Spiel auf Zeit von Berendis ================================================================================ Teil II ------- Die Notenblätter in Jungsus Fingern zittern. Die schwarzen Zeichen und der weisse Hintergrund verschwimmen zu einem tristen Grau, das nur allzu gut die Farbe des Himmels draussen widerspiegelt. Der Song auf den Blättern trägt den Titel ‚Used’, und Jungsu mag, wie die Melodie die Schwere eines weit entfernten Regentages einfängt, sie ins Zimmer holt und alles damit erstickt. Die Melodie braucht keine Worte, ist auf ihre eigene, verstörende Weise perfekt und Jungsu weiss, dass er dieses Lied nie verkaufen wird, auch wenn es vielleicht eines seiner besseren ist. Jungsus Handy klingelt, das unverkennbare ‚Life couldn’t get better’ – in all den Jahren hat er es nie über sich gebracht, den Klingelton zu ändern – erfüllt den Raum. Jungsu lässt es klingeln, weil er seiner eigenen Stimme nicht mehr trauen kann. „Was ist passiert?“ Jongwoons Stimme ist unerbittlich, verlangt unmissverständlich nach einer Antwort. Jungsu weicht seinem durchdringenden Blick aus, inspiziert stattdessen den Boden seines Glases. Das ‚Nichts’, das ihm auf der Zunge liegt, spricht er nicht aus; es wäre Verschwendung von Zeit, von Worten. Langsam beginnt er zu erzählen, seine Stimme leise und zögernd, fasst die Details zusammen und lässt die wichtigen Dinge weg. Jongwoon begreift trotzdem, und als Jungsus Stimme verstummt, spiegelt sich Wut auf seinem Gesicht wieder. „Verdammter Bastard!“ Die Worte lassen Jungsu zusammenzucken; sie klingen so hart, so wahr. „Er verlobt sich und hat nichts Besseres zu tun, als gleich darauf...“ „Jongwoon.“ Jungsus Stimme ist nur leise, nur schwach, doch Jongwoon hält trotzdem inne, nun Sorge in seinem Blick. „Du solltest ihn vergessen“, sagt er, eindringlich. Jungsu lächelt schief. „Ich weiss“, erwidert er, und ihnen beiden ist klar, dass er es nicht kann. Jungsu wartet. Er wartet auf eine zweite Einladungskarte mit bunten Vögeln, oder vielleicht diesmal mit roten Rosen. Er wartet, doch es kommt nichts. Und so sehr Jungsu sie zu ersticken sucht, die leise Hoffnung, die in ihm aufsteigt, gibt nicht nach. Es ist eine unsinnige Hoffnung: Es gibt in Jungsus Leben keine Normalität und keine Happy Ends. Jungsu erklärt sich das Ausbleiben einer zweiten Karte mit dem, was am Morgen nach der Verlobung geschehen ist. Ein endgültiger Abschied, und vielleicht wird Jungsu Youngwoon nun nie wiedersehen – vielleicht ist es besser so, vielleicht kann Jungsu dann endlich neu anfangen, vielleicht, vielleicht. Vielleicht wäre die leise Hoffnung nie erwacht, wenn Youngwoon an jenem Morgen nicht zu Jungsu gekommen wäre. Eunmi ist so strahlend wie an dem Tag ihrer Verlobung, selbst mit der etwas altmodischen Sonnenbrille auf ihrer Nase und dem dicken Mantel, der die kühle Herbstluft von ihr fernhält. Jungsu ist sich nicht sicher, ob er nicht nur träumt, doch sie steht da, vor seiner Tür, elegant und so gar nicht Teil von Jungsus Welt. Sie ist ein Fremdkörper, und es ist nur zu genau ersichtlich, dass sie nicht hier sein will. Sie ist es trotzdem, und sie spricht; stellt Jungsu Fragen, auf die er keine Antworten weiss, auf die er keine Antworten geben will. Jungsu stottert, fühlt sich überrumpelt, unterlegen, und wünscht sich nichts mehr, als dass er die Augen schliessen könnte und Eunmi damit verschwinden würde. Sie geht von selbst; ihre letzten Worte jedoch bleiben schwer in der Luft um Jungsu hängen und machen ihm das Atmen schwer. „Youngwoon gehört mir.