenshin stoppte ihn. Er ahnte, was Daisuke nun dachte und wollte es unterbinden. „Ich werde für immer dankbar für deine Gastfreundschaft sein,“ sagte er schnell, „aber es wäre ein großer Fehler, wenn ich noch länger bei euch bliebe. Es ist nicht nur die Angst vor mir, die von jetzt an bei jedem von euch irgendwo in Gedanken lauern würde. Es ist die Gefahr, mit mir zusammen zu sein, denn immer noch wollen sich viele Leute an mir rächen und würden nicht vor unschuldigen Beteiligten halt machen. Es gibt keinen anderen Weg für mich, als zu gehen.“ Er trat ein paar Schritte zum Wagen und fischte seine wenigen Habseligkeiten unter dem Sitz hervor. Daisuke stoppte ihn. Ihm kam es gerade so vor, als ob er sich selbst in einem seiner tragischen Stücke befinden würde – nur diesmal konnte er das Ende verändern! „Treffe uns in Kagoshima. Dort wirst du sicher sein,“ erklärte er schnell. „Mein ältester Sohn wird in Kyoto sein und Shimazu-sama könnte dir für deine Sicherheit bürgen.“ „Aber es ist einer seiner Leibwächter, der Rache an mir nehmen will – und zwar gerechtfertigt!“ erinnerte Kenshin ihn. „Egal wie man es wendet und auch wenn ich es mir wünsche – Ich muss gehen.“ Daisuke beobachtete hilflos, wie Kenshin seine Sachen vom Wagen nahm. Ein Blick in sein Gesicht zeigte ihm, dass seine Entscheidung getroffen war. „Dann gebe ich dir wohl jetzt dein Geld und deinen Teil der Belohnung. Denn ohne dich hätten wir die Yakuza wohl nicht besiegt...“ „Es ist zu gütig,“ wandte Kenshin ein, „aber Sessha kann keine Bezahlung für den Dienst seines Schwertes annehmen. Baiko-san ist euer Sicherheitsmann, gebt ihm meinen Teil!“ Baiko schaute ihn überrascht an und formte stumm mit seinen Lippen ein „Danke!“ „Gut, aber dann lass mich dir wenigstens deine Gage für den Auftritt geben,“ bestand Daisuke darauf. Kenshin überlegte kurz. Doch plötzlich platzte Ikuko in das Geschehen. “Himura-san, was ist hier los? Sie sagen, du wärst der Hitokiri Battousai?“ Ungläubig starrte sie dem jungen Mann in die Augen. Das Ausmaß an Schmerz und Schuld, dass sie darin fand bestätigten ihr alles. „Oh, Himura-chan...“ murmelte sie fassungslos. „Du?“ Kenshin schaute wieder zu Boden Eine ganze Reihe von Emotionen glitt nun über Ikukos Gesicht – Überraschung, Unglaube, Angst, Wut und dann – Erleichterung. „Junger Mann, du bist in großer Gefahr!“ verkündete sie auf einmal mit fester Stimme. „Daisuke, bist du dir bewusst, dass die ganze Stadt nach ihm sucht und ihn töten will? Wir müssen ihn so schnell wie möglich von hier wegbringen.“ Sie rief ein paar Befehle durch die Gegend. „Baiko-san, du gehst zu Orinosuke und behältst ihn im Auge! Pass auf, dass er niemandem etwas erzählt. Falls nötig, wende Gewalt an! Und schicke mir Bunjiro mit den Reisbällchen von heute Nachmittag!“ „Hai, hai,“ nickte Baiko ergeben und eilte davon. „Daisuke, wir müssen ihm seine Belohnung auszahlen...“ „Er hat es bereits abgelehnt,“ sagte Daisuke, „aber ich glaube, die Bezahlung für den Auftritt nimmt er an, oder nicht?“ Kenshin nickte. „Dann werden wir dich gleich aus den heutigen Einnahmen bezahlen. Leider hat Baiko-san den Umschlag. Wir müssen also kurz warten.“ Zu Kenshin gewandt fragte er, „wie hast du dir deine Flucht vorgestellt?“ Kenshin nahm seine Wandersachen. „Über die Mauer,“ antwortete er. „Das war Sesshas Plan, bevor Orinosuke kam. Auf irgendeiner Hauptstraße oder vor dem Theater wäre es zu riskant, die Leibgarden würden mich vermutlich entdecken.“ Ikuko trat zu Kenshin und reichte ihm einen Hut. „Den wirst du brauchen,“ sagte sie mit angespannter Stimme. „So kannst du deine Haare verstecken.