Umbruch von Gaomee (Eine Novelle für Shadowtears) ================================================================================ Kapitel 6: Dorftrottel und Kirchen ---------------------------------- Sakura eilte durch den verschneiten Hof. Sasuke würdigte sie keines Blickes, seine ganze Aufmerksamkeit schien der Schneeschippe zu gehören. Nun, da sie wusste, dass er den Tag lang eher schlecht auf alle zu sprechen war, ließ sie ihn lieber in Ruhe. Aber sie dachte schon mit Vorfreude daran, wie sie am Abend zu ihm kommen würde unter dem Vorwand, sie wolle ihm seinen Mantel zurückbringen, den sie aus Versehen in ihr Zimmer mitgenommen hatte. Aus irgendeinem Grund war ihr der Finsterling sympathisch mit seiner nachdenklichen Miene … Aber erst galt es der blonden Ringellocke ein paar Fragen zu stellen. Außerdem hatte sie ihre Kamera in der Hand. Sie packte sie aus und begab sich in die halsbrecherischsten Positionen, um ein schöne Fotografie zu ergattern. Sie kletterte auf Simse, lehnte sich über Brustwehre und musste feststellen, dass einem auch auf einem Bergfried schwindeln konnte. Freilich gab es genug hübsche Orte und Sakura fragte sich schon, wo sie noch welche Bilder in dem Artikel unterbringen würde… „Hallo, alle miteinander! Das hier ist Sakura“, stellte er seine Begleiterin der Meute vor, die um den großen Tisch in der Kneipe saß. Die Frau mit den modischen Kleidungsstücken und den weißblonden Haaren hob eine Hand. „Hey, setz dich zu uns.“ Sakura folgte der Einladung gern und rückte mit einem Stuhl zwischen sie und den Typ, der zu wenig Schlaf bekam, Nara Shikamaru. Schüchtern lächelte sie in die Runde. Irgendein gutmütiger Mensch drückte ihr auch ein Glas in die Hand (vermutlich der Ire) und, um über ihre Verlegenheit zu spielen, nahm sie einen tiefen Zug. Kräftiges Bier, musste sie feststellen. Nachdem die erste Schüchternheit verflogen war, traute auch Sakura sich mit den anderen zu lachen und musste nach einer Weile feststellen, dass sie vergnügt gluckste. Aber sie kehrte noch nicht zu ihrem unpersönlichen Hotelzimmer zurück. Noch nicht. Denn die Gemeinschaft nahm sie freundlich und mit weit geöffneten Armen auf. Mit Ino, der hübschen Dame zu ihrer Linken, tauschte sie sogar einen belustigten Blick jedes Mal, dass Inuzuka Kiba, der Ire, einen dreckigen Witz riss und die ganze Männerschar anfing laut herauszuprusten. Aber als diese Sakura auf ihre Arbeit ansprach, entschied sie still, dass sie sich bald würde verabschieden müssen. Sie konnte sich jedoch nicht zu dem Entschluss durchringen bis ein großer Mann durch die Türe in den stickigen Raum eintrat. Zu ihrem Erstaunen erkannte sie, dass es Sasuke war. Zu ihrem weiteren Erstaunen erkannte sie auch, dass ihr Herz plötzlich schneller schlug, doch sie schob es auf das würzige Bier. Ino verzog den kirschroten Mund. „Schaut 'mal an, wer da kommt… “, machte sie spöttisch. Natürlich wandte die Tischgesellschaft ihre Köpfe mit den vom Alkohol geröteten Wangen und höhnten den Ankömmling an, machte lasterhafte Bemerkungen und lachten den Armen aus, obgleich er nichts Tölpelhaftes angestellt hatte. Kiba riss wieder einen anstößigen Witz, was ihm einen genervten Blick seines Freundes Shikamaru einheimste, aber alle grölten munter weiter. Sakura konnte nicht mitlachen, sondern bewunderte wie stoisch Sasukes Gesichtsausdruck blieb, als er sich an die Bar stellte, den Kopf gesenkt, und etwas bestellte, wie duldsam er all das über sich ergehen ließ. Die Betrunkenen am Tisch hielten ihn tatsächlich für ihren persönlichen Dorftrottel. Wenig später verließ er die Kneipe auch wieder mit einem kleinen Packet in der Hand. Unter einem scheinheiligen Vorwand stand Sakura auf und hastete aus dem überhitzten Raum. Naruto folgte, packte sie ob seiner Trunkenheit vielleicht etwas grob und drehte sie herum. „Nanu, wohin so schnell?