“ Sanft tasten die zarten Klänge des Keyboards nach Jungsus Gefühlen, halten sie fest und tragen sie auf unsichtbaren Flügeln nach oben, zur Decke, wo sie tanzen, weil das Fenster nicht geöffnet ist und sie nicht nach draussen fliehen können. Jungsu fühlt sich leicht, schwebend, und er vergisst für einen Moment, kaum eine Sekunde, wer und wo er ist, und woher all diese schwarzen Gefühle gekommen sind. Doch seine Finger stolpern über die Tasten und die Flügel der Melodie zittern; langsam erst, dann immer schneller, fallen Jungsus Gefühle zu Boden, zurück zu ihm, und erdrücken ihn unter ihrer endlosen Dunkelheit. Das Keyboard verstummt und Jungsu schnappt nach Luft, fragt sich, wo der Regen herkommt, der seine Wangen benetzt. Er hat zu tun, hat Arbeit zu erledigen, Lieder abzuliefern, für irgendwelche namenlose Gesichter auf den grell beleuchteten Bühnen aus Jungsus Vergangenheit; doch es gibt nur eine Melodie, die Jungsu noch fehlerfrei spielen kann. Wochen später erwacht Jungsu aus seinem düsteren Alptraum, als Youngwoon vor seiner Tür steht und hinter ihm ein dunkelblauer Rucksack auf einem grossen Koffer thront. Er sieht müde aus, erschöpft, und Jungsu möchte ihn festhalten, ihm durch seine Haare streichen und ihm Nichtigkeiten erzählen, auch dann noch, wenn Youngwoon längst eingeschlafen ist. Doch Szenen wie diese gehören in das Leben, das die Fans für ‚KangTeuk’ erfunden haben, sie gehören zu diesem Spiel, das noch einmal zu spielen Jungsu sich verboten hat. Dies ist die Realität, in der Youngwoon nervös ist und nach Worten sucht; dies ist die Welt, in der er hofft, dass Jungsu irgendetwas sagt, einen Anfang macht. Doch Jungsu hat nichts zu sagen, für ihn gibt es keine Anfänge mehr, und so bleibt er stehen, wo er ist, angefroren, eingefroren. Der Soju schmeckt bitter auf Jungsus Zunge, und er brennt in seinem Hals, doch er schenkt all dem keine Beachtung. Sein Blick huscht unruhig durch den schäbigen Raum, in all die Ecken, die er längst auswendig kennt, und dennoch entdeckt er ein paar neue Spinnennetze und denkt sich, dass er vielleicht wieder einmal putzen sollte, irgendwann. Youngwoon sitzt Jungsu gegenüber auf dem Boden, den Blick stur auf das Sojuglas gerichtet, das er umklammert, als hinge sein Leben daran. Es sind kaum Worte gefallen, seit er hergekommen ist, und Jungsu stellt sich fast dieselben Fragen wie nach dieser Nacht im Hotel, nachdem er Youngwoon hat gehen lassen. „Eunmi war hier“, sagt Youngwoon schliesslich leise, keine Frage, sondern eine Feststellung; Jungsus Blick fokussiert auf Youngwoons Gepäck, und er nickt. Youngwoon seufzt: „Sie hätte nichts davon erfahren sollen.“ Die Anspannung ist von Youngwoons Gesicht gewichen. Er schläft, ausgestreckt auf dem Boden von Jungsus Wohnung. Der Soju hat ihn ins Reich der Träume geschickt, und er hat seine Zunge gelockert. Jungsu hat mehr erfahren, als er je wissen wollte, und die Zweifel nagen stärker denn je an ihm, denn das, was für ihn wichtig ist, was für ihn eine Rolle spielt, hat Youngwoon mit kaum einem Wort angesprochen. Jungsu steht auf, ein wenig mühsam, ein wenig schwankend, und holt seine Bettdecke und sein Kissen aus dem Nebenzimmer. Youngwoon murmelt etwas in seinem Schlaf, als Jungsu ihn zudeckt, und völlig unvermittelt