“ Kenshin verbeugte sich tief und nuschelte ein „Arigatou,“ aber als er aufsah, blickte er nicht in das sonst freundliche, sondern in ein strenges und unnachgiebiges Gesicht. „Himura-san, verwechsle das hier nicht mit Freundlichkeit,“ sagte Ikuko. „Ich tue das aus Höflichkeit und als Dankeschön für deine Dienste an meiner Familie. Ich kann nicht ignorieren, was du damals in Kyoto getan hast, all das Blutvergießen und der Terror...“ „Sein direkter Vorgesetzter war Katsura Korogo persönlich,“ warf Daisuke dazwischen. „Das mag so sein,“ meinte Ikuko abweisend. Sie kämpfte mit sich selber, ein Kampf zwischen dem Hass auf Hitokiri Battousai und seine Untaten in Kyoto und den Gefühlen, dem Mitleid und der Trauer, die die Tatsache mit sich brachte, dass dieser Killer ein Mann war, den sie inzwischen lieb gewonnen hatte. Warum hatte er nicht heute Nachmittag, als sie über den Hitokiri Battousai gesprochen hatten, die Wahrheit zugegeben? Ihre Wut wuchs. Er hatte sie getäuscht. Sie drehte sich um und schaute nun zum Theater, auf Bunjiro und Baiko wartend. So, Kenshins Befehle kamen direkt vom großen Katsura Kogoro. Na und? Sie erinnerte sich noch genau, wie sich damals Kyoto innerhalb weniger Wochen von einer ruhigen Stadt in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt hatte. Wie könnte sie das je vergessen? Einige ihrer prominentesten Theatergäste wurden ermordet – vom Hitokiri Battousai persönlich, so erzählte man sich. Und als Reaktion darauf waren die rücksichtslosen Shinsengumi in den Strassen aufgetaucht, die jeden Verdächtigen niedermetzelten, sogar im Tageslicht. Das alles war ein blutiger Albtraum gewesen und sie war dankbar, dass sie ohne Schaden fliehen konnten. Und all dies nur wegen einem scheinbar netten, jungen Mann? Sie schaute aus dem Augenwinkel wieder zu Kenshin. Sie konnte sehen, dass ihre Worte ihn verletzt haben mussten. Er war also mitten im Zentrum dieses Albtraums des Bakumatsu gewesen. So viele Dinge wurden ihr jetzt klar – seine Verschwiegenheit, sein Zusammenzucken bei der geringsten Berührung. Sie begriff jetzt, dass er im Gegensatz zu ihrer Familie wohl niemals diesem Albtraum entfliehen konnte und mit ihm den Rest seines Lebens leben musste. Sie konnte es nicht verleugnen – Kenshin war ihr ans Herz gewachsen. Seine Handlungsweise während der letzten Tage hatte ihr sein wahres Ich gezeigt und sie wusste, dass er nicht mehr derjenige war, der er vielleicht einmal während des Bakumatsu gewesen war. Hatte er ihre Ablehnung wirklich verdient? Bunjiro tauchte plötzlich auf, sein Gesicht in Tränen. „Baiko-san und Ryosuke verprügeln gerade meinen Vater,“ weinte er. „Vater wollte den Soldaten hinterher rennen und sie auf Kenshin-san hetzen. Er hat gesagt, sie sollen Kenshin-san töten! Oma, ich hab Angst vor Vater! Ich will nicht, das jemand getötet wird! Ich will nicht nach Kyoto, ich will bei dir und Großvater bleiben!“ Ikuko beugte sich nach unten und wischte ihm die Tränen von den Augen. „Scht,“ beruhigte sie ihn und drückte ihn an sich. „Wir werden eine Lösung finden, keine Angst. Jetzt lauf zurück und hole Baiko-san, wir brauchen ihn schnell!“ Ikuko stand wieder auf und wandte sich zu Kenshin um. Sein Gesicht war nun eine kalte, gefühlslose Maske – ohne Zweifel das Resultat ihrer harten Worte. Sie hasste es, das zuzugeben, aber dieser Audruck brach ihr fast das Herz. „Herrje, wem will ich etwas vormachen?“ seufzte sie schließlich. „Was du damals getan hast, wurde dir befohlen. Du warst ein Soldat im Krieg und hast Dinge getan, die du unter normalen Umständen niemals getan hättest. Das weiß ich.