Pirates of the Caribbean von BluejayPrime (Freedom of the Seven Seas) ================================================================================ Kapitel 4: Begegnung -------------------- „Das mit dem Orkan wusste ich. Nur das Datum nicht. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich noch nie Land betreten, weißt du?“ „Für ein Kind muss das Leben auf einem Piratenschiff fantastisch sein.“ Anamaria fuhr behutsam mit dem Zeigefinger die Unterseite von Jacks Arm entlang, und Jack zuckte zusammen. „Au!“ „Entschuldige.“ Sie nahm seine Hand und begutachtete das Brandmal kurz über dem Handgelenk. Wie beabsichtigt, würde die Narbe natürlich zurückbleiben, doch zum Glück gab es keine Anzeichen, die auf eine Entzündung hindeuteten, und auch der gebrochene Knochen würde wohl ohne großartige Komplikationen verheilen – vorausgesetzt, Jack verhielt sich weiterhin vorschriftsmäßig und hörte auf das, was sie ihm sagte. „Eigentlich ist es ziemlich langweilig.“, fuhr Jack fort, die Augen verträumt durch das schmutzige Kabinenfenster hinaus auf den Horizont gerichtet, „Ich meine, als ich noch ganz klein war, war meine Mutter mit an Bord und hat sich um mich gekümmert, aber irgendwann hatte sie keine Lust mehr und ist in der Schiffbruch-Bay geblieben. Auf einem Schiff herrscht den ganzen Tag reger Betrieb, aber ich durfte anfangs noch nicht mithelfen, und deshalb war mir langweilig. Später dann hab‘ ich mich manchmal ziemlich übel verletzt, weil die Takelage nicht darauf ausgerichtet ist, für einen Achtjährigen als Spielplatz zu dienen, und ich bin immer wieder runtergefallen, bis mein Vater es mir irgendwann verboten hat, darauf herumzuklettern. Aber die Mannschaft hatte mich zu ihrem Maskottchen auserkoren, sie haben mir alles Notwendige beigebracht…“ Anamaria lächelte leicht und begann, Jacks Arm behutsam wieder mit dem Verband zu umwickeln. „Und wie kommt es, dass du nie an Land gegangen bist?“ „Keine Ahnung. Wir haben ohnehin nicht oft angelegt, nur in Tortuga ab und zu, um Vorräte aufzunehmen oder Beute zu verkaufen, und da wurde mir verboten, an Land zu gehen. Und wenn wir an irgendwelchen kleinen Inseln angelegt hatten, damit mein Vater nach Schätzen graben konnte und dergleichen, dann musste ich auch an Bord bleiben, weil es zu gefährlich war…“ Anamaria hatte ihr Werk nun vollendet, sie richtete sich auf und gab Jack einem Impuls folgend einen Kuss auf die Wange. „Fertig.“ Jack sah sie verdutzt an, lächelte dann jedoch. „Danke.“ Offenbar hatte er die Tatsache, dass sein Vater ihn kurzerhand zum Captain der Black Pearl und zum Piratenfürsten der Karibik ernannt hatte, recht gut verwunden. Genau genommen gefiel es ihm sogar recht gut, sich nur nach seinem eigenen Kopf richten zu müssen, und seine in den letzten Tagen fast ständige gute Laune übertrug sich auch auf die Mannschaft. Nachdem sie Edward Teague bei der Schiffbruch-Bay abgesetzt hatten, hatte Jack Kurs auf Tortuga setzen lassen – um Proviant an Bord nehmen zu lassen, wie er sagte, und um alte Bekanntschaften aufzufrischen. Bis dahin würden sie jedoch noch ein paar Tage brauchen, und so vertrieben sich Anamaria und Jack die Zeit damit, dass Jack ihr das Piratenleben näher brachte und sie sich im Gegenzug um seine Verletzungen kümmerte – und um die Tatsache, dass er nüchtern genug blieb, um sein Schiff steuern zu können. „Was für Bekanntschaften meintest du eigentlich?“, fragte Anamaria, während sie Jack auf Deck folgte. „Dieses und jenes.“, wich der junge Captain der Black Pearl ihr aus, marschierte auf die Kommandobrücke zu und wandte sich hier an Bill, der gerade das Steuer führte. „Master Turner!“, begrüßte er diesen, „Es sind nicht zufällig irgendwelche Schiffe in der Nähe? Mir ist langweilig!“ „Nicht dass ich wüsste, Captain.“, antwortete Bill, „Wir bewegen uns allerdings auch weit abseits jeglicher Handelsrouten…“ „Segel in Sicht!“, erklang im selben Augenblick ein Ruf aus dem Krähennest, und hoch erfreut eilte Jack zur Reling. Hier jedoch gefror sein Grinsen auf der Stelle. Rasch trat Anamaria neben ihn und entdeckte auf sofort den Grund dafür. Es war nicht ein Schiff, nein, es waren drei, die frontal auf sie zusteuerten. Die Segel waren blendend weiß – und darüber flatterte die Flagge der East India Trading Company! „Beidrehen!