Der Weg zum Glück von Lady_Ocean ================================================================================ Kapitel 16: Herz im freien Fall ------------------------------- Leider schon wieder nur im 2-Monats-Rhythmus, aber zumindest pünktlich am Monatsanfang. Und es gibt gleich noch eine schlechte Nachricht hinterher: Dieses Kapitel ist das letzte, welches bereits geschrieben ist, d.h. von nun an kann ich leider echt nicht mehr garantieren, wann ein neues Update folgen wird. Natürlich wird die FF nicht abgebrochen! Keinesfalls! Aber es wird unregelmäßig. Wer also noch nicht auf der ENS-Liste steht, aber gern informiert werden möchte - JETZT wäre eine gute Gelegenheit ;). Denn zumindest eines kann ich garantieren: Die kommenden drei Wochen sind Zwischenprüfungen und nebenbei hab ich so viel vor, dass ich nicht mal weiß, wie genau ich dafür lernen soll. Update-Fragen also wenn, dann bitte erst danach stellen. Na ja, dafür gibts jetzt mal wieder ein bisschen mehr zu lesen. Das längste Kapitel bisher. Klayr und ich wünschen euch also viel Spaß damit! -~*~- Disclaimer: Die Charas gehören (bis auf wenige Ausnahmen) nicht uns, sondern Clamp. Wir wollen kein Geld damit verdienen, sondern nur unterhalten. Erstschreiber des Kapitels: Klayr_de_Gall Kapitel: 16/26 -~*~- „Zwei Dinge sind schädlich für jeden, der die Stufen des Glücks will ersteigen: Schweigen, wenn Zeit ist zu reden, und reden, wenn Zeit ist zu schweigen.“ (Friedrich von Bodelschwingh) -~*~- Herz im freien Fall „Und wo kommt dieses Ding jetzt hin?“ „Geduld, mein großer Freund, wenn es Euch beliebt, weise ich euch sogleich den Platz seines ursprünglichen Aufenthaltes.“ „Subaru, rutsch nicht auf den Murmeln aus!“ „Schaut mal, draußen sitzt eine dicke rote Katze!!“ „Och, wie süß!“ Fye beobachtete das Gewusel im Aufenthaltsraum des Kindergartens mit einem sanften Lächeln. Es war chaotisch und laut, aber für ihn gerade richtig, denn so lenkte ihn der Trubel von den beunruhigenden Gedanken in seinem Inneren ab. Während die meisten Kinder sich nun ums Fenster drängten, um das sich putzende Tier zu beobachten, war Kurogane damit beschäftigt aufzuräumen. Anfangs hatte er sich noch zeigen lassen, wo was hin gehörte, aber mittlerweile schien er die Ansicht „Hauptsache weg“ zu vertreten und stopfte alles planlos in die Regale. Na ja, wenigstens etwas. Mit einem sanften Ausdruck in den blauen Augen betrachtete der Kindergärtner den anderen Mann verstohlen. Seit gestern hatte sich zwischen ihnen einiges geändert. Zwar versuchte Kurogane die Normalität aufrecht zu erhalten, aber sie spürten es beide. Keine bösen Blicke mehr oder ein zu lautes Wort, keine übermäßige Distanz. Der Schwarzhaarige war immer in seiner Nähe und dafür war Fye ihm unendlich dankbar. Denn es war nicht selbstverständlich, dass Kurogane heute wieder im Kindergarten blieb, um über ihn zu wachen. Natürlich, der grummelige Papa schob seine Tochter als Grund für seinen Aufenthalt vor, aber der Blondschopf wusste es besser. Und er verspürte jedes Mal ein warmes Kribbeln, wenn die Aufmerksamkeit des anderen wieder einmal länger als nötig auf ihm ruhte. Zwar war es ungewohnt für Fye, aber der Gedanke, dass Kurogane alles über ihn wusste, beunruhigte ihn nun nicht mehr so sehr. Immerhin war der Schwarzhaarige gestern Abend bei ihm geblieben, hatte ihn nicht fort gejagt, auch wenn ihm klar sein musste, dass er sich und seine Tochter damit in Gefahr brachte, Fye weiterhin auch nur in seiner Nähe zu dulden. Aber was tat er stattdessen? Er tröstete ihn. IHN! Obwohl er für den Tod so vieler verantwortlich war... Obwohl er es überhaupt nicht verdient hatte... Kurogane hatte ihn in den Arm genommen und ihm gesagt, dass es nicht stimmte. Das ihm niemand die Schuld an diesen Dingen gab, außer er selbst. Ob es der Schmerz der Offenbarung oder diese ersehnten Worte es gewesen waren, die es dem blonden Mann schließlich nicht mehr möglich gemacht hatten, die Tränen weiter zurück zu halten, wusste er nicht. Und es war auch egal, viel wichtiger war, dass der sonst so distanzierte, abweisende Kurogane ihn festgehalten hatte. Solange, bis die Tränen nach einer scheinbaren Ewigkeit versiegt waren. Und schließlich hatte er neben der Couch gewacht, bis Fye vor Erschöpfung eingeschlafen war. „Was ist, warum schaust du mich so an?“ Die ruhige stimme seines älteren Begleiters riss den Kindergärtner schließlich aus seinen Erinnerungen, und er schlug verlegen die Augenlider nieder. „Entschuldige, ich wollte nicht starren.“ Er hatte gar nicht bemerkt, dass er Kurogane die ganze Zeit über angesehen hatte. Aber es fiel ihm in letzter Zeit schwer, den Schwarzhaarigen nicht zu betrachten. Er hatte etwas an sich, was die Blicke magisch auf sich zog. Seine gelassene Ausstrahlung, die überlegene Aura, und nicht zuletzt sein Aussehen... „Schon okay. Also?“ „Nichts Wichtiges. Ich habe nur ein wenig nachgedacht.“ „Ah. – Hast du schon deine Managerin informiert?“ „... Nein, noch nicht...“, begann Fye vorsichtig. Musste er jetzt damit anfangen? Bis gerade eben hatte er diese Art von Problemen einigermaßen vergessen können und nun brachte Kurogane alles wieder hervor. Er sah ja ein, dass es wichtig war, aber... „Dann kümmre dich endlich darum. Du weißt selbst, dass nichts besser wird, wenn du das ewig verschweigst. Gerade vor ihr.“ „Ich weiß ja, aber dennoch... Es ist schwer, darüber zu sprechen.“ „Das glaube ich dir, aber ich weiß auch, dass du es im Nachhinein bereuen wirst, sollte hier tatsächlich etwas passieren...“ Kurogane hatte Recht, das wusste Fye. Sollte...sollte den Kindern tatsächlich irgendetwas zustoßen, könnte er es sich niemals verzeihen, die Augen vor dieser Gefahr geschlossen zu haben. Voller Sorge und liebevoll zugleich ließ der Kindergärtner noch einen Blick durch die Runde schweifen, betrachtete all seine kleinen Schützlinge eingehend. Wie zur Bestätigung seines Blickes fügte Kurogane an: „Keine Sorge, ich pass schon auf, dass alles in Ordnung ist, bis du wieder hier bist.“ Ja, die Kinder konnte er getrost für einige Minuten Kurogane überlassen, selbst wenn dieser sogar ohne Sakuras Hilfe auskommen musste, das wusste Fye. Seine Praktikantin war heute nicht da und würde auch morgen nicht kommen können. Shaolan-kun hatte mit seinem Studium derzeit so viel zu tun, dass sie um zwei freie Tage gebeten hatte, um ihrem Freund helfen zu können. Fast wünschte Fye sich, sie hätte sich länger Urlaub genommen, dann müsste er sich ihretwegen zumindest erst einmal keine Sorgen machen... Bevor Zweifel und Sorge ihn wieder lähmten, nickte er Kurogane kurz zu und schickte sich endlich an, in die Küche zu gehen, wo das Telefon stand. Yuukos Nummer war schnell gewählt, sie war in der Kurzwahl eingespeichert, und bereits nach dem ersten Freizeichen hörte er ihre vertraut sachliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Noch einmal tief durchgeatmet, begann Fye endlich, ihr von dem Problem zu berichten. „Yuuko-san...erinnerst du dich noch an meinen ehemaligen Arbeitgeber?“ „Dieser Ashura? Ja, was ist mit ihm?“ „Ich...hatte doch damals erzählt, dass er mir irgendwie Angst gemacht hat. Dass ich deshalb gekündigt habe und wegziehen wollte.“ „Ich erinnere mich. Aber warum bist du deswegen plötzlich so komisch? Hat er irgendetwas angestellt?“ Die Stimme seiner Managerin klang deutlich alarmiert. „Nein, das nicht...noch nicht. Aber...na ja, ich hab ihn neulich vor meiner Wohnung gesehen und seitdem von einer guten Freundin nichts mehr gehört und... Vielleicht bilde ich mir auch alles nur ein.“ Ein gekünsteltes Lachen folgte, doch dieser Versuch, seine Geschichte weniger bedenklich klingen zu lassen, scheiterte kläglich, das merkte sogar Fye selbst. „Aber trotzdem. Ich...habe irgendwie Angst, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt und vielleicht...“ Wieder eine kurze Pause. Das Folgende kostete Fye so viel Überwindung, dass er all seinen Mut dafür zusammenkratzen musste. „Vielleicht... Ich habe Angst, dass ich die Kinder vielleicht in Gefahr bringen könnte, wenn ich weiter hier arbeite...“ Der letzte Satz wurde immer leiser, bis Yuuko am Ende wohl nur noch erahnen konnte, was der Kindergärter da sagte, als dass sie es wirklich hätte verstehen können. Eine ganze Weile blieb es still am anderen Ende der Leitung. Scheinbar nahm sie seine Lage ernst und überlegte nun selbst fieberhaft nach einer Lösung. Fye fühlte sich mehr und mehr, als säße er auf einer heißen Herdplatte, von der er einfach nicht herunter kam. Wie lange sollte er das bloß noch durchhalten...? „Nun...“, meldete Yuuko sich schließlich zögerlich, „Angenommen, du liegst mit deinem Gefühl richtig und es besteht wirklich Gefahr für die Kinder, dann halte ich es für das Beste, wenn du erst einmal so weiter machst wie bisher.