packen seine Finger Jungsus Hand. Jungsu erstarrt, wartet darauf, dass Youngwoon die Augen öffnet; doch er schläft noch immer, und der Griff um Jungsus Hand lockert sich nicht. Jungsus freie Finger haben den Weg in Youngwoons Haare gefunden, streichen in langsamen, vorsichtigen Bewegungen durch die kurzen, schwarzen Strähnen. Jungsu hat Youngwoons Haare gemocht, als sie noch ein wenig länger waren; hat es gemocht, sein Gesicht darin zu verbergen und Youngwoon einzuatmen, für einen Moment zu vergessen, dass sie nicht ein und derselbe Mensch sind. Jungsu vermisst diese Augenblicke, auch wenn er weiss, dass sie nicht echt gewesen sind; aber es ist so einfach gewesen, das zu vergessen. Es ist so einfach gewesen, sich in diesem Spiel zu verlieren, frei zu fallen, ohne einen Gedanken daran, wann der Boden kommen wird. Der Boden ist gekommen, unvermittelt, und die Landung war hart; Jungsus Herz ist dabei in die Brüche gegangen, und manchmal wünscht er sich, es wäre mehr als nur das gewesen. Jungsu erwacht nur langsam, ist noch halb gefangen in verwirrten Träumen, als Finger über sein Gesicht streichen. Sein Körper fühlt sich kalt an, steif, und dann erst erinnert er sich an Youngwoons Finger um sein Handgelenk und den Schlaf, der sich langsam an Jungsu herangeschlichen hat. Er öffnet die Augen und sieht sich Youngwoon gegenüber, auf dessen Gesicht ein merkwürdiger Ausdruck liegt. Es sind seine Finger, die auf Jungsus Lippen liegen und die nun vorsichtig weiter nach links wandern, zu dem Ort, an dem Jungsus Grübchen ist, und weiter zu seiner Wange. „Du bist noch immer schön“, flüstert Youngwoon, und Jungsu lacht, bitter, ungläubig. Er denkt an Jongwoon, der ihm immer wieder vorhält, wie ungesund er aussieht; dass er sich selbst umbringt, langsam und schleichend, und Jungsu weiss, dass er recht hat. Jungsu hat lange in keinen Spiegel mehr gesehen, weil er nicht erträgt, was er sieht, doch Youngwoons Finger ruhen noch immer an Jungsus Wange. „Und jetzt?“, fragt Jungsu, den Blick auf Youngwoons Hände gerichtet, die auf Jungsus Bauch liegen, kleine Kreise auf die nackte Haut zeichnen. Youngwoons Atem streicht über Jungsus Nacken, ein leiser, warmer Lufthauch, der Jungsu zittern lässt; ihm ist noch immer kalt, trotz der Wärme, die Youngwoon ausstrahlt. Es reicht nicht, um die eiserne Hand der Zweifel und der Einsamkeit aus seiner Brust zu entfernen. Youngwoons Lippen drücken einen Kuss auf Jungsus Nacken, bringen die Haut an der Stelle zum Brennen. Unsichtbare Flammen tanzen darüber, die von der kühlen Luft gelöscht werden, als Youngwoon sich zurückzieht und sein Gesicht nun in Jungsus Haare drückt. Jungsu schliesst die Augen, verdrängt die Kälte aus seinen Fingerspitzen, gibt sich einer Illusion hin. Es fällt ihm schwer, schwerer als je zuvor; vielleicht sind seine Vorstellungskräfte nun endgültig erschöpft. Youngwoon antwortet ihm nicht. E N D E A/N: Tja. Hiermit wäre "Spiel auf Zeit" zu Ende. Ich weiss, es bleibt sehr offen, was nun noch passieren wird, aber das ist absichtlich so und ich habe nicht vor, noch eine Fortsetzung zu dieser Geschichte zu schreiben. Für mich ist sie so abgeschlossen, das Ende vom Anfang, wenn ihr so wollt. Ich hoffe, es hat euch gefallen und lasst doch ein Review da. Ich freue mich über jedes einzelne. (Auch über das, welches ich schon bekommen habe. Danke!) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)