“, fauchte Jack, kaum dass seine Schreckstarre sich gelöst hatte, „Wenden und Kurs in die Gegenrichtung setzen, und zwar sofort! Alle Segel setzen und schnellstmögliche Geschwindigkeit aufnehmen! Ballast abwerfen und–“ Eine Kanonenkugel platschte keine zwei Meter vor dem Bug des Schiffes ins Wasser, während die Matrosen sich hastig daran machten, die Anordnungen ihres Captains zu befolgen. „Alle Segel gesetzt!“, meldete Hector, „Mehr Geschwindigkeit ist nicht möglich, Gegenwind.“ „Verdammt!“, zischte Jack mit einem nervösen Blick zu den Schiffen, die sich bedrohlich genähert hatten. „Befehle, Captain?“ Besorgt sah Bill zu seinem Freund, dessen Gesicht sämtliche Farbe verloren hatte. „Ist hier eine Insel in der Nähe?“, sprang Anamaria ein, „Companyschiffe sind schwer bewaffnet und haben viel mehr Tiefgang als wir! In seichtem Wasser können wir sie mit Sicherheit abhängen.“ „Aye.“, murmelte Jack, „Aye, das könnte vielleicht…“ „Eine kleine Inselgruppe ohne Namen ist zwei Seemeilen entfernt, Nordosten!“, antwortete Hector bereits auf Anamarias Frage, bis dahin schaffen wir es nie!“ „Wir müssen es versuchen!“, zischte Anamaria, und endlich schien Jack geneigt, zu reagieren. „Erleichtert das Schiff!“, bellte er, „Von vorn bis achtern, alles Unnötige kommt über Bord! Sogar…“ Er schluckte. „Sogar der Rum, Männer.“ Entsetztes Schweigen breitete sich aus, doch Hector übernahm kurzerhand das Kommando. „Alles von Bord, ihr faulen Landratten!“, fauchte er, „Los, sonst seid ihr selbst an der Reihe!“ Bewundernd stellte Anamaria fest, dass Barbossa durchaus einiges an Charisma besaß – fast mehr als Jack selbst. „Aber der Rum, Barbossa!“, winselte einer der Matrosen, den Anamaria unter dem Namen Pintel kennen gelernt hatte, „Warum auch der Rum?“ „Weil ich das sage!“, knurrte Hector. In Bills Augen blitzte es wütend auf. „Weil der Captain das sagt.“, antwortete er scharf. Hector warf ihm einen eisigen Blick zu und eilte auf das Deck hinunter, um beim Entladen des Schiffes zu helfen. Erleichtert bemerkte Anamaria, wie ihre Verfolger zurückfielen. Sie blieben es nicht lange. Zwar holten die Schiffe nie weit genug auf, um auf sie feuern zu können, doch die weißen Segel verschwanden nie hinter dem Horizont. Selbst als die Black Pearl wie erwartet seichtes Gewässer erreichte, blieb die Gruppe, deren Flaggschiff den Namen Endavour trug, zwar zurück, patrouillierte jedoch so gezielt an ihren Grenzen, dass es unmöglich war, wieder aufs offene Meer hinauszugelangen, ohne dabei in die Reichweite ihrer Kanonen und somit in die Gefahr, sich ihnen in einem offenen – und unmöglich zu gewinnenden – Kampf stellen zu müssen, zu geraten. Als die Dämmerung hereinbrach, war ein Großteil der Crew mit den Nerven am Ende. Selbst Hector fiel nichts mehr ein, und so stand er stumm an der Reling und starrte finster zu den Schiffen hinüber, die grünen Augen zu schmalen Schlitzen verengt. „Teilt Nachtwachen ein.“, befahl Jack knapp, „Bemannt die Kanonen die ganze Nacht hindurch und informiert mich über jede Regung, die auf diesen Schiffen vor sich geht.“ Mit diesen Worten verschwand er in seine Kajüte und Anamaria folgte ihm rasch. „Verdammt.“, murmelte Jack, „Verdammt, was machen wir jetzt?“ Er sank auf einen Stuhl hinter seinen Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände. „Rum… ja, ich muss klar denken können. Gib mir die Flasche von der Kommode da.“ „Die war das erste, was ich über Bord geworfen habe. Du kannst auch ohne Rum klar denken, Jack… besser als mit, schätze ich.“ Sie nahm neben ihm Platz und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Hey, Jack.“, sagte sie sanft, „Mach dir keine Sorgen. Wir finden schon eine Lösung.“ „Die Lösung treibt ein paar Seemeilen entfernt im Atlantik.“, murmelte Jack sichtlich deprimiert. „Unsinn.