Der Weg zum Glück von Lady_Ocean ================================================================================ Kapitel 5: Sündenbock --------------------- Aufgrund der unerwartet großen Schreibfortschritte der letzten Wochen sind Klayr und ich uns einig, dass wir auch mal früher hochladen können ^^. Das war ja auch der Deal. Sollte es schneller gehen beim Schreiben, dann auch beim Hochladen. Ich hoffe, ihr freut euch über den verfrühten Upload ^^! -~*~- Erstschreiber des Kapitels: Klayr_de_Gall Kapitel: 5/26 -~*~- „Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten.“ (Anonym) -~*~- Sündenbock „... Papa...?“ Ein unwilliges Murren kam von dem schwarzhaarigen Mann im Bett und er drehte sich auf die Seite, versuchte, das weinerliche kleine Stimmchen auszublenden. Doch dieses ließ sich nicht beirren, fuhr ganz leise und verängstigt fort. Sie wurde von kleinen Schluchzern durchbrochen. „Papa...bitte...ich hab...Angst...“ „Wieso das denn?“, kam die unwillige dunkle Stimme aus den Tiefen des dunkel bezogenen Kopfkissens. Verschlafen und auch genervt klang sie. Der Digitalwecker auf dem Nachttisch blinkte in hingebungsvoller Ruhe ‚03.17.52’ in den stockdunklen Raum. „Ich hatte...ich hatte einen bösen...Traum...“, fuhr das dünne Kinderstimmchen eingeschüchtert fort und das Rascheln von Stoff war zu hören, als ein Kuscheltier näher an einen zitternden, nur in einem dünnen Schlafanzug steckenden Körper gepresst würde. „Da sind überall...Monster gewesen...und sie wollten mich fressen...!“ Damit war es um das kleine Mädchen geschehen. Allein wegen der Erinnerung an ihren Alptraum schüttelte es sie am ganzen Leib und ohne auf irgendeine Reaktion von ihrem Vater zu warten, schlüpfte sie unter seine Decke und drückte sich zitternd an ihn, vergrub das tränennasse Gesicht an seiner nackten Brust. Kurogane ächzte. Sie war ja eiskalt! Wie lange hatte sie wohl schon neben ihm gestanden und ihn zu wecken versucht? Er dankte Gott, dass er aus militärischer Angewohnheit - oder auch Sturheit - in Hosen schlief, sonst wäre er wohl an ihren kalten Füßen erfroren, die seine Beine berührten. „Es war nur ein Traum, Tomoyo. Träume können dir nichts tun.“ Natürlich versuchte es der Schwarzhaarige erst einmal mit der Logik eines Erwachsenen. Natürlich waren Alpträume nie toll und immer irgendwie erschreckend, für jeden. Aber ein Traum blieb ein Traum. Nur etwas, was in dem eigenen Kopf existierte. Und wenn es IM Kopf war, konnte es nicht nach draußen, um einem irgendwelchen Schaden zuzufügen. Aber Tomoyo ließ sich durch diese realitätsnahen Worte nicht beruhigen, im Gegenteil, sie schluchzte noch um einiges herzzerreißender und klammerte sich an ihn, als wäre ihr Vater der letzte, der sie vor dem drohenden Unheil beschützen konnte. „Da waren überall...überALL solche riesigen, großen Spinnen!!! Und die hatten so viele Beine und wollten mich...fressen?!“ Fassungslos hauchte sie das letzte Wort. Kinder! Tief seufzend legte Kurogane einen Arm um die zitternde Dunkelhaarige. Aber war er nicht auch einmal Kind gewesen? Hatte er die Schrecken böser Träume nicht genauso hautnah erlebt und sich vor ihnen gefürchtet, egal wie oft seine Eltern ihm gesagt hatten, dass ihm nichts passieren konnte? Wieso vergaß man so etwas als Erwachsener eigentlich? Und wieso nur musste Fye Recht behalten mit seinen Worten von gestern...? „Hör zu, mein Herz.“ Sanft strich er ihr durchs Haar. „Der Traum ist wieder in die Nacht hinaus verschwunden und wird so schnell nicht wieder kommen. Dafür werde ich schon sorgen, okay?“ „Wirklich...Papa...?“ Unsicher schniefend blickte sie ihn an, immer noch fest an den durchtrainierten Körper gedrückt. Die bloße Anwesenheit ihres Vaters beruhigte sie ungemein, aber dessen Worte noch viel mehr. Auch wenn sie nicht ganz glauben konnte, dass ihr griesgrämiger Papa so etwas sagte. Aber eigentlich war er doch lieb, das wusste sie. Und Nii-chan hatte etwas Ähnliches gesagt... „Wenn ich’s dir doch sage. Die sollen sich noch einmal hier blicken lassen!“ Gespielt böse blickte Kurogane sich um, als würde er nach Alpträumen spähen. Er kam sich sehr albern bei diesem Spiel vor, aber wenn es half, seine Tochter zu beruhigen... Diese schein jedenfalls zutiefst erleichtert, dass ihr Vater versprach, sie zu beschützen, und kuschelte sich vertrauensvoll in seine Arme. „Danke, Papa...“ „Hmm...“ Es dauerte nicht lange, bis Tomoyos Atemzüge wieder ruhiger wurden, sich ihr klammernder Griff allmählich löste und ihre kleinen Arme auf die Matratze sanken. Die Gewissheit, ihren Vater als Beschützer an ihrer Seite zu haben, ließ sie bald wieder tief schlafen, und die Schrecken der bösen Träume waren schnell vergessen in dieser behütenden Umarmung. Kurogane seufzte erleichtert. Er wusste vielleicht nicht viel vom Vatersein, noch nicht, aber zumindest das hier wusste und konnte er, das hatte er gerade bewiesen. Noch lange lag er in der Dunkelheit, strich dem kleinen Mädchen sanft durch die dunkle Mähne und hing seinen Gedanken nach. Er dachte daran, dass er Tomoyo am vorletzten Abend so angebrüllt hatte, nur weil sie noch glauben und träumen konnte, und wusste gleichzeitig, dass es ihm immer noch wahnsinnig Leid tat, auch wenn sie ihm längst verziehen