An unexpected Lesson von MajinMina (Eine unerwartete Lektion) ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Kenshin wurde auf seinem Weg bereits von Leuten erkannt. Wie wird es ihm jetzt in Miyazaki ergehen? Daisuke: Vater und Ältester der Familie Ikuko: Daisuke's Frau Orinosuke: Ältester Sohn Mayako: Orinosuke's Frau Ryosuke: Zweitältester Sohn Mei: Ryosuke's Frau Ennosuke: Jüngster Sohn Noriko: Ennosuke's Frau Bunjiro, Byako: Orinosuke's Söhne. Saburo, Oda: Ryosuke's Söhne Nomi: Ennosuke's Tochter Eine Unerwartete Lektion Kapitel 8 Miyazaki. Niemals vorher war eine Gruppe Reisender so froh gewesen, das Schild dieser Stadt zu erblicken! Nach dem schrecklichen Vormittag mit dem Kampf gegen die Yakuza wollte die Familie nichts lieber, als endlich die sichere Stadt zu betreten. Der Rest der Reise dorthin war nicht schwierig gewesen, eher das Gegenteil. Kurz nach der Abreise hatten die Kinder ein fröhliches Lied angestimmt und bald hatten alle mitgesungen. Auch Kenshin hatte, zuerst zögerlich, die Melodie mitgesummt, rief doch dieses Kinderlied die seltsamsten Erinnerungen in ihm wach. Vor seinem geistigen Auge sah er sich selbst als kleines Kind auf einem Acker stehen und neben sich seine Mutter, deren Gesicht im Nebel seiner Erinnerung schon verblasst war und sie summte ihm gerade dieses Lied zu. Doch schon bald lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, auf der jetzt viele Wanderer und Reisende unterwegs waren. Anscheinend hatte so weit im Norden der Terror der Yakuza die Menschen nicht betroffen. Die Strasse wurde immer voller, je näher sie der Stadt kamen und vor allem die Kinder, die jetzt wegen der Menschenmassen vorsichtshalber im Wagen saßen, um nicht verloren zu gehen, wurden aufgeregt und freuten sich auf die Stadt – nur nicht Kenshin. Während er neben dem Wagen herlief, bemerkte er die Blicke der Menschen, die beiläufig und neugierig seine auffälligen Haare bemerkten. Zum Glück, überlegte er, war seine linke Wange dem Wagen zugewandt – seine Narbe war für die Menschen also nicht zu sehen. Jetzt erinnerte er sich wieder, warum er einsame Strassen bevorzugte. Als sie die Stadt betreten hatten, fragte Daisuke in einem der Geschäfte nach dem Weg. Als der Ladeninhaber hörte, dass es sich um die berühmte Daisuke-Kabuki-Familie handelte, wurden seine Augen größer und in einer Flut von Verbeugungen gestikulierte er Daisuke die Richtung. Neugierig blieben einige Menschen stehen und sahen, wie der Ladenbesitzer Poster in seine Fenster hängte, die den Auftritt der Kabuki-Familie ankündigten. Lautes Gemurmel erhob sich und einige der Leute näherten sich begeistert dem Wagen. Kenshins Hand schwebte schon über dem Griff seines Sakabatous, doch Daisuke beruhigte ihn. „Keine Aufregung, Himura – das sind nur unsere Fans!“ Fans? Kenshin schaute sich das Poster im Fenster an. „Kabuki Auftritt! Die berühmte Daisuke-Familie aus Kagoshima. Morgen, Miyazaki, im großen Jingu Schrein Donnerstag und Freitag im Soudai-Theater.“ Darunter waren Abbildungen von Daisuke, Orinosuke, Ryosuke und Ennosuke. Daisuke war nun damit beschäftigt, Bunjiro und Byako ein paar kleinere Flyer in die Hand zu drücken und sie damit in die Menge zu schicken. Innerhalb von Sekunden war unter den Frauen bereits ein Streit um die schönsten Zettel mit den Abbildungen ihrer Lieblingsschauspieler entbrannt. Kenshin tippte Byako auf die Schulter und fragte fast schon schüchtern, ob er auch einen Flyer haben könnte. Byako kicherte und fingerte ein Portrait von Orinosuke aus seinem Zettelbündel. „Mein Vater,“ erklärte er stolz. Baiko reckte seinen Kopf über Kenshins Schulter. „Ich wusste nicht, das sie so berühmt sind.“ Die beiden beobachteten mit wachsendem Erstaunen, wie sich die Menge fast schon um die Zettel zu prügeln begann. „Hast du gelesen, was drauf steht?“ „Nein,“ sagte Baiko, „warum?“ „Hier steht, das sie nicht nur morgen auftreten sondern auch die zwei Tage danach,“ antwortete Kenshin mit besorgter Stimme. Baiko las nun das Plakat durch. „Hmpf,“ nuschelte er, „die haben mir darüber auch nicht bescheid gesagt, aber was weiß ich schon? Ich bin nur der Sicherheitsmann.“ „Baiko, verstehst du nicht?“ Kenshins Stimme nahm nun einen drängenden Unterton an. „Ich wollte morgen gehen – ich kann nicht riskieren, länger in der Stadt zu bleiben!“ Er ließ seinen Blick in die Menge schweifen. „Sessha ist nicht einmal sicher, ob er heute nacht noch bleiben kann...“ Baiko legte Kenshin den Arm auf die Schulter und zerrte ihn zurück an die Seite des Wagens. „Himura, du hast dein Wort gegeben, dass du bei dem Auftritt dabei sein wirst. Und der ist nun mal erst morgen. Du musst also bleiben. Danach kann dich niemand mehr halten und du kannst verschwinden.