“ ... Hatte er sich gerade verhört? Hatte Yuuko tatsächlich gesagt, er kann weiter arbeiten gehen? „Wenn du dich jetzt versteckst oder versuchst zu fliehen, würde er vielleicht den Kindern schaden, um dich dadurch wieder hervorzulocken. Wenn du hier bleibst und so weiter machst wie bisher, würde ihm das keinen Grund geben, ebenfalls zu handeln. Eine plötzliche Initiative würde das nur provozieren.“ „Ich verstehe...“ Ein wenig atmete Fye innerlich auf, doch wirklich besser fühlte er sich davon nicht. Hieß das jetzt, alles würde so weitergehen wie bisher und er müsste ewig mit dieser Angst leben? Dass Chii vielleicht wirklich nicht zurück kam? Das irgendwann vielleicht der nächste Mensch verschwand, den er gern hatte? Einfach so? Oder dass er selbst nur eine weitere Gnadenfrist erhalten hatte? „Aber so kann es natürlich nicht weitergehen“, unterbrach Yuuko seine Gedanken, als hätte sie sie lesen können. „Ich habe das Gefühl, nicht das erste Mal in so einem Zusammenhang von diesem Ashura zu hören. Versuch, so gut wie möglich durchzuhalten. Ich werde versuchen, etwas über diesen Menschen in Erfahrung zu bringen. Ich will weder, dass meine Angestellten noch eines der Kinder noch irgendwer sonst in Gefahr gerät.“ „Danke!“ Der Blonde bekam regelrecht weiche Knie, so gerührt war er von der Führsorge seiner Managerin. Zumindest in diesem Moment hatte er das Gefühl, dass ihn das Gewicht auf seinen Schultern nicht mehr zu zerquetschen drohte. „Ich kann dir nichts versprechen, Fye, aber ich tu mein Möglichstes.“ Einigermaßen beruhigt vom Ausgang des Telefonats kehrte Fye ins Wohnzimmer zurück, was Kurogane auch sogleich bemerkte und ihm einen fragenden Blick zuwarf. Mit einem Nicken gab der Blonde ihm zu verstehen, dass soweit alles in Ordnung war und mit einem ebenfalls angedeuteten Nicken gab der Schwarzhaarige zurück, dass er verstanden hatte, bevor er sich wieder seiner Tochter zuwandte. Inzwischen war es 15:00 Uhr vorbei und nach und nach wurden die Kinder von ihren Eltern abgeholt, Fye verabschiedete wie immer jedes herzlich. Seit dem Telefonat mit Yuuko fürchtete er nicht mehr so sehr, dass er die Kleinen morgen bereits nicht wieder sehen würde, doch gleichzeitig schmerzte es ihn unendlich, dass eine gewisse Gefahr, vor allem für die Kleinen, dennoch bestand und dass er selbst der Grund war, weswegen er sich nun solche Sorgen um sie machen musste. Dennoch, er brauchte sie. Ohne die lebenslustigen Kleinkinder und seinen stillen Beschützer, der immer ein wachendes Auge auf ihn hatte, hätte die Angst ihn bereits zerfressen. Manchmal konnte er durch sie all das fast vergessen. Aber leider nur fast. „Na endlich...!“ Erleichtert schloss Kurogane die Tür hinter dem letzten Mutter-Sohn Gespann, das den Kindergarten verlassen hatte, und machte gedanklich drei Kreuze. Er hatte sich heute zwar wirklich gut gehalten, dennoch, seine Nerven lagen langsam aber sicher blank. Mit Tomoyo und Fye allein war es okay, aber an jedem Bein vier Bälger hängen zu haben, wurde ihm auf die Dauer echt zu stressig. Wie hielt der blonde Wuschelkopf das nur aus? Im Gegenteil, der Stress schien ihm sogar richtig gut getan zu haben. Der junge Kindergärtner wirkte entspannter und hatte kaum unter Panik gelitten. Einzig als sie eine halbe Stunde draußen im Hinterhof gespielt hatten, war es schlimm gewesen, aber Fye war wenigstens nicht durchgedreht. „Fahren wir jetzt heim, Papi?“ „Seit wann hast du’s denn so eilig, aus dem Kindergarten wegzukommen?“ Leicht verwundert nahm Kurogane seine vierjährige Tochter auf den Arm, woraufhin diese vergnügt kicherte, und sich zufrieden an ihm schmiegte, „Naja... Ich bin trotzdem gern hier!“ Natürlich musste sie sich erst einmal rechtfertigen, damit auch ja kein falsches Bild entstand. Aber alle Anwesenden wussten schließlich, wie gern sie in den Kindergarten kam, um mit den anderen gleichaltrigen Kindern die Zeit zu verbringen. „Es ist nur so... Weil Nii-chan doch jetzt bei uns ist...und du auch da bist...ist es mit euch zusammen schöner!“ Aus dem Augenwinkel beobachtete der Schwarzhaarige, wie besagter neuer Mitbewohner in seiner Bewegung innehielt – er hatte gerade das lieblos eingeräumte Spielzeug etwas in den Regalen sortiert – und sich dann sehr schnell wieder abwandte. Kurogane hätte schwören können, der Blondschopf war errötet. ... Oder vielleicht doch nur Einbildung? „Nun, dann hilf doch noch etwas mit aufräumen, umso schneller können wir fahren.“ „Okay!“ Fröhlich summend ließ sich das dunkelhaarige Mädchen wieder absetzen und eilte Fye zu Hilfe, der sie mit einem warmen Lächeln empfing und ihr erklärte, was es noch zu tun gab. Der Herr Papa gönnte sich derweil eine Pause. Die hatte er sich redlich verdient! Nach einer viertel Stunde war dann wirklich alles erledigt, die letzte Schüssel abgewaschen, Mokona ausreichend mit Futter versorgt und die Rollläden heruntergelassen, sodass sich das ungleiche Dreiergespann in den schwarzen BMW setzen konnte. Kurogane fiel sofort auf, dass sein blonder Begleiter, kaum dass sie an der frischen Luft waren, wieder nervös wurde. Ständig suchten seine Augen die Umgebung ab, und er zuckte bei jedem Schatten zusammen, als könnte der Mann, der ihn jagte, gleich daraus hervorspringen. Natürlich war diese Vorstellung lächerlich, und Kurogane stieß seinen Nebenmann regelmäßig mit dem Ellenbogen an, wenn dieser sich gar zu sehr in etwas hinein zu steigern schien. Es war aber auch zu offensichtlich, wenn er dabei immer blasser wurde, und seine Hände hektisch in den Sitz oder den Stoff seiner eigenen Hose krallte. Viel schien ihn in solchen Momenten nicht mehr von einem hysterischen Anfall zu trennen... Doch zum Glück für ihrer aller Seelenheil hielt der Blondschopf durch, bis Kurogane seinen Wagen vor dem Apartmenthaus geparkt hatte und flüchtete sich, kaum das der Motor aus war, in den Schutz des schattigen Vordereingangs. Tomoyo hielt es wohl für ein Spiel, denn sie gesellte sich giggelnd zu ihm und drückte sich eben so wie ihr Kindergärtner an die kühle Wand, während ihr Vater nur entnervt die Augen verdrehen konnte. So ein schreckhaftes Verhalten war doch in so einer banalen Situation nicht mehr normal, oder? Gelassen warf er noch einen Blick in den Briefkasten, in dem sich zu seinem Erstaunen nicht nur Werbung, sondern auch ein Brief befand, aber bevor er diesen genauer in Augenschein nehmen konnten, lenkte ihn ein leidendes Wimmern ab. Fye schien so langsam wirklich die Kontrolle zu verlieren. „Schon gut.“ Seufzend schloss er die Eingangstür auf und war der Meinung, der Jüngere murmelte ihm einen leisen Dank zu, als er an ihm vorbei in den Flur huschte und hektisch den Aufzugsknopf drückte. Erst als sie oben in der Wohnung angekommen waren und die Tür mit einem leisen Klicken ins Schloss gefallen war, atmete der blonde Mann erleichtert auf und sank etwas in sich zusammen. Es war sicher ansträngend, immer so auf der Hut zu sein, auch wenn Kurogane das übervorsichtige Verhalten noch immer unangebracht fand. Aber er stand ja zu vielen Dingen ganz anders, schon allein aufgrund seiner beruflichen Laufbahn und der genossenen Ausbildung. Wahrscheinlich war es sogar normal, dass ein Mensch wie Fye in solch einer Zwickmühle gewisse Paranoia zu entwickeln begann. Kopfschüttelnd warf er die Post in sein Arbeitszimmer und zielgenau auf seinen Schreibtisch, bevor er seiner Tochter und ihrem Mitbewohner auf Zeit in die Küche folgte. Fye und Tomoyo hatten sich darauf geeinigt, Tee zu kochen und debattierten nun freundschaftlich darüber, welche Sorte sie nehmen wollten. „Sag mal Kuro-wanko, wieso hast du eigentlich so viele Teesorten? Das hatte ich gar nicht erwartet.“ Sicher in den vier Wänden und der beschützenden Nähe des Schwarzhaarigen taute der Kindergärtner langsam wieder auf und schenkte seinem Gegenüber bei der Frage ein zaghaftes und ehrlich interessiertes Lächeln, was aber etwas enttäuscht wirkte, als dieser bloß abwehrend die Schultern zuckte. „Die hat Soma gekauft!“, rief Tomoyo dazwischen. Ganz stolz, dass sie etwas zu der Unterhaltung beitragen konnte, zupfte sie am Oberteil ihres großen Freundes. „Weil sie sagt, dass Tee gesund und lecker ist! Und ich finde das auch, deshalb hat sie sooooo viele Sorten für mich ausgesucht!“ „Ach so? Das ist aber sehr lieb von ihr.“ „Stimmt. Soma ist ja auch toll!“ Es folgte eine kurze, ziemliche bedeutungsschwere Pause, in der Fyes Blick auf dem Schwarzhaarigen ruhte, der mit dem Rücken zu ihnen gerade damit beschäftigt war, sich Kaffee aufzusetzen. Dann fiel auch bei Tomoyo der Groschen. „Fast genauso toll wie Papi, aber nur fast!