hatte. Er dachte an das, was Fye zu ihm gesagt hatte und was diese Worte für ein Durcheinander in seinen vergessen geglaubten Gefühlen geweckt hatten. Und er dachte über den Kindergärtner selbst nach. Der Blonde, mit seinem immerwährenden Lächeln und den eisblauen Augen, die so viel Tiefe zu haben schienen, aber keinen Blick auf den Grund freigaben. Kurogane wusste nicht warum, aber wenn er diesem Mann in die hellen Augen sah, hatte er das Gefühl, dass dort mehr war, als Preis gegeben wurde, sehr viel mehr. Mehr Dunkelheit und Vergangenheit, die Fye vor sich selbst und vor anderen hinter seinem Lächeln verbarg. Was würde er sehen, wenn er ihm diese Maske abnahm? Was für einen Menschen? Abwesend blickte Kurogane aus halb geöffneten Augen vor sich hin, seine Finger unablässig durch lange, dunkle Locken flechtend. Er war gelinde überrascht über seine Gedankengänge. Interessierte er sich hier gerade ernsthaft für diesen Menschen, der Fye hinter dem ganzen Lächeln und der Witzelei war? Wirklich? Vielleicht...ja... Mit diesen Gedanken schlief der Schwarzhaarige schließlich ein. Es war weit nach vier Uhr. Kurogane fühlte sich ein klein wenig gerädert, als der Wecker gegen sechs Uhr klingelte. Obwohl das wahrscheinlich die Übertreibung des Jahrhunderts war, denn ehrlich gesagt fühlte er sich besch...eiden. Hauptsächlich müde. Und seiner kleinen Tochter schien es auch nicht besser zu gehen. „Noch nicht...Papa~, mach das aus...“, nörgelte sie verschlafen gegen seinen Bauch, denn während der Nacht hatte sie sich zusammengerollt, sodass sie jetzt weiter unten lag. Zuerst wollte der Schwarzhaarige dem widersprechen, aber so wirklich zu Widerworten durchringen konnte er sich nicht, stattdessen langte er nur grummelnd nach seinem Digitalwacker und drückte den Alarm aus. Kaum war wieder Ruhe, kuschelte Tomoyo sich verschmust an ihn und innerhalb von Augenblicken strich wieder nur ruhiger Atem gegen seine gebräunte Haut und er seufzte. Kindergarten hin oder her, gegen so kollektiven Aufstehunwillen kam noch nicht einmal der Gedanke an, dass sie sich verspäten würden, und zwar gewaltig. Denn auch wenn es Kurogane schon lange nicht mehr gewohnt war, die Wärme einer anderen Person in seinem Bett zu spüren, so kannte er doch noch zu gut seine Bereitschaft, gerade dann einfach wieder einzuschlafen. Er döste schon wieder, als der nervige Wecker nach zehn Minuten erneut einen eindringlichen Piepton anstimmte und diesmal wurde dem Abhilfe geschafft, indem er ihn einfach ganz ausstellte. Und damit kehrte für die nächsten Stunden wieder Ruhe ein im Hause Sugawara. Die Rechnung für so viel Verschlafenheit präsentierte sich vier Stunden später in Form von einem Paar riesiger, vorwurfsvoller blauer Augen. „Kuro-samaaaa!!!“ Fye stemmte die Hände in die Hüfte und blickte ihn beinah erbost von unten herauf an. Es war schon fast amüsant, wie viel kleiner der Kindergärtner doch war als Kurogane oder besser, wie viel größer dieser, aber bei einem solch strafenden Blick hatte der Schwarzhaarige nicht die Zeit sich darüber zu amüsieren. „Weißt du, wie spät es ist?! Weißt du das???“ Fye tippte ihm anklagend auf die Brust und stellte sich auf Zehenspitzen, sodass seine Nasenspitze fast die seines größeren Gegenübers berührte, was diesen so irritierte, dass er sich automatisch etwas zurücklehnte. „Ich habe mir verdammt noch mal Sorgen um Tomo-chan und dich gemacht! Du kannst doch nicht einfach drei Stunden zu spät kommen! Ohne ein Wort vorher zu sagen!“ „Du bist nicht meine Mutter, ich muss doch nicht...“ „Und wenn schon!“, fiel ihm Fye respektlos und aufgebracht ins Wort. „Ich war krank vor Sorge, also darf ich jetzt auch schimpfen!“ Mit großen Augen starrte Kurogane den wetternden Blonden an. Ihm blieb geradezu der Mund offen stehen, denn dass der junge Mann dermaßen aufgebracht sein konnte, hätte er nie für möglich gehalten. Und wieso ließ er sich das von dem überhaupt gefallen?? „Hör mal, ich bin ein erwachsener Mann, ich kann zu spät kommen, wann ich will! Außerdem werde ich ja wohl auf uns beide aufpassen können!“ Damit wies er ruppig auf Tomoyo, die von ihrem Lieblingsversteck, hinter seinen Beinen, aus den lauten Wortwechsel der beiden Männer beobachtete. Der Kindergärtner hatte Vater und Tochter gleich am Eingangstor abgefangen, weil die Kindergruppe eh gerade draußen im Garten gewesen war. Auch jetzt blickten von überall her neugierige Kinderaugen zu ihnen herüber und Sakura wirkte besorgt. Keiner hier war es gewohnt, dass Fye so laut wurde. „Ich weiß doch! Du kannst trotzdem nicht einfach unpünktlich kommen, wenn man das nicht von dir erwartet!“ „Am Nachmittag neulich hast du doch auch nicht so einen Aufstand gemacht!“ „Da war ich auch noch nicht von deiner Verlässlichkeit überzeugt!