“ Sie unterbrach sich und sah Kenshin in die Augen. „Weißt du, Himura-chan, ich habe in dein Herz gesehen und darin nur Gutes entdeckt. Es betrübt mich, dass die Welt in dir wahrscheinlich nie das sehen kann, was ich gesehen habe.“ Kenshins Maske zerbrach. War das eine Verzeihung? „Ikuko-dono,“ wollte er sagen, aber sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, aus Angst, dass jedes weitere Wort von ihm sie in Tränen ausbrechen lassen würde. In diesem Moment kam auch Baiko zurückgeeilt. Die Zeit wurde langsam knapp. „Baiko-san, du hast den Umschlag mit den Tageseinnahmen?“ rief ihm Daisuke zu. Baiko griff in seinen Gi und zog ihn heraus. Schnell nahm Daisuke das Geld an sich und zählte Kenshin einige Münzen ab. „Hier, dein Lohn für den Auftritt!“ Er gab Kenshin einige Münzen extra. „Die sind für deine medizinischen Dienste.“ „Medizinische Dienste? Aber...“ “Kein aber, nimm es einfach an,” brummelte Daisuke. „So, jetzt mach dich auf den Weg, bevor es zu spät ist.“ Kenshin trat an die Mauer, gefolgt von allen anderen. Er nahm seine Wandersachen und mit einer dankbaren Verbeugung auch die Reisbällchen, die Bunjiro Ikuko gebracht hatte, setzte sich den Hut auf den Kopf und betrachtete alle Anwesenden noch ein letztes Mal. Dann sprang er elegant über die hohe Mauer und war verschwunden. „Hey, Himura!“ rief Baiko, während er panisch in seinem eigenen Gepäck kramte. „Das hier wirst du auch brauchen!“ Er warf seinen Haori über die Mauer. Er hörte ihn auf der anderen Seite aufplumpsen. Dann war es still. Kenshin war verschwunden -- Der Wald, der an das Theater angrenzte, war stockdunkel und nicht einmal der helle Mondschein konnte durch das Dickicht der Äste brechen. Kenshin jedoch benötigte keinerlei Licht, denn seine Sicht im Dunkeln war exzellent. Er wusste auch genau die Richtung, in die er wollte – geradeaus, bis zum Waldrand und den Klippen, die eine herrliche Aussicht auf das Meer boten, die er heute Nachmittag genossen hatte. Als er dort gestanden hatte, hatte er nicht nur die Aussicht bewundert. Seine Instinkte waren so geschärft, dass er ganz unbewusst den ganzen Strand sofort auf Anzeichen von Gefahr und eventuellen Flucht- und Versteckmöglichkeiten gemustert hatte. Einige Gewohnheiten blieben wohl erhalten, dachte er reumütig, aber dieses Mal war er dankbar dafür. Er erinnerte sich, einige Stufen gesehen zu haben, die von den Klippen zum Strand herabführten. Kaum hatte er die Klippen erreicht, da fand er die Stufen auch schon. Vorsichtig stieg er sie hinab und er brauchte fast zehn Minuten, bis er unversehrt aber voller Erde, Wurzeln und Dreck unten auf dem körnigen Sand ankam. Sofort musterte er den Strand nach irgendeinem Anzeichen von Gefahr, dann ging er flach an den Klippenrand gedrückt in Richtung eines großen, vorspringenden Felsenstückes, das von einer Klippe ausgehend in den Strand hineinragte. Wie er richtig vermutet hatte, war der untere Teil dieses Felsen vom Meerwasser ausgespült und wölbte sich weit nach innen. Diese Höhle würde ihm nicht nur Sichtschutz und Unterkunft für die Nacht bieten, er würde auch sofort jeden Herankommenden hören. Er verstaute seine Sachen in der kleinen Höhle und machte sich dann auf den Weg zurück. Er hatte noch seinen Brief an den Mann, der ihm nach dem Leben trachtete, zu überbringen – den Leibwächter Ozawa. Der Aufstieg über die teilweise schon zerbröckelnden Stufen gestaltete sich noch schwieriger als der Abstieg. Kaum oben angekommen, schüttelte Kenshin den Schmutz von sich und eilte in Richtung Stadt. Als er ihre Lichter vor sich sah, verschmolz er mit der Dunkelheit und glitt einem Schatten gleich über die Dächer. Es schmerzte ihn, daran