“ Er klopfte Kenshin ermutigend auf den Rücken. „Es wird schon alles glatt gehen, du wirst sehen.“ Sie erreichten ihre Unterkunft, die sich weit im Nordosten der Stadt befand, nicht weit weg von dem Schrein, in dem sie ihren ersten Auftritt haben würden. Leider mussten sie vorher nahezu die ganze Stadt durchqueren. Daisuke ließ den Wagen alle paar Meter anhalten, so dass die Kinder weitere Flyer verteilen und Plakate aufhängen konnten und jedes Mal, wenn der Wagen hielt, wurde es Kenshin mulmiger. Es waren nicht nur die Blicke – was alleine schon schlecht genug war – sondern auch die Tatsache, dass mehr als nur ein paar Soldaten in der Stadt unterwegs zu sein schienen. Sie trugen alle das Zeichen der Armee von Satsuma. Die Jüngeren unter ihnen beachtete Kenshin gar nicht, da sie wahrscheinlich nur in dem noch nicht lange zurückliegenden Boshin-Krieg gekämpft hatten. Was ihm Sorgen machte, waren die älteren Soldaten, die wahrscheinlich alle in den Kämpfen der Bakumatsu-Zeit dabeigewesen waren, so auch in dem Entscheidungskampf bei Toba Fushimi... Kenshin unterbrach seinen Gedankengang. Es waren tausende Soldaten aus Satsuma und Choshuu bei diesem Kampf dabei gewesen, aber eigentlich hatte nur eine handvoll Männer zusammen mit ihm gekämpft und die waren vornehmlich alle aus Choshuu gewesen. Die Chancen, hier Soldaten zu treffen, die ihn damals gekannt hatten, war also relativ gering. Dennoch, als sie endlich die beeindruckend aussehende Unterkunft erreicht hatten, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Kenshin beobachtete den Gastwirt, der herauskam und Daisuke fast wie einen Fürsten begrüßte. Dieser wiederum ließ sich all das Geschmeichel gefallen, fast so, als ob er wirklich ein großer Feldherr sei. Es war kein Zweifel daran, das Daisuke etwas von einem Feldherr oder Kriegsherren hatte, aber Kenshin hatte ihn bisher noch nie so forsch und arrogant, ja sogar einschüchtern, erlebt. Neugierig über die plötzliche Veränderung versuchte Kenshin, Daisukes Ki zu lesen, doch alles was er spürte, war, dass Daisuke einen Riesenspaß zu haben schien. Und da, gerade als der Gastwirt Daisuke unter vielen Verbeugungen in das Innere seiner Herberge bat, sah er es, das schelmische Glitzern in Daisukes Augen. Dieser Mann war wirklich mit Leib und Seele ein Schauspieler. “Baiko-san, Himura-san,” rief Daisuke nun und die beiden kamen zu ihm. „Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Neuigkeiten. Wir dürfen in der Herberge übernachten, aber ihr bekommt leider nur kleine Zimmer beim Dienstpersonal zugeteilt. Der Wirt meinte auch, weil ihr die Diensträume bewohnt, dürft ihr das Badehaus nur dann benutzen, wenn alle Gäste fertig sind. Außerdem sollt ihr zusammen mit dem anderen Personal essen. Der hat Nerven, wenn man bedenkt, was ich für die Übernachtungen bezahle. Nachdem, was wir zusammen durchgemacht haben die letzten Tage würde ich euch gerne etwas besseres anbieten, aber leider lässt der Wirt nicht mit sich reden. Tut mir leid...“ Baiko seufzte tief. „Dienstbotenräume sind besser als Scheunen, nicht wahr, Himura?“ „Was?“ Kenshin war gerade damit beschäftigt gewesen, die verschiedenen Ki’s, die aus der Herberge strömten, genauer in Augenschein zu nehmen. „Oh, ja, das ist gut,“ stammelte er und rückte schnell das schüchterne Lächeln in seinem Gesicht zurecht. „Sessha ist doch sowieso nur ein Vagabund.“ “Gut, dann hätten wir das geklärt,” klatschte Daisuke in die Hände. „Lasst uns schnell den Wagen ausräumen und die Pferde im Stall unterstellen. Danach habt ihr Freizeit, bis morgen früh. Himura, bist du wieder fit?“ „Ja,“ meinte Kenshin, „noch ein bisschen müde, aber das wird sich bis morgen gegeben haben.“ „Gut,“ antwortete Daisuke,“ du weißt, ich bin davon überzeugt, dass es Schicksal war, dass wir dich in den Bergen getroffen haben. Du kamst genau richtig, um meinen Sohn zu retten und dann hast du uns heute auch noch alle gerettet – das war Karma. Wir stehen für immer in deiner Schuld, Himura-san.“ Daisuke verbeugte sich tief vor ihm, bevor er in die Herberge ging. Kenshin erwiderte die Verbeugung sprachlos. Schon wieder hatte er nicht mit so einer Art von Behandlung gerechnet. „Willst du hier Wurzeln schlagen oder mir beim Ausladen helfen?“ Kenshin löste sich lächelnd aus seiner Erstarrung und machte sich mit Baiko an die Arbeit. Innerhalb einer Stunde war alles ausgeladen und die zwei setzten sich in ihr gemeinsames Zimmer um sich erst mal ein bisschen Ruhe zu gönnen. Es war bereits dunkel, als ein Dienstbote herbeikam und sie zum Essen rief. Baiko war hungrig und er sprang schnell auf die Füße und war schon halb zur Tür hinaus, bevor er Kenshin bemerkte, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte „Was ist los? Nicht hungrig?” fragte er. Kenshin schüttelte den Kopf. „Du musst doch was essen!