RED...[em]otions of a sinner's heart von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 1: to a tomorrow that can't be reached ---------------------------------------------- RED...[em]otions of a sinner's heart   1st motion: a tomorrow that can't be reached       Dunkelheit. Schwere, schützende Dunkelheit. Einzig unterbrochen vom unsteten, kalten Flimmern des Fernsehers, der stumm geschaltet noch immer lief.   Stille. Alles einhüllende, beklemmende Stille. Nur flache, erzwungen regelmäßige Atemzüge und ein sporadisch wiederkehrendes Tropfen schnitten durch die erdrückende Atmosphäre, die von einem ebenso drückenden Geruch untermalt wurde. Dunkle Augen wandten sich von der flimmernden Mattscheibe ab, fokussierten den hinteren Teil des Zimmers. Sein Blick lag kalt und bar jeglicher Emotion auf der leblosen Gestalt, die dort hing. Sie hatte sich schon länger nicht mehr bewegt, es schien als sei es endlich vorbei, auch wenn ihr Blut noch immer auf den Boden tropfte und das helle Holz seines Wohnzimmerfußbodens in ein tiefes Rot tauchte.   Rosalie. Liebevolle, sanfte Rosalie. Sie hatte einen weichen Körper, blasse Haut wie Porzellan und Lippen zart wie die Blütenblätter der Blumen, deren Duft sie immer umgeben hatte – bis jetzt. Denn er hatte sie umgebracht. Endlich, endlich umgebracht. Nun war sie endlich nicht mehr hier, konnte ihm nichts mehr antun, ihm nicht mehr gefährlich werden. Und sie war selbst Schuld, denn sie hatte seine Träume zerstört. Also musste auch sie zu Asche werden, genau wie seine Träume nur noch Asche waren. Sie war nicht die Erste, der dieses Schicksal widerfuhr.   Mit einem Nicken, wie um seinen eigenen Gedanken zuzustimmen, drehte er sich um, richtete seinen Blick wieder auf den Fernseher. Das Bild, das sich ihm auf der Mattscheibe bot, ließ ihn unwillkürlich lächeln. Er konnte nicht verhindern, dass er leise, aber fast ein wenig hysterisch, auflachte und seine heisere Stimme die Stille brutal zerbrach. Da war sie. Rosalie, in all ihrer lebendigen, vergänglichen Schönheit. Dort im Fernsehen, zu Gast in irgendeiner belanglosen Talkshow. Oh, wie hatte er es gehasst, dass sie dort zu sehen war. Nicht oft, aber doch oft genug, um seinen Plänen im Weg zu stehen, weil andere auf sie aufmerksam geworden waren.   Und nun? Nun hing sie hinter ihm von der Decke, mit einem Strick um den Hals und langsam ausblutend, weil er allein ihr alles Lebendige genommen hatte; ihr lebloser Körper eingetaucht in das rote Licht einer Lampe, das unter der nur halb geschlossenen Schlafzimmertür hervorbrach, wie eine Mondfinsternis hinter Wolken. Es verzerrte ihren Anblick noch mehr, bis kein Zeichen von Schönheit mehr blieb.   „Das war dein letzter großer Auftritt, meine Liebe“, sagte er, noch immer amüsiert, seine Lippen zu einem zufriedenen Lächeln verzogen, über seine Schulter hinweg in Richtung des leblosen Körpers. Sie würde niemals wieder jemanden mit ihrem falschen, erkauften Lächeln und ihrem Veilchenduft verzaubern. Nur hier in seiner Wohnung überdeckten diese verfluchten Veilchen auch jetzt noch alles andere, selbst den metallenen Geruch des Blutes. Die leere, zerbrochene Parfümflasche, die im Spülbecken in der Küche gelegen hatte, hatte er entsorgt, aber der elende Gestank wollte trotzdem nicht verschwinden. Ihm wurde beinahe übel davon, wie immer, wenn er in ihrer Gegenwart gewesen war.   