zu denken, dass er sich jetzt genau das Talent zu nutze machte, das ihn damals als Hitokiri so schrecklich erfolgreich hatte werden lassen. Es war nur wenig ermunternd, zu wissen, dass er jetzt dieses Talent dazu einsetzten wollte, Blutvergießen zu verhindern anstatt welches zu verursachen. Mit der Information, die ihm Baiko über den Aufenthaltsort der Leibwächter gegeben hatte, eilte er zur Stadtvilla des Gouvaneurs, neben der auch die Unterkünfte der Soldanten waren. Als er dort ankam, sah er auch schon einige der Männer auf der Veranda der Baracken sitzen und Würfel spielen. Am Strand hatte Kenshin einen Stein aufgesammelt und etwas faseriges Wurzelzeug in seinen Ärmel gestopft. Nun band er den Brief mit den Wurzeln an den Stein und warf ihm von seinem sicheren Versteck den Soldaten genau vor die Füße. Er zielte perfekt. Leider kam im dem Moment gerade einer der Soldaten auf die Idee, aufzustehen und nach vorne zu treten, genau in den Zielbereich seines präparierten Steines. Kenshin hörte in seinem dunklen Versteck nur ein überraschtes „AU!“ Er lugte vorsichtig über den Dachrand und sah ein halbes dutzend Männer, die um den klagenden Getroffenen herumstanden. „Was ist passiert?“ Ein paar von ihnen liefen in Richtung Straße und schauten hinauf und hinab, konnten aber niemanden entdecken. Dann sah Kenshin den Mann, der den Stein hielt, die Augen zusammenkneifen und etwas ungläubig verkünden: „An dem Stein ist ein Brief und er ist an Ozawa-kun andressiert!“ “Ozawa-kun?” wiederholte ein anderer Mann stumpfsinnig. „Von wem der Brief wohl ist?“ Der getroffene Leibwächter rieb sich die schmerzende Stelle an seinem Kopf. „Los, hol ihn!“ Kenshin beobachtete, wie nun nach Ozawa gerufen wurde und dieser innerhalb einer Minute auf der Veranda erschien. Er war ein großer, gut gebauter Mann, vor dem die Soldaten offensichtlich Respekt hatten. Eilig trat er vor und riss seinem Kameraden den Stein mit dem Brief aus der Hand. Dann trat er ins Licht der Tür, um ihn zu lesen. „Was steht drin?“ fragten die Männer neugierig. Ozawa schaute mit zusammengekniffenen Augen auf und musterte die Wände und Dächer der Umgebung. Dann zerdrückte er den Brief in seiner Hand. „Nichts!“ sagte er mit totengleicher Stimme. „Nur ein Fan-brief von irgendeinem Idiot!“ Die Männer lachten und klopften Ozawa auf die Schulter, ihn dabei über seine Schauspielerischen Leistungen vom Nachmittag neckend. Ozawa schüttelte die Hände ab und stapfte davon. Erleichtert seufzte Kenshin kaum hörbar auf. Er hatte gehofft, dass sein Brief Ozawa von seiner Rache abbringen würde. Wenn das nicht geklappt hätte, dann wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass er seine Männer zusammengetrommelt und mit ihnen gemeinsam zu ihrem Treffpunkt gegangen wäre. Nicht, dass Kenshin das eingeschüchtert hätte, aber er wollte ja niemanden, der nichts mit der Sache zu tun hatte, verletzten. Doch das Verhalten von Ozawa gerade eben ließ Kenshin vermuten, dass er sich wahrscheinlich dazu entschlossen hatte, ihn alleine im Wäldchen zu treffen. Und dort, so überlegte Kenshin, hatte er noch einmal die Möglichkeit, den Mann von seinem Pfad der Rache abzubringen. Kenshin eilte auf dem selben Weg, den er gekommen war, wieder zurück zum Strand in seine entdeckte Höhle. Dort erst entspannte er sich etwas, nahm die Box mit den Reisbällchen, die Ikuko ihm gegeben hatte und wollte schon hungrig alles in sich hineinstopfen, bis er sich daran erinnerte, dass er keine Ahnung hatte, wann er die nächste, vernünftige Mahlzeit bekommen würde. So zwang er sich wehmütig dazu, nur die Hälfte der Reisbällchen zu essen. Den Rest