“ protestierte Baiko. Kenshin vergewisserte sich, das keiner vom Dienstpersonal mehr in der Nähe war, bevor er erklärte, „Baiko, es ist keine gute Idee, wenn ich mit so vielen Menschen zusammen esse.“ „Hä? Ich komm nicht so ganz mit. Einfache Diener werden dich doch nicht erkennen!“ Kenshin seufzte. “Schon als wir durch die Stadt hierher gelaufen sind, haben mich die Leute angestarrt. Die roten Haare, weißt du... aber sie konnten wenigstens die Narbe nicht sehen.“ Seine Hand glitt abwesend über das X auf seiner Wange. „Wenn sie jedoch die Narbe bemerken, dann...“ Baiko stapfte zu Kenshin zurück und wühlte in seiner Tasche. „Hast du da drin nicht irgendwas, eine Art Pflaster oder so? Das kannst du doch über die Backe kleben!“ „Hm, na ja... eigentlich schon,“ dämmerte es Kenshin langsam. „Aber fänden das Daisuke-san und die anderen nicht seltsam?“ „Essen die mit dem Dienstpersonal? Nein! Also!“ Kenshin lächelte. “Du hast recht.” Er förderte ein Pflaster zu Tage, das er vorsichtig über die X-Narbe klebte, bis nichts mehr davon zu sehen war. „Und?“ fragte er. Baiko lachte. „Perfekt. Jetzt aber los zum Essen!” Die beiden gingen in Richtung Küche, wo der Speiseraum der Dienerschaft war. Dort fanden sie nicht nur die acht Diener der Herberge sondern auch noch zehn weitere, die mit Gästen hergekommen waren und der Raum war somit recht überfüllt. Wie Kenshin erwartet hatte, glotzten ihn einige doof an, aber nach wenigen Minuten hatte sich jeder an seine Haare gewöhnt und keiner nahm noch groß Notiz von ihm. Nach dem Essen fragten ein paar Männer, ob sie nicht auch noch Lust auf ein kleines Würfelspiel hätten. Es kam Leben in die Menge und auch Baiko war von der Idee begeistert. „Himura, hast du Lust? Kannst du Würfelspiele?“ Kenshin kicherte. „Ja, Sessha kennt sich aus, aber es ist schon eine Weile her. Ich bin auch ziemlich müde.“ „Och, bitte – lass uns ein bisschen zocken,“ bettelte Baiko. „Du kannst Geld doch auch gut gebrauchen, oder nicht? Oder bist du ein Pechvogel, der nicht mal mit gezinkten Würfeln gewinnen würde?“ Kenshins Lächeln wurde breiter. „Ich könnte etwas Geld für einen Haori gebrauchen, das stimmt. Na gut, ich werde mitspielen. Aber nicht gegen dich. Nur gegen die anderen. Einverstanden?“ Baiko sah ihn komisch an, aber erklärte sich einverstanden. Sie setzten sich zu den anderen Mitspielern, die sie mit einem Gekicher begrüßten. „Hey, Soldat!“ sagte einer von ihnen zu Baiko. „Wer ist das Kind? Weiß seine Mutter, dass er hier Würfel spielt?“ Baiko sah sich um, während die anderen Männer laut lachten. „Welches Kind?“ fragte er verwirrt. Dann fiel sein Blick auf Kenshin, der wieder sein schüchternes Lächeln im Gesicht hatte und es dämmerte ihm. Mit der Bandage auf der Backe sah er wirklich nicht viel älter aus wie 16! „Ach, ihr meint ihn? Naja, er hat bestimmt mehr Erfahrung, wie ihr denkt.“ Er warf Kenshin einen hoffnungsvollen Blick zu. Kenshin lächelte nur. Das Spiel begann und jeder würfelte nach der Reihe. Die Männer freuten sich schon auf leichte Beute – der rothaarige Junge sah wirklich recht planlos aus. Doch leider gewann er zufällig die erste Runde. Anfängerglück, dachten die Männer. Doch auch die Zweite, nein sogar die dritte Runde gewann er. Vor ihm türmten sich jetzt schon einige Münzen und die Männer wurden langsam wütend. „Hey Himura, was machst du?” flüsterte Baiko ihm zu, der fühlte, wie die Luft im Raum immer dicker wurde. „Wieso gewinnst du immer? Betrügst du?” Kenshin schaute ihn unschuldig an. „Ich hab einfach nur Glück.“ Baiko nahm ihm die Würfel, die, wie er glaubte, auch ihm soviel Glück bringen würden, aus der Hand doch als er die ersten drei Runden verloren hatte, wollte er sie missmutig wieder wegwerfen. Kenshin ermutigte ihn jedoch zu einem vierten Wurf und kaum waren die Würfel gefallen und rollten über den Boden, da wisperte Kenshin von hinten „Zwei und Sechs.“ Schnell rief Baiko die Zahlen aus und siehe da – er gewann. Sie wiederholten das Spielchen noch zwei Mal, doch die Stimmung im Raum wurde zunehmend explosiver, so dass sie sich mit einer kurzen Verbeugung entschlossen, das Spiel zu beenden. Schnell rafften sie ihre Gewinne an sich und verließen den Raum. „Und wehe, ihr kommt zurück!“ rief ihnen einer der Männer hinterher. In ihrem Zimmer angekommen, packte Baiko Kenshin am Arm. „Wie zur Hölle hast du das gemacht?!“ „Was gemacht?“ fragte Kenshin unschuldig. „Du weist genau, was ich meine - jedes Mal die Augenzahl der Würfel richtig vorrausgesagt. Sowas hab ich noch nie gesehen!