Seine Hand griff nach dem gerahmten Bild, das neben dem Sofa auf einem kleinen Beistelltisch stand. Im fahlen Licht des Fernsehers betrachtete er zum ungezählten Male die schon ältere Schwarzweiß-Fotografie, studierte mit ernster Miene die abgebildete Gruppe von Menschen. Sie waren alle zusammen gewesen, alle glücklich, bevor sie in ihr Leben getreten war. Und doch stand sie mitten unter ihnen, obwohl sie dort nichts zu suchen hatte. Sie war so schön, schon damals, als sie sich dieser Tatsache selbst noch nicht bewusst gewesen war. So schön, dass sie das verzaubert hatte, was doch eigentlich ihm allein hatte gehören sollen. Vorsichtig wischte er ein paar Staubkörner von der glatten Oberfläche des Bildes, bevor er ausholte und das Foto mitsamt Rahmen gegen die nächste Wand schleuderte. Zufrieden sah er zu, wie das Glas dort in viele kleine Scherben zersplitterte und klirrend zu Boden fiel. Fast wünschte er sich, dass sie es wäre, die er so hätte zerbrechen können. Aber – nun würde sich nie wieder jemand von ihrem Lächeln einlullen lassen. Dafür hatte er endlich gesorgt. Alle außer ihm hatten immer nur die Oberfläche gesehen, so naiv und rein und makellos, so als sei dies alles was zählte. Niemand hatte erkannt wie hässlich und dreckig ihre Seele war. Nur er – er hatte gesehen wie verdorben sie in Wirklichkeit gewesen war, ihm allein hatte sie nichts vormachen können, weil er immun gegen ihren widerlichen Charme gewesen war. Und jetzt hatte er endlich die Chance ergriffen und ihr diese schmutzigen Engelsflügel, die sie alle sahen, aus dem Leib gerissen, hatte ihre Schmerzensschreie gehört. Hatte sie gerichtet. Und sie war gestorben. Endlich. Sie hatte gewinselt, gebettelt, ihn angefleht und dennoch war sie gestorben. Denn er hatte keine ihrer Lügen geglaubt. Und nun würde sie niemals wieder einen neuen Morgen sehen. Kapitel 2: keep the door closed ------------------------------- 2nd motion: keep the door closed       Seine dunklen Augen starrten in den von Wolken bedeckten Himmel, sein Atem entwich seinen aufgesprungenen Lippen in kleinen weißen Wolken. Für einen kleinen Moment erlaubte er es sich, das Gefühl zu genießen. Er mochte Kälte. Sie war klar und rein und lenkte ihn ab von den Dingen, die er getan hatte und noch würde tun müssen. Sie ließ ihn seine Sünden vergessen, wenn sie ihn, wie jetzt, förmlich einzuhüllen schien.   Der kiesbedeckte Weg, den ihn seine Füße nun entlang trugen, führte durch einen kleinen Park, in dem er in den letzten Jahren, seit er in diese Gegend gezogen war, viel Zeit verbracht hatte. Auch heute ging er bedächtig durch die Anlage, versuchte in mitten des Großstadtmolochs so etwas wie Ruhe zu finden. Er lief langsam, vorbei an einer kleinen Kirche, die erst vor kurzem geweiht worden war und die ihm hier immer noch wie ein Fremdkörper erschien. Denn wer baute in einer Zeit wie dieser noch Kirchen? Seine Augen wandten sich widerstrebend vom Himmel und den ihn umgebenden Bäumen ab, als er klare Stimmen hörte, die seine Stille störten. Er blieb stehen.   Sie sangen. In der Kirche. Ein Chor aus Kindern pries in diesem lächerlichen Haus ihren lächerlichen Herrn und schon nach Sekunden war an Entspannung nicht mehr zu denken; ganz im Gegenteil, nun spürte er einfach nur noch kalte Wut in sich aufsteigen. Als ob sie frei von Sünden wären. Als ob sie nicht nur in der verzweifelten Hoffnung handelten, irgendwann errettet zu werden und doch wussten, dass dies nie passieren würde. Sein Gesicht verzog sich zu einer verächtlichen Grimasse als er unwillig den Kopf schüttelte. Schließlich war es doch so, dass kein menschliches Wesen je sein Leben beenden konnte, ohne gesündigt zu haben.   