hob er sich vorsorglich für den nächsten Tag auf. Jetzt gab es nichts mehr für ihn als in die Nacht hinaus auf das tintengleiche Meer zu starren und auf Mitternacht zu waren. Er schielte immer wieder hinauf zu den Sternen, um die Zeit einzuschätzen. So viel war in den letzten vier Tagen passiert, so viel, über dass er jetzt während der Stunden des Wartens nachdenken hätte können – doch alles, was ihm jetzt in den Sinn kam, waren die Ereignisse von Kinmon no Hen – das Chaos des Kampfes, das lodernde Feuer, das fast halb Kyoto in Schutt und Asche gelegt hatte aber vor allem: sein Befehl, heimlich so viele Palastwachen wie möglich zu beseitigen. Hatte er wirklich auch den Bruder dieses Mannes getötet? Dreiundzwanzig Soldaten waren seinem Schwert in weniger als zehn Minuten zum Opfer gefallen, aber in seinem geistigen Auge konnte er noch genau jedes einzelne Gesicht sehen. Er fragte sich, wer von den Gesichtern wohl Ozawas Bruder gewesen war. Ein letzter Blick auf den Himmel zeigte ihm, dass es jetzt kurz vor Mitternacht sein musste. Er seufzte, schüttelte die Gedanken ab und begann abermals den mühseligen Aufstieg zu den Klippen. Oben angekommen suchte er sich einen hohen Baum nahe der Lichtung, die er Ozawa als Treffpunkt angegeben hatte und sprang in seine hohen Äste. Dort wartete er nicht einmal zehn Minuten, bevor er spürte, dass sich jemand näherte. Er konzentrierte sich und fühlte eine Ki – ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Es war Baiko. Seine Augen fanden ihn mühelos, wie er am Boden im Dunkeln umherstolperte und sich schließlich in einem Gebüsch versteckte. Es gab so wenige Menschen, die sich die Mühe machten und hinter die Fassade des Hitokiris blickten. Baiko hatten Kenshin so angenommen, wie er wirklich war. Er war sein erster Freund nach seiner Zeit in Kyoto. Es tat gut zu wissen, dass sich jemand um sein Wohl kümmerte. Plötzlich wurde er aus den Gedanken gerissen, denn er hörte nun weitere, stapfende Schritte, die sich durch das Unterholz näherten. Eine extrem feindselige Ki warf sich ihm förmlich entgegen und ohne Zweifel wusste er, dass es Ozawa war – und er war alleine. Es war Zeit. Kenshin sprang von seinem Baum und erwartete den Mann mitten in der Lichtung. Kaum trat dieser aus dem Unterholz, sprach Kenshin ihn an. „Ozawa-san, nehme ich an.“ „So! Da bist du endlich, Hitokiri Battousai!“ Spukte sein Gegenüber förmlich aus. „Ich habe die letzten Jahre genug Zeit gehabt, dich hassen zu lernen – seit du meinen Bruder getötet hast, war das stärkste Gefühl in mir, Rache an dir zu nehmen!“ „Dein Bruder starb einen ehrenhaften Tod bei der Verteidigung unseres Kaisers,“ sagte Kenshin. „Es gibt keinen Grund für Rache.“ „Zur Hölle! Du hast nicht nur ihn getötet – seine Frau war schwanger und als sie von dem Tod ihres Mannes erfuhr, hat sie sich umgebracht. Du hast sein Leben und das seiner Frau und seines Kindes auf dem Gewissen – Mörder!“ Die Worte waren kaum aus Ozawas Mund als er auch schon nach vorne sprang mit all der Schnelligkeit, die er als hervorragender Schwertkämpfer aufbringen konnte und mit der Absicht, Kenshin mit dem ersten Streich zu töten. Kenshin blieb ruhig auf der Stelle stehen, bis er sich im letzten Moment über den Angreifer hinweg katapultierte und hinter ihm leichtfüßig landete. Ozawa bremste seinen Angriff und drehte sich um, sein Gesicht gezeichnet von Hass. „Lass es bleiben, Ozawa-san,“ warte Kenshin ihn. „Nichts wird dieser Kampf verändern. Weder dein noch mein Tod wird deinen Bruder wieder ins Leben zurückholen.