“ „Amen, Tomo-chan!“ Kurogane schüttelte kaum merklich den Kopf und seufzte. Er war lange nicht mehr auf dem Niveau, dass er sich so etwas wirklich zu Herzen nahm, denn mittlerweile hatte er verstanden, wie sehr seine Tochter ihn liebte und an ihm hing. Der schlechte Start zwischen ihnen tat schon lange nichts mehr zur Sache. Dennoch freuten ihn die Worte natürlich, sodass er dem dunkelhaarigen Mädchen ein kleines Lächeln schenkte. Leise vor sich hin summend, lehnte sich Fye auf der Couch zurück. Im Moment war er wirklich recht zufrieden mit sich und der Welt, zumindest so lange, wie seine Gedanken sich nur um die Geschehnisse hier in dem geräumigen Apartment drehten. Kurogane war trotz seiner griesgrämigen Art nach wie vor nett zu ihm und ein recht zuvorkommender Gastgeber und hatte sich überraschenderweise auch noch als gar nicht so schlechter Koch herausgestellt. Und beim Abendbrot hatte der Blondschopf gleich noch etwas Neues herausgefunden: Kurogane mochte sein Essen scharf. Sehr scharf, den Chili-Mengen nach zu urteilen, die er über dem Hühnerfrikassee verteilt hatte. Dass er schon wieder etwas über den verschlossenen Mann herausgefunden hatte, machte Fye sogar ein wenig glücklich, und versonnen betrachtete er das flimmernde Fernsehbild. Ohne es wirklich wahrzunehmen, spielte sich vor seinem inneren Auge jedoch ein ganz anderer Film ab. Nur umsehen wagte er sich nach wie vor nicht richtig in der fremden Wohnung. Dabei wäre das die Gelegenheit gewesen. Kuro-rin brachte gerade sein Töchterchen ins Bett und las ihr sicherlich auch wieder eine Gute-Nacht-Geschichte vor, also hätte er nach Herzenslust etwas herumstöbern können. Aber er tat es nicht. Weil er wusste, dass Kurogane, würde er seinen Gast dabei erwischen, sicherlich ausflippen würde. Und ihn vielleicht auch noch aus der Wohnung warf. Und das war das Schlimmste, was Fye sich im Augenblick vorstellen konnte. Ganz allein draußen würde er durchdrehen und sich womöglich vor das nächstbeste Auto stürzen, um der nagenden Angst zu entkommen. Außerdem war es unhöflich. Während der Schwarzhaarige weg war, hatte er nicht das Recht, auch nur einen Finger zu rühren Also sah er doch lieber weiter fern. Und trank den restlichen Tee von vor zwei Stunden. In den Nachrichten kamen keine Neuigkeiten über Ashura oder über sonst irgendwelche verdächtigen Vorkommnisse in der Welt der Wirtschaft und im Anschluss begann irgendein Spielfilm. Wo blieb Kurogane denn nur? Nun war es schon viertel nach acht, und er war noch immer nicht aus Tomoyos Zimmer zurück. Konnte die Kleine vielleicht nicht schlafen? Dabei hatte sie doch wirklich müde ausgesehen. Allmählich wurde Fye unruhig. Es war schon fast eine Stunde her, dass sich die Kleine von ihm verabschiedet hatte, und seither hatte er weder von ihr noch von ihrem Vater etwas gesehen oder gehört. Und dass Kurogane im Zimmer seiner Tochter an ihrem Bett eingeschlafen sein könnte, erschien ihm zu obskur, um es wirklich in Betracht zu ziehen. Nervös spielte er mit einer Strähne seines blonden Haares. Und wenn er einfach mal nachsehen ging? Kurogane würde ihn schon nicht rauswerfen, nur weil er hier herumlief, denn schließlich hatte er es ihm das nie direkt verboten. Von diesem Argument bestärkt, erhob sich der Blondschopf schnell, bevor ihn zu vieles Nachdenken nur wieder entmutigte, und betrat den Flur. Tomoyos Zimmertür lag gleich zu seiner Linken, und er lauschte aufmerksam daran, aber es war kein Mucks zu hören. Sie schien wirklich zu schlafen. Und ihr Vater? So langsam war der blonde Kindergärtner wirklich beunruhigt. Um so größer dann seine Erleichterung, als er den schwarzhaarigen Mann schließlich nur einige Meter weiter durch die geöffnete Tür zu seinem Arbeitszimmer erspähte. Doch kurz darauf legte sich seine Stirn schon wieder in sorgenvolle Falten. „Kurogane...?“ Der breitschultrige Mann starrte wie in Trance auf ein Blatt, das er in den Händen hielt, und reagierte nicht einmal, als er angesprochen wurde. Im fahlen Licht der Schreibtischlampe wirkte er ungewohnt blass. Besorgniserregend blass. Nach einem kurzen Zögern wagte Fye sich langsam ins Zimmer, versuchte noch einige Male die Aufmerksamkeit des anderen zu erhaschen. Erst als sich die roten Augen ausdruckslos ihm zu wandten, ihm signalisierten, dass er nicht gänzlich unbeachtet bleib, traute sich der Blondschopf, an den Größeren heranzutreten. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich vorsichtig und berührte den muskulösen Oberarm, der sich kühl unter seinen Fingerspitzen anfühlte. Dass sein Gegenüber solch eine vertraute Geste überhaupt zuließ, zeigte deutlicher als alles andere, dass mit ihm etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Und nach all dem, was Kurogane für ihn getan hatte, war es wohl jetzt an dem Blonden, diesen Gefallen zurückzugeben, ihm zuzuhören und beizustehen. „Was liest du denn da?“ Möglichst neutral versuchte er erneut, den matten Blick auf sich zu ziehen, um ein Gespräch in die Gänge zu bringen, was ihm hoffentlich Klarheit bringen würde, aber die einzige Reaktion darauf war Schweigen. Nicht einmal angesehen wurde er. „Kurogane?“ „...“ Als erneut keine deutbare Reaktion auf sein Drängen kam, entschied Fye, stärker in die Offensive zu gehen. Er griff nach dem Papier, das Schuld an Kuroganes Zustand zu sein schien, und überraschenderweise ließ er es sich widerstandslos aus den Fingern ziehen, sodass er es nun selbst lesen konnte. Vielleicht wollte der Schwarzhaarige ja, dass er es las? Weil er von sich aus nicht darüber sprechen konnte, was ihn bedrückte... Schweigend überflog er die wenigen Zeilen. Fyes blaue Augen weiteten sich zunehmend, als er langsam realisierte, dass er hier einen gerichtlichen Beschluss des Jugendamtes in den Händen hielt. Er musste es mehrmals lesen, um den Inhalt gänzlich zu erfassen, und am Ende zitterten seine Finger heftig. „Jugendamt... wegen eines Hinweises der Mutter... mögliche Unzurechnungsfähigkeit... sofortige Entziehung des Sorgerechts...“ hauchte er fassungslos die Worte, die sich am tiefsten in sein Gedächtnis gebrannt hatten. Nun verstand er den apathischen Zustand des anderen. Wie musste sich ein liebender Vater fühlen, wenn ihm plötzlich per Post mitgeteilt wurde, dass ihm das Sorgerecht für seine Tochter aus heiterem Himmel per richterlichem Beschluss aberkannt worden war? Aber warum? Warum taten die so etwas? Er kannte Kurogane, er konnte sehen, wie dieser mit seiner Tochter umging. Warum sollte er nicht im Stande sein, sich um sie zu kümmern? Dabei sah sogar ein Blinder, wie sehr er sie liebte. Warum. Warum, WARUM? „Oh mein Gott, Kurogane. Was soll das? Wieso schreiben sie dir einen solchen Brief? Du bist doch ein guter Vater! Ich versteh das nicht.“ „Du musst das auch nicht verstehen.“ Die Antwort kam so grantig, dass Fye erschrocken zusammenzuckte. Kurogane, der gerade noch so geschockt und abwesend gewirkt hatte, schien auf einmal gereizt. Eine Gefühlswandlung, die ihm ganz und gar nicht zusagte. „Aber...“ „Es ist kompliziert und geht dich einen scheiß Dreck an. Okay? Also halt einfach die Klappe.“ „Aber vielleicht kann ich dir helfen...“ Warum war Kurogane plötzlich so stur? Fye wollte ihm doch nur helfen, etwas von der erhaltenen Freundlichkeit zurückgeben. Und wenn der Schwarzhaarige keine Hilfe wollte, wieso hatte er ihn dann überhaupt diesen Brief lesen lassen? „Das glaub ich kaum. Bekomm erst mal dein eigenes Leben auf die Reihe!“ Das saß, und tat so richtig weh. Fye biss sich verzweifelt auf die Unterlippe. „Sag so was nicht!“, versuchte er sich verzweifelt zu verteidigen, sah sich plötzlich in die Enge getrieben von dem Zorn, der sich plötzlich gegen ihn statt gegen die Gutachter vom Jugendamt richtete. Was spielte sein Leben für eine Rolle, wenn das Kuroganes ebenfalls in die Brüche zu gehen drohte? Und viel schlimmer noch, wenn Tomoyo dabei unglücklich gemacht wurde! „Das hat absolut nichts mit dieser Sache und Tomoyo zu tun.“ „...“ „Bitte, Kurogane. Vertrau mir. Erzähl mir, was los ist. Ich möchte das alles verstehen. Sie haben kein Recht, dir Tomoyo wegzunehmen. Ich kann doch sehen, wie du mit ihr umgehst! Du bist der beste Vater, den man sich nur wünschen kann!“ Gereizt drehte sich der ältere Mann von ihm weg, brummte etwas, das Fye kaum verstand, was sich für ihn aber wie: „Du hast ja keine Ahnung...“, anhörte. „Dann erklär es mir!“ „Ich sagte ‚nein’!“ Er wollte nicht aufgeben. Das war er diesem Dickkopf schuldig. „Bitte! Ich möchte dir und Tomoyo doch nur helfen!