“ Fye zupfte aufgebracht an dem schwarzen Hemdkragen seines Gesprächspartners. Er sah so aus als wüsste er selbst nicht, was ihn so an der Unpünktlichkeit des Schwarzhaarigen aufregte, aber das besorgte Funkeln in den azurblauen Augen war noch immer nicht verschwunden. Es schien beinah so, als würde der Blonde sich einfach vergewissern wollen, dass die beiden da waren, denn es wirkte verkrampft und fast schon zwanghaft, wie er sich an Kuroganes Kragen klammerte. Stumm bewegte der schlanke Mann seine Lippen und starrte wie apathisch in die blutroten Augen vor sich, als wäre es das Letzte, was ihn hier festhielt. Was war nur los? Der Schwarzhaarige war wirklich irritiert. Er hatte nie erwartet, dass der fröhliche Blonde ihn so verzweifelt ansehen konnte. Und vor allem wusste er nicht, warum. Und er wusste nicht, was er tun sollte. Unter dem Blick dieser tiefen Augen fühlte er sich ebenso verloren, wie Fye gerade aussah. „Aber jetzt sind wir ja da...“ Es war Tomoyo, die denn Bann schließlich mit unsicherer Stimme brach. Bei dem Klang der hellen Stimme riss Fye plötzlich seine Hände zurück, als hätte er sich verbrannt. Was...? Unsicher sah er Kurogane an, einen kurzen Moment, bevor er seinen Blick auf irgendetwas anderes konzentrierte, Hauptsache nicht auf ihn...nicht auf diese Augen... So rote Augen... Sie schienen ihn zu durchdringen, zu durchschauen und das tat weh, bis ins Innere seiner Seele. Was hatte Kurogane nur gesehen, dass es ihn berechtigte, ihn so anzuschauen? Was war es, was Fye beim Anblick dieses Mannes gerade so aus dem Konzept gebracht hatte? Die Unruhe beherrschte ihn schon den ganzen Morgen, das Wissen, die Ahnung, dass etwas nicht stimmte, irgendetwas los war, etwas gehörig schief ging, und die Angst...Angst um Tomoyo und ihren Vater. Aber warum?! Er wusste es nicht, wirklich absolut nicht. Nur dass er vor Sorge fast gestorben wäre und vor Erleichterung hätte heulen können, als die beiden schließlich doch aufkreuzten. War es einfach nur gewesen, weil er von Kurogane annahm, dass dieser verlässlich und pünktlich war, wenigstens anrufen würde, wenn Tomoyo nicht in den Kindergarten kommen würde, oder das quälende Gefühl, das ihn seit gestern Abend fest im Griff hatte? Und diese Augen...so rot wie Blut... Fye schüttelte heftig den Kopf. Genug davon! „Stimmt, Tomo-chan, jetzt seid ihr ja endlich wieder da!“ Unter Kuroganes stechendem Blick gelang es ihm nur gerade so, seine Maske aufzusetzen und das altbekannte Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, aber die Hauptsache war, dass es gelang. „Wieso seid ihr denn so spät gekommen? Ich hatte mir wirklich ganz schöne Sorgen um dich gemacht.“ „Um Papa nicht?“ Kurz schielte Fye zu dem Schwarzhaarigen hinauf. Dessen Blick hing noch immer an ihm und er spürte ganz deutlich, dass seine Maskerade durchschaut worden war. Aber warum ausgerechnet von ihm? Schell blickte er wieder weg. „Doch, natürlich auch um ihn. Also, warum denn nun?“ „Wir haben verschlafen“, beichtete sie ihm niedergeschlagen. „Ich hatte einen bösen Traum heute Nacht und Papa hat mich vor ihm beschützt und ich durfte bei ihm im Bett schlafen.“ Neben ihnen schlug sich Kurogane mit der flachen Hand gegen die Stirn und wurde rot um die Nasenspitze. Siehe da...da war wohl jemandem sein Beschützerinstinkt peinlich. „Miau, Kuro-rin!“, strahlt Fye ihn jetzt an. Manchmal fürchtete er diesen Blick, aber wenn Tomoyo ihm dann wieder solche Dinge über ihren ewig mürrischen Vater erzählte, dann erinnerte er sich an den sanften Glanz in den rubinroten Augen. Und er fragte sich, was für ein Ausdruck nun der echte war. „Naja...“, fuhr Tomoyo dann verunsichert fort, konnte eh nichts mit dem Blickwechsel der beiden Männer anfangen. „Deswegen sind wir ganz spät erst eingeschlafen. Und als heute früh der Wecker geklingelt hat, da hat Papi ihn einfach wieder ausgemacht und Ruhe.“ „Ach so~, also ist Kuro-wanko Schuld!“ „Bin ich nicht!“ „Ist er nicht!“, unterstützte Tomoyo ihren Vater sofort lauthals. „Ich wollte auch weiterschlafen!“ Fye musste kichern, wie sehr sich das kleine Mädchen für ihren Vater einsetzte, und dieser wuschelte ihr auch sogleich durch die dunkle Mähne. Ganz automatisch sah der blonde Kindergärtner auf und da war es wieder, dieses samtene Funkeln in den beeindruckenden rubinroten Augen. Für den Bruchteil eines Augenblicks stahl sich ein wirklich echtes, aufrichtiges Lächeln auf Fyes helle Lippen. Er wusste nicht warum, aber wenn er den sonst so schlecht gelaunten Schwarzhaarigen mit solch einem sanften Gesichtsausdruck sah, dann wurde ihm warm ums Herz. Wenn Kurogane nur öfter so schauen würde... Irgendwo tief in ihm raunte eine leise Stimme, dass er auch lieber einmal so von ihm angesehen werden wollte, als immer nur diese harten, durchschauenden Blicke zu bekommen. Doch der Blondschopf schüttelte verwirrt über seine eigenen Gedanken den Kopf. Was war nur los? Wo kamen bloß solche Gedanken her? Als ob er ein Recht darauf hätte, sich so etwas überhaupt nur wünschen zu dürfen... „Na gut, Tomo-chan.“ Es war wohl das beste, wenn er einfach so weiter machte wie bisher und alle diese seltsamen Ideen aus seinem Kopf verbannte. „Ich drück’ noch mal ein Auge zu. Aber das nächste Mal sagst du bitte deinem Papa, er soll mich anrufen, damit ich mir nicht wieder so viele Sorgen machen muss, okay?“ Ein kurzer Blick zu besagtem Papa und dieser zuckte nur mit den Schultern, schien es aber zur Kenntnis zu nehmen. „Also dann, Kuro-kuro. Ich nehm’ dir deine Tochter jetzt ab. Du hast sicher viel zu tun heute, habe ich Recht?