“ „Ich habe deinen Brief gelesen,“ sagte Ozawa mit schneidender Stimme. „Für deine Sünden büßen? Ich hätte fast gekotzt! Du wirst hier und jetzt bezahlen und zwar durch mein Schwert!“ Mit diesen Worten sprang er erneut nach vorne, einen weiteren, tödlichen Angriff planend. Während dem Rennen schnitt sein Schwert kontinuierlich rechts und links von ihm durch die Luft, einen Gegenangriff vermeidend. Dann, in dem Moment in dem er in die Reichweite seines Gegner kam, verwandelte er die Fuchtelbewegung in einen tödlichen Aufwärtsschlag, der selbst einen wegspringenden Schwertkämpfer noch erwischt und von unten nach oben zerteilt hätte. Kenshin jedoch rollte sich schnell zur Seite ab, während er den Aufwärtsschlag parierte. Dann, als er wieder zu stehen kam, sprang er ein paar Schritte zurück um seinen Angreifer zu erwarten. Ozawa wurde nun zunehmend wütender. Er hatte gerade eine seiner besten Techniken angewandt und seinen Gegner nicht einmal gekratzt. Noch schlimmer, er hatte bisher nicht eine einzige Technik des mysteriösen Schwertstils Hitokiri Battousais zu Gesicht bekommen. Statt dessen hatte der Hitokiri bereits zwei seiner eigenen, besten Techniken gesehen – ein taktischer Vorteil. Ozawas Wut wurde größer. „Kämpfe endlich mit mir wie ein Mann!“ provozierte er und ging in Battoujutsu-Stellung. Kenshin bewegte sich nicht. Dieser Mann schien einfach nicht begreifen zu wollen, worauf er hinaus wollte. Es schien an der Zeit, die Sache zu beenden. Kenshin ging nun ebenfalls in Battoujutsu-Stellung und wartete. Die beiden starrten sich an, es schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann hatte Ozawa endlich genug und flog vorwärts, bereit, mit seiner finale Kampftechnik Kenshin zu erledigen. Doch dieser hatte andere Pläne. Im allerletzten Moment warf sich Kenshin nach oben und mit dem Ruf „Ryu Tsui Sen!“ stieß er auf Ozawa herab und schlug ihn mit einem kräftigen Schlag zu Boden. Entsetzt keuchend schlug Ozawa auf den Wurzeln der Bäume auf und sah noch sein Schwert, in zwei Teile gebrochen, durch die Luft surren. Kenshin sah auf den sich vor Schmerz krümmenden Mann herab. „Dieser Kampf ist beendet,“ sagte er grimmig. „Du hast deinem Bruder jede dir mögliche Ehre erwiesen. Gehe zu deinem Lehnsherren zurück, er braucht deine Dienste.“ Dann wandte er sich zum Gehen um. Kaum hatte Kenshin sich abgewandt, da hievte sich Ozawa auf seinen Ellebogen hoch, packte sein Wakizashi und warf es mit tödlicher Präzision nach Kenshins Rücken. Er hatte alles sehr leise gemacht aber das Geräusch, das eine Waffe macht, die gezogen wird konnte er nicht vermeiden und auch das Geräusch, das eine Waffe macht, die durch die Luft fliegt, war für Kenshin nicht zu überhören. Schneller als ein Auge sehen konnte wirbelte er herum, zog sein eigenes Schwert und schlug das Wakizashi aus seiner Flugbahn. Ohne Schaden anzurichten, blieb es in einem Baum stecken. Kenshin warf Ozawa einen letzten, warnenden Blick zu, drehte sich dann wieder um und ging ein paar Schritte davon. Ozawa starrte auf seine im dunkeln verschwindende Gestalt. Trotz seiner Schmerzen in der Brust rief er: „Der große Hitokiri Battousai läuft vor einem Kampf davon? Du hast mich noch nicht getötet! Der Kampf ist noch nicht vorbei!“ Kenshin blieb stehen und wandte sich ein letztes Mal um. „Hitokiri Battousai hat in dem Moment aufgehört, zu existieren, als der Bürgerkrieg beendet war. Geh zu deinen Kameraden zurück. Dieser Kampf ist vorbei!“ Dann lief er weiter, bis er schließlich vollends in der Dunkelheit verschwunden war. Er lief ein Stück in Richtung Klippen, bis er vor einem Gebüsch stehen blieb. „Baiko,“ sagte er einfach nur. Baiko, der von diesem Gebüsch aus das Geschehen in der vom Mondlicht erleuchteten Lichtung beobachtet hatte, stand auf. „Verdammt, schon wieder! Woher wusstest du es?