“ Nur dass es dieser Dickkopf sehr ernst meinte, machten die nächsten Worte dem Blonden unmissverständlich klar, und er schnappe nach Luft, als ob ihm jemand brutal in den Magen geschlagen hätte. „Sag mal, kapierst du’s nicht? Ich brauche deine Hilfe nicht! Du hast keine Ahnung wovon du redest und ich hab mein Leben bisher ganz gut allein in den Griff bekommen, also versuch nicht, mir gute Ratschläge zu geben!“ Zutiefst verletzt ließ Fye den Blick sinken. Er wollte nicht aufgeben, bis er endlich eine akzeptable Antwort aus seinem Gegenüber herausbekommen hatte, aber die Worte taten so weh... Aber war es nicht verständlich, dass Kurogane ihm nicht vertrauen wollte? Immerhin war er ein Mörder und hatte unzählige Menschenleben auf dem Gewissen. Niemand wusste wie viele, nicht einmal er. Also war es Kuroganes gutes Recht, ihm keine Auskunft zu geben. Wie hatte er nur annehmen können, dass sie jetzt so etwas wie Freundschaft oder Vertrauen verband? Kurogane hatte ihm nur geholfen, weil seine Tochter sonst traurig gewesen wäre, das war alles. Nur weil er ihr Kindergärtner war und es sie glücklich machte, mit ihm zu spielen, wurde er von Kurogane überhaupt noch hier geduldet. Er war so dumm gewesen... Dabei hatte er dem anderen Mann vertraut, hatte geglaubt, in seiner Nähe Schutz und Geborgenheit zu finden. Aber einmal mehr war Fye enttäuscht worden. Seine Erfahrung hatte ihn doch längst gelehrt, dass er niemals wieder irgendjemandem vertrauen sollte. Und doch hatte er geglaubt, dass er sich wenigstens dieses eine Mal nicht getäuscht hatte. Wie dumm er doch war. So jemand wie er hatte einfach kein Recht darauf, glücklich zu sein, so einfach war die Antwort. „Entschuldige...“, flüsterte er tonlos. Dann verließ er schweigend das Zimmer und ging bemüht gefasst zum Sofa, um sich unter die Decke zu kuscheln. Er wollte nicht, dass Kurogane die Tränen bemerkte, die heiß über seine Wangen rannen. Er weinte in den letzten Tagen viel zu viel, der Schock saß einfach noch zu tief, sein Herz war zu entblößt. Und das hier war der Preis dafür. Einmal mehr war er verletzt worden, und diese Gewissheit stach wie tausend spitze Nadeln in seiner ohnehin geschundenen Seele. Er rührte sich nicht und gab auch keinen Laut von sich, als er die schweren Schritte des Hausherren hörte, die einen Moment in der Stubentür zu verharren schienen, bevor sie ihren Weg Richtung Küche fortsetzten und die Tür sich schloss, somit das Licht aussperrte. Schniefend tatstete der Blondschopf nach der Fernbedienung und schaltete das TV-Gerät ab. Er wollte allein sein. Mit sich und seinen Gefühlen. Vielleicht würde er so schneller verstehen, was passiert war, warum sein Herz ein weiteres mal in Scherben lag. Und diesmal fühlte es sich noch schlimmer an als bei Ashuras Verrat. Tausend mal schlimmer. Warum das so war, wusste er selbst nicht, aber es war auch egal. Der Schmerz war alles, was er spürte. Die Gewissheit und die Angst, Kuroganes Vertrauen nun ein für alle Mal verloren zu haben und weder in seiner Nähe noch in seiner Wohnung länger geduldet zu werden, ließen die Tränen lange Zeit nicht mehr versiegen. Erst viel später schlief er vor Erschöpfung ein. Mit brennenden Augen und blutendem Herzen. In sich gekehrt verharrte Kurogane in einer Ecke des großen Aufenthaltsraumes, dabei alles mehr oder weniger wachsam überblickend. Wo seine Blicke und seine Sorgen gestern noch Fye und dessen Wohlergehen gegolten hatten, hingen sie heute an Tomoyo. Er verfolgte alles, was sie tat, und verspürte bei jedem Lachen oder Lächeln auf dem kindlich hübschen Gesicht einen schmerzhaften Stich in der Brust. Als er suspendiert worden war, hätte er das niemals für möglich gehalten, aber die Kleine hatte sein Herz im Sturm erobert und sich dort einen festen Platz gesichert. Das kleine Kind, was ihm anfangs noch so anstrengend und fremd erschienen war, war zu seinem Ein und Alles geworden. Sein Schützling, sein Lebenssinn. Seine Tochter. Und nun wollten die sie ihm wegnehmen? Diese weltfremden Spießer hatten doch keine Ahnung! Natürlich konnte Kurogane den Aufruhr irgendwo verstehen aufgrund seiner Vorgeschichte, aber sollte das Jugendamt nicht erst einmal einen Betreuer zu ihnen schicken, der überprüfte, ob es Tomoyo wirklich schlecht ging, anstatt einfach so zu verfügen, sie ihm wegzunehmen? Am Ende durfte er sie vielleicht nie wieder sehen... Das würde der Schwarzhaarige nicht verkraften. Nicht mehr, wo er sie jetzt so sehr ins Herz geschlossen hatte. Kurogane war kein Mensch, der sein Herz schnell für andere öffnete oder gar Liebe empfand, doch wenn ihm einmal jemand so nah gekommen war, dann behütete er diese Bande um jeden Preis und ließ sie wachsen, gedeihen, zu einem Fixstern in seinem Leben werden. „Duhu...?“ Kurogane registrierte zwar, das er gemeint war, reagierte aber nicht sofort, weil die Information erst einmal an sein Gehirn weitergeleitet werden musste, um ihn aus seinen schwermütigen Gedanken zu rütteln. So war seine Antwort auch nur ein etwas verspätetes, lahmes „Hm?“ „Du, Papa?“, versuchte Tomoyo erneut ihr Glück und ruckelte an seinem Knie, bis er sie endlich ansah und sogar etwas lächelte. Es war gänzlich neu für das Mädchen, das ihr Vater so unaufmerksam war. Normalerweise entging ihm doch nichts. „Ja, Kleines?“ „Gehen wir nun gar nicht mehr mit dem Hund spazieren?“ „Dem Hund?“ „Hataki.“ „Ach so. Wieso fragst du, Tomoyo?“ „Naja...wenn du und Nii-chan dabei seid, ist es eigentlich ganz lustig...“ Kurogane blinzelte auf die Worte seiner Tochter überrascht. „Wirklich? Hast du keine Angst mehr vor ihm?“ „Doch! Aber...nicht mehr ganz so dolle“, zirpte Tomoyo erschrocken, und drückte sich an die Beine ihres Vaters. „Er ist nicht so böse wie der Hund, der Fye-nii-chan gebissen hat. Und eigentlich...eigentlich ist er auch ein bisschen niedlich. Darum.“ Sie klang ein wenig trotzig, als dachte sie, ihre Worte seien etwas Schlimmes, aber ihr Vater konnte nur darüber lächeln. Es freute ihn wirklich, dass gerade seine Tochter so etwas von sich aus sagte, denn es zeigte ihm doch, dass sie ihre Angst vor Hunden, oder zumindest vor Hataki, ein wenig überwunden hatte. „Und außerdem...wenn Nii-chan dabei ist, dann macht es mir wirklich fast nichts mehr aus.“ Sofort verhärteten sich Kuroganes Gesichtszüge etwas, als die Sprache auf Fye kam. Fing jetzt schon die Kleine an, ihm wegen des Streits versteckte Vorwürfe zu machen? Es reichte doch, dass der Blondschopf ihm schon den ganzen Tag auswich, verschreckt und niedergeschlagen seine Gegenwart mied, so gut es eben ging, auch wenn er offensichtlich lieber in seiner Nähe wäre, um Schutz zu suchen. Man sah Fye seine Zerrissenheit bei jedem Blick an. Und inzwischen tat es Kurogane in der Seele weh, ihn so zu sehen und zu wissen, dass es seine Schuld war. Auch wenn er sich diese Schuldgefühle nicht erklären konnte und seine Vernunft behauptete, dass sie nach wie vor nichts weiter als zufällige Bekannte waren, die nichts miteinander verband, er dem anderen nichts schuldig war, taten ihm seine Worte von gestern Leid. Am liebsten wäre er zu ihm gegangen und hätte ihn umarmt, so wie vor zwei Tagen, als der Blonde sich seinen Schmerz von der Seele geweint hatte. Aber dieser Wunsch war so befremdlich. Außerdem sah er nicht ein, warum er sich entschuldigen sollte. Hätte Fye nicht immer weiter nachgebohrt, als er nicht darüber reden wollte, wäre es nie zu dieser Konfrontation gekommen. Aber nein, der Herr hatte ja nicht hören wollen. Wie immer. Und nun steckten sie beide in der Zwickmühle. Aus Angst, die Diskussion vom Abend wieder aufzugreifen und es nur noch schlimmer zu machen, konnten sie sich weder in die Augen blicken noch ein Wort mit einander wechseln. Was für eine vertrackte Situation... „Also, Papa? Gehen wir bald wieder mit Hataki und Fye-nii-chan zusammen spazieren? Das wär doch toll!“ „Ich weiß nicht so recht, Tomoyo“, wich ihr Vater der Frage aus. „Im Moment habe ich ziemlich viel zu tun und dafür gerade gar keine Zeit“. Enttäuscht blinzelte sie aus ihren violetten Augen zu ihm hinauf, was es schwer machte, standhaft zu bleiben. „Tut mir Leid, Liebes. Aber ich verspreche dir, dass wir wieder gehen, sobald ich nicht mehr so viel um die Ohren habe, okay?