“ Aber zu seiner Überraschung zuckte der größere Mann mal wieder nur mit den Schultern. Er hatte nichts zu tun? Dabei sah Kurogane eher wie ein viel beschäftigter Mensch aus. Auch wenn das dem Kindergärtner mal wieder bewusst machte, wie wenig er eigentlich über den anderen wusste. Aber es ging ihn ja auch nichts an. Das würde Kurogane sicher sagen, würde er sich zu einer Frage durchringen. „Trotzdem wünsche ich dir einen schönen Tag!“ Er sollte einfach aufhören, sich über solche Sachen den Kopf zu zerbrechen. Das passte doch gar nicht zu ihm! „Hmm“, brummte er nur und verabschiedete sich schließlich noch von seiner Tochter. Da Tomoyo diesmal wartete, bis er sich zu ihr gebeugt hatte, konnte sie ihn richtig zum Abschied umarmen. „Bis heute Nachmittag, Papi!“ „Ist gut. Bis dann, Kleines.“ Die Dunkelhaarige gluckste erfreut, als erneut eine große Hand durch ihr Haar glitt, und winkte ihrem Vater noch überschwänglich nach, bis dieser vom Kindergartengelände herunter war, dann wandte sie sich mit treuherzigem Blick an den blonden Kindergärtner. „Aber du bist doch nicht mehr böse, oder Nii-chan?!“ Etwas schwungvoller als nötig schlug Kurogane die Autotür zu, nachdem er ausgestiegen war. ‚Du hast sicher viel zu tun heute, habe ich Recht?’ Er war nicht wirklich wütend oder aufgebracht, bloß weil der Blondschopf ihn das gefragt hatte, sondern eher verwirrt. Es hatte ihn erstaunt, dass Fye sich dafür interessierte, aber noch viel irritierender war das Gefühl der Nutzlosigkeit gewesen, was er verspürt hatte, als er verneinen musste. Er brauchte anscheinend dringend etwas zu tun! Seit er suspendiert worden war, hatte er eigentlich nichts getan, außer sich mit vorlauten Kindern, nervigen Haushaltshilfen und aberwitzigen Kindergärtnern herumzuärgern. Okay, für jemanden mit schwachen Nerven mochte das gänzlich ausreichend sein, aber Kurogane war durch das bisschen Streiten garantiert nicht ausgelastet! Leise vor sich hingrummelnd betrat der Schwarzhaarige das Apartmenthaus. Hier im Parkviertel traf man vor allem Leute der oberen Zehntausend, worunter Kurogane sich auch zählen konnte, immerhin verdiente er mehr als genug und hatte im Gegenzug kaum Ausgaben, da war schon einiges zusammengekommen. Die Wohnung, in der er mit Tomoyo wohnte, hatte fünf Zimmer plus Bad und Küche. Eigentlich viel zu viel für einen alleinerziehenden Vater, aber ein Umzug war ihm einfach zu stressig, daher blieben sie dort. Und immerhin war die Kleine an die Wohnung gewöhnt. Aus Gewohnheit benutzte er die Treppe, um in den dritten Stock zu kommen. Wenn er sonst schon nichts mehr für seine Fitness tat, das konnte er wenigsten beibehalten. Obwohl das für jemanden wie ihn, der extreme körperliche Anstrengung gewohnt war, nur Peanuts waren, wenn überhaupt. Im Hausflur blieb er allerdings verwundert stehen. Etwas weiter den Gang entlang standen drei Personen und klingelten und klopften wie besessenen an einer Tür, die sich beim Näherkommen als die zu seiner eigenen Wohnung entpuppte. Wer waren die denn? Er hatte die Leute noch nie zu vor gesehen. Oder doch...? Die aufgebrachten Worte, die ein älterer Herr gegen seine Tür warf, konnte er nun beim Annähern vernehmen und sah sich in seiner Vorahnung bestätigt. „Machen Sie auf, Sugawara! Wir wissen, das Sie da sind!“ Kurogane hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht. Aber er war kein Feigling. Und früher oder später würde diese Konfrontation eh kommen, warum ihr also jetzt aus dem Weg gehen? Trotzdem wäre er lieber wieder gegangen... „Und was macht Sie da so sicher, dass ich daheim bin?“ Die drei fuhren wie von der Tarantel gestochen herum. Bei den beiden älteren Personen, einem Mann und einer Frau gut über Sechzig, handelte es sich zweifellos um ein Ehepaar, und wenn man den dritten Anwesenden genauer mit ihnen verglich, dann wurde klar, dass es ihr Sohn sein musste. Einer ihrer Söhne, korrigierte der Schwarzhaarige sich und trat an den zur Salzsäule erstarrten Störenfrieden vorbei, um seine Tür zu entriegeln, öffnete aber noch nicht. „Herr und Frau Dukari, nehme ich an?“ Nur eine Floskel, er hatte die beiden schon ein paar Mal bei militärischen Feierlichkeiten gesehen, aber nie mit ihnen gesprochen. „Natürlich!“, empörte sich nun die alte Dame in einem weitaus weniger höflichen Ton als ihr jüngerer Gegenüber. „Tun Sie nicht so scheinheilig, Sie...Sie...!“ „Jeanette, bitte. Wir wollen uns doch nicht auf sein Niveau herablassen.“ ‚Wessen Niveau?’ Kurogane runzelte die Stirn, sparte sich aber des weiteren jeden Kommentar dazu. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er eben nicht eine Beschimpfung benutzt, oder hatte er etwas verpasst? Na ja, also konnte nicht sein Niveau gemeint sein. Innerlich zuckte er mit den Schultern. „Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?“ „Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind! Was denken Sie wohl, wieso wir hergekommen sind! Es ist sowieso eine Unart, dass die Regierung Sie noch frei herumlaufen lässt!“ Die Stimme der „guten Frau“ hatte mittlerweile eine gewisse Höhe auf der Tonleiter überschritten, sodass man sie durchaus als schrill bezeichnen konnte, und lauter wurde sie auch von Wort zu Wort. Demzufolge dauerte es auch nicht besonders lange, bis ein paar Türen weiter den Gang hinunter jemand neugierig in den Flur lugte. „Alles okay bei dir, Kurogane?