Aber ganz egal was mit diesen Kindern war, er konnte seine Vergangenheit nicht vergessen oder gar auslöschen. Er schaffte es ja noch nicht einmal seine Gegenwart ohne Sünde zu bewältigen. Und auch wenn er versuchte nicht daran zu denken, konnte er die Dinge, die noch in seiner Zukunft lagen, nicht aus seinem Kopf verbannen und wusste, dass er immer würde sündigen müssen.   Noch immer stand er wie angewurzelt da, wandte er seinen Blick nicht von der Kirche ab. Würden denn nur jene, die an diesen fernen Gott glaubten, Erlösung finden? Er schnaubte leise. Das war Blödsinn. Einfach nur dumm, unmöglich, so konnte es nicht sein. Er konnte schließlich nichts dafür, dass ihm sein Glauben schon lange genommen worden war, dass sein Leben ihn zur Sünde zwang – und er war sicher nicht der Einzige, dem es so ging. Konnte, so, wie die Welt nun einmal war, doch gar nicht der Einzige sein.   Es kostete ihn bewusste Anstrengung sich schließlich doch noch abzuwenden und langsam weiterzugehen. Seine Schritte führten ihn gemächlich weiter über die sandigen Wege, die sich seicht durch den Park schlängelten. Es ging beinahe so weit, dass er das hier tatsächlich wieder genießen konnte, trotz der Störung durch die Kirche. Je weiter er sich von dem kruden Bauwerk entfernte, desto mehr konnte er spüren, wie seine Gedanken wieder ruhiger wurden. Nach einigen Minuten kam er an einem Spielplatz vorbei und entschloss sich noch einmal stehen zu bleiben, um einer Gruppe Kinder dabei zuzusehen, wie sie auf einem alten Karussell herumtollten. Es drehte sich, drehte sich, drehte sich. Immer weiter. Und doch war das, was er sah, nie dasselbe. Für ihn war es, als sähe er eine schlechte Metapher für sein Leben. Es schien immer gleich zu sein, mit seinen immer wiederkehrenden Szenarien, die einen mit der Zeit krank machten und aufrieben. Aber trotzdem war eine Situation nie genau wie eine vorher schon erlebte. Nein, es offenbarten sich jedes Mal neue Grausamkeiten, die einen weiter und weiter zermürbten, bis man irgendwann aufgab oder zerbrach. Er fürchtete sich ein wenig vor diesem Moment, wusste, das er irgendwann kommen würde, doch noch war es nicht so weit. Noch konnte er seiner Mission nachgehen, noch hatte er keinen Fehler begangen, der ihn daran hindern konnte.   Mit einem leichten Kopfschütteln riss er sich von dem Anblick des Karussells los und zwang sich dazu weiterzugehen. Die Entspannung, die er noch vor wenigen Augenblicken gefühlt hatte, war verschwunden, ließ nur neue nervenaufreibende Gedanken zurück. Warum konnten Menschen nicht perfekt sein? Nicht einmal annähernd? Sie sagten doch immer, dass Gott allmächtig und damit perfekt sei. Und waren die Menschen denn nicht sein Abbild? Warum also waren sie anders? Wenn sie perfekt wären, müssten sie nicht immer und immer wieder bestraft werden. Wären sie perfekt, könnten sie ohne Sünde leben, bräuchten nicht Seelen wie ihn, um sie aus dem Pfuhl der Menschheit zu erlösen.   