“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ Ein wenig einsichtiger gestimmt, nickte die Kleine, bevor sie wieder zu ihren Spielgefährten zurückkehrte und ihren Vater seinen Gedanken überließ. Allerdings war es diesem nun nicht mehr möglich, seine Gedanken über Fye so ohne weiteres zu ignorieren, nachdem Tomoyo ihre Streitigkeiten und die kühle Atmosphäre zwischen ihnen auf eine kindlich-indirekte Art und Weise ein wenig geschlichtet hatte. Es war nicht das erste Mal heute, dass ihm bewusst wurde, wie mies er sich gestern verhalten hatte. Fye anzuschreien, obwohl dieser nur versucht hatte zu helfen. Dabei wäre es, wenn er es jetzt mit etwas Abstand betrachtete, mehr als fair gewesen, wenn der Blondschopf die Wahrheit erfuhr. Schließlich hatte Kurogane es ihm immer vorgeworfen, dass er nicht über sich und seine Vergangenheit sprach und aus allem ein Geheimnis machte, aber am Ende war er selbst es, der sich in Schweigen hüllte, obwohl Fye doch nur für ihn alles offen gelegt hatte. Eher unbewusst hatte er seinen nachdenklichen Blick auf den Blondschopf gerichtet und bemerkt, dass dieser sich sofort mit hängendem Kopf wegdrehte, als er bemerkte, dass er beobachtet wurde. Lieber beschäftigte er sich wieder mit seinen kleinen Schützlingen, auch wenn sein Lächeln heute noch gestellter und so schmerzhaft aufgesetzt wirkte, dass es sogar Kurogane weh tat. Und sein hektisches Gebaren, das so aussah, als bekäme er langsam Panik, hatte sich wieder verschlimmert. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit zog er sich eine Ecke des Aufenthaltsraumes zurück, die von den Fenstern aus nicht einsehbar war. Wenn das nicht möglich war, dann versicherte er sich mit gehetzten Blicken pausenlos, dass draußen niemand stand und ihn womöglich beobachtete. Und ab und an, wenn Fye zu denken schien, Kurogane bemerkte es nicht, ruhten seine sehnsuchtsvollen blauen Augen auf ihm und er schien nichts mehr zu wollen, als sich in Kuroganes Schutz spendende Nähe zu flüchten. Doch gleichzeitig hatte er Angst davor und das verletzte Kurogane. Dennoch, er war selbst schuld. Warum hatte er sich gestern auch nicht zügeln können? Vielleicht hatte der Kindergärtner ja Recht und konnte ihm wirklich helfen? Auch wenn Kurogane sich nicht vorstellen konnte wie. Trotzdem, eine Chance hatte er eigentlich verdient. Es konnte ja wirklich sein, dass er selbst etwas Wichtiges übersehen hatte, weil er zu aufgewühlt war. Welcher Vater wäre das nicht, wenn man ihm androhte, ihm seine Tochter wegzunehmen – und das grundlos. ... Fast grundlos. Aber er hatte Fye mittlerweile doch gut genug einzuschätzen gelernt, um wissen zu müssen, dass ihn ein solch heftiger Ausraster ungemein verletzte, vor allem in seinem derzeitigen Zustand. Und dass er sich infolge dessen von Kurogane fern halten würde, aus Angst, erneut abgewiesen zu werden. Je länger Kurogane darüber nachdachte, umso schlechter fühlte er sich. Ja, er hatte einen Fehler gemacht. Da bot ihm jemand Hilfe an und er jagte ihn fort... Fye konnte sich nicht einmal mehr in seiner Nähe sicher fühlen und wirkte nun nur noch verlorener, was den Älteren bedrückt den Blick senken ließ. Er war so ein Idiot! Kurogane wusste, dass dieses Wort noch viel zu schwach war, um seiner Dummheit gerecht zu werden. Hätte er nur ein klein wenig nachgedacht und sich zurückgehalten, wäre das alles nicht passiert und der Blonde könnte wenigstens hier Ruhe finden, statt nun wie ein gehetztes Tier herumzuschleichen, das wusste, dass es in der Falle saß und nur noch auf den Räuber warten konnte. Ob Fye ihn jetzt auch als Bedrohung empfand? Je mehr Kurogane daran dachte, desto stärker nagte es an seinem Gewissen. Vielleicht sollte er doch versuchen, mit Fye zu reden - was hatte er schon zu verlieren? Wenn er allein es nicht schaffte, Tomoyo zu beschützen, vielleicht schafften sie es ja gemeinsam. Und außerdem... Ja, außerdem wollte er nicht, dass der blonde Querkopf ihn mied, egal wie nervig er manchmal auch war. Jetzt, wo er plötzlich nicht da war, fehlte einfach etwas. „Fye-nii-chan?“ Ertappt zuckte Fye zusammen. Er hatte Tomoyo gar nicht näher kommen hören, weil er zu sehr damit beschäftigt gewesen war, den Garten vor dem Gebäude nach mutmaßlichen Feinden abzusuchen, und erschrak jetzt ziemlich. „Ja, Tomo-chan?“, fragte er dennoch und drehte sich zu ihr herum, nachdem er ein breites, aber ebenso falsches Grinsen auf seine Lippen gezaubert hatte. Hoffentlich sah Kurogane nicht jetzt her...! „Du siehst so traurig aus... ist alles okay?“ Überrascht blickte der Kindergärter die Vierjährige an. Das war mal wieder typisch Tomoyo. Sie bemerkte einfach alles... Dabei hatte er sich extra bemüht, sich vor den Kindern keine Blöße zu geben. Dass es vor Kurogane nicht möglich war, irgendetwas zu verstecken, war ihm inzwischen sowieso klar, aber wenigstens seine Schützlinge wollte er damit nicht auch noch belasten. Doch seine Bemühungen schienen vergebens gewesen zu sein. „Aber nicht doch, Liebes“, versuchte er, sich mit einem seiner charmantesten Lächeln herauszureden. „Das hast du dir sicher nur eingebildet, wie du siehst, ist bei mir alles in bester Ordnung.“ Dennoch blieb das dunkelhaarige Mädchen argwöhnisch und schaute ihm forschend ins Gesicht. „Schwindelst du auch nicht, Nii-chan?“ Für einen Moment war der junge Kindergärtner versucht, sich auf die Lippe zu beißen, aber er riss sich zusammen. Nicht dass Tomoyo diese Reaktion am Ende noch richtig interpretierte. Wer wusste schon, wie viel sie von ihrem Vater geerbt hatte in Sachen Menschenkenntnis? „Wieso sollte ich?“ Also blieb das breite Lächeln auf seinen schmalen Lippen bestehen, und er kniete sich lieber zu dem Kind, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein, ließ es sich so doch um einiges besser reden. „Wenn es mir gut geht, muss ich doch nicht schwindeln.“ „Aber wenn es dir...schlecht geht...?“ Tomoyo schien nach wie vor nicht überzeugt. Es war geradezu rührend, wie sehr die süße, kleine Maus sich um ihn bemühte. Schade, dass er lügen musste... „Keine Sorge, Tomoyo, mit mir ist wirklich alles okay, das kannst du mir glauben,.“ „Wirklich?“ „Großes Indianerehrenwort!“ Grinsens hob er eine Hand zum Schwur und atmete innerlich erleichtert auf, als die Kleine endlich aufgab. Lange hätte er dem treuherzigen Blick aus ihren großen dunklen Augen nämlich nicht mehr stand gehalten. „Na gut...“ Dann fiel Tomoyo aber noch etwas ein. „Aber du kommst heute Abend doch wieder mit zu uns nach Hause, oder? Da war sie, die Frage, die Fye so sehr gefürchtet hatte. Was sollte er dem Mädchen darauf antworten? Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, ob er wieder mit zurück wollte, ganz zu schweigen davon, ob Kurogane ihn überhaupt da haben wollte, nach dem Streit von gestern. Der Schwarzhaarige konnte doch bestimmt nichts mit einem Typen wie ihm anfangen, der nicht einmal im Stande war zu helfen, weil sein eigenes Leben in Scherben vor ihm lag... Falls Kurogane tatsächlich so dachte, seine Worte nicht nur in Rage etwas härter ausgefallen waren... Es brach Fye das Herz. Da Tomoyo ihn noch immer fragend anblickte, rang sich der sonst so spontane, fröhliche Kindergärtner zu einer ausweichenden Antwort durch. „Naja... Ich weiß nicht, ob dein Papa das wirklich möchte.“ „Bitte.“ „Tomoyo...“ „Bitte bitte bitte! Ich red auch mit Papi!“ Die Kleine wollte einfach nicht locker lassen. Und Fye wurde eines schmerzhaft bewusst: Wo sollte er sonst hin, wenn nicht wieder zurück zu ihr und ihrem schlechtgelaunten Vater? Er hatte keinen anderen Zufluchtsort. Bei sich daheim würde er vor Angst wahnsinnig werden. Und wenn er wieder mit Kurogane mitging, musste er sich zwar vor bösen Blicken und harten Worte fürchten, aber wenigstens war er vor Gefahren von außerhalb geschützt. Besser als irgendwo anders. „Okay.“ Schweren Herzens lenkte er endlich ein. „Du hast gewonnen...“ „Juhu!“ Kurz umarmte ihn Tomoyo überschwänglich, bevor sie zu ihrem Herrn Papa eilte, um das auch mit ihm abzuklären. Fye lächelte schwach. Es war irgendwie schön, dass das dunkelhaarige Mädchen so sehr an ihm hing, denn es vermittelte ihm Wärme und das Gefühl, geliebt zu werden, was er die ganzen letzten Jahre tief in seinem Innersten vermisst hatte. Chii liebte ihn auch, natürlich, dennoch war da eine gewisse Distanz, Schüchternheit zwischen ihnen, sodass ihre Zuneigung allein nicht gereicht hatte, um das große Loch in seinem Herzen zu füllen. Doch nun hatte er Menschen gefunden, denen er nicht egal war. Um so erschreckender war der Gedanke, diese bald wieder verlieren zu können. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie Kurogane seiner Tochter zuhörte, und schließlich langsam nickte. Bei dem Anblick fiel ihm ein mittelgroßer Stein vom Herzen. Wenigstens verstieß der Schwarzhaarige ihn nicht und er konnte die Nacht in der gemütlichen Wohnung wieder einigermaßen ruhig schlafen. Ruhiger, als er es irgendwo anders gekonnt hätte. Lautes Getöse aus Richtung Küche erinnerte Fye schließlich wieder an seine Pflichten und mit einem letzten, flüchtigen Blick wandte er sich von Vater und Tochter ab und eilte zum Ursprungsort des Lärms: Eine Kompottschüssel war zu Boden gegangen, und nun stand Yuzuriha inmitten von Obstwasser und Mandarinenstückchen. Ihre Unterlippe zitterte Unheil verheißend und die ersten Tränchen kullerten schon über das kleine, erschrockene Gesicht. „Yuzu-chan! Ich rette dich!