“, wollte die junge rosahaarige Frau wissen. Er winkte ab und sie lächelte. „Dann seit bitte ein bisschen leiser. Ich hatte heute bis spät in die Nacht Schicht und brauche den Schlaf.“ Damit verschwand Cardina wieder. Sie arbeitete als Barkeeperin in einem Café nicht weit von hier und sie kannten sich auch schon eine halbe Ewigkeit. Demzufolge war der Schwarzhaarige ausnahmsweise gewillt, dieser Bitte nachzukommen und öffnete seine Wohnungstür nun doch. „Wenn ich bitten dürfte. Sie haben gehört, was meine Nachbarin gesagt hat.“ Mit einem vernichtenden Blick stolzierte Jeanette Dukari an ihm vorbei, gefolgt von einem etwas unterbuttert wirkenden Ehemann und dem jüngeren Sohn, der Kurogane einfach im Ganzen komplett ignorierte. Es war nicht schwer zu erraten, wer in dem Haushalt die Hosen an hatte. Der Vormittag würde hart werden. Wenn nicht sogar die Hölle. Aber auch wenn er das wusste, bemühte er sich, höflich zu bleiben und seinen ungebetenen Gästen keinen Grund zu geben, sich noch mehr über ihn aufzuregen. Denn den hatten sie ja anscheinend schon genug. „Kann ich Ihnen etwas anbieten?“ „Als ob wir von Ihnen etwas annehmen würden! Am Ende setzten Sie uns noch sonst was vor! Und tun Sie nicht so verständnisvoll, wir brauchen Ihr geheucheltes Mitleid nicht, Sie Mörder!“ Das saß. Kurogane ballte für einen Moment die Hände zu Fäusten, behielt aber die Kontrolle über sich. Niemand ließ sich gern als Mörder beschimpfen. Selbst er nicht, auch wenn er sonst eine Menge gewohnt war. Und vor allem nicht dann, wenn man das gar nicht verdiente. „Ich habe nur gefragt, ob...“ „Ach, seinen Sie still!“, fiel ihm die ältere Dame respektlos ins Wort. Sie scherte sich eindeutig einen Dreck um das, was er sagen wollte. „Sie brauchen gar nicht versuchen, sich zu rechtfertigen! Der Fall ist für mich klar. Sie gehören lebenslänglich ins Gefängnis! Schade nur, dass es keine Todesstrafe mehr gibt!!!“ „...“ „Nicht wahr, Schatz? Tim?“ „Absolut, Mutter.“ „So jemand gehört hingerichtet, ganz recht.“ Jedes Wort stach wie eine kleine, böse Nadel. Und auch wenn Kurogane keine Miene verzog, traf es ihn innerlich sehr hart, verletzte ihn zutiefst. Wieso musste er sich so etwas von Personen sagen lassen, die nicht einmal bereit waren, sich seine Version der Geschichte anzuhören, die nur aus zusammengereimten Dingen das Geschehen kannten und nicht aus Fakten? Er wusste doch wohl am besten, was in jener Nacht wirklich passiert war! Er wusste, dass diese drei einfältigen Personen Unrecht hatten. Und trotzdem schmerzte es bis ins Tiefste seiner Seele, so etwas an den Kopf geworfen zu bekommen. „Was denn?!“, höhnte jetzt der Sohn los und blickte ihn vernichtend an. „So erschüttert darüber, dass Ihnen endlich mal jemand die Wahrheit so gerade heraus sagt, dass Sie sich nicht einmal rechtfertigen können?“ „Wieso sollte ich...“ „Ha!!! Versuchen Sie gar nicht erst, sich rauszureden! Es hat doch eh keinen Sinn!“ Kurogane platzte der Kragen, als ihm diese alte Vettel schon wieder ins Wort fiel. „Wie soll man hier irgendetwas erklären, WENN MAN STÄNDIG UNTERBROCHEN WIRD??!“ Auf seinen Ausbruch folgte verdattertes Schweigen und der Schwarzhaarige hatte Zeit, erst einmal tief durchzuatmen. Es brachte rein gar nichts, hier die Fassung zu verlieren. Aber jetzt kam er wenigstens auch mal zu Wort. „Wenn Sie mir wenigstens mal einen kompletten Satz lassen würden, könnte ich Ihnen sagen, dass ich Stephan nicht...“ „WIE KÖNNEN SIE ES WAGEN??!“ Und damit war’s mit der Ruhe auch schon wieder vorbei. „Wagen Sie es nie wieder, den Namen meines Sohnes in den Mund zu nehmen, Sie hinterhältiger Mörder!“ Schon wieder sagte sie es, ohne die Wahrheit zu kennen und schon wieder zuckte er zusammen. Als wäre er schuldig...aber das war doch nicht wahr! Da Jeanette Dukari wohl noch nicht genug hatte und ihm noch eine rein drücken wollte, sah sie sich mit Argusaugen in dem Teil der Wohnung um, der ihrem Blicken im Moment zugänglich war. Sehr schnell hatte sie etwas gefunden, was ihr nützlich erschien. Ein weißer Stoffteddy und ein Foto von einem kleinen Mädchen. Sie glaubte, Kuroganes absoluten Schwachpunkt gefunden zu haben. Und legte sofort wieder los. „Unfassbar! Wie kann man in die Obhut eine Menschen wie Ihnen nur ein Kind geben? Das arme Mädchen! Einen Mörder als Vater! Aus der kann ja nichts werden!“ Die Alte hielt sich für sehr schlau und genau genommen traf sie auch einen sehr wunden Punkt bei ihrem jüngeren Gegenüber. Nur ging die ganze Sache sehr viel mehr nach hinten los, als sie es sich hatte erträumen lassen. „Raus...“, presste Kurogane mit vor Wut bebender Stimme hervor. Er ließ sich beschimpfen und beleidigen und konnte dabei ruhig bleiben, aber wenn sie Tomoyo da mit rein zog, dann hörte bei ihm alle Vernunft auf. Denn die Kleine hatte absolut gar nichts damit zu tun, was ihr Vater verbrochen oder nicht verbrochen hatte. Jeanette blinzelte ihn irritiert an und schien die Lage nicht richtig einschätzen zu können. Wäre sie schlau gewesen, hätte sie ihren Mann und ihren Sohn geschnappt und hätte fluchtartig die Wohnung verlassen. Aber sie war selbst zu sehr in Rage, als dass sie die Anzeichen dafür erkennen würde, dass Kuroganes Gemütszustand langsam kritisch wurde. Nur der Junge, fünfundzwanzig und wohnte sicherlich noch immer bei Mama, bekam mit, dass hier etwas gehörig schief lief und begann unauffällig den Rückzug in Richtung Wohnungstür. „Was haben Sie gesagt? Ich glaube, ich habe mich verhört! Sie sind nicht in der Position, Forderungen zu...