“ fragte er grinsend. „Ich ... Ich muss zurück“, verkündete sie etwas atemlos. Jedes Mal, dass sie sprach entwich eine kleine Dampfwolke ihren Lippen, nur um sich dann vor ihren Augen wieder aufzulösen. Naruto schürzte die Lippen. „Wirklich schon?“ Sakura nickte bedauernd. „Naja, dann bringe ich dich noch Heim …“ „Nein!“, wandte sie schnell, beinah zu hastig, ein. „Ich … ehm, muss erstmal all dieses freundschaftliche Entgegenkommen hier verkraften – Noch mehr vertrag’ ich an einem Tag nicht“, beteuerte sie lachend. Naruto hob die Schultern, gab sich schließlich doch mit ihrem Entschluss zufrieden und umarmte sie zum Abschied, bevor er wieder zu seinen inzwischen laut singenden Kameraden zurückkehrte. Sakura hastete auf ihren Winterstiefeln die Straße entlang. Hat Sasuke ein Auto? Aber schließlich entdeckte sie ihn doch. Erleichtert ging sie auf ihn zu. Er saß auf der grün gestrichenen Bank, auf der auch Sakura vor nicht allzu langer Zeit sich einmal niedergelassen hatte, und aß. „Darf ich mich zu dir setzten?“, fragte sie als sie vor ihm stand. Er hob den Kopf, lächelte und wies einladend neben sich. Die Bank war kalt, doch es machte ihr nichts. Er brach einen Kanten vom dunklen Brot, welches er in Händen hielt, ab und bot es ihr an. Sakura nahm dankend an. Alkohol auf nüchternen Magen war ihr noch nie gut bekommen (Alkohol überhaupt war ihr noch nie gut bekommen, muss man an dieser Stelle einlenken) und, obwohl sie bezweifelte, dass es jetzt noch etwas bringen würde, machte sie sich daran ihn zu füllen. Während sie genüsslich kaute, fragte er: „Glaubst du an die Kirche?“ Sakura dachte darüber nach, ehe sie antwortete. „Keine Ahnung. Meine Eltern haben mich zwar getauft, aber da war ich gerade einmal drei Wochen alt und, selbst wenn man mich gefragt hätte, hätte man wohl kaum mehr als quengliges Schreien geerntet.“ Er sah sie an. „Woran glaubst du dann?“ Sakura hatte sich noch nie wirklich die Mühe gemacht darüber nachzudenken. Die Nachtluft kühlte ihre geröteten Wangen und half ihr einen klareren Kopf zu bekommen. „Hmm … Ich glaube, dass ich nicht beweisen kann, dass es einen Gott gibt. Ich schätze, ich bin agnostisch … oder ein verdammter Heide. Und du?“ Sie stieß ihm sachte wie keck mit dem Ellbogen in die Seite. Er hob gleichmütig die Schultern. „Wenn es einen gibt, kann er manchmal ziemlich grausam sein, aber irgendwie …“ Seine Worte verklangen. Dann sprang er plötzlich auf und zog sie mit sich. „Komm.“ Überrascht stolperte Sakura hinter ihm her. Er zog sie zur gegenüberliegenden Kirche, zu welcher er immer wieder versonnen hingesehen hatte. Es war ein recht kleines steinernes Gotteshaus und die Kate daneben bewohnte wahrscheinlich der Priester. Trotzdem standen die hohen Holztüren auf und Sasuke schlüpfte mit seiner Begleiterin hindurch. Er hielt einen großen Abstand vom Weihwasser als Sakura ihre Fingerkuppen hineintauchte und kurz ihre Stirn besprenkelte. Sie sah ihn abwartend an, doch er machte keine Anstalten ihrem Beispiel Folge zu leisten, sondern wartete bis sie an seine Seite getreten war. Dann schlenderten sie gemeinsam den von Bänken gesäumten Gang entlang und ließen sich dort nieder. Sakura faltete automatisch die Hände als wolle sie beten. Sasuke hingegen ließ seine Pranken lose auf den Oberschenkeln ruhen, schaute zum Altar hinauf. „Du sagtest, du wärst vielleicht sogar ein Heide“, rief er ihr flüsternd ins Gedächtnis und Sakura wollte ihn schon zurecht weisen, dass man in einer Kirche nicht sprach. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass sowieso kein frömmelnder Greis von einem Priester in der Nähe war, um sich darüber zu beschweren, kam sie sich prompt recht blöd vor und ließ es bleiben. „Meintest du da, dass du an Odin oder Wotan glaubst oder lieber doch an Vampire und Werwölfe? Oder würdest du vielleicht lieber Muslime sein?“ Sie sah ihn ob der merkwürdigen Frage verwundert an. „Eh … Keine Ahnung. Wer ist Odin?“ Sakura, die sich nie für Geschichte interessiert hatte und absolut nichts mit uralten Religionen am Hut hatte, konnte sich nur wage daran erinnern von dem Namen gehört zu haben. „Ein Göttervater … “, erklärte er leise lachend. Es war ein wohltönender, tiefer Laut. „Die germanische Fassung lautet Wotan. Er ist der Hauptgott in der nordischen Mythologie. Er ist der Anführer der Asen, dem Kriegsgeschlecht der Götter. Bei Ragnarök, der letzten großen Schlacht, bevor die Welt untergeht, soll er mit dem Wolfsherzog Fenrir ringen und der soll den großen Odin dann erschlagen oder so ähnlich. Obwohl der Gottkönig oft mit Speer als großer Krieger dargestellt wird, sieht man ihn manchmal auch als greisen Wanderer. Odin, der Wanderer – Klingt das nicht schön? Mit seinen Raben, Huggin und Muggin, die für ihn die Welt auskundschaften, stolziert er über das Land. Er hat nur noch ein Auge, denn eines hat er geopfert, um die Weisheit zu erlangen, die er aus einer Schale trank, in der das Blut des reinsten aller Götter aufgefangen worden war, der nur durch eine List Lokis gestorben war. Loki ist der Gott der Hinterlist und Tücke, musst du wissen… “, erzählte Sasuke freizügig. Sakura konnte nur staunen wie viel er darüber wusste und hing fasziniert an seinen blassen Lippen. In all diesen Erzählungen tauchte sie unter und so war auch schnell das Gefasel von Vampiren und dergleichen vergessen. Seine Stimme hallte in einem eigentümlichen Rhythmus nach, der Sakura nicht im Mindesten störte, als sie ihren Gedanken nachhing. Wikinger hatte sie sich oft, als grölende hünenhafte Gestalten am Bug eines Drachens, Drakkars, vorgestellt. In einer Hand das Schwert, an dessen Blutrinne noch die rote Flüssigkeit hinab rann, und in der anderen eine Streitaxt an der noch etwas fleischiges Gewebe mit ein paar Haaren klebte. In ihrer Vorstellung stank er fürchterlich und war eine abstoßende dumme widerliche und gedrungene Kreatur … Aber nachdem sie Sasukes Vortrag gelauscht hatte, der, nachdem er das religiöse Wesen der Nordmänner beschrieben hatte, auch noch zu anderen Themen übergesprungen war, Aber, wenn man Sasukes Erzählungen Glauben schenken durfte, hatten sie einen übertriebenen Reinlichkeitssinn bewiesen. Einige Angelsachsen hatten das bei dänischen Sklaven festgestellt. Sakura lachte. „Tatsächlich?“ Sasuke nickte zur Antwort wissend. Nach einer Weile jedoch fragte Sakura: „Und Vampire?“ Sasuke hob eine Braue. „Was soll mit denen sein?“ „Vorhin sprachst du auch von ihnen.“ Er sah zweifelnd zu ihr hinab, aber entschied sich dann plötzlich doch eine vernünftige Antwort zu geben. „Was soll ich da denn gesagt haben? - Es gibt sie nicht!