“ „Nicht, Ryu-kun!“ Wenn er auf dem schmierigen Obstwasser ausrutschte und vielleicht gegen ein Möbelstück stolperte, hätten sie noch ein weit größeres Problem hinzu bekommen. „Yuzu-chan, bitte bleib ruhig da stehen, okay?“ Bittend sah er das kleine Mädchen an. Der Schock über die zu Boden gegangene Schüssel schien tief zu sitzen, und jetzt begann sie richtig zu weinen. Fye hätte sie gern in den Arm genommen, aber Ryu und inzwischen auch Sorata standen noch immer zum Sprung bereit im Kücheneingang, sodass er diese beiden keinesfalls allein lassen konnte. „Bitte, Liebes. Wir haben die Scherben in null Komma nix-!“ „Was herrscht denn hier für ein Chaos?“ Es kostete den blonden Kindergärter seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht wie von der Tarantel gestochen herumzufahren, als die tiefe Stimme Kuroganes so dicht neben ihm erklang, aber er hätte schwören können, dass sein Herz für ein paar Sekunden aussetzte, nur um dann hektisch weiter zu schlagen. Warum musste der ihn auch so überraschen? „Schnell, Kuro-rin! Du musst Yuzu-chan retten!“ Ryu vergaß, dass er den Erwachsenen weder mit einem Spitznamen betiteln sollte, noch dass er ihm überhaupt nichts zu sagen hatte, aber anstatt sich darüber aufzuregen, kam Kurogane der Aufforderung überraschenderweise sogar nach. So groß, wie er war, war es ihm ein Leichtes, nach der Schwarzhaarigen zu greifen und sie behutsam aus dem Unfallgebiet zu bergen. Ein erleichtertes Aufatmen machte die Runde, als ihre kleine Freundin wieder auf sicherem Boden stand, und sofort tröstend von ein paar Kindergartenkindern umsorgt wurde. „D-danke...“, murmelte Fye hastig, ohne zu dem größeren aufzusehen, und begann die Sauerei in der Küche zu beseitigen. Je weniger er Kurogane ansah, um so eher konnte er einem Streit aus dem Weg gehen. Kurogane sah das wohl ähnlich, denn er wandte sich stattdessen an die Kinder und sorgte dafür, dass keines von ihnen in die Küche lief, solange der Blonde noch nicht fertig war. Nach wenigen Minuten war die Küche wieder in Ordnung und auch Yuzuriha hatte sich beruhigt, sodass das kleine Missgeschick schnell vergessen war. Auch der restliche Nachmittag verlief trotz der üblichen Pannen, die man in jedem Kindergarten fand, recht ruhig. Kurogane hatte sich bereiterklärt, mit einigen Kindern nach draußen zu gehen, nachdem seine süße Tochter ihn ein paar Mal aus ihren unwiderstehlichen Rehaugen angebettelt hatte, und Fye verbrachte mit der anderen Hälfte eine entspannte Zeit drinnen beim Vorlesen. Zu der Geschichte, Rapunzel, schlug er ihnen anschließend vor, ein Bild zu zeichnen, sodass der Kindergärtner ein paar Minuten für sich hatte, in denen er sich zurücklehnen und einmal an nichts denken konnte. Leider hielt er das nicht lange durch. Schon bald kamen ihm wieder Ashura und seine Sorge um Chii in den Sinn, und wenn es einmal anfing, fiel es ihm immer schwerer, aus diesem nie enden wollend Strudel aus Angst zu entfliehen, der ihn langsam aber stetig in ein tiefes schwarzes Loch hinabzuziehen drohte. So war der Blondschopf letztendlich eher erleichtert, als der neue Ersatzkindergärtner mit seinen Schützlingen wieder nach drinnen kam und ihn aus seinen Gedanken riss. Egal, wie sehr sie sich gestritten haben mochten, Kurogane schien seine Gefühle immer noch mit einem einzigen Blick zu durchschauen. Und auch wenn das weh tat, nahm es Fye andererseits eine schwere Last von den Schultern zu wissen, dass er nicht ganz allein mit seinen Sorgen dastand und dass Notfalls jemand da war, der ihn verstand, ohne das er darüber reden musste. Kurz darauf wurden auch schon die ersten der Kinder abgeholt und wie jeden Tag verabschiedete Fye jedes von ihnen ausgiebig, auch wenn er dem Moment entgegenbangte, in dem das letzte nach Hause gegangen war. Dann würde er mit Tomoyo und Kurogane ebenfalls nach Hause fahren. Zu ihnen nach Hause... Natürlich konnte er diesen Augenblick nicht umgehen, und nachdem er als letzter alles ordnungsgemäß abgeschlossen hatte, bestieg er mit nervösem Magenflattern den schwarzen Wagen. Am liebsten hätte er sich hinter zu Tomoyo gesetzt, aber ihr Vater hätte ihn nur mit missbilligenden Blicken gestraft, wenn er so versuchte, Abstand zwischen sie zu bringen, daher fragte Fye gar nicht erst. Die Fahrt verlief in bedrückendem Schweigen, das nicht einmal Tomoyo aufzulockern versuchte. Der Blondschopf war tief in seinen Sitz gesunken und zwang sich zu äußerlicher Ruhe. Er wollte nicht alles noch schlimmer machen, wenn er Kurogane mit seinem gehetzten Auftreten zur Weißglut trieb. Aber er brauchte fast seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht in jedem Schatten Ashura zu sehen und sich panisch nach im Augenwinkel wahrgenommenen Bewegungen umzudrehen. Demzufolge nervlich am Ende war er auch, als sie endlich im Flussviertel ankamen. Ein fadenscheiniger Grund mehr, um seinen tagsüber gefassten Plan in die Tat umzusetzen. „Ich glaub, ich leg mich gleich hin“, teilte er dem Hausherren und Tomoyo mit, kaum dass die Apartmenttür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, und wandte sich mit einem arglosen Lächeln zu den beiden um. „Seid mir bitte nicht böse, aber ich bin einfach zu müde.“ Kurogane tat das nur mit einem herablassenden Schnauben ab und ging an ihm vorbei in die Küche, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Der blonde Kindergärtner schaffte es mit Mühe und Not, sein Lächeln aufrecht zu erhalten. Es versetzte ihm einen gehörigen Stich, jetzt, wo er sich fast schon daran gewöhnt hatte, dass Kurogane so nett zu ihm war. Aber er hatte ja gewusst, dass es nicht von Dauer sein würde, oder? „Nii-chan, geht es dir denn sehr schlecht?“ Besorgt nahm Tomoyo ihn an der Hand, um ihn ins Wohnzimmer und zu seinem Schlafplatz, der Couch, zu führen. Führsorglich begann sie, die viel zu schweren Decken, die den Tag über immer zusammengelegt auf einem der Sessel lagen, darauf auszubreiten, und Fye ging ihr gerührt zur Hand. „Du bist so lieb, Kleines... Mach dir keine Sorgen um mich, okay? Morgen geht es mir bestimmt wieder besser.“ Wenn ich bis dahin vergessen kann, wie freundlich dein Papa bis gestern noch zu mir gewesen ist... Aber die Worte sprach er lieber nicht aus. Das dunkelhaarige Mädchen sollte sich nicht auch noch Gedanken über die Streitereien zweier Erwachsener machen müssen, auch wenn sie es leider sowieso schon spürte, so feinfühlig, wie Tomoyo war. „Na gut. Dann schlaf dich gut aus, Fye-nii-chan. Ich werd dir noch einen Tee machen!“ „Aber verbrenn dich nicht, Liebes.“ Doch Tomoyo schüttelte nur fröhlich den Kopf und lief in die Küche, wo er sie kurz darauf mit Kurogane sprechen hören konnte. Sie bat ihren Vater um Hilfe dabei, den Wasserkocher aufzufüllen, was dieser, der ruhigen Stimmlage nach zu urteilen, auch tat. Seufzend machte Fye es sich auf dem Sofa bequem. Da es nicht so ein mickriger Zweisitzer war wie bei sich zu Hause, sondern geradezu luxuriös groß, konnte er sich richtig gemütlich ausstrecken, und seufzte zufrieden. So viel Komfort hatte er eigentlich gar nicht verdient. Als er hörte, dass die Küchentür geöffnet wurde, schloss er schnell die Augen. Auch wenn Fye nicht genau wusste warum, aber es erschien ihm besser, sich schlafend zu stellen, um weiteren Fragen von vornherein aus dem Weg zu gehen. „Autsch, heiß!“, hörte er Tomoyos Stimme, ein wenig trotzig, und musste lächeln, was ihm aber gleich wieder verging. „Warte, Tomoyo, ich helf’ dir.“ „Danke, Papi! Ups! Shhhh... Nii-chan schläft bestimmt schon.“ Bang lauschte er den sich nähernden Schritte. Er war sich sicher, dass Kurogane ihn für einen Moment forschend musterte, als er die Tasse auf dem Stubentisch in seiner Reichweite abstellte und das Gefühl, beobachtet zu werden, bereitete ihm Unbehagen. „Lass ihn am besten schlafen, Kleines.“ Fye glaubte nicht, dass der Schwarzhaarige ihm sein Schauspiel abgekauft hatte, aber wenigstens überging er es kommentarlos und hielt sogar seine Tochter davon ab, sich weiterhin mit ihm zu befassen. „Hm...jetzt kann ich das Sandmännchen schon wieder nicht schauen... Liest du mir dafür zwei Geschichten vor?“ „So viele du möchtest.“ „Juhu!“, rief Tomoyo begeistert, besann sich dann, dass ihr Nii-chan ja schon schlief, und fuhr etwas leiser fort. „Dann sooo viele, okay?“ Fye konnte sich bildlich vorstellen, wie begeistert das kleine Mädchen ihre Hände nach oben streckte, damit ihr Vater sah, wie viele Geschichten er ihr vorlesen sollte. Es war so ein typisch kindliches Verhalten, so niedlich. „Na von mir aus.