“ „ICH SAGTE RAUS!!! UND ZWAR AUF DER STELLE!“ „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden?!“ Sie begriff es nicht. Sie begriff es einfach nicht! Der Schwarzhaarige hätte ihr am liebsten eine kräftige Ohrfeige verpasst, hielt sich aber zurück, denn dann hätte er sicher schneller eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals, als er schauen konnte. Doch beruhigen konnte er sich auch nicht wieder, dazu war er viel zu aufgebracht. „Aber SIE können es sich erlauben, so mit mir und über mich zu reden?! Verlassen Sie sofort meine Wohnung oder ich vergesse mich!“ „Was fällt Ihnen ein?!“, kreischte sie, als der muskulöse Mann sie und ihren Ehegatten ohne viel Federlesen am Schlafittchen packte und grob zur Tür bugsierte. Da ihr Sohn diese in weiser Voraussicht schon geöffnet hatte, um zu flüchten, musste Kurogane seine beiden ungebetenen Gäste nur noch nach draußen auf den Flur stoßen. Jeanette fauchte wie eine wild gewordene Katze. „Das wird ein Nachspiel haben!“ „Ist mir scheißegal!“ WAMM!!! Vor Wut am ganzen Körper bebend ließ Kurogane sich gegen die Tür sinken. Draußen war das Gezeter der alten Schachtel zu hören, aber er achtete nicht auf den Wortlaut, wollte nicht darauf achten. Irgendwann mischte sich die Stimme Cardinas unter den Lärm, die sie wohl wieder um etwas Ruhe zum Schlafen bat. Es verging vielleicht eine halbe Stunde, dann kehrte im Flur des dritten Stocks endlich wieder Ruhe ein. In der ganzen Zeit hatte er sich nicht einen Millimeter bewegt. Nur sein Gemüt war ganz langsam abgekühlt. Nicht ganz, aber es reichte, um einen klaren Gedanken zu fassen. Lieber Gott im Himmel, das hätte so schief gehen können! Kurogane kannte sich und er kannte sein Temperament. In solchen Extremsituationen hatte er sich schon ganz andere Sachen geleistet. Aber heute war Fassung bewahren wirklich angebrachter gewesen und bei allem, was ihm wichtig war, er wäre bis zum Ende ruhig geblieben, hätte die alte Schreckschraube nicht plötzlich mit Tomoyo angefangen. Mit einem tonnenschweren Ächzen rappelte der Schwarzhaarige sich auf und wanderte erst einmal ziellos in die Küche. Zuerst...Kaffee... Ja, das würde ihn wieder beruhigen. Heute früh war er nicht dazu gekommen, seinen allmorgendlichen obligatorischen schwarzen Kaffee zu trinken, weil sie eh schon viel zu spät gewesen waren und dafür nun wirklich keine Zeit gewesen war. Nachdem er sich eine Tasse des frisch aufgebrühten Getränks eingeschenkt hatte, leerte er diese auf ex, was aber nicht gerade half, sondern nur dazu führte, dass Kurogane sich verschluckte. Die nächsten fünf Minuten röchelte er nach Luft und sah durch das heftige Husten schon die ersten schwarzen Punkte vor seinen Augen. Der Tag wurde einfach nicht besser... Ohne weitere selbstmörderische Absichten genehmigte sich der durchtrainierte Mann dann noch eine zweite Tasse. Am besten ging er eiskalt duschen und legte sich dann für ein paar Stunden hin... Ja, das klang nach einer sehr guten Idee. Und das tat Kurogane dann auch. „Du~hu, Nii-chan?“ „Ja, Tomo-chan?“ „Wie spät ist es denn?“ Fye seufzte schwer. „Hör zu, Kleines. Du fragst mich das seit einer halben Stunde alle fünf Minuten. Ich habe dir doch versprochen, dass ich dir Bescheid gebe, wenn es um drei ist, oder?“ „Ja, hast du.“ Die kleine Dunkelhaarige nickte eifrig und lächelte ihn treu an. „Aber wie spät ist es den nun?“ „Punkt fünfzehn Uhr. Also verbitte ich mir irgendwelche Beschwerden!“, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen. Der Kindergärtner schrak zusammen, hatte den größeren Mann ja nicht einmal kommen hören, aber Tomoyo gluckste begeistert. „Papa?!“ Und schon wurde er stürmisch auf Kniehöhe umarmt und geriet wieder leicht ins Straucheln, sodass der Blondschopf schnell nach seinem Arm griff. „Alles okay, Kuro-mine?“, wollte Fye leise wissen, bekam aber nur einen Blick aus mattroten und sehr müden Augen als Antwort, während sich der Schwarzhaarige seinem Griff wieder entzog. Was war den nun los? Der Blonde hätte vieles erwartet, in erster Linie, dass der Schwarzhaarige ihn ignorierte oder sich mal wieder über den Spitznamen beschwerte, aber... Er wirkte so unendlich erschöpft... „Papi! Ich dachte schon, du kommst wieder zu spät!“, verschaffte sich die Vierjährige Aufmerksamkeit, indem sie an der dunklen Hose ihres Vaters zog. Tomoyo war sonst immer ein sehr ruhiges Kind und hielt sich zurück, aber wenn es darum ging, dass sie ihren Papa endlich nach einem langen Kindergartentag wieder hatte, dann wollte sie erst einmal seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit und zeigte das auch sehr deutlich. Und sie wusste, wie sie bekam, was sie wollte. Sanft streichelte der große Mann ihr durch die dunklen Locken und für Augeblicke wich der müde Ausdruck in seinen Augen einem liebevollen Glänzen. Ganz unbewusst strich Fye sich durch das eigene hellblonde Haar. Es berührte ihn immer wieder aufs Neue, wie sanft der sonst so unnahbare Schwarzhaarige sein konnte. Wie glücklich er die kleine Tomo-chan damit machte. Glücklich... Fye verspürte einen unangenehmen Stich im Herzen. Wie es wohl wäre, wenn... Doch schnell schüttelte er unmerklich den Kopf. Weg mit diesen Gedanken! Die gehörten nicht hierher. Außerdem hatte er überhaupt nicht das Recht darauf, sich so etwas wie Geborgenheit auch nur zu wünschen! „Schön, dass du so pünktlich bist. Wie du siehst, Kuro-rin, wurde deine Ankunft sehnsüchtig erwartet.