Trotz der Gedanken und Gefühle, die gerade unaufhaltsam durch seinen Kopf rasten, schaffte er es mit ruhigen Händen seinen Umhängetasche zu öffnen und holte nach kurzem Tasten zwei Gegenstände daraus hervor. Mit einem freudlosen Lächeln sah er auf das kleine Foto in seiner Hand. Es war alt und ein wenig zerknittert, mitgenommen von der Zeit, und trotzdem lächelte sie ihm entgegen. Auch nach all den Jahren noch wirkte sie noch immer etwas wehmütig, ganz so als hätte sie selbst zu diesem Zeitpunkt schon geahnt, was passieren würde. Sie war die einzige Frau, die jemals sein Herz berührt hatte. Und sie war tot. Schon damals war es seine Schuld gewesen. Er hatte gewusst, dass er sie nicht einfach hätte gehen lassen sollen und hatte doch nichts getan, um zu versuchen zu aufzuhalten. Wäre er nicht so feige gewesen, wäre sie vielleicht noch heute bei ihm und er selbst wäre vielleicht nie den Weg gegangen, auf dem er sich jetzt befand. Und selbst wenn – wäre sie noch hier, könnte sie sicher verstehen, warum er tun musste, was er tat. Warum es gar keine andere Möglichkeit mehr gab. In einer beinahe liebevollen Geste strich er mit dem Daumen über das Portrait, bevor er es wieder in seiner Tasche verschwinden ließ.   Den anderen Gegenstand hielt er fest mit seiner jetzt leicht verschwitzten linken Hand umfasst. Als ein schwacher Sonnenstrahl, der sich irgendwie durch die grauen Wolken gekämpft hatte, durch das Blätterdach der Bäume darauf fiel, glänzte der Eispickel metallen auf. Er ging weiter, langsam, besonnen, ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen, als sei er ein normaler Spaziergänger, doch seine Augen waren wachsam, jeder Muskel seines Körpers angespannt und zum Handeln bereit. Was für eine Heuchelei. Er konnte nicht normal sein, genauso wenig wie andere Menschen perfekt sein konnten.   Seine Blicke fixierten die junge Frau, die vor ihm lief. Ein leises Lächeln umspielte ungesehen seine Mundwinkel. Allem Anschein nach telefonierte sie angeregt über ihr Handy mit irgendjemandem, der sie immer wieder zum lachen brachte. Er passte sein Tempo dem ihren an und wartete, bis sie endlich aufgelegt hatte und das kleine Telefon wieder in ihrer Handtasche verschwunden war. Den Eispickel ließ der zunächst in seiner Jackentasche verschwinden, wo er ihn leicht erreichen würde, als er seine Schritte beschleunigte, um zu ihr aufzuholen. Mit einem kräftigen Ruck vergrub er seine Hand in ihrem langen, glänzenden Haar und zog sie daran zurück. Noch bevor sie noch richtig aufschreien konnte, hielt er ihr mit der anderen Hand den Mund zu, registrierte zu seinem Ekel, dass ihre bebenden Lippen seine Finger mit klebrigem Lipgloss beschmierten. Er zog noch einmal kräftig an ihren Haaren. „Sei still...dann wirst du frei sein.“ Ihre zu stark geschminkten Augen blickten panisch zu ihm auf, dann nickte sie zögerlich, schien tatsächlich einen Funken Hoffnung zu haben, das dies hier nicht ihr Ende war, wenn sie sich fügte. Mit einem schwachen Lächeln ließ er seine Hand von ihrem Gesicht gleiten, griff in seine Jackentasche. Noch immer die langen Strähnen ihres Haares festhaltend stieß er sie ein kleines Stück von sich, um auszuholen, zu fühlen wie seine Muskeln sich anspannten. Dann schlug er die Waffe in ihren Körper.   Er genoss das Geräusch, mit dem sich das Metall in den Rücken der jungen Frau grub, ihren erneuten Aufschrei abrupt enden ließ. Einen Moment später gaben die Knochen ihrer Rippen mit einem Krachen nach. Die Waffe blieb von hinten in ihren Brustkorb stecken, als sie – ein letztes Mal nach Luft japsend – auf dem Gehweg zusammenbrach, ihr Blut sich langsam und tiefrot auf dem Boden ausbreitete. Er sah auf sie hinunter als wäre diese Situation das Normalste der Welt, fühlte fast so etwas wie Respekt für die Tatsache, dass sie nicht versucht hatte um ihr Leben zu betteln oder gegen das, was ihr widerfahren war, anzukämpfen. Er war die Ruhe selbst, als er den Eispickel schließlich aus ihrem toten Körper zog. Auch ihr hatte er diese falschen, verlogenen Flügel ausreißen können, hatte ihr ihre eigene hässliche Wahrheit zeigen können. Sie sollte ihm dankbar sein. Erst als er einen Schritt von ihrer Leiche wegtrat sah er, dass sie auch ihn besudelt hatte.   