“ Er wollte sich gerade zu Kenshin umdrehen, doch dieser schien plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Baiko sah sich überall in der Nähe um, musterte sogar die Äste der Bäume – immerhin hatte er die für ihn sehr beängstigende Erfahrung gemacht, als Kenshin ihm wie ein Schatten über die hohen Dächer von Miyazaki gefolgt war – aber nichts. Kenshin war verschwunden. „Viel Glück, Himura,“ sprach Baiko mit weicher Stimme in den Wald. Dann wandte auch er sich zum Gehen. Lächelnd sah Kenshin von oben auf ihn herab. Baiko hatte einfach nicht hoch genug geschaut, um ihm fast auf der Spitze des Baumes zu entdecken. Langsam sah er ihn zurück zu den Lichtern der Stadt laufen. Sehr wahrscheinlich würde er Baiko von allen am meisten vermissen. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Ki von Ozawa zu. Erleichtert stelle er fest, dass der Mann offensichtlich wieder aufstehen und gehen konnte, wenn auch unter Stöhnen. Würden diese Kämpfe der Vergeltung niemals enden? Es war alles so sinnlos. Kaum war Ozawa aus seinem Blickwinkel verschwunden, da kletterte er vom Baum hinab und kehrte zu seiner kleinen Höhle an den Strand zurück, wo er schnell in einen Schlummer sank. Wie immer war er bereits bei der Dämmerung wieder wach, aber ihm wurde kein prachtvoller Sonnenaufgang über dem Meer beschenkt – statt dessen hatte es das Regnen angefangen. Er fröstelte und nahm in dankbarer Erinnerung Baikos Haori aus seiner Tasche. Sobald er sich versichert hatte, dass draußen am Strand weit und breit niemand zu sehen war, ging er schnell den Weg wieder zurück zum Wald. Anstatt östlich zum Schrein und zum Theater wandte er sich jetzt westlich und schon bald wurde der Wald licht. Nur noch vereinzelt fand er ein paar Ausläufer der Stadt, die schließlich schnell verschwunden waren. Nun war er alleine auf einer wegen dem heftigen Regen wie ausgestorbenen Straße, die aufs Land führte. Er war nass bis auf die Haut und ihm war kalt, aber es hätte viel schlimmer kommen können. Erst am Nachmittag ließ der Regen wieder etwas nach und Kenshin setzte sich in den Schutz eines Baumes, um endlich etwas zu Essen. Nach einer Weile kam sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor und Kenshin rollte seine Bettmatte aus und legte sich in ihr warmes Licht, um zu trocknen. Erst jetzt, nachdem er alle Gefahr endlich von sich abgeschüttelt hatte und ganz alleine in der Natur war, bemerkte er, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, wo er eigentlich hinlief. Und er wusste auch nicht, wo er eigentlich hinlaufen wollte. Orinosuke, darauf konnte er schwören, hatte sicher schon jedem in der Stadt erzählt, dass er Hitokiri Battousai entdeckt hatte. Es würde also gut möglich sein, dass die Leute selbst in so einer patriotischen Provinz wie Satsuma vor ihm auf der Hut oder sogar auf der Suche nach ihm waren. Also würde er nicht weiter in den Süden in die Provinz vordringen. Er überlegte kurz, den Weg zurück nach Norden, den er gekommen war, einzuschlagen, aber der Winter kam jetzt schnell und er wollte nicht in den Bergen sein, falls es zu einem Schneeeinbruch kommen würde. Und was lag im Westen? Die Provinz, die für ihn am schicksalhaftesten war: Choshuu. Er überlegte, dass er eigentlich von dieser Provinz außer den Bergen, in denen er aufgewachsen war und den Städten, in denen er während des Bakumatsu kurzzeitig eingesetzt war, nichts gehen hatte. Vielleicht war es jetzt die Zeit, sich mit seinen eigenen Wurzeln dort – dem Dorf seiner Familie, seiner Vergangenheit vor der Zeit bei Hiko – auseinander zu setzten. Er hatte gar nicht bemerkt, dass seine Augen zugefallen waren und er eingedöst war. Plötzlich ließen ihn Fußschritt hochschrecken. Vor ihm standen drei recht lumpige und wild dreinblickende Ronin. Es gab eine Zeit, zu der er sofort aufgestanden wäre und seine Hand drohend über seinem Schwertgriff hätte kreisen lassen – aber diese Zeit war vorbei. Was hatte er die letzten vier Tage gelernt? Was hatte ihm Baiko immer wieder eingetrichtert? Er lächelte schüchtern. „Hey, du da!