“ Kurogane hatte sicher auch so seine schlechten Seiten, den Jähzorn zum Beispiel und dass er so schnell laut wurde, aber für seine kleine Tochter schien er ein richtiger Bilderbuchpapa zu sein und das war ja wohl das Wichtigste. Nach ihren ersten beiden Begegnungen hätte er ihm das gar nicht zugetraut, aber allein diese eine Woche hatte ihn eines Besseren belehrt. Nur heute schien irgendetwas nicht zu stimmen und Fye war überzeugt, dass es etwas sehr Fatales sein musste, wenn sogar er das mitbekam. Sich einzureden, er hätte ein Gespür für Menschen, war pures Wunschdenken...absoluter Schwachsinn. „Wir sind dann weg.“ „Ähm, was? Oh...ja. Ja, natürlich. Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag und bis morgen. Und Kuro-wanko! Vergiss nicht, morgen ist dein wichtiger Tag! Der~ Tag überhaupt!“ „Ja, ja.“ Wie jetzt? Kein Gezeter? Nicht einmal ein böser Blick? Der schwarzhaarige Mann wandte sich nur ab und wartete, bis Tomoyo sich strahlend von dem Kindergärtner verabschiedet hatte, dann gingen die beiden. Während Kurogane schwieg und sich nicht mehr umsah, winkte ihm die Kleine noch fröhlich vom Tor aus zu, dann eilte sie ihrem Vater zum Wagen nach. Und Fye blieb zurück. Inmitten spielender und tobender Kinder. Und dennoch einsam. Warum nur? Warum schaffte es der Anblick des miesepetrigen Schwarzhaarigen, seine Gefühle und Gedanken so auf den Kopf zu stellen? Seine Verbrechen wogen zu schwer, wie konnte er sich da die Frechheit herausnehmen, sich nach Verständnis, nach Vergebung zu sehnen? Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er dennoch jedes Mal, wenn er ihn sah, insgeheim hoffte, er würde ihn von seinem Leid befreien? Sie kannten sich gerade mal ein paar Tage – wobei „kennen“ eigentlich schon übertrieben war – und trotzdem... Wenn Kurogane die zwei Mal am Tag, die er hier war, nur ein kleines Stück Aufmerksamkeit für ihn übrig hatte, dann kam ihm die Welt ein klein wenig besser vor... „Fye-san? Kannst du mal eben helfen?!“ „Ich ko~mme, Sakura-chan!“ Der Nachmittag und der Abend vergingen. Langsam. Von Seiten Kuroganes meist in nachdenklichem Schweigen, aber seine kleine Tochter ließ sich davon kaum beirren, sondern redete munter für zwei. Nur ab und zu sah sie besorgt zu ihrem Vater auf, aber sie wusste nicht genau, was er hatte, also ließ sie ihn in Frieden. Zum Abendbrot aßen sie zusammen Wiener Würstchen und Brot und das in der Stube, weil Tomoyo gebettelt hatte, einen Film sehen zu dürfen. Also gluckste sie begeistert zum bunten Trickfilmtreiben auf dem Bildschirm und Kurogane schien halb in Gedanken, halb schlafend durch den Fernseher hindurch zu sehen. „Was für ein toller Film! Schade, dass er schon zu Ende ist!“, „weckte“ Tomoyo ihren Vater schließlich recht unsanft. Und der Schwarzhaarige stellte fest, dass der Film wirklich aus war und stattdessen jetzt der Abspann lief. „Na, dann wird’s ja allerhöchste Zeit fürs Bett, Fräulein.“ Die Kleine wollte widersprechen, klappte nach einem warnenden Blick ihres Vaters den Mund aber wieder zu. Und rutschte von der Couch. „Okay.“ Und damit verschwand sie, um sich umzuziehen und sich bettfertig zu machen. Kurogane seufzte. Was für ein Abend! Er fühlte sich ausgebrannt und nicht einmal die Fröhlichkeit seiner Tochter schien ihn heute aufmuntern zu können. Den Film hatte er kaum registriert. Dauernd schoben sich Gedankenfetzen an die Begegnung vom Mittag in sein Bewusstsein. An diese hysterische Furie einer Mutter, die mit ihrem Schmerz nicht anders umgehen konnte, als möglichst alles davon auf ihn abzuwälzen, ihn als „Mörder“ abzustempeln, obwohl sie überhaupt keine Ahnung davon hatte – ja, nicht mal haben wollte! – was in Wirklichkeit geschehen war. Auf die Idee, dass er selbst unter dem Geschehenen litt und es am liebsten irgendwie rückgängig gemacht hätte, würde es nur irgendwie möglich sein, darauf kam sie natürlich nicht. Nein, sie bohrte nur gnadenlos in seinen Wunden herum. Und als ob das nicht reichte, zog sie auch noch seine Tochter mit hinein! Gut, er hatte sich anfangs etwas überfordert gefühlt mit der neuen Situation und der Kindererziehung, aber inzwischen hatte er sich ganz gut daran gewöhnt. Im Grunde war er sogar froh darüber, wenn die Kleine bei ihm war. Er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, ihr irgendetwas anzutun! Hoffentlich ließ die alte Schnepfe sich nicht einfallen, sich in seine Erziehung einzumischen. Das bereitete ihm schon seit dem Zwischenfall am Mittag Sorgen... Aus Richtung Bad erklang ein lautes Rumpeln gefolgt von einem Kichern. Dann erschien Tomoyo auch schon in der Tür, ihr langes, dunkles Haar zu dicken Zöpfen gebunden und so hoppelte sie herum. „Guck mal, Papa! Ich bin ein Hase! Nuffnuff!