“ Kurogane klang nicht einmal genervt, wie er es vor einer Woche vielleicht noch gewesen wäre. „Und jetzt komm, lass uns essen.“ „Aber wir heben Nii-chan doch was auf, oder Papa?“ „Natürlich.“ Es schwang weder Verärgerung noch irgendein anderes negatives Gefühl aus dieser Antwort mit und Fye musste schwer schlucken. Er hatte erwartet, dass Kurogane ihm noch immer böse war, hatte sich geradezu Horrorszenarien ausgemalt, dass dieser ihn aus dem Haus jagte oder alles der Polizei erzählte, weil er ihn für unfähig hielt, mit der Situation klarzukommen... Hatte er sich am Ende wirklich geirrt? Natürlich war es unwahrscheinlich, dass der Schwarzhaarige zu so drastischen Mitteln greifen würde, denn Kurogane stand zu seinem Wort. Er würde niemals seine Beteuerungen, dass er Fye für unschuldig hielt, so einfach verraten. Dennoch, in seiner Angst war dem Blonden das ein oder andere Horrorszenario in den Sinn gekommen, denn trotz seines Idealismus war Kurogane dennoch ein schwer durchschaubarer Mensch... Nein, er würde nicht zu ihm gehen und sich für den gestrigen Streit entschuldigen. Ihn traf keinerlei Schuld an der Eskalation der Situation – vielleicht hätte er nur nicht ganz so stur sein sollen. Außerdem hatten ihn die harten Worte wirklich tief verletzt. Und wenn Kurogane glaubte, dass er nicht im Stande war, ihm eine Hilfe zu sein, dann brauchte er auch keine Entschuldigung von Fye erwarten. Die nächste Stunde hing der Blondschopf seinen trüben Gedanken nach. Er versuchte zwar einzuschlafen, aber so wirklich wollte ihm das nicht gelingen, sodass er sich ruhelos von einer Seite auf die andere wälzte und zu verhindern versuchte, sich wieder in etwas hineinzusteigern. Irgendwann hörte er, wie Tomoyo und Kurogane ins Kinderzimmer gingen, und er spitze die Ohren, konnte aber leider keinen Ton durch die geschlossene Tür erhaschen. Während er sich ausmalte, wie der ihm gegenüber griesgrämige Vater am Bett seiner Tochter saß und ihr brav eine Geschichte vorlas, dachte er wenigstens nichts Unerfreuliches. Im Gegenteil, es hinterließ sogar ein leichtes, warmes Kribbeln in seiner Magengegend. Wie immer, wenn er Kurogane lächeln sah oder sich daran erinnerte. Dieses Gefühl war irritierend und chaotisch, aber er kam kaum dagegen an. Und auch wenn Fye wusste, dass es nicht gut gehen würde, war es ihm tausendmal lieber, als immer nur von der Angst vor Ashura ergriffen zu sein. Denn was auch immer er für Kurogane fühlte, es war angenehmer, wärmer, vertrauter und so herbeigesehnt... „Schläfst du?“ Die dunkle stimme ließ Fye zusammenzucken und er bekam eine leichte Gänsehaut. Er hatte nicht einmal gehört, dass Kurogane zurückgekommen war. Verbissen schwieg er und rührte sich nicht, auch wenn der Schwarzhaarige von seiner vermuteten Position aus sowieso nur die Sofalehne zu sehen bekam. Der Blondschopf hatte gehofft, dass sein Schweigen Kurogane verjagen würde, umso überraschter war er, als dieser schließlich wieder das Wort ergriff, ruhig und mit einem kaum merklichen Zögern darin. „Ich habe nachgedacht... Ich glaub, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“ Ach, das merkte der feine Herr aber früh! „Du solltest wissen... Ich bin nicht versetz worden oder habe Urlaub genommen. Ich wurde vom Dienst suspendiert. Und das war ein harter Schlag für mich. Außer meiner Arbeit hatte ich nichts – dachte ich zumindest, bis mich Tomoyo eines besseren belehrt hat. Aber plötzlich den ganzen Tag zu Hause zu sein und nichts zu tun zu haben, war ich einfach nicht mehr gewöhnt. Dazu kam das Kind, mit dem ich überfordert war und Somas nerviges Getue. Deshalb war ich anfangs sehr gereizt.“ Wie zögerlich Kuroganes sonst so ruhige Stimme klang. Man hörte ihr an, dass er es nicht gewohnt war, über sich selbst und seine Gefühle zu sprechen. Bestimmt fiel es ihm schwer weiterzureden... Aber die Erklärung wollte Fye trotzdem hören. Das war der Schwarzhaarige ihm schuldig. Andere über ihre Vergangenheit ausquetschen und sich selbst in Schweigen hüllen? Und dann nur zu beschimpfen, wenn man helfen wollte? Das war nicht fair. „Jedenfalls, es ist jetzt fast drei Wochen her... An dem Abend musste ich noch einen Kollegen aus der Kneipe abholen, da er vorher nicht mit dem Rest der Truppe zurückgekehrt war. Die anderen waren alle ordnungsgemäß wieder in der Kaserne eingetroffen, nur er hatte sich geweigert, die Bar zu verlassen. Als sein Vorgesetzter war ich dafür verantwortlich und musste noch einmal los und ihn abholen.“ Ein kurzes Rascheln wies darauf hin, dass Kurogane seine Position veränderte und Fye konnte an dem Schatten, den die Flurbeleuchtung ins Wohnzimmer warf, erahnen, dass der Mann im Türrahmen lehnte, während er sprach. Wortlos hielt er das Bild in seinem Kopf fest. War Kurogane wirklich so gefasst, wie er äußerlich tat? „Als ich bei der Bar ankam, war er immer noch da. Mehr oder weniger. Er stand draußen vor der Tür und legte sich mit den Türstehern an, die ihn wegen seiner Trunkenheit wohl rausschmeißen mussten. Wenn ich in dem Moment nicht eingegriffen hätte, hätte es sicher eine Schlägerei gegeben. Dafür durfte ich mir seinen Frust weiter anhören, als ich ihn zurück zur Kaserne geschleppt habe.“ Erneut ein Zögern. Anscheinend näherte sich die Erzählung dem Hauptpunkt. „Wäre es nur dabei geblieben, hätte es mich nicht weiter gestört, notfalls hätte ich ihn ruhig stellen müssen. Aber in dem Moment sind uns deine kleine Praktikantin und ihr Freund über den Weg gelaufen.“ Sakura und Shaolan? Nervös kaute Fye auf seiner Unterlippe herum. Dass die drei sich schon vor dem Treffen im Kindergarten begegnet waren, hatte er ja mitbekommen, aber hatten die beiden am Ende bei einem derart wichtigen Ereignis eine entscheidende Rolle gespielt? So entscheidend, dass Kurogane deswegen suspendiert worden war? Was war da nur passiert? Fyes Gedanken wurden immer banger, als der Schwarzhaarige schließlich fortfuhr. „Niedlich, wie die Kleine eben ist, ist mein Kollege sofort auf sie aufmerksam geworden und hat sie angemacht. Der Junge wollte sie beschützen, da hat mein Kollege ihn weggestoßen und wollte sogar auf ihn losgehen, als ich ihn endlich von den beiden wegziehen konnte. Allerdings hat er danach so rumgebrüllt, dass ich ihm wirklich eine runterhauen musste. Das schien ihn beruhigt zu haben, dachte ich, also habe ich mich erst mal bei den beiden vergewissert, dass alles in Ordnung war, dann sind sie zum Glück schnell weiter und waren somit zumindest außer Gefahr.“ Wie auf heißen Kohlen lag Fye da. Warum musste Kurogane auch gerade hier innehalten? Mit jedem Satz warf er schlimmere Befürchtungen auf. Er sollte endlich zum Punkt kommen! Ihm erklären, dass letztlich doch alles irgendwie glimpflich abgelaufen war. Egal was, nur sollte er nicht Fyes schlimmste Erwartungen erfüllen! So sehr sich der Blondschopf gewünscht hatte, endlich die Wahrheit zu hören, so sehr fürchtete er sich jetzt davor. Bitte... „Nachdem die beiden gegangen waren, ist mein Kollege plötzlich ausgeflippt. Er hat mich angebrüllt, was mir denn einfiele, ihm ‚die Tour zu vermasseln’, für wen ich mich bitte halten würde, so was eben. Ich habe versucht ihn irgendwie zu beruhigen, aber er hat überhaupt nicht darauf reagiert und ist auf mich losgegangen, hat an meinen Sachen herumgezerrt und gleichzeitig versucht, auf mich einzuschlagen und ähnliches. Irgendwie muss es ihm dabei gelungen sein, an meine Pistole heranzukommen; so wie er auf mich losgegangen ist und getobt hat, habe ich das gar nicht richtig mitbekommen. Als ich versucht habe, sie ihm wieder abzunehmen, hat sich plötzlich ein Schuss gelöst. – Und er war tot. Direkt unter dem Kinn durch den Kopf. Keine Chance, dass er das auch nur eine Sekunde überlebt haben könnte. Ich weiß bis heute nicht, wer von uns beiden an den Abzug gekommen ist. Es ging einfach viel zu schnell. Und alles passierte irgendwie gleichzeitig.