Er warf einen Blick in seine Umgebung. Zu seinem Glück hatte die langsam einsetzende Dämmerung verhindert, dass er die Aufmerksamkeit anderer Leute auf sich gezogen hatte. Einen weiteren Schritt von der Toten wegtretend sah er sich abermals um, bevor er umsichtig sein Werkzeug wieder in seiner Umhängetasche unterbrachte.   Der Weg zurück zu seinem Zuhause dauerte nicht lang, und dennoch fühlte er sich beobachtet. Vielleicht hätte er sich nicht zu diesem Leichtsinn hinreißen lassen sollen. Immer wieder sah er sich um, bis er die Tür zu seinem Apartment hinter sich schließen konnte. Mit einem erleichterten Seufzen lehnte er sich von innen dagegen, erlaubte sich einen Moment um durchzuatmen. Dann schob er den Riegel vor und sperrte von innen ab.   Diese Tür würde vorerst geschlossen bleiben. Kapitel 3: cut down your discomfort wings ----------------------------------------- 3rd motion: cut down your discomfort wings       Er riss das Wohnzimmerfenster weit auf, ließ die klare Dezemberluft in die Wohnung fluten und atmete tief durch, um seinen Puls zu beruhigen. Für einen Moment schloss er die Augen, sah sich dann prüfend in seinem Wohnzimmer um, versuchte die Nervosität, die schon den ganzen Tag über immer wieder in ihm aufsteigen wollte, mit verbissener Entschlossenheit zu unterdrücken. Nichts hier deutete noch auf Rosalies gewaltsamen Tod hin. Lediglich auf dem Parkett konnte man dort, wo ihr Blut zu Boden getropft war, noch eine leichte Verfärbung erkennen. Allerdings musste man dafür schon sehr genau hinsehen und wissen, wonach man eigentlich suchte. Und sollte irgendwann jemand danach fragen – nun, ein Glas Rotwein konnte einem schließlich schnell einmal aus der Hand rutschen. Und jeder wusste wie hartnäckig sich solche Flecken auf Holzböden hielten. Auch die Spuren, die die junge Frau aus dem Park auf seiner Kleidung hinterlassen hatte, waren akribisch beseitigt worden. Es hatte ihm zwar um die noch fast neue Jacke ein wenig Leid getan, aber er war sicher nicht dumm genug, um irgendwo auch nur einen winzigen Fetzen Beweismittel herumliegen zu lassen. Designerstück hin oder her.   Diese letzte Tat war jetzt schon beinahe eine Woche her und Rosalie wiederum hatte nur zwei Tage zuvor ihren letzten Atemzug getan. Aber seitdem hatte keine dieser verdammten Sünderinnen mehr seinen Weg gekreuzt. Fast schon verwunderlich, auch wenn er sich sicher war, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sein nächstes Opfer sich ihm offenbaren würde. Die Beiden waren nicht die Ersten gewesen und vermutlich würden sie nicht die Letzten bleiben.   Er atmete erneut tief durch, versuchte noch einmal die stärker werdende Nervosität aus seinen Gedanken zu verbannen. Er musste einen klaren Kopf behalten, gerade heute. Die Toten, ob sie nun in seiner Vergangenheit oder Zukunft lagen, waren im Moment nur peripher von Bedeutung; wenn er sein Ziel erreichen wollte, musste er weiterhin Ruhe bewahren, musste nach außen weiterhin so besonnen und verlässlich wirken wie bisher auch. Noch einmal betrachtete er sein Wohnzimmer und erlaubte sich letztendlich ein zufriedenes Lächeln, als er das Fenster wieder schloss. Absolut gar nichts wies noch auf das hin, was hier geschehen war; selbst der verhasste Parfümgeruch hatte sich letztlich verflüchtigt. Gerade wollte er noch einen letzten Kontrollblick in die Küche werfen, als er durch ein lautes Klingeln aus seinen Gedanken gerissen wurde.   