“ Das war ihre Art, ihren Vater aufzumuntern, aber dieser sah im ersten Moment nur sehr verrutscht drein und hob dann skeptisch eine Augenbraue. „Du hast echt nur Flausen im Kopf. Woher hast du das?“ „Fye-nii-chan hat’s mir beigebracht!“ Kurogane ächze genervt. „Ist der Typ eigentlich nur dazu da, um dir irgendwelche sinnlosen Sachen zu zeigen?“ „Aber es macht doch Spaß!“, rief Tomoyo empört und sah ihn groß und fast schon anklagend an, sodass der Schwarzhaarige nicht mal ruhig bleiben konnte, wenn er es gewollt hätte. „Das Leben macht aber keinen...“ Dann stockte er plötzlich. Schwieg. ... ‚Und deshalb bin ich mir sicher, dass du tief in deinem Innern gar nicht wollen kannst, dass aus ihr so schnell einer dieser unzähligen seelenlosen Erwachsenen wird, wie man sie heutzutage zu Tausenden auf den Straßen sieht.’ Diese Worte des Blondschopfs schossen ihm plötzlich durch den Kopf und er wusste, dass Fye Recht hatte, wusste es selbst in den entferntesten Tiefen seines Herzens. Wieso beharrte er also immer noch darauf, dass seine Tochter erwachsener sein sollte, als es mit vier Jahren gut für sie war? Wieso konnte er seine verstockte, erwachsene Denkweise nicht endlich einmal ablegen und es so akzeptieren, wie es gut für sie war? War er wirklich schon so verbittert und innerlich versteinert, dass er das nicht mehr konnte? Wirklich...? In manchen Momenten sagte ihm sein Herz aber etwas anderes... „Du, Papa?“ Tomoyo schien verunsichert aufgrund seines Schweigens, krabbelte aber langsam auf seinen Schoß und machte es sich dort bequem, lehnte den Kopf zufrieden an die starke, warme Brust. Damit riss sie ihren Vater aus den trüben Gedanken. „Was denn?“ „Bist du aus Schokolade?“ „Hä? Nein, wieso sollte ich...? Wie kommst du den jetzt darauf?“ Er aus Schokolade? Jetzt wurde es aber wirklich verrückt! „Nii-chan hat gesagt, du bist wie Schokolade. Wie die bittere! Und dabei schmeckt die doch gar nicht.“ Sie schüttelte sich gespielt, während ihr Vater vor lauter Irritation den Mund gar nicht mehr zubekam. Zartbitterschokolade? Er und...das war ja wohl ein dummer Witz! Aber Tomoyo erzählte schon weiter. „Und das habe ich Fye-nii-chan auch gesagt. Und weißt du, was er gesagt hat, Papi? Das war albern. Erst ist sie bitter, wenn man das erste Mal davon kostet, aber dann wird sie viel besser und leckerer und manchmal richtig süß. Dabei hat er dreingeschaut, als könnte er nie genug davon bekommen.“ Die Dunkelhaarige kicherte begeistert, als wäre das der beste Scherz, den sie je gehört hatte. Und wahrscheinlich war er das auch. Zumindest für sie. Kurogane fand das überhaupt nicht lustig. Es verwirrte ihn nur noch sehr viel mehr. Zu sehr. Es war doch nur ein Vergleich. Zumal auch noch ein verdammt sinnloser, warum konnte er sich nicht einfach darüber aufregen und es abhaken? Aber es ging nicht. Weil es irgendwo hängen blieb. Und zwar genau dort, wo man es nicht so schnell wieder vergaß, weil es viele Gefühle beherbergte. Ein Ort namens Herz... Er war heute als Mörder beschimpft worden, und jetzt verglich man ihn mit Zartbitterschokolade. Was war wohl schlimmer? „Ich glaube, Nii-chan hat nur manchmal Recht...diesmal nicht...Schokolade kann nämlich nicht traurig sein, oder?“ Aus treuen violetten Augen blickte sie zu ihm hinauf. „Was? Nein, kann sie nicht, wieso auch?“ „Weil...dann kannst du nicht aus Schokolade sein, Papa. Auch nicht aus ganz süßer Bitterschokolade...“ Langsam rappelte Tomoyo sich von seinem Schoß auf, sodass sie etwas wackelig neben ihrem Vater auf dem Sofa stehen konnte und so direkt auf einer Höhe mit ihm war. „Hier nämlich...“ Ganz vorsichtig streckte sie ihre kleine Hand aus und Kurogane schloss seine rubinroten Augen, in denen heute noch mehr Schwere lag als sonst, als sie sacht seine Augenlider berührte. So behutsam, als fürchtete sie, den großen Mann bei der kleinsten falschen Bewegung verletzen zu können. Zwar erkannte der Schwarzhaarige keinen Sinn hinter dem, was die Kleine tat, aber vielleicht merkte sie ja auch etwas von seiner Bedrückung. Und wahrscheinlich war es auch dumm zu glauben, dass sie es nicht tat. Als Tomoyo ihre Hand wieder zurückzog, wollte er schon die Augen öffnen, als er plötzlich zierliche Arme um seinen Hals spürte und sein Kopf sanft, aber bestimmt gegen die vom Schlafanzug bedeckte Brust der Vierjährigen gedrückt wurde. Er blinzelte. Scheue Finger strichen ihm durchs Haar. Auf eine Art unbeholfen, unerfahren, denn Tomoyo umarmte zum ersten Mal jemanden so, war bisher immer nur selbst umarmt worden. „Was machst du denn, Kleines?“ Kuroganes Stimme klang ruhig, entspannt und er hatte die Augen weiterhin geschlossen, lauschte dem ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag seiner Tochter „Sakura-chan hat mir das erklärt“, antwortete sie ebenso leise. „Wenn jemand traurig ist und man ihn ganz doll und ganz lieb umarmt, dann geht es ihm gleich viel besser.“ Sie mochte das Gefühl der rabenschwarzen, weichen Haare und kraulte spielend und sanft hindurch. „Geht es dir denn jetzt besser, Papa?“ Er schwieg einen Moment, bevor er mit einem sanften Lächeln auf den Lippen antwortete. „Ja. Dank dir, mein Herz.“ TBC... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)