“ „Ach so,“ lachte Kenshin. „Das hat mir mein Meister beigebracht. Es geht darum, die Rotation und Flugbahn der Würfel richtig zu beobachten... na ja, es dauert eine Weile, bis man es raus hat. Deswegen wollte ich auch nicht gegen dich spielen!“ Er verstaute seine Gewinne in seiner Reisetasche. „Meinst du, das Badehaus ist jetzt frei?“ Er hatte seit – er wusste gar nicht wie lange – kein vernünftiges Bad mehr gehabt und es erschien ihm jetzt äußerst verführerisch, sich in eine warme Wanne zu versenken anstatt wie sonst in irgendeinen kalten Fluss zu stellen. Baiko sah aus dem Fenster. „Wir hätten es verdient. Scheint so als ob es frei ist.“ Wenige Minuten später saßen beide zufrieden im warmen Wasser. Kenshin versuchte vorsichtig, seine verwundete Schulter nicht ins Wasser zu tauchen. Er schloss seine Augen und entspannte sich und nach einiger Zeit fühlte er sich so erholt, dass er fast eingenickt wäre. Das Plätschern Baikos machte ihn wieder wach und so stand auch er auf und rubbelte sich trocken. Danach gingen sie in ihr Zimmer und sanken in wohlverdienten Schlaf. Kenshin erwachte wie gewöhnlich mit den ersten Sonnenstrahlen. Er war kurz verwirrt, sich selbst in den Räumen einer Herberge vorzufinden, doch dann erinnerte er sich, dass er in Miyazaki war und nicht in Kyoto und dass der Mann, der neben ihm noch friedlich schnarchte nicht irgendein Ishin Shishi Soldat war sondern Baiko. Er setzte sich langsam auf und streckte sich. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihn und er untersuchte die Schulterwunde, doch sie heilte schon und alle Nachwirkungen des Giftanschlags vom Vortag schienen endlich vorbei zu sein. Er sah aus dem Fenster und bemerkte, dass es wohl ein strahlender Tag werden würde. Auch Baiko wachte auf und gemeinsam machten sie sich fertig für den neuen Tag. Beim Anziehen beobachtete Kenshin die Menschen auf der Strasse. Für ihn war es immer etwas besonderes gewesen, so viele Leute unterwegs zu sehen. Er konnte sich noch erinnern, wie er nach seiner Einsiedlerzeit bei Hiko nach Kyoto gekommen war und wie es ihn fasziniert hatte, so viele Menschen auf einem Haufen zu sehen. Natürlich bekam das Menschen-Beobachten durch seinen Job als Hitokiri schnell eine ganz andere, finstere Bedeutung... Schon bald klopfte es an ihrer Tür, das Zeichen für Frühstück. Kenshin zögerte kurz, bevor er sich dazu entschloss, das Pflaster wieder auf seine Backe zu kleben. Kaum betraten sie das Esszimmer, begannen die Männer über sie verächtlich zu murmeln. „Da, der Junge da hat mir all mein Geld abgeluchst,“ flüsterte einer der Männer frustriert. „Ich glaube,“ meinte Baiko an Kenshin gewandt, „wir sind hier nicht mehr so willkommen...“ “Oro?” schaute ihn Kenshin unschuldig an. „Na, du weißt schon, du hast sie ganz schön abgezockt....“ „Ich weiß, ich weiß,“ lachte Kenshin selbstzufrieden. Das Essen war einfach, aber sättigend. Kaum waren sie fertig, da kam Bunjiro hereingeschneit. Kenshin drehte schnell den Kopf weg, da ihm das Pflaster auf der Backe einfiel und Baiko hielt den Jungen auf. „Was ist, Bunjiro?“ „Ihr sollt den Wagen einspannen, wenn ihr fertig seid, meint Vater.“ Sagte Bunjiro. „Geht klar,“ antwortete Baiko und wollte den Jungen gerade zur Tür herausschieben, doch dieser packte ihn am Ärmel. „Baiko-san...“, meinte er mit ängstlicher Stimme, „meinst du, Shimazu-sama ist sauer auf uns? Weil, wir sollten doch schon gestern hier ankommen und so weiter. Ich hab versucht, Vater zu fragen, doch der war gleich wütend und...“ Baiko tätschelte Bunjiros Haare. „Keine Sorge. Wenn Shimazu-sama hört, das wir überfallen wurden, wird er schon Nachsicht haben.“ Ermutigt nickte Bunjiro und rannte davon. Kenshin atmete auf. „Hey,“ fragte einer der Bediensteten, „das war doch eines der Kinder von dem Schauspieler, oder?“ „Und?“ antwortete Baiko fahrig. „Arbeitet ihr für die?“ „Ja, und?“ „Naja, wir leben in Kagoshima und mein Herr geht immer mit seiner Frau in das Kabuki-Theater. Die waren total aus dem Häuschen, als sie hörten, das ihre Lieblingsschauspieler genau wie sie hier in der Herberge übernachten. Die Frau konnte gar nicht mehr aufhören, über sie zu reden. Vor allem ihre Onnagata schien es ihr angetan zu haben... wie hieß er doch.. Enno...“ „Ennosuke-san?“ ergänzte Baiko. „Ja, der ist die Onnagata. Aber leider hat er sich ein Bein gebrochen, deswegen wird Himura...“ Baiko sprang auf, als er den Inhalt seiner Suppenschüssel, die er gerade noch in der Hand hatte, in seinem Schoß wiederfand. „Was zur...!