“ Er sprach es als sage er das Selbstverständlichste auf der Welt, aber Sakura hatte ein bestimmtes Gefühl, dass ihr sagte, sie solle noch an der Sache bleiben. Ungefähr so wie wenn sie eine gute Story witterte, nur persönlicher. „Okay, so weit bin ich … Odin gibt es aber auch nicht ...“ Sasuke sah sie angespannt an, dann musste er widerwillig lächeln und gab nach. „Du hast Recht. Mir lag beinah auf der Zunge zu sagen, dass Odin in den Gedanken der vielen Menschen existierte, aber ich schätze, es gibt auch genug mit Kayal beschmierte Jünglinge, die tatsächlich glauben nachts auf Friedhöfen Leute mit abgehackten Bewegungen und blutverschmierten spitzen Zähnen zu begegnen.“ Sakura schaute ihn abwartend an als er nicht fortfuhr. Als sie schon glaubte, er habe sich auf den verschlungenen Pfaden seiner Gedanken verloren, kehrte er zu ihr zurück und räusperte sich. „Nun, man stellt sie sich vor … als …“ Er wusste offensichtlich nicht, was er ihr darüber erzählen wollte. Dann atmete er nochmals durch und begann von Neuem: „Das Wort stammt aus dem Serbischen und im Volksglauben stellen die meist wiederbelebte, menschliche Korpus dar, die tierisches oder menschliches Blut saufen. In der Regel sind sie auch mit irgendwelchen abstrusen Fähigkeiten ausgestattet. Je nach Kultur tauchen sie auch in Gestalt von Dämonen oder Tieren auf. Die Fledermaus muss bei uns öfters unter dieser zweifelhaften Ehre leiden.“ Er lächelte auf sie herab. „Du magst Vampire nicht?“, fragte Sakura. Ihre Vermutung basierte auf der Zögerlichkeit, die er bei diesem Thema an den Tag (beziehungsweise in diesem Fall an die Nacht, denn es ging auf Mitternacht zu) legte. „Naja, ich schätze, ich bevorzuge einfach die armen Seelen, für die eine Vollmondnacht Auswirkungen wie ein besonders starkes Haarwuchsmittel hat und auch noch blutrünstig über Menschen herfallen. Es gibt so viele traurige Gedichte über sie. – Wie der arme Bisclavret(1) zum Beispiel.“ Irgendetwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass es nicht ganz stimmte, dass er sich zu Werwölfen geneigt fühlte. „Aha“, machte sie daher nur skeptisch, verzog den Mund und bohrte weiter. „Aber ein Werwolf wehrt sich doch, du hingegen nimmst alles, was man dir an den Kopf wirft einfach hin, auch wenn der Beleidigung jegliche Grundlage fehlt.“ Sie hatte das Gefühl, dass es ihr nun wirklich nicht zustand, ihm das jetzt vorzuwerfen, aber sie konnte nicht anders. Er hatte eine solche Behandlung nicht verdient, wusste sie. Er schien auch verblüfft, konnte sich nicht ganz zu einem Lächeln durchringen, schien aber dennoch erfreut, dass ihn endlich jemand in Schutz nahm. Überdem schien er auch noch verlegen und wandte den Kopf grinsend ab, während er sich auf die Lippe biss. „Hmm ... Nun Werwolf wird mit W-E-R geschrieben, ohne H. Es ist naheliegender, dass es von dem altdeutschen Wort für Mann kommt „wer“, welches sich wiederum von „vir“ aus dem Lateinischen abwandelt.“ Er schaute sie wieder an und wieder durfte Sakura in dieses dunkle Augenpaar blicken, das sie so faszinierte, wenn sie dem sonst so stumpfen Schwarz eine Gefühlsregung abringen konnte. „Na komm, mein Auto steht etwas abseits. Ich fahr uns nach Haus ... Entschuldige, ich meinte natürlich, ich bringe die Dame zu ihrem Hotel.“ Er streckte übertrieben galant die Hand aus, um ihr aufzuhelfen und Sakuras helles Lachen wurde von dem hohen Gewölbe echogleich zurückgeworfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)