“ Anamaria schloss die Augen und überlegte. „Wir müssen an ihnen vorbeikommen, ohne gesehen zu werden… unter Wasser ist schlecht möglich, aber wir könnten… wir könnten… ich hab’s! Die Pearl ist schwarz, nicht wahr, vollkommen schwarz? Und wir haben fast Neumond! Wenn es vollkommen dunkel ist und wir alle Lichter löschen, dann…“ „…dann werden sie uns nicht sehen!“ Freudestrahlend riss Jack den Kopf hoch. „Du bist genial!“ Er sprang auf, im selben Moment schwankte das Schiff abrupt unter heftigem Wellengang und er riss in dem Versuch, sich an etwas festzuhalten, Anamaria mitsamt ihrem Stuhl zu Boden. Verlegen erstarrte er, sein Gesicht nur Zentimeter vor dem ihren. „‘Tschuldigung.“, sagte er leise, allerdings nicht ohne ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht, „Mit Rum wär‘ das nicht passiert.“ „Trottel.“, murmelte Anamaria. „Pirat.“ „Mit Leib und Seele.“, erwiderte sie leise. Unwillkürlich wünschte sie sich, für den Rest ihres Lebens hier liegen zu bleiben, die Wärme seines Körpers, seine leichten Atemzüge und seinen Herzschlag zu spüren, ihm in die Augen zu sehen, nur sie beide, das Schiff, die Wellen, die sacht unter ihnen gegen das Holz schlugen, die flatternden Kerzen auf dem Tisch, die ein sanftes, gelbliches Licht verbreiteten, seine Lippen, die sich den ihren näherten, bis sie – Ruckartig wurde die Tür aufgerissen, ein Schuss peitschte durch die Luft, Schwerter wurden gezogen und eine Kugel schlug krachend hinter ihnen in der Wand ein. „Aufstehen.“, erklang eine eisige Stimme, die Anamaria entsetzt als die von Mercer, Cutler Becketts hakennasigem Sekretär erkannte, „Im Namen der East India Trading Company seid Ihr verhaftet, Jack Sparrow, ebenso wie der Rest Eurer Crew.“ „Sie haben sich angeschlichen, in kleinen Booten.“, sagte Bill leise, „Tut mir leid, Jack, wir wurden überrumpelt.“ Er war bedenklich blass, aus einer Wunde an seiner Schulter tropfte Blut, doch das war nichts im Vergleich zu Jack. „Schon gut.“, antwortete dieser mit tonloser Stimme, ohne ihn anzusehen, und es schien, als habe er Mühe, überhaupt seine Zähne auseinander zu bewegen, „Nicht eure Schuld.“ Er hatte es rasch aufgegeben, sich gegen seine Handfesseln zu wehren, doch seine Handgelenke waren bereits wund gescheuert und unter dem Verband sickerte Blut hervor. Behutsam griff Anamaria nach seinen Fingern und drückte diese sanft. Jack versuchte sich in einem Grinsen, was dazu führte, dass er seinem Jolly Roger erstaunlich ähnlich sah. Cutler Beckett marschierte zufrieden, die Hände auf dem Rücken verschränkt, an den Reihen seiner Gefangenen auf dem Deck seines Schiffes, der Endavour entlang. „Ich wusste doch, dass wir uns bald wieder sehen, Jack.“, sagte er mit dem üblichen herablassenden Lächeln, das ihm so zu Eigen war, kaum, dass er vor Jack stehen geblieben war. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits.“, murmelte Jack. „Zweifellos.“, entgegnete Beckett und trat zur Reling hinüber, um einen langen Blick auf die Black Pearl zu werfen, die von der Endavour ins Schlepp genommen worden war. „Ein hübsches Schiff nennt Ihr Euer Eigen, Captain Sparrow.“, bemerkte er, „Wo liegt seine Höchstgeschwindigkeit?“ „Sucht und Ihr werdet finden, Beckett, inzwischen warte ich gern hier.“, antwortete Jack spitz. Beckett überging dies. „Ich fürchte, die Company hat keine Verwendung für ein Piratenschiff.“, sagte er und wandte sich wieder zu Mercer um, der an seine Seite getreten war, „Versenkt es.“ „Nein!“ Jacks Stimme klang nahezu hysterisch und er machte einen Schritt nach vorn auf Beckett zu. „Beckett, nein! Hört, dies ist das schnellste Schiff in der Karibik, nein, auf allen sieben Weltmeeren, Ihr-“ Ohne Vorwarnung schlug Beckett ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Es knirschte, als Jacks Nasenbein nachgab, und Anamaria keuchte entsetzt auf. Mit einem leisen Stöhnen ging Jack zu Boden. Beckett betrachtete einen Augenblick lang interessiert seine blutverschmierten Fingerknöchel. „Darf ich bitten, Mr Mercer? Aber vorher schafft bitte Captain Sparrow hierher an die Reling. Ich möchte, dass er sich ganz genau ansehen kann, was passiert, wenn man sich der East India Trading Company widersetzt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)