“ Kenshin schaute so erstaunt wie jeder andere, aber war überhaupt nicht erstaunt, dass keiner seine Hand gesehen hatte, mit der er in unglaublicher Geschwindigkeit die Nudelsuppe in Baikos Schoß gekippt hatte. Die Bediensteten fingen an zu lachen und Baiko wurde rot, da sich der große feuchte Fleck an einer sehr prägnanten Stelle seines Körpers befand. Fluchend stapfte er aus dem Raum und rief Kenshin hinter sich her. „Los, an die Arbeit!“ Er stürmte in sein Zimmer davon und Kenshin folgte ihm so schnell wie möglich. „Sessha hasste es, das zu tun,“ sagte Kenshin fröhlich. „Gomen nasai.“ Baiko drehte sich langsam um, während er denn Sinn dieser Worte in sich aufnahm. „Du?!“ fragte er ungläubig. „Du hast das getan?!“ Kenshin schluckte sein Lachen hinunter. „Hast du vergessen, was du mir gesagt hast? Als Onnagata wird mich keiner erkennen – deswegen durftest du mich nicht verraten. Leider war der einzige Weg, dich unauffällig zum Schweigen zu bringen, der, dir deine Suppe auszuleeren. Kannst du mir verzeihen? Ich werde dir auch deine Hakama waschen.“ Baikos warf wütend seine dreckige Hose in die Ecke und zog eine neue an. „Weist du, was dein Problem ist, Himura? Du bist paranoid! Das ist es – du bist paranoid ! Du denkst, jeder in der Welt ist hinter dir her. Tja, vielleicht ist es aber nicht so und vielleicht hättest du mir gerade eben nicht die heiße Suppe in meinen Schoß leeren müssen.“ Kenshin versteifte sich und seine Augen nahmen einen unleserlichen Ausdruck an. „Natürlich,“ sagte er in einer plötzlich monotonen Stimme, „du hast recht. Sessha hatte kein Recht, das zu tun. Aber da gibt es noch etwas, was ich dir nicht erzählt habe – gestern hat mich einer der Banditen erkannt. Ich habe gedacht, vielleicht hat es meine Beschreibung nicht so weit in den Süden geschafft, aber anscheinend ist es so. Verstehst du endlich, dass ich hier schnell weg muss?“ Baikos Wut verdampfte. „Himura. Tut mir leid. Ich meinte das jetzt nicht böse. Ich war nur wütend. Naja, und ok, es war ja auch lustig.“ Kenshins Mundwinkel zuckten. „Außerdem hast du die Blutsauger von gestern Abend abgelenkt.“ Das Lächeln schlich sich zurück in Kenshins Gesicht. Er rupfte sich das Pflaster von der Backe und eilte seinem Freund hinterher, die Pferde anzuspannen. Innerhalb zwanzig Minuten stand der Wagen für Daisuke bereit, er schon auf sie wartete, gekleidet in seinem feinsten Kimono und in der Hand mehrere Plakate. „Ah, gut, gut,“ begrüßte er sie geschäftig und drückte ihnen die Plakate in die Hand. „Hier. Du und Himura werdet diese in der ganzen Stadt aufhängen. Eigentlich hätten wir ja schon gestern hier eintreffen sollen, deswegen beeilt ihr euch am besten. Ach ja, Himura-san, du solltest am späten Vormittag wieder hier sein, wir wollen noch mal das Stück durchgehen. Du wirst uns am alten Noh-Theater auf dem Gelände des Schreines finden. Eine Wegbeschreibung steht auf dem Plakat.“ Quer durch die Stadt mit Plakaten laufen? Das war das letzte, was Kenshin jetzt tun wollte. Es war eine Sache, mit einer dicken Schicht weißer Schminke im Gesicht und in Frauenkleidern auf der Bühne zu stehen – aber etwas ganz anderes war es, im hellen Tageslicht durch eine Stadt voll mit Soldaten zu schlendern, die ihn jederzeit erkennen könnten. Und das Pflaster aus seiner Tasche hatte er gerade weggeschmissen. „Ah,“ warf Kenshin verzweifelt ein, „ich muss mir noch Ennosukes Bein anschauen. Vielleicht sollte Baiko-san ohne mich...“ „Keine Sorge,“ unterbrach ihn Daisuke, „der Wirt hat uns schon den besten örtlich ansässigen Arzt geholt, der jede Minute eintreffen muss. Du kannst also ruhig Baiko-san begleiten. Außerdem geht es zu zweit ja schneller! Ich kümmere mich derweil um die Statisten.“ Während Kenshin und Baiko die Herberge verließen, machte sich Daisuke mit dem Wagen auf den Weg zum Haus des Gouverneurs. Einige seiner Leibwächter würden heute Nachmittag als Statisten in seinem Stück mitspielen. Kaum waren Baiko und Kenshin auf der Strasse, da drehte sich letzterer auch schon um und blieb stehen. „Baiko, ich kann nicht! Es ist zu riskant!“ Baiko sah ihn an. In der Tat, Kenshin war von einem der Yakuza erkannt worden, aber bedeutete das, dass man ihn auch in Miyazaki erkennen würde? Baiko wusste nicht, ob er sich nun Sorgen machen sollte oder nicht, aber Kenshin war wirklich aufgebracht. Wie als Antwort nickte Kenshin. „Sessha hat versucht, Städte zu vermeiden und wenn das nicht möglich war, dann habe ich wenigstens ein Pflaster auf meine Wange gemacht. Aber leider hab ich jetzt kein Pflaster mehr.“ „Wir können jetzt aber nicht mehr zurück,“ überlegte Baiko, „das würde verdächtig wirken.