Für eine Sekunde hielt er inne, versuchte noch einmal sich etwas zu sammeln, eilte dann aber zur Wohnungstür und öffnete diese seinem Gast. „Hallo Kaoru.“ Der Angesprochene nickte nur kurz und erwiderte die Begrüßung mit einem undefinierbaren Murmeln, während er ihm dabei zusah, wie er sich einen Mantel und anschließend Schuhe überzog. „Lass uns gehen, ja?“ meinte er schließlich, als der Ältere keinerlei Anstalten machte, eben jenes zu tun, sondern nur teilnahmslos in seinem Flur stand und vor sich hinstarrte. Als er angesprochen wurde, zuckte Kaoru zusammen, schien tatsächlich einen Moment zu brauchen, um wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden.   „...in Ordnung...“ Das sonst so schöne Gesicht des anderen war von Schmerz gezeichnet und aschfahl. Es schien, als ob Kaoru kaum noch schliefe, zumindest wiesen die dunklen Ringe unter seinen Augen nicht eben subtil auf diese Tatsache hin. Fürsorglich legte er dem anderen Mann eine Hand auf die Schulter und drückte leicht zu, gab ihm so zu verstehen, dass er bei ihm bleiben würde.   „Danke, dass du mit auf die Beerdigung kommst“, setzte Kaoru dann an, als sie die Wohnung verließen. „Ich weiß nicht, ob ich das allein durchstehen würde, selbst wenn die anderen auch da sind...“ Mit einem mitfühlenden Lächeln zog er Kaoru an sich und schloss ihn sanft in die Arme, während sich nun die ersten Tränen ihren Weg über dessen Gesicht bahnten. „Das ist doch selbstverständlich. Ich würde dich in so einer Situation nie im Stich lassen, du bist schließlich mein bester Freund, mit so etwas Furchtbarem kann ich dich doch nicht allein lassen.“ Für einen Moment herrschte Stille, die schließlich nur von einem unterdrückten, aber deswegen nicht weniger verzweifelten Schluchzen unterbrochen wurde. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass Rosalie tot ist...dass sie umgebracht wurde...“ Die letzten Worte gingen beinahe unter als Kaorus Stimme endgültig brach. „Das kann keiner von uns...ihr wart gerade so glücklich miteinander.“ Mit einer Hand strich er seinem Freund beruhigend über den Rücken und beglückwünschte sich gedanklich für sein schauspielerisches Talent. Niemand würde je hinter sein kleines Geheimnis kommen, niemand würde je auch nur vermuten, was hinter seiner mitfühlenden Fassade lag. Und nun konnte er sich um Kaoru kümmern, um irgendwann endlich zu bekommen, was er schon so lang begehrte. Ein weiteres Mal klopfte er dem anderen Mann sacht auf die Schulter und schenkte ihm ein tröstendes Lächeln. Er würde ihm nicht mehr entkommen. Nun gehörte sein bester Freund ihm allein und würde irgendwann einsehen müssen, dass dies die einzig richtige Wahl war.   „Wichtig ist nur, dass du dein Leben jetzt nicht wegwirfst Kaoru...das wollen wir nicht, und sie hätte es auch nicht gewollt. Denk daran, dass wir für dich da sind, wenn du uns brauchst, ja?“ Ein Nicken, begleitet von einem schwachen, sehr wackligen Lächeln war die Antwort. „Ja, ich weiß...danke, Shinya.“   Hinter ihnen fiel die Haustür mit einem metallenen Klicken ins Schloss.       be free Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)