“ Einer der Ronin trat nach seinem Bein. “Sag uns, wie man zum Dorf Takahashi kommt.“ Kenshin grinste nur dümmlich. „Hey, ich rede mit dir!“ Der Ronin trat noch einmal, diesmal festern, nach Kenshins Bein. Kenshin lächelte immer noch. „Oro?“ sagte er. Jetzt zog der Ronin sein Schwert und hielt es drohend in Richtung Kenshin. „Wenn du mir nicht sofort den Weg sagst, dann wirst du anstelle deines Mittagessens das Schwert hier zu schmecken bekommen!“ „Sessha ist nur ein Rurouni, weiter nichts,“ sagte Kenshin, während er ein weiteres, albernes Lächeln in sein Gesicht pflasterte. Der Ronin starrte ihn an, drehte sich dann um, steckte sein Schwert wieder ein und ging zu seinen Kameraden. „Das hier muss der Dorftrottel sein. Last uns gehen!“ Ja, er hatte definitiv einige unerwartete Lektionen während seiner Zeit bei der Kabuki-Truppe gelernt, dachte Kenshin, während er den Männern hinterher sah. Überlebenstechniken sozusagen – die Kunst, einen Feind loszuwerden, in dem man schauspielert. Er lachte laut über die Absurdität des Ganzen: der gefürchtete Hitokiri Battousai als Dorftrottel. Gott, es fühlte sich so gut an, wieder zu lachen, vor allem über sich selbst! Er sammelte seine Sachen ein, rollte die Matte zusammen und trat auf die Strasse. Er wusste nun, wohin er gehen würde. Dann, die warme Sonne auf seinem Gesicht spürend, machte er sich auf den Weg nach Westen. -- Author’s Note: Vielen Dank an dieser Stelle an alle Leser und vor allem an meine Reviewer: Zmistress, bluedunz und Sarai-san!! Vielen Dank!! Natürlich auch vielen Dank an die anderen Unterstützer: Carcajou, Inuyasha22 und Mono-chan! Ohne euer Interesse hätte ich die Arbeit schon längst aufgegeben!! Ich umarm euch alle ganz herzlich ^_^x Das Größte Dankeschön bekommt natürlich die Autorin dieser Geschichte Conspirator Ihr sei gedankt, dass sie eine der besten Kenshin-Fanfics ever geschrieben hat und ich sie übersetzten durfte!! Ihr habt außerdem Glück: Die Autorin hat für die Story ein Jahr gebraucht, und ich nur ein halbes ;)) Die Originalstory könnt ihr nachlesen unter: http://www.fanfiction.net/s/1768089/1/An_Unexpected_Lesson Es gibt auch einen Epilog: Wer den auch übersetzt haben möchte, bitte melden. Ansonsten betrachte ich diese Geschichte als abgeschlossen ;)! -- Japanese Terms: Boshin Krieg: Rebellion gegen die neue Regierung, vor allem in Aizu und Hokkaido, 1868-69 Okubo Toshimichi: Einer der führenden Ishin Shishi aus Satsuma, unter der neuen Regierung quasi der leitende Minister Japans. Ishin Shishi: Die Patrioten, die gegen das Shogunat während des Bürgerkrieges (Bakumatsu) kämpften Haori: warmer Überwurf-Mantel Engawa: Veranda bei japanischen Häusern Kinmon ho Hen: Der Versuch der Choshuu-Fraktionen , den Palast des Kaisers zu erstürmen und den Kaiser nach Choshuu zu bringen, 1864 (gescheitert) Ougi: die finale Technik eines Schwertstils, die weitervererbt wird Wakizashi: Kurzschwert Kiheitai: Privatarmee Choshuus, ins Leben gerufen von Takasugi Shinsaku zu Beginn des Bakumatsu Ronin: herrenloser Samurai Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)