“ Er schaute sich um. Es war noch früh am Morgen und die Straßen waren ziemlich leer. „Hör mal, die Leute sitzen noch beim Frühstück und es wird dauern, bis sich die Straßen füllen. Vielleicht schaffen wir es ja schon vorher, alle Plakate aufzuhängen.“ Kenshin war von dem Vorschlag nicht wirklich überzeugt, aber er hatte keine Wahl. Als sie losgingen, spürte er, wie sich alle seine Sinne schärften und seine Muskeln anspannten. Sofort versuchte er, jegliche feindliche Ki sofort zu erspüren und er bestand darauf, zwischen den Gebäuden am Straßenrand und Baiko zu laufen, wo er für Vorbeigehende nicht sofort erkennbar war. Er fühlte sich fast wie damals in Kyoto während des Bakumatsu. Auch Baiko spürte den Unterschied, denn als er nach rechts zu seinem Begleiter schaute, traf sein Blick nicht die ruhigen Augen des Rurouni sondern die zusammengekniffenen und konzentrierten Augen eines Kriegers – des Hitokiri Battousai, realisierte er mit einer Gänsehaut. Sie waren schon auf dem Heimweg und gingen gerade um eine Ecke, als eine Gruppe Soldaten ihren Weg kreuzte. Sie alle waren am reden und scherzen und schenkten dem Verkehr nicht sonderlich Beachtung, doch einer der Männer sah flüchtig einen roten Schimmer. Neugierig drehte er sich um und sah nicht nur einen rothaarigen Mann, sondern einen rothaarigen Mann mit einer X-förmigen Narbe auf der Wange. Er blieb stehen und hielt auch seine Kameraden an. Kenshin fühlte plötzlich die feindselige Ki und verschmolz schnell mit einem nahen Hauseingang, so dass Baiko jetzt alleine auf dem Gehsteig stand. „Habt ihr das gesehen?“ fragte der Soldat. Er blickte in die Richtung, in der er eben noch das rote Haar gesehen hatte, wo aber jetzt niemand sonst als ein etwas perplex dreinschauender Schwertträger mit dunklen Haaren stand. „Was?“ fragte der zweite Soldat. „Ich sehe nichts.“ „Rote Haare,“ flüsterte wieder der Erste, langsam, als ob er seinen Worten selbst nicht so ganz glauben konnte. „Ich schwöre, ich hab jemanden mit roten Haaren gesehen – und einer X-förmigen Narbe... ich bin mir sicher...“ „Hast du Halluzinationen?“ fragte der dritte Soldat. „Oder hat das Mädchen gestern Nacht dich um den Verstand gebracht?“ Er lachte anzüglich. “Hey! Ich meine es ernst. Ich hab das wirklich gesehen!” versicherte der erste Soldat. „Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war Hitokiri Battousai...“ Während die drei Soldaten vor sich hin diskutierten, war es Kenshin in der Zwischenzeit gelungen, unbemerkt auf das Dach des Gebäudes zu springen. Er konnte jedes Wort, das gesprochen wurde, hören und eine eiskalte Ruhe befiel ihn. „Hitokiri Battousai? Du spinnst wohl!“ rief der dritte Soldat aus. „Der ist doch vor Jahren verschwunden.“ „Nein! Ich habe gehört, dass er durch die Wildnis streift, von den Göttern ausgesandt, um alles Böse niederzumetzeln,“ sagte der erste Soldat in verschwörerischer Stimme. Sie begannen weiter zu laufen, aber der Soldat warf noch mehrere Blicke über die Schulter zurück. Immer noch stand da nur der anscheinend geistig verwirrte Mann, der um sich blickte, als ob er seinen Schoßhund verloren hätte. Aber dieser „verwirrte Mann“ hatte auch jedes Wort, dass die Soldaten gesprochen hatten, gehört und er schalt sich selbst, dass er Kenshin nicht zurück in die Herberge gelassen hatte. „Tja,“ meinte der zweite Soldat, „wenn der Attentäter Battousai wirklich in der Stadt ist, dann sagen wir besser Ozawa-san bescheid. Sein Bruder wurde doch vom Hitokiri Battousai getötet. Das muss gleich zu Beginn des Bakumatsu passiert sein, als die Idioten aus Choshuu versucht hatten, den Kaiser zu entführen. Ozawa-sans Bruder war damals Mitglied der Palastwache und man erzählt sich, dass es der Battousai gewesen war, der ihn tötete. Ozawa-san hat damals ewige Rache geschworen.“ „Verdammt.“ Mit diesem Statement bewegten sich die Soldaten endlich weiter und kamen außer Hörweite. Baiko, der bis dahin vergeblich Ausschau nach dem verschwundenen Kenshin gehalten hatte, rief, kaum waren die Soldaten außer Sichtweite, leise seinen Namen. „Himura? Wo bist du?“ “Oben,” kam eine Stimme vom Dach. Baiko schaute nach oben und sah Kenshin, der flach gedrückt auf dem Dach lag. Weder Leiter noch sonstige Hilfsmittel, um ein Dach zu besteigen, waren zu sehen. Baiko war verblüfft. „Wie zur Hölle bist du da hoch gekommen?“ fragte er. „Und noch dazu, ohne von mir gesehen zu werden?“ „Egal,“ antwortete Kenshin, „Sessha muss so schnell wie möglich zurück zur Herberge, bevor noch jemand seine Anwesenheit bemerkt. Ich folge dir auf dem Weg zurück über die Dächer. Schau bloß nicht nach oben – tu einfach so, als ob alles ganz normal wäre.