“ Die Stille, die auf die Worte folgte, legte sich wie eine Betondecke über das Zimmer und Fye hatte das Gefühl, von ihr erdrückt zu werden. Seinen unbewusst angehaltenen Atem stieß er erst wieder aus, als er die kleinen Lichtpunkte bemerkte, die vor seinen Augen tanzten. Oh Gott... Das war nicht wahr, oder? Kurogane hatte ihm doch nicht wirklich gerade erzählt, dass durch seine Dienstwaffe ein Mensch ums Leben gekommen war? Er träumte doch bestimmt, oder? Wie um es sich selbst zu beweisen, kniff Fye sich fest in den Arm, musste nach Luft schnappen, weil es so weh tat. Kein Traum... Am besten, er versuchte, es irgendwie vernünftig zu betrachten. Kurogane hatte einen Menschen erschossen. Nein, Kurogane hatte VIELLEICHT einen Menschen erschossen. Und selbst wenn er abgedrückt hatte, machte ihn das keinesfalls zum Mörder, denn es war ganz klar ein Versehen gewesen. Mit diesem Gedanken konnte sich der Blonde Mann einigermaßen anfreunden. Es gab keinen Grund, Kurogane für irgendetwas zu bestrafen. Denn dieser hatte keinesfalls etwas Unrechtes getan. Aber warum war er dann suspendiert worden? Hatte man ihm nicht geglaubt? Kurogane log ihn sicherlich nicht an. Dazu hatten die Gefühle hinter den Worten zu echt und unverfälscht geklungen. Und der Ältere war außerdem kein besonders guter Schauspieler. „Das Militärgericht meinte, die Umstände sprächen, wenn sich alles tatsächlich so zugetragen habe, für meine Unschuld, andererseits war das generell angespannte Verhältnis zwischen diesem Kollegen und mir auch kein Geheimnis, sodass allein meine Aussage nicht ohne weitere Beweise über das Urteil entscheiden konnte. Ohne eine genaue polizeiliche Untersuchung durfte nichts entschieden werden, also wurde ich vorerst zwangsbeurlaubt. Alles weitere kennst du eigentlich. Kaum zwei Tage später habe ich Tomoyo das erste Mal in den Kindergarten gebracht.“ Damit endete die Erzählung. Keine besonders schöne Gute-Nacht-Geschichte... Während Kurogane, geduldig auf eine Antwort wartend, nach wie vor regungslos im Türrahmen verharrte, betrachtet der Kindergärtner schweigend seine Schattengestalt. Wie sollte er jetzt reagieren? Was für eine Antwort erwartete der Schwarzhaarige auf so ein Geständnis? Er konnte ihn nicht einmal trösten, da Kurogane sich selbst nicht als Mörder zu sehen schien, auch wenn er bereute, was passiert war, das hatte man seiner Stimme deutlich angehört. Fye hätte dem anderen jetzt gern ins Gesicht geschaut. Wenn Kurogane so viel von sich preis gab, hätte er ihm gern dabei in de Augen gesehen. Aber der Blondschopf wollte sich keine Blöße geben, nicht solange er selbst nicht wusste, was genau er davon nun hielt. Zwar war diese Erklärung nicht ohne und er konnte ihm wegen der verletzenden Worte von gestern Abend auch nicht mehr böse sein, aber wenn Kurogane wirklich dachte, damit wäre der Schmerz einfach so verschwunden, dann lag er falsch, dazu brauchte es mehr, zum Beispiel eine Entschul- „Fye, das was ich gestern gesagt habe, war nicht richtig. Und es tut mir echt Leid. Ich war wegen des Schreibens vom Gericht einfach zu aufgewühlt. Dass man mir Tomoyo wegnehmen will, hat mich geschockt, und du hast einfach zur falschen Zeit zu viele Fragen gestellt. Aber deswegen hätte ich dich nicht so angreifen dürfen.“ ... Jetzt konnte er diesem Sturkopf wirklich nicht mehr böse sein... Angespannt lauschte er, ob noch mehr seitens Kurogane kam. Im Moment schwieg dieser. Vielleicht musste er sich erst wieder sammeln. Dabei war schon die Entschuldigung ein gewaltiger Schritt aus sich heraus gewesen, und die gerade erst wieder gefasste Stimme hatte erneut unsicher geklungen. Sehr oft hatte Kurogane sich in den letzten Jahren sicherlich nicht entschuldigt... „Wie auch immer. Gute Nacht.“ Der Ältere hatte es offensichtlich aufgegeben, auf irgendeine Reaktion zu warten, und löste sich aus seiner Starre. Der hastigen Bewegung nach klang es beinahe so, als bereute er es, sich geöffnet zu haben, ihm, und nur ihm, erzählt zu haben, was sonst nur ein kleiner Kreis seiner Arbeitskollegen wusste. Nur ihm... Es war dieser Gedanke, der schließlich das Eis brach, Fye all den Ärger und die Angst des letzten Tages vergessen ließ und seine Entscheidung herbeiführte. Er sprang mit einem Satz von der Couch auf, verhedderte sich in der Decke und wäre beinahe gestürzt, bevor er Kurogane nacheilte. Er dachte gar nicht darüber nach, ob es richtig war, ob Kurogane es gutheißen würde, sondern folgte einfach nur seinem Bedürfnis, den anderen irgendwie zu trösten und sich für das Vertrauen zu bedanken. Es erfüllte ihn mit einem wärmenden Glücksgefühl, dass Kurogane sich ihm so weit geöffnet hatte. Im Flur lief er in Kurogane hinein. Ohne ein Wort klammerte er sich von hinten an dessen Oberkörper, obwohl dieser sich dabei unbehaglich versteifte und im ersten Moment hörbar die Luft einsog. Doch Fye wollte nicht loslassen. Und er hoffte, dass Kurogane verstand und es zuließ, auch wenn seine erste Reaktion deutlich Überraschung und ein gewisses Unwohlsein zum Ausdruck brachte. Einige scheinbar endlos lange Augenblicke blieb Kuroganes Haltung steif wie ein Brett, sodass Fye langsam an seiner Entscheidung zu zweifeln begann, doch dann schien der andere sich endlich zu entspannen. Die angespannten Muskeln lösten sich und fast schien es ihm, als lehnte sich der Schwarzhaarige sogar etwas an ihn. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen schmiegte Fye seine Wange an die breite Schulter und ließ die Nähe auf sich wirken. Endlich war alles vergeben und vergessen. Es war schön so... „Ich hab Angst davor, Tomoyo zu verlieren...“ Kuroganes Stimme klang ruhig, als sie schließlich die angenehme Stille zwischen ihnen durchbrach. „Ohne sie käme mir mein Leben plötzlich so leer vor. Auch wenn sie anfangs recht lästig war... Aber wahrscheinlich war eher ich es, der lästig war, weil ich so gar keine Ahnung von Kindern und ihren Bedürfnissen hatte.“ Fye hatte die Augen geschlossen und lauschte der tiefen Stimme entspannt. „Es klingt sicherlich komisch, wenn ich das sage, aber ich bin sogar ein wenig dankbar, suspendiert worden zu sein, weil ich dadurch erst meine Tochter richtig kennen lernen konnte. Vielleicht hätte ich sonst nie die Chance dazu gehabt...“ Während Kurogane sprach, festigte Fye seinen Griff noch etwas. Die Sachlichkeit, mit der all die Dinge ausgesprochen wurden, war traurig, denn es zeigte deutlich, wie wenig Hoffnungen Kurogane sich machte, seine geliebte Tochter behalten zu können. Zwar mochte er sonst eine ausgesprochene Kämpfernatur sein, aber der gesetzliche Sachverhalt und die Umstände machten es schwer, Hoffnung zu haben. „Vielleicht gibt es jemanden, der dir helfen kann... Wenn du das möchtest, Kurogane.“ Der Größere erwiderte darauf nur zögerlich ein schwaches Nicken, aber Fye spürte eine Welle der Erleichterung und des Glücks über sein Herz schwappen, die so groß war, das er seine eigenen Sorgen gänzlich vergessen konnte, und wenn es auch nur für diesen Moment war. „Ich denke, du solltest mit Yuuko-san über diese Sache sprechen. Ich weiß zwar nicht, wie genau sie dir helfen kann, aber sie scheint eine Menge Beziehungen zu haben.“ Kuroganes plötzliche Haltungsänderung wirkte, als sei er enttäuscht darüber, dass Fye ihm keinen besseren Ratschlag geben konnte, also sprach dieser schnell weiter. „Glaub mir, hinter Yuuko-san steckt wirklich viel mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Als ich... Als ich vor Ashura geflüchtet bin, bin ich ihr zufällig über den Weg gelaufen und sie hat mir einfach so, ohne großes Nachfragen und so, meine Wohnung und die Arbeit bei ihr im Kindergarten besorgt. Ich glaube sogar, dass es nicht einmal Zufall war, dass ich Yuuko-san begegnet bin, doch sie beteuerte, davon nichts zu wissen, als ich sie einmal vorsichtig darauf angesprochen habe. Trotzdem, was sie für mich getan hat, war unglaublich. Es steckt viel mehr hinter ihr, als sie nach außen hin preis gibt. Bitte, sprich mit ihr. Ich weiß nicht, was sie erreichen kann oder wie, aber bitte sprich mit ihr. Ich bin mir fast sicher, dass sie helfen kann.“ Der Schwarzhaarige schien darüber nachzudenken, bevor er erneut nickte. Sicher gefiel es ihm immer noch nicht, Yuuko Ichihara um Hilfe zu bitten, aber in seiner Lage sollte man nicht kleinlich sein, das sah er wohl selbst ein. Denn egal, ob er sie mochte oder nicht, wenn nur die kleinste Chance bestand, dass sie sein Sorgerecht für Tomoyo verteidigen konnte, dann sollte er das auch nutzen. „Okay. Und jetzt hör auf, mich so von hinten zu umklammern! Da komme ich mir vor wie ein Gefangener.“ Fye kicherte leise, bevor er sich die Freiheit herausnahm und sich katzengleich um Kuroganes Körper schlängelte, ohne diesem die Gelegenheit zu geben, auf Abstand zu gehen. „Bist du aber...“, murmelte er kaum hörbar, als er dem größeren Mann in die tiefroten Augen blickte, die ihn so sehr beeindruckten, bevor er sich ohne ein weiteres Wort an die breite Brust kuschelte. Froh über die Wärme und Geborgenheit, die ihm gewährt wurden. Und Kurogane schien ebenso zu fühlen, denn obwohl er leise grummelnd den Kopf schüttelte, scheuchte er ihn nicht weg. Stattdessen spürte Fye kurz darauf, wie sich eine warme Hand sacht in seinen Nacken legte, ihre Finger sich mit seinen Haaren verflochten. Er brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass der andere ebenfalls lächelte. Und das war das Schönste daran. TBC... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)