“ Baiko bekam eine Gänsehaut. Es dämmerte ihm plötzlich, auf welche Art und Weise Kenshin zu diesem Talent des „Auf-einmal-Verschwindens“ gelangt sein musste. Eine legendäre Fähigkeit des Hitokiri Battousai war, dass er sich wie ein Schatten bewegen konnte und Baiko wurde heute Zeuge erster Hand von diesem Talent. Jetzt wusste er, wie es sich anfühlte, beobachtet zu werden – gejagt zu werden – von einem unsichtbaren Schatten auf den Dächern und seine Beine begannen, sich wie Wackelpudding anzufühlen. Er erinnerte sich hastig daran, das Kenshin ja ein Sakabatou trug und kein Katana und dadurch bestärkt begann er, in Richtung des Myazaki Jingu Schreines zu laufen. Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis er dort war, aber Baiko war überzeugt, das dies die längste halbe Stunde seines Lebens gewesen war. Es war nicht so, als ob er sich ernstlich in Gefahr befunden hatte, aber das Gefühl, dass jeder seiner Schritte, alle Bewegungen, die er machte, von einem Hitokiri beobachtet wurden, war unerträglich gewesen. Naja, ein ehemaliger Hitokiri, aber trotzdem! Es war ihm trotzdem eiskalt den Rücken herunter gelaufen. Der Schrein tauchte in seiner Sichtweite auf und die Bäume um ihn herum wurden dichter. Baiko lief jetzt langsamer und fragte sich, ob er anhalten und auf Kenshin warten sollte. „Bin da,“ sagte Kenshin leise von hinten und Baiko hüpfte vor Schreck. „Verdammt!“ rief er und sein Herz raste, „du hast mich zu Tode erschreckt!“ Kenshin lächelte ein wenig. Er verbeugte sich zur Entschuldigung und ging dann in Richtung Schrein voraus. Baiko atmete einmal tief ein und aus, bevor er ihm folgte. Kenshin spürte, dass er nicht nur wegen dem Schreck gerade eben aufgeregt war. „Himura,“ meinte Baiko, „du hast auch gehört, was die Soldaten da geredet haben?“ Kenshin seufzte. Da wären wir, dachte er. “Ja,” war seine Antwort. Baiko fingerte am Griff seines Katanas, er war sichtlich äußerst angespannt. „Du hattest recht – es gibt wirklich Leute, die hinter dir her sind,“ gab er zu. „Ich hätte nicht an deinen Worten zweifeln sollen, aber...“ Für Baiko machte die ganze Geschichte einfach keinen Sinn. Das Ziel der Revolution war doch gewesen, die Macht an den Kaiser zurückzugeben. Also, warum sollte Kenshin dann die Palastwachen des Kaisers getötet haben? Außer, die Geschichten über Hitokiri Battousai waren wahr und er tötete wirklich nur zum Spaß... Kenshin seufzte nochmals. Er kam nicht drum herum, Baiko die Wahrheit zu erzählen. „Du weißt über Kinmon no Hen bescheid?“ fragte er mit sanfter Stimme. “Sicher, jeder weiß das. Damals hat Choshuu versucht den Kaiser zu entführen und somit den Shogun zu kontrollieren. Ein schwarzer Tag für Satsuma, denn damals haben sie sich mit den Bastarden aus Aizu verbündet, um Choshuu aufzuhalten. Soweit ich weiß, ist an dem Tag Kyoto fast komplett niedergebrannt.“ „Nicht alle Anführer Choshuus billigten diese Aktion,“ erzählte Kenshin, dessen Stimme nun tief und emotionslos war. „Katsura Kogoro wusste, dass es ein Fehler war. Er war mein Vorgesetzter, der Anführer der Choshuu Ishin Shishi in Kyoto, und er wollte diese halsbrecherische Aktion verhindern. Dreitausend Männer aus Choshuu waren gerade dabei, aus dem Süden heranzukommen und deswegen befahl er uns, als erstes den Palast zu erstürmen und ihn zu halten, während er in der Zwischenzeit versuchen wollte, die Truppen für sich zu gewinnen und von ihrem selbstmörderischen Vorhaben abzubringen. Ich wurde vorausgeschickt, um so viele Palastwachen wie möglich zu töten, bevor die anderen Männer von uns einrücken würden. Sie waren nicht vorbereitet – Mir gelang es, dreiundzwanzig zu töten, bevor ich bemerkt wurde. Es ist möglich, das der Bruder dieses Ozawa-sans unter den Toten war.“ Baiko hielt an und starrte Kenshin an. Dreiundzwanzig Männer? Eiskalt? Er hatte von Männern gehört, denen es nichts ausmachte, Leute aus dem Hinterhalt zu töten, aber Kenshin? Und das alles passierte vor sieben Jahren, was bedeutete... Moment! Das konnte nicht sein. Kenshin war jetzt nur zweiundzwanzig Jahre alt, das hieß, er war damals – als er der gefürchtete Hitokiri Battousai wurde – nicht viel alter als…” „Sessha war fünfzehn,“ sagte Kenshin, als ob er Baikos Frage geahnt hatte. „Himmel...“ murmelte Baiko. Sie liefen eine Weile schweigsam nebeneinander her. Kenshin fühlte, wie Baiko versuchte, mit all den aufwühlenden Informationen fertig zu werden. „Baiko,“ meinte er schließlich, „dieser Hitokiri von damals existiert nicht mehr. Sessha hat geschworen, nie wieder zu töten. Sessha lebt jetzt nur noch, um die damaligen Sünden wieder gut zu machen.“ „Himmel...“ murmelte Baiko nur, „Himmel nocheins...“ Sie erreichten nun den Schrein, der nicht besonders groß zu sein schien. „Warum hält wohl Shimazu-sama so viel von diesem Ort?“ fragte Baiko. „Sieht nicht so besonders aus.“ „Naja,“ antwortete Kenshin, „immerhin ist hier das Siegel des Kaisers angebracht. Also muss es doch irgendwas besonderes sein.“ Sie eilten den Pfad entlang, der sie zu dem alten Noh-Theater führte. Kenshin spürte die Spannung, die ihn in der Stadt befallen hatte, wie schwere Steine von seinen Schultern fallen. Hier im Wald war es friedlich, fast wie damals in seinem Zuhause bei Hiko. Baiko dagegen war immer noch auf der Hut und ertappte sich dabei, wie er kontinuierlich die Äste und Gebüsche mit den Augen absuchte, als ob dort versteckte Banditen lauern würden. Warum war er auf einmal so nervös? Er schielte seitwärts zu Kenshin, der entspannt dem Blätterrascheln zu lauschen schien. Sein scharfer Verstand sagte ihm, dass alles in Ordnung sein musste, wenn Kenshin so ruhig war, aber er konnte sich trotzdem nicht beruhigen. Dann dämmerte es ihm. Gerade eben in der Stadt hatte es ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen, dass der Mann, den er jetzt wirklich als einen Freund schätzen gelernt hatte, ein wahrer Attentäter war. Ja, er hatte die Geschichten gehört - dass der Hitokiri Battousai nur lebte, um zu töten, dass er sich am Blut seiner Opfer weidete, dass er nicht einmal menschlich sei – aber er hatte diesen Geschichten nie viel Beachtung geschenkt, weil er ganz einfach nichts damit zu tun gehabt hatte. Deswegen hatte er Matsuo, seinem Befehlshaber, ganz einfach geglaubt, als der ihm versichert hatte, Himura Battousai wäre nicht ein böser Geist sondern ein guter Mann. Doch das war bis hierher alles nur Theorie gewesen. Dann hatte Baiko Kenshin in Aktion erlebt. Er hatte zwar nur das Ende von seinem Kampf mit den Yakuza gesehen, aber was er da erblickt hatte, hatte ihm den Atem geraubt. Diese Geschwindigkeit, die tödliche Treffsicherheit – kein Zweifel, der Mann, den er einen Freund nannte, war ein Killer. Und jetzt heute noch die Erfahrung in der Stadt, wo Kenshin im hellen Tageslicht einfach verschwunden war und das Gefühl, verfolgt zu werden ohne auch nur den leisesten Schimmer von Kenshin erhaschen zu können – es hatte ihn mehr als erschüttert. Er wusste nicht was er mit dem Sakabatou oder Kenshins Schwur, niemals mehr zu töten, anfangen sollte - er wusste nur, dass er in der letzten halben Stunde in der Stadt jeden Moment damit gerechnet hatte, sein Leben würde ein schnelles und blutiges Ende nehmen – und zwar von der Hand eines scheinbar netten und freundlichen Mannes. Es erschien ihm, als ob in Kenshin zwei verschiedene Persönlichkeiten existierten: Auf der einen Seite der friedliebende Wanderer und auf der anderen Seite ein potentieller, skrupelloser Killer. Er schaute noch einmal zu Kenshin. Er schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein und seine Augen starrten in die Ferne – und da sah Baiko es: Tief unter der Oberfläche und unter dem normalerweise kontrollieren Emotionen blitzte eine unsagbare Traurigkeit in Kenshins Augen auf. Innerhalb eines Augenzwinkerns war sie verschwunden, wieder ersetzt durch einen wohlkontrollierten Ausdruck, aber ohne Zweifel, sie war da gewesen. Fünfzehn, überlegte Baiko. Kenshin war nur fünfzehn gewesen, als er zu einem Killer gemacht wurde. Er fühlte heiße Wut in sich aufsteigen. Katsura Kogoro, hatte Kenshin gesagt, war sein Auftraggeber während der Bakumatsuzeit gewesen. Katsura Kogoro, den jeder als einen der größten Väter der neuen Ära feierte. Großer Vater? Schwachsinn! Kein Vater der Welt würde einen fünfzehnjährigen Jungen zu einem Hitokiri machen. Nicht einmal eine neue Ära war es wert, einen Jungen so zu misshandeln. Er schwor sich, falls er jemals diesem Katsura Kogoro über den Weg laufen würde, dann würde er ihn töten. {b]Japanische Wörter: Boshin Krieg: Die letzte Wiederstandschlacht der Shogunatsanhänger, 1868-69. Vor allem Aizu und Hokkaido kämpften gegen die neue Meiji-Regierung. Bakumatsu: Japanischer Bürgerkrieg Toba Fushimi: Die entscheidende Schlacht der Revolution, die zum Fall des Shogunas führte. Haori: warmer Mantel Shishou: Meister Ishin Shishi: Rebellen gegen das Shogunat Shimazu-sama: Herr Shimazu, ehemaliger Daimyo von Satsuma, jetzt der Gouvaneur. Onnagata: Der Mann, der im Kabukitheater die Frau spielt Noh: hochstilisiertes und sehr traditionelles Theater für die japanische Oberschicht (Kabuki war ursprünglich nur für die unteren Klassen bestimmt.) Kinmon no Hen: Die Erstürmung des Kaiserpalastes durch die Choshuu-Truppen Nächstes Kapitel: Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Neuigkeit in Miyazaki: Hitokiri Battousai soll in der Stadt sein… Hosted by Animexx e.V. 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